Dimiter Gotscheff ist gestorben
Seite 1 von 1
Dimiter Gotscheff ist gestorben
Früher Ruhm und späte Größe: Einige der schönsten Inszenierungen der Nullerjahre gingen auf das Konto des bulgarischen Theatermachers. Jetzt ist er im Alter von 70 Jahren gestorben.
Er hat geraucht wie ein Schlot; hat gerne und auch viel getrunken und hatte bis zuletzt die schöne lange Mähne aus der Jugendzeit, die damals noch als Zeichen der Aufmüpfigkeit galt, die das erhobene Haupt wie eine Fahne umweht. Und von dieser längst grau gewordenen Fahne wollte er nicht lassen, der hochaufgeschossene Dimiter Gotscheff aus Bulgarien mit dem rauen Bass in den Stimmbändern, der in der DDR Tiermedizin studieren wollte und, statt in Ostberlin als braver
Student
zur Humboldt-Uni zu gehen, sich als Theaterfreak ans Deutsche Theater und an die Volksbühne verdingte, um dort (neben einem bisschen Theaterwissenschaftsstudium) Theater zu lernen in der Praxis bei Hans Marquardt und Benno Besson. Aus dem Regieassistenten wurde ein gefeierter Regisseur so bildmächtiger wie minimalistischer, präzis spielerischer und doch nie verspielter Inszenierungen, die genau auf den Text hören und im kontrapunktischen Ineinander von Sprache und Spiel ihre enorme Wirkungsmacht entfalten.
Der Startplatz seines Ruhms aber war in seiner Heimat ‑ vor genau drei Jahrzehnten war das, am Dramatischen Theater in Sofia mit Heiner Müllers "Philoktet", den Gotscheff als bulgarische Erstaufführung inszenierte und dafür vom Autor einen Dankesbrief bekam, der zum einen in die Literaturgeschichte einging und zum anderen eine Lebensbruderschaft mit Müller begründete. Dafür mag nur dieser eine Müller-Satz stehen: "Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen." Man könnte sagen, dieser Mann hat sich als Totengräber ins Leben gegraben. Der Quell seines ins Gegenwärtige so stark strahlenden Künstlertums waren die Werke, das Ach und Weh, die Schmerzen und das Glück der Altvorderen. Er las Shakespeare, Tschechow, Aischylos oder eben Müller mit dem verblüffenden Fazit: "Das ist nicht vergangen, das fängt erst an."
Der erklärte Liebling aller Schauspieler
"Der Regisseur ist ein Penner, der von den Almosen der Schauspieler lebt", meinte Heiner Müller. Gotscheff antwortete: "Da musst du aber sehr gut betteln können." Gotscheff muss es sehr gekonnt haben; immerhin galt er als erklärter Liebling so ziemlich all der vielen Schauspieler, mit denen er zu tun hatte. Freilich waren seine Herzenslieblinge die Lebensgefährtin Almut Zilcher, dazu sein Landsmann Samuel Finzi, Wolfram Koch und Margit Bendokat. Hier Beispiele von epochalen Gotscheff-Arbeiten der letzten Jahre an Berlins Deutschem Theater: die Zilcher ganz überwältigend bitterkomisch in ihrem unvergesslichen Solo als die alles Existierende, die Menschen, sonderlich die Männer und sich selbst beschimpfende crazy Lady Hasbeen in Ben Jonsons "Volpone".
Oder die Bendokat als alles Ungemach der Welt in atemberauender Coolness herausschleudernder Ein-Frau-Chor in den "Persern" des Aischylos. Oder – auch in den "Persern" – der alles Irdische erfassende Vergeblichkeitskampf von Finzi und Koch gegeneinander und mit der ewig im Kreis (auf der Drehbühne) delirierenden Riesenmauer, die unsere Daseinswelt so schmerzlich teilt und doch wiederum im Innersten zusammenhält. Gleichsam das Kunst- und Lebensmotto der Verführungs-Viererbande: Der Kampf auf verlorenen Posten findet statt.
Sein Anfang und Ende war Heiner Müller
Gotscheffs Beginn war Heiner Müller, sein Finale war es ebenfalls: Die Regie von "Zement", die Müllersche Adaption des russischen Revolutionsromans von Fjodor Gladkow am Münchner Residenztheater. Es geht um den Terror des Neuen, aber auch um die große Vergeblichkeit im Ringen ums bessere Menschsein – dem alten Russen wird noch Älteres, Archaisches beigestellt: Sisyphos, Herakles, Prometheus. Dazu die Müllersche Frage: "Wie lange wird es dauern, bis der Mensch ein Mensch wird?" Gotscheff: "Was soll da eine Antwort, ich bin, wie Heiner auch, aufgewachsen mit dieser urchristlichen oder auch urkommunistischen Idee, die Welt neu zu gestalten. Viele sind daran kaputt gegangen. Ich versuche zaghaft eine Annäherung. Und es genügt ja vielleicht schon, die besagte berühmt-berüchtigte Frage öffentlich zu stellen. Wie im Spiel."
Nun ist es aus, das Spiel. Dimiter Gotscheff starb gestern nach schwerer Krankheit mit 70 Jahren in Berlin.
Quelle
Er hat geraucht wie ein Schlot; hat gerne und auch viel getrunken und hatte bis zuletzt die schöne lange Mähne aus der Jugendzeit, die damals noch als Zeichen der Aufmüpfigkeit galt, die das erhobene Haupt wie eine Fahne umweht. Und von dieser längst grau gewordenen Fahne wollte er nicht lassen, der hochaufgeschossene Dimiter Gotscheff aus Bulgarien mit dem rauen Bass in den Stimmbändern, der in der DDR Tiermedizin studieren wollte und, statt in Ostberlin als braver
Student
zur Humboldt-Uni zu gehen, sich als Theaterfreak ans Deutsche Theater und an die Volksbühne verdingte, um dort (neben einem bisschen Theaterwissenschaftsstudium) Theater zu lernen in der Praxis bei Hans Marquardt und Benno Besson. Aus dem Regieassistenten wurde ein gefeierter Regisseur so bildmächtiger wie minimalistischer, präzis spielerischer und doch nie verspielter Inszenierungen, die genau auf den Text hören und im kontrapunktischen Ineinander von Sprache und Spiel ihre enorme Wirkungsmacht entfalten.
Der Startplatz seines Ruhms aber war in seiner Heimat ‑ vor genau drei Jahrzehnten war das, am Dramatischen Theater in Sofia mit Heiner Müllers "Philoktet", den Gotscheff als bulgarische Erstaufführung inszenierte und dafür vom Autor einen Dankesbrief bekam, der zum einen in die Literaturgeschichte einging und zum anderen eine Lebensbruderschaft mit Müller begründete. Dafür mag nur dieser eine Müller-Satz stehen: "Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen." Man könnte sagen, dieser Mann hat sich als Totengräber ins Leben gegraben. Der Quell seines ins Gegenwärtige so stark strahlenden Künstlertums waren die Werke, das Ach und Weh, die Schmerzen und das Glück der Altvorderen. Er las Shakespeare, Tschechow, Aischylos oder eben Müller mit dem verblüffenden Fazit: "Das ist nicht vergangen, das fängt erst an."
Der erklärte Liebling aller Schauspieler
"Der Regisseur ist ein Penner, der von den Almosen der Schauspieler lebt", meinte Heiner Müller. Gotscheff antwortete: "Da musst du aber sehr gut betteln können." Gotscheff muss es sehr gekonnt haben; immerhin galt er als erklärter Liebling so ziemlich all der vielen Schauspieler, mit denen er zu tun hatte. Freilich waren seine Herzenslieblinge die Lebensgefährtin Almut Zilcher, dazu sein Landsmann Samuel Finzi, Wolfram Koch und Margit Bendokat. Hier Beispiele von epochalen Gotscheff-Arbeiten der letzten Jahre an Berlins Deutschem Theater: die Zilcher ganz überwältigend bitterkomisch in ihrem unvergesslichen Solo als die alles Existierende, die Menschen, sonderlich die Männer und sich selbst beschimpfende crazy Lady Hasbeen in Ben Jonsons "Volpone".
Oder die Bendokat als alles Ungemach der Welt in atemberauender Coolness herausschleudernder Ein-Frau-Chor in den "Persern" des Aischylos. Oder – auch in den "Persern" – der alles Irdische erfassende Vergeblichkeitskampf von Finzi und Koch gegeneinander und mit der ewig im Kreis (auf der Drehbühne) delirierenden Riesenmauer, die unsere Daseinswelt so schmerzlich teilt und doch wiederum im Innersten zusammenhält. Gleichsam das Kunst- und Lebensmotto der Verführungs-Viererbande: Der Kampf auf verlorenen Posten findet statt.
Sein Anfang und Ende war Heiner Müller
Gotscheffs Beginn war Heiner Müller, sein Finale war es ebenfalls: Die Regie von "Zement", die Müllersche Adaption des russischen Revolutionsromans von Fjodor Gladkow am Münchner Residenztheater. Es geht um den Terror des Neuen, aber auch um die große Vergeblichkeit im Ringen ums bessere Menschsein – dem alten Russen wird noch Älteres, Archaisches beigestellt: Sisyphos, Herakles, Prometheus. Dazu die Müllersche Frage: "Wie lange wird es dauern, bis der Mensch ein Mensch wird?" Gotscheff: "Was soll da eine Antwort, ich bin, wie Heiner auch, aufgewachsen mit dieser urchristlichen oder auch urkommunistischen Idee, die Welt neu zu gestalten. Viele sind daran kaputt gegangen. Ich versuche zaghaft eine Annäherung. Und es genügt ja vielleicht schon, die besagte berühmt-berüchtigte Frage öffentlich zu stellen. Wie im Spiel."
Nun ist es aus, das Spiel. Dimiter Gotscheff starb gestern nach schwerer Krankheit mit 70 Jahren in Berlin.
Quelle
Andy- Admin
- Anzahl der Beiträge : 36059
Anmeldedatum : 03.04.11
Seite 1 von 1
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten
Heute um 12:04 am von Admin
» R.I.P. Marcus
Gestern um 8:07 am von Admin
» Metallfilter Reinigung Dunstabzugshaube
Mo Mai 06, 2024 12:17 am von Admin
» Telefunken S950 Settings
So Apr 28, 2024 7:24 am von Admin
» Füllstandanzeige
So Apr 28, 2024 7:16 am von Admin
» ebike controller tester - E-Scooter Fehlersuche Diagnose - Motor / Controller / Gashebel prüfen
Mo März 18, 2024 6:23 am von checker
» Einfach erklärt - Funktionsweiße, Fehlersuche und Tuning. Bürstenloser Nabenmotor
Mo März 18, 2024 6:15 am von checker
» Akne Filme Dr. Pimple Pooper
Sa März 02, 2024 4:50 am von Andy
» R.I.P. Manni
Sa Dez 30, 2023 6:31 am von checker