Die Betriebsverfassung
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Die Betriebsverfassung
Betriebsverfassung ist die grundlegende Ordnung der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und der von den Arbeitnehmern gewählten betrieblichen Interessenvertretung. Ihre Grundlage ist in Deutschland das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Zur Mitarbeitervertretung im öffentlichen Dienst siehe unter Personalvertretung.
Basisdaten
Titel: Betriebsverfassungsgesetz
Abkürzung: BetrVG, BetrVG 1972,
BetrVG 1952
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Arbeitsrecht
Fundstellennachweis: 801-7
Ursprüngliche Fassung vom: 11. Oktober 1952
(BGBl. I S. 681)
Inkrafttreten am: 14. November 1952
Neubekanntmachung vom: 25. September 2001
(BGBl. I S. 2518)
Letzte Neufassung vom: 15. Januar 1972
(BGBl. I S. 13)
Inkrafttreten der
Neufassung am: 19. Januar 1972
Letzte Änderung durch: Art. 3 Abs. 4 G vom 20. April 2013
(BGBl. I S. 868, 914)
Inkrafttreten der
letzten Änderung: 1. August 2013
(Art. 7 Abs. 1 G vom 20. April 2013)
GESTA: G048
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.
Geschichte der Betriebsverfassung in Deutschland
Arbeiterausschüsse und -räte wurden erstmals freiwillig Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet. Den ersten Arbeiterausschuss, der eine ernsthafte Betriebsvertretung der Arbeitnehmer darstellte, geht auf den sächsischen Kattundruckereibesitzer Carl Degenkolb zurück, der mit vier anderen Kattundruckunternehmern 1850 in Eilenburg Arbeiterausschüsse und einen für die vier Fabriken gewählten gemeinsamen Fabrik-Rat ins Leben rief. Degenkolb war schon im ersten deutschen Parlament von 1848 als Befürworter eines Gesetzesentwurfes für die Einrichtung von Arbeiterausschüssen in deutschen Fabriken aufgetreten. Der Berliner Jalousienfabrikant und Mitbegründer der Gesellschaft für Soziale Reform, Heinrich Freese, räumte seinen Arbeitern mit dem 1884 gebildeten Arbeiterausschuss weitreichende Rechte in seiner „konstitutionellen Fabrik“ ein.[1]
Eine erste gesetzliche Regelung zur Bildung von Arbeiterausschüssen erließ 1900 der bayrische Landtag für die Bergwerke seines Hoheitsgebiets. Nachdem die preußische Regierung mit ihrer in der Berggesetznovelle von 1892 empfohlenen Bildung freiwilliger Arbeiterausschüsse an der Ignoranz der Ruhrindustriellen gescheitert war, erließ sie 1905 gesetzliche Regelungen zur obligatorischen Einführung von Arbeiterausschüssen im preußischen Kohlenrevier, das sie nach zwei großen Streiks (1889, 1905) mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen durch eine „versöhnende Arbeiterpolitik“ zu befrieden trachtete. Im Ersten Weltkrieg kam es mit dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 2. Dezember 1916 erstmals zu einer allgemeinen gesetzlichen Regelung über die Bildung von Arbeiterausschüssen in allen Betrieben kriegswichtiger Industrien mit mehr als 50 Beschäftigten. Dieses Gesetz sah auch vor, dass Arbeitnehmer für die Kriegsproduktion eingezogen werden konnten. Dies führte unter anderem dazu, dass bei Streiks die aktiven Arbeitnehmer abkommandiert wurden. Obwohl die Gewerkschaften dieses Gesetz befürworteten, war es in der Arbeiterbewegung umstritten.
Die revolutionäre Rätebewegung von 1918 setzte die Frage der Betriebsrepräsentanz nach Ende des Krieges auf die Tagesordnung. Die revolutionären Obleute dominierten die erstmals in den Massenstreiks von 1917 und 1918 auftauchenden Arbeiterräte. Gegen diese Tendenz wurde inhaltlich an die Institution der Arbeiterausschüsse anknüpfend das Betriebsrätegesetz erlassen, dass „nur das Wort ‚Räte’ als Konzession“ an die Rätebewegung enthielt[2]. Schon eine 1926 erschienene Untersuchung über die Betriebsräte der Weimarer Republik kam zu dem Urteil, dass im Betriebsrätegesetz „von dem ursprünglichen Rätegedanken nur ein karger Rest“ verwirklicht worden sei [3]. Erwartungsgemäß opponierten die Protagonisten der Rätebewegung heftigst gegen das Gesetz. Während seiner zweiten Lesung kam es zu einer blutig beendeten Demonstration vor dem Reichstag.[4]
In der Weimarer Verfassung wurden 1919 erstmals Arbeiterräte konstituiert.[5] Mit dem Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, das eine gewählte Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf sozialem und personellem Gebiet regelte, wurden die Mitbestimmung und die Rechte und Pflichten des Betriebsrats geregelt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 20. Januar 1934 das Betriebsrätegesetz aufgehoben und durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit ersetzt, mit dem die Betriebsverfassung auf der Grundlage des „Führerprinzips“ geordnet wurde.
Dieses Gesetz wurde nach 1945 durch die Kontrollratsgesetze Nr. 40 und 56 aufgehoben; durch das Kontrollratsgesetz Nr. 22 (Betriebsrätegesetz) vom 10. April 1946 wurden Rahmenbestimmungen über eine Betriebsverfassung erlassen, die zunächst durch eine Reihe von Ländergesetzen ausgefüllt und ergänzt wurden.
Am 14. November 1952 trat das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft, das in der Tradition des Weimarer Betriebsrätegesetzes umfangreiche Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats regelt und die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat vorschreibt. Daneben enthielt es auch Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften außerhalb der Montanindustrie; diese (§§ 76 ff. BetrVG 1952) galten bis zum 30. Juni 2004. Seit dem 1. Juli 2004 werden sie in einem gesonderten Drittelbeteiligungsgesetz festgehalten.
Im Jahre 1972 wurde das Betriebsverfassungsgesetz grundlegend novelliert. Das Gesetz trat in dieser Fassung am 18. Januar 1972 in Kraft. Das Gesetz ist seitdem in zahlreichen Punkten überarbeitet und angepasst worden, zuletzt mit der Novellierung vom 27. Juli 2001. Insbesondere wurde hierbei die Bildung von Betriebsräten in Kleinbetrieben erleichtert. Auch wurde der wiederholt geforderte Wegfall der Gruppenregelung nach Arbeitern und Angestellten im BetrVG vollzogen. Als weitere Regulierung wird die Schaffung einer Quotenregelung betrachtet. Hierbei wird bei der Wahl des Betriebsrates die Wahlfreiheit der Arbeitnehmer dadurch eingeschränkt, dass das in der Minderheit befindliche Geschlecht nach einem bestimmten Schlüssel eine Mindestanzahl von Sitzen im Gremium zugeschrieben bekommt.
Organisation der Betriebsverfassung
Voraussetzung und Durchführung der Wahl des Betriebsrates
Nach § 1 BetrVG kann ein Betriebsrat in Betrieben gewählt werden, wenn in dem Betrieb in der Regel mindestens fünf ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sein müssen, beschäftigt werden. Es obliegt alleine den Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, die Initiative zu einer Betriebsratswahl zu ergreifen. Der Arbeitgeber ist weder berechtigt noch verpflichtet, eine Betriebsratswahl einzuleiten. Wird kein Betriebsrat gewählt, so bleibt dies – trotz des Gesetzeswortlauts (... werden ... gewählt.) – sanktionslos. Nach dem IAB-Betriebspanel gibt es nur in ca. 27 % der Betriebe in Deutschland einen Betriebsrat oder Personalrat.[6]
Die Betriebsratswahl wird von einem Wahlvorstand organisiert, der vom Betriebsrat vor Ablauf seiner Amtszeit bestimmt wird. Es kann eine Personenwahl oder eine Listenwahl durchgeführt werden. Jeder Arbeitnehmer des Betriebes, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, darf wählen, hierzu zählen auch Leiharbeitnehmer, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der dem Betrieb am Wahltag länger als sechs Monate angehört. Ein Wahlausschreiben, welches die Formalitäten der Wahl, die Wählerliste und die Fristen für die Abgabe von Wahlvorschlägen regelt, wird vom Wahlvorstand erlassen. Erst nachdem das Wahlausschreiben sechs Wochen lang aushing, kann eine Wahl stattfinden.
Besteht noch kein Betriebsrat, kann der Wahlvorstand vom Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat bestellt werden, falls es eine solche Einrichtung gibt. Ansonsten wird der Wahlvorstand auf einer Wahlversammlung der Arbeitnehmer gewählt. Eine solche Versammlung kann – ohne weitere Voraussetzungen – von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder auch einer Gewerkschaft, die im Betrieb vertreten ist, einberufen werden.
Ein vereinfachtes Wahlverfahren gilt seit der Novelle 2001 in Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern. Hier kann eine Wahl innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden. Wenn Wahlvorstand und Arbeitgeber sich einigen, kann außerdem auch in Betrieben, die bis zu 100 Arbeitnehmer beschäftigen, ein solches Verfahren angewandt werden.
Alle vier Jahre finden Betriebsratswahlen statt, immer zwischen dem 1. März und dem 31. Mai. In einigen Fällen können auch außerhalb dieser Zeit Neuwahlen stattfinden (zum Beispiel bei Betrieben, die keinen Betriebsrat besitzen, und bei Rücktritt des Betriebsrates).
Das Betriebsverfassungsgesetz findet keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
Organisation des Betriebsrates
Die Amtsperiode des Betriebsrates beträgt vier Jahre. Die Größe des Betriebsrates richtet sich nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebes.Wahlberechtigt sind alle zum Zeitpunkt der Wahl regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben; Leiharbeitnehmer dürfen seit 2001 mitwählen, wenn sie länger als 3 Monate im Betrieb eingesetzt werden. Der Betriebsrat besteht gemäß § 9 BetrVG etwa für Betriebe mit
5 bis 20 Wahlberechtigten: aus 1 Person
21 bis 50 Wahlberechtigten: aus 3 Mitgliedern
51 bis 100 Wahlberechtigten: aus 5 Mitgliedern
101 bis 200 Wahlberechtigten: aus 7 Mitgliedern
201 bis 400 Wahlberechtigten: aus 9 Mitgliedern
401 bis 700 Wahlberechtigten: aus 11 Mitgliedern
701 bis 1000 Wahlberechtigten: aus 13 Mitgliedern
1001 bis 1500 Wahlberechtigten: aus 15 Mitgliedern
1501 bis 2000 Wahlberechtigten: aus 17 Mitgliedern
usw. in 500-er Schritten jeweils 2 mehr bis
4501 bis 5000 Wahlberechtigten: aus 29 Mitgliedern
5001 bis 6000 Wahlberechtigten: aus 31 Mitgliedern
6001 bis 7000 Wahlberechtigten: aus 33 Mitgliedern
7001 bis 9000 Wahlberechtigten: aus 35 Mitgliedern
In Betrieben mit mehr Wahlberechtigten erhöht sich die Zahl der Mitglieder in 3000er Schritten um jeweils 2.
Die Zusammensetzung des Betriebsrats muss gleichberechtigt sein (§ 15 BetrVG). Das Geschlecht, das sich im Betrieb in der Minderheit befindet, muss im Betriebsrat entsprechend seinem prozentualen Anteil im Betrieb vertreten sein, wenn der Betriebsrat mindestens drei Mitglieder hat.
Ein Vorsitzender oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter vertritt den Betriebsrat. Er muss in der ersten Betriebsratssitzung gewählt werden. Die Kosten der Tätigkeit des Betriebsrates hat der Arbeitgeber zu tragen; unter anderem muss er Schulungen der Betriebsratsmitglieder zahlen, sofern diese erforderlich sind. Auch muss der Betriebsrat durch Freistellung von der Arbeit die Möglichkeit haben, seine Aufgaben im Betriebsrat während seiner regulären Arbeitszeit zu erfüllen. Seit der Novelle 2001 müssen in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitnehmern ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder vollständig von der Arbeit freigestellt werden (§ 38 BetrVG). Im Unterschied zur früheren Rechtsprechung[7] sind bei der betriebsverfassungsrechtlichen Berechnung der Belegschaftsstärke die Leiharbeitnehmer, die auch das aktive Wahlrecht haben können, mitzuzählen, obwohl sie keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs sind.[8]
Grundlagen der Betriebsratstätigkeit
Der Betriebsrat ist ein Kollektivorgan, das seine Entscheidungen durch Mehrheitsbeschlüsse fällt. Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat im Rahmen seiner Beschlüsse, darf aber nichts unabhängig entscheiden. Betriebsratsmitglieder haben sich während ihrer Tätigkeit als Betriebsrat parteipolitisch neutral zu verhalten. Als Betriebsratsmitglieder dürfen sie sich an Arbeitskämpfen weder beteiligen, noch sie organisieren. In ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer sind die Mitglieder des Betriebsrats allerdings durchaus frei in den genannten Handlungen. In Deutschland ist der Betriebsrat (im Unterschied zu anderen Ländern) nicht die gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb, sondern von Gewerkschaften unabhängig. Gleichwohl soll er nach § 2 Abs. 1 BetrVG mit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft zusammenwirken. Der Betriebsrat hat die Interessen aller Arbeitnehmer des Betriebs zu vertreten unabhängig davon, ob diese einer Gewerkschaft angehören. Der Betriebsrat ist nicht rechts- und vermögensfähig.
Das Gesetz (§ 2 BetrVG) verpflichtet Betriebsrat und Arbeitgeber zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, was sich allerdings nicht immer in der Realität widerspiegelt. Den Betriebsrat trifft auch die Verpflichtung zur Geheimhaltung, soweit der Arbeitgeber ihm Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse (was ganz selten wirklich der Fall ist) oder persönliche Daten von Arbeitnehmern mitteilt; wenn diese Geheimhaltungspflicht nicht eingehalten wird, können Mitglieder des Betriebsrats bestraft werden.
Betriebsratsmitglieder sind vor ordentlichen Kündigungen geschützt. Sie genießen insoweit Sonderkündigungsschutz, welcher nur bei Schließung des Betriebes oder im Falle einer außerordentlichen Kündigung durchbrochen wird. Außerordentliche Kündigungen und erzwungene Versetzungen in einen anderen Betrieb, die zum Verlust des Betriebsratsamtes führen könnten, sind gemäß § 103 BetrVG nur dann wirksam, wenn ihnen der Betriebsrat zustimmt, oder diese Zustimmung durch ein entsprechendes Urteil des Arbeitsgerichts ersetzt wird.
Die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit
Das BetrVG verpflichtet den Arbeitgeber und den Betriebsrat bzw. einzelne Betriebsratsmitglieder dazu, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten (§ 2 Abs.1 BetrVG). Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat soll sich in gegenseitiger „Ehrlichkeit und Offenheit“ vollziehen.[9] Darüber hinaus werden die Betriebsparteien durch diese Vorschrift zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zu gesetzestreuem Verhalten verpflichtet.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine sogenannte "Generalklausel", eine Rechtsnorm, die vom Gesetzgeber bewusst allgemein formuliert wurde, um einerseits einen Grundsatz festzulegen und um andererseits eine allgemeine Regelung für eine Vielzahl von nicht vorhersehbaren Konflikten zu schaffen. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit wird in einigen Vorschriften des BetrVG konkretisiert. Er bildet darüber hinaus jedoch eine eigenständige Anspruchsgrundlage - gerade für Fälle, die von den einzelnen Vorschriften des BetrVG nicht erfasst werden.
Dabei verkennt die Vorschrift nicht, dass Betriebsrat und Arbeitgeber unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Gegenteil setzt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit unterschiedliche Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat geradezu voraus. Das Gebot steht nicht im Widerspruch zur Verpflichtung des Betriebsrates, alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel im Interesse der von ihm vertretenen Mitarbeiter auszuschöpfen. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal formuliert:
Wenn Betriebsräte ihre Rechtsposition konsequent, extensiv und möglicherweise in Anlehnung an von den Gewerkschaften entwickelte Vorstellungen wahrnehmen, dann verstoßen sie weder gegen Verfassungsnormen, noch gegen Vorschriften des BetrVG. Dies hat der Arbeitgeber unabhängig davon hinzunehmen, ob es ihm aus seiner Sicht einen Vorteil bringt, oder sich gegen seine Interessen richtet. Die Vorschriften des BetrVG dienen gerade dazu, den vorgegebenen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der betrieblichen Interessenvertretung angemessen zum Ausgleich zu bringen. Sie berücksichtigen, daß der Arbeitgeber – ungeachtet der Organisationsform des Unternehmens – zur Wertschöpfung und zur Erreichung des Unternehmenszweckes der Mitwirkung der Arbeitnehmer bedarf.[10]
Friedenspflicht
Nach § 74 Abs. 2 BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber unzulässig. Streik und Aussperrung sind den Tarifparteien vorbehalten und dürfen nicht als Druckmittel für die Auseinandersetzung zwischen den Betriebsparteien verwendet werden. Selbstverständlich sind Arbeitgeber und Betriebsratsmitglieder im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in Arbeitgeberverband bzw. Gewerkschaft nicht daran gehindert, Arbeitskämpfe durchzuführen. Darüber hinaus kann der einzelne Arbeitgeber im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen Arbeitskampfmaßnahmen durchführen (vgl. § 2 Abs. 1 TVG). Dies betrifft jedoch ausschließlich Auseinandersetzungen über den Abschluss oder Inhalt von Tarifverträgen und nicht Auseinandersetzungen über innerbetriebliche Fragen.
Verbot der Beeinträchtigung von Arbeitsablauf oder Betriebsfrieden
Nach § 74 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat weiterhin Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden beeinträchtigt werden.
Nach § 119 BetrVG darf der Arbeitgeber die Wahl und die Arbeit des Betriebsrats nicht behindern. Er darf Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit weder bevorteilen noch benachteiligen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die mit dem Betriebsrat getroffenen Betriebsvereinbarungen im Betrieb umzusetzen.
Mitwirkungsrechte des Betriebsrats
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in verschiedenen Angelegenheiten Mitwirkungsrechte des Betriebsrats vor.
Was den Inhalt der Mitwirkungsrechte anbetrifft, kann grundsätzlich folgende Systematik festgestellt werden:
In sozialen Angelegenheiten (vgl. § 87 BetrVG), d.h. immer dann, wenn nicht unmittelbar die Art der Ausführung der Arbeit, sondern der Arbeitnehmer als Individuum betroffen ist, ist eine „starke“ Mitbestimmung vorgesehen. Der Betriebsrat steht in sozialen Entscheidungen auf einer Stufe mit dem Arbeitgeber, er kann Entscheidungen mitgestalten.
In personellen Angelegenheiten wie Einstellungen oder Kündigungen besitzt der Betriebsrat das Recht, die Zustimmung zu Maßnahmen zu verweigern (bei Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen oder Versetzungen) oder das Recht, zu widersprechen (bei Kündigungen). Eine Gestaltungsmöglichkeit ist hier nicht eröffnet.
In wirtschaftlichen Angelegenheiten ist der Betriebsrat auf ein Informationsrecht beschränkt, das regelmäßig vom Wirtschaftsausschuss wahrgenommen wird. Eine unmittelbare Einflussnahme auf wirtschaftliche Entscheidungen des Unternehmers ist dem Betriebsrat in rechtlicher Hinsicht versagt.
Was die Reichweite der Mitwirkungsrechte anbetrifft, kann grundsätzlich unterschieden werden zwischen
Informationsrechten, dem bloßen Recht des Betriebsrats, informiert zu werden;
Beratungsrechten, dem Recht des Betriebsrats, bestimmte Fragen mit dem Arbeitgeber zu erörtern;
dem Widerspruchsrecht, dem Recht des Betriebsrats einer beabsichtigten Kündigung zu widersprechen, ohne sie verhindern zu können;
Zustimmungsverweigerungsrechten bei personellen Maßnahmen
(echten) Mitbestimmungsrechten, dem Recht, Entscheidungen mitzugestalten.
Informationsrechte
Der Betriebsrat kann seine Rechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz nur sinnvoll wahrnehmen, wenn er umfassend informiert ist. Das Betriebsverfassungsgesetz stellt den Betriebsrat daher hinsichtlich seiner Kenntnisse über sämtliche betrieblichen Belange (bis auf wenige Ausnahmen) auf dieselbe Stufe wie den Arbeitgeber. Selbst Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind dem Betriebsrat mitzuteilen.
Für die Forderung nach Informationen durch den Betriebsrat ist auch kein konkreter Anlass erforderlich. Aus der generellen Regelung des Informationsrechts in § 80 Abs. 2 BetrVG ergibt sich vielmehr, dass dem Betriebsrat „jederzeit“, d.h. auch ohne konkreten Anlass, Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, sofern diese für eine ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit erforderlich sind.
Das Recht des Betriebsrats, die gewünschten Informationen zu erlangen, kann schließlich gerichtlich durchgesetzt werden. Verweigert der Arbeitgeber wiederholt die Weitergabe von Informationen, kann er dazu über § 23 Abs. 3 BetrVG gerichtlich gezwungen werden.
Darüber hinaus stellt die Verletzung der Informationspflicht durch den Arbeitgeber in bestimmten Fällen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 € geahndet werden kann, § 121 BetrVG.
Nachfolgend werden die wichtigsten Informationsrechte des Betriebsrats kurz dargestellt:
Einzelne Informationsrechte
Information Paragraph Inhalt
Arbeitnehmerdaten § 80 Abs. 2 BetrVG Der Betriebsrat hat das Recht, sämtliche Daten über die Arbeitnehmer des Betriebes vom Arbeitgeber zu erlangen, soweit diese dem Arbeitgeber vorliegen. Dazu zählen insbesondere Daten über Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Arbeitszeiten, Schwerbehinderung, Schwangerschaft oder Herkunft der Arbeitnehmer.
Arbeits- und Unfallschutz, Umweltschutz § 89 BetrVG,
§ 6 ArbSchG Der Betriebsrat ist über sämtliche Belange des Arbeits- und Unfallschutzes, sowie des betrieblichen Umweltschutzes zu unterrichten. Die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrates kann nur sinnvoll wahrgenommen werden, wenn der Betriebsrat zuvor umfassend unterrichtet wurde. Über Auflagen und Anordnungen der zuständigen Behörden hinsichtlich des Arbeitsschutzes, der Unfallverhütung und des betrieblichen Unfallschutzes ist der Betriebsrat zu informieren (§ 89 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Dem Betriebsrat ist die nach § 6 Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Dokumentation zugänglich zu machen[11]. Darüber hinaus haben vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder an den Besprechungen mit den Sicherheitsbeauftragten teilzunehmen. Dem Betriebsrat sind die Protokolle über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen auszuhändigen, sofern er an den entsprechenden Maßnahmen teilgenommen hat.
Arbeitsplatzgestaltung, Bauliche Veränderungen, Technische Anlagen § 90 Abs. 1 BetrVG,
§ 6 ArbSchG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung der Arbeitsplätze (hinsichtlich ihrer Ausgestaltung) zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG).
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über sämtliche Neu-, Um- oder Erweiterungsbauten im Betrieb schon bei der Planung zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung von technischen Anlagen zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen einschließlich der im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Dokumentation (Gefährdungsbeurteilung, Schutzmaßnahmen, Wirksamkeitskontrollen)[11] zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG)
Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
ArbSchG,
insbes. § 3, § 5, § 6, § 7 Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
In Wahrnehmung seiner Pflicht, die Einhaltung von Schutzbestimmungen zu überwachen, kann der Betriebsrat auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes für Arbeitsverfahren und Projektplanungen Beurteilungen gesundheitlicher Gefährdungen verlangen sowie die Durchführung präventiver Maßnahmen und Wirksamkeitskontrollen zur Vermeidung körperlicher und psychischer Erkrankungen überwachen. Grundlage dafür können Betriebsvereinbarungen zum Arbeitsschutz sein.[11]
Behandlung von Beschwerden der Arbeitnehmer § 85 Abs. 3 BetrVG Hat sich ein Arbeitnehmer beim Betriebsrat beschwert und hat der Betriebsrat die Beschwerde für berechtigt erachtet und an den Arbeitgeber weitergeleitet, so muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Behandlung der Beschwerde unterrichten.
Berufsbildung § 96 Abs. 1 BetrVG; § 97 Abs. 1 BetrVG; § 98 Abs. 2 BetrVG Der Arbeitgeber muss auf Verlangen des Betriebsrats den Berufsbildungsbedarf der Arbeitnehmer im Betrieb ermitteln und dem Betriebsrat mitteilen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Darüber hinaus ist der Betriebsrat über die Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur Berufsbildung, über die Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen und die Teilnahme an außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen zu unterrichten (§ 97 Abs. 1 BetrVG). Ein Informationsrecht besteht auch hinsichtlich desjenigen, der die betriebliche oder außerbetriebliche Berufsbildung durchführen soll bzw. durchführt (§ 98 Abs. 2 BetrVG). Hierbei gilt, dass die Informationsrechte des Betriebsrates nicht auf die Berufsausbildung beschränkt sind, sondern sich auf jede Form betrieblicher Berufsbildung beziehen.
Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse § 80 Abs. 1 BetrVG; § 79 BetrVG Geheimhaltungspflichtige Informationen können dem Betriebsrat nicht unter Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht oder den Datenschutz vorenthalten werden, wie sich aus § 79 BetrVG ergibt: Aus der Tatsache heraus, dass der Betriebsrat zur Geheimhaltung verpflichtet wird, ist zu schließen, dass er grundsätzlich Anspruch auf derartige Informationen hat - soweit diese für die ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit erforderlich sind.
Betriebsänderungen § 111 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern über geplante Betriebsänderungen zu unterrichten. Betriebsänderungen bestehen beispielsweise in der Einschränkung oder Stilllegung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile, Betriebsverlegungen, Zusammenschlüssen oder Spaltungen des Betriebs, grundlegenden Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren
Bruttolohn- und Gehaltslisten § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG Der Betriebsrat hat das Recht, in die Bruttolohn- und Gehaltslisten Einblick zu nehmen (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Dieses Recht ist allerdings auf eine Einsichtnahme beschränkt. Der Betriebsrat hat kein Recht, diese Listen abschriftlich zu erhalten. Allerdings kann sich der Betriebsrat Notizen aus den Listen machen.
Einstellung, Eingruppierung § 99 Abs. 1 BetrVG Der Betriebsrat ist vorher über jede vom Arbeitgeber beabsichtigte Einstellung im Betrieb zu unterrichten. Ihm sind die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber sowie sämtliche Testergebnisse, Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen, Ergebnisse eines Assessment-Centers usw. vorzulegen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen der Einstellung auf andere Arbeitnehmer darlegen.
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat vor einer Einstellung auch die beabsichtigte Eingruppierung mitteilen. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat von jeder beabsichtigten Umgruppierung, d.h. der Veränderung der bisherigen tariflichen oder betrieblichen Eingruppierung eines Arbeitnehmers unterrichten. Auch über eine Einstellung oder personelle Veränderung eines leitenden Angestellten ist der Betriebsrat zu informieren (§ 105 BetrVG)
Kündigung § 102 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat vor jeder Kündigung zu informieren. Die Informationspflicht umfasst Angaben über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, sein Alter, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, seine Unterhaltspflichten, seine Schwerbehinderung, den Grund für die Kündigung, die Art der Kündigung, die geltende Kündigungsfrist.
Leiharbeitnehmer § 14 Abs. 3 AÜG Der Betriebsrat ist vor Übernahme eines Leiharbeiters zur Arbeitsleistung vom Verleiher nach § 99 BetrVG zu unterrichten und zu beteiligen. Darüber hinaus ist dem Betriebsrat das Bestehen und der Wegfall der Erlaubnis des Verleihers zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nachzuweisen.
Personalplanung § 92 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen und über Maßnahmen der Berufsbildung anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.
Soziale Angelegenheiten § 87 Abs. 1 BetrVG Im Rahmen des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle in § 87 Abs. 1 BetrVG geregelten Angelegenheiten so umfassend zu informieren, dass der Betriebsrat denselben Informationsstand erhält wie der Arbeitgeber.
Subunternehmer, Honorarkräfte, Werkunternehmer, freie Mitarbeiter § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Hinsichtlich der Beschäftigung von Personen oder Personengruppen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen hat der Betriebsrat ein Informationsrecht
Unfallverhütung, Arbeitsschutz § 9 Abs. 2 ArbSichG Die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben den Betriebsrat über wichtige Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu unterrichten. Darüber hinaus haben sie dem Betriebsrat den Inhalt eines Vorschlages für arbeitstechnische oder sicherheitstechnische Maßnahmen mitzuteilen, den sie dem Arbeitgeber machen.
Versetzung § 99 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat vor jeder geplanten Versetzung eines Arbeitnehmers zu unterrichten. Dabei ist der Arbeitnehmer zu nennen sowie die Auswirkungen der Versetzung auf andere Arbeitnehmer darzulegen.
Vorläufige Personelle Maßnahme § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Führt der Arbeitgeber eine Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung vorläufig durch, hat er den Betriebsrat hierüber unverzüglich zu informieren.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Betriebsverfassung
Basisdaten
Titel: Betriebsverfassungsgesetz
Abkürzung: BetrVG, BetrVG 1972,
BetrVG 1952
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Arbeitsrecht
Fundstellennachweis: 801-7
Ursprüngliche Fassung vom: 11. Oktober 1952
(BGBl. I S. 681)
Inkrafttreten am: 14. November 1952
Neubekanntmachung vom: 25. September 2001
(BGBl. I S. 2518)
Letzte Neufassung vom: 15. Januar 1972
(BGBl. I S. 13)
Inkrafttreten der
Neufassung am: 19. Januar 1972
Letzte Änderung durch: Art. 3 Abs. 4 G vom 20. April 2013
(BGBl. I S. 868, 914)
Inkrafttreten der
letzten Änderung: 1. August 2013
(Art. 7 Abs. 1 G vom 20. April 2013)
GESTA: G048
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.
Geschichte der Betriebsverfassung in Deutschland
Arbeiterausschüsse und -räte wurden erstmals freiwillig Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet. Den ersten Arbeiterausschuss, der eine ernsthafte Betriebsvertretung der Arbeitnehmer darstellte, geht auf den sächsischen Kattundruckereibesitzer Carl Degenkolb zurück, der mit vier anderen Kattundruckunternehmern 1850 in Eilenburg Arbeiterausschüsse und einen für die vier Fabriken gewählten gemeinsamen Fabrik-Rat ins Leben rief. Degenkolb war schon im ersten deutschen Parlament von 1848 als Befürworter eines Gesetzesentwurfes für die Einrichtung von Arbeiterausschüssen in deutschen Fabriken aufgetreten. Der Berliner Jalousienfabrikant und Mitbegründer der Gesellschaft für Soziale Reform, Heinrich Freese, räumte seinen Arbeitern mit dem 1884 gebildeten Arbeiterausschuss weitreichende Rechte in seiner „konstitutionellen Fabrik“ ein.[1]
Eine erste gesetzliche Regelung zur Bildung von Arbeiterausschüssen erließ 1900 der bayrische Landtag für die Bergwerke seines Hoheitsgebiets. Nachdem die preußische Regierung mit ihrer in der Berggesetznovelle von 1892 empfohlenen Bildung freiwilliger Arbeiterausschüsse an der Ignoranz der Ruhrindustriellen gescheitert war, erließ sie 1905 gesetzliche Regelungen zur obligatorischen Einführung von Arbeiterausschüssen im preußischen Kohlenrevier, das sie nach zwei großen Streiks (1889, 1905) mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen durch eine „versöhnende Arbeiterpolitik“ zu befrieden trachtete. Im Ersten Weltkrieg kam es mit dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 2. Dezember 1916 erstmals zu einer allgemeinen gesetzlichen Regelung über die Bildung von Arbeiterausschüssen in allen Betrieben kriegswichtiger Industrien mit mehr als 50 Beschäftigten. Dieses Gesetz sah auch vor, dass Arbeitnehmer für die Kriegsproduktion eingezogen werden konnten. Dies führte unter anderem dazu, dass bei Streiks die aktiven Arbeitnehmer abkommandiert wurden. Obwohl die Gewerkschaften dieses Gesetz befürworteten, war es in der Arbeiterbewegung umstritten.
Die revolutionäre Rätebewegung von 1918 setzte die Frage der Betriebsrepräsentanz nach Ende des Krieges auf die Tagesordnung. Die revolutionären Obleute dominierten die erstmals in den Massenstreiks von 1917 und 1918 auftauchenden Arbeiterräte. Gegen diese Tendenz wurde inhaltlich an die Institution der Arbeiterausschüsse anknüpfend das Betriebsrätegesetz erlassen, dass „nur das Wort ‚Räte’ als Konzession“ an die Rätebewegung enthielt[2]. Schon eine 1926 erschienene Untersuchung über die Betriebsräte der Weimarer Republik kam zu dem Urteil, dass im Betriebsrätegesetz „von dem ursprünglichen Rätegedanken nur ein karger Rest“ verwirklicht worden sei [3]. Erwartungsgemäß opponierten die Protagonisten der Rätebewegung heftigst gegen das Gesetz. Während seiner zweiten Lesung kam es zu einer blutig beendeten Demonstration vor dem Reichstag.[4]
In der Weimarer Verfassung wurden 1919 erstmals Arbeiterräte konstituiert.[5] Mit dem Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, das eine gewählte Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf sozialem und personellem Gebiet regelte, wurden die Mitbestimmung und die Rechte und Pflichten des Betriebsrats geregelt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 20. Januar 1934 das Betriebsrätegesetz aufgehoben und durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit ersetzt, mit dem die Betriebsverfassung auf der Grundlage des „Führerprinzips“ geordnet wurde.
Dieses Gesetz wurde nach 1945 durch die Kontrollratsgesetze Nr. 40 und 56 aufgehoben; durch das Kontrollratsgesetz Nr. 22 (Betriebsrätegesetz) vom 10. April 1946 wurden Rahmenbestimmungen über eine Betriebsverfassung erlassen, die zunächst durch eine Reihe von Ländergesetzen ausgefüllt und ergänzt wurden.
Am 14. November 1952 trat das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft, das in der Tradition des Weimarer Betriebsrätegesetzes umfangreiche Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats regelt und die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat vorschreibt. Daneben enthielt es auch Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften außerhalb der Montanindustrie; diese (§§ 76 ff. BetrVG 1952) galten bis zum 30. Juni 2004. Seit dem 1. Juli 2004 werden sie in einem gesonderten Drittelbeteiligungsgesetz festgehalten.
Im Jahre 1972 wurde das Betriebsverfassungsgesetz grundlegend novelliert. Das Gesetz trat in dieser Fassung am 18. Januar 1972 in Kraft. Das Gesetz ist seitdem in zahlreichen Punkten überarbeitet und angepasst worden, zuletzt mit der Novellierung vom 27. Juli 2001. Insbesondere wurde hierbei die Bildung von Betriebsräten in Kleinbetrieben erleichtert. Auch wurde der wiederholt geforderte Wegfall der Gruppenregelung nach Arbeitern und Angestellten im BetrVG vollzogen. Als weitere Regulierung wird die Schaffung einer Quotenregelung betrachtet. Hierbei wird bei der Wahl des Betriebsrates die Wahlfreiheit der Arbeitnehmer dadurch eingeschränkt, dass das in der Minderheit befindliche Geschlecht nach einem bestimmten Schlüssel eine Mindestanzahl von Sitzen im Gremium zugeschrieben bekommt.
Organisation der Betriebsverfassung
Voraussetzung und Durchführung der Wahl des Betriebsrates
Nach § 1 BetrVG kann ein Betriebsrat in Betrieben gewählt werden, wenn in dem Betrieb in der Regel mindestens fünf ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sein müssen, beschäftigt werden. Es obliegt alleine den Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, die Initiative zu einer Betriebsratswahl zu ergreifen. Der Arbeitgeber ist weder berechtigt noch verpflichtet, eine Betriebsratswahl einzuleiten. Wird kein Betriebsrat gewählt, so bleibt dies – trotz des Gesetzeswortlauts (... werden ... gewählt.) – sanktionslos. Nach dem IAB-Betriebspanel gibt es nur in ca. 27 % der Betriebe in Deutschland einen Betriebsrat oder Personalrat.[6]
Die Betriebsratswahl wird von einem Wahlvorstand organisiert, der vom Betriebsrat vor Ablauf seiner Amtszeit bestimmt wird. Es kann eine Personenwahl oder eine Listenwahl durchgeführt werden. Jeder Arbeitnehmer des Betriebes, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, darf wählen, hierzu zählen auch Leiharbeitnehmer, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der dem Betrieb am Wahltag länger als sechs Monate angehört. Ein Wahlausschreiben, welches die Formalitäten der Wahl, die Wählerliste und die Fristen für die Abgabe von Wahlvorschlägen regelt, wird vom Wahlvorstand erlassen. Erst nachdem das Wahlausschreiben sechs Wochen lang aushing, kann eine Wahl stattfinden.
Besteht noch kein Betriebsrat, kann der Wahlvorstand vom Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat bestellt werden, falls es eine solche Einrichtung gibt. Ansonsten wird der Wahlvorstand auf einer Wahlversammlung der Arbeitnehmer gewählt. Eine solche Versammlung kann – ohne weitere Voraussetzungen – von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder auch einer Gewerkschaft, die im Betrieb vertreten ist, einberufen werden.
Ein vereinfachtes Wahlverfahren gilt seit der Novelle 2001 in Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern. Hier kann eine Wahl innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden. Wenn Wahlvorstand und Arbeitgeber sich einigen, kann außerdem auch in Betrieben, die bis zu 100 Arbeitnehmer beschäftigen, ein solches Verfahren angewandt werden.
Alle vier Jahre finden Betriebsratswahlen statt, immer zwischen dem 1. März und dem 31. Mai. In einigen Fällen können auch außerhalb dieser Zeit Neuwahlen stattfinden (zum Beispiel bei Betrieben, die keinen Betriebsrat besitzen, und bei Rücktritt des Betriebsrates).
Das Betriebsverfassungsgesetz findet keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
Organisation des Betriebsrates
Die Amtsperiode des Betriebsrates beträgt vier Jahre. Die Größe des Betriebsrates richtet sich nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebes.Wahlberechtigt sind alle zum Zeitpunkt der Wahl regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben; Leiharbeitnehmer dürfen seit 2001 mitwählen, wenn sie länger als 3 Monate im Betrieb eingesetzt werden. Der Betriebsrat besteht gemäß § 9 BetrVG etwa für Betriebe mit
5 bis 20 Wahlberechtigten: aus 1 Person
21 bis 50 Wahlberechtigten: aus 3 Mitgliedern
51 bis 100 Wahlberechtigten: aus 5 Mitgliedern
101 bis 200 Wahlberechtigten: aus 7 Mitgliedern
201 bis 400 Wahlberechtigten: aus 9 Mitgliedern
401 bis 700 Wahlberechtigten: aus 11 Mitgliedern
701 bis 1000 Wahlberechtigten: aus 13 Mitgliedern
1001 bis 1500 Wahlberechtigten: aus 15 Mitgliedern
1501 bis 2000 Wahlberechtigten: aus 17 Mitgliedern
usw. in 500-er Schritten jeweils 2 mehr bis
4501 bis 5000 Wahlberechtigten: aus 29 Mitgliedern
5001 bis 6000 Wahlberechtigten: aus 31 Mitgliedern
6001 bis 7000 Wahlberechtigten: aus 33 Mitgliedern
7001 bis 9000 Wahlberechtigten: aus 35 Mitgliedern
In Betrieben mit mehr Wahlberechtigten erhöht sich die Zahl der Mitglieder in 3000er Schritten um jeweils 2.
Die Zusammensetzung des Betriebsrats muss gleichberechtigt sein (§ 15 BetrVG). Das Geschlecht, das sich im Betrieb in der Minderheit befindet, muss im Betriebsrat entsprechend seinem prozentualen Anteil im Betrieb vertreten sein, wenn der Betriebsrat mindestens drei Mitglieder hat.
Ein Vorsitzender oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter vertritt den Betriebsrat. Er muss in der ersten Betriebsratssitzung gewählt werden. Die Kosten der Tätigkeit des Betriebsrates hat der Arbeitgeber zu tragen; unter anderem muss er Schulungen der Betriebsratsmitglieder zahlen, sofern diese erforderlich sind. Auch muss der Betriebsrat durch Freistellung von der Arbeit die Möglichkeit haben, seine Aufgaben im Betriebsrat während seiner regulären Arbeitszeit zu erfüllen. Seit der Novelle 2001 müssen in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitnehmern ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder vollständig von der Arbeit freigestellt werden (§ 38 BetrVG). Im Unterschied zur früheren Rechtsprechung[7] sind bei der betriebsverfassungsrechtlichen Berechnung der Belegschaftsstärke die Leiharbeitnehmer, die auch das aktive Wahlrecht haben können, mitzuzählen, obwohl sie keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs sind.[8]
Grundlagen der Betriebsratstätigkeit
Der Betriebsrat ist ein Kollektivorgan, das seine Entscheidungen durch Mehrheitsbeschlüsse fällt. Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat im Rahmen seiner Beschlüsse, darf aber nichts unabhängig entscheiden. Betriebsratsmitglieder haben sich während ihrer Tätigkeit als Betriebsrat parteipolitisch neutral zu verhalten. Als Betriebsratsmitglieder dürfen sie sich an Arbeitskämpfen weder beteiligen, noch sie organisieren. In ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer sind die Mitglieder des Betriebsrats allerdings durchaus frei in den genannten Handlungen. In Deutschland ist der Betriebsrat (im Unterschied zu anderen Ländern) nicht die gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb, sondern von Gewerkschaften unabhängig. Gleichwohl soll er nach § 2 Abs. 1 BetrVG mit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft zusammenwirken. Der Betriebsrat hat die Interessen aller Arbeitnehmer des Betriebs zu vertreten unabhängig davon, ob diese einer Gewerkschaft angehören. Der Betriebsrat ist nicht rechts- und vermögensfähig.
Das Gesetz (§ 2 BetrVG) verpflichtet Betriebsrat und Arbeitgeber zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, was sich allerdings nicht immer in der Realität widerspiegelt. Den Betriebsrat trifft auch die Verpflichtung zur Geheimhaltung, soweit der Arbeitgeber ihm Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse (was ganz selten wirklich der Fall ist) oder persönliche Daten von Arbeitnehmern mitteilt; wenn diese Geheimhaltungspflicht nicht eingehalten wird, können Mitglieder des Betriebsrats bestraft werden.
Betriebsratsmitglieder sind vor ordentlichen Kündigungen geschützt. Sie genießen insoweit Sonderkündigungsschutz, welcher nur bei Schließung des Betriebes oder im Falle einer außerordentlichen Kündigung durchbrochen wird. Außerordentliche Kündigungen und erzwungene Versetzungen in einen anderen Betrieb, die zum Verlust des Betriebsratsamtes führen könnten, sind gemäß § 103 BetrVG nur dann wirksam, wenn ihnen der Betriebsrat zustimmt, oder diese Zustimmung durch ein entsprechendes Urteil des Arbeitsgerichts ersetzt wird.
Die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit
Das BetrVG verpflichtet den Arbeitgeber und den Betriebsrat bzw. einzelne Betriebsratsmitglieder dazu, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten (§ 2 Abs.1 BetrVG). Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat soll sich in gegenseitiger „Ehrlichkeit und Offenheit“ vollziehen.[9] Darüber hinaus werden die Betriebsparteien durch diese Vorschrift zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zu gesetzestreuem Verhalten verpflichtet.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine sogenannte "Generalklausel", eine Rechtsnorm, die vom Gesetzgeber bewusst allgemein formuliert wurde, um einerseits einen Grundsatz festzulegen und um andererseits eine allgemeine Regelung für eine Vielzahl von nicht vorhersehbaren Konflikten zu schaffen. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit wird in einigen Vorschriften des BetrVG konkretisiert. Er bildet darüber hinaus jedoch eine eigenständige Anspruchsgrundlage - gerade für Fälle, die von den einzelnen Vorschriften des BetrVG nicht erfasst werden.
Dabei verkennt die Vorschrift nicht, dass Betriebsrat und Arbeitgeber unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Gegenteil setzt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit unterschiedliche Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat geradezu voraus. Das Gebot steht nicht im Widerspruch zur Verpflichtung des Betriebsrates, alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel im Interesse der von ihm vertretenen Mitarbeiter auszuschöpfen. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal formuliert:
Wenn Betriebsräte ihre Rechtsposition konsequent, extensiv und möglicherweise in Anlehnung an von den Gewerkschaften entwickelte Vorstellungen wahrnehmen, dann verstoßen sie weder gegen Verfassungsnormen, noch gegen Vorschriften des BetrVG. Dies hat der Arbeitgeber unabhängig davon hinzunehmen, ob es ihm aus seiner Sicht einen Vorteil bringt, oder sich gegen seine Interessen richtet. Die Vorschriften des BetrVG dienen gerade dazu, den vorgegebenen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der betrieblichen Interessenvertretung angemessen zum Ausgleich zu bringen. Sie berücksichtigen, daß der Arbeitgeber – ungeachtet der Organisationsform des Unternehmens – zur Wertschöpfung und zur Erreichung des Unternehmenszweckes der Mitwirkung der Arbeitnehmer bedarf.[10]
Friedenspflicht
Nach § 74 Abs. 2 BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber unzulässig. Streik und Aussperrung sind den Tarifparteien vorbehalten und dürfen nicht als Druckmittel für die Auseinandersetzung zwischen den Betriebsparteien verwendet werden. Selbstverständlich sind Arbeitgeber und Betriebsratsmitglieder im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in Arbeitgeberverband bzw. Gewerkschaft nicht daran gehindert, Arbeitskämpfe durchzuführen. Darüber hinaus kann der einzelne Arbeitgeber im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen Arbeitskampfmaßnahmen durchführen (vgl. § 2 Abs. 1 TVG). Dies betrifft jedoch ausschließlich Auseinandersetzungen über den Abschluss oder Inhalt von Tarifverträgen und nicht Auseinandersetzungen über innerbetriebliche Fragen.
Verbot der Beeinträchtigung von Arbeitsablauf oder Betriebsfrieden
Nach § 74 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat weiterhin Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden beeinträchtigt werden.
Nach § 119 BetrVG darf der Arbeitgeber die Wahl und die Arbeit des Betriebsrats nicht behindern. Er darf Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit weder bevorteilen noch benachteiligen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die mit dem Betriebsrat getroffenen Betriebsvereinbarungen im Betrieb umzusetzen.
Mitwirkungsrechte des Betriebsrats
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in verschiedenen Angelegenheiten Mitwirkungsrechte des Betriebsrats vor.
Was den Inhalt der Mitwirkungsrechte anbetrifft, kann grundsätzlich folgende Systematik festgestellt werden:
In sozialen Angelegenheiten (vgl. § 87 BetrVG), d.h. immer dann, wenn nicht unmittelbar die Art der Ausführung der Arbeit, sondern der Arbeitnehmer als Individuum betroffen ist, ist eine „starke“ Mitbestimmung vorgesehen. Der Betriebsrat steht in sozialen Entscheidungen auf einer Stufe mit dem Arbeitgeber, er kann Entscheidungen mitgestalten.
In personellen Angelegenheiten wie Einstellungen oder Kündigungen besitzt der Betriebsrat das Recht, die Zustimmung zu Maßnahmen zu verweigern (bei Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen oder Versetzungen) oder das Recht, zu widersprechen (bei Kündigungen). Eine Gestaltungsmöglichkeit ist hier nicht eröffnet.
In wirtschaftlichen Angelegenheiten ist der Betriebsrat auf ein Informationsrecht beschränkt, das regelmäßig vom Wirtschaftsausschuss wahrgenommen wird. Eine unmittelbare Einflussnahme auf wirtschaftliche Entscheidungen des Unternehmers ist dem Betriebsrat in rechtlicher Hinsicht versagt.
Was die Reichweite der Mitwirkungsrechte anbetrifft, kann grundsätzlich unterschieden werden zwischen
Informationsrechten, dem bloßen Recht des Betriebsrats, informiert zu werden;
Beratungsrechten, dem Recht des Betriebsrats, bestimmte Fragen mit dem Arbeitgeber zu erörtern;
dem Widerspruchsrecht, dem Recht des Betriebsrats einer beabsichtigten Kündigung zu widersprechen, ohne sie verhindern zu können;
Zustimmungsverweigerungsrechten bei personellen Maßnahmen
(echten) Mitbestimmungsrechten, dem Recht, Entscheidungen mitzugestalten.
Informationsrechte
Der Betriebsrat kann seine Rechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz nur sinnvoll wahrnehmen, wenn er umfassend informiert ist. Das Betriebsverfassungsgesetz stellt den Betriebsrat daher hinsichtlich seiner Kenntnisse über sämtliche betrieblichen Belange (bis auf wenige Ausnahmen) auf dieselbe Stufe wie den Arbeitgeber. Selbst Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind dem Betriebsrat mitzuteilen.
Für die Forderung nach Informationen durch den Betriebsrat ist auch kein konkreter Anlass erforderlich. Aus der generellen Regelung des Informationsrechts in § 80 Abs. 2 BetrVG ergibt sich vielmehr, dass dem Betriebsrat „jederzeit“, d.h. auch ohne konkreten Anlass, Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, sofern diese für eine ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit erforderlich sind.
Das Recht des Betriebsrats, die gewünschten Informationen zu erlangen, kann schließlich gerichtlich durchgesetzt werden. Verweigert der Arbeitgeber wiederholt die Weitergabe von Informationen, kann er dazu über § 23 Abs. 3 BetrVG gerichtlich gezwungen werden.
Darüber hinaus stellt die Verletzung der Informationspflicht durch den Arbeitgeber in bestimmten Fällen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 € geahndet werden kann, § 121 BetrVG.
Nachfolgend werden die wichtigsten Informationsrechte des Betriebsrats kurz dargestellt:
Einzelne Informationsrechte
Information Paragraph Inhalt
Arbeitnehmerdaten § 80 Abs. 2 BetrVG Der Betriebsrat hat das Recht, sämtliche Daten über die Arbeitnehmer des Betriebes vom Arbeitgeber zu erlangen, soweit diese dem Arbeitgeber vorliegen. Dazu zählen insbesondere Daten über Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Arbeitszeiten, Schwerbehinderung, Schwangerschaft oder Herkunft der Arbeitnehmer.
Arbeits- und Unfallschutz, Umweltschutz § 89 BetrVG,
§ 6 ArbSchG Der Betriebsrat ist über sämtliche Belange des Arbeits- und Unfallschutzes, sowie des betrieblichen Umweltschutzes zu unterrichten. Die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrates kann nur sinnvoll wahrgenommen werden, wenn der Betriebsrat zuvor umfassend unterrichtet wurde. Über Auflagen und Anordnungen der zuständigen Behörden hinsichtlich des Arbeitsschutzes, der Unfallverhütung und des betrieblichen Unfallschutzes ist der Betriebsrat zu informieren (§ 89 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Dem Betriebsrat ist die nach § 6 Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Dokumentation zugänglich zu machen[11]. Darüber hinaus haben vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder an den Besprechungen mit den Sicherheitsbeauftragten teilzunehmen. Dem Betriebsrat sind die Protokolle über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen auszuhändigen, sofern er an den entsprechenden Maßnahmen teilgenommen hat.
Arbeitsplatzgestaltung, Bauliche Veränderungen, Technische Anlagen § 90 Abs. 1 BetrVG,
§ 6 ArbSchG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung der Arbeitsplätze (hinsichtlich ihrer Ausgestaltung) zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG).
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über sämtliche Neu-, Um- oder Erweiterungsbauten im Betrieb schon bei der Planung zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung von technischen Anlagen zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen einschließlich der im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Dokumentation (Gefährdungsbeurteilung, Schutzmaßnahmen, Wirksamkeitskontrollen)[11] zur Verfügung zu stellen (§ 90 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG)
Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
ArbSchG,
insbes. § 3, § 5, § 6, § 7 Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen zu unterrichten und ihm die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
In Wahrnehmung seiner Pflicht, die Einhaltung von Schutzbestimmungen zu überwachen, kann der Betriebsrat auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes für Arbeitsverfahren und Projektplanungen Beurteilungen gesundheitlicher Gefährdungen verlangen sowie die Durchführung präventiver Maßnahmen und Wirksamkeitskontrollen zur Vermeidung körperlicher und psychischer Erkrankungen überwachen. Grundlage dafür können Betriebsvereinbarungen zum Arbeitsschutz sein.[11]
Behandlung von Beschwerden der Arbeitnehmer § 85 Abs. 3 BetrVG Hat sich ein Arbeitnehmer beim Betriebsrat beschwert und hat der Betriebsrat die Beschwerde für berechtigt erachtet und an den Arbeitgeber weitergeleitet, so muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Behandlung der Beschwerde unterrichten.
Berufsbildung § 96 Abs. 1 BetrVG; § 97 Abs. 1 BetrVG; § 98 Abs. 2 BetrVG Der Arbeitgeber muss auf Verlangen des Betriebsrats den Berufsbildungsbedarf der Arbeitnehmer im Betrieb ermitteln und dem Betriebsrat mitteilen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Darüber hinaus ist der Betriebsrat über die Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur Berufsbildung, über die Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen und die Teilnahme an außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen zu unterrichten (§ 97 Abs. 1 BetrVG). Ein Informationsrecht besteht auch hinsichtlich desjenigen, der die betriebliche oder außerbetriebliche Berufsbildung durchführen soll bzw. durchführt (§ 98 Abs. 2 BetrVG). Hierbei gilt, dass die Informationsrechte des Betriebsrates nicht auf die Berufsausbildung beschränkt sind, sondern sich auf jede Form betrieblicher Berufsbildung beziehen.
Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse § 80 Abs. 1 BetrVG; § 79 BetrVG Geheimhaltungspflichtige Informationen können dem Betriebsrat nicht unter Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht oder den Datenschutz vorenthalten werden, wie sich aus § 79 BetrVG ergibt: Aus der Tatsache heraus, dass der Betriebsrat zur Geheimhaltung verpflichtet wird, ist zu schließen, dass er grundsätzlich Anspruch auf derartige Informationen hat - soweit diese für die ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit erforderlich sind.
Betriebsänderungen § 111 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern über geplante Betriebsänderungen zu unterrichten. Betriebsänderungen bestehen beispielsweise in der Einschränkung oder Stilllegung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile, Betriebsverlegungen, Zusammenschlüssen oder Spaltungen des Betriebs, grundlegenden Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren
Bruttolohn- und Gehaltslisten § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG Der Betriebsrat hat das Recht, in die Bruttolohn- und Gehaltslisten Einblick zu nehmen (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Dieses Recht ist allerdings auf eine Einsichtnahme beschränkt. Der Betriebsrat hat kein Recht, diese Listen abschriftlich zu erhalten. Allerdings kann sich der Betriebsrat Notizen aus den Listen machen.
Einstellung, Eingruppierung § 99 Abs. 1 BetrVG Der Betriebsrat ist vorher über jede vom Arbeitgeber beabsichtigte Einstellung im Betrieb zu unterrichten. Ihm sind die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber sowie sämtliche Testergebnisse, Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen, Ergebnisse eines Assessment-Centers usw. vorzulegen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen der Einstellung auf andere Arbeitnehmer darlegen.
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat vor einer Einstellung auch die beabsichtigte Eingruppierung mitteilen. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat von jeder beabsichtigten Umgruppierung, d.h. der Veränderung der bisherigen tariflichen oder betrieblichen Eingruppierung eines Arbeitnehmers unterrichten. Auch über eine Einstellung oder personelle Veränderung eines leitenden Angestellten ist der Betriebsrat zu informieren (§ 105 BetrVG)
Kündigung § 102 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat vor jeder Kündigung zu informieren. Die Informationspflicht umfasst Angaben über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, sein Alter, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, seine Unterhaltspflichten, seine Schwerbehinderung, den Grund für die Kündigung, die Art der Kündigung, die geltende Kündigungsfrist.
Leiharbeitnehmer § 14 Abs. 3 AÜG Der Betriebsrat ist vor Übernahme eines Leiharbeiters zur Arbeitsleistung vom Verleiher nach § 99 BetrVG zu unterrichten und zu beteiligen. Darüber hinaus ist dem Betriebsrat das Bestehen und der Wegfall der Erlaubnis des Verleihers zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nachzuweisen.
Personalplanung § 92 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen und über Maßnahmen der Berufsbildung anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.
Soziale Angelegenheiten § 87 Abs. 1 BetrVG Im Rahmen des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle in § 87 Abs. 1 BetrVG geregelten Angelegenheiten so umfassend zu informieren, dass der Betriebsrat denselben Informationsstand erhält wie der Arbeitgeber.
Subunternehmer, Honorarkräfte, Werkunternehmer, freie Mitarbeiter § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Hinsichtlich der Beschäftigung von Personen oder Personengruppen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen hat der Betriebsrat ein Informationsrecht
Unfallverhütung, Arbeitsschutz § 9 Abs. 2 ArbSichG Die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben den Betriebsrat über wichtige Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu unterrichten. Darüber hinaus haben sie dem Betriebsrat den Inhalt eines Vorschlages für arbeitstechnische oder sicherheitstechnische Maßnahmen mitzuteilen, den sie dem Arbeitgeber machen.
Versetzung § 99 Abs. 1 BetrVG Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat vor jeder geplanten Versetzung eines Arbeitnehmers zu unterrichten. Dabei ist der Arbeitnehmer zu nennen sowie die Auswirkungen der Versetzung auf andere Arbeitnehmer darzulegen.
Vorläufige Personelle Maßnahme § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Führt der Arbeitgeber eine Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung vorläufig durch, hat er den Betriebsrat hierüber unverzüglich zu informieren.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Betriebsverfassung
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