Das Naturrecht
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Das Naturrecht
Der Begriff Naturrecht (lateinisch ius naturae oder jus naturae, aus ius ‚Recht‘ und natura ‚Natur‘; bzw. natürliches Recht, lat. ius naturale oder jus naturale, aus naturalis ‚natürlich‘, „von Natur entstanden“) oder überpositives Recht ist eine Bezeichnung für universell gültiges Recht, das rechtsphilosophisch, moralphilosophisch oder theologisch begründet wird. Von diesen Vorstellungen abgeleitet dient es dem gesetzten (manchmal auch gesatzten) oder positiven Recht als höchstrangige Rechtsquelle zur Legitimierung. Der Rechtspositivismus vertritt dagegen die Auffassung, dass verfassungsmäßig zustande gekommenes Recht keine höhere Begründung braucht.
Die säkularen rechtsphilosophischen Ausprägungen des Naturrechts, die nicht aus religiösen Grundwerten hergeleitet sind, sondern von der Erkennbarkeit durch menschliche Vernunft, werden als Vernunftrecht bezeichnet.
Begriff
Dem Begriff des Naturrechts kann die Überzeugung zugrunde liegen, dass „die Normen des menschlichen Zusammenlebens durch die Natur des Menschen begründet werden können und müssen.“[1] Dieses umfasst sowohl unstrittige Rechtsgrundlagen (Prämissen) in der Tradition antiker Philosophen wie Heraklit, den Sophisten, Aristoteles und Platon, die aus einer Idee einer objektiven oder absoluten Wahrheit herstammen, als auch die Vorstellung, jeder Mensch sei „von Natur aus“ (also nicht durch Konvention) mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet – unabhängig von Geschlecht, Alter, Ort, Staatszugehörigkeit oder der Zeit und der Staatsform, in der er lebt. Insoweit ist die Naturrechtsidee eng verbunden mit der Idee der Menschenrechte. Die Naturrechte werden demnach als vor- und überstaatliche „ewige“ Rechte angesehen.
Daneben gibt es eine Auffassung von Naturrecht als „Recht des Stärkeren“. Unter der Voraussetzung der Gemeinnützigkeit bedeutete dies, dass gleiche Rechte den Sieg der besseren Leistung über angestammte Berechtigungen ermöglichen sollten. Im Sozialdarwinismus und Faschismus hat sich daraus allerdings ein paradoxes „angestammtes Recht der besseren Leistung“ ergeben – ähnlich wie zuvor beim Gottesgnadentum die „von Gottes Gnaden erwirkte“ Legitimation der nicht anzutastenden Monarchenposition aufgefasst worden war.
Die Berufung auf überpositives Recht geht davon aus, dass bestimmte Rechtssätze unabhängig von der konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsordnung „schlechthin“ Geltung beanspruchen und somit durch einen positiven Akt der Rechtsetzung weder geschaffen werden müssen noch außer Kraft gesetzt werden können. Fragestellungen des Naturrechts haben sich von alters her auf Aspekte konzentriert, mit denen sich sowohl Rechtsphilosophie als auch Philosophie und Theologie befassen. Das Naturrecht als wesentliches Teilgebiet der Rechtsphilosophie bildet eine der Grundlagen der Rechtswissenschaft.
Ferner ist das Naturrecht als Maßstab und Korrektiv des positiven Rechts zu verstehen. Diese Auffassung vertritt auch die römisch-katholische Kirche.
Ursprung und geschichtliche Entwicklung
Die Idee der Naturrechte (in beiden Ausprägungen) reicht bis in die griechische Antike zurück und gewann mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert politische Bedeutung. Sie befand sich nur teilweise in Opposition zum christlich-mittelalterlichen Verständnis der Gnade, demgemäß Eigenschaften wie Leben oder Freiheit durch gnädige Autoritäten wie Gott oder den Fürsten persönlich und willkürlich verliehen seien, ohne dass ein Recht darauf bestehe. Dennoch war die Naturrechtslehre im Mittelalter bei Philosophen wie Thomas von Aquin stark ausgeprägt, da die durch die Autoritäten verliehenen Eigenschaften nicht zur Disposition eines Nichtberechtigten gestellt wurden.
Griechische und Römische Antike
Die Wurzeln der Naturrechtslehren reichen zurück bis in die griechische Antike. Im sechsten vorchristlichen Jahrhundert entwickelten Ionier, die in Milet und den Hafenstädten am Westrand Kleinasiens lebten, die ionische Naturphilosophie. Diese Naturphilosophie verstand Natur (physis) als ursprünglich und von absoluter, ewiger innerer Gesetzmäßigkeit. Sie stellte sie dem menschlichen Gesetz gegenüber, dessen Gültigkeit nur auf Konventionen beruhe.
Lykurgs Gesetze, der Sage nach der Gründer Spartas, sollen von Apollon inspiriert gewesen sein. Es war üblich, dass Gesetzgeber sich an das Orakel von Delphi wandten, um von ihm die Genehmigung für ihre Pläne zu erbitten. Diese religiöse Grundlage der Gesetzgebung geriet ins Wanken, als die Sophisten sich der Naturphilosophie zuwandten und gegenüber dem Glauben an den göttlichen Ursprung der Gesetze einen respektlosen Skeptizismus entwickelten.[2] Ein Teil der Sophisten übernahm die Vorstellung von der inneren Gesetzmäßigkeit der Natur und betrachtete aber auch die physische Wesensart des Menschen als von Natur gegeben. Gesetze stellten immer nur die Schwachen und die Menge auf. Dem Gesetz der Natur zu folgen bedeute, dass der Stärkere über den Schwächeren herrsche. Das Recht des Stärkeren sei naturgemäß. Anders urteilte der Sophist Protagoras aus Abdera, von dem der bekannte Satz stammt: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Eine absolute Wahrheit gebe es nicht, auch keine objektive, sondern nur eine subjektive. Protagoras hatte im Jahr 443 v. Chr. an einer Verfassung für die athenische Pflanzstadt Thurioi in Süditalien mitgearbeitet und als erster die Theorie vom Ursprung der Gesetze aufgestellt, die unter dem Begriff eines Gesellschaftsvertrages bekannt wurde. Protagoras wurde der Gottlosigkeit angeklagt und aus Athen verbannt, seine Bücher vernichtet.[3] Platon relativierte diese tiefgreifende positivistische Sichtweise des Protagoras. Seinem gleichnamigen Dialog stellte er eine Einleitung voran, die den Mythos wiedergibt, nach dem das Gewissen und der Sinn für Gerechtigkeit auf Zeus’ Befehl an die Menschen ausgeteilt worden seien.[2]
Der zeitgleich mit Protagoras lebende antike Schriftsteller Sophokles thematisierte in seiner Tragödie Antigone das Verhältnis von durch Menschen erlassenen staatlichen Gesetzen, die auch Unrecht sein können, und göttlichen Gesetzen: Gegen das Gesetz des Herrschers, alle Staatsfeinde bei Todesstrafe unbestattet den Vögeln zum Frass zu überlassen, begräbt Antigone ihren Bruder, der beim Angriff auf Theben gefallen war, um die Gebote der Götter der Unterwelt zu erfüllen.
Die nach Platon und Aristoteles einsetzende stoische Philosophie sah den Begriff der Natur in einer Einheit mit dem ewigen Weltgesetz, „lex aeterna“, das auch gleichzeitig „lex naturalis“ sei, das Gesetz der Natur. Am „logos“, der Vernunft des Weltgesetzes, habe der Mensch über seine eigene Natur teil, und auf dieser vernünftigen Natur des Menschen beruhe das Naturrecht. Diese Vorstellung liegt auch dem römischen Staats- und Rechtsdenken zu Grunde. Es gebe eine höchste Vernunft, die in allen Menschen lebendig ist, mit der Natur übereinstimmend, unabänderlich und ewig. Dieser Vernunft zu gehorchen sei das einzige Gesetz, dem alle Menschen zu folgen haben.
Gegen Platons Ideenlehre wandte sich auch Epikur in seinem 33. Hauptlehrsatz der Kyriai doxa:
„Gerechtigkeit an sich hat es nie gegeben. Alles Recht beruhte vielmehr stets nur auf einer Übereinkunft zwischen Menschen …“
; allein maßgeblich sei der Nutzen des Rechts, wie er im 37. Hauptlehrsatz aussagte:[4]
„Was innerhalb einer bestehenden Gemeinschaft anerkanntermaßen den wechselseitigen Bedürfnissen nützlich ist, das hat Anspruch, an Rechtes Statt zu gelten, einerlei, ob sich daraus für alle das gleiche Recht ergibt oder nicht.“
Sowohl die Kritik an der unterschiedlichen Behandlung der Menschen durch positive Gesetze wie auch Kritik an der Entwicklung der Gesetze überhaupt zum Vorteil der Schwachen ist in der Antike belegt (Platons Gorgias und Kritias oder Ciceros De legibus[5]).
„Legum denique idcirco omnes servi sumus ut liberi esse possimus.“
„Schließlich sind wir alle Diener der Gesetze deswegen, um frei sein zu können.“
– Cicero: Pro Cluentio 53, 146.
Augustinus bezeichnet die von Ewigkeit her bestehende Schöpfungsordnung der Welt als lex aeterna. Davon sei die lex naturalis ein Abdruck in der menschlichen „ratio“, der Vernunft. Die Schöpfungsordnung existiere in der Vernunft oder im Willen Gottes. In seinem Werk Vom Gottesstaat setzt er sich am Beispiel der Stadt Rom mit Ciceros Frage auseinander, ob der Staat möglicherweise ungerecht sein müsse. Was sich auf Unrecht der Menschen gründe, dürfe nicht Recht genannt oder für Recht gehalten werden.[6][7]
„Die wahre Gerechtigkeit herrscht nur in dem Gemeinwesen, dessen Gründer und Leiter Christus ist“
– De Civitate Dei, 2. Buch, Kapitel 21
Diese in der Spätantike entwickelte Vorstellung vom Schöpfergott als Urheber der Weltordnung trat im christlichen Mittelalter an die Stelle der antiken Vorstellung von unpersönlichen Weltgesetzen.
Mittelalter
Zum philosophischen Grundproblem des Mittelalters wurde die Frage, ob in der lex aeterna die Vernunft oder der göttliche Willen den Vorrang habe. Eine erste einflussreiche Synthese der beiden Ursprünge der lex aeterna versuchte Thomas von Aquin.
In der scholastischen Moraltheologie und im Zeitalter der Aufklärung erlangten Naturrechtslehren erneut Bedeutung.
Beginnende Neuzeit und Aufklärung
Die Renaissance wandte sich wieder der antiken Geisteswelt zu. Humanismus wurde die neue Bewegung genannt, die das Ideal einer an der Antike orientierten, rein „menschlichen“ (humanen), mithin nicht theologischen Bildung aufstellte. Nach Reformation und Gegenreformation, war die mittelalterliche Verbindung der Gerechtigkeitsfrage mit der Theologie nicht mehr selbstverständlich. Es begann nun eine Suche nach überkonfessionellen Standpunkten, die statt der christlichen Theologie ein Fundament der Gerechtigkeit bilden könnten. Schon bei Wilhelm von Ockham finden sich die „iura naturalia“, die Naturrechte auf Leben, Freiheit und Eigentum, wenn er auch noch als einzigen Grund für die Gerechtigkeit den Willen Gottes ansieht. Die Rechtsphilosophie der Aufklärung versuchte nun, diese Rechte als vernunftnotwendig abzuleiten.
Besonders einflussreich in der Ausformung eines „liberal“ bestimmten Naturrechtsgedankens waren hier die frühen Vordenker der Aufklärung. Hugo Grotius, ein protestantischer Jurist und Theologe, lebte in der Hafenstadt Rotterdam in Holland, das mit seinen Schiffen die Weltmeere befuhr und ein großes Interesse am Schutz seines Handels vor kriegerischen und räuberischen Übergriffen hatte. In der Konkurrenz zur portugiesischen, spanischen und englischen Handelsschifffahrt ging es als Wichtigstes um die Frage, ob es ein natürliches Recht auf freie Schifffahrt im Meer gebe. Dieses Recht durfte nicht von einem Staat gesetzt oder wieder aufgehoben werden können, es musste über den Staaten stehen und alle Staaten binden. Außerdem durfte dieses Recht „keinen Unterschied der Konfessionen kennen“, es musste sogar für nichtchristliche Konfessionen gelten, schließlich beschränkte sich der Handel nicht auf christliche Länder. Deswegen suchte Grotius das Recht in der Natur des Menschen, der vernunftgemäß eine „friedliche und einsichtig geordnete Gemeinschaft mit seinesgleichen“ anstrebe. Zum so verstandenen Naturrecht zählte Grotius, „daß man fremdes Gut respektiert und es zurückerstattet, wenn man es besitzt oder genommen hat, ferner die Pflicht, gegebene Versprechen zu erfüllen, sodann die Wiedergutmachung eines schuldhaft verursachten Schadens und die Vergeltung durch Strafe“. Zentraler Grundsatz des natürlichen Rechts sei die obligatio ex consensu (Verpflichtung aus Willensübereinstimmung) und die allgemeine Verpflichtung, Verträge einzuhalten.[8][9]
Grotius und Samuel von Pufendorf[10] lösten das Naturrecht von der religiös-theologischen Basis des sogenannten göttlichen Rechts und sahen es als konstantes Wertesystem, das über Gesellschaftsmodelle hinausgeht und von ihnen unabhängig ist. Allerdings stimmt für Pufendorf das Naturrecht „mit der christlichen Offenbarung überein, da beide ihren Ursprung in Gott haben.“[11] Zu nennen ist in rechtspolitischer Hinsicht besonders John Locke, auf den sich die US-amerikanischen Gründerväter und insbesondere Thomas Jefferson bei der Formulierung der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung stark bezogen.
Die Naturrechtsphilosophen Grotius, Pufendorf und Locke – alle drei waren Protestanten – entgingen der Vieldeutigkeit des Naturrechts, indem sie es mit der biblischen Offenbarung gleichsetzten. Ihrer Ansicht nach gingen Offenbarung und Naturrecht auf denselben Urheber, Gott, zurück.[12] Sie nahmen in ihren Schriften, die sich mit politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, immer wieder Bezug auf das Alte und das Neue Testament. Insbesondere aus den Schöpfungsgeschichten (1. Mose 1 und 2), dem Dekalog (Zehn Gebote, 2. Mose 20), dem Verhalten und der Lehre Jesu (Barmherziger Samariter Luk. 10, 30–37, Liebesgebot Matth. 5, 44; 19, 19, Goldene Regel Matth 7, 12 u. a.) und den paulinischen Briefen gewannen sie zentrale Punkte ihrer politischen Theorien.[13] Der Dekalog stellt unter anderem Leben, Eigentum und guten Ruf des Menschen, also seine Ehre und Würde, unter göttlichen Schutz. Der Vorspruch (2. Mose 20, 2) weist auf die Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei hin. Gottes Befreiungstat geht den Forderungen voraus und begründet sie. Locke leitete die Gleichheit der Menschen, einschließlich der Gleichheit von Mann und Frau, nicht aus philosophisch-säkularen Prämissen ab, sondern aus 1. Mose 1, 27 f., der Grundlage der theologischen Imago-Dei-Lehre. Das Gleichheitsprinzip ist unabdingbare Grundlage jeder rechtsstaatlichen Demokratie. Sie begründet die Freiheits- und Teilhaberechte jedes Einzelnen. Aus ihr folgte für Locke, dass eine Regierung Macht nur mit der Zustimmung der Regierten ausüben darf.[14] Das Recht auf Leben, (rechtliche) Gleichheit, Freiheit, Würde und Eigentum – damit waren zentrale Begriffe der Naturrechtslehren von Grotius, Pufendorf und Locke sowie anderer Gelehrten der Aufklärung benannt und mit biblischem Gehalt gefüllt.
Moderne
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Europa das Naturrecht stark verdrängt von der historischen Schule, die geschichtlich gewachsene Rechtstraditionen und Gewohnheitsrecht als Quelle eines jeden Rechtssystems sah und die Differenz zum Rechtspositivismus einebnete. Hier ist als Vertreter vor allem Friedrich Carl von Savigny zu nennen.
In der Französischen Revolution wurde die biblisch-theologische Verankerung des Naturrechts durch die Lehre vom „gemeinsamen Nutzen“ (utilité commune) ersetzt. Dadurch wurden die „Bürger- und Menschenrechte“ manipulierbar. Die jeweils an der Macht befindliche Gruppe der Revolutionäre bestimmte, was der „gemeinsame Nutzen“ war und schickte ihre politischen Gegner auf die Guillotine. Vor allem aus diesem Grund kritisierte z. B. Jakob Grimm im Frankfurter Parlament 1848 die französische Haltung und forderte die Rückkehr zu „den religiösen Grundlagen der Bruderschaft und Freiheit aller Menschen“ (Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849). Damit berief er sich auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776), die die unveräußerlichen Menschenrechte, zu denen „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“[15] gehören, theologisch begründete: Sie sind den Menschen von ihrem „Schöpfer“ (Creator) verliehen worden.
Dieser vernunftbezogene Ansatz, der zum Begriff des Vernunftrechtes führt, prägt beispielsweise die österreichische Rechtsschule.[16] So heißt es in § 16 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) ausdrücklich:[17] „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte …“ (Text aus der Erstfassung 1812).[18] In der Folge ergibt sich in § 17 eine zentrale Rechtsaussage:[18] „Was den angebornen natürlichen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend angenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird“, das heißt, wo keine explizite rechtliche Regelung vorhanden ist, bildet bei Persönlichkeitsrechten das „Vernünftige“ die Basis des Rechtmäßigen. Diese zentrale Aussage stellt Naturrecht also prinzipiell vor positives Recht: „Naturrecht gilt, solange es nicht beschränkt wird.“[19] Das setzt voraus, dass der Bürger ein natürliches Empfinden hat respektive haben sollte, ob sein Handeln noch im Rahmen des Angemessenen ist. Entsprechendes gilt für die Justiz:[19] „Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.“ (§ 7 ABGB). Diese Rechtsgrundlagen implizieren, dass das positive Recht nur als spezielles Regelwerk vor einem Hintergrund eines aus sich selbst heraus stabilen (aber auch entwicklungsfähigen) gesellschaftlichen Konsenses steht. Diese naturrechtlichen Ansätze prägen in Folge zentrale Begriffe wie die Rechtsfähigkeit und die Juristische Person, wie auch das österreichische Vertragsrecht,[20] Erbrecht und Eherecht.[19]
Das nationalsozialistische Recht war ideologisiertes Naturrecht, das das positiv gesetzte Recht unterlief. In seinem Mittelpunkt stehe die Gemeinschaft, so der nationalsozialistische Rechtstheoretiker Hans-Helmut Dietze in seinem Werk „Naturrecht in der Gegenwart“ von 1936. Das Naturrecht liege im Blut, sei also rassegebunden, und jeder Volksgenosse könne durch sein Rechtsempfinden die Entscheidung über Gut und Böse, über Recht und Unrecht treffen. Es wurzele „in den naturhaften Kräften, aus denen alles wirkliche Leben der Natur kommt: im Drängen des Blutes, in den Säften des Bodens und in der Innigkeit gleicher Gesinnung.“[21][22]
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland griff die naturrechtliche Tradition auf. „Das Bekenntnis zu Menschenrechten knüpft unmittelbar an Art. 1/I GG an. Weil die Würde des Menschen unantastbar und es ‚Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ ist, ‚sie zu achten und zu schützen‘, darum bekennt sich das deutsche Volk zu Menschenrechten. Die Menschenwürde, ein theologisch und philosophisch verwurzelter Begriff, wird primär als unantastbar vorausgesetzt; erst sekundär wird ihre Beachtung gesetzlich befohlen. Sie ist mithin als höchster Rechtswert deklariert und gibt Veranlassung für die weitere Anerkennung von Menschenrechten. Nach Auffassung vieler hat hier naturrechtliches Ideengut wieder Ausdruck in einer deutschen Verfassung gefunden. Die theonome Spitze der Verfassung findet sich in den Eingangsworten der Präambel, welche die Motive des Gesetzgebers offenlegt und in der das Staatsvolk auf seine ‚Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ hinweist. So erscheint Art. 1 als eine Folge der Anrufung Gottes als des Schöpfers der Person (erschaffen ad imaginem Dei [nach dem Bild Gottes]).“[23]
Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gewann das Naturrecht wieder an Bedeutung. So ist nach herrschender Meinung etwa auch der Gottesbezug in der Präambel des deutschen Grundgesetzes nicht etwa als theologische Verfassungskomponente aufzufassen, sondern im Wesentlichen als eine Berufung auf das Naturrecht.[24]
Ein Beispiel für überpositives Recht stellt nach herrschendem Rechtsverständnis die Würde des Menschen dar (als Idee der unveräußerlichen Rechte). Das Grundgesetz garantiert diese zwar in Artikel 1 GG, doch wird ihre Unantastbarkeit hier nur als Prinzip des Rechts dargestellt; folgen soll sie vielmehr als allgemein gültiger Rechtssatz aus vorgelagerten ethischen oder religiösen Anschauungen, die für alle menschlichen Gesellschaften gelten sollen. Eine Konsequenz dieser Auffassung ist, dass die Menschenwürde nicht nur unantastbar, sondern insbesondere unverzichtbar sein soll. Der Rechtsträger kann somit nicht wirksam in ihre Verletzung einwilligen. Darüber hinaus führt der Gedanke, die Menschenwürde sei durch überpositives Recht vorgegeben, zu dem Ergebnis, dass ein Eingriff in die Menschenwürde eines Individuums auch außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes unrechtmäßig ist. Der Eingriff verstoße gegen das gerade von keinem Rechtsetzungsakt geschaffene, sondern aus sich heraus geltende überpositive Recht. In die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes floss das Naturrecht immer wieder auf dem Wege der Radbruchschen Formel ein, die unter bestimmten Umständen dem Naturrecht Vorrang vor dem positiven Recht gewährt.
Nach römisch-katholischer Morallehre ist anhand eines Moralcodex auch die Sittlichkeit des Menschen Teil des Naturrechts. Deutlich wird dies etwa in der Ansicht, dass laut Naturrecht die ausgelebte Homosexualität verwerflich sei.[25][26] Begründet wird dies damit, dass der Zweck der Sexualität die Fortpflanzung der Art sichern soll. An diesen Ansichten wird kritisiert, Sexualität sei nicht nur auf die Fortpflanzung zu beschränken, und das Naturrecht gebiete daher keine absolute Rechtfertigung, homosexuelle Partnerschaften zu verurteilen. Denn erst der durch die Generationen entstandene sittliche Kodex gebe dem Naturrecht nach Ridley das natürliche Sittengesetz.[27]
Siehe auch: Sexualität des Menschen
Weiter geht es in Teil 2
Die säkularen rechtsphilosophischen Ausprägungen des Naturrechts, die nicht aus religiösen Grundwerten hergeleitet sind, sondern von der Erkennbarkeit durch menschliche Vernunft, werden als Vernunftrecht bezeichnet.
Begriff
Dem Begriff des Naturrechts kann die Überzeugung zugrunde liegen, dass „die Normen des menschlichen Zusammenlebens durch die Natur des Menschen begründet werden können und müssen.“[1] Dieses umfasst sowohl unstrittige Rechtsgrundlagen (Prämissen) in der Tradition antiker Philosophen wie Heraklit, den Sophisten, Aristoteles und Platon, die aus einer Idee einer objektiven oder absoluten Wahrheit herstammen, als auch die Vorstellung, jeder Mensch sei „von Natur aus“ (also nicht durch Konvention) mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet – unabhängig von Geschlecht, Alter, Ort, Staatszugehörigkeit oder der Zeit und der Staatsform, in der er lebt. Insoweit ist die Naturrechtsidee eng verbunden mit der Idee der Menschenrechte. Die Naturrechte werden demnach als vor- und überstaatliche „ewige“ Rechte angesehen.
Daneben gibt es eine Auffassung von Naturrecht als „Recht des Stärkeren“. Unter der Voraussetzung der Gemeinnützigkeit bedeutete dies, dass gleiche Rechte den Sieg der besseren Leistung über angestammte Berechtigungen ermöglichen sollten. Im Sozialdarwinismus und Faschismus hat sich daraus allerdings ein paradoxes „angestammtes Recht der besseren Leistung“ ergeben – ähnlich wie zuvor beim Gottesgnadentum die „von Gottes Gnaden erwirkte“ Legitimation der nicht anzutastenden Monarchenposition aufgefasst worden war.
Die Berufung auf überpositives Recht geht davon aus, dass bestimmte Rechtssätze unabhängig von der konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsordnung „schlechthin“ Geltung beanspruchen und somit durch einen positiven Akt der Rechtsetzung weder geschaffen werden müssen noch außer Kraft gesetzt werden können. Fragestellungen des Naturrechts haben sich von alters her auf Aspekte konzentriert, mit denen sich sowohl Rechtsphilosophie als auch Philosophie und Theologie befassen. Das Naturrecht als wesentliches Teilgebiet der Rechtsphilosophie bildet eine der Grundlagen der Rechtswissenschaft.
Ferner ist das Naturrecht als Maßstab und Korrektiv des positiven Rechts zu verstehen. Diese Auffassung vertritt auch die römisch-katholische Kirche.
Ursprung und geschichtliche Entwicklung
Die Idee der Naturrechte (in beiden Ausprägungen) reicht bis in die griechische Antike zurück und gewann mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert politische Bedeutung. Sie befand sich nur teilweise in Opposition zum christlich-mittelalterlichen Verständnis der Gnade, demgemäß Eigenschaften wie Leben oder Freiheit durch gnädige Autoritäten wie Gott oder den Fürsten persönlich und willkürlich verliehen seien, ohne dass ein Recht darauf bestehe. Dennoch war die Naturrechtslehre im Mittelalter bei Philosophen wie Thomas von Aquin stark ausgeprägt, da die durch die Autoritäten verliehenen Eigenschaften nicht zur Disposition eines Nichtberechtigten gestellt wurden.
Griechische und Römische Antike
Die Wurzeln der Naturrechtslehren reichen zurück bis in die griechische Antike. Im sechsten vorchristlichen Jahrhundert entwickelten Ionier, die in Milet und den Hafenstädten am Westrand Kleinasiens lebten, die ionische Naturphilosophie. Diese Naturphilosophie verstand Natur (physis) als ursprünglich und von absoluter, ewiger innerer Gesetzmäßigkeit. Sie stellte sie dem menschlichen Gesetz gegenüber, dessen Gültigkeit nur auf Konventionen beruhe.
Lykurgs Gesetze, der Sage nach der Gründer Spartas, sollen von Apollon inspiriert gewesen sein. Es war üblich, dass Gesetzgeber sich an das Orakel von Delphi wandten, um von ihm die Genehmigung für ihre Pläne zu erbitten. Diese religiöse Grundlage der Gesetzgebung geriet ins Wanken, als die Sophisten sich der Naturphilosophie zuwandten und gegenüber dem Glauben an den göttlichen Ursprung der Gesetze einen respektlosen Skeptizismus entwickelten.[2] Ein Teil der Sophisten übernahm die Vorstellung von der inneren Gesetzmäßigkeit der Natur und betrachtete aber auch die physische Wesensart des Menschen als von Natur gegeben. Gesetze stellten immer nur die Schwachen und die Menge auf. Dem Gesetz der Natur zu folgen bedeute, dass der Stärkere über den Schwächeren herrsche. Das Recht des Stärkeren sei naturgemäß. Anders urteilte der Sophist Protagoras aus Abdera, von dem der bekannte Satz stammt: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Eine absolute Wahrheit gebe es nicht, auch keine objektive, sondern nur eine subjektive. Protagoras hatte im Jahr 443 v. Chr. an einer Verfassung für die athenische Pflanzstadt Thurioi in Süditalien mitgearbeitet und als erster die Theorie vom Ursprung der Gesetze aufgestellt, die unter dem Begriff eines Gesellschaftsvertrages bekannt wurde. Protagoras wurde der Gottlosigkeit angeklagt und aus Athen verbannt, seine Bücher vernichtet.[3] Platon relativierte diese tiefgreifende positivistische Sichtweise des Protagoras. Seinem gleichnamigen Dialog stellte er eine Einleitung voran, die den Mythos wiedergibt, nach dem das Gewissen und der Sinn für Gerechtigkeit auf Zeus’ Befehl an die Menschen ausgeteilt worden seien.[2]
Der zeitgleich mit Protagoras lebende antike Schriftsteller Sophokles thematisierte in seiner Tragödie Antigone das Verhältnis von durch Menschen erlassenen staatlichen Gesetzen, die auch Unrecht sein können, und göttlichen Gesetzen: Gegen das Gesetz des Herrschers, alle Staatsfeinde bei Todesstrafe unbestattet den Vögeln zum Frass zu überlassen, begräbt Antigone ihren Bruder, der beim Angriff auf Theben gefallen war, um die Gebote der Götter der Unterwelt zu erfüllen.
Die nach Platon und Aristoteles einsetzende stoische Philosophie sah den Begriff der Natur in einer Einheit mit dem ewigen Weltgesetz, „lex aeterna“, das auch gleichzeitig „lex naturalis“ sei, das Gesetz der Natur. Am „logos“, der Vernunft des Weltgesetzes, habe der Mensch über seine eigene Natur teil, und auf dieser vernünftigen Natur des Menschen beruhe das Naturrecht. Diese Vorstellung liegt auch dem römischen Staats- und Rechtsdenken zu Grunde. Es gebe eine höchste Vernunft, die in allen Menschen lebendig ist, mit der Natur übereinstimmend, unabänderlich und ewig. Dieser Vernunft zu gehorchen sei das einzige Gesetz, dem alle Menschen zu folgen haben.
Gegen Platons Ideenlehre wandte sich auch Epikur in seinem 33. Hauptlehrsatz der Kyriai doxa:
„Gerechtigkeit an sich hat es nie gegeben. Alles Recht beruhte vielmehr stets nur auf einer Übereinkunft zwischen Menschen …“
; allein maßgeblich sei der Nutzen des Rechts, wie er im 37. Hauptlehrsatz aussagte:[4]
„Was innerhalb einer bestehenden Gemeinschaft anerkanntermaßen den wechselseitigen Bedürfnissen nützlich ist, das hat Anspruch, an Rechtes Statt zu gelten, einerlei, ob sich daraus für alle das gleiche Recht ergibt oder nicht.“
Sowohl die Kritik an der unterschiedlichen Behandlung der Menschen durch positive Gesetze wie auch Kritik an der Entwicklung der Gesetze überhaupt zum Vorteil der Schwachen ist in der Antike belegt (Platons Gorgias und Kritias oder Ciceros De legibus[5]).
„Legum denique idcirco omnes servi sumus ut liberi esse possimus.“
„Schließlich sind wir alle Diener der Gesetze deswegen, um frei sein zu können.“
– Cicero: Pro Cluentio 53, 146.
Augustinus bezeichnet die von Ewigkeit her bestehende Schöpfungsordnung der Welt als lex aeterna. Davon sei die lex naturalis ein Abdruck in der menschlichen „ratio“, der Vernunft. Die Schöpfungsordnung existiere in der Vernunft oder im Willen Gottes. In seinem Werk Vom Gottesstaat setzt er sich am Beispiel der Stadt Rom mit Ciceros Frage auseinander, ob der Staat möglicherweise ungerecht sein müsse. Was sich auf Unrecht der Menschen gründe, dürfe nicht Recht genannt oder für Recht gehalten werden.[6][7]
„Die wahre Gerechtigkeit herrscht nur in dem Gemeinwesen, dessen Gründer und Leiter Christus ist“
– De Civitate Dei, 2. Buch, Kapitel 21
Diese in der Spätantike entwickelte Vorstellung vom Schöpfergott als Urheber der Weltordnung trat im christlichen Mittelalter an die Stelle der antiken Vorstellung von unpersönlichen Weltgesetzen.
Mittelalter
Zum philosophischen Grundproblem des Mittelalters wurde die Frage, ob in der lex aeterna die Vernunft oder der göttliche Willen den Vorrang habe. Eine erste einflussreiche Synthese der beiden Ursprünge der lex aeterna versuchte Thomas von Aquin.
In der scholastischen Moraltheologie und im Zeitalter der Aufklärung erlangten Naturrechtslehren erneut Bedeutung.
Beginnende Neuzeit und Aufklärung
Die Renaissance wandte sich wieder der antiken Geisteswelt zu. Humanismus wurde die neue Bewegung genannt, die das Ideal einer an der Antike orientierten, rein „menschlichen“ (humanen), mithin nicht theologischen Bildung aufstellte. Nach Reformation und Gegenreformation, war die mittelalterliche Verbindung der Gerechtigkeitsfrage mit der Theologie nicht mehr selbstverständlich. Es begann nun eine Suche nach überkonfessionellen Standpunkten, die statt der christlichen Theologie ein Fundament der Gerechtigkeit bilden könnten. Schon bei Wilhelm von Ockham finden sich die „iura naturalia“, die Naturrechte auf Leben, Freiheit und Eigentum, wenn er auch noch als einzigen Grund für die Gerechtigkeit den Willen Gottes ansieht. Die Rechtsphilosophie der Aufklärung versuchte nun, diese Rechte als vernunftnotwendig abzuleiten.
Besonders einflussreich in der Ausformung eines „liberal“ bestimmten Naturrechtsgedankens waren hier die frühen Vordenker der Aufklärung. Hugo Grotius, ein protestantischer Jurist und Theologe, lebte in der Hafenstadt Rotterdam in Holland, das mit seinen Schiffen die Weltmeere befuhr und ein großes Interesse am Schutz seines Handels vor kriegerischen und räuberischen Übergriffen hatte. In der Konkurrenz zur portugiesischen, spanischen und englischen Handelsschifffahrt ging es als Wichtigstes um die Frage, ob es ein natürliches Recht auf freie Schifffahrt im Meer gebe. Dieses Recht durfte nicht von einem Staat gesetzt oder wieder aufgehoben werden können, es musste über den Staaten stehen und alle Staaten binden. Außerdem durfte dieses Recht „keinen Unterschied der Konfessionen kennen“, es musste sogar für nichtchristliche Konfessionen gelten, schließlich beschränkte sich der Handel nicht auf christliche Länder. Deswegen suchte Grotius das Recht in der Natur des Menschen, der vernunftgemäß eine „friedliche und einsichtig geordnete Gemeinschaft mit seinesgleichen“ anstrebe. Zum so verstandenen Naturrecht zählte Grotius, „daß man fremdes Gut respektiert und es zurückerstattet, wenn man es besitzt oder genommen hat, ferner die Pflicht, gegebene Versprechen zu erfüllen, sodann die Wiedergutmachung eines schuldhaft verursachten Schadens und die Vergeltung durch Strafe“. Zentraler Grundsatz des natürlichen Rechts sei die obligatio ex consensu (Verpflichtung aus Willensübereinstimmung) und die allgemeine Verpflichtung, Verträge einzuhalten.[8][9]
Grotius und Samuel von Pufendorf[10] lösten das Naturrecht von der religiös-theologischen Basis des sogenannten göttlichen Rechts und sahen es als konstantes Wertesystem, das über Gesellschaftsmodelle hinausgeht und von ihnen unabhängig ist. Allerdings stimmt für Pufendorf das Naturrecht „mit der christlichen Offenbarung überein, da beide ihren Ursprung in Gott haben.“[11] Zu nennen ist in rechtspolitischer Hinsicht besonders John Locke, auf den sich die US-amerikanischen Gründerväter und insbesondere Thomas Jefferson bei der Formulierung der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung stark bezogen.
Die Naturrechtsphilosophen Grotius, Pufendorf und Locke – alle drei waren Protestanten – entgingen der Vieldeutigkeit des Naturrechts, indem sie es mit der biblischen Offenbarung gleichsetzten. Ihrer Ansicht nach gingen Offenbarung und Naturrecht auf denselben Urheber, Gott, zurück.[12] Sie nahmen in ihren Schriften, die sich mit politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, immer wieder Bezug auf das Alte und das Neue Testament. Insbesondere aus den Schöpfungsgeschichten (1. Mose 1 und 2), dem Dekalog (Zehn Gebote, 2. Mose 20), dem Verhalten und der Lehre Jesu (Barmherziger Samariter Luk. 10, 30–37, Liebesgebot Matth. 5, 44; 19, 19, Goldene Regel Matth 7, 12 u. a.) und den paulinischen Briefen gewannen sie zentrale Punkte ihrer politischen Theorien.[13] Der Dekalog stellt unter anderem Leben, Eigentum und guten Ruf des Menschen, also seine Ehre und Würde, unter göttlichen Schutz. Der Vorspruch (2. Mose 20, 2) weist auf die Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei hin. Gottes Befreiungstat geht den Forderungen voraus und begründet sie. Locke leitete die Gleichheit der Menschen, einschließlich der Gleichheit von Mann und Frau, nicht aus philosophisch-säkularen Prämissen ab, sondern aus 1. Mose 1, 27 f., der Grundlage der theologischen Imago-Dei-Lehre. Das Gleichheitsprinzip ist unabdingbare Grundlage jeder rechtsstaatlichen Demokratie. Sie begründet die Freiheits- und Teilhaberechte jedes Einzelnen. Aus ihr folgte für Locke, dass eine Regierung Macht nur mit der Zustimmung der Regierten ausüben darf.[14] Das Recht auf Leben, (rechtliche) Gleichheit, Freiheit, Würde und Eigentum – damit waren zentrale Begriffe der Naturrechtslehren von Grotius, Pufendorf und Locke sowie anderer Gelehrten der Aufklärung benannt und mit biblischem Gehalt gefüllt.
Moderne
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Europa das Naturrecht stark verdrängt von der historischen Schule, die geschichtlich gewachsene Rechtstraditionen und Gewohnheitsrecht als Quelle eines jeden Rechtssystems sah und die Differenz zum Rechtspositivismus einebnete. Hier ist als Vertreter vor allem Friedrich Carl von Savigny zu nennen.
In der Französischen Revolution wurde die biblisch-theologische Verankerung des Naturrechts durch die Lehre vom „gemeinsamen Nutzen“ (utilité commune) ersetzt. Dadurch wurden die „Bürger- und Menschenrechte“ manipulierbar. Die jeweils an der Macht befindliche Gruppe der Revolutionäre bestimmte, was der „gemeinsame Nutzen“ war und schickte ihre politischen Gegner auf die Guillotine. Vor allem aus diesem Grund kritisierte z. B. Jakob Grimm im Frankfurter Parlament 1848 die französische Haltung und forderte die Rückkehr zu „den religiösen Grundlagen der Bruderschaft und Freiheit aller Menschen“ (Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849). Damit berief er sich auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776), die die unveräußerlichen Menschenrechte, zu denen „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“[15] gehören, theologisch begründete: Sie sind den Menschen von ihrem „Schöpfer“ (Creator) verliehen worden.
Dieser vernunftbezogene Ansatz, der zum Begriff des Vernunftrechtes führt, prägt beispielsweise die österreichische Rechtsschule.[16] So heißt es in § 16 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) ausdrücklich:[17] „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte …“ (Text aus der Erstfassung 1812).[18] In der Folge ergibt sich in § 17 eine zentrale Rechtsaussage:[18] „Was den angebornen natürlichen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend angenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird“, das heißt, wo keine explizite rechtliche Regelung vorhanden ist, bildet bei Persönlichkeitsrechten das „Vernünftige“ die Basis des Rechtmäßigen. Diese zentrale Aussage stellt Naturrecht also prinzipiell vor positives Recht: „Naturrecht gilt, solange es nicht beschränkt wird.“[19] Das setzt voraus, dass der Bürger ein natürliches Empfinden hat respektive haben sollte, ob sein Handeln noch im Rahmen des Angemessenen ist. Entsprechendes gilt für die Justiz:[19] „Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.“ (§ 7 ABGB). Diese Rechtsgrundlagen implizieren, dass das positive Recht nur als spezielles Regelwerk vor einem Hintergrund eines aus sich selbst heraus stabilen (aber auch entwicklungsfähigen) gesellschaftlichen Konsenses steht. Diese naturrechtlichen Ansätze prägen in Folge zentrale Begriffe wie die Rechtsfähigkeit und die Juristische Person, wie auch das österreichische Vertragsrecht,[20] Erbrecht und Eherecht.[19]
Das nationalsozialistische Recht war ideologisiertes Naturrecht, das das positiv gesetzte Recht unterlief. In seinem Mittelpunkt stehe die Gemeinschaft, so der nationalsozialistische Rechtstheoretiker Hans-Helmut Dietze in seinem Werk „Naturrecht in der Gegenwart“ von 1936. Das Naturrecht liege im Blut, sei also rassegebunden, und jeder Volksgenosse könne durch sein Rechtsempfinden die Entscheidung über Gut und Böse, über Recht und Unrecht treffen. Es wurzele „in den naturhaften Kräften, aus denen alles wirkliche Leben der Natur kommt: im Drängen des Blutes, in den Säften des Bodens und in der Innigkeit gleicher Gesinnung.“[21][22]
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland griff die naturrechtliche Tradition auf. „Das Bekenntnis zu Menschenrechten knüpft unmittelbar an Art. 1/I GG an. Weil die Würde des Menschen unantastbar und es ‚Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ ist, ‚sie zu achten und zu schützen‘, darum bekennt sich das deutsche Volk zu Menschenrechten. Die Menschenwürde, ein theologisch und philosophisch verwurzelter Begriff, wird primär als unantastbar vorausgesetzt; erst sekundär wird ihre Beachtung gesetzlich befohlen. Sie ist mithin als höchster Rechtswert deklariert und gibt Veranlassung für die weitere Anerkennung von Menschenrechten. Nach Auffassung vieler hat hier naturrechtliches Ideengut wieder Ausdruck in einer deutschen Verfassung gefunden. Die theonome Spitze der Verfassung findet sich in den Eingangsworten der Präambel, welche die Motive des Gesetzgebers offenlegt und in der das Staatsvolk auf seine ‚Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ hinweist. So erscheint Art. 1 als eine Folge der Anrufung Gottes als des Schöpfers der Person (erschaffen ad imaginem Dei [nach dem Bild Gottes]).“[23]
Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gewann das Naturrecht wieder an Bedeutung. So ist nach herrschender Meinung etwa auch der Gottesbezug in der Präambel des deutschen Grundgesetzes nicht etwa als theologische Verfassungskomponente aufzufassen, sondern im Wesentlichen als eine Berufung auf das Naturrecht.[24]
Ein Beispiel für überpositives Recht stellt nach herrschendem Rechtsverständnis die Würde des Menschen dar (als Idee der unveräußerlichen Rechte). Das Grundgesetz garantiert diese zwar in Artikel 1 GG, doch wird ihre Unantastbarkeit hier nur als Prinzip des Rechts dargestellt; folgen soll sie vielmehr als allgemein gültiger Rechtssatz aus vorgelagerten ethischen oder religiösen Anschauungen, die für alle menschlichen Gesellschaften gelten sollen. Eine Konsequenz dieser Auffassung ist, dass die Menschenwürde nicht nur unantastbar, sondern insbesondere unverzichtbar sein soll. Der Rechtsträger kann somit nicht wirksam in ihre Verletzung einwilligen. Darüber hinaus führt der Gedanke, die Menschenwürde sei durch überpositives Recht vorgegeben, zu dem Ergebnis, dass ein Eingriff in die Menschenwürde eines Individuums auch außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes unrechtmäßig ist. Der Eingriff verstoße gegen das gerade von keinem Rechtsetzungsakt geschaffene, sondern aus sich heraus geltende überpositive Recht. In die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes floss das Naturrecht immer wieder auf dem Wege der Radbruchschen Formel ein, die unter bestimmten Umständen dem Naturrecht Vorrang vor dem positiven Recht gewährt.
Nach römisch-katholischer Morallehre ist anhand eines Moralcodex auch die Sittlichkeit des Menschen Teil des Naturrechts. Deutlich wird dies etwa in der Ansicht, dass laut Naturrecht die ausgelebte Homosexualität verwerflich sei.[25][26] Begründet wird dies damit, dass der Zweck der Sexualität die Fortpflanzung der Art sichern soll. An diesen Ansichten wird kritisiert, Sexualität sei nicht nur auf die Fortpflanzung zu beschränken, und das Naturrecht gebiete daher keine absolute Rechtfertigung, homosexuelle Partnerschaften zu verurteilen. Denn erst der durch die Generationen entstandene sittliche Kodex gebe dem Naturrecht nach Ridley das natürliche Sittengesetz.[27]
Siehe auch: Sexualität des Menschen
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Teil 2
Quellen des Naturrechts
Die im Naturrecht gelehrten Rechtsprinzipien werden unterschiedlichen, aber immer vom Menschen nicht beeinflussbaren Quellen zugesprochen. Als Beispiele seien genannt:
Gott oder eine bestimmte Gottheit, der die Rechtsprinzipien bei der Schöpfung geschaffen hat,
der als göttliches Gesetz gedeutete Logos, der die Welt ordnet und ihre Abläufe regelt,
das in das menschliche Individuum eingeschriebene und wirkende Naturgesetz (Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Orientierung des Gewissens) im Unterschied zu den von den Menschen so definierten rein instinktiven Naturgesetzen des Tierreiches,
bestimmte naturwissenschaftliche Notwendigkeiten, die sich in der Natur zeigen,
die Natur als solche,
die Vernunft.
Trotz der Möglichkeit, als Quelle des Naturrechts sowohl Gott als auch den Menschen anzusetzen, kann es nicht im Sinne der modernen Naturwissenschaft verworfen werden, sondern bildet einen Hauptgegenstand der Moral- und Rechtsphilosophie. Nach Johannes Messner besteht das für das Naturrecht als Hauptbasis angesehene (spezifisch menschliche) Naturgesetz „nicht in einem unveränderlich für alle Zeiten gleichen Moralkodex, vielmehr in den das vollmenschliche Sein bedingenden und den Menschen verpflichtenden Grundwerten oder Grundprinzipien, die nur in ihrem allgemeinen Gehalt unveränderlich und nur insoweit absolute Geltung besitzen, als sie dem unveränderlichen und selbst einen absoluten Wert darstellenden Grundwesen der Personnatur des Menschen entsprechen“.
Abgrenzung zum Rechtspositivismus
Für den Rechtspositivismus sind nur solche Normen verbindlich, die durch einen rechtsetzenden Akt erlassen worden sind. Überpositives Recht allein – als ein Bestand moralischer Grundsätze – unterliegt dann aus Sicht der positivistischen Rechtslehre einerseits nicht dem Zugriff des positiven Rechts, hat aber andererseits auch keine Rechtswirksamkeit. Der Druck konsensfähiger Meinungen kann jedoch auf den Gesetzgeber Einfluss gewinnen, überpositive Grundsätze zum Gesetz (positives Recht) zu erheben.[28]
Bedeutung
Das Naturrecht bildet eine wesentliche Argumentationsgrundlage bestimmter Rechtsgebiete wie denen der Menschenrechte oder des Völkerrechts, die über nationale positivistische Regelungen hinausgehen müssen. „Das Naturrecht ist dann jener Teil des menschlichen Naturgesetzes, der sich auf das gemeinschaftliche Leben bezieht“, denn erst wo Gemeinschaft, dort auch Recht, weshalb Johannes Messner so definiert:
„Naturrecht ist Existenzordnung, Grundordnung des Existierens des Menschen als Mensch, im wahrsten und vollsten Sinn von ‚Existieren‘, die Ordnung, deren Forderungen ihm mit diesem Existieren in ihrem bestimmten Inhalt bewusst werden gemäß dem Prinzip, daß alle Erkenntnis durch die Erfahrung bedingt ist, auch die der Prinzipien der Rechtsvernunft als Teil der praktischen Vernunft. So erfasst, werden diese Forderungen von der voll entfalteten Vernunft in ihrer allgemeinen in sich gewissen Wahrheit und in ihrer allgemeinen verpflichtenden Geltung eingesehen.“
Kritik
Die Idee des Naturrechts entstammt in gewissen Aspekten dem Theismus, der ein göttliches Gesetz annimmt, das sich auch als Naturrecht zeige. Mit dem Wegfall Gottes innerhalb eines naturalistischen Weltbildes ergibt sich für die Naturrechtstheorie die Frage, wie Rechtsnormen jenseits menschlicher Institutionen entstehen können, insbesondere Normen, die für alle Menschen unabhängig von ihrer Kultur gelten sollen. Gibt es hierauf keine befriedigende Antwort, dann ist Naturrecht tatsächlich eine falsch bezeichnete ethische Theorie; dann kann es auch nicht zutreffen, dass etwa Gerichte angesichts zutiefst ungerechter positiver Gesetze nicht nach diesen Gesetzen, sondern stattdessen nach grundlegenden Moralprinzipien urteilen sollten. Diese Deutung entspricht der Begriffsgeschichte. Bei Christian Wolff bezeichnet der Ausdruck Lex naturae einfach das Sittengesetz, die moralischen Pflichten sind officia naturalia.[29]
Am Anfang der Naturrechtskritik steht die Einsicht, dass schon das Wort Naturrecht vieldeutig ist.[30] Aus einer (angeblich) gottgestifteten Seinsordnung (so die katholische Naturrechtslehre), aus einem (angeblichen) Ur- oder Idealzustand der menschlichen Gesellschaft oder aus der „Natur des Menschen“ lasse sich als Naturrecht nur das herauslesen, was man zuvor als theologische oder moralische Prämissen hineingelegt habe. Solches normativ aufgeladene Naturrecht beruht also auf einem Zirkelschluss.[31] Wenn der Inhalt des Naturrechts hingegen nur allgemeingültige Sätze wie „Das Gute ist zu tun, das Böse zu lassen“ beinhaltet, liegt kein Zirkelschluss vor.
Die Vieldeutigkeit des Naturrechts hebt auf andere Weise auch Erik Wolf hervor. Er schreibt: „Im Laufe der neueren Zeit hat man den fürstlichen Absolutismus so gut wie die unmittelbare Demokratie, das jus majestatis so gut wie das jus revolutionis, das Recht auf Arbeit wie das Recht auf Zinsgenuss, den Individualismus wie den Kollektivismus, den Krieg wie den Frieden auf einen den Naturgesetzen entsprechenden Ur- oder Idealzustand begründet. So birgt die Naturrechtslehre in sich unvereinbare Widersprüche. Sie kann im guten Sinne gebraucht wie im bösen mißbraucht werden, je nachdem es der zugrunde gelegte, schillernde Begriff der ‚Natur‘ erlaubt.“[32] Helmut Thielicke pflichtet dem bei und meint, dass Wolf „mit Recht darauf aufmerksam [macht], daß ein auf die Vernunft sich stützendes Naturrecht nicht in der Lage sei, Einheitlichkeit zu begründen und eine sichere Grundlage für das Recht zu bieten.“[33] Dass das Naturrecht vieldeutig ist, ist auch daraus ersichtlich, dass die Sklaverei, die nach heutigem Verständnis wohl den gravierendsten Bruch der Menschenrechte darstellt, von der griechisch-römischen Antike bis ins 19. Jahrhundert naturrechtlich begründet wurde.[34]
Weitere bedeutende Rechtsphilosophen
Naturrechtsvertreter
Antike
Seneca
Mittelalter
Thomas von Aquin
Francisco de Vitoria, Dominico de Soto und die Schule von Salamanca (Übergang zur Neuzeit)
17. bis 19. Jahrhundert
Gottfried Achenwall
Jean Barbeyrac
Adam Friedrich von Glafey
Johann Christoph Hoffbauer
Ludwig Höpfner
Gottlieb Hufeland
Johann Adam von Ickstatt
Thomas Jefferson
John Locke (umstritten)
Karl Anton von Martini
Jean-Jacques Rousseau
Christian Wolff
Franz von Zeiller
Lysander Spooner
Francisco Suárez
Christian Thomasius
Ab 20. Jahrhundert
Gustav Radbruch (nach 1933, eingeschränkt; vertrat einen gemäß der Radbruchschen Formel für Extremsituationen korrigierten Positivismus)
Robert Alexy
Emídio Brasileiro
Ronald Dworkin
Benedikt XVI.
Robert Spaemann
Hans-Hermann Hoppe
Johannes Messner
Oliver O’Donovan
Ayn Rand
Murray Rothbard
Carl Schmitt (siehe: konkretes Ordnungsdenken)
Leo Strauss
Wolfgang Waldstein
Eric Allen Engle
Kritiker
Neuzeit
Jeremy Bentham
Gustav Radbruch (bis 1933 – allerdings strittig)
Nach 1950 gestorben und lebend
Hans Kelsen
Alf Ross
Peter Stemmer
Ernst Topitsch
Reinhold Zippelius
Karl Barth
H. L. A. Hart
Norbert Hoerster
Siehe auch
Naturzustand
Römisches Recht: Ius gentium – Ius civile
Quelle
Die im Naturrecht gelehrten Rechtsprinzipien werden unterschiedlichen, aber immer vom Menschen nicht beeinflussbaren Quellen zugesprochen. Als Beispiele seien genannt:
Gott oder eine bestimmte Gottheit, der die Rechtsprinzipien bei der Schöpfung geschaffen hat,
der als göttliches Gesetz gedeutete Logos, der die Welt ordnet und ihre Abläufe regelt,
das in das menschliche Individuum eingeschriebene und wirkende Naturgesetz (Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Orientierung des Gewissens) im Unterschied zu den von den Menschen so definierten rein instinktiven Naturgesetzen des Tierreiches,
bestimmte naturwissenschaftliche Notwendigkeiten, die sich in der Natur zeigen,
die Natur als solche,
die Vernunft.
Trotz der Möglichkeit, als Quelle des Naturrechts sowohl Gott als auch den Menschen anzusetzen, kann es nicht im Sinne der modernen Naturwissenschaft verworfen werden, sondern bildet einen Hauptgegenstand der Moral- und Rechtsphilosophie. Nach Johannes Messner besteht das für das Naturrecht als Hauptbasis angesehene (spezifisch menschliche) Naturgesetz „nicht in einem unveränderlich für alle Zeiten gleichen Moralkodex, vielmehr in den das vollmenschliche Sein bedingenden und den Menschen verpflichtenden Grundwerten oder Grundprinzipien, die nur in ihrem allgemeinen Gehalt unveränderlich und nur insoweit absolute Geltung besitzen, als sie dem unveränderlichen und selbst einen absoluten Wert darstellenden Grundwesen der Personnatur des Menschen entsprechen“.
Abgrenzung zum Rechtspositivismus
Für den Rechtspositivismus sind nur solche Normen verbindlich, die durch einen rechtsetzenden Akt erlassen worden sind. Überpositives Recht allein – als ein Bestand moralischer Grundsätze – unterliegt dann aus Sicht der positivistischen Rechtslehre einerseits nicht dem Zugriff des positiven Rechts, hat aber andererseits auch keine Rechtswirksamkeit. Der Druck konsensfähiger Meinungen kann jedoch auf den Gesetzgeber Einfluss gewinnen, überpositive Grundsätze zum Gesetz (positives Recht) zu erheben.[28]
Bedeutung
Das Naturrecht bildet eine wesentliche Argumentationsgrundlage bestimmter Rechtsgebiete wie denen der Menschenrechte oder des Völkerrechts, die über nationale positivistische Regelungen hinausgehen müssen. „Das Naturrecht ist dann jener Teil des menschlichen Naturgesetzes, der sich auf das gemeinschaftliche Leben bezieht“, denn erst wo Gemeinschaft, dort auch Recht, weshalb Johannes Messner so definiert:
„Naturrecht ist Existenzordnung, Grundordnung des Existierens des Menschen als Mensch, im wahrsten und vollsten Sinn von ‚Existieren‘, die Ordnung, deren Forderungen ihm mit diesem Existieren in ihrem bestimmten Inhalt bewusst werden gemäß dem Prinzip, daß alle Erkenntnis durch die Erfahrung bedingt ist, auch die der Prinzipien der Rechtsvernunft als Teil der praktischen Vernunft. So erfasst, werden diese Forderungen von der voll entfalteten Vernunft in ihrer allgemeinen in sich gewissen Wahrheit und in ihrer allgemeinen verpflichtenden Geltung eingesehen.“
Kritik
Die Idee des Naturrechts entstammt in gewissen Aspekten dem Theismus, der ein göttliches Gesetz annimmt, das sich auch als Naturrecht zeige. Mit dem Wegfall Gottes innerhalb eines naturalistischen Weltbildes ergibt sich für die Naturrechtstheorie die Frage, wie Rechtsnormen jenseits menschlicher Institutionen entstehen können, insbesondere Normen, die für alle Menschen unabhängig von ihrer Kultur gelten sollen. Gibt es hierauf keine befriedigende Antwort, dann ist Naturrecht tatsächlich eine falsch bezeichnete ethische Theorie; dann kann es auch nicht zutreffen, dass etwa Gerichte angesichts zutiefst ungerechter positiver Gesetze nicht nach diesen Gesetzen, sondern stattdessen nach grundlegenden Moralprinzipien urteilen sollten. Diese Deutung entspricht der Begriffsgeschichte. Bei Christian Wolff bezeichnet der Ausdruck Lex naturae einfach das Sittengesetz, die moralischen Pflichten sind officia naturalia.[29]
Am Anfang der Naturrechtskritik steht die Einsicht, dass schon das Wort Naturrecht vieldeutig ist.[30] Aus einer (angeblich) gottgestifteten Seinsordnung (so die katholische Naturrechtslehre), aus einem (angeblichen) Ur- oder Idealzustand der menschlichen Gesellschaft oder aus der „Natur des Menschen“ lasse sich als Naturrecht nur das herauslesen, was man zuvor als theologische oder moralische Prämissen hineingelegt habe. Solches normativ aufgeladene Naturrecht beruht also auf einem Zirkelschluss.[31] Wenn der Inhalt des Naturrechts hingegen nur allgemeingültige Sätze wie „Das Gute ist zu tun, das Böse zu lassen“ beinhaltet, liegt kein Zirkelschluss vor.
Die Vieldeutigkeit des Naturrechts hebt auf andere Weise auch Erik Wolf hervor. Er schreibt: „Im Laufe der neueren Zeit hat man den fürstlichen Absolutismus so gut wie die unmittelbare Demokratie, das jus majestatis so gut wie das jus revolutionis, das Recht auf Arbeit wie das Recht auf Zinsgenuss, den Individualismus wie den Kollektivismus, den Krieg wie den Frieden auf einen den Naturgesetzen entsprechenden Ur- oder Idealzustand begründet. So birgt die Naturrechtslehre in sich unvereinbare Widersprüche. Sie kann im guten Sinne gebraucht wie im bösen mißbraucht werden, je nachdem es der zugrunde gelegte, schillernde Begriff der ‚Natur‘ erlaubt.“[32] Helmut Thielicke pflichtet dem bei und meint, dass Wolf „mit Recht darauf aufmerksam [macht], daß ein auf die Vernunft sich stützendes Naturrecht nicht in der Lage sei, Einheitlichkeit zu begründen und eine sichere Grundlage für das Recht zu bieten.“[33] Dass das Naturrecht vieldeutig ist, ist auch daraus ersichtlich, dass die Sklaverei, die nach heutigem Verständnis wohl den gravierendsten Bruch der Menschenrechte darstellt, von der griechisch-römischen Antike bis ins 19. Jahrhundert naturrechtlich begründet wurde.[34]
Weitere bedeutende Rechtsphilosophen
Naturrechtsvertreter
Antike
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Mittelalter
Thomas von Aquin
Francisco de Vitoria, Dominico de Soto und die Schule von Salamanca (Übergang zur Neuzeit)
17. bis 19. Jahrhundert
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Adam Friedrich von Glafey
Johann Christoph Hoffbauer
Ludwig Höpfner
Gottlieb Hufeland
Johann Adam von Ickstatt
Thomas Jefferson
John Locke (umstritten)
Karl Anton von Martini
Jean-Jacques Rousseau
Christian Wolff
Franz von Zeiller
Lysander Spooner
Francisco Suárez
Christian Thomasius
Ab 20. Jahrhundert
Gustav Radbruch (nach 1933, eingeschränkt; vertrat einen gemäß der Radbruchschen Formel für Extremsituationen korrigierten Positivismus)
Robert Alexy
Emídio Brasileiro
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Oliver O’Donovan
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