Die Evolution des Denkens
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Die Evolution des Denkens
Die Evolution des Denkens oder im weiteren Sinn Evolution der Kognition beschreibt einen Weg des Denkens von den Vorfahren der heutigen Menschenaffen über die Frühmenschen zum Mensch. Das Thema wurde bereits von Darwin 1871 behandelt. Er betont die graduellen, nicht prinzipiellen Unterschiede zwischen den intellektuellen Fähigkeiten von Mensch und Tier. Heute ist unbestritten, dass das Denken einen evolutionären, von verschiedenen Disziplinen erforschbaren Ursprung hat. Die Evolution des Denkens verläuft nach Tomasello über weitgehend individualistisches, konkurrenzbestimmtes Denken bei den Menschenaffen zu ausgeprägt kooperativen Denkformen beim Mensch. Die Theorie des sozialen Gehirns weist auf einen Zusammenhang der Gehirngröße und maximalen Gruppengröße sozial lebender Arten. Soziale Bedingungen mit immer größeren Anforderungen an Denkleistung in größer werdenden Gruppen treiben im Evolutionsverlauf das Gehirnwachstum und damit auch die komplexer werdenden Denkformen in der Geschichte des sozialen Lebens des Menschen und seiner Vorfahren, nicht umgekehrt.
Neben Erkenntnissen zur kognitiven Evolution des Menschen werden zunehmend neue Erkenntnisse über evolutionär entstandene Denkfähigkeiten bei Tieren gewonnen. Vögel zeichnen sich durch eine von anderen Wirbeltieren unterschiedliche Gehirnarchitektur aus. Insbesondere ihr Vorderhirn mit höherwertigen Funktionen ist bei ihnen konvergent, also unabhängig evolviert. Obwohl sie keinen Neocortex besitzen, entwickelten sie mit einer alternativen Struktur des Vorderhirn früher nicht für möglich gehaltene, hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten. Dazu gehören vielfältiger Werkzeuggebrauch, kausale und analoge Gedankengänge, Selbsterkennung und andere Fähigkeiten. Das gilt vor allem für Rabenvögel, Tauben und Papageienvögel. Die in der Klasse der Insekten spät evolvierten eusozialen Bienen sind zu individuellem Denken befähigt, wie vor allem Randolf Menzel analysierte. Ihr großer Pilzkörper, ein analoges Teil zum Neocortex der Wirbeltiere, ist involviert in das Farbgedächtnis, Duftkarte, Lernen zweiter Ordnung, kontextuelles Lernen und symbolisches Lernen mit einem „quasi-episodischen“ Gedächtnis. Oktopusse zeigen ebenfalls eine im Vergleich zu den Wirbeltieren konvergente Gehirnentwicklung mit ähnlichen Strukturen, die für das Lernen fundamental sind. Ihre mentalen Fähigkeiten sind mit denen vieler Säugetiere vergleichbar.
Wissenschaftsgeschichtlicher Hintergrund
Überlegungen Darwins zur Herkunft des Denkens
Charles Darwin äußert sich in seinem Buch Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (1871) ausführlich zur evolutionären Herkunft der geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere.[1] Er sagt darin, wir könnten keine Überzeugung davon haben, dass sich unsere hohen geistigen Fähigkeiten stufenweise entwickelt hätten, wenn unsere geistigen Kräfte grundverschieden von denen der Tiere wären.[2] Er sieht in den geistigen Fähigkeiten „kein(en) fundamentalen Unterschied zwischen den Menschen und den höheren Säugetieren“.[3] Im Folgenden bespricht er eine Vielzahl von Beispielen aus der Tierwelt. Im Einzelnen geht er ein auf Aufmerksamkeit,[4] Gedächtnis,[5] Phantasie[6] und Verstand.[7] Im weiteren nimmt er auch zu Nachahmung, Vergleichung und Wahl Stellung und betont ihre verschiedensten Abstufungen. Er führt an, dass wir aus den Begleiterscheinungen einer Handlung darauf schließen können, ob sie aus dem Instinkt, aus dem Verstand oder aus einer bloßen Ideenassoziation hervorgeht. Kritischen Ansichten seiner Zeitgenossen zur Evolution des Denkens begegnet er einzeln. Dazu gehören die Anschauung, dass kein Tier die Fähigkeit zur Abstraktion besäße, allgemeine Begriffe bilden könne, Selbstbewusstsein habe,[8] Werkzeuge benutze[9] oder über Sprache verfüge.[10] Alle diese Ansichten entkräftet Darwin. Er schließt mit der Bemerkung: Wenn die genannten Fähigkeiten, die er bei den Tieren sehr unterschiedlich ausgeprägt sieht, einer Ausbildung (Evolution) fähig sind, dann sei es nicht unwahrscheinlich, dass die kompliziertesten Fähigkeiten wie Abstraktion und Selbstbewusstsein und andere sich aus den einfacheren entwickelt haben.[11] Auf die Frage, warum der Intellekt des Affen nicht so weit entwickelt ist wie beim Menschen antwortet er, dass es lediglich die Unwissenheit über die aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen sei, die verhindere, exaktere Antworten hierzu geben zu können.[12] Zusammengefasst ist es Darwins Absicht, die Unterschiede der intellektuellen Fähigkeiten zwischen Mensch und Tier als graduell und nicht prinzipiell darzulegen.[13]
Wissenschaftliche Standpunkte zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Nach Darwin beginnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts Psychologen Konzepte zu entwickeln, dass der Mensch nicht nur hinsichtlich seiner körperlichen Form sondern auch im Hinblick auf sein Verhalten und seine Kultur ein Produkt seiner evolutionären Vergangenheit ist. Der Behaviorismus unterbricht neben anderen Konzepten diese Denkrichtung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Danach konnte der Geist kein Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion sein, da er nicht unmittelbar beobachtet werden konnte. Die Archäologie war lange diesem Grundsatz verhaftet und schloss viele Fragen zur Erforschung der Evolution des Menschen aus, etwa Gefühle und Absichten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts existieren kaum noch Zweifel daran, dass der Mensch nicht nur in seinem Handeln und seiner kulturellen Einbettung sondern auch in seinem Denken ein legitimes Forschungsinteresse für Anthropologen, Biologen und Psychologen ist, die heute überwiegend von der Überzeugung geleitet sind, dass sich neben unseren kulturellen Leistungen auch unsere geistigen Fähigkeiten auf der Grundlage unserer Phylogenese erklären lassen.[14] Im Mittelpunkt stehen dabei zwei zentrale evolutionsbezogene Thesen. Erstens: Evolution durch natürliche Selektion und Adaptation ist der einzige bekannte natürliche Prozess, der eine komplexe Struktur wie den menschlichen Geist hervorbringen kann. Die Merkmale des Denkens, die wir heute besitzen, sind adaptiv, weil sie für unsere Vorfahren im natürlichen Ausleseprozess vorteilhaft waren (Evolutionäre Erkenntnistheorie). Zweitens: Evolution ist langfristig. Unser Geist ist daher durch die langfristigen Herausforderungen geformt, denen der Mensch in seiner natürlichen Umgebung ausgesetzt war. Während der größten evolutionären Zeitstrecke waren unsere homininen Vorfahren Jäger und Sammler.[14] In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Einbeziehung der menschlichen Kultur und der Kooperationsgedanke zu zunehmend wichtigen Säulen bei der Erforschung der Evolution des menschlichen Verhaltens. Der Rahmen der Synthetischen Evolutionstheorie, die lange auf das Survival of the Fittest begrenzt war, wurde dadurch erweitert.
Vormenschliche, frühmenschliche und menschliche Denkentwicklung
Das Konzept der geteilten Intentionalität von Tomasello
Der Psychologe Michael Tomasello stellt die Evolution des Denkens als Weg von den nicht menschlichen Menschenaffen über die Frühmenschen zum heutigen Menschen dar. Dabei werden drei Stufen der Evolution des Denkens unterschieden: Individuelle Intentionalität bei den Menschenaffen sowie unter dem Überbegriff geteilte Intentionalität die beiden Formen gemeinsame Intentionalität bei den Frühmenschen und kollektive Intentionalität beim modernen Menschen. Intentionalität meint die selbstregulierende, kognitive Art und Weise des Umgangs mit Dingen.[15] Zusammenfassend lässt sich nach Tomasello sagen: Der moderne Mensch denkt mittels geteilter Intentionalität, um zu kooperieren,[16] während sich Menschenaffen größtenteils individualistisch verhalten.[17] Hierbei ist die seines Erachtens auf dem Weg über symbolische Zeigegesten entstandene Sprache[18] der Schlussstein der menschlichen Kognition und des Denkens und nicht ihr Fundament.[19]
Individuelle Intentionalität der Menschenaffen
Menschenaffen können aus dieser Sicht denken, und zwar in Form individueller Intentionalität. Sie verfügen über drei Schlüsselkompetenzen des Denkens: erstens über schematische, kognitive Repräsentation.[20] Sie können sich damit zum Beispiel vorstellen und wissen, dass ein Leopard auf Bäume klettern kann. Mit einer zweiten Schlüsselkompetenz können Menschenaffen nonverbale, kausale und intentionale Schlussfolgerungen ziehen.[21][22] Ein bekanntes Experiment hierzu ist das Verstecken von Objekten hinter eines Sichtblende. Der Affe erwartet, es dort wieder zu finden. Wenn er sieht, wie es weggenommen und durch ein anderes ersetzt wird, erwartet er nicht, es hinter der Sichtblende wieder zu finden.[23] Auch dass Menschenaffen die Ziele anderer Affen verstehen können, bedeutet kausale Schlussfolgerung. Als dritte Schlüsselkompetenz können Menschenaffen ihr Verhalten selbst beobachten, bzw. sie haben die Fähigkeit, das Ergebnis und auch die Elemente eines Entscheidungsprozesses zu überwachen.[24] So wissen sie etwa, wenn sie keine zureichenden Informationen haben, eine sachadäquate Verhaltensentscheidung zu treffen. Diese erste Form, die individuelle Intentionalität und instrumentelle Rationalität, trifft laut Tomasello für nicht menschliche Menschenaffen für die Zeit nach der Abspaltung des heutigen Menschen vom Schimpansenvorfahren bis zu den Australopithecinen zu.[25] Solche Wesen sind in erster Linie konkurrenzbetont. Das Denken geschieht immer im Dienst der Konkurrenz.[26] Ohne Sprachfähigkeit können Menschenaffen die Welt kognitiv repräsentieren und scheinen in einem gewissen Sinn zu wissen, was sie tun, während sie es tun.[27] Eine Diskontinuität in dem Sinn, dass nur Menschen denken können und zwar nur mittels der Sprache[28][29][30] und dass Tiere nicht denken können, ist damit nicht mehr haltbar.
Als Bewertungskriterium, ob ein Tier denken kann, kann Evans' Allgemeinheitsbedingung verwendet werden.[31] Nach dieser Definition liegt Denken vor, wenn jedes potentielle Subjekt eines Gedankens mit verschiedenen Prädikaten kombiniert werden kann und ebenso jedes potentielle Prädikat mit verschiedenen Subjekten. Beides kann sprachlich und nicht-sprachlich erreicht werden. Ein Beispiel für ein gedachtes Subjekt mit verschiedenen Prädikaten ist die Vorstellung, dass ein Menschenaffe denkt, dass ein Leopard schnell rennen, auf einen Baum klettern sowie Affen jagen und fressen kann. Im zweiten Fall kann ein Affe wissen, dass Leoparden auf Bäume klettern können, aber ebenso Schlangen und kleine Affen. Nach diesem Kriterium, das nur die Repräsentationsfähigkeit adressiert, nicht aber die für Menschenaffen angeführte Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und Reflexionen des eigenen Handelns verwendet, kann für Menschenaffen zumindest teilweise gelten, dass sie denken können.[32]
Gemeinsame Intentionalität der Frühmenschen
Die Herstellung von Steinwerkzeugen in präzisen Einzelschritten (hier: Levalloistechnik) gelang frühen Menschen erst durch hohe Kooperation und verlangte bereits die Vererbung von gemeinsam erworbenem, kumuliertem Wissen.
Frühmenschen und Menschen haben eine zweite und dritte Stufe komplexerer Kognition entwickelt, die als geteilte Intentionalität zusammengefasst wird. Hierunter fallen die gemeinsame Intentionalität und die kollektive Intentionalität.[26]
Bei gemeinsamer Intentionalität der Frühmenschen, die noch nicht über eine konventionelle Sprache verfügen, gibt es gemeinschaftliche Tätigkeiten, etwa Nahrungssuche, mit gemeinsamer Aufmerksamkeit und gemeinsamen Zielen, eine Wir-Intentionalität, jedoch mit individuellen Rollen und Perspektiven. Die Kommunikation erfolgt über natürliche, ikonische Gesten des Zeigens. Die Frühmenschen wandeln die individuelle Intentionalität der Menschenaffen durch Kooperation in gemeinsame Intentionalität um.[33] Die Kooperationspartner geraten dabei in wechselseitige Abhängigkeit. Das Überleben des Einzelnen hängt davon ab, wie der Kooperationspartner ihn beurteilt. Die Kommunikation ist stark ich-du bezogen und noch nicht in einer größeren, anonymen Gruppe bezogen. Ein Beteiligter hat ein Interesse daran, dem anderen dabei zu helfen, seine Rolle zu spielen. Dazu muss er ihn mit Informationen beliefern, die für ihn interessant sind.[34] Die Schlussfolgerungen solchen Denkens sind jetzt nicht mehr individuell sondern sozial rekursiv, d. h. die Intentionen des Partners werden wechselweise und wiederholt reflektiert.[35] Zu der hier geschilderten kooperativen Denkform sind Menschenaffen nicht in der Lage. Sie treffen keine gemeinsamen Entscheidungen und können sie folglich auch nicht gemeinsam reflektieren.[36]
Kollektive Intentionalität des Menschen
In der höchsten Stufe, der kollektiven Intentionalität, ist schließlich das kooperative Denken in der Form weiter evolviert, dass es in einer gruppenorientierten Kultur geschieht. Hier liegt die akkumulierte Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten über Generationen hinweg vor.[37] Menschenaffen kennen im Gegensatz zum Menschen nicht das Motiv, andere über Dinge zu informieren oder Informationen mit ihnen zu teilen.[38][39] Dieses Motiv führt beim menschlichen Denken zum sogenannten Wagenheber-Effekt.[40] Beim Wagenheber-Effekt bleiben erfolgreiche kulturelle Anpassungen an lokale Bedingungen generationenübergreifend erhalten, erfolglose Versuche sterben aus. Diese Art des Denkens kann in stabiler, kumulativer kultureller Evolution münden. Die modernen Menschen haben einen stärkeren Wagenhebereffekt (z. B. technische Evolution) als Frühmenschen und Menschenaffen.[41]
Im Rahmen kollektiver Intentionalität und des soziokulturellen Denkens erstellt der Mensch mit Hilfe sprachfähigen Denkens objektive Normen für die Gruppe. Diese Normen können von jeder Einzelperson überdacht und begründet werden, um andere von ihnen zu überzeugen. Die Gruppe verschafft sich normative Konventionen und Maßstäbe und ist in der Lage diese mit objektivierten Kriterien zu reflektieren.[42] Geteilte Intentionalität wird als eine Key-Innovation oder ein Systemwechsel in der Evolution gesehen. In der kulturellen Evolution kann die Gruppe dann selbst zu einer Einheit der natürlichen Selektion werden (Gruppenselektion).[41]
Als weitere evolutionäre Fähigkeit erscheint beim Menschen als einzigem Lebewesen ein ausgeprägt episodisches Gedächtnis, das ihm ermöglicht, denkend Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft klar zuzuordnen und zwischen diesen zu unterscheiden. Wir können mentale Zeitreisen in beide Richtungen unternehmen,[43] verbunden mit der Fähigkeit, verschachtelte mentale Szenarien zu entwerfen,[44] also z. B. komplexe technische oder künstlerische Projekte zu planen und durchzuführen.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Evolution_des_Denkens
Neben Erkenntnissen zur kognitiven Evolution des Menschen werden zunehmend neue Erkenntnisse über evolutionär entstandene Denkfähigkeiten bei Tieren gewonnen. Vögel zeichnen sich durch eine von anderen Wirbeltieren unterschiedliche Gehirnarchitektur aus. Insbesondere ihr Vorderhirn mit höherwertigen Funktionen ist bei ihnen konvergent, also unabhängig evolviert. Obwohl sie keinen Neocortex besitzen, entwickelten sie mit einer alternativen Struktur des Vorderhirn früher nicht für möglich gehaltene, hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten. Dazu gehören vielfältiger Werkzeuggebrauch, kausale und analoge Gedankengänge, Selbsterkennung und andere Fähigkeiten. Das gilt vor allem für Rabenvögel, Tauben und Papageienvögel. Die in der Klasse der Insekten spät evolvierten eusozialen Bienen sind zu individuellem Denken befähigt, wie vor allem Randolf Menzel analysierte. Ihr großer Pilzkörper, ein analoges Teil zum Neocortex der Wirbeltiere, ist involviert in das Farbgedächtnis, Duftkarte, Lernen zweiter Ordnung, kontextuelles Lernen und symbolisches Lernen mit einem „quasi-episodischen“ Gedächtnis. Oktopusse zeigen ebenfalls eine im Vergleich zu den Wirbeltieren konvergente Gehirnentwicklung mit ähnlichen Strukturen, die für das Lernen fundamental sind. Ihre mentalen Fähigkeiten sind mit denen vieler Säugetiere vergleichbar.
Wissenschaftsgeschichtlicher Hintergrund
Überlegungen Darwins zur Herkunft des Denkens
Charles Darwin äußert sich in seinem Buch Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (1871) ausführlich zur evolutionären Herkunft der geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere.[1] Er sagt darin, wir könnten keine Überzeugung davon haben, dass sich unsere hohen geistigen Fähigkeiten stufenweise entwickelt hätten, wenn unsere geistigen Kräfte grundverschieden von denen der Tiere wären.[2] Er sieht in den geistigen Fähigkeiten „kein(en) fundamentalen Unterschied zwischen den Menschen und den höheren Säugetieren“.[3] Im Folgenden bespricht er eine Vielzahl von Beispielen aus der Tierwelt. Im Einzelnen geht er ein auf Aufmerksamkeit,[4] Gedächtnis,[5] Phantasie[6] und Verstand.[7] Im weiteren nimmt er auch zu Nachahmung, Vergleichung und Wahl Stellung und betont ihre verschiedensten Abstufungen. Er führt an, dass wir aus den Begleiterscheinungen einer Handlung darauf schließen können, ob sie aus dem Instinkt, aus dem Verstand oder aus einer bloßen Ideenassoziation hervorgeht. Kritischen Ansichten seiner Zeitgenossen zur Evolution des Denkens begegnet er einzeln. Dazu gehören die Anschauung, dass kein Tier die Fähigkeit zur Abstraktion besäße, allgemeine Begriffe bilden könne, Selbstbewusstsein habe,[8] Werkzeuge benutze[9] oder über Sprache verfüge.[10] Alle diese Ansichten entkräftet Darwin. Er schließt mit der Bemerkung: Wenn die genannten Fähigkeiten, die er bei den Tieren sehr unterschiedlich ausgeprägt sieht, einer Ausbildung (Evolution) fähig sind, dann sei es nicht unwahrscheinlich, dass die kompliziertesten Fähigkeiten wie Abstraktion und Selbstbewusstsein und andere sich aus den einfacheren entwickelt haben.[11] Auf die Frage, warum der Intellekt des Affen nicht so weit entwickelt ist wie beim Menschen antwortet er, dass es lediglich die Unwissenheit über die aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen sei, die verhindere, exaktere Antworten hierzu geben zu können.[12] Zusammengefasst ist es Darwins Absicht, die Unterschiede der intellektuellen Fähigkeiten zwischen Mensch und Tier als graduell und nicht prinzipiell darzulegen.[13]
Wissenschaftliche Standpunkte zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Nach Darwin beginnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts Psychologen Konzepte zu entwickeln, dass der Mensch nicht nur hinsichtlich seiner körperlichen Form sondern auch im Hinblick auf sein Verhalten und seine Kultur ein Produkt seiner evolutionären Vergangenheit ist. Der Behaviorismus unterbricht neben anderen Konzepten diese Denkrichtung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Danach konnte der Geist kein Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion sein, da er nicht unmittelbar beobachtet werden konnte. Die Archäologie war lange diesem Grundsatz verhaftet und schloss viele Fragen zur Erforschung der Evolution des Menschen aus, etwa Gefühle und Absichten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts existieren kaum noch Zweifel daran, dass der Mensch nicht nur in seinem Handeln und seiner kulturellen Einbettung sondern auch in seinem Denken ein legitimes Forschungsinteresse für Anthropologen, Biologen und Psychologen ist, die heute überwiegend von der Überzeugung geleitet sind, dass sich neben unseren kulturellen Leistungen auch unsere geistigen Fähigkeiten auf der Grundlage unserer Phylogenese erklären lassen.[14] Im Mittelpunkt stehen dabei zwei zentrale evolutionsbezogene Thesen. Erstens: Evolution durch natürliche Selektion und Adaptation ist der einzige bekannte natürliche Prozess, der eine komplexe Struktur wie den menschlichen Geist hervorbringen kann. Die Merkmale des Denkens, die wir heute besitzen, sind adaptiv, weil sie für unsere Vorfahren im natürlichen Ausleseprozess vorteilhaft waren (Evolutionäre Erkenntnistheorie). Zweitens: Evolution ist langfristig. Unser Geist ist daher durch die langfristigen Herausforderungen geformt, denen der Mensch in seiner natürlichen Umgebung ausgesetzt war. Während der größten evolutionären Zeitstrecke waren unsere homininen Vorfahren Jäger und Sammler.[14] In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Einbeziehung der menschlichen Kultur und der Kooperationsgedanke zu zunehmend wichtigen Säulen bei der Erforschung der Evolution des menschlichen Verhaltens. Der Rahmen der Synthetischen Evolutionstheorie, die lange auf das Survival of the Fittest begrenzt war, wurde dadurch erweitert.
Vormenschliche, frühmenschliche und menschliche Denkentwicklung
Das Konzept der geteilten Intentionalität von Tomasello
Der Psychologe Michael Tomasello stellt die Evolution des Denkens als Weg von den nicht menschlichen Menschenaffen über die Frühmenschen zum heutigen Menschen dar. Dabei werden drei Stufen der Evolution des Denkens unterschieden: Individuelle Intentionalität bei den Menschenaffen sowie unter dem Überbegriff geteilte Intentionalität die beiden Formen gemeinsame Intentionalität bei den Frühmenschen und kollektive Intentionalität beim modernen Menschen. Intentionalität meint die selbstregulierende, kognitive Art und Weise des Umgangs mit Dingen.[15] Zusammenfassend lässt sich nach Tomasello sagen: Der moderne Mensch denkt mittels geteilter Intentionalität, um zu kooperieren,[16] während sich Menschenaffen größtenteils individualistisch verhalten.[17] Hierbei ist die seines Erachtens auf dem Weg über symbolische Zeigegesten entstandene Sprache[18] der Schlussstein der menschlichen Kognition und des Denkens und nicht ihr Fundament.[19]
Individuelle Intentionalität der Menschenaffen
Menschenaffen können aus dieser Sicht denken, und zwar in Form individueller Intentionalität. Sie verfügen über drei Schlüsselkompetenzen des Denkens: erstens über schematische, kognitive Repräsentation.[20] Sie können sich damit zum Beispiel vorstellen und wissen, dass ein Leopard auf Bäume klettern kann. Mit einer zweiten Schlüsselkompetenz können Menschenaffen nonverbale, kausale und intentionale Schlussfolgerungen ziehen.[21][22] Ein bekanntes Experiment hierzu ist das Verstecken von Objekten hinter eines Sichtblende. Der Affe erwartet, es dort wieder zu finden. Wenn er sieht, wie es weggenommen und durch ein anderes ersetzt wird, erwartet er nicht, es hinter der Sichtblende wieder zu finden.[23] Auch dass Menschenaffen die Ziele anderer Affen verstehen können, bedeutet kausale Schlussfolgerung. Als dritte Schlüsselkompetenz können Menschenaffen ihr Verhalten selbst beobachten, bzw. sie haben die Fähigkeit, das Ergebnis und auch die Elemente eines Entscheidungsprozesses zu überwachen.[24] So wissen sie etwa, wenn sie keine zureichenden Informationen haben, eine sachadäquate Verhaltensentscheidung zu treffen. Diese erste Form, die individuelle Intentionalität und instrumentelle Rationalität, trifft laut Tomasello für nicht menschliche Menschenaffen für die Zeit nach der Abspaltung des heutigen Menschen vom Schimpansenvorfahren bis zu den Australopithecinen zu.[25] Solche Wesen sind in erster Linie konkurrenzbetont. Das Denken geschieht immer im Dienst der Konkurrenz.[26] Ohne Sprachfähigkeit können Menschenaffen die Welt kognitiv repräsentieren und scheinen in einem gewissen Sinn zu wissen, was sie tun, während sie es tun.[27] Eine Diskontinuität in dem Sinn, dass nur Menschen denken können und zwar nur mittels der Sprache[28][29][30] und dass Tiere nicht denken können, ist damit nicht mehr haltbar.
Als Bewertungskriterium, ob ein Tier denken kann, kann Evans' Allgemeinheitsbedingung verwendet werden.[31] Nach dieser Definition liegt Denken vor, wenn jedes potentielle Subjekt eines Gedankens mit verschiedenen Prädikaten kombiniert werden kann und ebenso jedes potentielle Prädikat mit verschiedenen Subjekten. Beides kann sprachlich und nicht-sprachlich erreicht werden. Ein Beispiel für ein gedachtes Subjekt mit verschiedenen Prädikaten ist die Vorstellung, dass ein Menschenaffe denkt, dass ein Leopard schnell rennen, auf einen Baum klettern sowie Affen jagen und fressen kann. Im zweiten Fall kann ein Affe wissen, dass Leoparden auf Bäume klettern können, aber ebenso Schlangen und kleine Affen. Nach diesem Kriterium, das nur die Repräsentationsfähigkeit adressiert, nicht aber die für Menschenaffen angeführte Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und Reflexionen des eigenen Handelns verwendet, kann für Menschenaffen zumindest teilweise gelten, dass sie denken können.[32]
Gemeinsame Intentionalität der Frühmenschen
Die Herstellung von Steinwerkzeugen in präzisen Einzelschritten (hier: Levalloistechnik) gelang frühen Menschen erst durch hohe Kooperation und verlangte bereits die Vererbung von gemeinsam erworbenem, kumuliertem Wissen.
Frühmenschen und Menschen haben eine zweite und dritte Stufe komplexerer Kognition entwickelt, die als geteilte Intentionalität zusammengefasst wird. Hierunter fallen die gemeinsame Intentionalität und die kollektive Intentionalität.[26]
Bei gemeinsamer Intentionalität der Frühmenschen, die noch nicht über eine konventionelle Sprache verfügen, gibt es gemeinschaftliche Tätigkeiten, etwa Nahrungssuche, mit gemeinsamer Aufmerksamkeit und gemeinsamen Zielen, eine Wir-Intentionalität, jedoch mit individuellen Rollen und Perspektiven. Die Kommunikation erfolgt über natürliche, ikonische Gesten des Zeigens. Die Frühmenschen wandeln die individuelle Intentionalität der Menschenaffen durch Kooperation in gemeinsame Intentionalität um.[33] Die Kooperationspartner geraten dabei in wechselseitige Abhängigkeit. Das Überleben des Einzelnen hängt davon ab, wie der Kooperationspartner ihn beurteilt. Die Kommunikation ist stark ich-du bezogen und noch nicht in einer größeren, anonymen Gruppe bezogen. Ein Beteiligter hat ein Interesse daran, dem anderen dabei zu helfen, seine Rolle zu spielen. Dazu muss er ihn mit Informationen beliefern, die für ihn interessant sind.[34] Die Schlussfolgerungen solchen Denkens sind jetzt nicht mehr individuell sondern sozial rekursiv, d. h. die Intentionen des Partners werden wechselweise und wiederholt reflektiert.[35] Zu der hier geschilderten kooperativen Denkform sind Menschenaffen nicht in der Lage. Sie treffen keine gemeinsamen Entscheidungen und können sie folglich auch nicht gemeinsam reflektieren.[36]
Kollektive Intentionalität des Menschen
In der höchsten Stufe, der kollektiven Intentionalität, ist schließlich das kooperative Denken in der Form weiter evolviert, dass es in einer gruppenorientierten Kultur geschieht. Hier liegt die akkumulierte Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten über Generationen hinweg vor.[37] Menschenaffen kennen im Gegensatz zum Menschen nicht das Motiv, andere über Dinge zu informieren oder Informationen mit ihnen zu teilen.[38][39] Dieses Motiv führt beim menschlichen Denken zum sogenannten Wagenheber-Effekt.[40] Beim Wagenheber-Effekt bleiben erfolgreiche kulturelle Anpassungen an lokale Bedingungen generationenübergreifend erhalten, erfolglose Versuche sterben aus. Diese Art des Denkens kann in stabiler, kumulativer kultureller Evolution münden. Die modernen Menschen haben einen stärkeren Wagenhebereffekt (z. B. technische Evolution) als Frühmenschen und Menschenaffen.[41]
Im Rahmen kollektiver Intentionalität und des soziokulturellen Denkens erstellt der Mensch mit Hilfe sprachfähigen Denkens objektive Normen für die Gruppe. Diese Normen können von jeder Einzelperson überdacht und begründet werden, um andere von ihnen zu überzeugen. Die Gruppe verschafft sich normative Konventionen und Maßstäbe und ist in der Lage diese mit objektivierten Kriterien zu reflektieren.[42] Geteilte Intentionalität wird als eine Key-Innovation oder ein Systemwechsel in der Evolution gesehen. In der kulturellen Evolution kann die Gruppe dann selbst zu einer Einheit der natürlichen Selektion werden (Gruppenselektion).[41]
Als weitere evolutionäre Fähigkeit erscheint beim Menschen als einzigem Lebewesen ein ausgeprägt episodisches Gedächtnis, das ihm ermöglicht, denkend Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft klar zuzuordnen und zwischen diesen zu unterscheiden. Wir können mentale Zeitreisen in beide Richtungen unternehmen,[43] verbunden mit der Fähigkeit, verschachtelte mentale Szenarien zu entwerfen,[44] also z. B. komplexe technische oder künstlerische Projekte zu planen und durchzuführen.
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