Deutsche Industrie im Dritten Reich: Ein Streit um VW
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Deutsche Industrie im Dritten Reich: Ein Streit um VW
Eine Entgegnung auf Otto Köhlers Bericht / Von Hans Mommsen
In zwei („Warten auf Herrn Mommsen", ZEIT vom 12. September 1991, und „Was der Historiker Hans Mommsen für das Volkswagenwerk tut", ZEIT vom 25. Oktober 1991, überschriebenen) Reportagen hat Otto Köhler gegen den Verfasser dieser Zeilen schwerstes Geschütz aufgefahren und behauptet, er habe um der Volkswagenwerk A G willen sein wissenschaftliches Renommee preisgegeben und „sich in die Rolle gefügt, die ihm zugedacht war". Zwischen den Zeilen heißt das, ich hätte mich von VW kaufen lassen. Im ersten Artikel äußerte Köhler scheinheilig den Verdacht, der Historiker Mommsen werde zu Unrecht vom Werk benutzt, um Entschädigungszahlungen an dessen frühere Zwangsarbeiter zu entgehen. Im zweiten behauptet er nun, daß ich, obwohl es mir schwergefallen sein müsse, eben diese Funktion nach außen eingenommen und damit meinen „Ruf für VW verpfändet" habe. Diese demagogischen, Empörung vortäuschenden Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.
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Anlaß zu Köhlers Attacke bildete das Symposion, das am 9. Oktober in Wolfsburg stattfand und auf dem die Ergebnisse der vom Verfasser geleiteten Forschungen zur Geschichte des Volkswagenwerks im Dritten Reich öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Dem dort gehaltenen Vortrag lag ein ausführliches Expose zugrunde, das der Presse und damit auch Otto Köhler zugänglich war. Mit dem Bemerken, daß es gegenüber den älteren Studien von Klaus Jörg Siegfried nichts entscheidend Neues enthalte, wischt er es kurzerhand vom Tisch und geht analog zum Wolfsburger Diskussionsverlauf zu seinem Lieblingsthema über, daß Ferdinand Porsche als Kriegsverbrecher gelten müsse und daß der „durch Raub und Unterschlagung groß gewordene Konzern" sich mit der Enthüllung eines Gedenksteins auf dem Werksgelände und der Bereitstellung der angeblich lächerlichen Summe von zwölf Millionen Mark für humanitäre Hilfe der Pflicht entzöge, die seinerzeit „unterschlagenen Zwangsarbeiterlöhne" zurückzuzahlen, nachdem er schon nicht für die Zerstörungen aufkomme, „die von den Vernichtungswaffen ausgingen, die der Konzern lieferte". Der Ausdruck Raub bezieht sich wohl auf die von mir gelieferte Information, daß ein Teil der ursprünglichen Kapitalausstattung aus dem Verkauf von Vermögen der ursprünglich gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat" aufgebracht worden war.
Köhler begibt sich in die Pose dessen, der fassungslos darüber ist, daß der Fachhistoriker nicht kritiklos in seine Litanei einstimmt und der Pauschalverurteilung Porsches und des Unternehmens seinen wissenschaftlichen Segen gibt. Seine Voreingenommenheit hindert ihn daran, der journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, um, wenn schon nicht ausgewogen zu berichten, so doch ordentlich zu recherchieren. Daß das Werk nicht 1934, sondern 1938 entstand und sich 1939 bereits im Rohbau befand, ist das eine, daß es nicht von Zwangsarbeitern geschaffen, sondern überwiegend von italienischen Arbeitern errichtet wurde, die die Deutsche Arbeitsfront mit Hilfe der faschistischen Bauafbeitergewerkschaft in Oberitalien eingeworben hatte, das andere. Zwangsarbeiter waren 1941 im Stadtbau tätig und wurden später für die Bereitstellung von Unterkünften herangezogen, die man angesichts der steigenden Rüstungsproduktion im Werk zu benötigen glaubte. Letzteres galt auch für die KZHäftlinge auf dem Laagberg. 1941 wurde von einem KZ Kommando, das danach wieder abgezogen wurde, die dann nicht in Betrieb genommene Leichtmetallgießerei des Werks errichtet. Die große Mehrheit der Zwangsarbeiter, unter denen die Ostarbeiter die größte Gruppe lusmachten, arbeitete in der Produktion. All das hätte Otto Köhler dem ihm zur Verfügung gestellten Expose entnehmen oder bei der anschließenden Pressekonferenz erfragen können, an der er bezeichnenderweise gar nicht erst teilnahm. Statt dessen verbreitet Köhler die Mär, daß von den bei Volkswagen beschäftigten Ausländern, die 1943 in der Tat bis zu achtzig Prozent der Belegschaft ausmachten, „die meisten unbezahlt" gewesen seien. Nun läßt unsere Studie keinen Zweifel daran, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen gerade der Gruppe der Ostarbeiter im allgemeinen durchaus unzureichend waren. Das gilt nicht zuletzt für die Ernährung. Demgegenüber war die Lohnfrage für das formell gemeinnützige Volkswagenwerk von eher untergeordneter Bedeutung. Auf Grund der gesetzlichen Vorschriften erhielten die Ostarbeiter keinerlei Sozialzuschläge; zugleich wurden Prämien in der Regel in Form von Naturalleistungen bezahlt und ihnen Kost und Logis vom Lohn abgezogen, so daß nach Abzug der Steuern unter dem Strich vielfach kaum etwas übrigblieb. Daß in der späteren Kriegszeit die Transferzahlungen an die Heimatländer nicht geleistet wurden, lag im wesentlichen in der Verantwortung der zuständigen Banken. Köhlers Behauptung, das Werk habe Zahlungen „unterschlagen", ist damit aus der Luft gegriffen.
Ähnlich will Köhler den Leser glauben machen, das Unternehmen hätte aus dem Einsatz von Ostarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ Häftlingen großartige Gewinne erzielt, obwohl eine KostenNutzen Rechnung ihn eher als Verlustgeschäft ausweist. Die Hauptnutznießer der Zwangsarbeit waren die Reichskasse, die polnischen Zivil- und den Ostarbeitern den größten Teil der Löhne wegsteuerte, und die Konzentrationslagerverwaltung, die sich den industriellen Arbeitseinsatz „ingemessen" bezahlen ließ und davon nicht wenig profitierte. Köhlers Behauptung, das Werk habe mit der Unterschlagung der Löhne „bis heute mit Zins und Zinseszins einige Milliarden gespart", verrät wenig Sachkenntnis. Der Gesamtumsatz des Werks betrug von 1939 bis 1945 insgesamt 661 Millionen Reichsmark (nach Köhler beträgt der heutige Umsatz 68 Milliarden Mark jährlich). Das war, wenn man mit Daimler Benz vergleicht, die von 1939 bis 1944 4 44 Milliarden Reichsmark umsetzten (und 20 Millionen Mark für Entschädigungsleistungen gezahlt haben), nicht eben sehr viel. Die gesamten Aufwendungen des Volkswagenwerks für Löhne, Gehälter und Sozialleistungen betrugen im Spitzenjahr 1943 27 2 Millionen Reichsmark und lagen in der Kriegszeit im Durchschnitt bei cirka 20 Millionen Reichsmark. Bis zu fünfzig Prozent der in der gesamten Kriegszeit geleisteten Arbeitsstunden wurden durch Zwangsarbeiter, etwa fünf Prozent davon durch KZ Häftlinge ausgeführt. Denkbare Einsparungen bei der Entlohnung von Zwangsarbeitern, denen eine geringe Leistungsfähigkeit gegenüberstand, schlugen daher keineswegs in einer nennenswerten Größenordnung zu Buche und dürften in den späten Kriegsjahren höchstens zehn Prozent der Lohnsumme umfaßt haben. Diese Rechnung zeigt, wie verfehlt ein quantitativer Ansatz ist, zumal der Wertzuwachs des Anlagevermögens sich einer adäquaten Bezifferung entzieht. Aber es ist ohnehin ein Irrweg, wollte man Freiheitsberaubung, inhumane Behandlung, mangelhafte Ernährung und physische Ausbeutung durch Aufrechnung entgangener Löhne ersetzen.
Otto Köhler, der dem Volkswagenwerk und offensichtlich auch dem Verfasser „menschliche Gesittung" abspricht, geht von der Vorstellung aus, als seien die „mörderischen" Bedingungen, die bei den Untertageverlagerungen 1944 und 1945 auftraten, eine generelle Erscheinung gewesen. Er spricht davon, daß Hunderte dabei zu Tode gekommen und „neben der Müllkippe des Werks verscharrt" worden seien. Wir sind dieser Frage schon länger nachgegangen. Zwar läßt sich die Zahl derjenigen Häftlinge nicht mehr ermitteln, die in die KZ Stammlager zurückgebracht wurden und dort an Hunger, Krankheit und Mißhandlung starben. Innerhalb des Hauptwerks blieb die Zahl der umgekommenen Ausländer im Verhältnis zu anderen Betrieben eher niedrig.
Köhler, aber auch der Korrespondent der merkung des Verfassers, daß die nichtdeutsche Belegschaft im Werk eine „multikulturelle Gesellschaft" gebildet habe, als ob dieser Begriff dazu diene, die Verhältnisse zu beschönigen (was schon in Wolfsburg ausdrücklich dementiert wurde). Tatsächlich standen dänische, holländische, französische, italienische, polnische und russische Zivilarbeiter und vielfach auch sowjetische Kriegsgefangene an denselben Werkbänken. Der angespannte Rhythmus der Fließbandfertigung und die in der Regel zwölfstündige Arbeitszeit, zu der noch lange Wege von der und zurück zur Unterkunft kamen, ließen gewiß wenig Spielraum. Aber es gab doch Kontakte und Zeichen der Solidarität, die bei den deutschen Vorarbeitern ihren Eindruck nicht verfehlten.
Otto Köhler läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der angeblich „kühl kalkulierende" Ferdinand Porsche der Hauptschuldige am Einsatz von Zwangsarbeitern und folglich ein „Kriegsverbrecher" gewesen sei. Daß der Verfasser in der Wolfsburger Diskussion auf die Frage von Pastor Hohnsbein, ob Porsche nicht auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 als Kriegsverbrecher hätte verurteilt werden müssen, die ironische Antwort gab, bedauerlicherweise weder Jurist noch Theologe zu sein, wird im Bericht Köhlers fälschlich auf die Entschädigungsfrage bezogen. Aus der Sicht des Historikers sind nachträgliche strafrechtliche Schuldsprüche wenig hilfreich, weil sie den Eindruck erwecken, als sei die Verantwortung für das Unrechtssystem des Dritten Reiches und für die Zwangsausbeutung von Ostarbeitern, Kriegsgefangenen, italienischen Militärinternierten und KZ Häftlingen auf die Schultern einiger weniger abzuwälzen. Es gibt indessen kaum einen Unternehmensvorstand, Betriebsführer, Meister und Vorarbeiter im Rüstungsbereich, der nicht in irgendeiner Form am Zwangsarbeitssystem teilgenommen hat. Die Aufgabe unserer Forschungsgruppe liegt darin, diesen Prozeß der Verstrickung in verbrecherische Elemente des Systems beschreibend zu erklären. Er vollzog sich durchaus schrittweise von der freiwilligen Dienstverpflichtung auswärtiger Arbeitskräfte über die zwangsweise Beschäftigung von Kriegsgefangenen bis zur gewaltsamen Deportation und zur Ausbeutung von Konzentrationslagerhäftlingen. Die moralische Hemmschwelle der unmittelbar Beteiligten, die sich zudem dem Mythos eines nationalen Überle benskampfes verschrieben, wurde immer weiter hinausgeschoben. Der „Untermenschen" Komplex und das Schlagwort der „Vernichtung durch Arbeit" (das keineswegs durchweg für die KZZwangsarbeit galt) spielten nicht die ausschlaggebende Rolle. Die schlimmsten Exzesse der Zwangsarbeit entsprangen häufig einem hochgetriebenen, anscheinend wertfreien technizistisch geprägten Professionalismus, und dies gilt nicht zuletzt für Ferdinand Porsche selbst.
Quelle
In zwei („Warten auf Herrn Mommsen", ZEIT vom 12. September 1991, und „Was der Historiker Hans Mommsen für das Volkswagenwerk tut", ZEIT vom 25. Oktober 1991, überschriebenen) Reportagen hat Otto Köhler gegen den Verfasser dieser Zeilen schwerstes Geschütz aufgefahren und behauptet, er habe um der Volkswagenwerk A G willen sein wissenschaftliches Renommee preisgegeben und „sich in die Rolle gefügt, die ihm zugedacht war". Zwischen den Zeilen heißt das, ich hätte mich von VW kaufen lassen. Im ersten Artikel äußerte Köhler scheinheilig den Verdacht, der Historiker Mommsen werde zu Unrecht vom Werk benutzt, um Entschädigungszahlungen an dessen frühere Zwangsarbeiter zu entgehen. Im zweiten behauptet er nun, daß ich, obwohl es mir schwergefallen sein müsse, eben diese Funktion nach außen eingenommen und damit meinen „Ruf für VW verpfändet" habe. Diese demagogischen, Empörung vortäuschenden Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.
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Anlaß zu Köhlers Attacke bildete das Symposion, das am 9. Oktober in Wolfsburg stattfand und auf dem die Ergebnisse der vom Verfasser geleiteten Forschungen zur Geschichte des Volkswagenwerks im Dritten Reich öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Dem dort gehaltenen Vortrag lag ein ausführliches Expose zugrunde, das der Presse und damit auch Otto Köhler zugänglich war. Mit dem Bemerken, daß es gegenüber den älteren Studien von Klaus Jörg Siegfried nichts entscheidend Neues enthalte, wischt er es kurzerhand vom Tisch und geht analog zum Wolfsburger Diskussionsverlauf zu seinem Lieblingsthema über, daß Ferdinand Porsche als Kriegsverbrecher gelten müsse und daß der „durch Raub und Unterschlagung groß gewordene Konzern" sich mit der Enthüllung eines Gedenksteins auf dem Werksgelände und der Bereitstellung der angeblich lächerlichen Summe von zwölf Millionen Mark für humanitäre Hilfe der Pflicht entzöge, die seinerzeit „unterschlagenen Zwangsarbeiterlöhne" zurückzuzahlen, nachdem er schon nicht für die Zerstörungen aufkomme, „die von den Vernichtungswaffen ausgingen, die der Konzern lieferte". Der Ausdruck Raub bezieht sich wohl auf die von mir gelieferte Information, daß ein Teil der ursprünglichen Kapitalausstattung aus dem Verkauf von Vermögen der ursprünglich gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat" aufgebracht worden war.
Köhler begibt sich in die Pose dessen, der fassungslos darüber ist, daß der Fachhistoriker nicht kritiklos in seine Litanei einstimmt und der Pauschalverurteilung Porsches und des Unternehmens seinen wissenschaftlichen Segen gibt. Seine Voreingenommenheit hindert ihn daran, der journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, um, wenn schon nicht ausgewogen zu berichten, so doch ordentlich zu recherchieren. Daß das Werk nicht 1934, sondern 1938 entstand und sich 1939 bereits im Rohbau befand, ist das eine, daß es nicht von Zwangsarbeitern geschaffen, sondern überwiegend von italienischen Arbeitern errichtet wurde, die die Deutsche Arbeitsfront mit Hilfe der faschistischen Bauafbeitergewerkschaft in Oberitalien eingeworben hatte, das andere. Zwangsarbeiter waren 1941 im Stadtbau tätig und wurden später für die Bereitstellung von Unterkünften herangezogen, die man angesichts der steigenden Rüstungsproduktion im Werk zu benötigen glaubte. Letzteres galt auch für die KZHäftlinge auf dem Laagberg. 1941 wurde von einem KZ Kommando, das danach wieder abgezogen wurde, die dann nicht in Betrieb genommene Leichtmetallgießerei des Werks errichtet. Die große Mehrheit der Zwangsarbeiter, unter denen die Ostarbeiter die größte Gruppe lusmachten, arbeitete in der Produktion. All das hätte Otto Köhler dem ihm zur Verfügung gestellten Expose entnehmen oder bei der anschließenden Pressekonferenz erfragen können, an der er bezeichnenderweise gar nicht erst teilnahm. Statt dessen verbreitet Köhler die Mär, daß von den bei Volkswagen beschäftigten Ausländern, die 1943 in der Tat bis zu achtzig Prozent der Belegschaft ausmachten, „die meisten unbezahlt" gewesen seien. Nun läßt unsere Studie keinen Zweifel daran, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen gerade der Gruppe der Ostarbeiter im allgemeinen durchaus unzureichend waren. Das gilt nicht zuletzt für die Ernährung. Demgegenüber war die Lohnfrage für das formell gemeinnützige Volkswagenwerk von eher untergeordneter Bedeutung. Auf Grund der gesetzlichen Vorschriften erhielten die Ostarbeiter keinerlei Sozialzuschläge; zugleich wurden Prämien in der Regel in Form von Naturalleistungen bezahlt und ihnen Kost und Logis vom Lohn abgezogen, so daß nach Abzug der Steuern unter dem Strich vielfach kaum etwas übrigblieb. Daß in der späteren Kriegszeit die Transferzahlungen an die Heimatländer nicht geleistet wurden, lag im wesentlichen in der Verantwortung der zuständigen Banken. Köhlers Behauptung, das Werk habe Zahlungen „unterschlagen", ist damit aus der Luft gegriffen.
Ähnlich will Köhler den Leser glauben machen, das Unternehmen hätte aus dem Einsatz von Ostarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ Häftlingen großartige Gewinne erzielt, obwohl eine KostenNutzen Rechnung ihn eher als Verlustgeschäft ausweist. Die Hauptnutznießer der Zwangsarbeit waren die Reichskasse, die polnischen Zivil- und den Ostarbeitern den größten Teil der Löhne wegsteuerte, und die Konzentrationslagerverwaltung, die sich den industriellen Arbeitseinsatz „ingemessen" bezahlen ließ und davon nicht wenig profitierte. Köhlers Behauptung, das Werk habe mit der Unterschlagung der Löhne „bis heute mit Zins und Zinseszins einige Milliarden gespart", verrät wenig Sachkenntnis. Der Gesamtumsatz des Werks betrug von 1939 bis 1945 insgesamt 661 Millionen Reichsmark (nach Köhler beträgt der heutige Umsatz 68 Milliarden Mark jährlich). Das war, wenn man mit Daimler Benz vergleicht, die von 1939 bis 1944 4 44 Milliarden Reichsmark umsetzten (und 20 Millionen Mark für Entschädigungsleistungen gezahlt haben), nicht eben sehr viel. Die gesamten Aufwendungen des Volkswagenwerks für Löhne, Gehälter und Sozialleistungen betrugen im Spitzenjahr 1943 27 2 Millionen Reichsmark und lagen in der Kriegszeit im Durchschnitt bei cirka 20 Millionen Reichsmark. Bis zu fünfzig Prozent der in der gesamten Kriegszeit geleisteten Arbeitsstunden wurden durch Zwangsarbeiter, etwa fünf Prozent davon durch KZ Häftlinge ausgeführt. Denkbare Einsparungen bei der Entlohnung von Zwangsarbeitern, denen eine geringe Leistungsfähigkeit gegenüberstand, schlugen daher keineswegs in einer nennenswerten Größenordnung zu Buche und dürften in den späten Kriegsjahren höchstens zehn Prozent der Lohnsumme umfaßt haben. Diese Rechnung zeigt, wie verfehlt ein quantitativer Ansatz ist, zumal der Wertzuwachs des Anlagevermögens sich einer adäquaten Bezifferung entzieht. Aber es ist ohnehin ein Irrweg, wollte man Freiheitsberaubung, inhumane Behandlung, mangelhafte Ernährung und physische Ausbeutung durch Aufrechnung entgangener Löhne ersetzen.
Otto Köhler, der dem Volkswagenwerk und offensichtlich auch dem Verfasser „menschliche Gesittung" abspricht, geht von der Vorstellung aus, als seien die „mörderischen" Bedingungen, die bei den Untertageverlagerungen 1944 und 1945 auftraten, eine generelle Erscheinung gewesen. Er spricht davon, daß Hunderte dabei zu Tode gekommen und „neben der Müllkippe des Werks verscharrt" worden seien. Wir sind dieser Frage schon länger nachgegangen. Zwar läßt sich die Zahl derjenigen Häftlinge nicht mehr ermitteln, die in die KZ Stammlager zurückgebracht wurden und dort an Hunger, Krankheit und Mißhandlung starben. Innerhalb des Hauptwerks blieb die Zahl der umgekommenen Ausländer im Verhältnis zu anderen Betrieben eher niedrig.
Köhler, aber auch der Korrespondent der merkung des Verfassers, daß die nichtdeutsche Belegschaft im Werk eine „multikulturelle Gesellschaft" gebildet habe, als ob dieser Begriff dazu diene, die Verhältnisse zu beschönigen (was schon in Wolfsburg ausdrücklich dementiert wurde). Tatsächlich standen dänische, holländische, französische, italienische, polnische und russische Zivilarbeiter und vielfach auch sowjetische Kriegsgefangene an denselben Werkbänken. Der angespannte Rhythmus der Fließbandfertigung und die in der Regel zwölfstündige Arbeitszeit, zu der noch lange Wege von der und zurück zur Unterkunft kamen, ließen gewiß wenig Spielraum. Aber es gab doch Kontakte und Zeichen der Solidarität, die bei den deutschen Vorarbeitern ihren Eindruck nicht verfehlten.
Otto Köhler läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der angeblich „kühl kalkulierende" Ferdinand Porsche der Hauptschuldige am Einsatz von Zwangsarbeitern und folglich ein „Kriegsverbrecher" gewesen sei. Daß der Verfasser in der Wolfsburger Diskussion auf die Frage von Pastor Hohnsbein, ob Porsche nicht auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 als Kriegsverbrecher hätte verurteilt werden müssen, die ironische Antwort gab, bedauerlicherweise weder Jurist noch Theologe zu sein, wird im Bericht Köhlers fälschlich auf die Entschädigungsfrage bezogen. Aus der Sicht des Historikers sind nachträgliche strafrechtliche Schuldsprüche wenig hilfreich, weil sie den Eindruck erwecken, als sei die Verantwortung für das Unrechtssystem des Dritten Reiches und für die Zwangsausbeutung von Ostarbeitern, Kriegsgefangenen, italienischen Militärinternierten und KZ Häftlingen auf die Schultern einiger weniger abzuwälzen. Es gibt indessen kaum einen Unternehmensvorstand, Betriebsführer, Meister und Vorarbeiter im Rüstungsbereich, der nicht in irgendeiner Form am Zwangsarbeitssystem teilgenommen hat. Die Aufgabe unserer Forschungsgruppe liegt darin, diesen Prozeß der Verstrickung in verbrecherische Elemente des Systems beschreibend zu erklären. Er vollzog sich durchaus schrittweise von der freiwilligen Dienstverpflichtung auswärtiger Arbeitskräfte über die zwangsweise Beschäftigung von Kriegsgefangenen bis zur gewaltsamen Deportation und zur Ausbeutung von Konzentrationslagerhäftlingen. Die moralische Hemmschwelle der unmittelbar Beteiligten, die sich zudem dem Mythos eines nationalen Überle benskampfes verschrieben, wurde immer weiter hinausgeschoben. Der „Untermenschen" Komplex und das Schlagwort der „Vernichtung durch Arbeit" (das keineswegs durchweg für die KZZwangsarbeit galt) spielten nicht die ausschlaggebende Rolle. Die schlimmsten Exzesse der Zwangsarbeit entsprangen häufig einem hochgetriebenen, anscheinend wertfreien technizistisch geprägten Professionalismus, und dies gilt nicht zuletzt für Ferdinand Porsche selbst.
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