Aufnahme von RAF-Aussteigern in der DDR
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Aufnahme von RAF-Aussteigern in der DDR
Zur Aufnahme von RAF-Aussteigern in der DDR kam es 1980 und 1982. Zehn Personen aus der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) und deren Umfeld wurden mit Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der DDR ansässig und erhielten dort falsche Identitäten. Kurz nach dem Ende der SED-Diktatur in der DDR wurden sie enttarnt, an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert, vor Gericht gestellt und größtenteils zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Ablauf
Im Frühjahr 1978 kam es auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld zur ersten Begegnung der Terroristin Inge Viett – damals noch Mitglied der Bewegung 2. Juni – mit Harry Dahl, dem Chef der Terrorabwehr der DDR. Nachdem Viett zunächst mit gefälschten Papieren aufgefallen war, durfte sie nach einem zweistündigen Gespräch mit Dahl nach West-Berlin ausreisen.
Wenige Wochen später versuchte Viett erneut über Ost-Berlin zu flüchten und nach Bulgarien weiterzureisen. Erneut fiel sie mit gefälschten Papieren auf, zudem wurde an der Grenzübergangsstelle Friedrichstraße eine Waffe bei ihr gefunden. Trotzdem ließen die DDR-Behörden Viett nach einigen Stunden weiterreisen. In Bulgarien entgingen Viett, Ingrid Siepmann und eine weitere Person nur knapp dem Zugriff des bundesdeutschen Bundeskriminalamts und flohen weiter in die Tschechoslowakei. Dort wurden die drei verhaftet, nach Prag gebracht – und dem MfS übergeben, welches sie wiederum unbehelligt ausreisen ließ.[1]
Im Mai 1980 trafen Viett und Dahl sich erneut, diesmal in einem Haus nahe Königs Wusterhausen. Zunächst bat Viett um Mithilfe der DDR bei der Suche nach einem sozialistischen Land, das acht zum Ausstieg entschlossene RAF-Mitglieder aufnehmen würde. Nach weiteren Gesprächen machte das MfS das Angebot, die Aussteiger in der DDR aufzunehmen.
In diesem Haus im Cottbuser Neubaugebiet Sachsendorf-Madlow wohnte Susanne Albrecht unter dem Namen „Ingrid Jäger“ ab 1980, bis sie Anfang 1985 erkannt wurde.
Am 18. August 1980 reisten
Ralf Friedrich und
Sigrid Sternebeck in die DDR ein.
Einige Wochen später folgten
Susanne Albrecht,
Monika Helbing,
Silke Maier-Witt,
Werner Lotze
und zwei weitere Personen,
1982 schließlich
Inge Viett und
Henning Beer.
Nach allen wurde auf den Fahndungslisten von Interpol weltweit gesucht.
Zunächst wurden sie im vom MfS als „Objekt 74“ bezeichneten Forsthaus Briesen (♁52° 18′ 16″ N, 14° 13′ 29″ O)[2][3] untergebracht und einige Wochen geschult, um sie auf das Leben in der DDR vorzubereiten. Die Aussteiger erhielten neue Legenden, die sie dort auswendig lernten, gefälschte Geburts- und Heiratsurkunden, Schul- und Ausbildungszeugnisse und schließlich Wohnungen und Arbeitsplätze in verschiedenen Städten der DDR.
Während westdeutsche Behörden die Untergetauchten für seit 1980 begangene Anschläge verantwortlich machten, lebten die Aussteiger als Buchdruckerin, Arzt, Maschinist oder Fotografin in Ost-Berlin, Frankfurt (Oder), Senftenberg und Schwedt.[1]
Der inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit und ehemalige Terrorist Till Meyer verbreitete in Artikeln und Gesprächen die gezielte Desinformation, die Terroristen seien „in Damaskus“ oder „sonstwo im Nahen Osten“ untergetaucht.[4]
Das MfS überwachte die Aussteiger bis zu deren Enttarnung vollständig und erfasste die Vorgänge im „Operativvorgang Stern 2“. Die Wohnungen der Aussteiger wurden verwanzt, die Telefongespräche abgehört, ein- bis zweimal im Monat fanden Treffen zwischen Betreuern und Betreuten statt, Kontakte untereinander waren den Aussteigern verboten. In einem internen Bericht des MfS von 1985 steht, von der Zehnergruppe würde keine Gefahr mehr ausgehen. Wörtlich heißt es: „Alle Personen haben sich fest in das berufliche und öffentliche Leben eingegliedert.“[1]
Einmal im Jahr fand ein Treffen der ersten acht Aussteiger im Briesener Forsthaus statt. Unter Aufsicht des MfS feierte man den Jahrestag der Gründung der DDR. Dass sich auch Inge Viett und Henning Beer in der DDR aufhielten, erfuhren die übrigen erst im Sommer 1990.[5]
Im Laufe der Jahre wurden unter anderem Silke Maier-Witt,[6] Susanne Albrecht und Inge Viett von DDR-Bürgern erkannt oder von westlichen Geheimdiensten identifiziert und mussten ihre Identitäten teilweise sehr schnell wechseln.
Am 13. Dezember 1989 erhielt der Stasi-Generalmajor Heinz Engelhardt die Desinformationsaufgabe, die in westlichen Medien aufkommenden Vermutungen über die Stasiunterstützung für die RAF zu zerstreuen.[7]
Nach dem Ende der SED-Diktatur in der DDR wurden im Juni 1990 innerhalb von zwei Wochen alle Personen identifiziert und festgenommen. Susanne Albrecht, Werner Lotze, Monika Helbing, Silke Maier-Witt, Henning Beer, Inge Viett, Sigrid Sternebeck und Ralf Friedrich wurden für die von ihnen begangenen Straftaten zu Haftstrafen zwischen sechseinhalb und 13 Jahren verurteilt. Die zwei weiteren Personen vorgeworfenen Straftaten waren in der Zwischenzeit verjährt.[1] Einige der Festgenommenen erhielten aufgrund ihrer Aussagebereitschaft den Status von Kronzeugen.
1990 wurde Erich Mielke unter anderem wegen seiner Mitwirkung verhaftet, 1991 wurde ein Haftbefehl wegen versuchten Mordes durch Unterstützung von RAF-Terroristen erlassen. 1998 wurden alle Verfahren gegen Mielke aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.[8] 1997 wurden drei Offiziere des MfS angeklagt und teilweise wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt, der Bundesgerichtshof hob diese Urteile 1998 auf. Die Handlungen seien als Ausdruck staatlicher Souveränität hinzunehmen.[1][9]
Die Frage, inwieweit es zur Unterstützung der RAF durch das MfS über das Aufnehmen der Aussteiger hinaus gekommen ist und welche Rolle einzelne Personen hierbei spielten, ist Gegenstand der Forschung.[10]
Film
Im Jahr 2000 thematisierte Volker Schlöndorff die Ereignisse in dem Film „Die Stille nach dem Schuss“.
Quelle
Ablauf
Im Frühjahr 1978 kam es auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld zur ersten Begegnung der Terroristin Inge Viett – damals noch Mitglied der Bewegung 2. Juni – mit Harry Dahl, dem Chef der Terrorabwehr der DDR. Nachdem Viett zunächst mit gefälschten Papieren aufgefallen war, durfte sie nach einem zweistündigen Gespräch mit Dahl nach West-Berlin ausreisen.
Wenige Wochen später versuchte Viett erneut über Ost-Berlin zu flüchten und nach Bulgarien weiterzureisen. Erneut fiel sie mit gefälschten Papieren auf, zudem wurde an der Grenzübergangsstelle Friedrichstraße eine Waffe bei ihr gefunden. Trotzdem ließen die DDR-Behörden Viett nach einigen Stunden weiterreisen. In Bulgarien entgingen Viett, Ingrid Siepmann und eine weitere Person nur knapp dem Zugriff des bundesdeutschen Bundeskriminalamts und flohen weiter in die Tschechoslowakei. Dort wurden die drei verhaftet, nach Prag gebracht – und dem MfS übergeben, welches sie wiederum unbehelligt ausreisen ließ.[1]
Im Mai 1980 trafen Viett und Dahl sich erneut, diesmal in einem Haus nahe Königs Wusterhausen. Zunächst bat Viett um Mithilfe der DDR bei der Suche nach einem sozialistischen Land, das acht zum Ausstieg entschlossene RAF-Mitglieder aufnehmen würde. Nach weiteren Gesprächen machte das MfS das Angebot, die Aussteiger in der DDR aufzunehmen.
In diesem Haus im Cottbuser Neubaugebiet Sachsendorf-Madlow wohnte Susanne Albrecht unter dem Namen „Ingrid Jäger“ ab 1980, bis sie Anfang 1985 erkannt wurde.
Am 18. August 1980 reisten
Ralf Friedrich und
Sigrid Sternebeck in die DDR ein.
Einige Wochen später folgten
Susanne Albrecht,
Monika Helbing,
Silke Maier-Witt,
Werner Lotze
und zwei weitere Personen,
1982 schließlich
Inge Viett und
Henning Beer.
Nach allen wurde auf den Fahndungslisten von Interpol weltweit gesucht.
Zunächst wurden sie im vom MfS als „Objekt 74“ bezeichneten Forsthaus Briesen (♁52° 18′ 16″ N, 14° 13′ 29″ O)[2][3] untergebracht und einige Wochen geschult, um sie auf das Leben in der DDR vorzubereiten. Die Aussteiger erhielten neue Legenden, die sie dort auswendig lernten, gefälschte Geburts- und Heiratsurkunden, Schul- und Ausbildungszeugnisse und schließlich Wohnungen und Arbeitsplätze in verschiedenen Städten der DDR.
Während westdeutsche Behörden die Untergetauchten für seit 1980 begangene Anschläge verantwortlich machten, lebten die Aussteiger als Buchdruckerin, Arzt, Maschinist oder Fotografin in Ost-Berlin, Frankfurt (Oder), Senftenberg und Schwedt.[1]
Der inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit und ehemalige Terrorist Till Meyer verbreitete in Artikeln und Gesprächen die gezielte Desinformation, die Terroristen seien „in Damaskus“ oder „sonstwo im Nahen Osten“ untergetaucht.[4]
Das MfS überwachte die Aussteiger bis zu deren Enttarnung vollständig und erfasste die Vorgänge im „Operativvorgang Stern 2“. Die Wohnungen der Aussteiger wurden verwanzt, die Telefongespräche abgehört, ein- bis zweimal im Monat fanden Treffen zwischen Betreuern und Betreuten statt, Kontakte untereinander waren den Aussteigern verboten. In einem internen Bericht des MfS von 1985 steht, von der Zehnergruppe würde keine Gefahr mehr ausgehen. Wörtlich heißt es: „Alle Personen haben sich fest in das berufliche und öffentliche Leben eingegliedert.“[1]
Einmal im Jahr fand ein Treffen der ersten acht Aussteiger im Briesener Forsthaus statt. Unter Aufsicht des MfS feierte man den Jahrestag der Gründung der DDR. Dass sich auch Inge Viett und Henning Beer in der DDR aufhielten, erfuhren die übrigen erst im Sommer 1990.[5]
Im Laufe der Jahre wurden unter anderem Silke Maier-Witt,[6] Susanne Albrecht und Inge Viett von DDR-Bürgern erkannt oder von westlichen Geheimdiensten identifiziert und mussten ihre Identitäten teilweise sehr schnell wechseln.
Am 13. Dezember 1989 erhielt der Stasi-Generalmajor Heinz Engelhardt die Desinformationsaufgabe, die in westlichen Medien aufkommenden Vermutungen über die Stasiunterstützung für die RAF zu zerstreuen.[7]
Nach dem Ende der SED-Diktatur in der DDR wurden im Juni 1990 innerhalb von zwei Wochen alle Personen identifiziert und festgenommen. Susanne Albrecht, Werner Lotze, Monika Helbing, Silke Maier-Witt, Henning Beer, Inge Viett, Sigrid Sternebeck und Ralf Friedrich wurden für die von ihnen begangenen Straftaten zu Haftstrafen zwischen sechseinhalb und 13 Jahren verurteilt. Die zwei weiteren Personen vorgeworfenen Straftaten waren in der Zwischenzeit verjährt.[1] Einige der Festgenommenen erhielten aufgrund ihrer Aussagebereitschaft den Status von Kronzeugen.
1990 wurde Erich Mielke unter anderem wegen seiner Mitwirkung verhaftet, 1991 wurde ein Haftbefehl wegen versuchten Mordes durch Unterstützung von RAF-Terroristen erlassen. 1998 wurden alle Verfahren gegen Mielke aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.[8] 1997 wurden drei Offiziere des MfS angeklagt und teilweise wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt, der Bundesgerichtshof hob diese Urteile 1998 auf. Die Handlungen seien als Ausdruck staatlicher Souveränität hinzunehmen.[1][9]
Die Frage, inwieweit es zur Unterstützung der RAF durch das MfS über das Aufnehmen der Aussteiger hinaus gekommen ist und welche Rolle einzelne Personen hierbei spielten, ist Gegenstand der Forschung.[10]
Film
Im Jahr 2000 thematisierte Volker Schlöndorff die Ereignisse in dem Film „Die Stille nach dem Schuss“.
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