Das Vichy-Regime
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Das Vichy-Regime
Als Vichy-Regime (frz.Régime de Vichy) bezeichnet man im Rückblick die Regierung des État français („Französischer Staat“) nach der mit dem Waffenstillstand vom 22. Juni 1940 anerkannten militärischen Niederlage gegen das Deutsche Reich (siehe Westfeldzug). Aufgrund des Ermächtigungsgesetzes zur Verfassungsänderung vom 10. Juli 1940 löste das Vichy-Regime die Dritte Französische Republik ab. Es bestand bis 1944 und erhielt den Namen nach seinem Regierungssitz, dem Kurort Vichy in der Auvergne.
Wahlspruch: Travail, Famille, Patrie
(Arbeit, Familie, Vaterland)
Amtssprache Französisch
Hauptstadt Vichy (de facto)
Paris (de jure)
Sigmaringen (im Exil 1944–1945)
Staatsform Republik
Staatsoberhaupt Staatschef Philippe Pétain (1940–1944)
Regierungschef Premierminister Pierre Laval (1940)
Pierre-Étienne Flandin (1940–1941)
François Darlan (1941–1942)
Pierre Laval (1942–1944)
Währung Französischer Franc
Gründung 1940
Auflösung 1944
Nationalhymne Marseillaise (offiziell)
Maréchal, nous voilà (inoffiziell)
Zeitzone Universal Time + 1 (ab Oktober 1940)[1]
Der Weg nach Vichy
Am 16. Juni 1940 zeichnete sich mit der Einschließung der französischen Armeegruppen 2 und 3 der Zusammenbruch der französischen Verteidigung als Folge des erfolgreichen deutschen Westfeldzuges ab. Als Ministerpräsident Paul Reynaud im Parlament für die Fortführung des Krieges an der Seite der Alliierten und den Abschluss der von Winston Churchill vorgeschlagenen britisch-französischen Union plädierte, blieb er in der Minderheit und trat zurück. Der französische Staatspräsident Albert Lebrun betraute daraufhin seinen Stellvertreter, den populären Marschall Pétain, den „Helden der Schlacht um Verdun“, mit der Regierungsbildung und der Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen.
Der Waffenstillstand von Compiègne wurde am 22. Juni 1940 in Compiègne unterzeichnet. Er brachte unter anderem die De-facto-Teilung Frankreichs in einen unter deutscher Militärverwaltung stehenden Nord- und Westteil sowie einen unbesetzten Südteil (etwa 40 % der Landesfläche) mit Vichy als Sitz der französischen Regierung. Diese Regierung erhob grundsätzlich den Anspruch, weiterhin für ganz Frankreich einschließlich der Überseegebiete zuständig zu sein. Elsaß-Lothringen blieb nach dieser Auffassung staatsrechtlich ein Teil Frankreichs. Entgegen dieser Auffassung wurden diese östlichen Departements jedoch in den nächsten Tagen einem „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) unterstellt; französische Proteste ignorierten die deutschen Besatzer. Es folgte eine „Eindeutschungspolitik“ zur Vorbereitung einer späteren Annexion.
General Charles de Gaulle, im Kabinett Reynaud Staatssekretär, plädierte wie Reynaud für die Fortsetzung des Kampfes gegen das Deutsche Reich, flüchtete nach Großbritannien und richtete am 18. Juni von London aus über den französischsprachigen BBC-Sender Radio Londres einen Appell an alle Franzosen, den Kampf notfalls von den Kolonien aus fortzusetzen. Seine von ihm gegründeten Forces Françaises Libres (FFL; etwa: französische freie Streitkräfte) nahmen Ende Juli 1940 mit einer Stärke von etwa 7.000 Mann den Kampf an der Seite der britischen Armee auf. De Gaulle wurde vom Vichy-Regime wegen Landesverrats in Abwesenheit zum Tode verurteilt; die FFL galten dem Vichy-Regime und der deutschen Besatzungsmacht als Freischärler.
Verfassung
Die Nationalversammlung der Dritten Republik verabschiedete am 10. Juli 1940 mit 569 gegen 80 Stimmen[2] ein Gesetz, mit dem Marschall Pétain ermächtigt wurde, in einem oder mehreren Akten eine Verfassung für den État français (anstelle der République) zu verkünden; diese Verfassung müsse „die Rechte der Arbeit, der Familie und des Vaterlandes“ garantieren.[3]
Tags darauf verkündete Pétain daraufhin die ersten drei Konstitutionsakte, in denen er sich unter anderem selbst zum Chef d’État (Staatschef) mit Weisungsrecht gegenüber der Exekutive, Legislative und Judikative erklärte.[4] Mit Konstitutionsakt Nummer 4 erklärte er am 12. Juli Pierre Laval zu seinem Stellvertreter.[5]
Politik
Formale Regierungsgewalt
Staatsrechtlich unterstand dem Vichy-Regime ganz Frankreich mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen, das im Waffenstillstandsabkommen von Compiègne unter deutsche Verwaltung gestellt worden war. Des Weiteren stand ein kleines Gebiet im Südosten des Landes (u. a. Monaco und Nizza) unter italienischer Verwaltung, dessen Besetzung von der deutschen und der Vichy-Regierung lediglich geduldet wurde.
Tatsächliche Machtverhältnisse
Tatsächlich erstreckte sich die Verwaltungshoheit lediglich über 40 % des Mutterlandes und die Überseegebiete. Der überwiegende Teil der Nordzone war nach der Niederlage Frankreichs dem deutschen Militärbefehlshaber in Paris unterstellt, die beiden nördlichsten Départements am Ärmelkanal, Nord und Pas-de-Calais, jenem in Brüssel. In den besetzten Gebieten bedurften alle Gesetze und Erlasse des Vichy-Regimes der Gegenzeichnung durch die deutsche Militärverwaltung.
Als sich nach der Landung der Alliierten in Nordafrika im November 1942 ein Angriff auf Adolf Hitlers „Festung Europa“ abzeichnete, besetzten Deutsche und Italiener am 10. und 11. November 1942 im „Unternehmen Anton“ auch die bis dahin unbesetzte Südzone Frankreichs. Damit hatte das Vichy-Regime seine geringe faktische Macht weitgehend eingebüßt. Trotzdem beließen die Deutschen das Vichy-Regime im Amt. Sie entschieden, dass die französische Verwaltung erhalten bleiben solle. Hitler sprach am 18. Dezember 1942 davon, dass es klug sei, „die Fiktion einer französischen Regierung mit Pétain aufrechtzuerhalten. Deshalb solle man Pétain ruhig als eine Art Gespenst beibehalten und ihn von Zeit zu Zeit etwas von Laval aufblasen lassen, wenn er etwas zu sehr zusammensinke.“[6] Trotz der Besetzung des Landes und der damit verbundenen Einbuße sämtlicher Entscheidungsgewalt trat die Vichy-Regierung nicht zurück, sondern beließ es bei einem Protest gegen den Bruch des Waffenstillstandsabkommens.
Nach der erfolgreichen alliierten Invasion in der Normandie wurden die Mitglieder des Vichy-Regimes im August 1944 zwangsweise in das Schloss Sigmaringen gebracht. Dort bestand das Marionettenregime des État français bis zur deutschen Kapitulation weiter.
Politische Ziele
Pétain proklamierte ein neutrales Frankreich, das zwischen den Kriegführenden Äquidistanz halten wollte. In diesem Sinne lehnte er am 24. Oktober 1940 beim Treffen mit Hitler in Montoire eine Kriegsbeteiligung Frankreichs an der Seite des Deutschen Reiches ab. Eine Zusammenarbeit (Kollaboration) mit dem Deutschen Reich hielt Pétain jedoch für notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, Art und Umfang der materiellen, personellen und industriellen Ausbeutung des Landes in Grenzen zu halten und die Rückführung der etwa zwei Millionen französischen Soldaten aus deutscher Kriegsgefangenschaft zu erreichen.
Persönlich war Pétain überzeugt, dass die innere Zerrissenheit des Landes und der Verfall traditioneller Werte wesentlich zur militärischen Niederlage beigetragen hatten. Im sogenannten Prozess von Riom (Februar 1942 bis Mai 1943) sollte die Verantwortlichkeit dafür den wichtigsten Politikern und Militärs der letzten Jahre zugeschoben werden. Pétain wollte nun die Franzosen in einer Révolution Nationale zu neuer Einheit führen. So ließ er die an allen öffentlichen Gebäuden befindliche Parole Liberté, Égalité, Fraternité („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) durch den Wahlspruch Travail, Famille, Patrie („Arbeit, Familie, Vaterland“) ersetzen.
Innenpolitik
Die Niederlage im Jahre 1940 war für die Franzosen ein schwerer Schock. Als einer der Hauptgründe wurden die tiefen Klüfte innerhalb der Gesellschaft gesehen. Pétain war von der Niederlage unbelastet. Er wurde nun aufgrund seines legendären Rufes aus dem Ersten Weltkrieg von der Mehrheit der Franzosen und trotz seines hohen Alters als der richtige Mann angesehen, das Land zu einen und durch die Turbulenzen der kommenden Jahre zu führen. Die Mehrheit akzeptierte auch die neue autoritäre Verfassung und war zur Neutralität und zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden bereit, die zur Lockerung der Waffenstillstandsbedingungen führen würde. Das Vichy-Regime wurde daher zunächst mehrheitlich begrüßt. Der Historiker Henri Amouroux sprach von vierzig Millionen Pétainisten. Als jedoch die erwarteten Lockerungen nicht eintraten und sich die Kriegswende mit zusätzlichen Härten abzeichnete, verlor das Vichy-Regime an Ansehen. Die Regierung von Pétain hielt sich – mit Einschränkungen – trotzdem bis zum Sieg der Alliierten.
Nach der Sistierung des Parlamentes ordneten sich die Interessensgruppen neu. Die Kommunisten waren verboten, die Sozialisten aus Protest gegen die autoritäre Verfassung in der Opposition. Neben den „Konservativen“, die zwar die Regierung Pétain begrüßten, aber eine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten ablehnten, war politisch noch die „Action française“ bedeutsam, die das republikanische System durch eine Monarchie ersetzen wollte und einer gemäßigten Kollaboration nicht negativ gegenüberstand. Die faschistisch eingestellten Kreise organisierten sich im Parti populaire français (P.P.F.) unter Jacques Doriot und in der Rassemblement national populaire (RNP) unter Marcel Déat.
Eines der wichtigsten innenpolitischen Ziele war die Verbesserung der körperlichen Möglichkeiten vor allem der Jugend. Hier stimmte man einerseits mit den politischen Ideen anderer faschistischer Systeme überein,[7] sah aber andererseits auch die Chance - wie in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg - den Sport als eine Möglichkeit zu entwickeln anstelle des Militärs die Jugend für einen künftigen Krieg körperlich aufzurüsten. Mit Jean Borotra wurde zum ersten Mal ein Staatssekretär für Jugend und Sport etabliert, dem mit 1,9 Milliarden francs eine Summe an Geld zur Verfügung gestellt wurde, die größer war als die gesamte Investition in den Sport in das gesamte Frankreich der Zwischenkriegszeit.[8] Die Zentralisierung des Sports unter Pétain diente als Vorbild für die Sportförderung in Nachkriegsfrankreich bis heute.[9]
Im unbesetzten Teil des Landes sowie in Nordafrika wurden Jugendlager (Chantiers de la Jeunesse) eingerichtet. Jugendliche, auch aus dem besetzten Gebiet, konnten sich für den achtmonatigen Freiwilligendienst bewerben. Später wurde es möglich, den Dienst um weitere acht Monate zu verlängern und sich so der Zwangsarbeit in Industriebetrieben des Deutschen Reichs zu entziehen.
Antijüdische Politik
Innerhalb weniger Tage nach Gründung des État Français am 11. Juli 1940 erließ das Vichy-Regime eine Reihe von Gesetzen, die sich gegen die im Lande lebenden ausländischen Juden richteten. Am 17. Juli 1940 wurde bestimmt, dass eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst nur noch möglich sein sollte, wenn der Vater eines Betroffenen Franzose war. Mit weiteren Gesetzen am 16. August und 10. September 1940 wurde diese Regelung auf die medizinischen Berufe und die Angehörigen der Barreau, der Anwaltschaft, ausgedehnt. Daneben sollten sämtliche Einbürgerungen der Vergangenheit überprüft werden. Am 27. August 1940 wurde die Loi Marchandeau, die eine antisemitische Presseberichterstattung unter Strafe gestellt hatte, abgeschafft.[10] Einen vorläufigen Höhepunkt fand das Vorgehen gegenüber ausländischen Juden im Internierungsgesetz vom 4. Oktober 1940. Nunmehr konnte diese Personengruppe ohne Angabe von Gründen interniert werden: „Die ausländischen Staatsangehörigen jüdischer Rasse (ressortissants étrangers de race juive) können mit Verkündung des vorliegenden Gesetzes aufgrund einer Entscheidung des Präfekten des Departements, in dem sie ihren Wohnsitz haben, in besondere Lager (camps spéciaux) eingewiesen werden.“[11] Daneben arbeitete die französische Staatsführung seit Juni/Juli 1940 an einem „Judenstatut“, das eine umfassende „Säuberung“ der Verwaltung sowie der staatlich kontrollierten Berufe in den Bereichen Justiz, Medizin, Bildung und Kultur vorsah. Wie der Historiker Michael Mayer 2007 nachwies, war das am 3. Oktober 1940 erlassene Statut des Juifs[12] Ausdruck einer autonomen französischen „Judenpolitik“, die keinem direkten und beinahe keinem indirekten deutschen Einfluss ausgesetzt war.[13] Am 2. Juni 1941 wurde das Statut des Juifs weiter verschärft, so dass die jüdische Bevölkerung nunmehr einer umfassenden rechtlichen Diskriminierung unterworfen war.[14][15]
Außenpolitik
Obwohl Pétain nach der Beschießung der Flotte in Mers-el-Kébir durch die Royal Navy die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien abgebrochen hatte, wurde die Regierung in Vichy von den Alliierten zunächst weiterhin als legitime Vertretung der Franzosen anerkannt. Es waren vor allem die USA, die über ihren Botschafter Admiral William D. Leahy enge Beziehungen zu Vichy pflegten. Präsident Franklin Roosevelt und Außenminister Cordell Hull wollten ebenso wie Churchill vermeiden, Pétain durch Isolation in die Arme Hitlers zu treiben. Dazu Churchill:[16]
„Was auch in der Vergangenheit geschehen sein mochte, [Oran!] Frankreich war doch unser Leidensgefährte, und nichts als ein offener Krieg zwischen uns konnte es daran hindern, auch unser Gefährte im Sieg zu sein. Diese Politik war eine schwere Belastung für de Gaulle, der alles aufs Spiel gesetzt und die Fahne hochgehalten hatte, dessen Handvoll Anhänger außerhalb Frankreichs aber niemals den Anspruch erheben konnten, eine wirkliche französische Gegenregierung zu bilden.“
Da de Gaulle auch ein schwieriger, eigenwilliger Partner für die Alliierten war, suchten diese 1942/43 nach ihrer Landung in Französisch-Nordafrika nach einer prominenteren, entgegenkommenderen Führungspersönlichkeit. Da weder Ex-Ministerpräsident Reynaud noch General Weygand verfügbar waren, griff man trotz Bedenken wegen seiner Vichy-treuen Vergangenheit zunächst auf Admiral François Darlan zurück. Nach seiner kurz darauf erfolgten, bis heute nicht völlig aufgeklärten Ermordung in Algier versuchten vor allem die Amerikaner General Henri Giraud, der einige Monate zuvor aus deutscher Kriegsgefangenschaft geflohen war, als Gegenspieler de Gaulles aufzubauen. Der honorige, aber politisch unerfahrene Giraud wurde schließlich zusammen mit de Gaulle als Doppelspitze der "Freien Franzosen" von den Alliierten anerkannt, verlor jedoch im Verlauf des Jahres, u.a. aufgrund militärischer Fehlentscheidungen, jeglichen Einfluss auf die weitere Entwicklung. Außerdem hatte de Gaulle seit Mitte 1943 einen Trumpf in der Hand. Einem seiner Mitarbeiter, Jean Moulin, war es am 15. Mai gelungen, die wichtigsten Gruppierungen der Résistance zur Gründung des Conseil national de la Résistance (CNR) zu bewegen, dessen erste Deklaration die Forderung war, unverzüglich eine provisorische Regierung unter der Leitung von de Gaulle zu bilden. Dies geschah dann bereits einen Tag später mit der Gründung des „Französischen Komitees für die nationale Befreiung“ (CFLN) in Algier.
Diese Vorstufe zu einer Gegenregierung war nach der Besetzung des Vichy-Territoriums durch deutsches Militär im November 1942 (als Reaktion auf die alliierte Landung in Nordafrika) ein weiterer schwerer Schlag für die Regierung in Vichy.
Militär
Das Regime verfügte – abgesehen vom unbesetzten Staatsgebiet – anfangs noch über alle Kolonien sowie über ein 100.000 Mann starkes Heer und die französische Kriegsmarine. Seit Herbst 1940 existierte zusätzlich die Légion française des combattants, die Kriegsveteranenorganisation, aus der Joseph Darnand gemeinsam mit hohen Offizieren im Spätsommer 1941 enttäuschte Kämpfer rekrutierte, die im Département Alpes-Maritimes eine geheime Militärorganisation unter der Bezeichnung Service d’ordre légionnaire (SOL) gründeten, die bei einer weiteren italienischen Aggression gegen französisches Territorium zum Einsatz kommen sollte. Bis zum Ende 1941 entwickelte sie sich zu einer ernstzunehmenden Streitmacht, die als zusätzlicher Schutz Frankreichs vor externer und interner Aggression im Januar 1942 den offiziellen Segen des Vichy-Regimes erhielt. Gegen Ende des Sommers 1942 rekrutierte Darnand daraus Freiwillige für die Légion volontaires français (LVF), die Légion anti-bolchévique bzw. Légion tricolore, bei denen französische Freiwillige in deutschen Uniformen gegen die Sowjetunion kämpften.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Vichy-Regime
Wahlspruch: Travail, Famille, Patrie
(Arbeit, Familie, Vaterland)
Amtssprache Französisch
Hauptstadt Vichy (de facto)
Paris (de jure)
Sigmaringen (im Exil 1944–1945)
Staatsform Republik
Staatsoberhaupt Staatschef Philippe Pétain (1940–1944)
Regierungschef Premierminister Pierre Laval (1940)
Pierre-Étienne Flandin (1940–1941)
François Darlan (1941–1942)
Pierre Laval (1942–1944)
Währung Französischer Franc
Gründung 1940
Auflösung 1944
Nationalhymne Marseillaise (offiziell)
Maréchal, nous voilà (inoffiziell)
Zeitzone Universal Time + 1 (ab Oktober 1940)[1]
Der Weg nach Vichy
Am 16. Juni 1940 zeichnete sich mit der Einschließung der französischen Armeegruppen 2 und 3 der Zusammenbruch der französischen Verteidigung als Folge des erfolgreichen deutschen Westfeldzuges ab. Als Ministerpräsident Paul Reynaud im Parlament für die Fortführung des Krieges an der Seite der Alliierten und den Abschluss der von Winston Churchill vorgeschlagenen britisch-französischen Union plädierte, blieb er in der Minderheit und trat zurück. Der französische Staatspräsident Albert Lebrun betraute daraufhin seinen Stellvertreter, den populären Marschall Pétain, den „Helden der Schlacht um Verdun“, mit der Regierungsbildung und der Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen.
Der Waffenstillstand von Compiègne wurde am 22. Juni 1940 in Compiègne unterzeichnet. Er brachte unter anderem die De-facto-Teilung Frankreichs in einen unter deutscher Militärverwaltung stehenden Nord- und Westteil sowie einen unbesetzten Südteil (etwa 40 % der Landesfläche) mit Vichy als Sitz der französischen Regierung. Diese Regierung erhob grundsätzlich den Anspruch, weiterhin für ganz Frankreich einschließlich der Überseegebiete zuständig zu sein. Elsaß-Lothringen blieb nach dieser Auffassung staatsrechtlich ein Teil Frankreichs. Entgegen dieser Auffassung wurden diese östlichen Departements jedoch in den nächsten Tagen einem „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) unterstellt; französische Proteste ignorierten die deutschen Besatzer. Es folgte eine „Eindeutschungspolitik“ zur Vorbereitung einer späteren Annexion.
General Charles de Gaulle, im Kabinett Reynaud Staatssekretär, plädierte wie Reynaud für die Fortsetzung des Kampfes gegen das Deutsche Reich, flüchtete nach Großbritannien und richtete am 18. Juni von London aus über den französischsprachigen BBC-Sender Radio Londres einen Appell an alle Franzosen, den Kampf notfalls von den Kolonien aus fortzusetzen. Seine von ihm gegründeten Forces Françaises Libres (FFL; etwa: französische freie Streitkräfte) nahmen Ende Juli 1940 mit einer Stärke von etwa 7.000 Mann den Kampf an der Seite der britischen Armee auf. De Gaulle wurde vom Vichy-Regime wegen Landesverrats in Abwesenheit zum Tode verurteilt; die FFL galten dem Vichy-Regime und der deutschen Besatzungsmacht als Freischärler.
Verfassung
Die Nationalversammlung der Dritten Republik verabschiedete am 10. Juli 1940 mit 569 gegen 80 Stimmen[2] ein Gesetz, mit dem Marschall Pétain ermächtigt wurde, in einem oder mehreren Akten eine Verfassung für den État français (anstelle der République) zu verkünden; diese Verfassung müsse „die Rechte der Arbeit, der Familie und des Vaterlandes“ garantieren.[3]
Tags darauf verkündete Pétain daraufhin die ersten drei Konstitutionsakte, in denen er sich unter anderem selbst zum Chef d’État (Staatschef) mit Weisungsrecht gegenüber der Exekutive, Legislative und Judikative erklärte.[4] Mit Konstitutionsakt Nummer 4 erklärte er am 12. Juli Pierre Laval zu seinem Stellvertreter.[5]
Politik
Formale Regierungsgewalt
Staatsrechtlich unterstand dem Vichy-Regime ganz Frankreich mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen, das im Waffenstillstandsabkommen von Compiègne unter deutsche Verwaltung gestellt worden war. Des Weiteren stand ein kleines Gebiet im Südosten des Landes (u. a. Monaco und Nizza) unter italienischer Verwaltung, dessen Besetzung von der deutschen und der Vichy-Regierung lediglich geduldet wurde.
Tatsächliche Machtverhältnisse
Tatsächlich erstreckte sich die Verwaltungshoheit lediglich über 40 % des Mutterlandes und die Überseegebiete. Der überwiegende Teil der Nordzone war nach der Niederlage Frankreichs dem deutschen Militärbefehlshaber in Paris unterstellt, die beiden nördlichsten Départements am Ärmelkanal, Nord und Pas-de-Calais, jenem in Brüssel. In den besetzten Gebieten bedurften alle Gesetze und Erlasse des Vichy-Regimes der Gegenzeichnung durch die deutsche Militärverwaltung.
Als sich nach der Landung der Alliierten in Nordafrika im November 1942 ein Angriff auf Adolf Hitlers „Festung Europa“ abzeichnete, besetzten Deutsche und Italiener am 10. und 11. November 1942 im „Unternehmen Anton“ auch die bis dahin unbesetzte Südzone Frankreichs. Damit hatte das Vichy-Regime seine geringe faktische Macht weitgehend eingebüßt. Trotzdem beließen die Deutschen das Vichy-Regime im Amt. Sie entschieden, dass die französische Verwaltung erhalten bleiben solle. Hitler sprach am 18. Dezember 1942 davon, dass es klug sei, „die Fiktion einer französischen Regierung mit Pétain aufrechtzuerhalten. Deshalb solle man Pétain ruhig als eine Art Gespenst beibehalten und ihn von Zeit zu Zeit etwas von Laval aufblasen lassen, wenn er etwas zu sehr zusammensinke.“[6] Trotz der Besetzung des Landes und der damit verbundenen Einbuße sämtlicher Entscheidungsgewalt trat die Vichy-Regierung nicht zurück, sondern beließ es bei einem Protest gegen den Bruch des Waffenstillstandsabkommens.
Nach der erfolgreichen alliierten Invasion in der Normandie wurden die Mitglieder des Vichy-Regimes im August 1944 zwangsweise in das Schloss Sigmaringen gebracht. Dort bestand das Marionettenregime des État français bis zur deutschen Kapitulation weiter.
Politische Ziele
Pétain proklamierte ein neutrales Frankreich, das zwischen den Kriegführenden Äquidistanz halten wollte. In diesem Sinne lehnte er am 24. Oktober 1940 beim Treffen mit Hitler in Montoire eine Kriegsbeteiligung Frankreichs an der Seite des Deutschen Reiches ab. Eine Zusammenarbeit (Kollaboration) mit dem Deutschen Reich hielt Pétain jedoch für notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, Art und Umfang der materiellen, personellen und industriellen Ausbeutung des Landes in Grenzen zu halten und die Rückführung der etwa zwei Millionen französischen Soldaten aus deutscher Kriegsgefangenschaft zu erreichen.
Persönlich war Pétain überzeugt, dass die innere Zerrissenheit des Landes und der Verfall traditioneller Werte wesentlich zur militärischen Niederlage beigetragen hatten. Im sogenannten Prozess von Riom (Februar 1942 bis Mai 1943) sollte die Verantwortlichkeit dafür den wichtigsten Politikern und Militärs der letzten Jahre zugeschoben werden. Pétain wollte nun die Franzosen in einer Révolution Nationale zu neuer Einheit führen. So ließ er die an allen öffentlichen Gebäuden befindliche Parole Liberté, Égalité, Fraternité („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) durch den Wahlspruch Travail, Famille, Patrie („Arbeit, Familie, Vaterland“) ersetzen.
Innenpolitik
Die Niederlage im Jahre 1940 war für die Franzosen ein schwerer Schock. Als einer der Hauptgründe wurden die tiefen Klüfte innerhalb der Gesellschaft gesehen. Pétain war von der Niederlage unbelastet. Er wurde nun aufgrund seines legendären Rufes aus dem Ersten Weltkrieg von der Mehrheit der Franzosen und trotz seines hohen Alters als der richtige Mann angesehen, das Land zu einen und durch die Turbulenzen der kommenden Jahre zu führen. Die Mehrheit akzeptierte auch die neue autoritäre Verfassung und war zur Neutralität und zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden bereit, die zur Lockerung der Waffenstillstandsbedingungen führen würde. Das Vichy-Regime wurde daher zunächst mehrheitlich begrüßt. Der Historiker Henri Amouroux sprach von vierzig Millionen Pétainisten. Als jedoch die erwarteten Lockerungen nicht eintraten und sich die Kriegswende mit zusätzlichen Härten abzeichnete, verlor das Vichy-Regime an Ansehen. Die Regierung von Pétain hielt sich – mit Einschränkungen – trotzdem bis zum Sieg der Alliierten.
Nach der Sistierung des Parlamentes ordneten sich die Interessensgruppen neu. Die Kommunisten waren verboten, die Sozialisten aus Protest gegen die autoritäre Verfassung in der Opposition. Neben den „Konservativen“, die zwar die Regierung Pétain begrüßten, aber eine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten ablehnten, war politisch noch die „Action française“ bedeutsam, die das republikanische System durch eine Monarchie ersetzen wollte und einer gemäßigten Kollaboration nicht negativ gegenüberstand. Die faschistisch eingestellten Kreise organisierten sich im Parti populaire français (P.P.F.) unter Jacques Doriot und in der Rassemblement national populaire (RNP) unter Marcel Déat.
Eines der wichtigsten innenpolitischen Ziele war die Verbesserung der körperlichen Möglichkeiten vor allem der Jugend. Hier stimmte man einerseits mit den politischen Ideen anderer faschistischer Systeme überein,[7] sah aber andererseits auch die Chance - wie in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg - den Sport als eine Möglichkeit zu entwickeln anstelle des Militärs die Jugend für einen künftigen Krieg körperlich aufzurüsten. Mit Jean Borotra wurde zum ersten Mal ein Staatssekretär für Jugend und Sport etabliert, dem mit 1,9 Milliarden francs eine Summe an Geld zur Verfügung gestellt wurde, die größer war als die gesamte Investition in den Sport in das gesamte Frankreich der Zwischenkriegszeit.[8] Die Zentralisierung des Sports unter Pétain diente als Vorbild für die Sportförderung in Nachkriegsfrankreich bis heute.[9]
Im unbesetzten Teil des Landes sowie in Nordafrika wurden Jugendlager (Chantiers de la Jeunesse) eingerichtet. Jugendliche, auch aus dem besetzten Gebiet, konnten sich für den achtmonatigen Freiwilligendienst bewerben. Später wurde es möglich, den Dienst um weitere acht Monate zu verlängern und sich so der Zwangsarbeit in Industriebetrieben des Deutschen Reichs zu entziehen.
Antijüdische Politik
Innerhalb weniger Tage nach Gründung des État Français am 11. Juli 1940 erließ das Vichy-Regime eine Reihe von Gesetzen, die sich gegen die im Lande lebenden ausländischen Juden richteten. Am 17. Juli 1940 wurde bestimmt, dass eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst nur noch möglich sein sollte, wenn der Vater eines Betroffenen Franzose war. Mit weiteren Gesetzen am 16. August und 10. September 1940 wurde diese Regelung auf die medizinischen Berufe und die Angehörigen der Barreau, der Anwaltschaft, ausgedehnt. Daneben sollten sämtliche Einbürgerungen der Vergangenheit überprüft werden. Am 27. August 1940 wurde die Loi Marchandeau, die eine antisemitische Presseberichterstattung unter Strafe gestellt hatte, abgeschafft.[10] Einen vorläufigen Höhepunkt fand das Vorgehen gegenüber ausländischen Juden im Internierungsgesetz vom 4. Oktober 1940. Nunmehr konnte diese Personengruppe ohne Angabe von Gründen interniert werden: „Die ausländischen Staatsangehörigen jüdischer Rasse (ressortissants étrangers de race juive) können mit Verkündung des vorliegenden Gesetzes aufgrund einer Entscheidung des Präfekten des Departements, in dem sie ihren Wohnsitz haben, in besondere Lager (camps spéciaux) eingewiesen werden.“[11] Daneben arbeitete die französische Staatsführung seit Juni/Juli 1940 an einem „Judenstatut“, das eine umfassende „Säuberung“ der Verwaltung sowie der staatlich kontrollierten Berufe in den Bereichen Justiz, Medizin, Bildung und Kultur vorsah. Wie der Historiker Michael Mayer 2007 nachwies, war das am 3. Oktober 1940 erlassene Statut des Juifs[12] Ausdruck einer autonomen französischen „Judenpolitik“, die keinem direkten und beinahe keinem indirekten deutschen Einfluss ausgesetzt war.[13] Am 2. Juni 1941 wurde das Statut des Juifs weiter verschärft, so dass die jüdische Bevölkerung nunmehr einer umfassenden rechtlichen Diskriminierung unterworfen war.[14][15]
Außenpolitik
Obwohl Pétain nach der Beschießung der Flotte in Mers-el-Kébir durch die Royal Navy die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien abgebrochen hatte, wurde die Regierung in Vichy von den Alliierten zunächst weiterhin als legitime Vertretung der Franzosen anerkannt. Es waren vor allem die USA, die über ihren Botschafter Admiral William D. Leahy enge Beziehungen zu Vichy pflegten. Präsident Franklin Roosevelt und Außenminister Cordell Hull wollten ebenso wie Churchill vermeiden, Pétain durch Isolation in die Arme Hitlers zu treiben. Dazu Churchill:[16]
„Was auch in der Vergangenheit geschehen sein mochte, [Oran!] Frankreich war doch unser Leidensgefährte, und nichts als ein offener Krieg zwischen uns konnte es daran hindern, auch unser Gefährte im Sieg zu sein. Diese Politik war eine schwere Belastung für de Gaulle, der alles aufs Spiel gesetzt und die Fahne hochgehalten hatte, dessen Handvoll Anhänger außerhalb Frankreichs aber niemals den Anspruch erheben konnten, eine wirkliche französische Gegenregierung zu bilden.“
Da de Gaulle auch ein schwieriger, eigenwilliger Partner für die Alliierten war, suchten diese 1942/43 nach ihrer Landung in Französisch-Nordafrika nach einer prominenteren, entgegenkommenderen Führungspersönlichkeit. Da weder Ex-Ministerpräsident Reynaud noch General Weygand verfügbar waren, griff man trotz Bedenken wegen seiner Vichy-treuen Vergangenheit zunächst auf Admiral François Darlan zurück. Nach seiner kurz darauf erfolgten, bis heute nicht völlig aufgeklärten Ermordung in Algier versuchten vor allem die Amerikaner General Henri Giraud, der einige Monate zuvor aus deutscher Kriegsgefangenschaft geflohen war, als Gegenspieler de Gaulles aufzubauen. Der honorige, aber politisch unerfahrene Giraud wurde schließlich zusammen mit de Gaulle als Doppelspitze der "Freien Franzosen" von den Alliierten anerkannt, verlor jedoch im Verlauf des Jahres, u.a. aufgrund militärischer Fehlentscheidungen, jeglichen Einfluss auf die weitere Entwicklung. Außerdem hatte de Gaulle seit Mitte 1943 einen Trumpf in der Hand. Einem seiner Mitarbeiter, Jean Moulin, war es am 15. Mai gelungen, die wichtigsten Gruppierungen der Résistance zur Gründung des Conseil national de la Résistance (CNR) zu bewegen, dessen erste Deklaration die Forderung war, unverzüglich eine provisorische Regierung unter der Leitung von de Gaulle zu bilden. Dies geschah dann bereits einen Tag später mit der Gründung des „Französischen Komitees für die nationale Befreiung“ (CFLN) in Algier.
Diese Vorstufe zu einer Gegenregierung war nach der Besetzung des Vichy-Territoriums durch deutsches Militär im November 1942 (als Reaktion auf die alliierte Landung in Nordafrika) ein weiterer schwerer Schlag für die Regierung in Vichy.
Militär
Das Regime verfügte – abgesehen vom unbesetzten Staatsgebiet – anfangs noch über alle Kolonien sowie über ein 100.000 Mann starkes Heer und die französische Kriegsmarine. Seit Herbst 1940 existierte zusätzlich die Légion française des combattants, die Kriegsveteranenorganisation, aus der Joseph Darnand gemeinsam mit hohen Offizieren im Spätsommer 1941 enttäuschte Kämpfer rekrutierte, die im Département Alpes-Maritimes eine geheime Militärorganisation unter der Bezeichnung Service d’ordre légionnaire (SOL) gründeten, die bei einer weiteren italienischen Aggression gegen französisches Territorium zum Einsatz kommen sollte. Bis zum Ende 1941 entwickelte sie sich zu einer ernstzunehmenden Streitmacht, die als zusätzlicher Schutz Frankreichs vor externer und interner Aggression im Januar 1942 den offiziellen Segen des Vichy-Regimes erhielt. Gegen Ende des Sommers 1942 rekrutierte Darnand daraus Freiwillige für die Légion volontaires français (LVF), die Légion anti-bolchévique bzw. Légion tricolore, bei denen französische Freiwillige in deutschen Uniformen gegen die Sowjetunion kämpften.
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