Die „Judenzählung“
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Die „Judenzählung“
Die „Judenzählung“ (auch: „Judenstatistik“; amtlicher Titel: „Nachweisung der beim Heere befindlichen wehrpflichtigen Juden“)[1] zum Stichtag 1. November 1916 war eine staatlich angeordnete statistische Erhebung betreffend den Anteil der Juden an allen Soldaten des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg. Sie sollte auch die Zahlen der kriegstauglichen, an der Front dienenden, verlegten, unabkömmlich gemeldeten, zurückgestellten und gefallenen jüdischen Wehrpflichtigen ermitteln.
Adolf Wild von Hohenborn
Der Erlass des preußischen Kriegsministers Adolf Wild von Hohenborn vom 11. Oktober 1916 reagierte auf den im deutschen Offizierskorps verbreiteten Antisemitismus und die von antisemitischen Verbänden, Parteien und Medien damals verstärkte Propaganda, Juden seien „Drückeberger“, die sich dem Waffendienst an der Front mit allen möglichen Ausreden entzögen und davon unverhältnismäßig oft befreit würden.
Die Ergebnisse der Erhebung wurden bis Kriegsende geheim gehalten. Das verstärkte die Ressentiments gegen jüdische Kriegsteilnehmer erheblich. Erlass und Geheimhaltung seines Resultats galten den Betroffenen und Kritikern des Regierungskurses als Diskriminierung der jüdischen Minderheit, Parteinahme für die Antisemiten und Scheitern aller liberalen Integrationsbemühungen im Kaiserreich mit weitreichenden Folgen.
1922 ergab eine genaue Untersuchung, dass mit 17,3 Prozent anteilig ebenso viele deutsche Juden wie Nichtjuden zum Kriegsdienst eingezogen worden waren, obwohl aus Alters- und Berufsgründen nur 15,6 Prozent der Juden wehrpflichtig gewesen waren. 77 Prozent von ihnen hatten an Fronteinsätzen teilgenommen. Sie stellten damit proportional fast ebenso viele Frontsoldaten wie die Nichtjuden.[2]
Vorgeschichte
Kriegsbeginn
Die nationalistische Begeisterung in großen Teilen der deutschen Bevölkerung beim „Augusterlebnis“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs sollte auch die sozialen, konfessionellen, parteilichen und regionalen Gegensätze mildern oder vergessen machen. So verkündete Kaiser Wilhelm II. in seiner Rede im Reichstag aus Anlass der einstimmigen Zustimmung der SPD zum Burgfrieden:[3]
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“
Auszug deutscher Soldaten aus ihrer Garnison, August 1914
Der Krieg erschien vielen jüdischen Deutschen des Kaiserreichs als Chance, ihren Patriotismus zu beweisen. Daher riefen jüdische Verbände wie der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ihre Mitglieder 1914 geschlossen zum Kriegsdienst auf. Zur Mobilisierung erschienen vielfältige Flugblätter und Aufrufe, z. B. schrieb die Jüdische Rundschau:[4]
„Wir deutschen Juden kennen trotz aller Anfeindungen in den Zeiten des Friedens heute keinen Unterschied gegenüber anderen Deutschen. Brüderlich stehen wir mit allen im Kampfe zusammen.“
Etwa 100.000 deutsche Juden wurden zum Soldatendienst eingezogen, davon meldeten sich über 10.000 freiwillig zum Dienst an der Front. Nun konnten sie zum ersten Mal in der preußischen Armee auch in den Offiziersrang befördert werden. Viele wollten sich bis zur Judenzählung, manche auch noch danach[5] durch besondere Tapferkeit auszeichnen und so die unter nichtjüdischen Soldaten und Offizieren verbreitete Ablehnung überwinden. Viele nichtjüdische Deutsche sahen ihre Teilnahme am Krieg nun als „Bewährungsprobe“ und setzten die Juden einem dauernden Loyalitätsdruck aus.[6]
Erstes Kriegsjahr
Der Antisemitismus trat in den ersten Kriegswochen scheinbar zurück, zumal antisemitische Propaganda nun verboten wurde und der staatlichen Zensur unterlag. Man erwartete einen schnellen Sieg über die Entente-Staaten. Doch schon Ende August 1914 verlangte der zwar aus wenigen Mitgliedern, darunter aber vielen Führungskräften großer Interessenverbände zusammengesetzte[7] antisemitische Reichshammerbund in einem internen Rundbrief, man solle „Kriegsermittlungen“ über die aktive Teilnahme von Juden am Kriegsdienst und in Einrichtungen der „öffentlichen Mildtätigkeit“ anstellen. Das sollte Zweifel an der Vaterlandsliebe der deutschen Juden wecken und ihnen durch die Kriegslage entstandene Alltagsnöte anlasten. Der Alldeutsche Verband unterstützte diese Kampagne.[8] Sein stellvertretender Vorsitzender, Konstantin von Gebsattel, erklärte die als „Lösung der Judenfrage“ bezeichnete Ausgrenzung und Vertreibung der deutschen Juden im Dezember 1914 zu einem „deutschen Kriegsziel“.[9]
Nach dem ersten Kriegswinter war die Hoffnung auf den schnellen Sieg geschwunden. Die Kriegsopfer nahmen in den Schützengräben des erstarrten Stellungskriegs im Westen ständig zu. Die britische Seeblockade verhinderte die Einfuhr kriegswichtiger Rohstoffe aus den neutralen Ländern und führte in Deutschland zu schweren Versorgungsengpässen. Daraufhin wurde im Kriegsministerium eine neue Kriegsrohstoffabteilung zur Versorgung der Armee gegründet, deren Leitung Walther Rathenau erhielt. Auf Initiative des Hamburger Reeders Albert Ballin, des Hamburger Bankiers Max Warburg und seines Generalbevollmächtigten Carl Melchior wurde die Zentral-Einkaufsgesellschaft gegründet, die über ein Netz nationaler Kriegsgesellschaften ausländische Lebensmittel, Rohstoffe und Proviant importieren sollte. Die genannten vier Personen waren jüdischer Abstammung, und etwa zehn Prozent dieser Neugründungen wurden von Juden geführt, da sie sich aufgrund traditioneller Berufssparten häufiger als andere Deutsche im großstädtischen Handel konzentrierten.[10]
Im Frühjahr 1915 begann auch der antisemitische Bund der Landwirte öffentlich gegen „jüdische Zersetzung“ und „jüdische Flaumacherei“ zu agitieren.[11] Angesichts der zunehmenden Hetze gründeten einige Verbände deutscher Juden, darunter der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der Verein zur Abwehr des Antisemitismus und das Kartell Jüdischer Verbindungen, einen „Ausschuss für Kriegsstatistik“. Dieser sammelte mit einem einheitlichen Formular durch Gemeinde- und Hausbesuche Daten zu den Einberufungen, Berufen, Alter und Herkunftsorten jüdischer Soldaten in fast allen jüdischen Gemeinden Deutschlands. Vorsitzender war Heinrich Silbergleit, Direktor des Statistischen Amts der Stadt Berlin, wissenschaftlicher Leiter war Jacob Segall.[12]
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenz%C3%A4hlung
Adolf Wild von Hohenborn
Der Erlass des preußischen Kriegsministers Adolf Wild von Hohenborn vom 11. Oktober 1916 reagierte auf den im deutschen Offizierskorps verbreiteten Antisemitismus und die von antisemitischen Verbänden, Parteien und Medien damals verstärkte Propaganda, Juden seien „Drückeberger“, die sich dem Waffendienst an der Front mit allen möglichen Ausreden entzögen und davon unverhältnismäßig oft befreit würden.
Die Ergebnisse der Erhebung wurden bis Kriegsende geheim gehalten. Das verstärkte die Ressentiments gegen jüdische Kriegsteilnehmer erheblich. Erlass und Geheimhaltung seines Resultats galten den Betroffenen und Kritikern des Regierungskurses als Diskriminierung der jüdischen Minderheit, Parteinahme für die Antisemiten und Scheitern aller liberalen Integrationsbemühungen im Kaiserreich mit weitreichenden Folgen.
1922 ergab eine genaue Untersuchung, dass mit 17,3 Prozent anteilig ebenso viele deutsche Juden wie Nichtjuden zum Kriegsdienst eingezogen worden waren, obwohl aus Alters- und Berufsgründen nur 15,6 Prozent der Juden wehrpflichtig gewesen waren. 77 Prozent von ihnen hatten an Fronteinsätzen teilgenommen. Sie stellten damit proportional fast ebenso viele Frontsoldaten wie die Nichtjuden.[2]
Vorgeschichte
Kriegsbeginn
Die nationalistische Begeisterung in großen Teilen der deutschen Bevölkerung beim „Augusterlebnis“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs sollte auch die sozialen, konfessionellen, parteilichen und regionalen Gegensätze mildern oder vergessen machen. So verkündete Kaiser Wilhelm II. in seiner Rede im Reichstag aus Anlass der einstimmigen Zustimmung der SPD zum Burgfrieden:[3]
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“
Auszug deutscher Soldaten aus ihrer Garnison, August 1914
Der Krieg erschien vielen jüdischen Deutschen des Kaiserreichs als Chance, ihren Patriotismus zu beweisen. Daher riefen jüdische Verbände wie der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ihre Mitglieder 1914 geschlossen zum Kriegsdienst auf. Zur Mobilisierung erschienen vielfältige Flugblätter und Aufrufe, z. B. schrieb die Jüdische Rundschau:[4]
„Wir deutschen Juden kennen trotz aller Anfeindungen in den Zeiten des Friedens heute keinen Unterschied gegenüber anderen Deutschen. Brüderlich stehen wir mit allen im Kampfe zusammen.“
Etwa 100.000 deutsche Juden wurden zum Soldatendienst eingezogen, davon meldeten sich über 10.000 freiwillig zum Dienst an der Front. Nun konnten sie zum ersten Mal in der preußischen Armee auch in den Offiziersrang befördert werden. Viele wollten sich bis zur Judenzählung, manche auch noch danach[5] durch besondere Tapferkeit auszeichnen und so die unter nichtjüdischen Soldaten und Offizieren verbreitete Ablehnung überwinden. Viele nichtjüdische Deutsche sahen ihre Teilnahme am Krieg nun als „Bewährungsprobe“ und setzten die Juden einem dauernden Loyalitätsdruck aus.[6]
Erstes Kriegsjahr
Der Antisemitismus trat in den ersten Kriegswochen scheinbar zurück, zumal antisemitische Propaganda nun verboten wurde und der staatlichen Zensur unterlag. Man erwartete einen schnellen Sieg über die Entente-Staaten. Doch schon Ende August 1914 verlangte der zwar aus wenigen Mitgliedern, darunter aber vielen Führungskräften großer Interessenverbände zusammengesetzte[7] antisemitische Reichshammerbund in einem internen Rundbrief, man solle „Kriegsermittlungen“ über die aktive Teilnahme von Juden am Kriegsdienst und in Einrichtungen der „öffentlichen Mildtätigkeit“ anstellen. Das sollte Zweifel an der Vaterlandsliebe der deutschen Juden wecken und ihnen durch die Kriegslage entstandene Alltagsnöte anlasten. Der Alldeutsche Verband unterstützte diese Kampagne.[8] Sein stellvertretender Vorsitzender, Konstantin von Gebsattel, erklärte die als „Lösung der Judenfrage“ bezeichnete Ausgrenzung und Vertreibung der deutschen Juden im Dezember 1914 zu einem „deutschen Kriegsziel“.[9]
Nach dem ersten Kriegswinter war die Hoffnung auf den schnellen Sieg geschwunden. Die Kriegsopfer nahmen in den Schützengräben des erstarrten Stellungskriegs im Westen ständig zu. Die britische Seeblockade verhinderte die Einfuhr kriegswichtiger Rohstoffe aus den neutralen Ländern und führte in Deutschland zu schweren Versorgungsengpässen. Daraufhin wurde im Kriegsministerium eine neue Kriegsrohstoffabteilung zur Versorgung der Armee gegründet, deren Leitung Walther Rathenau erhielt. Auf Initiative des Hamburger Reeders Albert Ballin, des Hamburger Bankiers Max Warburg und seines Generalbevollmächtigten Carl Melchior wurde die Zentral-Einkaufsgesellschaft gegründet, die über ein Netz nationaler Kriegsgesellschaften ausländische Lebensmittel, Rohstoffe und Proviant importieren sollte. Die genannten vier Personen waren jüdischer Abstammung, und etwa zehn Prozent dieser Neugründungen wurden von Juden geführt, da sie sich aufgrund traditioneller Berufssparten häufiger als andere Deutsche im großstädtischen Handel konzentrierten.[10]
Im Frühjahr 1915 begann auch der antisemitische Bund der Landwirte öffentlich gegen „jüdische Zersetzung“ und „jüdische Flaumacherei“ zu agitieren.[11] Angesichts der zunehmenden Hetze gründeten einige Verbände deutscher Juden, darunter der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der Verein zur Abwehr des Antisemitismus und das Kartell Jüdischer Verbindungen, einen „Ausschuss für Kriegsstatistik“. Dieser sammelte mit einem einheitlichen Formular durch Gemeinde- und Hausbesuche Daten zu den Einberufungen, Berufen, Alter und Herkunftsorten jüdischer Soldaten in fast allen jüdischen Gemeinden Deutschlands. Vorsitzender war Heinrich Silbergleit, Direktor des Statistischen Amts der Stadt Berlin, wissenschaftlicher Leiter war Jacob Segall.[12]
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenz%C3%A4hlung
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