Die Katholische Soziallehre
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Die Katholische Soziallehre
Die Katholische Soziallehre ist die Soziallehre der katholischen Kirche. Sie ist historisch eng mit dem päpstlichen Lehramt, insbesondere den Sozialenzykliken, verknüpft. Obwohl die Kirche seit ihren Anfängen zur sittlichen Gestaltung des sozialen Lebens Stellung bezog und in der Scholastik die naturrechtlichen Grundlagen ihres Menschen- und Gesellschaftsbildes entwickelte, ist ihre Soziallehre im engeren Sinne ein Produkt des 19. Jahrhunderts mit seinen sozialen Spannungen und den konkurrierenden Ideologien des Liberalismus und Sozialismus. Die katholische Soziallehre hat sich seit dem Aufkommen der sozialen Frage zunehmend zu einer theologischen Ethik gesellschaftlicher Strukturen entfaltet. Sie bezieht sich auf systemhafte soziale Zusammenhänge (soziale Gefüge, politische Organisationen, Institutionen, Verbände etc.), indem sie sie empirisch untersucht, theologisch-ethisch reflektiert und praktische Konsequenzen aus ihren Untersuchungen ableitet. [1] Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bemüht sich die katholische Soziallehre zudem verstärkt darum, sich von ihrer ursprünglichen Einbettung in die abendländisch-europäische Tradition zu lösen. [2]
Charakteristika
Der Begriff „katholische Soziallehre“ fasst alle Aussagen der Kirche über den gesamten Bereich des menschlichen Soziallebens zusammen. Ihr geht es darum, wie menschliches Zusammenleben „funktioniert“, von welchen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Faktoren es bestimmt wird und welche Mittel einzusetzen sind, um bestimmte Zielsetzungen zu erreichen. Ihr Gegenstandsbereich überschneidet sich damit mit dem verschiedener Sozialwissenschaften wie der Soziologie, Nationalökonomie, Geschichte und Politikwissenschaft. Sie reflektiert und diskutiert deren Ergebnisse, unterscheidet sich von ihnen aber darin, dass sie neben der Vernunfterkenntnis auch auf die „übernatürliche christliche Offenbarung“ als Erkenntnisquelle zurückgreift. Grundsätzlich geht die katholische Soziallehre davon aus, dass aufgrund dieser beiden Erkenntnisquellen der menschlichen Vernunft eine Einsicht in die „Ordnung der Dinge“ möglich ist. Es gebe einen Grundbestand von allgemein einsichtigen Strukturen, Sinngehalten und Werten, ohne den ein menschliches Zusammenleben nicht möglich wäre. [3]
Grundsätzlich betrachten die Vertreter der katholischen Soziallehre diese als ein „Gefüge von offenen Sätzen“, deren Ausgestaltung im Einzelnen einen weiten Ermessungsspielraum lasse. Daneben behauptet sie aber fortwährend gültige Prinzipien, die auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes beruhen wie das Personalitäts-, Gemeinwohl-, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip. Diese versteht sie zum einen als Seins-, das heißt in der Schöpfungsordnung grundgelegte Prinzipien, verstanden, zum anderen als Norm- oder Sollensprinzipien, die als Leitlinien für das soziale Zusammenleben zu dienen haben.
Träger der katholischen Soziallehre
Die Träger und Autoren der katholischen Soziallehre sind zunächst die kirchlichen Würdenträger (Päpste und Bischöfe), die Inhalt und Grenzen der Soziallehre bestimmen. Neben den kirchlichen Amtsträgern spielen für die katholische Gesellschaftslehre auch die theologischen Fachvertreter an Universitäten und Hochschulen eine wichtige Rolle. Die theologische Soziallehre entfaltete sich seit dem 19. Jahrhundert in langsamer Loslösung von der Moraltheologie als eigenes wissenschaftliches Fachgebiet. 1893 wurde in Münster der erste Lehrstuhl für „Christliche Gesellschaftslehre“ eingerichtet, der für lange Zeit der einzige in Deutschland blieb. Erst 1921 folgte die Katholisch-Theologische Fakultät in Bonn, danach die Jesuitenhochschulen in Pullach (1926), St. Georgen (1928) und Wien (1935). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ein allmählicher Wandel ab, der alle theologischen Fakultäten mit Professuren oder wenigstens einem Lehrangebot in christlicher Gesellschaftslehre ausstattete [4]. Die Ebenen des Lehramtes und der Wissenschaft sind eng mit einer dritten, der katholischen Sozialbewegung verbunden. Sie setzt sich aus kirchlichen Sozialverbänden wie der „Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung“, dem „Kolpingwerk“, dem „Caritasverband“, den „Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung“ oder dem „Bund Katholischer Unternehmer“ zusammen. In ihr findet die praktische Vermittlung der katholischen Soziallehre in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich hinein statt.
Entwicklung in der kirchlichen Verkündigung
Die Aussagen über die Gestaltung des sozialen Lebens entwickelten sich seit dem 19. Jahrhundert zu einem bedeutsamen und immer globaler werdenden Teil der kirchlichen Verkündigung. Während sich die Enzykliken Rerum novarum (1891) mit der Arbeiterfrage und Quadragesimo anno (1931) mit der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt vorwiegend im europäischen Kulturraum beschäftigten, ging es dem Rundschreiben Mater et magistra (1961) um aktuelle soziale Probleme und Pacem in terris (1963) um die Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen im weltweiten Maßstab. In Gaudium et spes (1965) des II. Vatikanischen Konzils bedachte die Kirche ihr Verhältnis zur „Welt von heute“, die Enzyklika Populorum progressio (1967) befasste sich mit der weltweiten Entwicklungsproblematik und das Rundschreiben Laborem exercens (1981) mit der zentralen Bedeutung der Arbeit. Sollicitudo rei socialis (1987) griff erneut die dringlicher werdende Dritte-Welt-Thematik auf, während die Jahrhundertenzyklika Centesimus annus (1991) nach dem Zusammenbruch des Sozialismus im Osten Europas die wirtschaftliche, soziale und politische Weltsituation — unter Rückgriff auf Rerum novarum — grundlegend sozialethisch beurteilte
Die Sozialprinzipien
Die Sozialprinzipien in der katholischen Soziallehre [5] werden verstanden als „strukturierungs-und verfahrensrelevante Grundsätze“ [6], die aber noch keine Handlungsanweisungen oder Normen für konkrete Situationen darstellen. Oswald von Nell-Breuning nennt sie daher „Baugesetze der Gesellschaft“. In der Tradition der katholischen Soziallehre haben sich drei grundlegende Sozialprinzipien herauskristallisiert: das Gemeinwohlprinzip, das Solidaritätsprinzip und das Subsidiaritätsprinzip. Sie beziehen sich auf „den Bereich des Institutionellen, auf die zu sozialen Strukturen, Ordnungen, Verhältnissen verfestigte soziale Interaktion“. [7]. Aufgrund der personorientierten Ausrichtung der Sozialprinzipien [8] wird von manchen Sozialethikern das „Personalitätsprinzip“ als übergreifendes erstes Sozialprinzip mit dazu genommen.
Gemeinwohlprinzip
Für die Katholische Soziallehre war das Prinzip des Gemeinwohls seit dem 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung. Seit dieser Zeit findet sich sowohl in der Sozialverkündigung der Kirche als auch bei verschiedenen Vertretern der Katholischen Soziallehre eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gemeinwohlbegriff, die sich inhaltlich vor allem der Ethik des Thomas von Aquin verpflichtet weiß. In den aktuellen Diskussionen wird dem Gemeinwohlbegriff eine geringere Bedeutung beigemessen und häufig nicht mehr als eigenständiges Prinzip genannt, sondern unter das Prinzip der Solidarität subsumiert. [9]
Grundsätzlich wird ein „exklusiver“ und ein „inklusiver“ Gemeinwohlbegriff voneinander unterschieden. In seiner klassischen Definition hat das Gemeinwohl eine instrumentelle Funktion. Es wird hier als „Dienstwert“ - vor allem für Strukturen, Institutionen und soziale Systeme - verstanden, dessen Realisierung die Voraussetzung dafür darstellt, dass der einzelne und einzelne Gruppen ihre Werte verwirklichen können. Dieser umfasst alle Mittel und Chancen, die in sozialer Kooperation bereitzustellen sind, damit „die einzelnen, die Familien und gesellschaftlichen Gruppen“ ihre eigenen Werte und Ziele „voller und schneller erreichen“ können. Im Unterschied dazu wird in einem „inklusiven“ Verständnis der Selbstwertcharakter des Gemeinwohls hervorgehoben. In diesem Verständnis wird Gesellschaft erst durch das Gemeinwohl begründet, indem es deren Ziel definiert. Es meint „das personale Wohl aller Gesellschaftsglieder, sofern es nur in sozialer Kooperation erstrebt werden kann“ [10].
Solidaritätsprinzip
Im Kontext der Katholischen Soziallehre gehört die Idee der Solidarität zu den zentralen sozialethischen Ordnungsprinzipien. Sie setzt philosophisch bei dem Person-Sein des Menschen und der daraus abgeleiteten wesensmäßigen Gleichheit aller Menschen an. Ein wesentlicher Bestandteil des Person-Seins sei seine soziale Dimension, die sich in der wechselseitigen Bezogenheit der Personen untereinander und auf die gesamte Gesellschaft dokumentiere. Daraus wurde klassisch auch die normative Forderung einer gegenseitigen Verpflichtung zur wechselseitigen Achtung der Menschenwürde abgeleitet.
Das Solidaritätsprinzip wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Pesch in seinem Entwurf des Solidarismus zum Mittelpunkt der Katholischen Soziallehre gemacht. Pesch griff damit den Ansatz französischer Sozialphilosophen und Politiker (u.a. Charles Gide) auf. Sein Anliegen war es, Gemeinwohl und Einzelwohl, Aufgaben und Grenzen staatlicher Interventionen zu einem Ausgleich zu bringen. [11]
Der Ansatz Peschs wurde später vor allem von Oswald von Nell-Breuning und Gustav Gundlach weiter vertieft.
Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip bestimmt das richtige Verhältnis zwischen den verschiedenen sozialen Einheiten. Seine grundsätzliche Intention ist es, den Individuen bzw. kleineren sozialen Einheiten die Regelung ihrer Verhältnisse nicht dauerhaft abzunehmen, sondern sie im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe in die Lage zu versetzen, diese selbst in die Hand zu nehmen. Die Formulierung des Subsidiaritätsprinzip als Sozialprinzip geht auf Gustav Gundlach zurück [12]. In der kirchlichen Sozialverkündigung wurde der Begriff erstmals 1931 von Papst Pius XI. in der Sozialenzyklika Quadragesimo anno verwendet.
Das Subsidiaritätsprinzip wird dabei häufig sowohl auf negative als auch auf positive Art und Weise formuliert. In negativer Formulierung fordert es für die größere soziale Einheit die Nicht-Einmischung gegenüber kleineren sozialen Gruppen, die ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstbestimmt regeln können sollen. Beschränkende Eingriffe durch die größeren Einheiten, insbesondere des Staates, in die Freiheit der kleineren Einheiten bzw. der Individuen sollen abgewehrt werden. Die Erstkompetenz solle demjenigen eingeräumt werden, der an der Lösung einer sozialen Aufgabe unmittelbar ist; so liege etwa die Erziehungsverantwortung primär bei den Eltern, die Verantwortung für die Wirtschaft beim privaten Unternehmertum, wobei der Staat nur die Rahmenordnung festlegen soll[13].
In positiver Formulierung fordert das Subsidiaritätsprinzip die Individuen bzw. kleineren sozialen Einheiten aktiv in die Lage zu versetzen, ihrer Verhältnisse auch selbst regeln zu können. Wo deren Kräfte zur befriedigenden Regelung der eigenen Angelegenheiten nicht ausreichen, sollen die jeweils größeren gesellschaftlichen Einheiten – in vielen Fällen letztlich der Staat – zur Hilfestellung und Förderung angehalten werden.
Siehe auch
Christliche Soziallehre#Katholische Soziallehre
Quelle
Charakteristika
Der Begriff „katholische Soziallehre“ fasst alle Aussagen der Kirche über den gesamten Bereich des menschlichen Soziallebens zusammen. Ihr geht es darum, wie menschliches Zusammenleben „funktioniert“, von welchen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Faktoren es bestimmt wird und welche Mittel einzusetzen sind, um bestimmte Zielsetzungen zu erreichen. Ihr Gegenstandsbereich überschneidet sich damit mit dem verschiedener Sozialwissenschaften wie der Soziologie, Nationalökonomie, Geschichte und Politikwissenschaft. Sie reflektiert und diskutiert deren Ergebnisse, unterscheidet sich von ihnen aber darin, dass sie neben der Vernunfterkenntnis auch auf die „übernatürliche christliche Offenbarung“ als Erkenntnisquelle zurückgreift. Grundsätzlich geht die katholische Soziallehre davon aus, dass aufgrund dieser beiden Erkenntnisquellen der menschlichen Vernunft eine Einsicht in die „Ordnung der Dinge“ möglich ist. Es gebe einen Grundbestand von allgemein einsichtigen Strukturen, Sinngehalten und Werten, ohne den ein menschliches Zusammenleben nicht möglich wäre. [3]
Grundsätzlich betrachten die Vertreter der katholischen Soziallehre diese als ein „Gefüge von offenen Sätzen“, deren Ausgestaltung im Einzelnen einen weiten Ermessungsspielraum lasse. Daneben behauptet sie aber fortwährend gültige Prinzipien, die auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes beruhen wie das Personalitäts-, Gemeinwohl-, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip. Diese versteht sie zum einen als Seins-, das heißt in der Schöpfungsordnung grundgelegte Prinzipien, verstanden, zum anderen als Norm- oder Sollensprinzipien, die als Leitlinien für das soziale Zusammenleben zu dienen haben.
Träger der katholischen Soziallehre
Die Träger und Autoren der katholischen Soziallehre sind zunächst die kirchlichen Würdenträger (Päpste und Bischöfe), die Inhalt und Grenzen der Soziallehre bestimmen. Neben den kirchlichen Amtsträgern spielen für die katholische Gesellschaftslehre auch die theologischen Fachvertreter an Universitäten und Hochschulen eine wichtige Rolle. Die theologische Soziallehre entfaltete sich seit dem 19. Jahrhundert in langsamer Loslösung von der Moraltheologie als eigenes wissenschaftliches Fachgebiet. 1893 wurde in Münster der erste Lehrstuhl für „Christliche Gesellschaftslehre“ eingerichtet, der für lange Zeit der einzige in Deutschland blieb. Erst 1921 folgte die Katholisch-Theologische Fakultät in Bonn, danach die Jesuitenhochschulen in Pullach (1926), St. Georgen (1928) und Wien (1935). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ein allmählicher Wandel ab, der alle theologischen Fakultäten mit Professuren oder wenigstens einem Lehrangebot in christlicher Gesellschaftslehre ausstattete [4]. Die Ebenen des Lehramtes und der Wissenschaft sind eng mit einer dritten, der katholischen Sozialbewegung verbunden. Sie setzt sich aus kirchlichen Sozialverbänden wie der „Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung“, dem „Kolpingwerk“, dem „Caritasverband“, den „Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung“ oder dem „Bund Katholischer Unternehmer“ zusammen. In ihr findet die praktische Vermittlung der katholischen Soziallehre in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich hinein statt.
Entwicklung in der kirchlichen Verkündigung
Die Aussagen über die Gestaltung des sozialen Lebens entwickelten sich seit dem 19. Jahrhundert zu einem bedeutsamen und immer globaler werdenden Teil der kirchlichen Verkündigung. Während sich die Enzykliken Rerum novarum (1891) mit der Arbeiterfrage und Quadragesimo anno (1931) mit der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt vorwiegend im europäischen Kulturraum beschäftigten, ging es dem Rundschreiben Mater et magistra (1961) um aktuelle soziale Probleme und Pacem in terris (1963) um die Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen im weltweiten Maßstab. In Gaudium et spes (1965) des II. Vatikanischen Konzils bedachte die Kirche ihr Verhältnis zur „Welt von heute“, die Enzyklika Populorum progressio (1967) befasste sich mit der weltweiten Entwicklungsproblematik und das Rundschreiben Laborem exercens (1981) mit der zentralen Bedeutung der Arbeit. Sollicitudo rei socialis (1987) griff erneut die dringlicher werdende Dritte-Welt-Thematik auf, während die Jahrhundertenzyklika Centesimus annus (1991) nach dem Zusammenbruch des Sozialismus im Osten Europas die wirtschaftliche, soziale und politische Weltsituation — unter Rückgriff auf Rerum novarum — grundlegend sozialethisch beurteilte
Die Sozialprinzipien
Die Sozialprinzipien in der katholischen Soziallehre [5] werden verstanden als „strukturierungs-und verfahrensrelevante Grundsätze“ [6], die aber noch keine Handlungsanweisungen oder Normen für konkrete Situationen darstellen. Oswald von Nell-Breuning nennt sie daher „Baugesetze der Gesellschaft“. In der Tradition der katholischen Soziallehre haben sich drei grundlegende Sozialprinzipien herauskristallisiert: das Gemeinwohlprinzip, das Solidaritätsprinzip und das Subsidiaritätsprinzip. Sie beziehen sich auf „den Bereich des Institutionellen, auf die zu sozialen Strukturen, Ordnungen, Verhältnissen verfestigte soziale Interaktion“. [7]. Aufgrund der personorientierten Ausrichtung der Sozialprinzipien [8] wird von manchen Sozialethikern das „Personalitätsprinzip“ als übergreifendes erstes Sozialprinzip mit dazu genommen.
Gemeinwohlprinzip
Für die Katholische Soziallehre war das Prinzip des Gemeinwohls seit dem 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung. Seit dieser Zeit findet sich sowohl in der Sozialverkündigung der Kirche als auch bei verschiedenen Vertretern der Katholischen Soziallehre eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gemeinwohlbegriff, die sich inhaltlich vor allem der Ethik des Thomas von Aquin verpflichtet weiß. In den aktuellen Diskussionen wird dem Gemeinwohlbegriff eine geringere Bedeutung beigemessen und häufig nicht mehr als eigenständiges Prinzip genannt, sondern unter das Prinzip der Solidarität subsumiert. [9]
Grundsätzlich wird ein „exklusiver“ und ein „inklusiver“ Gemeinwohlbegriff voneinander unterschieden. In seiner klassischen Definition hat das Gemeinwohl eine instrumentelle Funktion. Es wird hier als „Dienstwert“ - vor allem für Strukturen, Institutionen und soziale Systeme - verstanden, dessen Realisierung die Voraussetzung dafür darstellt, dass der einzelne und einzelne Gruppen ihre Werte verwirklichen können. Dieser umfasst alle Mittel und Chancen, die in sozialer Kooperation bereitzustellen sind, damit „die einzelnen, die Familien und gesellschaftlichen Gruppen“ ihre eigenen Werte und Ziele „voller und schneller erreichen“ können. Im Unterschied dazu wird in einem „inklusiven“ Verständnis der Selbstwertcharakter des Gemeinwohls hervorgehoben. In diesem Verständnis wird Gesellschaft erst durch das Gemeinwohl begründet, indem es deren Ziel definiert. Es meint „das personale Wohl aller Gesellschaftsglieder, sofern es nur in sozialer Kooperation erstrebt werden kann“ [10].
Solidaritätsprinzip
Im Kontext der Katholischen Soziallehre gehört die Idee der Solidarität zu den zentralen sozialethischen Ordnungsprinzipien. Sie setzt philosophisch bei dem Person-Sein des Menschen und der daraus abgeleiteten wesensmäßigen Gleichheit aller Menschen an. Ein wesentlicher Bestandteil des Person-Seins sei seine soziale Dimension, die sich in der wechselseitigen Bezogenheit der Personen untereinander und auf die gesamte Gesellschaft dokumentiere. Daraus wurde klassisch auch die normative Forderung einer gegenseitigen Verpflichtung zur wechselseitigen Achtung der Menschenwürde abgeleitet.
Das Solidaritätsprinzip wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Pesch in seinem Entwurf des Solidarismus zum Mittelpunkt der Katholischen Soziallehre gemacht. Pesch griff damit den Ansatz französischer Sozialphilosophen und Politiker (u.a. Charles Gide) auf. Sein Anliegen war es, Gemeinwohl und Einzelwohl, Aufgaben und Grenzen staatlicher Interventionen zu einem Ausgleich zu bringen. [11]
Der Ansatz Peschs wurde später vor allem von Oswald von Nell-Breuning und Gustav Gundlach weiter vertieft.
Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip bestimmt das richtige Verhältnis zwischen den verschiedenen sozialen Einheiten. Seine grundsätzliche Intention ist es, den Individuen bzw. kleineren sozialen Einheiten die Regelung ihrer Verhältnisse nicht dauerhaft abzunehmen, sondern sie im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe in die Lage zu versetzen, diese selbst in die Hand zu nehmen. Die Formulierung des Subsidiaritätsprinzip als Sozialprinzip geht auf Gustav Gundlach zurück [12]. In der kirchlichen Sozialverkündigung wurde der Begriff erstmals 1931 von Papst Pius XI. in der Sozialenzyklika Quadragesimo anno verwendet.
Das Subsidiaritätsprinzip wird dabei häufig sowohl auf negative als auch auf positive Art und Weise formuliert. In negativer Formulierung fordert es für die größere soziale Einheit die Nicht-Einmischung gegenüber kleineren sozialen Gruppen, die ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstbestimmt regeln können sollen. Beschränkende Eingriffe durch die größeren Einheiten, insbesondere des Staates, in die Freiheit der kleineren Einheiten bzw. der Individuen sollen abgewehrt werden. Die Erstkompetenz solle demjenigen eingeräumt werden, der an der Lösung einer sozialen Aufgabe unmittelbar ist; so liege etwa die Erziehungsverantwortung primär bei den Eltern, die Verantwortung für die Wirtschaft beim privaten Unternehmertum, wobei der Staat nur die Rahmenordnung festlegen soll[13].
In positiver Formulierung fordert das Subsidiaritätsprinzip die Individuen bzw. kleineren sozialen Einheiten aktiv in die Lage zu versetzen, ihrer Verhältnisse auch selbst regeln zu können. Wo deren Kräfte zur befriedigenden Regelung der eigenen Angelegenheiten nicht ausreichen, sollen die jeweils größeren gesellschaftlichen Einheiten – in vielen Fällen letztlich der Staat – zur Hilfestellung und Förderung angehalten werden.
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