Der Altruismus
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Der Altruismus
Altruismus (lat. alter ‚der Andere‘) bedeutet in der Alltagssprache „Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise“,[1] kann bis heute jedoch nicht allgemeingültig definiert werden.[2] Der Begriff ist nach seinem „Schöpfer“ Auguste Comte ein Gegenbegriff zu Egoismus und umfasse demnach eine absichtliche Verhaltensweise, die einem Individuum zugunsten eines anderen Individuums mehr Kosten als Nutzen einbringe.[3] Andere Autoren, wie beispielsweise Humberto Maturana, Charlie L. Hardy und Mark van Vugt oder David Miller und David Kelley, gehen davon aus, dass altruistisches Handeln zwar nicht mit einem unmittelbaren Nutzen oder Gegenwert verknüpft sein muss, aber schließlich – auf lange Sicht – der Vorteil des Handelnden größer sei als die aufgewandten Kosten.[4][5] Andere Wissenschaftler wie Jonathan Seglow legen in ihrer Definitionsvariante dar, dass Altruismus nicht erzwungen werden könne, ohne seinen altruistischen Charakter zu verlieren.[6] Daraus wird geschlossen, dass altruistisches Verhalten eine freiwillige Handlung und somit eine freie Entscheidung des Handelnden darstelle. Altruistisches Verhalten kann ein Leitbild bzw. Ideal im religiösen Kontext darstellen (Nächstenliebe).
Viele Kulturen sehen die Almosenvergabe an Arme als altruistisch an.
ltruistisches Verhalten
Altruistische Verhaltensweisen wurden – mit Hilfe der jeweils gewählten Begriffsdefinition bzw. erdachten Interpretation – bei Menschen und anderen Tieren „nachgewiesen“;[7][3] eine 2009 publizierte Studie schreibt Altruismus auch Pflanzen zu,[8] und 2010 wurde in der Zeitschrift Nature altruistisches Verhalten bei Bakterien beschrieben.[9] Altruismus ist nach einer weiteren Definitionsvariante nicht zwingend willentlich, moralisch, idealistisch oder normativ begründet, sondern kann auch Bestandteil des angeborenen Verhaltens eines Individuums sein. Eine andere, eingeschränktere Interpretation von Altruismus ist – bei Anwendung einer Definition ausschließlich für den Menschen – die „willentliche“ Verfolgung der Interessen oder des Wohls anderer oder des Gemeinwohls. Altruistisches Handeln wird auch mit selbstlosem Handeln gleichgesetzt. Dabei bleibt der Aspekt des Ziels der Handlungen, die aus Selbstlosigkeit erfolgen, unberücksichtigt. Die Auffassung als reine Selbstlosigkeit betont stattdessen die Zurückstellung eigener Anliegen bis hin zur Selbstaufopferung. Die erlebte Aufhebung und Interessenbalance zwischen Egoismus und Altruismus wird auch als Liebe bezeichnet. Neben Selbstlosigkeit ist Uneigennützigkeit ein weiteres Synonym für Altruismus. Die Sozialpsychologie spricht von prosozialem Verhalten (siehe unten). Beispiele für altruistisch ausgerichtete Organisationen sind die Ärzte ohne Grenzen und die Prem Rawat Foundation.
Arten und Formen des Altruismus
Brutpflegeverhalten
Die bei vielen Tierarten sowie auch beim Menschen beobachtete Brutpflege ist eine im Instinktverhalten begründete und somit die ursprünglichste Form altruistischen Verhaltens. Sie trägt wesentlich zur Arterhaltung bei. Ein hohes Maß an Altruismus findet man auch im eusozialen Verhalten mancher Tierarten, die kooperative Brutpflege betreiben.
Moralischer und normativer Altruismus
Ein moralischer Altruist handelt prinzipiengeleitet altruistisch. Ein Beispiel für solch ein Prinzip ist der Kategorische Imperativ Kants. Verinnerlichte Moral kommt in der Gewissensstimme zum Ausdruck, der zu folgen zu altruistischem Handeln führen kann. Der moralische Altruist ist nicht mit dem Moralapostel zu verwechseln: der predigt mehr, als dass er selbst ein Vorbild eines richtig oder gut Handelnden abgeben würde.
Kinderkrippe, Gemälde von Albert Anker (1890)
Gerechtigkeit ist einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft. Wir handeln oft altruistisch um der Gerechtigkeit willen. Dazu gehört auch der Einsatz für Menschen, die ungerecht behandelt werden oder unter ungerechten Lebensverhältnissen zu leiden haben. Gerechtigkeit ist eine meist verinnerlichte soziale Norm.
Auch wenn wir nicht aufgrund von verinnerlichten Werten altruistisch motiviert sind, handeln wir oft altruistisch, weil dies von uns erwartet wird. Wenn z. B. ein Mensch auf der Straße zusammenbricht, wird erwartet, dass andere zu Hilfe eilen. Welche Motive sie dabei haben, ist zweitrangig. Ein Motiv für den Helfenden kann sein, den Erwartungen der Mitmenschen zu entsprechen, d. h. sich entsprechend einer sozialen oder sogar juristischen Norm (siehe unterlassene Hilfeleistung) zu verhalten.
Ein Handeln, das über die Befolgung von Pflichten oder Erwartungen hinausgeht und so gewissermaßen den Titel Altruismus im Sinne von Außerordentlichkeit erst eigentlich verdient, bezeichnet man auch als supererogatorisches Handeln.
Zu unterscheiden ist nur scheinbar gutes, berechnendes Handeln.
Sympathie-Altruismus
Nicht alle Formen der Sympathie setzen Empathie voraus; z. B. weckt Schönheit oft Sympathien; Empathie ist hier nicht erforderlich, da Schönheit offen liegt oder offen zu liegen scheint. Wohlwollen und Mitleid sind jedoch nicht denkbar ohne ein empathisches Vermögen. Ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen moralischem oder normativem Altruismus und Wohlwollen ist, dass Wohlwollen freiwillig ist und nicht in einem Sollen gründet. Handeln nach Prinzipien und Normen führt implizit die Botschaft mit sich, andere sollten auch so handeln. Wohlwollen ist jedoch allenfalls eine Einladung zur Nachfolge. Während im moralischen Altruismus die Tendenz liegt, anderen ihre Eigennützigkeit vorzuhalten, anerkennt der Wohlwollende diese Eigennützigkeit und bedient sie großzügig. Einen Altruisten aus Wohlwollen, dessen Wirkungskreis über den engeren Rahmen von Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freundes- und Bekanntenkreis hinausgeht, bezeichnet man auch als Philanthropen (Menschenfreund).
Vom Handeln aus Wohlwollen ist das Handeln aus Mitleid zu unterscheiden. Auch „Schopenhauer behauptet, dass, wer einmal den Zusammenhang aller Wesen durchschaut habe, des Egoismus unfähig sei, weil er erkannt habe, daß jedes Leid, das er anderen zufüge, ihn selbst treffe; er könne keinen Unterschied mehr zwischen sich und den anderen machen, deren Förderung ja die eigene sei.“ (Georg Simmel)[10]
Tierschutz (ein Kiwi)
In einem weniger anspruchsvollen und umfassenden Sinn wird dieses Phänomen in der Sozialpsychologie als Self-Other-Merging bezeichnet. Auch wenn viele Definitionen des Altruismus davon ausgehen, dass Altruismus mit einem Opfer verbunden ist, kann man beim Handeln aus Mitleid nur eingeschränkt von Opfer sprechen, weil durch die Identifikation mit dem Menschen oder auch Tier in Not die Getrenntheit zwischen Ego und Alter aufgehoben ist. Diese Erkenntnis formulierte Johann Wolfgang von Goethe in seinem Gedicht: "Willst Du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück; denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück."
Abgesehen von Wohlwollen und Mitleid erfolgt altruistisches Handeln oft ganz einfach aus Zuneigung oder generalisierter Dankbarkeit dem Leben gegenüber.
Rationaler Altruismus
Will man nicht von vornherein Altruismus als rational nicht fassbare Liebe ansehen, fragt sich, wie es um die Rationalität des Altruismus bestellt ist. Diesbezügliche Untersuchungen beziehen Rationalität meist auf die Konsequenzen, die das altruistische Verhalten oder Handeln für den Handelnden selbst, oder für das Gemeinwohl hat. Rationalität kann sich auch auf das Verhältnis beziehen, auf einen Ausgleich zwischen Eigeninteressen und denen anderer.
Es gibt allerdings auch andere Auffassungen von Rationalität, die diese auf objektive Gründe beziehen, wobei das dann meist als moralisch oder ethisch aufgefasste Handeln nicht auf eine individuelle Interessenverfolgung bezogen wird, sondern seine Rationalität in dem Wert hat, dem das Handeln nach Prinzipien, Werten oder Normen objektiv zukommt. Die Rationalität liegt dann in dem Wert des Handelns selbst, etwa als tugendhaft, ohne Berücksichtigung der Konsequenzen.
Klugheitsaltruismus
Eine Lebensweisheit ist, dass Egoisten gut beraten sind, Altruisten zu sein oder als solche zu erscheinen, weil sie dadurch den größten Profit machen. Aber wie steht es objektiv damit?
Einen anspruchsvollen Versuch, moralische Intuitionen des richtigen und guten Handelns als rational begründet im Eigeninteresse (prudentielle [von lat. prudentia – Klugheit] intrinsische Wünschbarkeit) des Handelnden auszuweisen unter Berücksichtigung der subtilsten psychischen Phänomene legte der Philosoph Christoph Lumer vor.[11]
Reziproker Tausch
Die Rationalität des reziproken Tausches ist offensichtlich. Obwohl das Handeln sich meist an der Reziprozitätsnorm (Gerechtigkeit, Fairness) orientiert und nicht eine genaue Verrechnung von Leistung und Gegenleistung vorgenommen wird, geht es darum, die Ausnutzung von Altruisten durch Egoisten zu verhindern, damit die Tauschprozesse fortgesetzt werden können. Reziprozität ist ein Mittel, Ausnutzung zu unterbinden.
Generalisierter Tausch
Generalisierte Tauschsysteme sind dadurch charakterisiert, dass sie auf einseitigen Leistungen ohne direkte Gegenleistung beruhen. Sie können offen (jeder kann als Leistungsempfänger teilnehmen) oder geschlossen sein (Teilnehmer, die nicht selbst auch Leistungen erbringen, werden nicht akzeptiert). Ein Beispiel für einen offenen generalisierten Tausch sind die Hilfsleistungen im Straßenverkehr. Jeder kann z. B. einen Passanten um Auskunft nach einem Weg bitten. Die Auskunft wird als einseitige Leistung erbracht. Die Rationalität des generalisierten Tausches besteht darin, dass jeder, der der Hilfe bedarf, sie erhält und darauf vertrauen kann.
Rationale Abwägung zwischen Selbstinteressen und den Interessen anderer
Ein Modell solcher Abwägung hat der Vertreter der Theorie der rationalen Entscheidung Howard Margolis vorgelegt.[12]
Das Modell geht davon aus, dass neben egoistischen Präferenzen (Interessen, Motiven) altruistische Präferenzen bestehen. Die Herkunft solcher altruistischer Präferenzen ist nicht Gegenstand der Untersuchung,[13] sondern die Frage ist, wie es um die Rationalität des Verhältnisses zwischen der Verfolgung eigener Interessen und der anderer bestellt ist.
Gegeben eine Gewichtung, die bei jedem Menschen verschieden ist, wird eine Ressource, z. B. ein Geldbetrag, oder Zeit, so eingesetzt, dass der größte marginale Nutzen entsteht, entweder für die eigenen Interessen, oder für die anderer. Je mehr ich mit meinem Geld meine eigenen Interessen bediene, desto geringer ist der marginale Nutzen einer weiteren Geldeinheit für mich. Je mehr Geld ich andererseits schon altruistisch, etwa als Spende, gegeben habe, desto geringer ist der subjektive marginale Nutzen einer weiteren Geldeinheit für die Allgemeinheit. Das Gleichgewicht ist dort, wo der egoistische und der altruistische Nutzen einer weiteren Geldeinheit den gleichen Wert haben.
Andere RC-Modelle (von rational choice, Theorie der rationalen Entscheidung) versuchen – sofern sie nicht von vornherein Altruismus als irrational oder arational ausschließen und damit Altruismus als durch das Modell nicht fassbar ansehen – Egoismus und Altruismus in eine einzige egozentrische Nutzenfunktion zu integrieren. Ein generelles Problem aller RC-Modelle ist es, Altruismus als anerkanntes Phänomen so im Modell abzubilden, dass das nicht einer Eliminierung des Altruismus gleichkommt. Ein Vorwurf an bestimmte Varianten von RC-Theorien ist häufig, sie würden Altruismus wegerklären,[14] indem sie ihn auf Egoismus reduzieren. Altruismus wird dann als Klugheitsaltruismus verstanden.
Pareto-Altruismus
Das Pareto-Kriterium führte Vilfredo Pareto in die Ökonomie ein. Es besagt: Ein Zustand ist einem anderen vorzuziehen, wenn durch eine Veränderung der Verteilung der Güter oder der Produktionsfaktoren mindestens ein Konsument besser gestellt und kein anderer Konsument schlechter gestellt wird.
Entsprechend diesem Kriterium sind altruistische Handlungen möglich, die mit keinem Opfer verbunden sind. Ein Beispiel: Mein Besuch bittet mich, ihn noch zur Bushaltestelle zu begleiten. Da ich ohnehin noch einen Spaziergang später am Abend machen wollte, willige ich ein, denn das Vorziehen des Spaziergangs macht für mich keinen Unterschied. Solche Handlungen sind im Alltag recht häufig, obwohl sie als altruistisch meist nicht weiter auffallen. Umgekehrt ist es genauso möglich, egoistische Interessen so zu verfolgen, dass anderen oder der Allgemeinheit dadurch kein Schaden entsteht. Diese Rücksichtnahme ist gleichfalls sehr häufig und kann unter das altruistische Handeln gerechnet werden.
Utilitarismus
Vergleiche hierzu den Artikel über den Utilitarismus als Ethik. Ein altruistisches Handeln, das auf die Verbesserung (Maximierung) des Gesamtwohls der Menschheit (oder partikularen Einheiten von ihr), eventuell auch unter Einbezug anderer Lebewesen, zielt, kann nur eingeschränkt als rational bezeichnet werden, da eine vollständige Kalkulation der Handlungsfolgen nicht möglich ist. Im kleineren überschaubaren Rahmen ist dies jedoch manchmal möglich und wird auch versucht. Utilitaristisches Handeln ist der Intention nach rational, ohne dass es möglich wäre, eine konkrete Handlung als rational im Hinblick auf die Maximierung des Wohls oder Glücks der Begünstigten auszuweisen.
Ein Beispiel soll das Grundprinzip der utilitaristischen Rationalität erläutern. Nehmen wir an, ich habe einen Geldbetrag übrig und möchte ihn nach Afrika spenden. Ich kann mich dann erkundigen, wie die verschiedenen Hilfsorganisationen ihre Gelder verwenden und wie die Qualität ihrer Arbeit ist. Ich spende dann an diejenige Hilfsorganisation, von der ich glaube, dass sie die Spende am effektivsten einsetzt und daher meine Spende den größtmöglichen „Glücks“-Effekt hat.
Ein vollständiges utilitaristisches Kalkül würde auch die eigenen Interessen mit einbeziehen, also im obigen Beispiel auch berücksichtigen, ob das Gesamtwohl der Menschheit nicht noch eine größere Förderung erhielte, wenn etwa der Betrag der Spende verringert wird und mit dem übrigen Betrag Eigeninteressen verfolgt werden. Ein solches Kalkül gerät typisch in schwere Schlagseite, weil Menschen dabei einem Bias zu Gunsten ihrer eigenen Interessen erliegen.
Selbstverwirklichungs-Altruismus
Individualismus und Selbstverwirklichung schließen Altruismus nicht aus. Die altruistische Einstellung und entsprechendes Handeln kann wesentlicher Bestandteil des Selbstverwirklichungsstrebens sein. Altruismus ist dann Ausdruck des Selbst, das sich mit anderen Menschen verbunden weiß. Individualistischer Altruismus ist freiwillig, als Ausdruck, Bestätigung oder Gestaltung des Selbst gewollt, ohne Nötigung durch soziale und moralische Normen.
Das kann zum Beispiel dann gegeben sein, wenn sich ein Mensch ehrenamtlich für karitative Zwecke engagiert oder in einer Hilfsorganisation wie der Freiwilligen Feuerwehr unentgeltlich seinen Mitmenschen hilft, selbst wenn er dafür um zwei Uhr nachts aus dem Bett muss, um einen Brand zu bekämpfen.
Die Erforschung des Altruismus in den Wissenschaften
Altruismus ist unter anderem Forschungsgegenstand der Verhaltensbiologie (speziell der Soziobiologie), der Sozialpsychologie, der Philosophie und zunehmend auch der Wirtschaftswissenschaften.
Philosophische Ethik, Moral- und Sozialphilosophie
Die Unterscheidung zwischen Ethik und Moral oder Moralphilosophie ist umstritten. Für das Thema Altruismus scheint es sinnvoll, folgende Differenzierung zu machen. Das ethische Handeln ist bewusst um seine Qualität als gut oder richtig besorgt, jedenfalls solange es noch nicht in Gewohnheitshandeln oder Handeln nach gewonnenen Überzeugungen übergegangen ist. So ist etwa das Handeln für das Wohl von Tieren meist von ethischem Charakter. Die moralische Komponente hingegen fehlt typischerweise, denn diese beruht auf dem Geltungscharakter der Güte oder Richtigkeit von Handlungen. Vegetarismus aber z. B. hat jedenfalls in unserer Kultur diesen Geltungscharakter nicht. Mit dem ethischen Handeln kann jedoch ein Geltungsanspruch verbunden sein. Das moralische Handeln hingegen beruht ganz wesentlich auf solcher Geltung des Guten oder Richtigen. So gibt es eine ganz selbstverständliche Zuwendung der älteren Generationen zu den Kindern im Allgemeinen. Ein entsprechendes Handeln muss nicht erst noch ethisch qualifiziert sein. (Ein erwachsener Mensch braucht nicht darüber nachzudenken, ob es richtig oder gut ist, ein Kind, das Angst hat, über die Straße zu gehen, an die Hand zu nehmen.) Moralische Geltung enthält das Potential, in Rechtsgesetze überzugehen. Dies ist z. B. bei den Tierschutzgesetzen der Fall: ein ursprünglich ethisches Verhalten gegenüber Tieren erlangte allgemeine Geltung und hat inzwischen moralischen Charakter.
Im Folgenden werden einige der wichtigsten Ethiken kurz vorgestellt, soweit sie Altruismus (oft nicht unter Verwendung dieses Wortes) zum Gegenstand haben. Wenn zwar die meisten Ethiker und Ethikerinnen im allgemeinen Altruismus für „besser“ halten als Egoismus, so darf doch nicht übersehen werden, dass es auch Ethiken gibt, die den Egoismus vertreten. Der wohl bekannteste Vertreter eines ethischen Egoismus ist Nietzsche. Als ein weiteres Beispiel sei der Objektivismus der Philosophin Ayn Rand genannt. Der ethische Egoismus ist nicht zu verwechseln mit Bemühungen, den Notwendigkeiten des Selbsterhalt, einem „wohlverstandenen“ oder „berechtigten“ Eigeninteresse, einem gewissen „gesunden“ Egoismus Gewicht zu geben, um überzogene altruistische Neigungen, (An-)Forderungen oder (Selbst-)Ansprüche (z. B. Helfersyndrom), zu kompensieren.
Evolutionsbiologie
Die Biene – ein Symbol für Altruismus
In der Evolutionsbiologie wird der Begriff Altruismus gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch abweichend definiert. Altruistisches Verhalten ist in diesem Zusammenhang jedes, das ein anderes Individuum begünstigt und das mit irgendwelchen Nachteilen oder Kosten für den Handelnden verbunden ist.[15][16]. Im modernen Sinn ist es in die biologische Theorie durch den Zoologen und Genetiker William D. Hamilton im Jahr 1964 eingeführt worden[17]. Altruismus im evolutionsbiologischen Sinn ist vollkommen unabhängig von den Motiven des Handelnden. Insbesondere wird mit dem Begriff Altruismus auch kein absichtliches Handeln verbunden.
Die Existenz von altruistischem Verhalten in der Natur stellt ein Problem für die Evolutionstheorie dar, wie bereits Charles Darwin selbst erkannt hatte. Die natürliche Selektion begünstigt jedes Merkmal, das den Fortpflanzungserfolg seines Trägers steigert, und ist gegen jedes Merkmal gerichtet, das diesen benachteiligt. Als Eigenschaft des jeweiligen Merkmalsträgers aufgefasst, wird dies mit dem Fachausdruck Fitness beschrieben. Altruistisches Verhalten vermindert aber (schon definitionsgemäß), zumindest zunächst, die Fitness desjenigen, der sich so verhält, da es ja mit Kosten verbunden ist; es erhöht dagegen die Fitness eines anderen Individuums. Also müsste ein nicht altruistisch handelndes Individuum selbst höhere Fitness besitzen, das bedeutet, im Mittel mehr Nachkommen erzeugen können als ein Altruist. Altruismus müsste also von der natürlichen Selektion ausgemerzt werden, sobald er entsteht. Damit Altruismus existieren kann, muss, wenn die Evolutionstheorie korrekt ist, letztlich durch altruistisches Verhalten doch die Nachkommenzahl gegenüber egoistischem Verhalten gesteigert werden. Wäre dies nicht der Fall, wäre sie widerlegt. Die Erklärung von Altruismus gilt dabei als ein Schlüssel für Sozialverhalten generell, da dieses häufig mutualistisch ist; das bedeutet, dass sich Individuen gegenseitig durch altruistisches Handeln begünstigen. Die Evolutionstheorie hat verschiedene Modelle entwickelt, die für die Erklärung altruistischen Verhaltens herangezogen werden. Es handelt sich dabei um ein aktives Forschungsfeld, auf dem nach wie vor verschiedene Theorien miteinander konkurrieren.
Entscheidend für die evolutionsbiologische Erklärung altruistischen Verhaltens ist also, dass es letztlich nicht wirklich selbstlos sein darf, sondern in irgendeiner Weise den Fortpflanzungserfolg erhöhen muss. Um diesen Sachverhalt gegenüber dem normalen Sprachgebrauch zu betonen, haben einige Biologen vorgeschlagen, andere Begriffe für das Verhalten zu verwenden, zum Beispiel Reziprozität, (sozialer) Donorismus, Nepotismus[18]; diese haben sich aber letztlich nicht durchgesetzt.
Reziproker Altruismus
Reziproker Altruismus liegt vor, wenn altruistisches Verhalten auf der Basis von Gegenseitigkeit „zurückgezahlt“ wird. Vor allem von höheren Primaten einschließlich des Menschen ist dieses Phänomen des reziproken Altruismus bekannt. Ein solcher Altruismus ist jedoch kein echter, da er sich letztlich „auszahlt“.
Indirekte Reziprozität
Indirekte Reziprozität ist eine Theorie, welche die Evolution durch natürliche Selektion von altruistischem Verhalten gegenüber einem nichtverwandten Individuum erklären soll, wenn dieses Verhalten durch dasselbe Individuum nicht erwidert wird.
Starke Reziprozität
Starke Reziprozität bezeichnet altruistisches Belohnen kooperativen Verhaltens und altruistisches Bestrafen unkooperativen Verhaltens.
Gruppenselektion
Oft ergeben sich Gruppenvorteile aus diesem Handeln, woraus alle Mitglieder, etwa von staatenbildenden Insekten, langfristig wieder individuell profitieren. Siehe auch Gruppenselektion.
Verwandtschaftsselektion
Die Bereitschaft zum altruistischen Handeln hängt häufig von der Verwandtschaft zum Nutznießer ab (Verwandtenselektion). Je höher der Grad der Verwandtschaft zwischen zwei Individuen ist, desto höher liegt die Bereitschaft zum altruistischen Handeln. Ein solcher Altruismus ist aber wiederum kein echter, da er sich durch die Verwandtschaft „auszahlt“; nahe Verwandte haben aufgrund ihrer identischen Vorfahren einen hohen Anteil identischer Gene.
Neuere Multiselektionstheorien
Neuere Annäherungen und Vermittlungsversuche zwischen biologistischen und kulturalistischen Theorien
Spezielle Themen
Price-Gleichung
Die Evolution des Altruismus kann mathematisch sehr elegant und einfach mit der Price-Gleichung verstanden werden.
Neurologische Aspekte (Spiegelneuronen, „altruistic punishment“[19] (altruistische Strafe) etc.)
Unterscheidet sich menschlicher Altruismus von tierischem Altruismus?
Sozialpsychologie
Im Zuge der Entwicklung der Psychologie zu einer empirischen Wissenschaft wurden unscharfe Begriffe wie Hilfsbereitschaft, Altruismus usw. vom leichter operationalisierbaren Begriff prosoziales Verhalten abgelöst. Allerdings erfolgt dabei die erhöhte Klarheit des Begriffs auf Kosten des Begriffsumfangs. Mit prosozialem Verhalten ist relativ eindeutiges, beobachtbares Verhalten gemeint, das für die Mitmenschen unternommen wird oder sich an deren Wohlergehen orientiert, z. B. und in erster Linie Hilfsverhalten. Hilfsbereitschaft als Einstellung oder Mitleid als Motiv zu helfen sind dabei keine Bestandteile des Begriffs des prosozialen Verhaltens mehr. Die Bezeichnung Altruismus (meist dann in dem üblichen, weiteren Sinne, mit Einbezug der Motive etc.) hat sich daneben jedoch weiter behaupten können, zum Teil werden „Altruismus“ und „prosoziales Verhalten“ auch synonym verwendet.
Zwar konnten gewisse Zusammenhänge zwischen prosozialem Verhalten und einigen Persönlichkeitseigenschaften wie Empathiefähigkeit gefunden werden, jedoch keine „altruistische Persönlichkeit“; im Gegenteil zeigte sich immer wieder der starke Einfluss situativer Merkmale.[20] In der klassischen Studie von Hartshorne und May (1929) an 10.000 Grund- und Highschool-Schülern variierte das prosoziale Verhalten von Situation zu Situation.[21]
Darley und Batson (1973) legten einen scheinbar verletzten Menschen an die Straßenseite und beobachteten das Hilfsverhalten von Theologiestudenten, die zu einem Seminar gingen. Selbst wenn sie im Seminar über das Thema Der barmherzige Samariter zu referieren hatten, hatte Zeitdruck einen viel größeren Einfluss auf das Hilfeverhalten. Von den Studenten, die unter Zeitdruck gesetzt wurden, halfen dem „Opfer“ nur vier Prozent; jene, die unter keinem Zeitdruck standen, zu 63 %.[22]
Ein weiterer Faktor ist die Stimmung, in der sich jemand gerade befindet. Isen und Levin (1972) manipulierten diese Variable, indem sie eine Münze ins Rückgabefach eines öffentlichen Telefons legten. Von denen, die eine Münze fanden, halfen 84 % einem Mann, der einen Stapel Papiere verloren hatte, aber nur vier Prozent der anderen.[23] Schuldgefühle fördern ebenfalls prosoziales Verhalten: Katholiken spenden mehr Geld vor der Beichte als danach.[24]
Ein Experiment von Amato zeigte einen Zusammenhang zwischen Altruismus und der Bevölkerungsdichte: In Kleinstädten halfen 50 % der Passanten einem Verletzten, in Großstädten nur 15 %.[25] Milgram erklärt diesen oft replizierten und interkulturell gültigen Befund mit der Urban-Overload-Hypothese: Ständige Reizüberflutung führt zu einem inneren Rückzug; in reizarmer Umgebung helfen Großstädter genau so oft wie Kleinstädter.[26]
Geschlechtsunterschiede - Frauen zeigen eher langfristig angelegtes prosoziales Verhalten (z. B. Pflege nahestehender Personen), Männer eher einmalige „Heldentaten“ (z. B. als Feuerwehrmänner) - gehen auf geschlechtsspezifische soziale Normen zurück.[27]
Zusätzlich zu den bereits dargestellten evolutionspsychologischen Erklärungen für prosoziales Verhalten (Überleben durch Kooperation, Verwandtenselektion, Reziprozitätsnorm) äußerte Herbert A. Simon die Überlegung, dass das Befolgen von sozialen Normen, zu denen prosoziales Verhalten gehört, ebenfalls einen Selektionsvorteil habe, dass also Altruismus genetisch programmiert sei.[28]
Nach den Theorien des sozialen Austauschs, siehe als Beispiel das Kosten-Nutzen-Modell von Piliavin, sind ökonomische Überlegungen das Motiv für prosoziales Handeln: Ein Individuum zeigt Altruismus, wenn der erwartete Nutzen höher ist als der Aufwand.[29]
Relativiert wird diese Auffassung durch die Empathie-Altruismus-Hypothese des Psychologen und Theologen C. Daniel Batson (1991). Er fand, dass geringe Kosten keinen Einfluss auf das Verhalten haben, falls jemand Empathie mit der hilfebedürftigen Person empfindet. Disstress durch Mit-Leiden wird vermindert, indem das zugrundeliegende Leiden vermindert wird.[30]
Als Erklärungsalternative zum Empathie-Altruismus sind von einer Forschergruppe um Cialdini Experimente und Interpretationen zum self-other-merging (oneness) vorgestellt worden.[31] Hilfeverhalten würde höher mit kognitiver Identifikation mit dem Hilfsbedürftigen als mit emotionaler Empathie korrelieren. Mit der Identifikation wird das Selbst des Helfenden gewissermaßen ausgeweitet und umfasst den Hilfsbedürftigen mit. Cialdini will mit dieser Theorie und entsprechenden empirischen Belegen auch gegen die Empathie-Altruismus-Hypothese die Grundannahme des psychologischen Egoismus retten, denn Self-Other-Merging, Oneness, bedeutet ja, dass das Individuum, das dem anderen hilft, dabei im Grunde sich selbst hilft. Die fürsorgliche Zuwendung und Liebe der Mutter zu ihrem Neugeborenen wäre dann letztlich nicht auf das Kind als ein getrenntes Wesen gerichtet, sondern auf das Kind, das mit der Mutter eine Einheit bildet, wobei die Zuwendung zum Kind dann analog zu verstehen ist wie etwa, den eigenen knurrenden Magen zu versorgen. Allerdings sträubt sich das Phänomen der Mutterliebe gegen solche theoretische Spitzfindigkeit, es auf Egoismus zu reduzieren. Das wird das Altruismusparadox genannt. Wenn man die Phänomene des Self-Other-Merging reduktiv erklärt, ergibt die Anwendung des Begriffspaars Egoismus-Altruismus keinen Sinn mehr.[32]
Mit dem vorstehenden ist der Mainstream sozialpsychologischer Altruismusforschung gekennzeichnet, der experimentelle Methoden nach dem Vorbild der Naturwissenschaften anwendet. Die Sozialpsychologie hat eine große Fülle von Daten und Theorien hervorgebracht, welche Ursachen, Bedingungen oder Faktoren das prosoziale Verhalten beeinflussen. Einen umfassenden Überblick über die Forschung gibt die Monographie von Schroeder u. a. Daneben gibt es andere Richtungen sozialpsychologischen Forschens. So ist etwa Erich Fromm, der gewichtige Beiträge zur Altruismusforschung geleistet hat, dem Paradigma der Psychoanalyse zuzuordnen.
Soziologie und allgemeine Sozialwissenschaft
Unterscheidung zweier soziologisch relevanter Typen altruistischen Handelns
Obwohl der Begründer der modernen Soziologie als eigenständiger Disziplin, Auguste Comte, den Altruismus (ein von ihm erfundenes Wort) mit geradezu missionarischem Eifer als einen säkularen Quasi-Religionsersatz predigte,[33] hat der Terminus Altruismus in der Soziologie keinen großen Widerhall gefunden. Comte predigte den moralischen Altruismus, der als Gegengewicht gegen die durch die Marktwirtschaft entfesselten egoistischen Antriebe Platz greifen müsse, um die Gesellschaft lebensfähig zu erhalten.
Soweit es um diesen moralischen Altruismus geht, spricht man in der Soziologie von moralischem Handeln, eine besondere Form des normenorientierten Handelns, das sich an den Erwartungen der Mitmenschen orientiert und das ein Hauptgegenstand der soziologischen Untersuchungen ist. Ein normenorientiertes Handeln ist jedoch nicht mit altruistischem Handeln gleichzusetzen, denn es gibt auch die Norm, egoistisch zu handeln, vornehmlich im Wirtschaftsleben.
In neuerer Zeit hat das Wort Altruismus in der Soziologie jedoch eine Wiederbelebung erfahren, und zwar durch den Einfluss der RC-Theorien. Dabei hat sich jedoch die Bedeutung des Begriffs gewandelt. Nicht mehr wie Comte versteht man darunter moralisches Handeln noch Handeln nach einer Norm, sondern Handlungen, die auf das Wohl anderer gerichtet sind, ohne dabei gesollt zu sein, also freiwilligen Charakter haben und aus Sympathie erfolgen.
Diese Unterscheidung zwischen altruistischem und moralischem Handeln geht auf den „Apfel-Test“, den der Ökonom und RC-Theoretiker Amartya K. Sen in seinem berühmten Aufsatz „Rational Fools“ zur Unterscheidung zweier, an anderen Menschen orientierten Typen des Handelns (other-regard) durchzuführen vorgeschlagen hat, zurück: Ego hat zwei Äpfel in der Hand: Einen großen und einen kleinen. Er bietet Alter an, einen der Äpfel zu wählen. Nimmt jetzt Alter den großen Apfel und empört sich Ego darüber („Das tut man nicht“), so wurde eine Norm verletzt. Alter hat die Norm missachtet, indem er den großen Apfel nahm und wird von Ego dafür mit einer beleidigten Miene abgestraft. Wenn jedoch Ego den großen Apfel freudig hingibt und gerne sich mit dem kleinen zufriedengibt, dann handelt es sich um eine Handlung, die aus sympathischem Altruismus erfolgt ist.
Jedoch hat die Zuordnung des Wortes Altruismus zu diesem freiwilligen, meist aus Sympathie erfolgenden Handeln, in Abgrenzung zum moralischen Handeln, keine allgemeine Zustimmung gefunden, indem einige Wissenschaftler den Terminus Altruismus, wie Comte das vorgesehen hatte, auf moralisches Handeln allein angewendet wissen wollen. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen des Handelns ist jedoch unumstritten und hat allgemeinen Beifall gefunden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es immer leicht wäre, ein gegebenes Handeln, das um anderer Willen geschieht, einem der Typen zuzuordnen. Comte meinte mit seinem Altruismus Menschenliebe. Liebe ist jedoch eher dem Sympathiealtruismus zuzuordnen. Entscheidend für den normativen Charakter bleibt, dass Liebe oder Altruismus gefordert wird. Es wird z. B. einem Menschen vorgeworfen, dass er lieblos sei. Soweit positive Gefühle, die doch eigentlich nicht erzwungen werden können, und ihr Ausdruck im Handeln erwartet werden und solchen Erwartungen entsprochen wird, ist die Zuordnung zum normativen oder moralischen Altruismus naheliegend. Über diese Widersprüchlichkeit hinaus etwas zu erwarten, was aufgrund seines Charakters eigentlich nur freiwillig oder aus authentischen Gefühlen erfolgen kann, besteht das Problem, dass normative Erwartungen häufig durch Erziehung und Sozialisation internalisiert sind. Man glaubt, man handele nach eigenem Gutdünken oder gäbe seinen edlen Empfindungen nach, während man in Wirklichkeit nur den Erwartungen der Mitmenschen Folge leistet. Welcher Typus dann tatsächlich vorliegt, ist dann sehr schwierig festzustellen.
Trotz solcher typologischen Schwierigkeit ist die Unterscheidung hochbedeutsam, denn aus ihr ergeben sich je ganz unterschiedliche Folgerungen, wenn politische oder sozialreformerische Maßnahmen auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse zielen. So glauben etwa die amerikanischen Kommunitaristen nicht daran, dass die Kultur des modernen Individualismus genügend freiwilligen Sympathiealtruismus hervorbringen könne, um die Abschwächung der normativen Kraft gesellschaftlicher Sitten zu kompensieren. So wird z. B. die liberale Einstellung zur Ehescheidung als ein Fehler angesehen. Es müsse durch die Gesellschaft mehr Druck ausgeübt werden, um es den Menschen zu erleichtern, ihren Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft gerecht werden zu können. (Unter ethischem Gesichtspunkt gibt es das Problem, dass Sympathiealtruismus oft parteilich oder unerwünscht partikular ist. Kant hatte sich dagegen verwahrt, dass Handlungen aus Neigung ethischen Wert haben könnten. Siehe dazu den Abschnitt „Philosophische Ethik, Moral- und Sozialphilosophie“).
Die Unterscheidung des Handelns, das durch Normbefolgung motiviert ist, nach dem Verinnerlichungsgrad der Normen ist nicht zu verwechseln mit der Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese beiden Typen nicht die einzigen sind, weder in der Soziologie noch im Alltagsverständnis, und es gibt auch Mischtypen. Ein solcher Mischtypus ist z. B. der Kavalier.
Die zwei Forschungsrichtungen der Soziologie
Für die Soziologie ist Altruismus, altruistisches Verhalten oder Handeln entweder das zu erklärende Phänomen, wobei dann irgendeine soziale oder gesellschaftliche Bedingtheit dieses Handelns aufgesucht wird (soziologische Erklärung individuellen Verhaltens oder Handelns, oder sogar Erklärung bestimmter Aspekte der Individualität, der Persönlichkeit des einzelnen (soziale Bedingtheit der Identität)) (z. B. „produziert Kapitalismus Egoisten?“) – oder aber, Altruismus als gegebenes Phänomen (meist typologisch in einem Modell vereinfacht) dient dazu, gesellschaftliche Phänomene, wie Stabilität einer Ordnung, oder sozialer Wandel, wie z. B. Entstehung, Aufrechterhaltung oder Auflösung generalisierten Tausches, zu erklären. Im Folgenden werden einige prominente Forschungsfelder der Soziologie oder allgemeiner der Sozialwissenschaften vorgestellt.
Judenrettung zur Zeit des NS-Regimes
Der amerikanische Soziologe Samuel P. Oliner, der selbst als jüdisches Kind vor den Nationalsozialisten von Polen versteckt und dadurch gerettet worden ist, war durch diese Erfahrung so beeindruckt, dass er sein Lebenswerk der Erforschung dieser besonderen Art von Altruismus, die sich bei Judenrettern gezeigt hat, gewidmet hat.[34] Oliner spricht von heroischem oder Courage-Altruismus. Die Menschen, die solchen Altruismus zeigen, werden im englischen Sprachraum auch als „moral exemplars“ bezeichnet. Neben den Arbeiten Oliners und anderen sind auch die Forschungen der Politikwissenschaftlerin Kristen Renwick Monroe bekannt geworden.[35] Monroe weist Erklärungsversuche, auch bei solchen Rettungsaktionen habe eine nutzenmaximierende Wahlhandlung stattgefunden,[36] zurück und präferiert eine Theorie, die solche Rettungstätigkeiten als Resultat von sozialer Identität (Verbundenheit, Bezogenheit), moralischer Integrität und Identifikation mit den Opfern (Perspektivenübernahme) ansieht. Der heroische oder Courage-Altruismus, wie ihn Retter z. B. während des Holocaust gezeigt haben, hat eine besondere Ausprägung: Um anderen Menschen zu helfen, wird in manchen Fällen nicht nur das eigene Leben aufs Spiel gesetzt, sondern auch das Leben der eigenen Familien und von Freunden, ohne zuvor um deren Einverständnis nachzusuchen.
Theorie der rationalen Entscheidung
Spieltheoretische Untersuchungen
Das Verhalten von Individuen in einer Population untersucht die Spieltheorie in Spielen der Kategorie „Kooperative n-Personen-Spiele“. Das berühmteste Spiel solcher Art ist das Gefangenen-Dilemma. Komplexere Spiele sind z. B. das Ultimatumspiel und das Diktatorspiel. Das Handeln eines Spielers in einem Spiel wird nicht als egoistisch oder altruistisch, sondern als kooperativ oder nicht-kooperativ bezeichnet. Der typische rationale Spieler ist auf eine Maximierung seines Gewinns aus, und er verhält sich kooperativ, wenn er sich dadurch einen Vorteil verspricht. Ob und wann ein kooperativer Spielzug gemacht wird, hängt von den jeweiligen Spielregeln, der je besonderen Spielsituation und dem Verhalten (oder dem erwarteten Verhalten) der Spielpartner ab.
Kooperation zwischen Menschen ist in der Regel für alle Beteiligten vorteilhaft. Die Spieltheorie kann zeigen, wie Spieler aus Eigeninteresse dahin kommen, kooperatives Verhalten zu entwickeln und unter welchen Bedingungen Kooperation als Normalverhalten sich etablieren und erhalten kann und unter welchen Bedingungen Kooperation nicht entsteht oder zurückgeht.
Ein Problem der praktischen Anwendung spieltheoretischer Forschungsergebnisse ist die Künstlichkeit der Modelle, die nicht perfekt abbilden können, wie es im „wirklichen Leben“ zugeht. Als Grundregel gilt auch hier: Modelle gelten dann in einer gegebenen Realität als anwendbar, wenn sich mit ihnen in dieser Realität ausreichend gute Vorhersagen machen lassen.
Die praktische Relevanz ist immer dann gegeben, wenn die Unterstellung rational egoistischen Verhaltens ratsam scheint. Solche Unterstellung ist z. B. selbstverständlich in zwischenstaatlichen Beziehungen. Haben Staaten jedoch nur wenige Handlungsoptionen (z. B. Nordkorea), dann kann die Drohung mit scheinbar irrationalem Verhalten das Spiel verändern. Die Spieltheorie hat daher große Bedeutung für die Friedensforschung.
Christliche Theologie und Religionswissenschaft
Der Begriff Altruismus ist in der christlichen Bibel nicht vorhanden. Doch es finden sich im übertragenen Sinne gedachte Formen, die einer Regel oder einer Gesetzgebung, beispielsweise von einem „Füreinander“, entsprechen könnten. Im Christentum im Philipper Brief Kapitel 2 NT wird auf ein Gebot bzw Gleichnis hingewiesen, dass eine „altruistische“ Form im obigen Sinne als eine Grundlage der Liebe und eines Füreinanders bieten könnte: „Durch Demut achte einer den andern höher denn sich selbst, und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was des andern ist.“ (Andere Übersetzung: „Jeder schaue nicht nur auf das Seine, sondern sorge auch für den anderen.“) Dieser Satz weist aus Sicht der christlichen Glaubensvorstellung aber eher darauf hin, was sich der Mensch unter dem Wirken des ihm innewohnenden Heiligen Geistes als Gleichnis für die Alltags-Praxis vorstellen könnte. Es sagen allerdings seit Jahrhunderten zahlreiche berühmte Kirchenväter, wie auch Papst Benedikt XVI. im Hirtenbrief des Jahres 2010, dass die göttliche Liebe (im Menschen) nur verstanden und wahrgenommen werden kann, wenn man die Bibel in ihrer Gesamtheit erfasst.
Es könnte gesagt werden, der Heilige Geist (in uns) handelt als pure, selbstlose, uneigennützige Liebe in ihrer reinsten Form (Liebe Gottes) und deshalb stets - im übertragenen Sinne - auch als „Altruist in seiner vollendetsten Form“. Kirchengelehrte haben aber mit dem Begriff Altruismus ein Verwendungs-Problem, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung zu sehr als ausschließlich evolutionäre Eigenschaft bekannt gemacht geworden ist und deshalb kaum mehr ernsthaft an eine Ausdehnung auf die Liebe Gottes und die Diskussion darüber zu denken ist.
Das „Ich“ im Menschen nimmt neben dem Heiligen Geist als Wirklichkeit auch eine andere, zweite wahr, nämlich jene der evolutionären Wirklichkeit. Erst beide (inneren) Wirklichkeiten in Wechselwirkung befähigen den Menschen zur bewussten Wahrnehmung seines „Selbst“ und zum freien Willen. So kann der Mensch vor jeder Handlung (frei) entscheiden, ob er entweder der ihm innewohnenden „geistlichen Stimme“ der Liebe Gottes oder aber den „evolutionären Stimmen“ seines jeweiligen (in der Evolution) vererbten und erworbenen Wissens folgen möchte. Das Gewissen bietet ihm als „Verbindungsstück“ zwischen beiden Wirklichkeiten eine komplizierte Entscheidungs-Plattform. Jede Eigenschaft, wie beispielsweise das oben erwähnte „Füreinander“ oder die Liebe, kann nach christlichen Glaubensvorstellungen (z. B. Bibel) oder religiöser Wissenserfahrungen (z. B. christliche Erleuchtung), ausschließlich aus einer Art von „Verschränkung“ beider Wirklichkeiten im Menschen zum Ausdruck kommen.
Es gibt in den Natur- bzw. Geisteswissenschaften einige Altruismus-Definitionen, wonach altruistisches Handeln durch öffentliches Bekanntwerden den altruistischen Charakter verliert. Demnach kann altruistisches Handeln dem Altruisten einen Nutzen bringen, wie beispielsweise eine (spätere) gesteigerte Reputation (indirect reciprocity oder reputation building[37]), und der altruistisch Handelnde könnte in der Folge erhöhten sozialen Status erlangen (competitive altruism theory[38]).
Vielen von der katholischen Kirche verehrten Heiligen wie Paulus oder Thomas von Aquin - aber auch anderen als „Heilige“ verehrte Personen in den verschiedensten Religionen und religiöser Traditionen - könnte man eine im übertragenen Sinne „permanente pure altruistische Bereitschaft“ zuschreiben, da sie durch ihre jeweilige Erleuchtungserfahrung praktisch von einer göttlichen Existenz (auch in ihnen) überzeugt wurden und danach (stets) ein „göttlich/geistlich-verschobenes innwendiges“ Dasein führten. Ihre Überzeugung ließ sie wissen, dass sie jederzeit sämtliche gegenwärtige und zukünftige irdischen Vorteile opfern könnten (und auch würden) und sie trotzdem nach ihrem irdischen Ableben in eine andere Wirklichkeit übertreten, die z. B. von Christen auch als Himmel oder Paradies bezeichnet wird. Diese „permanente Altruismus-Bereitschaft“ wird von manchen Natur- und Geisteswissenschaftlern als eine Form (schädigender) Selbstaufopferung erklärt und verstanden. Auch gibt es viele, die Altruismus ausschließlich eine evolutionäre Daseinsberechtigung zuschreiben, und - noch radikaler - altruistisches Handeln als einen vererbten oder erworbenen (evolutionären) „Fehler“ in einem Individuum ansehen. Entgegen dieser Kritik scheint jedoch eine hohe Religiosität, trotz der im christlichen Glauben klar vertretenen prosozialen Werte, nicht zu einer Zunahme prosozialen Handelns zu führen.[39] Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass die Effekte von Religiosität bei spontanem prosozialen Verhalten null oder sogar negativ sind, wohingegen religiöse Hinweisreize zur Aktivierung von Vorurteilen, Rachsüchtigkeit und Partikularinteressen führen können (S. 899). Gleichzeitig scheint Religiosität einer Diskrepanz zwischen der Einschätzung des eigenen prosozialen Verhaltens und des tatsächlichen Verhaltens Vorschub zu leisten.
Manche Menschen sehen in einzelnen (kurzen) Bibelsstellen Hinweise darauf, dass selbstloses und unegoistisches Handeln (meist im evolutionären Sinn gemeint) durch Aussagen in der Bibel beschnitten werden, z. B. wenn bei Almosengabe „die linke Hand nicht wissen solle, was die rechte tut“ (Mt. 6/3). Da nach gültiger Glaubenslehre die Bibel nur in ihrer Gesamtheit und durch das gleichzeitige Wirken des Heiligen Geistes in uns verstanden werden kann, sind auch die darin enthaltenen Gleichnisse nur vor diesem Hintergrund sinnerfassend zu erfahren. „Die rechte Hand“ steht z. B. hier für die Liebe Gottes in uns, die (ausschließlich) von Gott empfangen wird und als eine Art „pure Liebe und unendliche Glückseligkeit“ im Menschen wahrgenommen werden kann (in der Naturwissenschaft wird Liebe oft als Gefühl definiert, diese evolutionäre Auffassung kann im Glaubenskontext aber nicht angewandt werden). „Die linke Hand“ steht hier für eine vererbte und erworbene Wirklichkeit, die in der Evolution bekanntlich (ausschließlich) auf irdischen Nutzen und Vorteile abzielt. Auch lässt sich der biblische Satz, jemand solle sich „Schätze im Himmel sammeln“, als „Paradebeispiel“ eines biblischen Gleichnisses für Entscheidungen zugunsten „altruistischen Handelns“ im göttlichen Sinne anführen (Lk. 6/35; Mt. 6/2; Mt. 5/46; Mt. 6/1; Kol. 3/24). Ein weiteres Beispiel für häufige missverständliche Interpretationen einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Bibelstellen ist die Liste der Zehn Gebote. Theologen lehren schon seit je, dass der Satz Jesu „Wer mich liebt, der wird meine Gebote halten“ (Joh. 14/15) nur im Zusammenhang mit den Zehn Geboten gesehen und verstanden werden kann. Darin steckt deshalb für jeden die Möglichkeit, im freien Willen zu entscheiden, und nicht - wie vielerorts behauptet wird - ein „Kirchen-strafrechtlich relevantes Gesetz“. Bei jeder bewussten Entscheidungsfindung werden im Gewissen die irdischen Angebote (z. B. aus dem Gehirn) auf ihre „Heiliger-Geist-Verträglichkeit“ geprüft oder es wird der Heilige Geist z. B. durch ein (stilles) Gebet ersucht, bei der (inneren) Suche nach dem von der Liebe Gottes am stärksten eingebetteten Lösungsvorschlag behilflich zu sein, auch wenn dabei der vom Heiligen Geist identifizierte Vorschlag mehr Kosten bzw. Nachteil hervorbringt als jede andere (evolutionär-verschobene) Alternative. Gottes-Liebe-verschobene Entscheidungen sind dann immer von Abwesenheit von unethischen, unsittlichen oder auch unmoralischen Handlungen begleitet, wie sie beispielsweise auch in Joh. 10/1–9 oder in den Zehn Geboten beschrieben werden (Lüge, Diebstahl, Raub, Vernichtung, Ehebruch etc.).
In der christlichen Glaubensvorstellung wird der Begriff Liebe – gemeint ist hier die selbstlose, fürsorgliche, unendliche, erwartungsfreie Liebe von Gott zum Menschen, also im übertragenen Sinn Altruismus in seiner reinsten Form – auch ein Synonym für z. B. Jesus, Gott, Heiliger Geist, Garten Eden, Reich Gottes etc. Wer bei seinen Entscheidungsprozessen der (inneren) Stimme des Heiligen Geistes „mehr Raum gibt“ als allen vererbten oder erworbenen „Stimmen“, der hat entschieden, der Liebe Gottes zu folgen und damit Jesus.
Siehe auch
Helfersyndrom
Sorge, Fürsorge
Nächstenliebe, Agape
Solidarität, Gegenseitige Hilfe
Handicap-Prinzip
Karma-Yoga
Generativität
Gutmensch
Egoismus
Humanorientierung
win-win, Nullsummenspiel, Spieltheorie
Quelle
Viele Kulturen sehen die Almosenvergabe an Arme als altruistisch an.
ltruistisches Verhalten
Altruistische Verhaltensweisen wurden – mit Hilfe der jeweils gewählten Begriffsdefinition bzw. erdachten Interpretation – bei Menschen und anderen Tieren „nachgewiesen“;[7][3] eine 2009 publizierte Studie schreibt Altruismus auch Pflanzen zu,[8] und 2010 wurde in der Zeitschrift Nature altruistisches Verhalten bei Bakterien beschrieben.[9] Altruismus ist nach einer weiteren Definitionsvariante nicht zwingend willentlich, moralisch, idealistisch oder normativ begründet, sondern kann auch Bestandteil des angeborenen Verhaltens eines Individuums sein. Eine andere, eingeschränktere Interpretation von Altruismus ist – bei Anwendung einer Definition ausschließlich für den Menschen – die „willentliche“ Verfolgung der Interessen oder des Wohls anderer oder des Gemeinwohls. Altruistisches Handeln wird auch mit selbstlosem Handeln gleichgesetzt. Dabei bleibt der Aspekt des Ziels der Handlungen, die aus Selbstlosigkeit erfolgen, unberücksichtigt. Die Auffassung als reine Selbstlosigkeit betont stattdessen die Zurückstellung eigener Anliegen bis hin zur Selbstaufopferung. Die erlebte Aufhebung und Interessenbalance zwischen Egoismus und Altruismus wird auch als Liebe bezeichnet. Neben Selbstlosigkeit ist Uneigennützigkeit ein weiteres Synonym für Altruismus. Die Sozialpsychologie spricht von prosozialem Verhalten (siehe unten). Beispiele für altruistisch ausgerichtete Organisationen sind die Ärzte ohne Grenzen und die Prem Rawat Foundation.
Arten und Formen des Altruismus
Brutpflegeverhalten
Die bei vielen Tierarten sowie auch beim Menschen beobachtete Brutpflege ist eine im Instinktverhalten begründete und somit die ursprünglichste Form altruistischen Verhaltens. Sie trägt wesentlich zur Arterhaltung bei. Ein hohes Maß an Altruismus findet man auch im eusozialen Verhalten mancher Tierarten, die kooperative Brutpflege betreiben.
Moralischer und normativer Altruismus
Ein moralischer Altruist handelt prinzipiengeleitet altruistisch. Ein Beispiel für solch ein Prinzip ist der Kategorische Imperativ Kants. Verinnerlichte Moral kommt in der Gewissensstimme zum Ausdruck, der zu folgen zu altruistischem Handeln führen kann. Der moralische Altruist ist nicht mit dem Moralapostel zu verwechseln: der predigt mehr, als dass er selbst ein Vorbild eines richtig oder gut Handelnden abgeben würde.
Kinderkrippe, Gemälde von Albert Anker (1890)
Gerechtigkeit ist einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft. Wir handeln oft altruistisch um der Gerechtigkeit willen. Dazu gehört auch der Einsatz für Menschen, die ungerecht behandelt werden oder unter ungerechten Lebensverhältnissen zu leiden haben. Gerechtigkeit ist eine meist verinnerlichte soziale Norm.
Auch wenn wir nicht aufgrund von verinnerlichten Werten altruistisch motiviert sind, handeln wir oft altruistisch, weil dies von uns erwartet wird. Wenn z. B. ein Mensch auf der Straße zusammenbricht, wird erwartet, dass andere zu Hilfe eilen. Welche Motive sie dabei haben, ist zweitrangig. Ein Motiv für den Helfenden kann sein, den Erwartungen der Mitmenschen zu entsprechen, d. h. sich entsprechend einer sozialen oder sogar juristischen Norm (siehe unterlassene Hilfeleistung) zu verhalten.
Ein Handeln, das über die Befolgung von Pflichten oder Erwartungen hinausgeht und so gewissermaßen den Titel Altruismus im Sinne von Außerordentlichkeit erst eigentlich verdient, bezeichnet man auch als supererogatorisches Handeln.
Zu unterscheiden ist nur scheinbar gutes, berechnendes Handeln.
Sympathie-Altruismus
Nicht alle Formen der Sympathie setzen Empathie voraus; z. B. weckt Schönheit oft Sympathien; Empathie ist hier nicht erforderlich, da Schönheit offen liegt oder offen zu liegen scheint. Wohlwollen und Mitleid sind jedoch nicht denkbar ohne ein empathisches Vermögen. Ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen moralischem oder normativem Altruismus und Wohlwollen ist, dass Wohlwollen freiwillig ist und nicht in einem Sollen gründet. Handeln nach Prinzipien und Normen führt implizit die Botschaft mit sich, andere sollten auch so handeln. Wohlwollen ist jedoch allenfalls eine Einladung zur Nachfolge. Während im moralischen Altruismus die Tendenz liegt, anderen ihre Eigennützigkeit vorzuhalten, anerkennt der Wohlwollende diese Eigennützigkeit und bedient sie großzügig. Einen Altruisten aus Wohlwollen, dessen Wirkungskreis über den engeren Rahmen von Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freundes- und Bekanntenkreis hinausgeht, bezeichnet man auch als Philanthropen (Menschenfreund).
Vom Handeln aus Wohlwollen ist das Handeln aus Mitleid zu unterscheiden. Auch „Schopenhauer behauptet, dass, wer einmal den Zusammenhang aller Wesen durchschaut habe, des Egoismus unfähig sei, weil er erkannt habe, daß jedes Leid, das er anderen zufüge, ihn selbst treffe; er könne keinen Unterschied mehr zwischen sich und den anderen machen, deren Förderung ja die eigene sei.“ (Georg Simmel)[10]
Tierschutz (ein Kiwi)
In einem weniger anspruchsvollen und umfassenden Sinn wird dieses Phänomen in der Sozialpsychologie als Self-Other-Merging bezeichnet. Auch wenn viele Definitionen des Altruismus davon ausgehen, dass Altruismus mit einem Opfer verbunden ist, kann man beim Handeln aus Mitleid nur eingeschränkt von Opfer sprechen, weil durch die Identifikation mit dem Menschen oder auch Tier in Not die Getrenntheit zwischen Ego und Alter aufgehoben ist. Diese Erkenntnis formulierte Johann Wolfgang von Goethe in seinem Gedicht: "Willst Du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück; denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück."
Abgesehen von Wohlwollen und Mitleid erfolgt altruistisches Handeln oft ganz einfach aus Zuneigung oder generalisierter Dankbarkeit dem Leben gegenüber.
Rationaler Altruismus
Will man nicht von vornherein Altruismus als rational nicht fassbare Liebe ansehen, fragt sich, wie es um die Rationalität des Altruismus bestellt ist. Diesbezügliche Untersuchungen beziehen Rationalität meist auf die Konsequenzen, die das altruistische Verhalten oder Handeln für den Handelnden selbst, oder für das Gemeinwohl hat. Rationalität kann sich auch auf das Verhältnis beziehen, auf einen Ausgleich zwischen Eigeninteressen und denen anderer.
Es gibt allerdings auch andere Auffassungen von Rationalität, die diese auf objektive Gründe beziehen, wobei das dann meist als moralisch oder ethisch aufgefasste Handeln nicht auf eine individuelle Interessenverfolgung bezogen wird, sondern seine Rationalität in dem Wert hat, dem das Handeln nach Prinzipien, Werten oder Normen objektiv zukommt. Die Rationalität liegt dann in dem Wert des Handelns selbst, etwa als tugendhaft, ohne Berücksichtigung der Konsequenzen.
Klugheitsaltruismus
Eine Lebensweisheit ist, dass Egoisten gut beraten sind, Altruisten zu sein oder als solche zu erscheinen, weil sie dadurch den größten Profit machen. Aber wie steht es objektiv damit?
Einen anspruchsvollen Versuch, moralische Intuitionen des richtigen und guten Handelns als rational begründet im Eigeninteresse (prudentielle [von lat. prudentia – Klugheit] intrinsische Wünschbarkeit) des Handelnden auszuweisen unter Berücksichtigung der subtilsten psychischen Phänomene legte der Philosoph Christoph Lumer vor.[11]
Reziproker Tausch
Die Rationalität des reziproken Tausches ist offensichtlich. Obwohl das Handeln sich meist an der Reziprozitätsnorm (Gerechtigkeit, Fairness) orientiert und nicht eine genaue Verrechnung von Leistung und Gegenleistung vorgenommen wird, geht es darum, die Ausnutzung von Altruisten durch Egoisten zu verhindern, damit die Tauschprozesse fortgesetzt werden können. Reziprozität ist ein Mittel, Ausnutzung zu unterbinden.
Generalisierter Tausch
Generalisierte Tauschsysteme sind dadurch charakterisiert, dass sie auf einseitigen Leistungen ohne direkte Gegenleistung beruhen. Sie können offen (jeder kann als Leistungsempfänger teilnehmen) oder geschlossen sein (Teilnehmer, die nicht selbst auch Leistungen erbringen, werden nicht akzeptiert). Ein Beispiel für einen offenen generalisierten Tausch sind die Hilfsleistungen im Straßenverkehr. Jeder kann z. B. einen Passanten um Auskunft nach einem Weg bitten. Die Auskunft wird als einseitige Leistung erbracht. Die Rationalität des generalisierten Tausches besteht darin, dass jeder, der der Hilfe bedarf, sie erhält und darauf vertrauen kann.
Rationale Abwägung zwischen Selbstinteressen und den Interessen anderer
Ein Modell solcher Abwägung hat der Vertreter der Theorie der rationalen Entscheidung Howard Margolis vorgelegt.[12]
Das Modell geht davon aus, dass neben egoistischen Präferenzen (Interessen, Motiven) altruistische Präferenzen bestehen. Die Herkunft solcher altruistischer Präferenzen ist nicht Gegenstand der Untersuchung,[13] sondern die Frage ist, wie es um die Rationalität des Verhältnisses zwischen der Verfolgung eigener Interessen und der anderer bestellt ist.
Gegeben eine Gewichtung, die bei jedem Menschen verschieden ist, wird eine Ressource, z. B. ein Geldbetrag, oder Zeit, so eingesetzt, dass der größte marginale Nutzen entsteht, entweder für die eigenen Interessen, oder für die anderer. Je mehr ich mit meinem Geld meine eigenen Interessen bediene, desto geringer ist der marginale Nutzen einer weiteren Geldeinheit für mich. Je mehr Geld ich andererseits schon altruistisch, etwa als Spende, gegeben habe, desto geringer ist der subjektive marginale Nutzen einer weiteren Geldeinheit für die Allgemeinheit. Das Gleichgewicht ist dort, wo der egoistische und der altruistische Nutzen einer weiteren Geldeinheit den gleichen Wert haben.
Andere RC-Modelle (von rational choice, Theorie der rationalen Entscheidung) versuchen – sofern sie nicht von vornherein Altruismus als irrational oder arational ausschließen und damit Altruismus als durch das Modell nicht fassbar ansehen – Egoismus und Altruismus in eine einzige egozentrische Nutzenfunktion zu integrieren. Ein generelles Problem aller RC-Modelle ist es, Altruismus als anerkanntes Phänomen so im Modell abzubilden, dass das nicht einer Eliminierung des Altruismus gleichkommt. Ein Vorwurf an bestimmte Varianten von RC-Theorien ist häufig, sie würden Altruismus wegerklären,[14] indem sie ihn auf Egoismus reduzieren. Altruismus wird dann als Klugheitsaltruismus verstanden.
Pareto-Altruismus
Das Pareto-Kriterium führte Vilfredo Pareto in die Ökonomie ein. Es besagt: Ein Zustand ist einem anderen vorzuziehen, wenn durch eine Veränderung der Verteilung der Güter oder der Produktionsfaktoren mindestens ein Konsument besser gestellt und kein anderer Konsument schlechter gestellt wird.
Entsprechend diesem Kriterium sind altruistische Handlungen möglich, die mit keinem Opfer verbunden sind. Ein Beispiel: Mein Besuch bittet mich, ihn noch zur Bushaltestelle zu begleiten. Da ich ohnehin noch einen Spaziergang später am Abend machen wollte, willige ich ein, denn das Vorziehen des Spaziergangs macht für mich keinen Unterschied. Solche Handlungen sind im Alltag recht häufig, obwohl sie als altruistisch meist nicht weiter auffallen. Umgekehrt ist es genauso möglich, egoistische Interessen so zu verfolgen, dass anderen oder der Allgemeinheit dadurch kein Schaden entsteht. Diese Rücksichtnahme ist gleichfalls sehr häufig und kann unter das altruistische Handeln gerechnet werden.
Utilitarismus
Vergleiche hierzu den Artikel über den Utilitarismus als Ethik. Ein altruistisches Handeln, das auf die Verbesserung (Maximierung) des Gesamtwohls der Menschheit (oder partikularen Einheiten von ihr), eventuell auch unter Einbezug anderer Lebewesen, zielt, kann nur eingeschränkt als rational bezeichnet werden, da eine vollständige Kalkulation der Handlungsfolgen nicht möglich ist. Im kleineren überschaubaren Rahmen ist dies jedoch manchmal möglich und wird auch versucht. Utilitaristisches Handeln ist der Intention nach rational, ohne dass es möglich wäre, eine konkrete Handlung als rational im Hinblick auf die Maximierung des Wohls oder Glücks der Begünstigten auszuweisen.
Ein Beispiel soll das Grundprinzip der utilitaristischen Rationalität erläutern. Nehmen wir an, ich habe einen Geldbetrag übrig und möchte ihn nach Afrika spenden. Ich kann mich dann erkundigen, wie die verschiedenen Hilfsorganisationen ihre Gelder verwenden und wie die Qualität ihrer Arbeit ist. Ich spende dann an diejenige Hilfsorganisation, von der ich glaube, dass sie die Spende am effektivsten einsetzt und daher meine Spende den größtmöglichen „Glücks“-Effekt hat.
Ein vollständiges utilitaristisches Kalkül würde auch die eigenen Interessen mit einbeziehen, also im obigen Beispiel auch berücksichtigen, ob das Gesamtwohl der Menschheit nicht noch eine größere Förderung erhielte, wenn etwa der Betrag der Spende verringert wird und mit dem übrigen Betrag Eigeninteressen verfolgt werden. Ein solches Kalkül gerät typisch in schwere Schlagseite, weil Menschen dabei einem Bias zu Gunsten ihrer eigenen Interessen erliegen.
Selbstverwirklichungs-Altruismus
Individualismus und Selbstverwirklichung schließen Altruismus nicht aus. Die altruistische Einstellung und entsprechendes Handeln kann wesentlicher Bestandteil des Selbstverwirklichungsstrebens sein. Altruismus ist dann Ausdruck des Selbst, das sich mit anderen Menschen verbunden weiß. Individualistischer Altruismus ist freiwillig, als Ausdruck, Bestätigung oder Gestaltung des Selbst gewollt, ohne Nötigung durch soziale und moralische Normen.
Das kann zum Beispiel dann gegeben sein, wenn sich ein Mensch ehrenamtlich für karitative Zwecke engagiert oder in einer Hilfsorganisation wie der Freiwilligen Feuerwehr unentgeltlich seinen Mitmenschen hilft, selbst wenn er dafür um zwei Uhr nachts aus dem Bett muss, um einen Brand zu bekämpfen.
Die Erforschung des Altruismus in den Wissenschaften
Altruismus ist unter anderem Forschungsgegenstand der Verhaltensbiologie (speziell der Soziobiologie), der Sozialpsychologie, der Philosophie und zunehmend auch der Wirtschaftswissenschaften.
Philosophische Ethik, Moral- und Sozialphilosophie
Die Unterscheidung zwischen Ethik und Moral oder Moralphilosophie ist umstritten. Für das Thema Altruismus scheint es sinnvoll, folgende Differenzierung zu machen. Das ethische Handeln ist bewusst um seine Qualität als gut oder richtig besorgt, jedenfalls solange es noch nicht in Gewohnheitshandeln oder Handeln nach gewonnenen Überzeugungen übergegangen ist. So ist etwa das Handeln für das Wohl von Tieren meist von ethischem Charakter. Die moralische Komponente hingegen fehlt typischerweise, denn diese beruht auf dem Geltungscharakter der Güte oder Richtigkeit von Handlungen. Vegetarismus aber z. B. hat jedenfalls in unserer Kultur diesen Geltungscharakter nicht. Mit dem ethischen Handeln kann jedoch ein Geltungsanspruch verbunden sein. Das moralische Handeln hingegen beruht ganz wesentlich auf solcher Geltung des Guten oder Richtigen. So gibt es eine ganz selbstverständliche Zuwendung der älteren Generationen zu den Kindern im Allgemeinen. Ein entsprechendes Handeln muss nicht erst noch ethisch qualifiziert sein. (Ein erwachsener Mensch braucht nicht darüber nachzudenken, ob es richtig oder gut ist, ein Kind, das Angst hat, über die Straße zu gehen, an die Hand zu nehmen.) Moralische Geltung enthält das Potential, in Rechtsgesetze überzugehen. Dies ist z. B. bei den Tierschutzgesetzen der Fall: ein ursprünglich ethisches Verhalten gegenüber Tieren erlangte allgemeine Geltung und hat inzwischen moralischen Charakter.
Im Folgenden werden einige der wichtigsten Ethiken kurz vorgestellt, soweit sie Altruismus (oft nicht unter Verwendung dieses Wortes) zum Gegenstand haben. Wenn zwar die meisten Ethiker und Ethikerinnen im allgemeinen Altruismus für „besser“ halten als Egoismus, so darf doch nicht übersehen werden, dass es auch Ethiken gibt, die den Egoismus vertreten. Der wohl bekannteste Vertreter eines ethischen Egoismus ist Nietzsche. Als ein weiteres Beispiel sei der Objektivismus der Philosophin Ayn Rand genannt. Der ethische Egoismus ist nicht zu verwechseln mit Bemühungen, den Notwendigkeiten des Selbsterhalt, einem „wohlverstandenen“ oder „berechtigten“ Eigeninteresse, einem gewissen „gesunden“ Egoismus Gewicht zu geben, um überzogene altruistische Neigungen, (An-)Forderungen oder (Selbst-)Ansprüche (z. B. Helfersyndrom), zu kompensieren.
Evolutionsbiologie
Die Biene – ein Symbol für Altruismus
In der Evolutionsbiologie wird der Begriff Altruismus gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch abweichend definiert. Altruistisches Verhalten ist in diesem Zusammenhang jedes, das ein anderes Individuum begünstigt und das mit irgendwelchen Nachteilen oder Kosten für den Handelnden verbunden ist.[15][16]. Im modernen Sinn ist es in die biologische Theorie durch den Zoologen und Genetiker William D. Hamilton im Jahr 1964 eingeführt worden[17]. Altruismus im evolutionsbiologischen Sinn ist vollkommen unabhängig von den Motiven des Handelnden. Insbesondere wird mit dem Begriff Altruismus auch kein absichtliches Handeln verbunden.
Die Existenz von altruistischem Verhalten in der Natur stellt ein Problem für die Evolutionstheorie dar, wie bereits Charles Darwin selbst erkannt hatte. Die natürliche Selektion begünstigt jedes Merkmal, das den Fortpflanzungserfolg seines Trägers steigert, und ist gegen jedes Merkmal gerichtet, das diesen benachteiligt. Als Eigenschaft des jeweiligen Merkmalsträgers aufgefasst, wird dies mit dem Fachausdruck Fitness beschrieben. Altruistisches Verhalten vermindert aber (schon definitionsgemäß), zumindest zunächst, die Fitness desjenigen, der sich so verhält, da es ja mit Kosten verbunden ist; es erhöht dagegen die Fitness eines anderen Individuums. Also müsste ein nicht altruistisch handelndes Individuum selbst höhere Fitness besitzen, das bedeutet, im Mittel mehr Nachkommen erzeugen können als ein Altruist. Altruismus müsste also von der natürlichen Selektion ausgemerzt werden, sobald er entsteht. Damit Altruismus existieren kann, muss, wenn die Evolutionstheorie korrekt ist, letztlich durch altruistisches Verhalten doch die Nachkommenzahl gegenüber egoistischem Verhalten gesteigert werden. Wäre dies nicht der Fall, wäre sie widerlegt. Die Erklärung von Altruismus gilt dabei als ein Schlüssel für Sozialverhalten generell, da dieses häufig mutualistisch ist; das bedeutet, dass sich Individuen gegenseitig durch altruistisches Handeln begünstigen. Die Evolutionstheorie hat verschiedene Modelle entwickelt, die für die Erklärung altruistischen Verhaltens herangezogen werden. Es handelt sich dabei um ein aktives Forschungsfeld, auf dem nach wie vor verschiedene Theorien miteinander konkurrieren.
Entscheidend für die evolutionsbiologische Erklärung altruistischen Verhaltens ist also, dass es letztlich nicht wirklich selbstlos sein darf, sondern in irgendeiner Weise den Fortpflanzungserfolg erhöhen muss. Um diesen Sachverhalt gegenüber dem normalen Sprachgebrauch zu betonen, haben einige Biologen vorgeschlagen, andere Begriffe für das Verhalten zu verwenden, zum Beispiel Reziprozität, (sozialer) Donorismus, Nepotismus[18]; diese haben sich aber letztlich nicht durchgesetzt.
Reziproker Altruismus
Reziproker Altruismus liegt vor, wenn altruistisches Verhalten auf der Basis von Gegenseitigkeit „zurückgezahlt“ wird. Vor allem von höheren Primaten einschließlich des Menschen ist dieses Phänomen des reziproken Altruismus bekannt. Ein solcher Altruismus ist jedoch kein echter, da er sich letztlich „auszahlt“.
Indirekte Reziprozität
Indirekte Reziprozität ist eine Theorie, welche die Evolution durch natürliche Selektion von altruistischem Verhalten gegenüber einem nichtverwandten Individuum erklären soll, wenn dieses Verhalten durch dasselbe Individuum nicht erwidert wird.
Starke Reziprozität
Starke Reziprozität bezeichnet altruistisches Belohnen kooperativen Verhaltens und altruistisches Bestrafen unkooperativen Verhaltens.
Gruppenselektion
Oft ergeben sich Gruppenvorteile aus diesem Handeln, woraus alle Mitglieder, etwa von staatenbildenden Insekten, langfristig wieder individuell profitieren. Siehe auch Gruppenselektion.
Verwandtschaftsselektion
Die Bereitschaft zum altruistischen Handeln hängt häufig von der Verwandtschaft zum Nutznießer ab (Verwandtenselektion). Je höher der Grad der Verwandtschaft zwischen zwei Individuen ist, desto höher liegt die Bereitschaft zum altruistischen Handeln. Ein solcher Altruismus ist aber wiederum kein echter, da er sich durch die Verwandtschaft „auszahlt“; nahe Verwandte haben aufgrund ihrer identischen Vorfahren einen hohen Anteil identischer Gene.
Neuere Multiselektionstheorien
Neuere Annäherungen und Vermittlungsversuche zwischen biologistischen und kulturalistischen Theorien
Spezielle Themen
Price-Gleichung
Die Evolution des Altruismus kann mathematisch sehr elegant und einfach mit der Price-Gleichung verstanden werden.
Neurologische Aspekte (Spiegelneuronen, „altruistic punishment“[19] (altruistische Strafe) etc.)
Unterscheidet sich menschlicher Altruismus von tierischem Altruismus?
Sozialpsychologie
Im Zuge der Entwicklung der Psychologie zu einer empirischen Wissenschaft wurden unscharfe Begriffe wie Hilfsbereitschaft, Altruismus usw. vom leichter operationalisierbaren Begriff prosoziales Verhalten abgelöst. Allerdings erfolgt dabei die erhöhte Klarheit des Begriffs auf Kosten des Begriffsumfangs. Mit prosozialem Verhalten ist relativ eindeutiges, beobachtbares Verhalten gemeint, das für die Mitmenschen unternommen wird oder sich an deren Wohlergehen orientiert, z. B. und in erster Linie Hilfsverhalten. Hilfsbereitschaft als Einstellung oder Mitleid als Motiv zu helfen sind dabei keine Bestandteile des Begriffs des prosozialen Verhaltens mehr. Die Bezeichnung Altruismus (meist dann in dem üblichen, weiteren Sinne, mit Einbezug der Motive etc.) hat sich daneben jedoch weiter behaupten können, zum Teil werden „Altruismus“ und „prosoziales Verhalten“ auch synonym verwendet.
Zwar konnten gewisse Zusammenhänge zwischen prosozialem Verhalten und einigen Persönlichkeitseigenschaften wie Empathiefähigkeit gefunden werden, jedoch keine „altruistische Persönlichkeit“; im Gegenteil zeigte sich immer wieder der starke Einfluss situativer Merkmale.[20] In der klassischen Studie von Hartshorne und May (1929) an 10.000 Grund- und Highschool-Schülern variierte das prosoziale Verhalten von Situation zu Situation.[21]
Darley und Batson (1973) legten einen scheinbar verletzten Menschen an die Straßenseite und beobachteten das Hilfsverhalten von Theologiestudenten, die zu einem Seminar gingen. Selbst wenn sie im Seminar über das Thema Der barmherzige Samariter zu referieren hatten, hatte Zeitdruck einen viel größeren Einfluss auf das Hilfeverhalten. Von den Studenten, die unter Zeitdruck gesetzt wurden, halfen dem „Opfer“ nur vier Prozent; jene, die unter keinem Zeitdruck standen, zu 63 %.[22]
Ein weiterer Faktor ist die Stimmung, in der sich jemand gerade befindet. Isen und Levin (1972) manipulierten diese Variable, indem sie eine Münze ins Rückgabefach eines öffentlichen Telefons legten. Von denen, die eine Münze fanden, halfen 84 % einem Mann, der einen Stapel Papiere verloren hatte, aber nur vier Prozent der anderen.[23] Schuldgefühle fördern ebenfalls prosoziales Verhalten: Katholiken spenden mehr Geld vor der Beichte als danach.[24]
Ein Experiment von Amato zeigte einen Zusammenhang zwischen Altruismus und der Bevölkerungsdichte: In Kleinstädten halfen 50 % der Passanten einem Verletzten, in Großstädten nur 15 %.[25] Milgram erklärt diesen oft replizierten und interkulturell gültigen Befund mit der Urban-Overload-Hypothese: Ständige Reizüberflutung führt zu einem inneren Rückzug; in reizarmer Umgebung helfen Großstädter genau so oft wie Kleinstädter.[26]
Geschlechtsunterschiede - Frauen zeigen eher langfristig angelegtes prosoziales Verhalten (z. B. Pflege nahestehender Personen), Männer eher einmalige „Heldentaten“ (z. B. als Feuerwehrmänner) - gehen auf geschlechtsspezifische soziale Normen zurück.[27]
Zusätzlich zu den bereits dargestellten evolutionspsychologischen Erklärungen für prosoziales Verhalten (Überleben durch Kooperation, Verwandtenselektion, Reziprozitätsnorm) äußerte Herbert A. Simon die Überlegung, dass das Befolgen von sozialen Normen, zu denen prosoziales Verhalten gehört, ebenfalls einen Selektionsvorteil habe, dass also Altruismus genetisch programmiert sei.[28]
Nach den Theorien des sozialen Austauschs, siehe als Beispiel das Kosten-Nutzen-Modell von Piliavin, sind ökonomische Überlegungen das Motiv für prosoziales Handeln: Ein Individuum zeigt Altruismus, wenn der erwartete Nutzen höher ist als der Aufwand.[29]
Relativiert wird diese Auffassung durch die Empathie-Altruismus-Hypothese des Psychologen und Theologen C. Daniel Batson (1991). Er fand, dass geringe Kosten keinen Einfluss auf das Verhalten haben, falls jemand Empathie mit der hilfebedürftigen Person empfindet. Disstress durch Mit-Leiden wird vermindert, indem das zugrundeliegende Leiden vermindert wird.[30]
Als Erklärungsalternative zum Empathie-Altruismus sind von einer Forschergruppe um Cialdini Experimente und Interpretationen zum self-other-merging (oneness) vorgestellt worden.[31] Hilfeverhalten würde höher mit kognitiver Identifikation mit dem Hilfsbedürftigen als mit emotionaler Empathie korrelieren. Mit der Identifikation wird das Selbst des Helfenden gewissermaßen ausgeweitet und umfasst den Hilfsbedürftigen mit. Cialdini will mit dieser Theorie und entsprechenden empirischen Belegen auch gegen die Empathie-Altruismus-Hypothese die Grundannahme des psychologischen Egoismus retten, denn Self-Other-Merging, Oneness, bedeutet ja, dass das Individuum, das dem anderen hilft, dabei im Grunde sich selbst hilft. Die fürsorgliche Zuwendung und Liebe der Mutter zu ihrem Neugeborenen wäre dann letztlich nicht auf das Kind als ein getrenntes Wesen gerichtet, sondern auf das Kind, das mit der Mutter eine Einheit bildet, wobei die Zuwendung zum Kind dann analog zu verstehen ist wie etwa, den eigenen knurrenden Magen zu versorgen. Allerdings sträubt sich das Phänomen der Mutterliebe gegen solche theoretische Spitzfindigkeit, es auf Egoismus zu reduzieren. Das wird das Altruismusparadox genannt. Wenn man die Phänomene des Self-Other-Merging reduktiv erklärt, ergibt die Anwendung des Begriffspaars Egoismus-Altruismus keinen Sinn mehr.[32]
Mit dem vorstehenden ist der Mainstream sozialpsychologischer Altruismusforschung gekennzeichnet, der experimentelle Methoden nach dem Vorbild der Naturwissenschaften anwendet. Die Sozialpsychologie hat eine große Fülle von Daten und Theorien hervorgebracht, welche Ursachen, Bedingungen oder Faktoren das prosoziale Verhalten beeinflussen. Einen umfassenden Überblick über die Forschung gibt die Monographie von Schroeder u. a. Daneben gibt es andere Richtungen sozialpsychologischen Forschens. So ist etwa Erich Fromm, der gewichtige Beiträge zur Altruismusforschung geleistet hat, dem Paradigma der Psychoanalyse zuzuordnen.
Soziologie und allgemeine Sozialwissenschaft
Unterscheidung zweier soziologisch relevanter Typen altruistischen Handelns
Obwohl der Begründer der modernen Soziologie als eigenständiger Disziplin, Auguste Comte, den Altruismus (ein von ihm erfundenes Wort) mit geradezu missionarischem Eifer als einen säkularen Quasi-Religionsersatz predigte,[33] hat der Terminus Altruismus in der Soziologie keinen großen Widerhall gefunden. Comte predigte den moralischen Altruismus, der als Gegengewicht gegen die durch die Marktwirtschaft entfesselten egoistischen Antriebe Platz greifen müsse, um die Gesellschaft lebensfähig zu erhalten.
Soweit es um diesen moralischen Altruismus geht, spricht man in der Soziologie von moralischem Handeln, eine besondere Form des normenorientierten Handelns, das sich an den Erwartungen der Mitmenschen orientiert und das ein Hauptgegenstand der soziologischen Untersuchungen ist. Ein normenorientiertes Handeln ist jedoch nicht mit altruistischem Handeln gleichzusetzen, denn es gibt auch die Norm, egoistisch zu handeln, vornehmlich im Wirtschaftsleben.
In neuerer Zeit hat das Wort Altruismus in der Soziologie jedoch eine Wiederbelebung erfahren, und zwar durch den Einfluss der RC-Theorien. Dabei hat sich jedoch die Bedeutung des Begriffs gewandelt. Nicht mehr wie Comte versteht man darunter moralisches Handeln noch Handeln nach einer Norm, sondern Handlungen, die auf das Wohl anderer gerichtet sind, ohne dabei gesollt zu sein, also freiwilligen Charakter haben und aus Sympathie erfolgen.
Diese Unterscheidung zwischen altruistischem und moralischem Handeln geht auf den „Apfel-Test“, den der Ökonom und RC-Theoretiker Amartya K. Sen in seinem berühmten Aufsatz „Rational Fools“ zur Unterscheidung zweier, an anderen Menschen orientierten Typen des Handelns (other-regard) durchzuführen vorgeschlagen hat, zurück: Ego hat zwei Äpfel in der Hand: Einen großen und einen kleinen. Er bietet Alter an, einen der Äpfel zu wählen. Nimmt jetzt Alter den großen Apfel und empört sich Ego darüber („Das tut man nicht“), so wurde eine Norm verletzt. Alter hat die Norm missachtet, indem er den großen Apfel nahm und wird von Ego dafür mit einer beleidigten Miene abgestraft. Wenn jedoch Ego den großen Apfel freudig hingibt und gerne sich mit dem kleinen zufriedengibt, dann handelt es sich um eine Handlung, die aus sympathischem Altruismus erfolgt ist.
Jedoch hat die Zuordnung des Wortes Altruismus zu diesem freiwilligen, meist aus Sympathie erfolgenden Handeln, in Abgrenzung zum moralischen Handeln, keine allgemeine Zustimmung gefunden, indem einige Wissenschaftler den Terminus Altruismus, wie Comte das vorgesehen hatte, auf moralisches Handeln allein angewendet wissen wollen. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen des Handelns ist jedoch unumstritten und hat allgemeinen Beifall gefunden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es immer leicht wäre, ein gegebenes Handeln, das um anderer Willen geschieht, einem der Typen zuzuordnen. Comte meinte mit seinem Altruismus Menschenliebe. Liebe ist jedoch eher dem Sympathiealtruismus zuzuordnen. Entscheidend für den normativen Charakter bleibt, dass Liebe oder Altruismus gefordert wird. Es wird z. B. einem Menschen vorgeworfen, dass er lieblos sei. Soweit positive Gefühle, die doch eigentlich nicht erzwungen werden können, und ihr Ausdruck im Handeln erwartet werden und solchen Erwartungen entsprochen wird, ist die Zuordnung zum normativen oder moralischen Altruismus naheliegend. Über diese Widersprüchlichkeit hinaus etwas zu erwarten, was aufgrund seines Charakters eigentlich nur freiwillig oder aus authentischen Gefühlen erfolgen kann, besteht das Problem, dass normative Erwartungen häufig durch Erziehung und Sozialisation internalisiert sind. Man glaubt, man handele nach eigenem Gutdünken oder gäbe seinen edlen Empfindungen nach, während man in Wirklichkeit nur den Erwartungen der Mitmenschen Folge leistet. Welcher Typus dann tatsächlich vorliegt, ist dann sehr schwierig festzustellen.
Trotz solcher typologischen Schwierigkeit ist die Unterscheidung hochbedeutsam, denn aus ihr ergeben sich je ganz unterschiedliche Folgerungen, wenn politische oder sozialreformerische Maßnahmen auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse zielen. So glauben etwa die amerikanischen Kommunitaristen nicht daran, dass die Kultur des modernen Individualismus genügend freiwilligen Sympathiealtruismus hervorbringen könne, um die Abschwächung der normativen Kraft gesellschaftlicher Sitten zu kompensieren. So wird z. B. die liberale Einstellung zur Ehescheidung als ein Fehler angesehen. Es müsse durch die Gesellschaft mehr Druck ausgeübt werden, um es den Menschen zu erleichtern, ihren Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft gerecht werden zu können. (Unter ethischem Gesichtspunkt gibt es das Problem, dass Sympathiealtruismus oft parteilich oder unerwünscht partikular ist. Kant hatte sich dagegen verwahrt, dass Handlungen aus Neigung ethischen Wert haben könnten. Siehe dazu den Abschnitt „Philosophische Ethik, Moral- und Sozialphilosophie“).
Die Unterscheidung des Handelns, das durch Normbefolgung motiviert ist, nach dem Verinnerlichungsgrad der Normen ist nicht zu verwechseln mit der Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese beiden Typen nicht die einzigen sind, weder in der Soziologie noch im Alltagsverständnis, und es gibt auch Mischtypen. Ein solcher Mischtypus ist z. B. der Kavalier.
Die zwei Forschungsrichtungen der Soziologie
Für die Soziologie ist Altruismus, altruistisches Verhalten oder Handeln entweder das zu erklärende Phänomen, wobei dann irgendeine soziale oder gesellschaftliche Bedingtheit dieses Handelns aufgesucht wird (soziologische Erklärung individuellen Verhaltens oder Handelns, oder sogar Erklärung bestimmter Aspekte der Individualität, der Persönlichkeit des einzelnen (soziale Bedingtheit der Identität)) (z. B. „produziert Kapitalismus Egoisten?“) – oder aber, Altruismus als gegebenes Phänomen (meist typologisch in einem Modell vereinfacht) dient dazu, gesellschaftliche Phänomene, wie Stabilität einer Ordnung, oder sozialer Wandel, wie z. B. Entstehung, Aufrechterhaltung oder Auflösung generalisierten Tausches, zu erklären. Im Folgenden werden einige prominente Forschungsfelder der Soziologie oder allgemeiner der Sozialwissenschaften vorgestellt.
Judenrettung zur Zeit des NS-Regimes
Der amerikanische Soziologe Samuel P. Oliner, der selbst als jüdisches Kind vor den Nationalsozialisten von Polen versteckt und dadurch gerettet worden ist, war durch diese Erfahrung so beeindruckt, dass er sein Lebenswerk der Erforschung dieser besonderen Art von Altruismus, die sich bei Judenrettern gezeigt hat, gewidmet hat.[34] Oliner spricht von heroischem oder Courage-Altruismus. Die Menschen, die solchen Altruismus zeigen, werden im englischen Sprachraum auch als „moral exemplars“ bezeichnet. Neben den Arbeiten Oliners und anderen sind auch die Forschungen der Politikwissenschaftlerin Kristen Renwick Monroe bekannt geworden.[35] Monroe weist Erklärungsversuche, auch bei solchen Rettungsaktionen habe eine nutzenmaximierende Wahlhandlung stattgefunden,[36] zurück und präferiert eine Theorie, die solche Rettungstätigkeiten als Resultat von sozialer Identität (Verbundenheit, Bezogenheit), moralischer Integrität und Identifikation mit den Opfern (Perspektivenübernahme) ansieht. Der heroische oder Courage-Altruismus, wie ihn Retter z. B. während des Holocaust gezeigt haben, hat eine besondere Ausprägung: Um anderen Menschen zu helfen, wird in manchen Fällen nicht nur das eigene Leben aufs Spiel gesetzt, sondern auch das Leben der eigenen Familien und von Freunden, ohne zuvor um deren Einverständnis nachzusuchen.
Theorie der rationalen Entscheidung
Spieltheoretische Untersuchungen
Das Verhalten von Individuen in einer Population untersucht die Spieltheorie in Spielen der Kategorie „Kooperative n-Personen-Spiele“. Das berühmteste Spiel solcher Art ist das Gefangenen-Dilemma. Komplexere Spiele sind z. B. das Ultimatumspiel und das Diktatorspiel. Das Handeln eines Spielers in einem Spiel wird nicht als egoistisch oder altruistisch, sondern als kooperativ oder nicht-kooperativ bezeichnet. Der typische rationale Spieler ist auf eine Maximierung seines Gewinns aus, und er verhält sich kooperativ, wenn er sich dadurch einen Vorteil verspricht. Ob und wann ein kooperativer Spielzug gemacht wird, hängt von den jeweiligen Spielregeln, der je besonderen Spielsituation und dem Verhalten (oder dem erwarteten Verhalten) der Spielpartner ab.
Kooperation zwischen Menschen ist in der Regel für alle Beteiligten vorteilhaft. Die Spieltheorie kann zeigen, wie Spieler aus Eigeninteresse dahin kommen, kooperatives Verhalten zu entwickeln und unter welchen Bedingungen Kooperation als Normalverhalten sich etablieren und erhalten kann und unter welchen Bedingungen Kooperation nicht entsteht oder zurückgeht.
Ein Problem der praktischen Anwendung spieltheoretischer Forschungsergebnisse ist die Künstlichkeit der Modelle, die nicht perfekt abbilden können, wie es im „wirklichen Leben“ zugeht. Als Grundregel gilt auch hier: Modelle gelten dann in einer gegebenen Realität als anwendbar, wenn sich mit ihnen in dieser Realität ausreichend gute Vorhersagen machen lassen.
Die praktische Relevanz ist immer dann gegeben, wenn die Unterstellung rational egoistischen Verhaltens ratsam scheint. Solche Unterstellung ist z. B. selbstverständlich in zwischenstaatlichen Beziehungen. Haben Staaten jedoch nur wenige Handlungsoptionen (z. B. Nordkorea), dann kann die Drohung mit scheinbar irrationalem Verhalten das Spiel verändern. Die Spieltheorie hat daher große Bedeutung für die Friedensforschung.
Christliche Theologie und Religionswissenschaft
Der Begriff Altruismus ist in der christlichen Bibel nicht vorhanden. Doch es finden sich im übertragenen Sinne gedachte Formen, die einer Regel oder einer Gesetzgebung, beispielsweise von einem „Füreinander“, entsprechen könnten. Im Christentum im Philipper Brief Kapitel 2 NT wird auf ein Gebot bzw Gleichnis hingewiesen, dass eine „altruistische“ Form im obigen Sinne als eine Grundlage der Liebe und eines Füreinanders bieten könnte: „Durch Demut achte einer den andern höher denn sich selbst, und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was des andern ist.“ (Andere Übersetzung: „Jeder schaue nicht nur auf das Seine, sondern sorge auch für den anderen.“) Dieser Satz weist aus Sicht der christlichen Glaubensvorstellung aber eher darauf hin, was sich der Mensch unter dem Wirken des ihm innewohnenden Heiligen Geistes als Gleichnis für die Alltags-Praxis vorstellen könnte. Es sagen allerdings seit Jahrhunderten zahlreiche berühmte Kirchenväter, wie auch Papst Benedikt XVI. im Hirtenbrief des Jahres 2010, dass die göttliche Liebe (im Menschen) nur verstanden und wahrgenommen werden kann, wenn man die Bibel in ihrer Gesamtheit erfasst.
Es könnte gesagt werden, der Heilige Geist (in uns) handelt als pure, selbstlose, uneigennützige Liebe in ihrer reinsten Form (Liebe Gottes) und deshalb stets - im übertragenen Sinne - auch als „Altruist in seiner vollendetsten Form“. Kirchengelehrte haben aber mit dem Begriff Altruismus ein Verwendungs-Problem, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung zu sehr als ausschließlich evolutionäre Eigenschaft bekannt gemacht geworden ist und deshalb kaum mehr ernsthaft an eine Ausdehnung auf die Liebe Gottes und die Diskussion darüber zu denken ist.
Das „Ich“ im Menschen nimmt neben dem Heiligen Geist als Wirklichkeit auch eine andere, zweite wahr, nämlich jene der evolutionären Wirklichkeit. Erst beide (inneren) Wirklichkeiten in Wechselwirkung befähigen den Menschen zur bewussten Wahrnehmung seines „Selbst“ und zum freien Willen. So kann der Mensch vor jeder Handlung (frei) entscheiden, ob er entweder der ihm innewohnenden „geistlichen Stimme“ der Liebe Gottes oder aber den „evolutionären Stimmen“ seines jeweiligen (in der Evolution) vererbten und erworbenen Wissens folgen möchte. Das Gewissen bietet ihm als „Verbindungsstück“ zwischen beiden Wirklichkeiten eine komplizierte Entscheidungs-Plattform. Jede Eigenschaft, wie beispielsweise das oben erwähnte „Füreinander“ oder die Liebe, kann nach christlichen Glaubensvorstellungen (z. B. Bibel) oder religiöser Wissenserfahrungen (z. B. christliche Erleuchtung), ausschließlich aus einer Art von „Verschränkung“ beider Wirklichkeiten im Menschen zum Ausdruck kommen.
Es gibt in den Natur- bzw. Geisteswissenschaften einige Altruismus-Definitionen, wonach altruistisches Handeln durch öffentliches Bekanntwerden den altruistischen Charakter verliert. Demnach kann altruistisches Handeln dem Altruisten einen Nutzen bringen, wie beispielsweise eine (spätere) gesteigerte Reputation (indirect reciprocity oder reputation building[37]), und der altruistisch Handelnde könnte in der Folge erhöhten sozialen Status erlangen (competitive altruism theory[38]).
Vielen von der katholischen Kirche verehrten Heiligen wie Paulus oder Thomas von Aquin - aber auch anderen als „Heilige“ verehrte Personen in den verschiedensten Religionen und religiöser Traditionen - könnte man eine im übertragenen Sinne „permanente pure altruistische Bereitschaft“ zuschreiben, da sie durch ihre jeweilige Erleuchtungserfahrung praktisch von einer göttlichen Existenz (auch in ihnen) überzeugt wurden und danach (stets) ein „göttlich/geistlich-verschobenes innwendiges“ Dasein führten. Ihre Überzeugung ließ sie wissen, dass sie jederzeit sämtliche gegenwärtige und zukünftige irdischen Vorteile opfern könnten (und auch würden) und sie trotzdem nach ihrem irdischen Ableben in eine andere Wirklichkeit übertreten, die z. B. von Christen auch als Himmel oder Paradies bezeichnet wird. Diese „permanente Altruismus-Bereitschaft“ wird von manchen Natur- und Geisteswissenschaftlern als eine Form (schädigender) Selbstaufopferung erklärt und verstanden. Auch gibt es viele, die Altruismus ausschließlich eine evolutionäre Daseinsberechtigung zuschreiben, und - noch radikaler - altruistisches Handeln als einen vererbten oder erworbenen (evolutionären) „Fehler“ in einem Individuum ansehen. Entgegen dieser Kritik scheint jedoch eine hohe Religiosität, trotz der im christlichen Glauben klar vertretenen prosozialen Werte, nicht zu einer Zunahme prosozialen Handelns zu führen.[39] Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass die Effekte von Religiosität bei spontanem prosozialen Verhalten null oder sogar negativ sind, wohingegen religiöse Hinweisreize zur Aktivierung von Vorurteilen, Rachsüchtigkeit und Partikularinteressen führen können (S. 899). Gleichzeitig scheint Religiosität einer Diskrepanz zwischen der Einschätzung des eigenen prosozialen Verhaltens und des tatsächlichen Verhaltens Vorschub zu leisten.
Manche Menschen sehen in einzelnen (kurzen) Bibelsstellen Hinweise darauf, dass selbstloses und unegoistisches Handeln (meist im evolutionären Sinn gemeint) durch Aussagen in der Bibel beschnitten werden, z. B. wenn bei Almosengabe „die linke Hand nicht wissen solle, was die rechte tut“ (Mt. 6/3). Da nach gültiger Glaubenslehre die Bibel nur in ihrer Gesamtheit und durch das gleichzeitige Wirken des Heiligen Geistes in uns verstanden werden kann, sind auch die darin enthaltenen Gleichnisse nur vor diesem Hintergrund sinnerfassend zu erfahren. „Die rechte Hand“ steht z. B. hier für die Liebe Gottes in uns, die (ausschließlich) von Gott empfangen wird und als eine Art „pure Liebe und unendliche Glückseligkeit“ im Menschen wahrgenommen werden kann (in der Naturwissenschaft wird Liebe oft als Gefühl definiert, diese evolutionäre Auffassung kann im Glaubenskontext aber nicht angewandt werden). „Die linke Hand“ steht hier für eine vererbte und erworbene Wirklichkeit, die in der Evolution bekanntlich (ausschließlich) auf irdischen Nutzen und Vorteile abzielt. Auch lässt sich der biblische Satz, jemand solle sich „Schätze im Himmel sammeln“, als „Paradebeispiel“ eines biblischen Gleichnisses für Entscheidungen zugunsten „altruistischen Handelns“ im göttlichen Sinne anführen (Lk. 6/35; Mt. 6/2; Mt. 5/46; Mt. 6/1; Kol. 3/24). Ein weiteres Beispiel für häufige missverständliche Interpretationen einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Bibelstellen ist die Liste der Zehn Gebote. Theologen lehren schon seit je, dass der Satz Jesu „Wer mich liebt, der wird meine Gebote halten“ (Joh. 14/15) nur im Zusammenhang mit den Zehn Geboten gesehen und verstanden werden kann. Darin steckt deshalb für jeden die Möglichkeit, im freien Willen zu entscheiden, und nicht - wie vielerorts behauptet wird - ein „Kirchen-strafrechtlich relevantes Gesetz“. Bei jeder bewussten Entscheidungsfindung werden im Gewissen die irdischen Angebote (z. B. aus dem Gehirn) auf ihre „Heiliger-Geist-Verträglichkeit“ geprüft oder es wird der Heilige Geist z. B. durch ein (stilles) Gebet ersucht, bei der (inneren) Suche nach dem von der Liebe Gottes am stärksten eingebetteten Lösungsvorschlag behilflich zu sein, auch wenn dabei der vom Heiligen Geist identifizierte Vorschlag mehr Kosten bzw. Nachteil hervorbringt als jede andere (evolutionär-verschobene) Alternative. Gottes-Liebe-verschobene Entscheidungen sind dann immer von Abwesenheit von unethischen, unsittlichen oder auch unmoralischen Handlungen begleitet, wie sie beispielsweise auch in Joh. 10/1–9 oder in den Zehn Geboten beschrieben werden (Lüge, Diebstahl, Raub, Vernichtung, Ehebruch etc.).
In der christlichen Glaubensvorstellung wird der Begriff Liebe – gemeint ist hier die selbstlose, fürsorgliche, unendliche, erwartungsfreie Liebe von Gott zum Menschen, also im übertragenen Sinn Altruismus in seiner reinsten Form – auch ein Synonym für z. B. Jesus, Gott, Heiliger Geist, Garten Eden, Reich Gottes etc. Wer bei seinen Entscheidungsprozessen der (inneren) Stimme des Heiligen Geistes „mehr Raum gibt“ als allen vererbten oder erworbenen „Stimmen“, der hat entschieden, der Liebe Gottes zu folgen und damit Jesus.
Siehe auch
Helfersyndrom
Sorge, Fürsorge
Nächstenliebe, Agape
Solidarität, Gegenseitige Hilfe
Handicap-Prinzip
Karma-Yoga
Generativität
Gutmensch
Egoismus
Humanorientierung
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