Internet-Proteste halten Acta auf – vorläufig
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Internet-Proteste halten Acta auf – vorläufig
Deutschland legt das umstrittene Handelsabkommen Acta zum Urheberrecht auf Eis: Die Justizministerin hat Bedenken angemeldet. Die Netzgemeinde jubelt.
"Jetzt kippen wir Acta!" Grünen-Chefin Claudia Roth fackelt nicht lange. Im Schnee vor dem Kanzleramt haben die Grünen große rote Buchstaben aufgebaut: A, C, T und A stehen für das Handelsabkommen "Anti-Counterfeiting Trade Agreement", kurz Acta. Vor jeden Buchstaben stellt sich ein Politiker in Position. Eins, zwei, drei – sie werfen die Buchstaben um. Acta ist "gekippt".
Wenig später nahm sich die Bundesregierung ein Beispiel und legte das umstrittene Abkommen auf Eis. Deutschland werde Acta vorerst nicht unterzeichnen, hieß es. Damit sei aber keine endgültige Entscheidung getroffen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) habe in dieser Woche Bedenken angemeldet. "Damit eventueller Diskussionsbedarf ausgeräumt werden kann, ist die Zeichnung zunächst nicht erfolgt."
Die Ministerin hatte das Thema bereits vor einigen Tagen aufgegriffen und äußerte sich jetzt erneut kritisch: Die Regierung werde "keinerlei Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen."
Doch worum geht es eigentlich? Mit dem Handelsabkommen soll Produkt- und Markenpiraterie bekämpft werden. Ziel ist, Urheberrechte international durchzusetzen. Und hier stolpert wohl jeder, dem diese sperrige Buchstabenfolge bisher nichts sagt: Denn warum sollte jemand gegen einen Vertrag sein, mit dem Verbrechen verhindert werden sollen?
Schon protestiert die deutsche Industrie lauthals gegen den Rückzieher der Bundesregierung: "Mit ihrer Rolle rückwärts beim Anti-Piraterie-Abkommen Acta schadet die Bundesregierung dem Innovationsstandort Deutschland und sendet ein fatales Signal nach Brüssel", sagt Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Europaparlament hat noch nicht zugestimmt
In den vergangenen Tagen hatte es Massenproteste vor allem in Mitteleuropa gegeben. Polen, Tschechien und Lettland setzten die Ratifizierung aus. Das Regelwerk soll nun noch einmal geprüft werden. Acta war 2006 durch die USA und Japan angestoßen worden. Als später die Einzelheiten verhandelt wurden, mischten wie gewohnt einflussreiche Interessenvertreter mit. In diesem Fall vor allem die amerikanischen Film- und Musikproduzenten. Sie hatten durch Raubkopien bereits viel Geld verloren. Dagegen wollten sie vorgehen, wenn die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen neu verhandelt wird.
Das Vertragswerk wurde im Januar von der EU-Kommission und zehn weiteren Staaten unterzeichnet. Allerdings fehlt von einigen EU-Mitgliedern noch die Unterschrift. Unter anderem eben von Deutschland. Auch das Europaparlament hat noch nicht zugestimmt.
Netzaktivisten fürchten mögliche Folgen für das digitale Leben. Denn geht es nach dem Abkommen, haften künftig die Internetanbieter direkt für Inhalte, die durch ihre Leitungen übertragen werden. Neu und mit dem bisherigen gemeinsamen EU-Recht nicht vereinbar: Die Firmen sollen als Urheberrechtsverletzer auch strafrechtlich belangt werden. Die Furcht geht um, dass Firmen künftig vorab alles ins Netz geladene Material überprüfen, so zu Internet-Sheriffs werden – und damit eine der wichtigsten Aufgaben des Staates übernehmen.
Geschürt wird sie dadurch, dass die Formulierungen vage sind. Inzwischen wurde der Vertrag so oft geändert, dass niemand mehr genau sagen kann, welche Folgen er für die deutsche Rechtsprechung hätte. Das bemängelt auch Piratenpartei-Chef Sebastian Nerz. Er sagt: "Der aktuelle Entwurf verfolgt meines Wissens nach nicht mehr, dass etwa Provider für die Inhalte verantwortlich gemacht werden." Trotzdem fürchtet er, Providerhaftung könnte die Folge sein, "weil der Vertrag so undeutlich ist."
Kaum jemand unterstützt Acta noch
Hört man sich in der Politik um, fragt man sich, wer Acta überhaupt noch unterstützt. Piraten und Grüne winken ab. Die Junge Union ist dagegen. Und die Haltung der FDP wird schon an den Aussagen von Leutheusser-Schnarrenberger deutlich. Selbst konservative Politiker wie der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary, ursprünglich für Acta, überdenken ihre Haltung. Im Grundsatz sei er dafür, weil man etwas gegen das Problem der massenhaft gefälschten Produkte tun müsse. Aber: "Ich werde Acta nicht zustimmen, wenn es die Meinungsfreiheit im Internet in irgendeiner Weise einschränken wird."
"Es ist sinnvoll, gegen Produktpiraterie vorzugehen", sagt der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz. "Aber es geht darum, dass Urheber vergütet, nicht dass Nutzer verfolgt werden."
Ein Punkt stößt den Protestlern besonders auf: die Entstehungsweise des Abkommens. Die Verhandlungen fanden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, über die internationalen Gespräche wurde nicht viel bekannt. "Es kann nicht sein, dass Abkommen in Hinterzimmern geschlossen werden", sagt Grünen-Chefin Roth. Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, kritisiert, es sei nicht klar, "ob den Bundestagsabgeordneten alle Dokumente zugänglich gemacht wurden, über die sie irgendwann abstimmen sollen."
Das grüne Protesttrüppchen vor dem Kanzleramt war nur ein Vorgeschmack auf die Demonstrationen, die am Samstag in 200 europäischen Städten, darunter 50 deutschen, stattfinden sollen. Und zwar trotz des vorläufigen Stopps in Deutschland, wie Grünen-Vorstandsmitglied Malte Spitz bestätigt. "Der Protest muss weitergehen. Wenn man Acta wirlich zu Fall bringen will, braucht es die Ablehnung im Europaparlament."
Parteiübergreifender Jubel
Zunächst einmal aber wurde im Internet gejubelt – parteiübergreifend. So sagte etwa Dorothee Bär, Vorsitzende des CSU-Netzrates, "Welt Online": "Ich begrüße das sehr und es zeigt sich, das sich unter anderem mein eigener Einsatz gelohnt hat. Besonders freut es mich, dass die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen wurden. Das ist Demokratie wie sie leibt und lebt." Jetzt gehe es darum, sich des Themas Urheberrecht ernsthaft und differenziert anzunehmen und ein den modernen Lebensgewohnheiten entsprechendes Gesetz zu erarbeiten.
Der rechtspolitische und der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka und Lars Klingbeil, begrüßten die Entscheidung, "weil die vielen offenen Fragen zu den rechtlichen Auswirkungen des Abkommens bis heute nicht ausreichend beantwortet und weil zahlreiche Unterlagen aus den Verhandlungen bis heute nicht veröffentlicht worden sind."
Quelle
"Jetzt kippen wir Acta!" Grünen-Chefin Claudia Roth fackelt nicht lange. Im Schnee vor dem Kanzleramt haben die Grünen große rote Buchstaben aufgebaut: A, C, T und A stehen für das Handelsabkommen "Anti-Counterfeiting Trade Agreement", kurz Acta. Vor jeden Buchstaben stellt sich ein Politiker in Position. Eins, zwei, drei – sie werfen die Buchstaben um. Acta ist "gekippt".
Wenig später nahm sich die Bundesregierung ein Beispiel und legte das umstrittene Abkommen auf Eis. Deutschland werde Acta vorerst nicht unterzeichnen, hieß es. Damit sei aber keine endgültige Entscheidung getroffen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) habe in dieser Woche Bedenken angemeldet. "Damit eventueller Diskussionsbedarf ausgeräumt werden kann, ist die Zeichnung zunächst nicht erfolgt."
Die Ministerin hatte das Thema bereits vor einigen Tagen aufgegriffen und äußerte sich jetzt erneut kritisch: Die Regierung werde "keinerlei Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen."
Doch worum geht es eigentlich? Mit dem Handelsabkommen soll Produkt- und Markenpiraterie bekämpft werden. Ziel ist, Urheberrechte international durchzusetzen. Und hier stolpert wohl jeder, dem diese sperrige Buchstabenfolge bisher nichts sagt: Denn warum sollte jemand gegen einen Vertrag sein, mit dem Verbrechen verhindert werden sollen?
Schon protestiert die deutsche Industrie lauthals gegen den Rückzieher der Bundesregierung: "Mit ihrer Rolle rückwärts beim Anti-Piraterie-Abkommen Acta schadet die Bundesregierung dem Innovationsstandort Deutschland und sendet ein fatales Signal nach Brüssel", sagt Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Europaparlament hat noch nicht zugestimmt
In den vergangenen Tagen hatte es Massenproteste vor allem in Mitteleuropa gegeben. Polen, Tschechien und Lettland setzten die Ratifizierung aus. Das Regelwerk soll nun noch einmal geprüft werden. Acta war 2006 durch die USA und Japan angestoßen worden. Als später die Einzelheiten verhandelt wurden, mischten wie gewohnt einflussreiche Interessenvertreter mit. In diesem Fall vor allem die amerikanischen Film- und Musikproduzenten. Sie hatten durch Raubkopien bereits viel Geld verloren. Dagegen wollten sie vorgehen, wenn die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen neu verhandelt wird.
Das Vertragswerk wurde im Januar von der EU-Kommission und zehn weiteren Staaten unterzeichnet. Allerdings fehlt von einigen EU-Mitgliedern noch die Unterschrift. Unter anderem eben von Deutschland. Auch das Europaparlament hat noch nicht zugestimmt.
Netzaktivisten fürchten mögliche Folgen für das digitale Leben. Denn geht es nach dem Abkommen, haften künftig die Internetanbieter direkt für Inhalte, die durch ihre Leitungen übertragen werden. Neu und mit dem bisherigen gemeinsamen EU-Recht nicht vereinbar: Die Firmen sollen als Urheberrechtsverletzer auch strafrechtlich belangt werden. Die Furcht geht um, dass Firmen künftig vorab alles ins Netz geladene Material überprüfen, so zu Internet-Sheriffs werden – und damit eine der wichtigsten Aufgaben des Staates übernehmen.
Geschürt wird sie dadurch, dass die Formulierungen vage sind. Inzwischen wurde der Vertrag so oft geändert, dass niemand mehr genau sagen kann, welche Folgen er für die deutsche Rechtsprechung hätte. Das bemängelt auch Piratenpartei-Chef Sebastian Nerz. Er sagt: "Der aktuelle Entwurf verfolgt meines Wissens nach nicht mehr, dass etwa Provider für die Inhalte verantwortlich gemacht werden." Trotzdem fürchtet er, Providerhaftung könnte die Folge sein, "weil der Vertrag so undeutlich ist."
Kaum jemand unterstützt Acta noch
Hört man sich in der Politik um, fragt man sich, wer Acta überhaupt noch unterstützt. Piraten und Grüne winken ab. Die Junge Union ist dagegen. Und die Haltung der FDP wird schon an den Aussagen von Leutheusser-Schnarrenberger deutlich. Selbst konservative Politiker wie der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary, ursprünglich für Acta, überdenken ihre Haltung. Im Grundsatz sei er dafür, weil man etwas gegen das Problem der massenhaft gefälschten Produkte tun müsse. Aber: "Ich werde Acta nicht zustimmen, wenn es die Meinungsfreiheit im Internet in irgendeiner Weise einschränken wird."
"Es ist sinnvoll, gegen Produktpiraterie vorzugehen", sagt der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz. "Aber es geht darum, dass Urheber vergütet, nicht dass Nutzer verfolgt werden."
Ein Punkt stößt den Protestlern besonders auf: die Entstehungsweise des Abkommens. Die Verhandlungen fanden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, über die internationalen Gespräche wurde nicht viel bekannt. "Es kann nicht sein, dass Abkommen in Hinterzimmern geschlossen werden", sagt Grünen-Chefin Roth. Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, kritisiert, es sei nicht klar, "ob den Bundestagsabgeordneten alle Dokumente zugänglich gemacht wurden, über die sie irgendwann abstimmen sollen."
Das grüne Protesttrüppchen vor dem Kanzleramt war nur ein Vorgeschmack auf die Demonstrationen, die am Samstag in 200 europäischen Städten, darunter 50 deutschen, stattfinden sollen. Und zwar trotz des vorläufigen Stopps in Deutschland, wie Grünen-Vorstandsmitglied Malte Spitz bestätigt. "Der Protest muss weitergehen. Wenn man Acta wirlich zu Fall bringen will, braucht es die Ablehnung im Europaparlament."
Parteiübergreifender Jubel
Zunächst einmal aber wurde im Internet gejubelt – parteiübergreifend. So sagte etwa Dorothee Bär, Vorsitzende des CSU-Netzrates, "Welt Online": "Ich begrüße das sehr und es zeigt sich, das sich unter anderem mein eigener Einsatz gelohnt hat. Besonders freut es mich, dass die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen wurden. Das ist Demokratie wie sie leibt und lebt." Jetzt gehe es darum, sich des Themas Urheberrecht ernsthaft und differenziert anzunehmen und ein den modernen Lebensgewohnheiten entsprechendes Gesetz zu erarbeiten.
Der rechtspolitische und der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka und Lars Klingbeil, begrüßten die Entscheidung, "weil die vielen offenen Fragen zu den rechtlichen Auswirkungen des Abkommens bis heute nicht ausreichend beantwortet und weil zahlreiche Unterlagen aus den Verhandlungen bis heute nicht veröffentlicht worden sind."
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