Der Synkretismus
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Der Synkretismus
Synkretismus ist in erster Linie die Synthese religiöser Ideen oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild. Voraussetzung ist, dass sich diese Ideen oder Philosophien zuvor als inhaltlich voneinander unterschieden abgegrenzt haben und dass sie als religiös-philosophische Teilaspekte auf einen Absolutheitsanspruch verzichten. Synkretismus nimmt vielmehr die Aspekte unterschiedlicher Religionen mehr oder weniger bewusst auf und formt sie zu etwas Neuem. Neben so entstandenen synkretistischen Religionen kommt es in volksreligiösen Kulten zu Formen von Synkretismus.
Darstellung des synkretistischen Heiligen Maximón im Hochland von Guatemala
In ethnologischen Zusammenhängen mit dem Kulturwandel wird der Begriff Synkretismus bisweilen auch für die Verschmelzung anderer Kulturelemente zu neuen Formen verwendet.
Synkretismus darf nicht verwechselt werden mit der Herrschaftsform bzw. Staatsverfassung der Synkratie.
Ursprung
Jedes Denk- und Glaubenssystem bewegt sich zwischen den Extremen Dogmatismus und Veränderung. Neue Denk- und Glaubensvorstellungen entstehen durch allmähliche Abnutzung der alten bzw. der Entstehung von äußeren oder inneren Feindbildern oder aber infolge von plötzlich hereinbrechenden Naturkatastrophen, Migrationsbewegungen, militärischen Eroberungen, naturwissenschaftlichen Erkenntnissen etc. Von großer Bedeutung ist auch der Volksglaube, der durch Kontakte mit der Außenwelt einem beständigen Wandel unterliegt.
Verbreitung und Charakteristik
Positionen in der heutigen Religionswissenschaft betrachten ein gewisses Maß an Synkretismus als weit verbreitetes Phänomen, da dies eine naheliegende Folge des Umgangs mit Fremdheit oder Neuem ist. Diesem Vorgang wird daher umgangssprachlich oft eine gewisse „Natürlichkeit“ unterstellt. Aber sogar innerhalb einer Konfession treten praktisch Widersprüche und Ansichtsströmungen auf. Dieser Vorgang widerspricht jedoch dogmatischen Vorstellungen, die im Laufe der Zeit in manchen Religionsorganisationen (z. B. Kirchen) wachsen und einer Beliebigkeit entgegenwirken sollen. Monotheistische Religionen grenzen sich von synkretistischen Tendenzen in der Regel stärker ab als Religionen, deren innere Struktur ohnehin einen gewissen Pluralismus aufweist. Erkenntnistheoretisch ist weder ein synkretistisches noch ein dogmatisches System naheliegender.
Der Buddhismus[1] beispielsweise ist offen für andere Lehren. Er verneint allerdings kategorisch die Existenz einer Seele (atma) und die Existenz einer Persönlichkeit (pudgala).[2] Insbesondere in Japan, Vietnam und China ist es üblich, nicht einer Religion „anzugehören“, sondern verschiedene Religionen und Lehren (Buddhismus, Daoismus, Konfuzianismus, Shintō) nach eigener Vorstellung zu mischen (vgl. Shinbutsu-Shūgō, Japanische Götter, Drei Lehren, Quanzhen-Daoismus). Auch werden deren Heiligtümer abwechselnd verehrt.
Durch die aggressive, eurozentrische Missionierung im Zeitalter der Kolonisierung kam es bei nahezu allen indigenen Völkern weltweit zur Vermischung von ethnischen und christlichen Glaubensinhalten und Praktiken. Der amerikanische Anthropologe Melville J. Herskovits bezeichnete die vordergründige Übernahme der katholischen Heiligenverehrung durch afrikanische Sklaven in Amerika und der Karibik als „synkretistische Kulte“, die in Wirklichkeit dazu genutzt wurden, die afrikanische Spiritualität zu tarnen.[3] Aus dieser Verbindung entstanden die afroamerikanischen Religionen Candomblé, Macumba, María-Lionza, Obeah, Rastafari, Santería, Umbanda und Voodoo.
Synkretistische Kulte bilden sich häufig um die Verehrung eines Heiligen durch Mitglieder von zwei oder mehreren Religionsgemeinschaften. In Indien haben synkretistische Praktiken von Hindus und Muslimen eine lange, religiös fundierte Tradition, für welche besonders die Philosophie Kabirs (1440–1518) steht. Der aus einer Familie von Webern stammende und als Muslim erzogene Mystiker sprach sich für die Universalität der Religionen aus, deren einziger Unterschied letztlich der Name Gottes sei. Kabirs mystische Erfahrung und Gottesliebe beeinflusste die Bhakti-Bewegung und den Sikhismus. Zahlreiche heilige Stätten in Indien werden von Hindus und Muslimen verehrt.[4] In Bengalen befolgen die Baul eine von religiösen Ritualen geprägte Lebensweise, die auf sufischen und hinduistischen Glaubenselementen basiert. Am Mausoleum des religiösen Dichters Manomohan Datta (1877–1909) im Distrikt Brahmanbaria im Osten von Bangladesch bringen Hindus und Muslime gleichermaßen Opfergaben dar und pflegen tägliche, wöchentliche und jährliche Rituale. Für Manomohan, der den Koran rezitierte, aber sich nicht als Muslim bezeichnete, war Religion universal und der Weg, um die letzte Wahrheit zu finden.[5]
In Marokko gibt es eine religionsübergreifende Heiligenverehrung. Muslime verehren auch die Grabmale jüdischer Heiliger, die als gemeinsames religiöses Erbe wertgeschätzt werden.[6] Beim auf eine schwarzafrikanische Tradition zurückgehenden, religiösen Derdeba-Ritual in Marokko können Muslime und Juden mitwirken.
Abgrenzung zur Assimilation
Die heidnischen Kulte in den synkretistischen Glaubenswelten wurden häufig uminterpretiert. Hier ist der Begriff des Synkretismus nicht mehr ganz zutreffend und geht in Assimilation über. Die Uminterpretationen der religiösen Formen missionierter Völker erlaubten nicht die gleichzeitige (adäquate) Verehrung der vormals verehrten Götter, sondern nur die Praktizierung der traditionellen Riten unter neuer, christlicher Vorgabe.
Sonderform Neuheidentum (Wicca)
Eine moderne Bewegung in Europa, die vielfach synkretische Züge annimmt, ist Wicca als eine Hauptströmung des Neuheidentums, die Neo-Keltismus mit den Philosophien der mystisch-magischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts verbindet. Über Wicca wird u. a. auch eine Brücke zu Thelema und Theosophie geschaffen, deren Ziel es war, eine neue Religion aufzubauen. Bei Wicca sind römisch-katholische Elemente auszumachen, wie etwa die Übernahme der kirchlichen apostolischen Sukzession.
Synkretismus und Ketzerei
Synkretistische Ideen waren in der Vergangenheit oft der Ausgangspunkt für als ketzerisch bezeichnete Glaubensvorstellungen der Gnostiker, Katharer etc. und wurden nach einer zwischenzeitlichen Phase einer beobachtenden Toleranz verfolgt. Manchmal bewegten sie sich am Rand der offiziellen Lehrmeinung ohne deren Kernaussagen in Frage zu stellen, so dass sie von der Amtskirche geduldet, teilweise sogar integriert wurden (Heiligenverehrung, Lichterkulte, agrarische und jahreszeitliche Bräuche etc.).
Siehe auch
Akkommodation
Inkulturation
Quelle
Darstellung des synkretistischen Heiligen Maximón im Hochland von Guatemala
In ethnologischen Zusammenhängen mit dem Kulturwandel wird der Begriff Synkretismus bisweilen auch für die Verschmelzung anderer Kulturelemente zu neuen Formen verwendet.
Synkretismus darf nicht verwechselt werden mit der Herrschaftsform bzw. Staatsverfassung der Synkratie.
Ursprung
Jedes Denk- und Glaubenssystem bewegt sich zwischen den Extremen Dogmatismus und Veränderung. Neue Denk- und Glaubensvorstellungen entstehen durch allmähliche Abnutzung der alten bzw. der Entstehung von äußeren oder inneren Feindbildern oder aber infolge von plötzlich hereinbrechenden Naturkatastrophen, Migrationsbewegungen, militärischen Eroberungen, naturwissenschaftlichen Erkenntnissen etc. Von großer Bedeutung ist auch der Volksglaube, der durch Kontakte mit der Außenwelt einem beständigen Wandel unterliegt.
Verbreitung und Charakteristik
Positionen in der heutigen Religionswissenschaft betrachten ein gewisses Maß an Synkretismus als weit verbreitetes Phänomen, da dies eine naheliegende Folge des Umgangs mit Fremdheit oder Neuem ist. Diesem Vorgang wird daher umgangssprachlich oft eine gewisse „Natürlichkeit“ unterstellt. Aber sogar innerhalb einer Konfession treten praktisch Widersprüche und Ansichtsströmungen auf. Dieser Vorgang widerspricht jedoch dogmatischen Vorstellungen, die im Laufe der Zeit in manchen Religionsorganisationen (z. B. Kirchen) wachsen und einer Beliebigkeit entgegenwirken sollen. Monotheistische Religionen grenzen sich von synkretistischen Tendenzen in der Regel stärker ab als Religionen, deren innere Struktur ohnehin einen gewissen Pluralismus aufweist. Erkenntnistheoretisch ist weder ein synkretistisches noch ein dogmatisches System naheliegender.
Der Buddhismus[1] beispielsweise ist offen für andere Lehren. Er verneint allerdings kategorisch die Existenz einer Seele (atma) und die Existenz einer Persönlichkeit (pudgala).[2] Insbesondere in Japan, Vietnam und China ist es üblich, nicht einer Religion „anzugehören“, sondern verschiedene Religionen und Lehren (Buddhismus, Daoismus, Konfuzianismus, Shintō) nach eigener Vorstellung zu mischen (vgl. Shinbutsu-Shūgō, Japanische Götter, Drei Lehren, Quanzhen-Daoismus). Auch werden deren Heiligtümer abwechselnd verehrt.
Durch die aggressive, eurozentrische Missionierung im Zeitalter der Kolonisierung kam es bei nahezu allen indigenen Völkern weltweit zur Vermischung von ethnischen und christlichen Glaubensinhalten und Praktiken. Der amerikanische Anthropologe Melville J. Herskovits bezeichnete die vordergründige Übernahme der katholischen Heiligenverehrung durch afrikanische Sklaven in Amerika und der Karibik als „synkretistische Kulte“, die in Wirklichkeit dazu genutzt wurden, die afrikanische Spiritualität zu tarnen.[3] Aus dieser Verbindung entstanden die afroamerikanischen Religionen Candomblé, Macumba, María-Lionza, Obeah, Rastafari, Santería, Umbanda und Voodoo.
Synkretistische Kulte bilden sich häufig um die Verehrung eines Heiligen durch Mitglieder von zwei oder mehreren Religionsgemeinschaften. In Indien haben synkretistische Praktiken von Hindus und Muslimen eine lange, religiös fundierte Tradition, für welche besonders die Philosophie Kabirs (1440–1518) steht. Der aus einer Familie von Webern stammende und als Muslim erzogene Mystiker sprach sich für die Universalität der Religionen aus, deren einziger Unterschied letztlich der Name Gottes sei. Kabirs mystische Erfahrung und Gottesliebe beeinflusste die Bhakti-Bewegung und den Sikhismus. Zahlreiche heilige Stätten in Indien werden von Hindus und Muslimen verehrt.[4] In Bengalen befolgen die Baul eine von religiösen Ritualen geprägte Lebensweise, die auf sufischen und hinduistischen Glaubenselementen basiert. Am Mausoleum des religiösen Dichters Manomohan Datta (1877–1909) im Distrikt Brahmanbaria im Osten von Bangladesch bringen Hindus und Muslime gleichermaßen Opfergaben dar und pflegen tägliche, wöchentliche und jährliche Rituale. Für Manomohan, der den Koran rezitierte, aber sich nicht als Muslim bezeichnete, war Religion universal und der Weg, um die letzte Wahrheit zu finden.[5]
In Marokko gibt es eine religionsübergreifende Heiligenverehrung. Muslime verehren auch die Grabmale jüdischer Heiliger, die als gemeinsames religiöses Erbe wertgeschätzt werden.[6] Beim auf eine schwarzafrikanische Tradition zurückgehenden, religiösen Derdeba-Ritual in Marokko können Muslime und Juden mitwirken.
Abgrenzung zur Assimilation
Die heidnischen Kulte in den synkretistischen Glaubenswelten wurden häufig uminterpretiert. Hier ist der Begriff des Synkretismus nicht mehr ganz zutreffend und geht in Assimilation über. Die Uminterpretationen der religiösen Formen missionierter Völker erlaubten nicht die gleichzeitige (adäquate) Verehrung der vormals verehrten Götter, sondern nur die Praktizierung der traditionellen Riten unter neuer, christlicher Vorgabe.
Sonderform Neuheidentum (Wicca)
Eine moderne Bewegung in Europa, die vielfach synkretische Züge annimmt, ist Wicca als eine Hauptströmung des Neuheidentums, die Neo-Keltismus mit den Philosophien der mystisch-magischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts verbindet. Über Wicca wird u. a. auch eine Brücke zu Thelema und Theosophie geschaffen, deren Ziel es war, eine neue Religion aufzubauen. Bei Wicca sind römisch-katholische Elemente auszumachen, wie etwa die Übernahme der kirchlichen apostolischen Sukzession.
Synkretismus und Ketzerei
Synkretistische Ideen waren in der Vergangenheit oft der Ausgangspunkt für als ketzerisch bezeichnete Glaubensvorstellungen der Gnostiker, Katharer etc. und wurden nach einer zwischenzeitlichen Phase einer beobachtenden Toleranz verfolgt. Manchmal bewegten sie sich am Rand der offiziellen Lehrmeinung ohne deren Kernaussagen in Frage zu stellen, so dass sie von der Amtskirche geduldet, teilweise sogar integriert wurden (Heiligenverehrung, Lichterkulte, agrarische und jahreszeitliche Bräuche etc.).
Siehe auch
Akkommodation
Inkulturation
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