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Lucius Annaeus Seneca

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Lucius Annaeus Seneca Empty Lucius Annaeus Seneca

Beitrag  Andy So Jan 18, 2015 11:47 pm

Lucius Annaeus Seneca, genannt Seneca der Jüngere (* etwa im Jahre 1 in Corduba; † 65 n. Chr. in der Nähe Roms), war ein römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Staatsmann und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Seine Reden, die ihn bekannt gemacht haben, sind verloren gegangen. Vom Jahr 49 an war er der maßgebliche Erzieher des späteren Kaisers Nero. Um diesen auf seine künftigen Aufgaben vorzubereiten, verfasste er eine Denkschrift darüber, warum es weise sei, als Herrscher Milde walten zu lassen (de clementia). Im Jahre 55 bekleidete er ein Suffektkonsulat. Senecas Bemühen, Neros eigensüchtig ausschweifendem Temperament gegenzusteuern, war jedoch kein dauerhafter Erfolg beschieden. Zuletzt wurde er vom Kaiser der Beteiligung an der pisonischen Verschwörung beschuldigt und ihm wurde die Selbsttötung befohlen. Diesem Befehl kam Seneca ohne Zögern nach.

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Seneca (Büste in der Antikensammlung Berlin)

Leben und Werk

Ausdrückliche Bezüge Senecas auf die eigene Biographie sind in seinen Werken äußerst selten, obwohl er von der Bedeutung seiner schriftlichen Hinterlassenschaft für die Nachwelt überzeugt war.

„Was Epikur seinem Freunde versprechen konnte, das verspreche ich dir, Lucilius: ich werde Kredit bei der Nachwelt haben, ich kann Namen mitnehmen, auf dass sie mit mir überdauern.“[1]

Senecas autobiographisches Schweigen hat erhebliche Probleme vor allem bezüglich der Datierung seiner Werke zur Folge, sodass insbesondere für die Abfolge seiner Tragödiendichtung kaum Anhaltspunkte gegeben sind. Dennoch legen die neueren einschlägigen Seneca-Biographien eine mehr oder minder enge Verbindung seiner Schriften mit seiner jeweiligen Lebenssituation nahe. Sein Philosophieren bestand nicht in der Schaffung eines neuen gedanklichen Systems, sondern wesentlich in der Anwendung der stoischen Lehre „nach Maßgabe der jeweiligen besonderen Lebenslage und Lebensnotwendigkeit“.[2] In seinen Werken, auch in den Spätschriften, betonte er seine Verwurzelung in der stoischen Philosophie.[3] Dabei lehnte er dogmatische Festlegungen ab.[4]

Senecas wechselvoller Lebenslauf hat ihm mehrfach abverlangt, sich auf Schicksalswenden einzustellen; und er konnte sie in stoischer Manier gutheißen:

„Menschen von Wert arbeiten hart, bringen Opfer und werden zum Opfer, und zwar aus eigenem Willen; sie werden nicht vom Schicksal geleitet, sondern sie folgen ihm und halten gleichen Schritt; hätten sie es gekannt, wären sie ihm vorausgegangen.“[5]

Die Vielfalt der Erfahrungen im politischen Leben und die unterschiedlichen Rollen, die er dabei übernahm, sind in Senecas philosophischen Schriften verarbeitet. Aus ihnen resultieren – und dies war Seneca durchaus bewusst – je nach besonderer persönlicher und politischer Lage unterschiedliche Optionen sittlich verantwortbaren Handelns.

„Je nach der Lage des Staates und den Fügungen des Schicksals werden wir vorankommen oder auf der Strecke bleiben, jedenfalls werden wir tätig sein und nicht der Furcht unterliegen und dadurch in Reglosigkeit verfallen. […] Wenn du aber in eine weniger günstige Lage des Staates gerätst, musst du dich mehr ins Privatleben zurückziehen und dich mit der Wissenschaft beschäftigen, wie auf gefahrvoller Seefahrt sofort einen Hafen anlaufen, nicht auf deine Entlassung warten, sondern von selbst zurücktreten.“[6]

Dass Senecas Leben und Werk eine Einheit bildeten, wurde wiederholt bestritten, insbesondere in der früheren Forschung. So urteilte u. a. der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff 1931 angesichts der Verstrickung des Philosophen in das Regime des Tyrannen Nero: „Solange er am höfischen und politischen Leben teilnahm, hatte er auch die Moral, nicht nur die stoische, an den Nagel gehängt oder doch nur mit den Lippen bekannt, und auf dem Totenbett posiert er, wie er es in seinen Schriften immer getan hat.“[7]

Die Altertumswissenschaftlerin Hildegard Cancik-Lindemaier vertrat dagegen 1966 die These, Seneca habe gerade als Philosoph weniger durch seine Dialoge und Traktate wirken wollen als durch die in ihnen dargestellten positiven und negativen Seiten der eigenen Person: „Das Selbstzeugnis als Exemplum gehört in die Mitte des senecanischen Philosophierens; in ihm wird die Einheit von Leben und Lehre unmittelbar bezeugt.“[8]
Ungewisse Anfänge

Senecas Geburtsjahr ist nicht überliefert und auch nicht sicher bestimmbar. Die neuesten Rekonstruktionsversuche sprechen für das Jahr 1.[9] Im spanischen Corduba geboren, gelangte er noch als Kleinkind in der Obhut seiner Tante nach Rom; anscheinend wollte sein Vater Seneca der Ältere als dem Stande der Ritter Zugehöriger seinen nach ihm benannten Sohn schon von klein auf im Herzen der Weltmacht heranwachsen sehen und den feinen römischen Zungenschlag annehmen lassen.[10] Mit seiner Frau Helvia[11] hatte er noch zwei weitere Söhne. Senecas älterer Bruder Novatus wurde unter seinem Adoptivnamen Gallio 51/52 n. Chr. Prokonsul in der Provinz Achaia und wies u. a. eine Klage der Juden gegen den Apostel Paulus ab; später übernahm er das Amt eines Konsuls. Seneca widmete ihm drei seiner Schriften, darunter Über den Zorn und Vom glücklichen Leben. Sein jüngerer Bruder Mela übernahm die Verwaltung des Familienbesitzes in Corduba.[12]

Seneca der Ältere betrieb intensiv rhetorische Studien und verfasste darüber ein Werk, in dem er sich sehr kritisch über die gekünstelte zeitgenössische Rhetorik äußerte.[13] Auf diesem Felde war der gleichnamige Sohn also frühzeitig orientiert. In Verbindung damit dürfte er einen vorzüglichen rechtskundlichen Unterricht erhalten haben[14], der ihn auf eine anwaltliche Tätigkeit vorbereitete, für die es unerlässlich war, das rhetorische Instrumentarium zu beherrschen.

Die rhetorischen Stilübungen waren ihm allerdings weit weniger wichtig als die philosophischen Grundsätze, die ihm seine Lehrer Sotion und Attalos vermittelten. Sotion, der neben stoischen auch pythagoreische Lehren vertrat, beeinflusste Seneca stark und nachhaltig. Er veranlasste ihn zeitweise dazu, gemäß der pythagoreischen Tradition nur fleischfreie Kost zu sich zu nehmen.[15] Die empfohlene harte Matratze für seine Bettstatt behielt Seneca bis ins Alter bei. Vor der Nachtruhe nahm er, wie er es bei Sotion gelernt hatte, täglich eine Rekapitulation des Tages als Selbstprüfung und Gewissensforschung vor:

„Wenn das Licht aus meinem Blick entfernt ist und meine Gattin schweigt, da sie meine Gewohnheit kennt, überprüfe ich meinen ganzen Tag und gehe meine Taten und Worte erneut durch; dabei verberge ich nichts vor mir selbst und übergehe nichts.“[16]

Gesundheitlich war Seneca von Kindesbeinen an und während seines ganzen Lebens durch Asthma-Anfälle und chronische Bronchitis stark eingeschränkt. Atemnöte und Fieberschübe setzten ihm in jungen Jahren derartig zu, dass er davor stand, sich das Leben zu nehmen.[17] Eine gewisse Stabilisierung trat erst ein, als er im Alter von etwa 30 Jahren das ihm bekömmlichere Klima im ägyptischen Alexandria aufsuchte, wo er bei seiner Tante unterkam, die mit dem römischen Präfekten von Ägypten verheiratet war. Sie setzte sich für ihn ein, als er nach seiner Rückkehr nach Rom, wo er sich als Anwalt bei den Gerichten bereits einen Namen gemacht hatte, erfolgreich um die Quaestur als Einstieg in die römische Ämterlaufbahn bewarb.[18]

In diese Zeit fielen auch die ersten seiner überlieferten philosophischen Schriften in Briefform. In der Trostschrift an Marcia, die Tochter des Historikers Cremutius Cordus, deren Kind verstorben war, betrachtete er die Entwicklung ihrer Trauer und gab Anregungen, ihr über den Verlust des Sohnes hinwegzuhelfen.

„Auch jetzt noch bleibt dir, Marcia, maßlose Traurigkeit, die schon verhärtet zu sein scheint; in deiner Trauer bist du nicht mehr so aufgeregt wie anfangs, sondern vielmehr hartnäckig und verstockt; auch davon wird dich die Zeit allmählich befreien. So oft du dich anderweitig beschäftigst, wirst du Entspannung finden.“[19]

Noch akzentuierter griff er klassisches stoisches Gedankengut in seinem dreiteiligen Werk Über den Zorn auf. Diese Arbeit stammt aus den vierziger Jahren und ist seinem Bruder gewidmet. Das Problem der Affektkontrolle wird hier auf vielfältige Weise lebenspraktisch, historisch-exemplarisch und politisch abgehandelt.

„Lieber Novatus, du hast mich genötigt darüber zu schreiben, wie der Zorn beschwichtigt werden kann, und es scheint mir, dass du aus berechtigtem Grund besonders diese Leidenschaft fürchtest, da sie unter allen die scheußlichste und verheerendste ist. Denn alle anderen verbinden sich noch mit einem gewissen Maß an Ruhe und Gelassenheit; diese hingegen geht ganz und gar auf in Aufregung und heftigem Verlangen, sie rast und sehnt sich ganz unmenschlich nach Verwundungen durch Waffen und dem Blutbad der Hinrichtungen …[20] Es ist das Beste, die erste Regung des Zornes sogleich zu ignorieren und sich gegen die Anfänge zu wehren. […] Denn wenn der Zorn begonnen hat, uns vom rechten Weg abzubringen, so ist die Rückkehr zur seelischen Gesundheit schwierig, weil die Vernunft nichts mehr ausrichten kann, sobald die Leidenschaft einmal eingezogen und ihr durch unseren Willen ein gewisses Recht gewährt worden ist. Sie wird von nun an alles tun, was sie will, nicht nur das, was man ihr gestattet.“[21]

Da es sich nach Seneca beim Zorn um eine beherrschbare Regung handelt[22], hielt er entsprechendes erzieherisches Einwirken für nötig. Dabei kam es ihm besonders auf die genaue Beobachtung der individuellen Entwicklung an, weil z. B. mit dem Mittel des Lobes einerseits das Selbstbewusstsein des Schützlings gestärkt, andererseits aber Überheblichkeit und Jähzorn gefördert werden könnten. Mal müsse eben gebremst, mal angefeuert werden. Sein die Menschenwürde achtender pädagogischer Ansatz zeigt sich, wenn er fortfährt:

„Man soll dem Schützling nichts Erniedrigendes oder Sklavisches zumuten. Er soll niemals dazu gebracht werden, demütig um etwas zu bitten, und er soll auch keinen Nutzen daraus haben, sondern er soll nur um seiner selbst willen, aufgrund bisheriger Leistungen und für die Zukunft vielversprechender Anlagen, belohnt werden.“[23]

Trostschriften aus der korsischen Verbannung

Hineingeboren in die Ära des Augustus, eben Jugendlicher bei Herrschaftsantritt des Tiberius, arrivierter Anwalt und Senatsmitglied, als Caligula Princeps wurde: so lassen sich Senecas vier erste Lebensjahrzehnte mit der Geschichte des frühen Prinzipats in Beziehung setzen. Ausschlaggebend für seinen weiteren Lebenslauf wurde das julisch-claudische Herrscherhaus allerdings erst im Jahre 41, als Seneca nach der Beseitigung des despotischen Caligula[24] von dessen Nachfolger Claudius in die Verbannung nach Korsika geschickt wurde.

Dies geschah auf Betreiben Messalinas, mit der Claudius in dritter Ehe verheiratet war und die Julia Livilla[25] als potentielle Rivalin ausschalten wollte.[26] Deshalb denunzierte sie diese wegen angeblichen Ehebruchs mit Seneca. Nur der Fürsprache Kaiser Claudius’ im Senat war es zu verdanken, dass Seneca statt zum Tode zur Verbannung nach Korsika verurteilt wurde. Weil dies in Form einer Relegatio (nicht der Deportation) geschah, blieben ihm Eigentum und staatsbürgerliche Rechte erhalten.[27]

Acht Jahre währte die Verbannung auf Korsika insgesamt. Erhalten sind aus dieser Zeit vor allem zwei Trostschriften, in denen Seneca einerseits stoischen Schicksalsgehorsam, andererseits aber auch den dringenden Wunsch nach Beendigung des Exils zum Ausdruck brachte. Er zeigte sich, indem er Trost spendete, zugleich als Trost Suchender in auf die Dauer quälender Abgeschiedenheit.

In dem Trostschreiben an seine Mutter Helvia, die von seiner Verbannung hart getroffen worden war, versicherte Seneca, er sei nicht unglücklich auf Korsika und könne es auch gar nicht werden.[28] Warum sollte er nicht mit einem Ortswechsel seinen Frieden machen können, wo doch von den Himmelsgestirnen bis zu den Menschenvölkern so vieles ständig in Bewegung sei.[29] Im Schlussabschnitt schrieb er:

„Lass dir sagen, wie du dir mich vorstellen sollst: ich bin fröhlich und lebhaft, als sei alles zum Besten. Es ist ja auch alles zum Besten, da mein Verstand von jeder mühevollen Beschäftigung entlastet ist, für eigene Arbeiten Zeit hat und sich manchmal an leichteren Studien erfreut, manchmal zur philosophischen Betrachtung seines eigenen Wesens und der Beschaffenheit der Welt sich erhebt.“[30]

Eine deutlich weniger optimistische Beschreibung seiner Lage enthält dagegen die Trostschrift für Polybios, der bei Hofe das Referat für Bittschriften leitete (a libellis) und dem er sich wohl vor allem mit dem Ziel andiente, er möge bei Kaiser Claudius die Lösung seiner Verbannung erwirken.[31] Dieses Schreiben schloss Seneca, nachdem er seine eigene kraftlose und abgestumpfte geistige Verfassung beklagt hatte, entschuldigend mit den Worten:

„Wenn Du meinst, dass diese Ausführungen deinem geistigen Niveau nicht ausreichend entsprechen oder deinen Schmerz nur unzureichend lindern, dann bedenke, dass derjenige, den eigenes Unglück überwältigt hat, nicht die Gedanken frei haben kann, um jemand anderes zu trösten, und dass lateinische Worte nicht leicht einem unglücklichen Menschen zufallen, den niveauloses und selbst relativ gebildeten Nichtrömern schwer aufstoßendes Barbarengebrabbel umgibt.“[32]

Der mühsam verbrämte Eigennutz dieser obendrein erfolglosen Trostschrift und das am Ende hervorbrechende Selbstmitleid haben Seneca mancherlei Spott und Kritik eingetragen. Manfred Fuhrmann stellte 1997 dazu fest: „Die Nachwelt hat Seneca diesen Kotau, das Erzeugnis einer Depression, ziemlich übel genommen. Sein Tun habe aufs schärfste seinen philosophischen Lehren widersprochen, schreibt Cassius Dio…“.[33] Ludwig Friedländer attestierte Seneca 1900 eine Überhäufung des Polybios mit unwürdigen Schmeicheleien und wies darauf hin, dass Seneca später aus Scham erfolglos die Vernichtung dieser Schrift betrieben haben soll.[34]
Erzieher des Thronfolgers

Das Ende der Verbannung kam für Seneca schließlich ohne eigenes Zutun, als Kaiserin Messalina, die Initiatorin des Verfahrens gegen Julia Livilla und Seneca, ihr sexuell und machtpolitisch motiviertes Spiel überzog und eine Abwesenheit des Claudius von Rom dazu nutzte, den designierten Konsul Gaius Silius zu ehelichen, was beide bald danach das Leben kostete. Nun sah Agrippina die Jüngere, die neben Julia Livilla vormals ebenfalls verbannte Nichte des Claudius, gute Chancen, ihrem Sohn Nero aus erster Ehe Thronchancen zu verschaffen, indem sie Kaiser Claudius ehelichte. Als Erziehungsbeistand für Nero aber hatte sie Seneca ausersehen.[35]

Diesem Ruf konnte Seneca, den es zunächst nach Athen gezogen haben soll[36], sich schwerlich versagen. Der machtpolitischen Dynamik im Kaiserhaus entsprechend, konnte Gunst schnell und massiv in Ungunst umschlagen. Im Jahre 50 bekleidete Seneca – zweifellos mit maßgeblicher Unterstützung des Kaiserhauses – die Prätur. Sobald Agrippina Kaiserin geworden war, veranlasste sie Claudius, der mit Britannicus schon einen von Messalina geborenen Thronfolger hatte, Nero zu adoptieren. Nero konnte als der um drei Jahre Ältere von beiden nun die erste Anwartschaft beanspruchen. Zwar gab es keine verbindlichen Regelungen in der Nachfolgefrage, doch war in der Vergangenheit die Adoption gewohnheitsmäßig zum Mittel der dynastischen Legitimation in der Nachfolge des Prinzipats geworden. Dies war die Konstellation, in der Seneca an Neros Seite trat.

Nach acht Jahren Exil wieder in Rom zu sein war für Seneca zweifellos ein scharfer und tief erlebter Kontrast.[37] In diese Zeit fiel seine Schrift „Von der Kürze des Lebens“, in der Seneca die zeitgenössischen städtischen Lebensformen einer exemplarischen Kritik unterzog:

„Den einen hält unersättliche Habsucht gefangen, ein anderer verausgabt seine Geschäftigkeit in überflüssigen Anstrengungen, der eine ist vom Wein trunken, der andere verkümmert durch Faulheit; […] viele sind der Schönheit einer anderen Person oder der Besorgnis um die eigene verfallen; sehr viele, die kein bestimmtes Ziel verfolgen, hat die haltlose, unbeständige und sich selbst missfallende Liederlichkeit zu ständig wechselnden Vorhaben aufgejagt; manche treffen überhaupt keine Entscheidung, wohin sie ihre Lebensbahn richten sollen, sondern ihr Schicksal ereilt sie, während sie schlaff sind und gähnen […]“[38]

Sein spezielles Augenmerk hatte der widersprüchliche Umgang der Menschen mit Besitz und Eigentum einerseits und mit ihrer begrenzten Lebenszeit andererseits:

„Man findet niemanden, der sein Geld teilen will, doch mit wie vielen teilt ein jeder sein Leben! Sie sind davon gefesselt, ihr Erbe zusammenzuhalten, sobald es aber um die Verschwendung ihrer Zeit geht, sind sie höchst freigebig mit dem, worin allein doch der Geiz ehrenhaft ist.“[39]

Raubbau an der gegebenen Lebensspanne treibe auch, wer lohnende Vorhaben in ein Alter verschiebe, von dem er gar nicht wissen könne, ob er es überhaupt erreichen werde.[40] Zu leben verstehe hingegen, wer die alltägliche Betriebsamkeit hinter sich lasse und sich der Philosophie zuwende. Damit erschließe sich dem Menschen eine reiche Vergangenheit. Seneca plädiert hier für das Studium unterschiedlicher philosophischer Wege:

„Man kann mit Sokrates diskutieren, mit Karneades zweifeln, mit Epikur zurückgezogen leben, das Wesen des Menschen mit den Stoikern überwinden, mit den Kynikern hinter sich lassen.“[41]

Es liegt nahe, dass Seneca seine philosophischen Leitvorstellungen auch dem heranwachsenden Nero vermittelt hat, der gemäß Agrippinas Ambitionen aber hauptsächlich auf seine Rolle als künftiger Kaiser vorbereitet werden sollte. Nero selbst neigte eher den schönen Künsten zu, hatte darin auch einiges Talent und einen starken Hang zur Selbstinszenierung. Wenn Seneca möglicherweise zu dieser Zeit begann, Tragödien zu schreiben, könnte er damit seinen Einfluss auf den Thronanwärter, der ihm in der Dichtkunst nacheiferte, noch verstärkt haben.[42]

In allen seinen Tragödien griff Seneca den klassischen Stoff der griechischen Mythen im Anschluss an Aischylos, Sophokles und Euripides auf. Sie waren dazu geeignet, seine philosophischen Überzeugungen teils drastisch-grauenvoll ausgemalt, teils spielerisch-unaufdringlich an den Zögling weiterzugeben. Ein Beispiel aus dem Thyestes:

„Welche Raserei treibt euch (Könige) an, / abwechselnd euer Blut hinzugeben / und durch Verbrechen das Szepter zu erstreben? / […] König ist, wer Ängste abgelegt hat / und die Übel eines schlimmen Herzens, / den nicht zügelloser Ehrgeiz / und die nie beständige Gunst / der unbedachten Menge bewegt / […] König ist, wer nichts fürchtet, / König ist, wer nichts begehrt. / Dies Königreich gibt jeder sich selbst.“[43]

Etwa fünf Jahre war Seneca als Erzieher des Prinzen tätig, bis Claudius im Jahr 54 starb – angeblich von seiner Frau vergiftet, die damit Nero zum Kaiser machen und selbst noch mehr Macht erhalten wollte.[44]
Mitgestalter von Neros Herrschaftsbeginn

Einer von Neros Nachfolgern, der von 98–117 regierende Kaiser Trajan, hat die ersten Regierungsjahre Neros von 54 bis 59 als das glückliche Jahrfünft (Quinquennium) des Römischen Reiches bezeichnet.[45] Als erst Sechzehnjähriger gelangte Nero im Herbst 54 zur Herrschaft; und das positive Urteil über die ersten Jahre seines Prinzipats ist vor allem den beiden vorzüglich harmonierenden politischen Vordenkern und Begleitern Neros, dem Gardepräfekten Sextus Afranius Burrus und dem von Nero auch als Gegengewicht gegen die eigene Mutter weiterhin hoch geschätzten und mit umfänglichen Schenkungen bedachten Seneca geschuldet. Über Senecas Einflussnahme auf politische Entscheidungen im Einzelnen schweigen die Quellen.[46] Weder zu seinem kurzen Konsulat 55 noch zu seinem Verhalten im Senat ist Konkretes bekannt.[47]

Zu Neros ersten Amtshandlungen gehörte die Leichenrede auf den Adoptivvater Claudius, die Seneca für ihn vorbereitet hatte und die Nero in würdiger Manier vortrug. Als aber an einer Stelle von Claudius’ vorausschauenden Fähigkeiten und von seiner Weisheit die Rede war, verbreitete sich anlasswidrig allgemeine Heiterkeit,[48] denn Claudius galt bei den Zeitgenossen als beschränkt.

Seneca verfasste noch im selben Jahr den Ludus de morte Claudii Neronis, das „Spiel über den Tod von Claudius Nero“, das mit einem von Cassius Dio überlieferten Titel zumeist als „Apocolocyntosis“ [49] („Verkürbissung“ im Sinne von Veräppelung) zitiert wird. Es ist die einzige menippeische, das heißt teils in Prosa, teils Hexametern verfasste Satire, die von Seneca überliefert ist. Er macht sich ausgiebig über die geistigen, moralischen und körperlichen Unzulänglichkeiten des Kaisers lustig. So legt er dem sterbenden Claudius als letzte Worte in den Mund: „Vae me, puto, concacavi me!“ (auf Deutsch etwa: „O je, ich fürchte, ich habe mich beschissen“) [50] und schildert dann seinen Weg durch das Jenseits[51], wo Kaiser Claudius, statt als Gott verehrt zu werden, schließlich als Sklave eines Freigelassenen als Gerichtsdiener zu arbeiten hatte.[52] Später schämte Seneca sich dieser zornigen Polemik, die dem eigenen Ideal philosophischer Gelassenheit so offenkundig widersprach, und versuchte, ihre weitere Verbreitung zu verhindern.[53]

Ganz auf der Linie seiner philosophischen Werke lag dagegen Senecas programmatische Mahnschrift Ad Neronem Caesarem de clementia („An Kaiser Nero über die Milde“), mit der er seinen Schüler zu Beginn von dessen Prinzipat zu Milde gegenüber den ihm untergebenen Mitbürgern und zu einer verantwortungsvollen Amtsführung anhalten wollte. Nach Marion Giebels Auffassung legte Seneca mit dieser zugleich für die Öffentlichkeit bestimmten Schrift das „längst nötige Fundament für die traditionslose römische Monarchie“[54]. Er bezog sich dabei auf das Wort des Zenon-Schülers und makedonischen Königs Antigonos II. Gonatas, dem zufolge die Herrschaft für den König „eine ehren- und ruhmvolle Knechtschaft“ sei.[55]

Die Rolle eines milden Kaisers hat Nero wohl zeitweise angenommen und die Würde des Senats wieder stärker hervorgekehrt; in irgendeiner dienenden Funktion hat er sich aufgrund seines Naturells allerdings wohl kaum gesehen. Bei Manfred Fuhrmann heißt es dazu: „Die Monarchie ist unkontrollierbar, die hieraus sich ergebenden Defizite können allein durch den Menschen selbst ausgeglichen werden: Diese wohldurchdachte Doktrin Senecas vermochte nur jemanden zu beeindrucken, der zur Selbstreflexion fähig und von der Erfahrung der eigenen, eingeschränkten Subjektivität durchdrungen war.“[56]

Bei der Absicherung seiner Macht verließ sich Nero nicht auf die ihm gegenüber beschworene Milde. Schon im Jahre 55 traten zwischen Agrippina, die ihren Willen mitzuherrschen auch bei offiziellen Anlässen zu erkennen gab, und Nero Spannungen auf, die auch Seneca nur notdürftig zu überspielen vermochte. Als die Mutter dem Sohn mit den nicht erledigten Thronansprüchen seines Stiefbruders Britannicus drohte, arrangierte Nero laut Quellenzeugnissen dessen Vergiftung bei einem Essen in Anwesenheit Agrippinas und ließ dazu verbreiten, Britannicus sei an einem epileptischen Anfall gestorben.[57]
Schattenseiten der Machtteilhabe

Seneca hatte an dem Essen, das für Britannicus tödlich endete, nicht teilgenommen. Wie er auf den Mord reagierte, ist nicht überliefert. Ausrichten konnte er ohnehin wenig, wenn er seinen Einfluss auf Nero nicht verlieren wollte.[58]

Ob und ab wann Seneca den Platz an Neros Seite möglicherweise als problematisch empfunden hat, bleibt offen. Zwar schreibt er in einem der Briefe an Lucilius, er habe den rechten Weg erst spät erkannt,[59] doch führte er andererseits – wie fast immer ohne expliziten Bezug zum eigenen Tun – philosophische Gründe für sein anhaltendes Mitwirken im Zentrum der römischen Weltmacht an. Mit dem Beispiel des Sokrates, der unter der Gewaltherrschaft der Dreißig in Athen 404/403 v. Chr., seinen Mitbürgern ein unangepasst-freies Auftreten vorgelebt habe[60], unterlegte Seneca die These, dass ein Weiser sich gerade in einer für das Gemeinwesen schwierigen Lage verdient machen könne und dass es den Umständen entsprechend abzuwägen gelte, wann politisches Engagement chancenreich und wann aussichtslos sei.[61]

Schon innerhalb des von Trajan äußerst positiv gewürdigten Quinquenniums erschwerte Neros Impulsivität und sein Hang zu Ausschweifungen Seneca und Burrus das Geschäft, zumal Poppaea Sabina, die Mätresse und ab 59 Ehefrau des Kaisers, immer mehr Einfluss über ihn gewann. Seneca harrte dennoch, wohl um Schlimmeres zu verhüten, auf seinem Posten am Hofe aus.[62]

Durch Zuwendungen Neros war Seneca zu einem der reichsten Männer des Imperium Romanum geworden – man schätzt sein Vermögen auf 300 Millionen Sesterzen.[63] In Britannien trieb er 40 Millionen Sesterzen aus gekündigten Krediten rücksichtslos ein.[64] Der frühere Konsul Publius Suillius Rufus, nunmehr ein berüchtigter Ankläger in Denunziantenprozessen, stellte 55 Seneca zunächst in Schmähreden, danach in dem als Reaktion darauf gegen ihn angestrengten Prozess vor dem Senat als Jugend- und Frauenverführer sowie als Müßiggänger und Geldsack dar, der „seiner Raffgier auch noch ein philosophisches Mäntelchen der Bedürfnislosigkeit umhänge.“[65] Seneca gewann den Prozess, und Suillius wurde in die Verbannung geschickt.

Senecas Schrift Vom glücklichen Leben wird häufig als Antwort auf diese Angriffe gedeutet. Darin bestritt er nachdrücklich, dass es einen Widerspruch zwischen der stoischen Lehre und persönlichem Reichtum gäbe. Der Weise müsse allerdings fähig sein, materielle Güter aufzugeben und dürfe sich nicht zu ihrem Sklaven machen. Wie eine Replik auf die im Suillius-Prozess erhobenen Vorwürfe klingt folgende Passage:

„Hör also auf, den Philosophen das Geld zu verbieten! Niemand hat die Weisheit zur Armut verurteilt. Der Philosoph wird reiche Schätze besitzen, die aber niemandem entrissen sind, nicht von fremdem Blut triefen, erworben sind ohne Unrecht an irgendwem, ohne schmutzige Herkunft.“[66]

Seneca-Experten bemängeln, große Teile dieser Arbeit dienten der Rechtfertigung des eigenen Reichtums mithilfe zweckhaft ausgewählter Philosopheme. Richard Mellein spricht in diesem Zusammenhang von Senecas „scheinheiligem Opportunismus“.[67]

Ob Seneca zu dieser Zeit noch mit seinen Tragödien befasst war, ist unklar; bekannt ist aber, dass er eine der ihm ursprünglich zugeschriebenen Tragödien, die sich als einzige direkt auf das zeitgenössische Geschehen am Hofe Neros bezog, nicht selbst geschrieben hat. Titelheldin war Neros erste Frau Octavia (wie Britannicus ein Kind des Claudius), die zu ehelichen Neros Thronansprüche untermauert hatte. War Octavia bis dahin schon den Zurücksetzungen durch ihre Schwiegermutter Agrippina ausgesetzt, so wurde sie nun von Poppaea mehr und mehr aus ihrer Stellung gedrängt und musste später, als Seneca sich bereits weitgehend aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte, Rom verlassen. Nach erprobtem Muster war sie des Ehebruchs bezichtigt worden, doch wurde das allgemein nicht für bare Münze genommen. Da sie auch als Verbannte im Volk weiterhin sehr beliebt war und Nero wie auch Poppaea, die unterdessen geheiratet hatten, als Bedrohung erschien, wurde sie schließlich 65 umgebracht.[68]

Tacitus zufolge war Seneca im Jahr 59 in den vollendeten Muttermord Neros unmittelbar einbezogen.[69] Ein erster Anschlag auf Agrippina, die sich von einem für den Untergang präparierten Schiff noch hatte retten können, war fehlgeschlagen. Daraufhin soll sich Nero Rat bei Seneca und Burrus geholt haben. Die Vollendung des Mordaktes habe dann Neros enger Vertrauter, der griechische Freigelassene Anicetus, besorgt. In einer wie üblich von Seneca redigierten Mitteilung an den Senat hieß es, ein Bote der Agrippina habe Nero ermorden sollen, sie selbst habe sich nach Vereitelung der Untat den Tod gegeben.
Rückzug aus der Politik und Spätwerk in Muße

Nero hatte nach dem Mord an Agrippina allein die Macht inne und bedurfte Senecas als eines vermittelnden Wahrers seiner Ansprüche gegenüber der Mutter nicht mehr. Dennoch änderte sich an der äußeren Stellung Senecas, des neben Burrus wichtigsten politischen Beraters des Princeps, zunächst und in den Folgejahren nichts. Beide dienten Nero, indem sie politisch Regie führten, während der Kaiser zunehmend seinen Leidenschaften bei Wagenrennen nachging und seine künstlerischen Neigungen als Musiker und Tragödienmime sowie als Stifter und Zentralfigur musischer Festspiele und Wettbewerbe wie der Juvenalia und der Neronia verwirklichte.

Nach dem Bericht des Tacitus bat Seneca, als Burrus 62 starb – von dessen Nachfolger Tigellinus eher angefeindet –[70] um Entlassung aus dem Staatsdienst. Gleichzeitig äußerte er den Wunsch, Nero möge den Großteil seines durch ihn erworbenen Vermögens zurück in die eigene Verwaltung nehmen. Der Kaiser erwiderte, er könne Seneca nicht entbehren und die Vermögensabtretung nicht ohne Schaden für den eigenen Ruf annehmen; jenseits der rhetorischen Anerkennungsfloskeln war Senecas Abschied aus dem Machtzentrum aber dennoch besiegelt. Er entließ das Gefolge, das ihn seiner politischen Bedeutung entsprechend umgeben hatte, und zog sich mehr und mehr ins Privatleben zurück, meist nach Nomentum auf ein Weingut nordöstlich von Rom.[71]

Sein Ausscheiden aus dem politischen Leben und aus der Mitverantwortung für das Gemeinwesen der antiken Weltmacht hat Seneca in seiner Schrift Über die Muße philosophisch reflektiert. Er lässt einen unbekannten Gesprächspartner fragen:

„Was sprichst du, Seneca? Du ziehst Dich von den Parteiungen zurück? Sicherlich weißt du, dass Stoiker wie du sagen: ‚Bis zum Ende des Lebens werden wir tätig sein, werden nicht aufhören, uns für das Gemeinwohl einzusetzen, den einzelnen zu unterstützen, auch unseren Feinden noch mit altersschwacher Hand auszuhelfen. Wir sind es ja, die keinen Lebensjahren freie Zeit gewähren […], bei denen es bis zum Tod kein Ausruhen gibt, so dass, wenn die Möglichkeit gegeben ist, nicht einmal der Tod selbst in Ruhe eintritt.“[72]

Die Antwort auf diesen rhetorischen Einwand lautet:

„Meine Erwiderung werde ich in zwei Teile gliedern: erstens, dass man sich auch schon von früher Jugend an ganz der Betrachtung der Wahrheit widmen, die Kunst des Lebens suchen und sie in Abgeschiedenheit üben kann; zweitens, dass man besonders, wenn man aus seiner Dienstzeit ehrenhaft entlassen wurde, in fortgeschrittenem Alter, dies mit sehr guter Berechtigung tun kann […] Als Grund ist aber besonders der folgende offensichtlich: wenn der Staat zu verkommen ist, als dass man ihm helfen könnte, wenn er in Übeln versinkt, wird sich der Weise nicht ohne Aussicht einsetzen und sich nicht aufopfern, wenn er nicht helfen kann.“[73]

Ohnehin sah sich Seneca als Stoiker nicht nur dem staatlichen Gemeinwesen des Römischen Reiches verpflichtet, sondern auch jenem umfassenden „Staatswesen“, als welches er Natur und Kosmos mitsamt allen Menschen und Göttern betrachtete. Diesem mit der Sonne auszumessenden Staatswesen sei aber auch in der Muße mit vielerlei Untersuchungen zu dienen:

„…ob die Materie, aus der alles entsteht, teilchenlos und vollständig ist oder zerteilt und eine mit Festem gemischte Leere; was der Wohnort Gottes ist, ob er sein Werk nur betrachtet oder auch beeinflusst; ob er es von außen umgibt oder in dessen Ganzem enthalten ist; ob die Welt unsterblich ist oder man sie zum Hinfälligen und auf Zeit Geschaffenen rechnen muss.“[74]

Und er schlussfolgerte:

„Wir sagen, das höchste Gut sei, gemäß der Natur zu leben: die Natur hat uns zu beidem geschaffen, zur Betrachtung der Welt und zum Handeln.“[75]

In der ihm verbleibenden „Muße“-Zeit von 62 bis 65 n. Chr. nach seinem politisch aktiven Leben hat Seneca neben weiteren themenbezogenen philosophischen Werken mit Über Wohltaten (De beneficiis) noch zwei weitere Großprojekte realisiert: die auf Naturerscheinungen und kosmische Zusammenhänge gerichtete Schrift Naturwissenschaftliche Untersuchungen (Quaestiones naturales), die er schon auf Korsika begonnen hatte, sowie die als praktische philosophisch-ethische Handreichung konzipierte Sammlung der Briefe an Lucilius, von denen 124 überliefert sind. Diese umfangreiche Arbeit stellt sein philosophisches Hauptwerk dar. Otto Apelt wies 1924 darauf hin, dass nach Zitaten aus den Noctes Atticae des Gellius ursprünglich noch weitere Briefe existierten.[76]

Todeserwartung auf stoische Weise

Senecas Leben endete mit der von Nero befohlenen Selbsttötung. Der politische Hintergrund war die Pisonische Verschwörung gegen Neros zunehmend despotisches Regiment. Fuhrmann sieht Seneca dabei zwar nicht unmittelbar beteiligt, aber doch in der Rolle des geistigen Wegbereiters.[77]

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Senecas Tod in der Schedelschen Weltchronik

Der verbreiteten politischen Unzufriedenheit mit Kaiser Nero, auch im Senatorenstand, gab Seneca in seinem Werk Über Wohltaten Ausdruck. Dort heißt es in Anspielung auf Nero:

„Wenn er nicht aus Zorn, sondern in einem gewissen Wutrausch rast, wenn er vor den Augen der Eltern Kinder erwürgt, wenn er mit einfachem Töten nicht zufrieden, Foltern anwendet, […] wenn seine Burg stets von frischem Blut trieft, dann reicht es nicht aus, diesem Menschen eine Wohltat nicht zu vergelten. Was immer ihn mit mir verbunden hatte, das hat die aufgehobene Gemeinsamkeit menschlicher Rechtsgrundsätze getrennt.“[78]

Der lange geplante und mehrfach verschobene Mordanschlag auf Nero wurde kurz vor seiner Ausführung verraten. Durch Zusicherung von Straflosigkeit für die Kooperationsbereiten gelang es dem Kaiser, eine breite Denunziationswelle auszulösen, zu deren zahlreichen Opfern auch Seneca gehörte. Die Lage, in die er dadurch geriet, traf ihn jedoch nicht unvorbereitet, da die Vorbereitung auf den eigenen Tod ein zentrales Thema der stoischen Lebenskunst darstellt:[79]

„Es gibt nur eine Kette, die uns gefesselt hält, nämlich die Liebe zum Leben. Wir dürfen sie nicht von uns weisen, aber wir müssen ihren Druck mindern, damit uns unter dem Druck der Umstände nichts zurückhalte und hindere bereit zu sein, unverzüglich das zu tun, was einmal doch geschehen muss.“[80]

Senecas fragiler Gesundheitszustand hatte ihn schon in jungen Jahren dem Tod nahe gebracht. Über seine Atemnot äußerte er: „Der Anfall […] aber ist ein Ringen mit dem Tode. Daher nennen die Ärzte das Leiden ‚eine Vorübung auf das Sterben‘.“[81] Seine stoische philosophische Ausrichtung hatte ihm den Weg damit umzugehen gewiesen: „Lass Dir von mir sagen: ich werde vor dem letzten Augenblick nicht zittern, ich bin schon bereit, ich rechne nie mit einem ganzen Tag, den ich etwa noch zu leben hätte.“[82]

Der Tod und die Bekämpfung der Todesfurcht waren zuletzt zu einem besonders wichtigen und stets wiederkehrenden Thema in den Briefen an Lucilius geworden.[83] Es war wohl die ganz bewusst ins Zentrum gerückte letzte lebenspraktische Bewährung für Seneca: “Vor dem Eintritt ins Greisenalter war es mein Bestreben, in Ehren zu leben, nun, da es da ist, in Ehren zu sterben.“[84]

Schon im 4. Brief an Lucilius hatte Seneca einen rigorosen Standpunkt eingenommen: Nicht das Leben betrachtete er als Gut, sondern nur das sittlich reine Leben. Über den Weisen, der unter anhaltenden schweren Störungen der Gemütsruhe litt, schrieb er:

„Dann wirft er die Fessel von sich, und er tut das nicht bloß in der äußersten Not; sondern sobald das Schicksal anfängt, ihm verdächtig zu werden, geht er gewissenhaft mit sich zu Rate, ob er sofort ein Ende machen soll.“[85]

Eingehend setzte Seneca sich im 70. Brief an Lucilius mit diesem Problem auseinander, indem er u. a. jene Philosophen kritisierte, die Suizid zur Sünde erklärten: „Wer so spricht, sieht nicht, dass er der Freiheit den Weg versperrt. Wie hätte das ewige Gesetz besser verfahren können, als uns nur einen Eingang ins Leben zu geben, aber viele Ausgänge?“[86] Man könne keine allgemein gültige Antwort darauf geben, ob im Einzelfall der Tod erwartet oder selbst herbeigeführt werden sollte: „Denn es gibt viele Gründe, die uns zu einer von beiden möglichen Entscheidungen bewegen können. Wenn die eine Todesart mit Folterqualen verbunden ist, die andere einfach und leicht, warum sollte ich mich nicht an die letztere halten?“[87]

Senecas aus häufiger intensiver Befassung mit Sterben und Tod gewonnene Schlussfolgerung in diesem 70. Brief an Lucilius lautete:

„Für das Leben muß jeder auch Rücksicht nehmen auf die Billigung anderer, den Tod bestimme er ganz nach eigener Wahl; je mehr nach unserer Neigung, desto besser.“[88]

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La mort de Sénèque, Historiengemälde aus dem Jahr 1684 von Luca Giordano, heute im Louvre

Nero inszenierte die Abrechnung mit seinem Mentor als zweistufigen Prozess. Nachdem Seneca denunziert worden war, schickte der Kaiser einen höheren Offizier zu ihm, damit er sich über seine Beziehung zu Piso äußere. Seneca bestätigte den ausgesprochenen Verdacht nicht, bekam aber dennoch wenig später durch einen anderen Boten die Aufforderung zur Selbsttötung zugestellt. Er wollte sich Tafeln bringen lassen, um sein Testament zu verfassen. Dies wurde ihm jedoch verwehrt. Daraufhin vermachte er seinen Freunden als Einziges, aber zugleich Schönstes – wie er es ausdrückte – das „Bild seines Lebens“ (imago vitae).

Der Philosoph war sich dessen bewusst, dass der Tod jederzeit und an jedem Ort gegenwärtig ist.

„Niemanden hat das Schicksal so emporgehoben, dass es sich ihm nicht ebenso oft in seiner bedrohlichen Gestalt gezeigt hätte wie in seiner Gunst. Traue nicht dieser Windstille: ein Augenblick genügt, um das Meer aufzuwühlen. An demselben Tag, wo die Schiffe noch um die Wette fuhren, wurden sie von den Wellen verschlungen. Sei gefasst darauf, dass ein Räuber, dass ein Feind dir das Schwert an die Gurgel setzt.“[89]

Tacitus schildert in seinen Annalen[90] das Sterben Senecas als Tod eines Weisen nach dem Vorbild des Sokrates, dessen Tod in Platons Phaidon ausgemalt wird. Demnach soll Seneca die Selbsttötung erst beim dritten Versuch gelungen sein: Zunächst habe er sich die Pulsadern und weitere Arterien an den Beinen geöffnet, dann soll er wie Sokrates einen Schierlingsbecher getrunken haben und sei schließlich in einem Dampfbad erstickt. Seine Frau Pompeia Paulina, die sich im Fortgang des quälerischen Prozesses auf Senecas Bitte in einen anderen Raum hatte bringen lassen, machte ebenfalls einen Versuch der Selbsttötung. Doch ließ Nero angeblich die bereits geöffneten Pulsadern wieder verbinden, sodass sie ihren Gatten noch einige Jahre überlebte.[91]

Gier unterbrechen wir,wer weiterlesen möchte,hier der Link:

http://de.wikipedia.org/wiki/Seneca
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