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Krebs: Ein Leichenberg, weil nichts geschieht?

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Krebs: Ein Leichenberg, weil nichts geschieht? Empty Krebs: Ein Leichenberg, weil nichts geschieht?

Beitrag  Luziefer-bs1 Di Sep 20, 2011 11:55 pm

Ein großformatiges 400 Seiten starkes Buch schreckte die Nation aus ihrer Sommerruhe: Der "Krebsatlas für die Bundesrepublik Deutschland", von drei Wissenschaftlern des Heidelberger Krebsforschungszentrums in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellt, zeigt erstmals die nach Regionen ganz unterschiedliche Gefährdung der Bevölkerung. Am risikoreichsten lebt man im Ruhrgebiet, im Saarland, im Bayerischen Wald und in etlichen Großstädten. Welche Konsequenzen haben die neuen Erkenntnisse für Krebsvorsorge und -therapie?

Krebs: Ein Leichenberg, weil nichts geschieht? Titel

Am Tag, als der Sommer nach Bonn kam, erhob dort ein Ungeheuer sein Haupt - der Krebs. Forschungsminister Heinz Riesenhuber, 48, ein Herr mit Fliege, führte den Schrecken aus der Verdrängung heraus: "Immer mehr Deutsche sterben an Krebs."

Schon ist es jeder vierte Bundesbürger, 160 000 im letzten Jahr, alle vier Minuten einer, gleichviel Männer und Frauen. Die bösartige Krankheit, mit Riesenaufwand bekämpft, tötet Junge und Alte, Arme und Reiche - aber sie schlägt nicht blind zu. Es gibt, erläuterte der Minister am Dienstag der vorletzten Woche, hinsichtlich der Krebsgefährdung große regionale Unterschiede: Der Tod wählt seine Opfer sorgsam aus.

Die Ungleichheit vor dem Krebs hat menschliche Ursachen: "60 bis 90 Prozent aller Krebserkrankungen sind auf Umwelteinflüsse zurückzuführen", bekannte Riesenhuber - und die deutsche Umwelt wird immer lebensgefährlicher: Krebs ist nach den ebenfalls umweltbedingten Herz-, Kreislauf-Krankheiten (48 Prozent der Todesfälle) für Männer und Frauen zur zweithäufigsten Todesursachengruppe geworden. Schlimmer noch: Der Anteil der Krebskrankheit stieg in den letzten 30 Jahren bei den Männern von 15 auf 23 Prozent und bei Frauen von 17 auf 25 Prozent; Tendenz weiter steigend.

"Der toxische Holocaust für den größten Teil der bundesrepublikanischen Bevölkerung hat schon begonnen", behauptete in der letzten Woche der Bundesvorstand des DGB. "Es ist damit zu rechnen, daß in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten vor uns ein Tumorgebirge entstehen wird."

Ein Leichenberg, weil nichts geschieht?

So dramatisch will Christdemokrat Riesenhuber seine öffentliche Warnung vor dem Ur-Übel Krebs freilich nicht verstanden wissen. Er möchte weder die Wähler schrecken noch seinen regierenden Parteifreunden zu nahe treten. Auch die Industrie soll weiter geschont werden. Deshalb rief der Minister sofort nach jenen Geistern, die ihm das Schreckensthema zugetragen hatten, nach "Wissenschaft" und "Forschung": "Beide müssen enger zusammenarbeiten." Am Geld solle es nicht fehlen; vorerst stehen 600 Millionen Mark bereit.

Die bundesweite Aufregung basiert auf einer Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Dort haben zwei Ärzte und ein Mathematiker die Häufigkeit der Tumoren erforscht und ihre Erkenntnisse jetzt in einem großformatigen Buch niedergelegt. _(Nikolaus Becker, Rainer Frentzel-Beyme, ) _(Gustav Wagner: "Krebsatlas der ) _(Bundesrepublik Deutschland". Mit 44 ) _(farbigen Karten und 178 Graphiken; ) _(Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New ) _(York, Tokio 1984; 400 Seiten; 140 Mark. )

Es ist die erste präzise Beschreibung der "Krebslandschaft" Deutschland und ihrer "Krebsnester". Regional gegliedert nach allen bundesdeutschen Land- und Stadtkreisen, insgesamt 328 Verwaltungseinheiten, vermittelt die Fleißarbeit _(Alle Zahlen sogenannte ) _("Altersstandardisierte Mortalitätsrate" )

jedem Bundesdeutschen sein ganz spezielles Krebsrisiko. An Überraschungen ist kein Mangel.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, einem industriellen Ballungsraum seit mehr als 150 Jahren, ist die Krebsgefahr überdurchschnittlich groß. Merkwürdigerweise liegt sie auch in den ostbayrischen Grenzkreisen, etwa im waldigen Tirschenreuth, in Regen und im Landkreis Grafenau, deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt, ebenso wie in Kempten (Allgäu), Kaiserslautern, West-Berlin, Bonn und Oggersheim.

Relativ sicher können sich hingegen die Bürger in den waldigen Regionen Nordhessens, in Ostfriesland und in Baden-Württemberg fühlen. Im schwäbischen "Musterländle" stirbt man seltener an Krebs als anderswo, sogar in den industrialisierten Landstrichen rund um Stuttgart ist die Gefährdung gering. In Heidelberg hingegen, wo das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in romantischer Umgebung residiert und der Atlas in dreijähriger Arbeit zusammengestellt wurde, liegt die Krebssterblichkeit über dem Durchschnitt.

Auf Sylt wird man - geht es nach der Statistik - seltener von einem bösartigen Tumor dahingerafft; auch der Landkreis Lüchow-Dannenberg an der Elbe, der vielen Literaten zur zweiten Heimat geworden ist (und deshalb intern "Psycho-Pannenberg" heißt), kommt überdurchschnittlich gut davon.

Für die Männer in Duisburg und Oberhausen hingegen hat das DKFZ die höchste Krebssterblichkeit errechnet. Sie ist fast doppelt so hoch wie für Männer im hessischen Vogelsbergkreis und im Oberallgäu (siehe Karte Seite 61). Bei den Frauen sind die Einwohnerinnen von Pirmasens und Krefeld am stärksten vom Krebstod bedroht. In Lindau am Bodensee und im Landkreis Biberach ist die weibliche Krebssterblichkeit bundesweit am geringsten. In diesen Regionen sterben - vergleichsweise - die wenigsten Frauen an Krebs (siehe Seite 63).

"Warum das so ist, wissen wir nicht", räumt Professor Gustav Wagner, 66, Direktor des Instituts für Dokumentation, Information und Statistik am DKFZ und einer der drei Autoren des "Krebsatlas" ein. Auch Heinz Riesenhuber, der Bundesforschungsminister, ist ratlos. Als er, in der vorvergangenen Woche, den Heidelberger Atlas medienwirksam der Öffentlichkeit vorstellte, enthielt sich der gelernte Chemiker jeglicher Ausdeutung. Das umfangreiche Werk, so sprach der Minister, bilde ein verläßliches Fundament für die analytische Erkenntnis. Sie sei Aufgabe der Wissenschaftler, insonderheit der Experten zu Heidelberg.

Die sind, vor allem, überrascht, wieviel Interesse das dicke Buch hervorruft. Die Doktoren Nikolaus Becker, 34, und Rainer Frentzel-Beyme, 45, beide unter Professor Wagner am DKFZ tätig, waren ganz arglos in den Sommerurlaub gereist. Nach Frentzel-Beymes vorzeitiger Rückkehr am Montag der vergangenen Woche (Krebsforscher Becker segelte irgendwo und blieb vorerst verschollen) sahen sie sich urplötzlich im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. "So ein Riesenecho hatten wir wirklich nicht erwartet", bekennt Frentzel-Beyme.

Zwar sind sie auf die 44 bunten Karten des Krebsatlas - "sie bilden das Herzstück des vorliegenden Werkes" - ordentlich stolz. So was hat es, jedenfalls für Deutschland, bisher noch nie gegeben. Andererseits wissen die drei Heidelberger Wissenschaftler, daß ihr Zahlen- und Kartenwerk den Laien wohl mehr beeindruckt als den Krebsexperten. "Irgend etwas ganz Überraschendes haben wir gar nicht herausgefunden", urteilt Wagner. Sein Co-Autor Frentzel-Beyme ergänzt: "Eigentlich ist ein Krebsatlas ja nicht die ideale Form, Interesse für die Krebsforschung zu wecken." Trotzdem gelang gerade das.

Die persönliche Betroffenheit der Betrachter, denen das Fernsehen mehrfach die Krebskarten ins Wohnzimmer projizierte, nährt sich, so mutmaßen Heidelberger DKFZ-Männer, vor allem aus der individuellen Fehldeutung statistischer Zahlen. Entgegen weitverbreiteter Meinung erlaubt auch die beste Krebsstatistik keine Vorhersage des Einzel-Schicksals: Man kann in Duisburg geboren sein, dort lebenslang geatmet und gearbeitet haben und dort schließlich, hundertjährig, an Altersschwäche sterben. Umgekehrt schützt ein Wohnsitz auf dem Vogelsberg oder im Oberallgäu den einzelnen überhaupt nicht vor Krebs: Schon morgen kann ein Tumor entdeckt werden, schon übermorgen kann er zum Tode führen.

Auf den ersten Blick vermehrt der Krebsatlas mithin nur das Durcheinander der Meinungen - bei keiner zweiten Krankheit ist es so groß. Über das bösartige Leiden Krebs äußern sich selbst die Experten in scheinbar ganz widersprüchlicher Weise:
* Im Jahr 1900 starb nur jeder dreißigste, 1930 schon
jeder achte, jetzt "stirbt jeder vierte Deutsche an
Krebs" (Dr. med. Mildred Scheel, Gründerin und
Präsidentin der Deutschen Krebshilfe e. V.).
* "Krebs ist nicht Verschulden, er ist Schicksal - Krebs
kriegen wir alle, wenn wir nur alt genug werden"
(Professor Heinz Oeser, Krebsspezialist in
West-Berlin).
* "Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser sind
seine Heilungsaussichten" (die Bundesärztekammer).
* "Das Krebs-Früherkennungsprogramm ist völlig
fehlgeschlagen, seit 25 Jahren stagnieren die
Heilungsziffern" (Professor Ernst Krokowski,
Krebsexperte in Kassel).
* "Wenn alle Krebskrankheiten ab sofort erfolgreich
verhütet oder geheilt werden könnten, stiege die
durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung nicht
einmal um zwei Jahre" (Professor Peter Koeppe vom
Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin).

Alle diese Mitteilungen sind erwiesenermaßen wahr, hieb- und stichfest zu belegen. Nur: Selten trifft man sie unter einem Hut, weil über die Krankheit des Jahrhunderts aus vielen Gründen wortreich und mit ganz unterschiedlichen Intentionen spekuliert wird. Dem einen Experten ist Krebs eine apokalyptische

Bedrohung, die "letzte Seuche der Menschheit" (Krebsforscher Karl-Heinrich Bauer, Gründer des DKFZ). Andere Gelehrte sehen es gelassener, sie werten Krebs nur als eine unter mehreren gleichrangigen Todesursachen, vornehmlich des höheren Lebensalters.

Da mit jeder Krankheit auch ein gutes Geschäft zu machen ist, verzerren zudem häufig finanzielle Aspekte die Optik: Vielen Medizinern sichert das Leiden geregelte und dazu gut bezahlte Arbeit im Warmen und Trocknen - die Zeit ist nicht fern, da mehr Menschen vom Krebs leben als daran sterben werden. Schließlich gibt Krebs den Politikern jeglicher Couleur immer wieder Gelegenheit, sich in ein helles Licht zu setzen.

Denn bösartiges Zellwachstum ist im allgemeinen Bewußtsein keine gewöhnliche Krankheit wie etwa Herzinfarkt oder Schlaganfall. Krebs gilt fast allen Menschen als eine besonders heimtückische Bedrohung der Existenz, als teuflisch, furchteinflößend und grausam. Wer ihr den Kampf ansagt, der kann des Beifalls sicher sein. Willy Brandt hat es in seiner ersten Regierungserklärung getan (in der zweiten schon nicht mehr). Die Ex-Präsidenten-Gattin Mildred Scheel (mittlerweile selbst an einem Darmtumor operiert) ist durch ihren rastlosen Anti-Krebs-Kampf zur bekanntesten Ärztin Deutschlands geworden.

Auf der anderen Seite wäre ihr Widersacher Julius Hackethal wohl immer noch ein relativ unbekannter Messerheld im verschlafenen Elbenest Lauenburg, hätte er sich nicht mit großem Schwung der Verbreitung konträrer Krebswahrheiten angenommen. So wurde er zum Oberarzt der Nation. Und da soll Heinz Riesenhuber, jetzt, wo die Gelegenheit so günstig ist, schweigen?

In der Tat ist der Krebsatlas ein Schritt in die richtige Richtung - zwar keine Waffe gegen das Leiden, aber ein mögliches Instrument der Analyse. Optimisten mögen hoffen, daß daraus am Ende kluge Köpfe doch noch etwas Nützliches schmieden. Die Zuversicht stützt sich vor allem auf die sorgsame Untergliederung der traurigen Zahlen.

Unter dem Begriff "Krebs" verbergen sich mehr als 100 verschiedene Leiden: Solche, mit denen sich leben und unbehandelt alt werden läßt, etwa den meisten Karzinomen der männlichen Vorsteherdrüse (Prostata); andere Tumorformen, die, wie die Basalzell-Krebse der Haut, nur langsam wachsen, keine Tochtergeschwülste absiedeln und deshalb zu 99 Prozent heilbar sind. Aber auch höchst gefährliche Zellwucherungen, die dem Opfer keine Chance lassen: Von 100 Patienten überleben den Magenkrebs höchstens zehn, einen Bronchialkrebs nur fünf und das Bauchspeicheldrüsenkarzinom kaum einer mal.

Eine nüchterne Analyse der verschiedenen Krebsformen wird vor allem dadurch erschwert, daß eine schier unübersehbare Zahl von Faktoren Beginn, Verlauf und Prognose der Tumorkrankheit beeinflußt. Hierzu zählen Geschlecht und Lebensalter, Erbgut, Beruf, Blutgruppe, Ernährungsgewohnheiten, Laster, Liebesart und die ständig steigende Zahl krebsauslösender Umweltstoffe, sogenannter Karzinogene.

Allein 739 "krebserzeugende Stoffe" hat der Karlsruher Wissenschaftler Dr. Lutz Roth in einer neuen "Übersicht für den praktischen Gebrauch in Betrieben

und Laboratorien" zusammengestellt _(Lutz Roth: "Krebserzeugende Stoffe". ) _(Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft ) _(mbH, Stuttgart 1984; 148 Seiten; 39,50 ) _(Mark. )

- von hochgiftigen Substanzen wie Arsen, Benzol oder Dioxin, über die in der Krebsbehandlung verwendeten (und ihrerseits krebsfördernden) Lost-Verbindungen bis zu der in den letzten Wochen wieder ins Gerede gekommenen Allerwelts-Chemikalie Formaldehyd. Roth: "Jeder kann mit solchen Stoffen in Berührung kommen."

Und vom Krebs bedroht ist jedes Organ: Ohne spürbare Symptome kann eine Körperzelle zu hemmungslosem Wachstum entarten, in den inneren Drüsen, dem Knochenmark, in Muskeln, Nerven und Blut. Manche Krebsformen sind so selten, daß ein Arzt sie in seinem Berufsleben mit großer Wahrscheinlichkeit niemals zu sehen bekommen wird. Andere haben sich zu regelrechten "Killer"-Krebsen entwickelt. Diesen "lebhaften Auf- und Abwärtsbewegungen" der einzelnen Krebsformen unter der "relativ ruhigen Oberfläche der gesamten Krebslandschaft" gilt das besondere Interesse der Heidelberger Forscher.

Sie haben sich deshalb, unter beträchtlichen Mühen, von den Statistischen Landesämtern nicht nur die Gesamtzahlen der Krebstoten in den Jahren 1976 bis 1980 beschafft, sondern diese auch für die in Deutschland häufigsten 24 Krebsarten untergliedert. Dem Atlas und seinen Zahlenkolonnen kann deshalb für jeden Stadt- oder Landkreis der Republik entnommen werden, wie häufig dort die einzelnen Krebsformen sind. Die Differenzen sind beträchtlich.

Das Ziel dieser "epidemiologischen _(Epidemiologie = Seuchenlehre, von ) _(griechisch epi = auf, demos = Volk und ) _(logos = Lehre. )

Forschungsansätze", so erläutert der Direktor

des DKFZ, Professor Harald zur Hausen, sei es, "Risikofaktoren für menschliche Krebserkrankungen zu identifizieren" - hier eine Asbestfabrik, dort eine radioaktive Strahlung oder auch nur Besonderheiten des "individuellen Lebensstils".

Umweltfaktoren "im weitesten Sinne des Wortes", so die Autoren, bedingen die "teilweise erheblichen geographischen Unterschiede in der Häufigkeit der verschiedenen Krebsformen" und ihren Wandel im Lauf der Zeit. Zur Umwelt zählen dabei nicht nur Boden, Wasser und Luft, sondern beispielsweise auch Familienstand, Drogenkonsum und sogar die "intrauterine Umwelt" des ungeborenen Foeten im Mutterleib.

Welch erstaunlichen Veränderungen die Sterblichkeit an den einzelnen Krebsformen unterliegt, belegt ein Rückblick der Heidelberger:
* "Bei den Männern haben im Zeitraum von 1952-1981 bis
auf die Tumoren der Speiseröhre, des Magens, des
Bindegewebes und der Knochen alle übrigen bösartigen
Neubildungen zugenommen. Dem starken Rückgang der
Tumoren des Magens (-57 Prozent) steht dabei ein noch
stärkerer Anstieg derjenigen der Lunge gegenüber (+118
Prozent), die den Magenkrebs als früher häufigsten
Tumor von der ersten Position verdrängt haben. An
dritter und vierter Stelle stehen Darm- und
Prostatatumoren. Diese vier Tumordiagnosen machen fast
60 Prozent aller Todesfälle an Krebs bei den Männern
aus."
* "Bei den Frauen gehen Speiseröhren-, Magen-,
Bindegewebs- und Knochenkrebs sowie der Krebs des
Gebärmutterkörpers zurück. Dem steht die Zunahme der
Tumoren der Mundhöhle und des Rachens, des Darmes, der
Gallenblase und des Pankreas, der Lunge, der Brustdrüse
und des Gebärmutterhalses gegenüber. Häufigste
Krebstodesursache sind bei den Frauen der Krebs der
Brustdrüse sowie die Darmtumoren geworden. Die fünf
häufigsten Tumorarten bei den Frauen machen knapp 50
Prozent aller Todesfälle an Krebs aus."

Warum der Magenkrebs seit 20 Jahren immer seltener auftritt, weshalb Brustkrebs ständig weiter zunimmt - kein Wissenschaftler vermag es widerspruchsfrei zu erklären. Manche Experten sprechen deshalb schon von einem "natürlichen Trend", in der Hoffnung, die eigene Unkenntnis bliebe so verborgen.

Andere räumen, wenn auch etwas verschämt, ein, daß sie "nicht mal wissen, was Krebs wirklich ist". Das muß nicht so bleiben. Einige angesehene Wissenschaftler hoffen, daß sie in den letzten Monaten des Rätsels Lösung zumindest nähergekommen sind (siehe Kasten Seite 76).

Auch die bundesweite Aufzeichnung der unterschiedlichen Krebssterblichkeit gibt den Fachleuten vor allem neue Rätsel auf - und auch der Laie wundert sich. Weder mit spezialisiertem Fachwissen noch mit gesundem Menschenverstand läßt sich beispielsweise erklären, weshalb bei bayrischen Männern und Frauen der Magenkrebs soviel häufiger vorkommt als im restlichen Bundesgebiet - liegt es am Bier, am Pökelfleisch oder an den Salzheringen, der Rasse, an unzulänglichen Tiefkühlketten?

Wenn aber Essen und Trinken vor allem den bayrischen Magen ruinieren, weshalb dann nicht auch den Darm? Überraschenderweise unterscheidet sich die Sterblichkeit an Darm- und Enddarmkrebs in den bayrischen Regionen kaum von den anderen Gebieten der Republik. Und wo mag die Ursache dafür liegen, daß ausgerechnet im Münchner Stadtgebiet und rund um den Starnberger See unterdurchschnittlich wenig Männer an Magenkrebs sterben? An der preußischen Überfremdung? Am hohen Sozialstatus?

"Sicher ist, daß nichts sicher ist. Selbst das nicht", zitiert ein DKFZ-Professor den Tiefsinn-Poeten Joachim Ringelnatz, vorsichtshalber hinter vorgehaltener Hand, "denn über Krebs soll man ja keine Witze machen".

Trotzdem hält sich so mancher Krebsforscher den Gegenstand seiner Alltagsmühen mit Scherz und Ironie auf erträglicher Distanz - sonst "müßte man verzweifeln", wie einer der prominentesten Experten bekennt: Nicht nur, daß der seit zwei Jahrzehnten betriebene Milliardenaufwand im entscheidenden Punkt - der Heilung krebskranker Patienten - nichts Entscheidendes gebracht hat. Je mehr Akademiker sich hauptberuflich mit der Erforschung des Ur-Übels befassen - weltweit sind es schon 40 000 -, desto riesiger wird der Berg der Fakten. Sie passen freilich oft gar nicht mehr zueinander. Der deutsche Krebsatlas, zur Freude der internationalen Fachwelt auf deutsch und englisch gedruckt, bietet hierfür Belege in großer Zahl.

Die kartographische Wiedergabe der Krebssterblichkeit, getrennt nach 24 Krebsarten und 328 Regionen, belegt, daß bestimmte Tumorformen in bestimmten Gebieten der Bundesrepublik unerklärlich häufig oder ebenso unerklärlich selten sind.

Oft existiert ein "Krebsnest" inmitten einer Region, in der - bei scheinbar gleichen Umweltbedingungen - die Tumorkrankheit sonst selten ist. Auch die umgekehrte Situation wird beobachtet. Beispiele:
* Im ostbayrischen Landkreis Deggendorf sterben
überdurchschnittlich viele Frauen an Brustkrebs - in
den sechs rundum angrenzenden Kreisen sind es
unterdurchschnittlich wenig.
* Das gleiche Krebsleiden verschont merkwürdigerweise
weitgehend die Frauen im Rhein-Hunsrück-Kreis, während
es in allen sieben Nachbarkreisen überdurchschnittlich
häufig registriert wird (siehe Seite 72).
* Warum ausgerechnet die Männer im Landkreis Ahrweiler
vom Krebs der Prostata verschont werden, während
unmittelbar ringsum diese Krankheit bedrohlich häufig
vorkommt, ist ebenso unerklärt wie
* eine gegenteilige Beobachtung in Süddeutschland: In der
Bischofsstadt Würzburg, nicht aber in deren
unmittelbarer oder ferneren Nachbarschaft ist der
Prostatakrebs besonders häufig (siehe Seite 65).

Ganz prinzipiell schreiben die Heidelberger Epidemiologen die "Ab- bzw. die Zunahme der Krebssterblichkeit jeweils einer Veränderung des lokalisationsspezifischen Angebots an krebserzeugenden Faktoren" zu. So wandert der Schwarze Peter nach Deggendorf und aus der Stadt Würzburg in deren bäuerliches Umland. Denn irgendeine Erklärung der Phänomene wird strikt (und vorsichtshalber)

verweigert. Die Heidelberger wörtlich: "Auf eine statistische Bewertung der regionalen Unterschiede im Rahmen der kartographischen Darstellung wurde verzichtet, weil die Karten keine Bewertung durchführen sollen und auch nichts beweisen können. Ihr Hauptzweck ist die optische Wiedergabe geographischer Unterschiede in der Sterblichkeit (Mortalität), die gegebenenfalls eingehender untersucht werden sollten."

Die Untersuchung der Sterblichkeit an Krebs ist freilich ein nachrangiges Problem. Logischerweise würden sich die Forscher, statt nur die Leichen zu zählen, viel lieber mit den Erkrankten und erst recht mit den eventuell vom Krebs Geheilten befassen - doch das wollen die ärztlichen Standesorganisationen auf gar keinen Fall zulassen. Landes- oder gar bundesweite "Krebsregister", vom DKFZ befürwortet, stoßen auf ihre erbitterte Ablehnung.

In Wahrheit fürchten die ärztlichen Standesfürsten wohl weniger den Mißbrauch persönlicher Daten des Kranken - das ließe sich durch Datenschutzauflagen verhindern - als vielmehr eine andere Nutzungsmöglichkeit: Ein "flächendeckendes Krebsregister" ermöglicht die langfristige Beobachtung der Krankheitsverläufe samt der sie begleitenden medizinischen Maßnahmen. Am Ende steht der "gläserne Arzt" - da sei Hippokrates vor.

Weil, seit Adenauers Zeiten, niemand in Bonn gegen den Widerstand der Ärztefunktionäre zu regieren versucht hat, wird es vorerst kein bundesweites "Krebsregister" geben. Die Forscher bleiben bei der epidemiologischen Karzinomforschung ausschließlich auf die Auswertung und Addition der Totenscheine angewiesen - so wie die drei Heidelberger Atlas-Fabrikanten.

Das Trio ist sich der daraus resultierenden Mängel durchaus bewußt. Denn häufig werden die Fragen auf den Leichenschauscheinen von den Ärzten nur nachlässig, gelegentlich auch wider besseres Wissen beantwortet. Seit die Statistischen Ämter sich weigern, die beliebte

Totenschein-Diagnose "Altersschwäche" für Verstorbene unter 60 Jahren anzuerkennen (es kam schon vor, daß selbst 35jährige mit dieser Diagnose begraben wurden), nimmt der prozentuale Anteil der Altersschwachen ständig ab.

Krebs hingegen wird, auch aus diesem Grund, immer häufiger auf dem Leichenschauschein notiert. Dabei hat der Arzt beim Krebskranken, zumal einem alten Menschen, oft die freie Wahl, ob er den Tumor oder eine andere, ebenfalls gesicherte Krankheit, etwa Herzschwäche, als "unmittelbare" Todesursache bezeichnet.

Professor Wagner, von Natur aus Optimist ("Das Leben muß ja trotz Krebs weitergehen"), hofft, daß sich Fehler und Dunkelfelder auf den Totenscheinen gleichmäßig über die ganze Bundesrepublik verteilen und darum das Krebsbild trotz aller Mängel bei den primären Daten die Wirklichkeit richtig - jedenfalls vergleichbar - widerspiegelt. Zudem hat sein Institut durch drei mathematische Operationen die Aussagekraft der Daten deutlich verbessert:
* Weil die "absoluten Fallzahlen nicht als Basis für
regionale Vergleiche geeignet sind, wenn die zugrunde
liegenden Bevölkerungen unterschiedlich groß sind", und
weil ältere Menschen krebsgefährdeter sind als jüngere,
wurde jeweils ein neuer, international vergleichbarer
Kennwert errechnet, die "altersstandardisierte
Mortalitätsrate".
* Aussagekräftig ist auch ein "Schätzwert für das
Sterberisiko eines Menschen bezüglich einer bestimmten
Krankheit", der "kumulative Mortalitätsrate" genannt
wird. Er gibt die Wahrscheinlichkeit an, im Laufe eines
Lebens an der jeweiligen Krankheit zu sterben. Bei
Krebs beträgt sie für deutsche Männer derzeit 18,97
Prozent, für Frauen 12,05 Prozent.
* Schließlich ließen die Heidelberger ihren
Elektronenrechner für alle Zahlen auch noch die
"Signifikanz" berechnen, damit nicht zufällige Befunde
den Wert der Kennziffern in Frage stellen.

Aus den Datenreihen ergibt sich für die Mehrzahl der 24 detailliert untersuchten Krebsformen ein kunterbuntes, unerklärliches Bild: Die weiblichen und männlichen Genitalkarzinome, aber auch die Krebserkrankungen der Leber und Bauchspeicheldrüse, der Knochen, des Gehirns und der Haut verteilen sich mit kleinen Schwerpunkten und ebenso vielen begünstigten Regionen über die ganze Republik.

Bei den Tumoren des Magens, der Schilddrüse, der Harnblase und vor allem der Lunge ist das anders. Im Gegensatz zur Ratlosigkeit der Experten hinsichtlich der überdurchschnittlichen bayrischen Magenkrebsmortalität gibt es für die drei anderen Krebsformen einsichtige Deutungen - doch weder die Ärzteschaft noch die Regierung freut sich darüber.

Der Schilddrüsenkrebs, eine seltene Karzinomform, die jährlich rund 850 Menschenleben fordert, nimmt von Nord nach Süd deutlich zu, dabei steigt das Risiko für Männer und Frauen gleichermaßen. Wo Jodmangel herrscht und sich deshalb Kröpfe bilden, sterben am Ende mehr Menschen an einer bösartigen Erkrankung der überforderten Schilddrüse als anderswo (siehe Seite 65). Abhilfe, so versichern die Spezialisten, böte die allgemeine, langfristige und im übrigen preiswerte Verwendung jodierten Kochsalzes in den gefährdeten Regionen - keine große Affäre, nur eine kleine Korrektur im Küchenkabinett.

Beim Blasenkrebs - jährlich rund 4500 Opfer, davon 3200 Männer - müßte schon mehr und teils von Amts wegen getan werden. An Blasenkrebs erkranken vor allem die Chemiearbeiter. Ihr Risiko liegt 40fach über dem Durchschnitt, wenn sie etwa mit bestimmten Farbstoffen und Weichmachern in der Gummiindustrie zu tun haben. Dort, wo die chemischen Werke stehen, hat auch der Blasenkrebs seine Heimstatt.

"Es ist zu vermerken", erläutern die Heidelberger in der vorsichtigen Sprache der Wissenschaft, "daß die Blasenkrebsraten weiterhin deutlich ansteigen, obwohl berufliche Faktoren seit 1950 in verstärktem Maße durch Verordnungen ausgeschaltet wurden." Verordnungen allein tun''s offenbar nicht, von Papier läßt sich der Krebs nicht schrecken.

"Krebs ist ein Test für die heutige Umweltverseuchung des Menschen geworden", erläuterte der DKFZ-Gründer Professor Bauer kurz vor seinem Tode (er starb 1978, 87jährig, an Altersschwäche). Leider besitze der Mensch weder Schutzinstinkte noch Abwehrmechanismen gegen die Karzinogene, "gegen Teer, Ruß, Pech, Auspuffgase, Arsen und die Eigen-, Neben- oder Abfallprodukte der modernen Technik" - sie setzen vor allem der Lunge, dem Grenzorgan des menschlichen Organismus, schwer zu.

An Lungenkrebs sterben derzeit jährlich rund 25 000 Bundesbürger, 85 Prozent von ihnen sind Männer. Alle haben mit der Atemluft tödlich gefährliche Gifte inhaliert - nur welche? Tabakrauch gilt den Krebsexperten als der weitaus schlimmste Krebsauslöser, denn rund 90 Prozent der Lungenkrebsopfer sind Raucher. Ein Blick auf die Lungenkrebskarte lehrt jedoch, daß auch Arbeitsbedingungen und der Rauch aus den Fabrikschloten die Atemwege zerstören können. Denn während sich der Prozentsatz der Tabakfreunde gleichmäßig über die ganze Republik verteilt - bei den Männern rauchen noch 20 Prozent, bei den Frauen 15 Prozent -, ist die Lungenkrebssterblichkeit der Männer in den Industrierevieren deutlich erhöht: Für die Arbeiter im Ruhrgebiet steht es am schlimmsten (siehe Seite 72).

"Über 10 000 Menschen sterben bei uns jährlich an Lungenkrebs, weil ihre Arbeitsbedingungen die tödliche Krankheit auslösen", schätzt Reinhold Konstanty, der Referatsleiter für Arbeitsmedizin im Düsseldorfer Bundesvorstand des DGB. Dabei ist der Umgang mit Asbest offenbar besonders gefährlich. In einem Mülheimer Kleinbetrieb, in dem nie mehr "als 50 oder 60 Leute gleichzeitig tätig waren, sind bisher 23 Krebstote registriert" worden. Konstanty fürchtet, daß die wahre Zahl der Opfer bei 100 liegt.

Auch die hohe Lungenkrebssterblichkeit in Kiel, Hamburg, Bremen und Emden führen Experten auf Asbeststaub-Exposition zurück. Ihr waren vor allem die Werftarbeiter ausgesetzt. Der Risikofaktor war seit Jahrzehnten bekannt - doch es dauerte bis 1982, ehe ihm Paroli geboten wurde. "Auch heute

noch", schimpft Konstanty, "verheimlicht die Industrie weitere tödliche Gesundheitsgefahren. Für breite Arbeitnehmergruppen ist die Todesstrafe faktisch noch nicht abgeschafft worden."

Der unstrittige Zusammenhang zwischen Beruf und Krebsrisiko paßt freilich weder dem Forschungsminister noch vielen Krebsexperten ins wertkonservative Weltbild. Ihnen ist es lieber, wenn Krebs als selbstverschuldet oder als unerklärliche Fügung gilt. DKFZ-Mann Wagner, als Interpret seiner Befunde sonst eher zurückhaltend, entlastet beim Thema Lungenkrebs entschlossen die Bonner Zauderer: "Luftverschmutzung stellt keinen wesentlichen Risikofaktor dar." Wagner hält es sogar für möglich, daß die schweflige Säure, die beispielsweise alle steinernen Skulpturen des Kölner Doms zerfrißt, den zarten Schleimhautzellen der Atemwege gar nichts tut: "Kann doch sein", sagt der Gelehrte, "daß der Körper sich erfolgreich wehrt."

Damit im Lande, trotz Krebs, Ruhe und Zuversicht gewahrt bleiben, hat sich die Ärzteschaft vor 13 Jahren ein spezielles Programm einfallen lassen. Ursprünglich wurden die Maßnahmen als "Vorsorge" ausgegeben, jetzt heißen sie - der Wahrheit schon etwas näher - "Früherkennungsmaßnahmen": Allen weiblichen Patienten über 30 und allen Männern über 45 wird jährlich eine genormte Krebsfahndung offeriert: Irgendeinen meßbaren Erfolg hat das Programm nicht gebracht. Ganz im Gegenteil: Bei manchen Tumorpatienten verlängert die Früherkennung nur die Leidenszeit zwischen Diagnose und Tod.

Zum Kummer der Kassenärzte - die im letzten Jahr für das Programm 395 Millionen Mark liquidierten - nimmt die Zahl der Teilnehmer, wie die Krankenkassen registrierten, "weiter ab". Nur 30,5 Prozent der berechtigten Frauen und 13,9 Prozent der Männer machen davon Gebrauch. Allgemeine Begründung der potentiellen Patienten: "Es bringt ja nichts." Privat sind auch die Ärzte dieser Ansicht. Ihre Teilnahmequoten am Krebs-Früherkennungsprogramm lagen seit jeher weit unter dem Durchschnitt.

Nachdenkliche Krebsexperten wie der Heidelberger DKFZ-Professor Klaus Goerttler fordern deshalb ein "neues Konzept" für die Krebsfrüherkennung. Ein solches Konzept müßte stärker auf die Risikogruppen hin orientiert sein, anerkennen, daß Krebs auch eine "Krankheit der Seele" sein kann (SPIEGEL-Titel 45/1977), und berücksichtigen, daß von Natur aus keineswegs alle Menschen in gleicher Weise gefährdet sind: Das individuelle Risiko, irgendwann im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken, ist von Geburt an unterschiedlich - relativ groß für Menschen, deren blutsverwandte Vorfahren krebskrank waren, klein für die anderen.

Auch Dr. Mildred Scheel hält die Fahne "Früherkennung" nicht mehr so hoch in den Wind. Die frohgesinnte Suggestion, daß ärztliche Kunst den Krebs besiegt - vorausgesetzt, der Patient ist folgsam und setzt sich regelmäßig ins Wartezimmer -, wird von den Krebshelfern heimlich, still und leise aus dem Verkehr gezogen. In Zukunft soll sich der Kranke schuldig fühlen.

Deshalb nennt die "Deutsche Krebshilfe" das Bronchialkarzinom "den Tabakkrebs", warnt eindringlich vor dem "Risikofaktor Alkohol", behauptet, daß "Berufskrebse nur eine untergeordnete Rolle spielen", die "Luftverschmutzung überschätzt" werde und es keinen "gesicherten Zusammenhang zwischen Krebs und Trinkwasser-Verunreinigung" gäbe. Auch Medikamente, Atomenergie und Nahrungszusätze werden freigesprochen. Eindringlich gewarnt wird vor den "Schäden durch das Sonnenlicht" und vor dem Krebstod durch Messer und Gabel.

Kaum war der Krebsatlas von Riesenhuber vorgestellt worden, leitartikelte Mildred Scheel in "Bild", daß "richtige Ernährung vor Krebs schützt". Ihr Küchenrat ans krebsfürchtige Volk: "Fettarme, ballastreiche Ernährung (Salate, Gemüse, Obst)."

Auch Riesenhuber will entdeckt haben, daß 35 Prozent der Krebstodesfälle auf Ernährungsfehler zurückgeführt werden müssen - mithin weder der Umweltverschmutzung noch der allgemeinen Chemisierung des Lebens angelastet werden können. Logische Folge: Die Regierenden sind unschuldig.

Die Idee, Muttis Küche zum Hauptkampfplatz gegen den Krebs auszurufen, kommt aus USA. Dort wie hier gelten "Ernährung" und "Erkältung" den meisten Menschen als die wahrscheinliche Ursache jeder Krankheit. In den letzten zehn Jahren haben sich deshalb immer wieder Wissenschaftler gefunden, die als Ursache der bösartigen Tumore Ernährungsgewohnheiten vermuteten. Wechselweise wurde ein Zuviel an Fett oder an Eiweiß oder an Kohlehydraten in der Nahrung angeschuldigt - jeweils verbunden mit dem guten Rat, den, leider wechselnden, Feind zu meiden.

In Wahrheit gibt es bisher überhaupt keine "solide wissenschaftliche Basis" für irgendwelche krebsfeindlichen Küchentips. Es sei deshalb, hat das DKFZ lange vor Riesenhubers großem Auftritt erklärt, "nicht gerechtfertigt, Umstellung der Ernährungsgewohnheiten mit dem Ziel anzustreben, das Krebsrisiko für die Allgemeinbevölkerung zu reduzieren".

Mehr Aussicht auf Erfolg im langwierigen Kampf gegen das Übel böte zweifellos eine konzertierte Aktion mit dem Ziel, die nachweislich krebsfördernden Umweltgifte zu reduzieren. Zwischen dem Giftkontakt und dem Krebstod vergehen gewöhnlich einige Jahrzehnte. Heilsame Wirkungen wären mithin erst nach dem Jahr 2000 zu erwarten.

Das ist weit hin für alle, die derzeit zu entscheiden haben. Deshalb besteht die Gefahr, daß auch das letzte freundliche Grün auf den Krebskarten langsam, aber sicher in ein tiefes Rot übergeht.

[Grafiktext]

Krebssterblichkeit der Männer (alle Krebsarten) aufgeschlüsselt nach den 328 Stadt- und Landkreisen der Bundesrepublik und basierend auf der Todesursachenstatistik der Jahre 1976 - 1980 SCHLESWIG-HOLSTEIN KIEL BREMEN NIEDERSACHSEN HAMBURG WEST-BERLIN HANNOVER OSNABRÜCK Essen NORDRHEIN-WESTFALEN KASSEL Düsseldorf KÖLN HESSEN FRANKFURT Mainz RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SAARBRÜCKEN STUTTGART NÜRNBERG REGENSBURG BADEN-WÜRTTEMBERG MÜNCHEN BAYERN FREIBURG Quelle für alle Karten: "Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland" Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr Krebssterblichkeit der Frauen (alle Krebsarten) SCHLESWIG-HOLSTEIN KIEL BREMEN HAMBURG NIEDERSACHSEN WEST-BERLIN HANNOVER OSNABRÜCK Essen NORDRHEIN-WESTFALEN Düsseldorf KASSEL Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr KÖLN HESSEN HOF FRANKFURT Mainz RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SAARBRÜCKEN STUTTGART NÜRNBERG REGENSBURG BADEN-WÜRTTEMBERG MÜNCHEN BAYERN FREIBURG Sterblichkeit an Prostatakrebs Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr Sterblichkeit an Schilddrüsenkrebs (Frauen) Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr Stadt- und Landkreise der Bundesrepublik zu den Karten aus dem "Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland" SCHLESWIG-HOLSTEIN Kreisgrenzen Regierungsbezirksgrenzen Landesgrenzen BREMEN HAMBURG NIEDERSACHSEN WEST-BERLIN NORDRHEIN-WESTFALEN HESSEN RHEINLAND-PFALZ SAARLAND BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN Schleswig-Holstein 1 Nordfriesland 2 Flensburg 3 Schleswig-Flensburg 4 Dithmarschen 5 Rendsburg-Eckernförde 6 Kiel 7 Plön 8 Neumünster 9 Steinburg 10 Segeberg 11 Ostholstein 12 Pinneberg 13 Stormarn 14 Lübeck 15 Herzogtum Lauenburg 16 Hamburg 17 Bremen 18 Bremerhaven Niedersachsen Reg.-Bez. Lüneburg 19 Cuxhaven 20 Stade 21 Rotenburg 22 Osterholz 23 Harburg 24 Verden 25 Soltau-Fallingbostel 26 Lüneburg 27 Uelzen 28 Lüchow-Dannenberg 29 Celle Reg.-Bez. Weser-Ems 30 Aurich 31 Wittmund 32 Friesland 33 Wilhelmshaven 34 Wesermarsch 35 Emden 36 Leer 37 Ammerland 38 Emsland 39 Cloppenburg 40 Oldenburg (Stadt) 41 Oldenburg (Land) 42 Delmenhorst 43 Grafschaft Bentheim 44 Vechta 45 Osnabrück (Stadt) 46 Osnabrück (Land) Reg.-Bez. Hannover 47 Diepholz 48 Nienburg 49 Hannover (Stadt) 50 Hannover (Land) 51 Schaumburg 52 Hameln-Pyrmont 53 Hildesheim 54 Holzminden Reg.-Bez. Braunschweig 55 Gifhorn 56 Wolfsburg 57 Peine 58 Braunschweig 59 Helmstedt 60 Salzgitter 61 Wolfenbüttel 62 Goslar 63 Northeim 64 Osterode am Harz 65 Göttingen Nordrhein-Westfalen Reg.-Bez. Münster 66 Steinfurt 67 Borken 68 Coesfeld 69 Münster 70 Warendorf 71 Recklinghausen 72 Bottrop 73 Gelsenkirchen Reg.-Bez. Düsseldorf 74 Kleve 75 Wesel 76 Oberhausen 77 Duisburg 78 Viersen 79 Krefeld 80 Mülheim an der Ruhr 81 Essen 82 Mönchengladbach 83 Neuss 84 Düsseldorf 85 Mettmann 86 Wuppertal 87 Solingen 88 Remscheid Reg.-Bez. Arnsberg 89 Unna 90 Hamm 91 Soest 92 Herne 93 Bochum 94 Dortmund 95 Ennepe-Ruhr-Kreis 96 Hagen 97 Märkischer Kreis 98 Hochsauerlandkreis 99 Olpe 100 Siegen Reg.-Bez. Detmold 101 Minden-Lübbecke 102 Herford 103 Gütersloh 104 Bielefeld 105 Lippe 106 Paderborn 107 Höxter Reg.-Bez. Köln 108 Heinsberg 109 Aachen (Stadt) 110 Aachen (Land) 111 Düren 112 Erftkreis 113 Köln 114 Leverkusen 115 Rheinisch-Bergischer Kreis 116 Oberbergischer Kreis 117 Euskirchen 118 Bonn 119 Rhein-Sieg-Kreis Hessen Reg.-Bez. Kassel 120 Kassel (Stadt) 121 Kassel (Land) 122 Waldeck-Frankenberg 123 Schwalm-Eder-Kreis 124 Werra-Meißner-Kreis 125 Hersfeld-Rotenburg 126 Fulda Reg.-Bez. Gießen 127 Marburg-Biedenkopf 128 Limburg-Weilburg 129 Lahn-Dill-Kreis 130 Gießen 131 Vogelsbergkreis Reg.-Bez. Darmstadt 132 Rheingau-Taunus-Kreis 133 Hochtaunuskreis 134 Wetteraukreis 135 Main-Kinzig-Kreis 136 Wiesbaden 137 Main-Taunus-Kreis 138 Frankfurt am Main 139 Offenbach am Main 140 Offenbach 141 Groß-Gerau 142 Darmstadt 143 Darmstadt-Dieburg 144 Bergstraße 145 Odenwaldkreis Rheinland-Pfalz Reg.-Bez. Koblenz 146 Altenkirchen 147 Ahrweiler 148 Neuwied 149 Westerwaldkreis 150 Koblenz 151 Mayen-Koblenz 152 Rhein-Lahn-Kreis 153 Cochem-Zell 154 Rhein-Hunsrück-Kreis 155 Birkenfeld 156 Bad Kreuznach Reg.-Bez. Trier 157 Bitburg-Prüm 158 Daun 159 Bernkastel-Wittlich 160 Trier 161 Trier-Saarburg Reg.-Bez. Rheinhessen-Pfalz 162 Mainz 163 Mainz-Bingen 164 Alzey-Worms 165 Worms 166 Kusel 167 Kaiserslautern (Stadt) 168 Kaiserslautern (Land) 169 Donnersbergkreis 170 Bad Dürkheim 171 Ludwigshafen (Stadt) 172 Ludwigshafen (Land) 173 Frankenthal 174 Speyer 175 Neustadt an der Weinstraße 176 Pirmasens (Stadt) 177 Pirmasens (Land) 178 Zweibrücken 179 Landau in der Pfalz 180 Südliche Weinstraße 181 Germersheim Saarland 182 Merzig-Wadern 183 Sankt Wendel 184 Saarlouis 185 Neunkirchen 186 Saarbrücken 187 Saar-Pfalz-Kreis Baden-Württemberg Reg.-Bez. Karlsruhe 188 Mannheim 189 Heidelberg 190 Rhein-Neckar-Kreis 191 Neckar-Odenwald-Kreis 192 Karlsruhe (Stadt) 193 Karlsruhe (Land) 194 Baden-Baden 195 Rastatt 196 Pforzheim 197 Enzkreis 198 Calw 199 Freudenstadt Reg.-Bez. Stuttgart 200 Main-Tauber-Kreis 201 Heilbronn (Stadt) 202 Heilbronn (Land) 203 Hohenlohekreis 204 Schwäbisch Hall 205 Ludwigsburg 206 Rems-Murr-Kreis 207 Ostalbkreis 208 Stuttgart 209 Böblingen 210 Esslingen 211 Göppingen 212 Heidenheim Reg.-Bez. Freiburg 213 Ortenaukreis 214 Emmendingen 215 Rottweil 216 Freiburg im Breisgau 217 Breisgau-Hochschwarzwald 218 Schwarzwald-Baar-Kreis 219 Tuttlingen 220 Lörrach 221 Waldshut 222 Konstanz Reg.-Bez. Tübingen 223 Tübingen 224 Zollernalbkreis 225 Reutlingen 226 Alb-Donau-Kreis 227 Ulm 228 Sigmaringen 229 Biberach 230 Ravensburg 231 Bodenseekreis Bayern Reg.-Bez. Unterfranken 232 Rhön-Grabfeld 233 Bad Kissingen 234 Main-Spessart 235 Aschaffenburg (Stadt) 236 Aschaffenburg (Land) 237 Miltenberg 238 Würzburg (Stadt) 239 Würzburg (Land) 240 Kitzingen 241 Schweinfurt (Stadt) 242 Schweinfurt (Land) 243 Haßberge Reg.-Bez. Oberfranken 244 Coburg (Stadt) 245 Coburg (Land) 246 Kronach 247 Hof (Stadt) 248 Hof (Land) 249 Lichtenfels 250 Kulmbach 251 Wunsiedel im Fichtelgebirge 252 Bamberg (Stadt) 253 Bamberg (Land) 254 Forchheim 255 Bayreuth (Stadt) 256 Bayreuth (Land) Reg.-Bez. Mittelfranken 257 Neustadt-Bad Windsheim 258 Erlangen-Höchstadt 259 Erlangen 260 Fürth (Stadt) 261 Fürth (Land) 262 Nürnberg 263 Nürnberger Land 264 Ansbach (Stadt) 265 Ansbach (Land) 266 Schwabach 267 Roth 268 Weißenburg-Gunzenhausen Reg.-Bez. Oberpfalz 269 Tirschenreuth 270 Neustadt an der Waldnaab 271 Weiden in der Oberpfalz 272 Amberg 273 Amberg-Sulzbach 274 Schwandorf 275 Neumarkt in der Oberpfalz 276 Regensburg (Stadt) 277 Regensburg (Land) 278 Cham Reg.-Bez. Schwaben 279 Donau-Ries 280 Dillingen an der Donau 281 Neu-Ulm 282 Günzburg 283 Augsburg (Stadt) 284 Augsburg (Land) 285 Aichach-Friedberg 286 Memmingen 287 Unterallgäu 288 Lindau 289 Oberallgäu 290 Kempten 291 Ostallgäu 292 Kaufbeuren Reg.-Bez. Oberbayern 293 Eichstätt 294 Neuburg-Schrobenhausen 295 Ingolstadt 296 Pfaffenhofen an der Ilm 297 Dachau 298 Freising 299 Erding 300 Mühldorf am Inn 301 Altötting 302 Landsberg am Lech 303 Fürstenfeldbruck 304 Starnberg 305 München (Stadt) 306 München (Land) 307 Ebersberg 308 Weilheim-Schongau 309 Garmisch-Partenkirchen 310 Bad Tölz-Wolfratshausen 311 Miesbach 312 Rosenheim (Stadt) 313 Rosenheim (Land) 314 Traunstein 315 Berchtesgadener Land Reg.-Bez. Niederbayern 316 Kelheim 317 Straubing 318 Straubing-Bogen 319 Regen 320 Deggendorf 321 Freyung-Grafenau 322 Landshut (Stadt) 323 Landshut (Land) 324 Dingolfing-Landau 325 Passau (Stadt) 326 Passau (Land) 327 Rottal-Inn 328 West-Berlin Sterblichkeit an Lungenkrebs (Männer) Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr Sterblichkeit an Brustkrebs (Frauen) Krebstote auf 100 000 Einwohner pro Jahr

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