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Kernkraftwerk Greifswald

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Kernkraftwerk Greifswald Empty Kernkraftwerk Greifswald

Beitrag  Andy So Nov 27, 2016 11:01 pm

Das stillgelegte Kernkraftwerk Greifswald (genauer: Kernkraftwerk Lubmin, auch: Kernkraftwerk Nord) befand sich auf dem Gemeindegebiet des Seebads Lubmin bei Greifswald und war das größere der beiden betriebenen Kernkraftwerke der DDR. Das Kernkraftwerk hieß offiziell VE Kombinat Kernkraftwerke ‚Bruno Leuschner‘ Greifswald. Es wurde 1990 abgeschaltet, dann im Jahr 1995 endgültig stillgelegt und befindet sich seitdem im Abriss. Heutiger Eigentümer sind die Energiewerke Nord, die auch das benachbarte Zwischenlager Nord betreiben.

Kernkraftwerk Greifswald 300px-Lubmin_Hafen

Geschichte

Errichtung des KKWs (Block 1 bis 4)

Noch vor Fertigstellung und Inbetriebnahme des ersten kommerziellen 70 MW Versuchsreaktors Rheinsberg der DDR im Jahr 1966 wurde am 14. Juli 1965 ein Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR zum Bau eines zweiten Kernkraftwerks mit ca. 2000 MW elektrischer Leistung auf dem Gebiet der DDR sowie Lieferung der Kernkomponenten dafür aus der UdSSR geschlossen.[1][2]

Im Rahmen eines Standort-Auswahlverfahrens wurde Lubmin in der Nähe von Greifswald favorisiert. Gründe dafür waren die durch die Ostsee ganzjährig ausreichende Kühlwasserbereitstellung, der geringe landwirtschaftliche Nutzwert der Flächen und die geringe Siedlungsdichte, die die Auswirkungen eines Störfalls minimieren sollten. Dagegen sprach die große Entfernung des Nordens der DDR von den Stromverbrauchszentren im Süden und die daraus resultierenden Übertragungsverluste.[2]

1967 begann die Erschließung des Standorts und ab 1969 der eigentliche Bau an vier Reaktorblöcken des Typs WWER-440/230, Hauptauftragnehmer war der VEB BMK Kohle und Energie. Der Bau der ersten vier Blöcke erfolgte im international üblichen Zeitrahmen, wobei auf der 14. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 9. bis zum 11. Dezember 1970 kritisiert wurde, dass die Kosten des Projektes um das Doppelte gegenüber der Bilanzierung lagen.[3] Der kommerzielle Leistungsbetrieb begann 1974 in Block 1, 1975 in Block 2, 1978 in Block 3 und 1979 in Block 4. Ab da deckten die ersten vier Blöcke ca. 10 % des Strombedarfs der DDR.[2]
Erweiterung um vier weitere Blöcke (Block 5 bis Cool

Mitte der 1970er Jahre wurde der Beschluss zur Erweiterung des Kernkraftwerks um weitere vier Blöcke mit einer Nettoleistung von 408 MW getroffen, die nach 1980 in Betrieb gehen sollten [4]. In den Blöcken 5 bis 8 kam der insbesondere unter Sicherheitsaspekten deutlich verbesserte Reaktortyp WWER-440/213 zum Einsatz, der z. B. über mehrere redundante Hauptkühlleitungen, ein überarbeitetes Notkühlsystem mit zumindest theoretischer Beherrschung großer Kühlmittelverluste sowie eine Nasskondensation verfügt und heute noch in mehreren Ländern des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe betrieben wird.

Die Fertigstellung der neuen Blöcke verzögerte sich infolge von Lieferverzögerungen seitens der sowjetischen Schwerindustrie sowie Qualitätsmängeln an den gelieferten sowie auch in der DDR gefertigten Komponenten deutlich [5][6]. Nach eindringlichen Beschwerden in Moskau über die Nichteinhaltung der Lieferverträge wurde die DDR-Führung vom Ministerium für Atomwirtschaft darauf hingewiesen, dass dieses

„unter den neuen Bedingungen der Wirtschaftsleitung in der UdSSR keine zwingenden Möglichkeiten hat, die mit den zweiseitigen Regierungsabkommen über die Errichtung von Kernkraftwerken in der DDR eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den sowjetischen Vereinigungen und Betrieben durchzusetzen.“ [6]

Block 5 nahm erst deutlich verspätet 1989 den Probebetrieb auf, Block 6 wurde 1990 fertiggestellt, aber nicht mehr mit Brennelementen beladen.
Bau der Fernwärme-Trasse

1982 wurde mit dem Bau einer Fernwärmeauskopplung begonnen. Ab 1983 und 1984 konnten jeweils 75 MW Fernwärme aus den Blöcken 1, 2, 3 und 4 ausgekoppelt und damit ca. 14.000 Wohnungen sowie einige Industriebetriebe versorgt werden.[2]
Verschleppung von Instandhaltungsmaßnahmen Ende der 1980er Jahre

Die WWER-440/230-Reaktoren der Blöcke 1 bis 4 entsprachen mit ihrer Konzeption aus den späten 1960er Jahren unter einer Reihe von Sicherheitsaspekten nicht den in den 1980er Jahren üblichen Standards. Neben grundsätzlichen konzeptuellen Schwächen wurde vom Staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR insbesondere die zunehmende Versprödung der Reaktordruckbehälter in den Blöcken 1 bis 4 (siehe Abschnitt weiter unten) mit großer Sorge beobachtet. Im Rahmen einer großangelegten Rekonstruktion der Blöcke 1 bis 4 sollte eine Annäherung an das international übliche Sicherheitsniveau sowie ein zuverlässiger Betrieb für die verbleibende Laufzeit der Reaktoren erreicht / sichergestellt werden. Das Projekt kam jedoch aufgrund von fehlender Kooperation der sowjetischen Stellen zunächst nicht voran.[6] Im Laufe der 1980er Jahre verschlechterte sich der Zustand der Anlage so sehr, dass die Aufsichtsbehörde im Mai 1987 für Block 1 eine sofortige Rekonstruktion forderte, da der Betrieb sonst sicherheitstechnisch nicht vertretbar sei:

„[… die zunehmende Versprödung der Schweißnähte,] die zum Bruch des Reaktordruckgefäßes und damit zu einem katastrophalen, nicht beherrschbaren Störfall führen kann, bei dem große Freisetzungen von Radionukliden in die Umwelt erfolgen ... Die SKG weist mit Nachdruck darauf hin, daß die Wiederinbetriebnahme von Block 1 des KKW „Bruno Leuschner“ Greifswald nach Abschluß der Kampagne 1986/87 ohne Realisierung der vorgesehenen Rekonstruktionsmaßnahmen sicherheitstechnisch nicht vertretbar ist.“ [6]

Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Energiekrise der DDR schob das Politbüro am 30. Juni 1987 die Modernisierungsmaßnahmen für das Kernkraftwerk Greifswald auf. Der Reaktorblock 1 wurde entgegen den Forderungen der Sicherheitsbehörde wieder angefahren. Zumindest die thermische Behandlung des Reaktordruckbehälters zum Ausheilen der Versprödung der Schweißnähte wurde jedoch ein Jahr später vorgenommen.[6][7]

Innerhalb der DDR-Führung war die Zukunft der Blöcke 1 bis 4 des Kernkraftwerks Greifswald umstritten. Während das Zentralkomitee der SED am 30. Mai 1989 die großangelegte Rekonstruktion der Reaktorblöcke 1 bis 4 beschloss, war man im Staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz gegenüber sowjetischen Stellen der Ansicht, dass

„ … einer Rekonstruktion in den 90er Jahren, bei der eine beträchtliche Differenz zum internationalen Stand verbleibt, nicht zugestimmt werden kann, sondern eine Stilllegung der Blöcke erfolgen sollte …“.

Auch in dieser Frage musste sich die formell unabhängige Aufsichtsbehörde letztendlich der Parteilinie beugen und die geplante Rekonstruktion befürworten.[5]
Stilllegung in den Wendejahren

Mit der am 1. Februar 1990 im Magazin „Der Spiegel“ erschienenen Reportage „Zeitbombe Greifswald“[8] wurden erstmals in der Öffentlichkeit Sicherheitsmängel im Kernkraftwerk Greifswald („Tschernobyl Nord“) bekannt. Neben einer Auflistung von bis dato nicht veröffentlichten Störfällen und dem Hinweis auf die Versprödung der Reaktordruckbehälter enthält der Artikel auch Behauptungen zu unbeherrschten Korrosionsproblemen im Reaktordruckbehälter sowie einer problematischen Strömungsmechanik im Reaktorkern infolge überdimensionierter Hauptumwälzpumpen. Den beiden letztgenannten Problemen wurde in einem später erschienenen Sicherheitsgutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS)[7] widersprochen.

Die GRS begann mithilfe sowjetischer und französischer Experten das Kernkraftwerk Anfang 1990 im Zuge der Wiedervereinigung zu überprüfen. Neben generellen sicherheitstechnischen Mängeln an allen vier Blöcken wie der fehlenden Redundanz für die Notkühlung der Reaktoren, der Nichtbeherrschung eines Bruchs der Hauptkühlmittelleitung sowie dem Fehlen eines Containments oder einer Nasskondensation führten insbesondere die sich aus der Versprödung der Reaktordruckbehälter ergebenden gravierenden Sicherheitsbedenken (siehe Abschnitt weiter unten) bei den Blöcken 2 und 3 zu einer vorübergehenden Stilllegungsempfehlung im Februar 1990.[7] Diese wurde von den DDR-Stellen prompt befolgt.[9]

Block 4 wurde im Frühsommer 1990 für die anstehende Revision abgefahren und nicht mehr in Betrieb genommen.[10] Die DDR-Regierung entschied am 1. Juni 1990 auf Basis eines Gutachtens der GRS, dass die Blöcke 1 bis 4 nicht zu vertretbaren Kosten auf ein nach BRD-Recht genehmigungsfähiges Niveau gebracht werden könnten und somit abgeschaltet werden sollten.[11] Zur Versorgung der per Fernwärme angeschlossenen Einrichtungen blieb Block 1 noch bis zum 17. Dezember 1990 in Betrieb und wurde unmittelbar nach Inbetriebnahme eines provisorischen Ölheizkessels als letzter abgeschaltet.[2] Seit 1995 erfolgt die Fernwärme-Versorgung größtenteils durch gasbetriebene Blockheizkraftwerke.

Am 17. November 1990 wurde auch der Probebetrieb von Block 5 untersagt. Dieser WWER-440/213-Reaktor wäre zwar mit Nachrüstungen an den Sicherheitssystemen auf ein dem westdeutschen Atomgesetz entsprechendes Sicherheitsniveau zu bringen gewesen, jedoch war kein westdeutsches Energieunternehmen gewillt, das Kosten- und Genehmigungsrisiko für Block 5 (und 6) zu übernehmen.[11] Die Nachrüstungskosten hätten jeweils ca. 50 Mio. Mark für Block 5 und 6 betragen und wären nach Aussagen eines ehemaligen Beschäftigten nach 6 Monaten Betrieb wieder erwirtschaftet worden.[12]
Rückbau

In den nachfolgenden Jahren wurde ein Rückbau-Konzept zur Demontage des Kraftwerks mithilfe eines Teils dessen Stammbelegschaft entwickelt. Am 30. Juni 1995 wurde das Konzept genehmigt [11] und das Kernkraftwerk offiziell stillgelegt. Damals wurden die Kosten für den Abriss auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt.[13] Bis 2007 wurden bereits 2,5 Milliarden Euro investiert.[14] 2012 sollte der Rückbau beendet und der Zustand „Grüne Wiese“ erreicht sein.[15]

Im April 2012 wurde gemeldet, dass der Betreiber, um Kosten zu sparen, eine Kombination von sofortigem Rückbau und sicherem Einschluss plant: So sollen die meisten Anlagen sofort abgerissen werden, die Gebäude jedoch noch 50 Jahre stehenbleiben und erst abgebaut werden, wenn die radioaktive Strahlung abgeklungen ist. Umweltschützer kritisieren, dass damit der Rückbau unnötig verzögert werde.[16]

Im Februar 2013 wurde bekannt gegeben, dass die Hauptaktivitäten des Rückbaus im Jahr 2015 abgeschlossen sein sollen.[17]

In den Fokus der Öffentlichkeit geriet das Werk noch einmal, als 1996 unter Protesten von Greenpeace 235 unverbrauchte Brennelemente zum ungarischen Kernkraftwerk Paks mit Reaktoren gleicher Bauart geliefert wurden.

Von den etwa 10.000 Menschen, die zu Betriebszeiten im Kraftwerk arbeiteten, sind heute noch etwa 1.000 beschäftigt. Sie sind bei der Energiewerke Nord GmbH für den Rückbau und die Entsorgung der nuklearen Anlagenbestandteile verantwortlich. Seit der Schließung des Kraftwerks wurde auch eine Vielzahl der für die Arbeiter des Kraftwerks errichteten Plattenbausiedlungen im Osten Greifswalds zurückgebaut.

Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle erfolgte bis 1998 im Endlager Morsleben.[18]
Sicherheitstechnische Aspekte der Anlage

Die Kernreaktoren in Greifswald stammen aus sowjetischer Produktion und besitzen einige Besonderheiten gegenüber westlichen Druckwasserreaktoren:
Versprödung der Reaktordruckbehälter (Blöcke 1 bis 4)

Bei den WWER-440-Reaktoren aller Bauarten sind die Brennelemente sehr nah an der Wand des Reaktordruckbehälters positioniert. Bei der Kernspaltung entstehende Neutronen legen dadurch nur einen kurzen Weg im Wasser zurück, werden entsprechend wenig stark abgebremst und treffen mit hoher Energie auf die Wand des Reaktordruckbehälters. Infolge des Neutroneneintrags verändert der Stahl seine Werkstoffeigenschaften und neigt mit zunehmender Bestrahlung zum Sprödbruch.

Als kritische Schwachstelle hat sich dabei die Schweißnaht 0.1.4. (siehe Abb. rechts) in der Mitte des Reaktordruckbehälters erwiesen. Aus Versuchen mit Einhängeproben u. a. aus dem Kernkraftwerk Loviisa in Finnland ist bekannt, dass die Versprödung der Naht dreimal so schnell voranschreitet wie dies bei der Projektierung der Anlagen prognostiziert wurde. Als Ursache wird eine zu hohe Kupfer- und Phosphorkonzentration im Material der Schweißnaht vermutet.[7] Technisch beschreibt man die Versprödung durch die 'Sprödbruchübergangstemperatur' – oberhalb dieser Temperatur neigt ein Material zu elastischer Verformung, unterhalb kann an im Material vorhandenen Rissen schlagartig ein Sprödbruch auftreten.

Im Falle eines mit Volllast laufenden Reaktors, der aufgrund eines technischen Defektes einer Schnellabschaltung mit boriertem Wasser bedarf, kann der Thermoschock bei der Einleitung des Havarieborwassers den Reaktordruckbehälter bei weiterhin hohem Druck unter die Sprödbruchübergangstemperatur abkühlen und ihn somit zum Bersten bringen.[7]

Als vorbeugende Gegenmaßnahme kann man den Reaktorkern mit Abschirmkassetten versehen, um den Neutroneneintrag in die Schweißnaht zu verringern. Weiterhin wurde vom Reaktorentwickler OKB Gidropress schon 1984 empfohlen, das Havarieborwasser vorzuwärmen, um den Thermoschock im Falle einer Schnellabschaltung zu reduzieren. Diese Nachrüstung ist im Kernkraftwerk Greifswald unterlassen worden.[10] Ist die Versprödung der Schweißnaht bereits weit fortgeschritten, kann der Druckbehälter durch Tempern bei knapp 500 °C ausgeheilt und die ursprünglichen Werkstoffeigenschaften weitgehend wiederhergestellt werden.[7]
Passive Sicherheitsreserven

Die WWER-440/230-Reaktoren der Blöcke 1 bis 4 als auch die weiterentwickelte zweite Generation WWER-440/213 (Blöcke 5 bis Cool verfügen gegenüber westdeutschen Druckwasserreaktoren wie dem Konvoi in Bezug auf die Notkühlung bzw. die Abführung der Nachzerfallswärme über deutlich größere passive Sicherheitsreserven. Der Primärkreislauf eines WWER-440-Reaktors enthält bezogen auf die thermische Leistung ca. 160 % der Wassermenge im Vergleich zu einem Konvoi-Reaktor und im Sekundärkreislauf die dreifache Wassermenge.[19] Diese großen Kühlmittelvorräte ermöglichen im Falle eines Totalausfalls der Stromversorgung die Abführung der Nachzerfallswärme über einen Zeitraum von ca. 7 Stunden und erweitern damit das Zeitfenster zur Reaktion auf Zwischenfälle erheblich.[20] Insofern ist der kurzzeitige Ausfall aller Kühlpumpen bei einem WWER-440-Reaktor weitaus weniger kritisch, als dies bei einem Reaktor westlicher Bauart der Fall wäre.

Störfall

Am 7. Dezember 1975 wollte ein Elektriker seinem Lehrling zeigen, wie man elektrische Schaltkreise überbrückt. Dabei kam es zu einem Kurzschluss auf der Unterspannungsseite des Reservetrafos 1 von Block 1. Durch den Kurzschlussstrom brach ein Kabelbrand aus. Das Feuer im Hauptkabelkanal zerstörte die Stromversorgung und die Steuerleitungen von fünf der sechs Hauptkühlmittelpumpen. Die sechste war zufällig am Stromkreislauf des Nachbarreaktors angeschlossen und sicherte eine notdürftige Kühlung des Reaktorkerns. Das Feuer konnte durch die Betriebsfeuerwehr schnell unter Kontrolle gebracht und die Stromversorgung der Pumpen provisorisch wieder hergestellt werden, da sofort nach Auftreten des Brandes Gegenmaßnahmen ergriffen wurden und die Betriebsmannschaft zu jeder Zeit des Unfalls die richtigen Entscheidungen traf. Nach dieser Beinahe-Katastrophe wurden Maßnahmen zur Verbesserung des Brandschutzes innerhalb des Kraftwerks vorgeschlagen und die „räumliche Trennung“ bei sicherheitsrelevanten Einrichtungen eingeführt, was mehrere Wochen in Anspruch nahm; dabei erhielt jede Hauptkühlmittelpumpe ihre separate Stromversorgung. Die Maßnahmen zum Brandschutz wurden erst elf Jahre nach dem Vorfall von 1975 realisiert und in der Zwischenzeit gab es mindestens einen weiteren Brand (1977 in einer Wasseraufbereitungsanlage). Der Störfall von 1975 wurde erst nach der Wende 1989 im Fernsehen und dem Spiegel (u. a. Ausgabe 1. Februar 1990) publik gemacht. Durch sowjetische Stellen wurde bereits wenige Stunden nach dem Zwischenfall die IAEO informiert. Der Unfall wurde zuerst in INES 4 eingestuft, später in INES 3 (Vorläufer zu einem Unfall, hier einem „Station-Blackout“-Schmelzszenario) korrigiert.[21] Der 10-Prozent-Grenzwert der zulässigen Aktivitätsabgabe wurde nicht überschritten. Spätere Auswertungen der Vorgänge durch eine Regierungskommission und die Bestätigung der von der Kommission gezogenen Schlüsse durch die IAEO zeigen, dass eine erfahrene Betriebsmannschaft anlagenbedingte Schwachstellen ausgleichen kann. Dieser Störfall ist daher auch als Standard-Unfall-Szenario für WWER-440 in die Simulator-Schulung in Greifswald nach 1990 eingeflossen.
Informationszentrum

Auf dem Gelände des Kernkraftwerks befindet sich ein Informationszentrum, das u. a. über die Geschichte der Kernenergie, die in Greifswald eingesetzten WWER, die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung informiert.[22] Es besteht nach Voranmeldung die Gelegenheit, auf der „Besucherroute – Primärkreislauf“ den fertiggestellten, aber noch nie mit Brennelementen beladenen Reaktorblock 6 zu besichtigen. Strahlenschutzmaßnahmen sind aus diesem Grund nicht notwendig. Im Ausstellungszentrum und auf den Freiflächen sind Originalbauteile ausgestellt.
Turbinenhalle

Alle Turbinen und Generatoren des Kraftwerks waren in einer 1000 Meter langen Halle untergebracht, die zu den längsten Industriebauten in Deutschland zählte.

Diese räumliche Nähe und Verknüpfung wurde erst durch die Brandschutzmaßnahmen nach dem Störfall 1975 teilweise aufgehoben. Es galt aber weiterhin: Die Reaktorblöcke befanden sich, wie ein Bericht aus Greifswald feststellte, „quasi in gegenseitiger örtlicher als auch schaltungstechnisch verknüpfter Störnähe“. Somit wäre durch einen Störfall in einem der Reaktoren zugleich auch ein zweiter involviert gewesen.
Technik
Leitungen

Zwei zweikreisige 380-kV-Leitungen führten zum Umspannwerk Wolmirstedt und zum Umspannwerk Ahrensfelde bei Berlin. Erstere war mit 287,8 Kilometern Länge die längste Stromleitung Deutschlands.
Kühlung

Das ehemalige Kernkraftwerk Greifswald/Lubmin bezog sein Kühlwasser über einen offenen Einlaufkanal aus der Spandowerhagener Wiek, die ihrerseits vom Peenestrom gespeist wird. Nach Durchflusskühlung der Reaktorblöcke wurden stündlich ca. 20.000–40.000 m³ (1 m³ = 1 t) Kühlwasser mit hoher Abwärmelast über einen offenen Auslaufkanal in den Greifswalder Bodden geleitet.[23] Dadurch konnte auf Kühltürme verzichtet werden. Ein kleiner Teil der Wärme ging zudem in das Fernwärmenetz Greifswald.
Wirkungsgrad

Der Wirkungsgrad lag, wie bei Kernkraftwerken dieses Typs üblich, bei etwa 34 % in Bezug auf die reine Stromerzeugung. Da jedoch auch Wärme als Fernwärme für die Stadt und Prozesswärme für die Industrie im Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozess genutzt wurde, lag der Nutzungsgrad bezogen auf die Ausnutzung der im Brennstoff Uran gespeicherten Energie über diesem Wert.

Es existierten unmittelbar vor der Wende in der DDR konkrete Pläne für den Ausbau des Fernwärmenetzes nach Städten und Gemeinden wie Wolgast, der Insel Riems, Wusterhusen und Stralsund.[24]
Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Greifswald hatte insgesamt acht Blöcke:
Reaktorblock[25] Reaktortyp Netto-
leistung Brutto-
leistung Baubeginn Netzsyn-
chronisation Kommer-
zieller Betrieb Abschal-
tung
Greifswald-1 (KGR 1) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.03.1970 17.12.1973 12.07.1974 14.02.1990
Greifswald-2 (KGR 2) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.03.1970 23.12.1974 16.04.1975 14.02.1990
Greifswald-3 (KGR 3) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1972 24.10.1977 01.05.1978 28.02.1990
Greifswald-4 (KGR 4) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1972 03.09.1979 01.11.1979 22.07.1990
Greifswald-5 (KGR 5) WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1976 24.04.1989 01.11.1989 24.11.1989
Greifswald-6 (KGR 6) [26] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1976 - - fertiggestellt, aber nicht in Betrieb gegangen [27]
Greifswald-7 (KGR 7) [28] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1978 Bau abgebrochen - 01.10.1990 aufgegeben
Greifswald-8 (KGR Cool [29] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1978 Bau abgebrochen - 01.10.1990 aufgegeben
Siehe auch

Liste der Kernreaktoren in Deutschland
Liste der WWER
Liste meldepflichtiger Ereignisse in deutschen kerntechnischen Anlagen
Liste der Kernkraftwerke
Liste kerntechnischer Anlagen


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