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Alkohol in der DDR - Jungs, macht die Kehle frei!

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Alkohol in der DDR - Jungs, macht die Kehle frei! Empty Alkohol in der DDR - Jungs, macht die Kehle frei!

Beitrag  checker Mi Apr 13, 2011 8:20 am

Warum wurde in der DDR so extrem viel Alkohol konsumiert? Der Ethnologe Thomas Kochan sucht in seinem Buch "Blauer Würger" eine Erklärung für den Durst der Ostler - und widerspricht dem gängigen Klischee.

Alkohol in der DDR - Jungs, macht die Kehle frei! Image-200521-panoV9-mbia

Die Ostler haben gesoffen, was das Zeug hielt, vor allem Schnäpse mit lustigen Namen: Goldbrand, Klosterbruder, Blauer Würger, Samba, Klarer Juwel oder Lunikoff. Die eingesperrten DDR-Bürger haben sich ihr tristes Leben schön getrunken. Die Staatssicherheit hat für volle Schnapsregale gesorgt, um das Volk ruhig zu stellen. Die Trinkgewohnheiten des großen Bruders Sowjetunion haben ihr übriges getan. Soweit die Klischees über den Alkoholkonsum in der DDR.

Sicher ist: In kaum einem anderen Land wurde so viel getrunken wie im ersten Arbeiter- und Bauernstaat. Beim Verbrauch von Hochprozentigem übertrumpfte der Osten den Westen. Lag 1955 der Verbrauch bei 4,4 Liter Weinbrand, Klarem und Likör pro Kopf, waren es 1988 sagenhafte 16,1 Liter. Das entspricht 23 Flaschen. International ging die DDR vor Ungarn und Polen 1987 in Führung. Hätte es also nicht heißen müssen: Blauer Bürger statt "Blauer Würger"?

Alkohol, ein stets willkommenes Präsent

Nein, sagt der Ethnologe und Historiker Thomas Kochan, Jahrgang 1968 und aufgewachsen in einem Elternhaus in Cottbus, in dem wenig, aber genussvoll getrunken wurde. Kochan hat eine Dissertation geschrieben, die jetzt als Buch vorliegt und im Aufbau Verlag erschienen ist. "Blauer Würger - So trank die DDR". Über vier Jahre hat sich Kochan, ausgestattet mit einem Stipendium der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, durch Archive gewühlt, Verordnungen, Gesetze und Erlasse gelesen, mit Zeitzeugen gesprochen. "Die DDR-Gesellschaft war nicht alkoholisiert", lautet sein Fazit. Kochan spricht von einer "alkoholkonzentrierten" Gesellschaft, in der Alkohol Genuss,- Stärkungs- und Tauschmittel war, und immer ein willkommenes Präsent. Alles, was darüber hinaus gehe, sei "Legende".

Kochan räumt ein, dass er am Anfang auch Klischees im Kopf gehabt habe. Doch seine Untersuchungen haben ergeben: "Die Ostdeutschen hatten einen naiven und offenen Umgang mit Alkohol." Dafür führt er eine Reihe von skurrilen Beispielen an. In der populärwissenschaftlichen Fernsehsendung "AHA" befragte eine Reporterin Vorschulkinder, ob sie schon einmal Schnaps getrunken hätten. Ein halbes Dutzend Kinder hebt den Arm. "Ich trinke immer Eierlikör." "Ich auch." "Ich habe auch schon mal Eierlikör getrunken."

Schlank mit der Bockwurst-Wodka-Diät

Zur Eröffnung des Nationalen Jugendfestivals im Sommer 1979 in Ostberlin schmetterte ein Singklub eines Stahl- und Walzwerkes ein Hohelied auf den Alkohol, während die Politprominenz auf den Tribünen saß. "Komm' auf ein Bier herein", hieß das Stück mit Liedzeilen wie "Jungs, macht die Kehle frei!" In einer juristischen Ratgebersendung wurde 1987 eine Szene nachgestellt, in der 13-jährige Jungs ein Mädchen zum Schnapskaufen schicken. "Wie schreibt man Kirsch-Whisky?", fragt einer, um eine Vollmacht der Eltern zu fälschen. Da erwidert ein anderer: "Schreib doch einfach Kiwi. Das kennt jeder."

Ein Vater aus Weimar monierte Anfang 1989 in einer Eingabe, dass Mitarbeiter der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut in den 9. Klassen mit dem vergünstigten Erwerb von Deputatschnaps für 1,12 Mark die Flasche geworben haben. Eine Zeitzeugin aus der Oberlausitz erzählte Kochan von einer Bockwurst-Wodka-Diät. Morgens ein kleines Glas Schnaps, mittags ein großes und dazu eine Bockwurst, am Abend wieder ein kleines Glas Wodka.

Nach der Dissertation den eigenen Schnapsladen eröffnet

Sein Doktorvater habe ihm gesagt, dass eine Doktorarbeit prägend für das Leben sei. Wie recht er damit hatte, weiß Kochan jetzt. Im Februar 2009 beendete er seine Dissertation, im März dieses Jahres eröffnete er ein Schnapsgeschäft. Es heißt "Schnapskultur" und liegt wenige Meter hinter der Immanuelkirche in Berlin-Prenzlauer Berg. In dem kleinen Laden mit Regalen bis unter die Decke und einem gekreuzigten Jesus an der Wand stellte Kochan am Donnerstagabend sein Buch vor. Doch statt 40-prozentigem Kristall-Wodka "Blauer Würger" bot er Tresterbrand und Kirschwasser an. Für ihn ist die Kulturgeschichte des Alkohols "ein Glücksgriff". Sie versöhne "die oft als Gegensatz verstandenen, letztlich aber komplementären Ansichten der DDR".

Doch DDR-Schnäpse kommen ihm nicht ins Regal. "Ich bin ein Missionar für die Schnapskultur", sagt Kochan, "und ein Anwalt für den genussvollen Schluck am Abend". Er ist klar und nüchtern, wie die DDR-Oberen ihre Bürger gerne gehabt hätten. Kochan, der schon über Hippies, Bluesfans und Tramper in der DDR und ihre "Trinkeskapaden" geforscht und publiziert hat, hegt eine Leidenschaft für gebrannte Getränke - von hoher Qualität, nachhaltig hergestellt, von Obstbauern und Brennern, die er persönlich kennt. Den "Blauen Würger" hat er erst im Zuge seiner Recherchen probiert. Er ist für ihn ein Getränk "von zweifelhafter Herkunft".

Keine Beweise für den Kummertöter

Kochan widerspricht dem Vorurteil, dass die Umstände in der DDR die Menschen zur Flasche haben greifen lassen. "Nirgends ist von einer Trinkkultur, in der der Alkohol primär als Sorgenbrecher und Kummertöter diente, die Rede", schreibt er. Für das Trinken aus Verzweiflung hätten sich "partout keine Beweise finden" lassen - weder in den Archiven des SED-Zentralkomitees noch in den Unterlagen des Gesundheitsministeriums, des Leipziger Instituts für Marktforschung, des Ministeriums für Staatssicherheit, des Deutschen Hygiene-Museums oder den staatsferneren Akten der Evangelischen Kirche mit ihrer Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren. Die Ostdeutschen hätten in der Mehrzahl lange Zeit keinen Grund zur Flucht aus der Realität gesehen. Was beispielsweise für Soldaten der NVA, die in Kasernen eingesperrt waren und wie die Weltmeister becherten, galt, musste nicht für den Rest der Republik gelten.

Engpässe in der DDR-Schnapsindustrie gab es höchstens bei Glasflaschen, Verpackungskarton, Kakao oder Eiern. Bis Anfang der siebziger Jahre war der durchschnittliche Schnapskonsum in der Bundesrepublik höher als im Osten, gibt der Autor weiter zu bedenken, dahinter habe auch niemand eine Flucht vor der Wirklichkeit vermutet. So lautet sein Fazit: "Ursächlich waren die Erfahrung einer konkurrenzarmen Kollektivgesellschaft, ein wenig gefördertes Leistungsdenken, gemeinschaftliche Verantwortungsfreiheit, existentielle Sorglosigkeit und das Leben in einer räumlich begrenzten, dafür an Zeit umso reicheren Welt."

Kampf den finsteren Bierkneipen!

Der laxe Umgang mit Alkohol stand freilich völlig konträr zur offiziellen Linie von Staatsführung und Partei, die das Bild einer "nüchternen DDR" propagierten. In den Fünfziger Jahren wurde unter dem Staatsratsvorsitzenden und sächselndem Abstinenzler Walter Ulbricht den dunklen Bierkneipen der Kampf angesagt. Als Alternativen wurden Speiserestaurants, Milchbars, Klubgaststätten und das "kulturvolle" Glas Wein propagiert, allerhand Alkoholgesetze wurden erlassen, ergänzt und verschärft. Ab den sechziger Jahren wurden die Überlegungen eines kompletten Alkoholverbotes ad acta gelegt. Stattdessen lautete die Frage: Welche Getränke entsprechen dem sozialistischen Leben?

Lange Zeit wurde das Alkoholproblem verharmlost. Oppositionelle Gruppen forderten Anfang 1989 die Aufstellung unabhängiger Kandidaten bei den Kommunalwahlen, die sich dafür einsetzen sollten, dass der allgemeine Alkoholismus angegangen werde. Das Politbüro erließ im Sommer 1989 die "Richtlinie über Aufgaben des Gesundheits- und Sozialwesens zur Verhütung und Bekämpfung der Alkoholkrankheit" mit einem landesweiten Betreuungsnetz. Als die DDR begann, sich aufzulösen, spielte der Alkohol keine Rolle. "In diesen Wochen legten die Ostdeutschen das alkoholzentrierte System sang- und klanglos ad acta", schreibt Kochan. "Das war revolutionär."

Erst als die Grenzen geöffnet wurden, knallten die Sektkorken. Auch die Währungsunion und Wiedervereinigung waren feuchtfröhliche Anlässe. Dann war die hohe Zeit des Suffs im Osten unwiederbringlich vorüber: "Nie wieder spielte Alkohol eine derart prominente Rolle wie in der DDR, höchstens in ihren Erinnerungen."

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