August Ludwig von Schlözer
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August Ludwig von Schlözer
August Ludwig von Schlözer, auch unter dem Pseudonym Johann Joseph Haigold schreibend und manchmal Schlötzer geschrieben (* 5. Juli 1735 Gaggstatt (Grafschaft Hohenlohe-Kirchberg, heute Kirchberg an der Jagst); † 9. September 1809 in Göttingen) war ein deutscher Historiker, Staatsrechtler, Schriftsteller, Publizist, Philologe, Pädagoge und Statistiker der Aufklärung.
Leben und Werk
Schlözer, Sohn des Pfarrers Johann Georg Friedrich Schlözer († 1740), begann 1751 ein Theologiestudium an der Universität Wittenberg. Dem Ruf des berühmten Orientalisten Johann David Michaelis folgend, setzte er seine Studien in Göttingen fort. Um sein Bibelverständnis zu vertiefen, studierte er Geographie und Sprachen des Orients zur Vorbereitung einer Reise nach Palästina. Das Vorhaben, das er lange intensiv verfolgte, ist bezeichnend für die Art seines Denkens: Für ein theoretisches Problem suchte er durch praktische Erprobung eine vertiefte Erkenntnis. Er war außerordentlich begabt, Fremdes produktiv aufzunehmen; hinzu trat sachliches Engagement und eine ungewöhnliche Arbeitskraft. So studierte er auch Medizin und Staatswissenschaften. Drei Jahre als Hauslehrer in Schweden genügten ihm, um in schwedischer Sprache wissenschaftliche Arbeiten schreiben zu können. Sein Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten (1758), 1761 ins Deutsche übersetzt, ist ein Beispiel seiner Geschichtsschreibung, die lebensweltliche mit ökonomischen und politischen Faktoren verbindet, um zu einer vollständigeren geschichtlichen Erkenntnis zu gelangen.
Von 1761 bis 1770 in Russland, zunächst als Hauslehrer, dann als Adjunkt der Petersburger Akademie der Wissenschaften und Lehrer für russische Geschichte, nahm er sehr schnell die Anforderungen seiner neuen Umgebung auf und vertiefte sich in die Quellen zur russischen Geschichte. Aus dieser Beschäftigung entstand sein Hauptwerk, die Edition der altrussischen Nestorchronik (1802–1809), die genaue Kenntnis und Reflexion der historischen Methode belegt. Zar Alexander I. würdigte seine Verdienste um die russische Geschichte durch Nobilitierung. Mit seiner Berufung zum ordentlichen Professor in der Philosophischen Fakultät der Göttinger Universität hatte Schlözer seine Bestimmung gefunden. Er lehrte zunächst Universalgeschichte, nach dem Tod Gottfried Achenwalls auch Statistik, Politik, neuere Staatengeschichte und Staatsrecht. Als Lehrer faszinierte er seine Studenten, unter ihnen künftige Politiker und Beamte wie Heinrich Friedrich Karl vom Stein und Karl August von Hardenberg, durch sein didaktisches Geschick, die Gegenwartsbedeutung historischer Erkenntnis offenzulegen, seine freimütige Kritik an jeder obrigkeitlichen Willkür und sein leidenschaftliches politisches Temperament.
In seiner Vorstellung seiner Universalgeschichte (1772) schreibt Schlözer die Fortentwicklung der Menschheit dem verantwortungsvollen Handeln des Menschen zu. Geschichte und Politik waren in seinem Verständnis aufeinander bezogen. Im Kontext der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit nehmen Autor und Leser an einem historischen Diskurs teil, den Schlözer durch explizite Anreden an den Leser eröffnet.
Grundlegend für seine staatsrechtlichen und politischen Vorstellungen ist seine Schrift Stats Anzeigen (1804), die neben dem allgemeinen Staatsrecht und der Staatsverfassungslehre eine Metapolitik genannte Reflexion und eine Theorie der Statistik enthält. Sein Verständnis der Statistik, die er einmal als „stillstehende Geschichte“ im Unterschied zu der als „fortlaufende Statistik“ charakterisierten Geschichte definierte, hatte Einfluss auf sein berühmtes Unternehmen: August Ludwig Schlözers Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts (1778–1782) und Staatsanzeigen (1782–1793). Es kam ihm darauf an, alle Informationen zu sammeln, die die Verhältnisse eines Landes beschreiben und erklären konnten. Wie der Historiker vergangene Welten erforscht, so verfuhr der Statistiker Schlözer als Herausgeber seiner Zeitschriften mit dem Ziel der Aufklärung der Gegenwart. Sein Unternehmen war außerordentlich erfolgreich, seine Publizität wurde von den Mächtigen gefürchtet. In seinem Artikel Abermaliger Justizmord in der Schweiz (nachgedruckt in den Stats Anzeigen), in dem er den Hexenprozess gegen Anna Göldi im Jahre 1782 im schweizerischen Glarus kritisierte, prägte er das deutsche Wort Justizmord.
Schlözer hat als Lehrer, Schriftsteller und Publizist die öffentliche Diskussion über die Normen und Werte der Politik und des menschlichen Zusammenlebens angeregt und die Entwicklung bürgerlicher Emanzipation gefördert, eine Leistung, die er selbst - müde und verbittert am Ende seines Lebens - kritisch beurteilte.
1769 hatte er die 16-jährige Caroline Friederike Roederer, Tochter des Anatomen Johann Georg Roederer, geheiratet. Sie wurde später als Malerin und Kunststickerin bekannt.[1] Die einzige überlebende Tochter aus dieser Ehe war Dorothea Schlözer (1770–1825). Auf Veranlassung ihres Vaters erhielt sie Unterricht in Mathematik, Geschichte, Französisch, Englisch, Holländisch, Schwedisch, Italienisch, Latein, Spanisch, Hebräisch und Griechisch und bestand 1787 in Göttingen als erste weibliche Kandidatin das philosophische Doktorexamen. Sie zählt zu der als „Universitätsmamsellen“ bekannten Gruppe Göttinger Gelehrtentöchter des 18. Jahrhunderts.
Nach der Promotion half sie ihrem Vater bei der Erarbeitung der Münz- Geld- und Bergwerksgeschichte des Russischen Kaiserthums von 1700–1789 (1791). 1792 heiratete sie den Lübecker Kaufmann und späteren Senator Mattheus Rodde, dessen Haus sie in den folgenden Jahren zu einem gesellschaftlichen Zentrum der Hansestadt machte. Nachdem er 1810 bankrottging, zog die Familie nach Göttingen.
Ehrungen
Schlözer war Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften. 1761 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 1762 Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften zu Sankt Petersburg, 1769 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und im gleichen Jahr auch der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.
1782 erhielt er die Ehrendoktorwürde von der Universität Innsbruck verliehen.
1803 wurde Schlözer vom russischen Zaren Alexander I. für seine Verdienste um die russische Geschichtsschreibung mit Verleihung des Sankt-Wladimir-Ordens 4. Klasse in den erblichen russischen Adelsstand erhoben.
In Kirchberg an der Jagst (im Teilort Gaggstatt) wurde zunächst eine Straße nach Schlözer benannt und 2010 die Grund-, Haupt- und Realschule in August-Ludwig-Schlözer-Schule umbenannt.
Werke (Auswahl)
Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland : aus authentischen Nachrichten beschrieben, Riga; Leipzig 1767 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie, Göttingen; Gotha 1772–1773 (Bd. 1 als Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv, Bd. 2 als Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Oskold und Dir, Göttingen/Gotha 1773 (Digitalisat)
Ludwig Ernst, Herzog Zu Braunschweig Und Lüneburg, kaiserl. königl. und des h. Römischen Reichs FeldMarschall, Göttingen 1787 (Digitalisat)
Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Göttingen 1795 (Volltext)
Münz-, Geld-, und Bergwerks-Geschichte des Russischen Kaiserthums, Göttingen 1797 (Digitalisat)
De vita dei, Vitembergae (Digitalisat)
Quelle
Leben und Werk
Schlözer, Sohn des Pfarrers Johann Georg Friedrich Schlözer († 1740), begann 1751 ein Theologiestudium an der Universität Wittenberg. Dem Ruf des berühmten Orientalisten Johann David Michaelis folgend, setzte er seine Studien in Göttingen fort. Um sein Bibelverständnis zu vertiefen, studierte er Geographie und Sprachen des Orients zur Vorbereitung einer Reise nach Palästina. Das Vorhaben, das er lange intensiv verfolgte, ist bezeichnend für die Art seines Denkens: Für ein theoretisches Problem suchte er durch praktische Erprobung eine vertiefte Erkenntnis. Er war außerordentlich begabt, Fremdes produktiv aufzunehmen; hinzu trat sachliches Engagement und eine ungewöhnliche Arbeitskraft. So studierte er auch Medizin und Staatswissenschaften. Drei Jahre als Hauslehrer in Schweden genügten ihm, um in schwedischer Sprache wissenschaftliche Arbeiten schreiben zu können. Sein Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten (1758), 1761 ins Deutsche übersetzt, ist ein Beispiel seiner Geschichtsschreibung, die lebensweltliche mit ökonomischen und politischen Faktoren verbindet, um zu einer vollständigeren geschichtlichen Erkenntnis zu gelangen.
Von 1761 bis 1770 in Russland, zunächst als Hauslehrer, dann als Adjunkt der Petersburger Akademie der Wissenschaften und Lehrer für russische Geschichte, nahm er sehr schnell die Anforderungen seiner neuen Umgebung auf und vertiefte sich in die Quellen zur russischen Geschichte. Aus dieser Beschäftigung entstand sein Hauptwerk, die Edition der altrussischen Nestorchronik (1802–1809), die genaue Kenntnis und Reflexion der historischen Methode belegt. Zar Alexander I. würdigte seine Verdienste um die russische Geschichte durch Nobilitierung. Mit seiner Berufung zum ordentlichen Professor in der Philosophischen Fakultät der Göttinger Universität hatte Schlözer seine Bestimmung gefunden. Er lehrte zunächst Universalgeschichte, nach dem Tod Gottfried Achenwalls auch Statistik, Politik, neuere Staatengeschichte und Staatsrecht. Als Lehrer faszinierte er seine Studenten, unter ihnen künftige Politiker und Beamte wie Heinrich Friedrich Karl vom Stein und Karl August von Hardenberg, durch sein didaktisches Geschick, die Gegenwartsbedeutung historischer Erkenntnis offenzulegen, seine freimütige Kritik an jeder obrigkeitlichen Willkür und sein leidenschaftliches politisches Temperament.
In seiner Vorstellung seiner Universalgeschichte (1772) schreibt Schlözer die Fortentwicklung der Menschheit dem verantwortungsvollen Handeln des Menschen zu. Geschichte und Politik waren in seinem Verständnis aufeinander bezogen. Im Kontext der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit nehmen Autor und Leser an einem historischen Diskurs teil, den Schlözer durch explizite Anreden an den Leser eröffnet.
Grundlegend für seine staatsrechtlichen und politischen Vorstellungen ist seine Schrift Stats Anzeigen (1804), die neben dem allgemeinen Staatsrecht und der Staatsverfassungslehre eine Metapolitik genannte Reflexion und eine Theorie der Statistik enthält. Sein Verständnis der Statistik, die er einmal als „stillstehende Geschichte“ im Unterschied zu der als „fortlaufende Statistik“ charakterisierten Geschichte definierte, hatte Einfluss auf sein berühmtes Unternehmen: August Ludwig Schlözers Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts (1778–1782) und Staatsanzeigen (1782–1793). Es kam ihm darauf an, alle Informationen zu sammeln, die die Verhältnisse eines Landes beschreiben und erklären konnten. Wie der Historiker vergangene Welten erforscht, so verfuhr der Statistiker Schlözer als Herausgeber seiner Zeitschriften mit dem Ziel der Aufklärung der Gegenwart. Sein Unternehmen war außerordentlich erfolgreich, seine Publizität wurde von den Mächtigen gefürchtet. In seinem Artikel Abermaliger Justizmord in der Schweiz (nachgedruckt in den Stats Anzeigen), in dem er den Hexenprozess gegen Anna Göldi im Jahre 1782 im schweizerischen Glarus kritisierte, prägte er das deutsche Wort Justizmord.
Schlözer hat als Lehrer, Schriftsteller und Publizist die öffentliche Diskussion über die Normen und Werte der Politik und des menschlichen Zusammenlebens angeregt und die Entwicklung bürgerlicher Emanzipation gefördert, eine Leistung, die er selbst - müde und verbittert am Ende seines Lebens - kritisch beurteilte.
1769 hatte er die 16-jährige Caroline Friederike Roederer, Tochter des Anatomen Johann Georg Roederer, geheiratet. Sie wurde später als Malerin und Kunststickerin bekannt.[1] Die einzige überlebende Tochter aus dieser Ehe war Dorothea Schlözer (1770–1825). Auf Veranlassung ihres Vaters erhielt sie Unterricht in Mathematik, Geschichte, Französisch, Englisch, Holländisch, Schwedisch, Italienisch, Latein, Spanisch, Hebräisch und Griechisch und bestand 1787 in Göttingen als erste weibliche Kandidatin das philosophische Doktorexamen. Sie zählt zu der als „Universitätsmamsellen“ bekannten Gruppe Göttinger Gelehrtentöchter des 18. Jahrhunderts.
Nach der Promotion half sie ihrem Vater bei der Erarbeitung der Münz- Geld- und Bergwerksgeschichte des Russischen Kaiserthums von 1700–1789 (1791). 1792 heiratete sie den Lübecker Kaufmann und späteren Senator Mattheus Rodde, dessen Haus sie in den folgenden Jahren zu einem gesellschaftlichen Zentrum der Hansestadt machte. Nachdem er 1810 bankrottging, zog die Familie nach Göttingen.
Ehrungen
Schlözer war Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften. 1761 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 1762 Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften zu Sankt Petersburg, 1769 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und im gleichen Jahr auch der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.
1782 erhielt er die Ehrendoktorwürde von der Universität Innsbruck verliehen.
1803 wurde Schlözer vom russischen Zaren Alexander I. für seine Verdienste um die russische Geschichtsschreibung mit Verleihung des Sankt-Wladimir-Ordens 4. Klasse in den erblichen russischen Adelsstand erhoben.
In Kirchberg an der Jagst (im Teilort Gaggstatt) wurde zunächst eine Straße nach Schlözer benannt und 2010 die Grund-, Haupt- und Realschule in August-Ludwig-Schlözer-Schule umbenannt.
Werke (Auswahl)
Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland : aus authentischen Nachrichten beschrieben, Riga; Leipzig 1767 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie, Göttingen; Gotha 1772–1773 (Bd. 1 als Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv, Bd. 2 als Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Oskold und Dir, Göttingen/Gotha 1773 (Digitalisat)
Ludwig Ernst, Herzog Zu Braunschweig Und Lüneburg, kaiserl. königl. und des h. Römischen Reichs FeldMarschall, Göttingen 1787 (Digitalisat)
Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Göttingen 1795 (Volltext)
Münz-, Geld-, und Bergwerks-Geschichte des Russischen Kaiserthums, Göttingen 1797 (Digitalisat)
De vita dei, Vitembergae (Digitalisat)
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