Literatur: Von Vögeln und der DDR
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Literatur: Von Vögeln und der DDR
Vögel machen Antje Rávic Strubel Angst. Trotzdem schrieb sie einen Roman, der auf einer schwedischen Vogelschutzinsel spielt, der dennoch mit der DDR zu tun hat. Am Donnerstag ist sie im Literarischen Salon im Kölner Stadtgarten zu Gast.
Köln - Vögel machen Antje Rávic Strubel Angst. Das kommt daher, dass der Wellensittich ihrer Tante ihr immer auf den Kopf fliegen wollte, als sie ein Kind war. Trotzdem – oder gerade deswegen – spielt ihr jüngster Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ auf einer schwedischen Vogelschutzinsel und handelt von einer Ornithologin. „Manchmal löst eine solche Abneigung eben eine besondere Faszination aus“, sagt Strubel im Gespräch mit dieser Zeitung.
Für die Arbeit an ihrem Reiseführer „Gebrauchsanweisung für Schweden“ war die Autorin, die heute im Literarischen Salon in Köln weitere Auskunft geben wird, selbst auf dieser Vogelschutzinsel und – trotz ihrer Angst – so fasziniert von Ort und Vögeln, dass sie noch an Ort und Stelle begann, die Geschichte von Erik und Inez zu schreiben.
Erik ist ein junger Mann, der auf jene Vogelschutzinsel kommt, um herauszufinden, was er eigentlich vom Leben will. Dort verliebt er sich in die Vogelforscherin Inez. Was die beiden zunächst nicht wissen: Erik ist Inez’ Sohn, den sie nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hatte. Es gibt allerdings jemanden auf der Insel, der dieses Geheimnis kennt: ein ehemaliger Stasi-Spion. Die Vergangenheit holt das Liebespaar bald ein.
Fliegen lernen
In dieser scheinbar abstrusen Mischung aus Inzest, Stasi und romantischem Idyll spielen auch die Vögel eine – reale wie metaphorische – Rolle: Inez erforscht auf der Ostseeinsel den Sturz der Trottellummen vom Felsen ins Meer. Bevor die jungen Vögel zu fliegen beginnen, müssen sie sich in die Tiefe stürzen. „Das könnte man als Sturz aus der Geborgenheit bezeichnen“, erklärt Rávic Strubel. „Aber dieser Vogelsturz ist auch ein Zeichen für einen neuen Anfang. Man geht ein Risiko ein, man verlässt den sicheren Boden und stellt auf einmal fest: Man hat fliegen gelernt.“
Nichts ist zufällig platziert in diesem Buch. Es ist aufgeladen von Symbolen: Die Ostsee etwa, die sich „als Meer aufspielt, so wie sich vielleicht auch die DDR als eine bessere Gesellschaft aufgespielt hat“. Ein wiederkehrendes Motiv in den Büchern von Rávic Strubel ist der Versuch der Flucht vor sich selbst – und das Scheitern daran.
Warum sind die Dinge so, wie sie sind?
„Meine Figuren versuchen häufig, sich selbst zu entkommen, und stellen dann fest, wie schwierig das ist. Das erlebte Leben ist schließlich das, was mich ausmacht, was mich zu der macht, die ich bin.“ Mit der Figur des Erik habe sie ausprobieren wollen, was jemand macht, der mit einem alten System so gut wie nichts mehr zu tun hat, dann jedoch davon eingeholt wird. Sie meint damit die DDR, die für den jungen Erik eigentlich keine Rolle mehr spielte. „Nach der Wende habe ich mich gefragt, was passiert eigentlich mit dem Wissen, den Überzeugungen, die man in einer Gesellschaft erlernt hat, die untergegangen ist“, erläutert die Autorin. „Die Menschen dieser Gesellschaft sind ja nicht über Nacht neue Menschen.“
Auch mit dem inzestuösen Verhältnis zwischen Erik und Inez verfolgt sie ein höheres Ziel: „Das Inzesttabu ist das Instrument, das Verwandtschaft regelt, Familie, und darüber im Kern Gesellschaft organisiert“, sagt sie. „Übertritt man das Tabu, entsteht Chaos. Die gesellschaftliche Ordnung ist gefährdet. Indem ich an diese Grenzen gehe, mache ich mir selbst und vielleicht auch den Lesern diese Dinge bewusster. Dahinter steht auch immer die Frage, warum die Dinge eigentlich sind, wie sie sind.“ Denn sie interessiere sich mehr dafür, wie etwas sein könnte, als dafür, wie etwas ist.
1974 in Potsdam geboren, ist die Autorin selbst in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Den Namen Rávic hat sich Antje Strubel übrigens selbst gegeben. „Ich habe das Gefühl, beim Schreiben nicht mehr ganz ich zu sein. Dem Zustand dieser Selbstentrückung wollte ich gerne eine Bezeichnung geben“, erklärt sie.
Der Literarische Salon: Antje Rávic Strubel ist am heutigen Donnerstag, dem 26. Januar, um 20.30 Uhr zu Gast bei Guy Helminger und Navid Kermani im Kölner Stadtgarten.
Das Buch: „Sturz der Tage in die Nacht“, Antje Rávic Strubel, Verlag S. Fischer, August 2011, 420 Seiten,19,95 Euro.<7i>
Quelle
Köln - Vögel machen Antje Rávic Strubel Angst. Das kommt daher, dass der Wellensittich ihrer Tante ihr immer auf den Kopf fliegen wollte, als sie ein Kind war. Trotzdem – oder gerade deswegen – spielt ihr jüngster Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ auf einer schwedischen Vogelschutzinsel und handelt von einer Ornithologin. „Manchmal löst eine solche Abneigung eben eine besondere Faszination aus“, sagt Strubel im Gespräch mit dieser Zeitung.
Für die Arbeit an ihrem Reiseführer „Gebrauchsanweisung für Schweden“ war die Autorin, die heute im Literarischen Salon in Köln weitere Auskunft geben wird, selbst auf dieser Vogelschutzinsel und – trotz ihrer Angst – so fasziniert von Ort und Vögeln, dass sie noch an Ort und Stelle begann, die Geschichte von Erik und Inez zu schreiben.
Erik ist ein junger Mann, der auf jene Vogelschutzinsel kommt, um herauszufinden, was er eigentlich vom Leben will. Dort verliebt er sich in die Vogelforscherin Inez. Was die beiden zunächst nicht wissen: Erik ist Inez’ Sohn, den sie nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hatte. Es gibt allerdings jemanden auf der Insel, der dieses Geheimnis kennt: ein ehemaliger Stasi-Spion. Die Vergangenheit holt das Liebespaar bald ein.
Fliegen lernen
In dieser scheinbar abstrusen Mischung aus Inzest, Stasi und romantischem Idyll spielen auch die Vögel eine – reale wie metaphorische – Rolle: Inez erforscht auf der Ostseeinsel den Sturz der Trottellummen vom Felsen ins Meer. Bevor die jungen Vögel zu fliegen beginnen, müssen sie sich in die Tiefe stürzen. „Das könnte man als Sturz aus der Geborgenheit bezeichnen“, erklärt Rávic Strubel. „Aber dieser Vogelsturz ist auch ein Zeichen für einen neuen Anfang. Man geht ein Risiko ein, man verlässt den sicheren Boden und stellt auf einmal fest: Man hat fliegen gelernt.“
Nichts ist zufällig platziert in diesem Buch. Es ist aufgeladen von Symbolen: Die Ostsee etwa, die sich „als Meer aufspielt, so wie sich vielleicht auch die DDR als eine bessere Gesellschaft aufgespielt hat“. Ein wiederkehrendes Motiv in den Büchern von Rávic Strubel ist der Versuch der Flucht vor sich selbst – und das Scheitern daran.
Warum sind die Dinge so, wie sie sind?
„Meine Figuren versuchen häufig, sich selbst zu entkommen, und stellen dann fest, wie schwierig das ist. Das erlebte Leben ist schließlich das, was mich ausmacht, was mich zu der macht, die ich bin.“ Mit der Figur des Erik habe sie ausprobieren wollen, was jemand macht, der mit einem alten System so gut wie nichts mehr zu tun hat, dann jedoch davon eingeholt wird. Sie meint damit die DDR, die für den jungen Erik eigentlich keine Rolle mehr spielte. „Nach der Wende habe ich mich gefragt, was passiert eigentlich mit dem Wissen, den Überzeugungen, die man in einer Gesellschaft erlernt hat, die untergegangen ist“, erläutert die Autorin. „Die Menschen dieser Gesellschaft sind ja nicht über Nacht neue Menschen.“
Auch mit dem inzestuösen Verhältnis zwischen Erik und Inez verfolgt sie ein höheres Ziel: „Das Inzesttabu ist das Instrument, das Verwandtschaft regelt, Familie, und darüber im Kern Gesellschaft organisiert“, sagt sie. „Übertritt man das Tabu, entsteht Chaos. Die gesellschaftliche Ordnung ist gefährdet. Indem ich an diese Grenzen gehe, mache ich mir selbst und vielleicht auch den Lesern diese Dinge bewusster. Dahinter steht auch immer die Frage, warum die Dinge eigentlich sind, wie sie sind.“ Denn sie interessiere sich mehr dafür, wie etwas sein könnte, als dafür, wie etwas ist.
1974 in Potsdam geboren, ist die Autorin selbst in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Den Namen Rávic hat sich Antje Strubel übrigens selbst gegeben. „Ich habe das Gefühl, beim Schreiben nicht mehr ganz ich zu sein. Dem Zustand dieser Selbstentrückung wollte ich gerne eine Bezeichnung geben“, erklärt sie.
Der Literarische Salon: Antje Rávic Strubel ist am heutigen Donnerstag, dem 26. Januar, um 20.30 Uhr zu Gast bei Guy Helminger und Navid Kermani im Kölner Stadtgarten.
Das Buch: „Sturz der Tage in die Nacht“, Antje Rávic Strubel, Verlag S. Fischer, August 2011, 420 Seiten,19,95 Euro.<7i>
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