Nachkriegsgeschichte: HARTMANN & BRAUN AKTIENGESELLSCHAFT
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Nachkriegsgeschichte: HARTMANN & BRAUN AKTIENGESELLSCHAFT
Eines der mehr oder minder vergessenen Firmen dürfte die HARTMANN & BRAUN AKTIENGESELLSCHAFT sein, die Ihren Ursprung schon vor dem 1900 Jahrhundert hatte.
Aber bleiben wir bei der jüngsten Geschichte.
Die HARTMANN & BRAUN AKTIENGESELLSCHAFT war schon seit Jahrzehnten weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt als Spezialfabrik für elektrische und wärmetechnische Meßgeräte, für Erzeugnisse höchster Präzision. Entsprechend diesem Ruf und diesen hohen Ansprüchen waren Werkstätten und Maschinenpark ausgerichtet.
Sprengbomben hatten am 8. Februar 1944 große Teile des Stammwerks an der Bockenheimer Warte verwüstet und in wenigen Sekunden 166 Opfer unter den Mitarbeitern gefordert. Was an diesem Tage verschont geblieben war hatten einige Wochen später Brandbomben zum größten Teil endgültig vernichtet. So waren in den darauffolgenden Tagen die meisten Werkstätten aus Frankfurt heraus verlagert worden, und bei Kriegsende arbeitete nur noch ein geringer Prozentsatz der über 5ooo Mitarbeiter in den beiden Frankfurter Werken, in dem unzerstörten neuen Werk im Vorort Praunheim und in den Trümmern an der Bockenheimer Warte. Dafür gab es H & B-Arbeitsstätten tief in der Erde in Sektkellereien am Rhein, im südlichsten Schwarzwald, in der nordöstlichen Ecke von Bayern, in Oberhessen und an fast zwei Dutzend Plätzen in der weiteren Umgebung von Frankfurt am Main.
Als nach dem Zusammenbruch durch das "Permit Nr.8" die Arbeitserlaubnis der Militärregierung erkämpft worden war, galt es, zunächst einmal zu sammeln und nach Frankfurt am Main zurückzuführen, was übriggeblieben war. Das Praunheimer Werk, ein in den Jahren 1941 bis 1942 entstandener moderner Fabrikneubau für eine Belegschaft von mehr als 1000 Köpfen, war fast ohne Schaden geblieben und wurde wohl infolge dieser Tatsache gleich in den ersten Tagen der Besetzung von den Amerikanern beschlagnahmt, so daß es daher für die notwendigen Entscheidungen vorerst nicht in Betracht kam. Das Stammwerk aber war in einem Ausmaß verwüstet, daß es wohl noch kurze Zeit vorher niemand für möglich gehalten hätte, hier Meßinstrumente zu bauen. Noch wußte man ja auch nicht, in welchem Umfang überhaupt die Erzeugnisse der Firma wieder benötigt würden, denn der Export, der schon vor dem Kriege namhafte Teile der H & B-Produktion in fast alle Länder der Welt gebracht hatte, lag noch in ferner Zukunft.
Werbung, um 1950
Der Rest des Jahres 1945 und große Teile von 1946 zeigten bei H & B das gleiche Bild, wie es damals überall in Deutschland zu sehen war: Es wurde aufgeräumt. Man versuchte, der unvorstellbaren Mengen von Schutt und Dreck Herr zu werden. Mit primitivsten Mitteln wurden die ersten Arbeitsräume wieder eingerichtet, Maschinen und Werkzeuge wurden repariert und überholt, so gut es eben ging. Wo früher einmal eine beinahe aseptische Sauberkeit verlangt wurde, standen im Winter rauchende Öfen, in denen "kompensierte" Kohle und Reste von angekohlten Dachsparren mehr Ruß und Rauch als Wärme spendeten. Mit weniger als einem Zehntel der letzten Kriegsbelegschaft war aber ein Anfang gemacht, und die ersten Nachkriegs-Meßinstrumente wurden mittels Holzgaslastwagen zur Kundschaft gebracht. Überraschend bald stellte sich heraus, welch unentbehrlicher Helfer für Technik und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten das Meßinstrument geworden war. Gewiß, in den folgenden Jahren bis zur Währungsreform gingen viele Aufträge bei H & B ein, bei denen keine echte technische Notwendigkeit, sondern ausschließlich die beabsichtigte Flucht in die Sachwerte, Anlaß zum Bestellbrief waren, und die natürlich auch fast nie ausgeliefert wurden. Aber der wirklich echte Bedarf war weit größer als erwartet, schon weil ja auch bei den Inlands-Kunden unendlich viel zerstört war, und gerade weil die gesamte deutsche Wirtschaft sparsam haushalten und trotzdem den Versuch machen mußte, durch Qualität den verlorenen Anschluß an den Weltmarkt wieder zu gewinnen.
Fast kein Zweig der Industrie kommt heute ohne Meßgeräte aus, und nicht mit Unrecht hat man in der H & B-Werkzeitschrift die Erzeugnisse des Unternehmens als "Gehirnzellen" der Industrie bezeichnet. Ob es sich um die Erzeugung und Verteilung der elektrischen Energie handelt oder um die Hüttenprozesse, mit deren Hilfe aus dem Erz Rohstahl und Halbfabrikate gewonnen werden, ob im Großkessel die wirtschaftliche Ausnutzung der Kohle, die Einhaltung der zulässigen Dampftemperatur und des Dampfdruckes zu überwachen sind, oder ob im Spinnsaal der Textilfabrik Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur maßgebliche Faktoren für die Qualität des Garnes und Gewebes darstellen, ob der Bierbrauer den Gärprozeß überwachen will oder der Arzt aus dem "Grundumsatz" eines Patienten wichtige Rückschlüsse auf dessen Kreislauf und Gesundheit ziehen will, immer dienen Meßgeräte als zuverlässige Helfer; und in immer weitergehendem Umfang dienen Meßgeräte und Regler dazu, den Überwachungsprozeß völlig zu automatisieren. Sie werden damit in zahllosen Betrieben zu Garanten der Qualität und der Ökonomie des Herstellungsprozesses, sie liefern als kurvenzeichnende und Meßwerte in Ziffern schreibende Instrumente beweiskräftige Dokumente über den Gesamtablauf und zahlreiche Einzelfunktionen der Produktion. Sie sind aber dem "großen Publikum" im allgemeinen so unbekannt und verborgen wie viele andere Hilfsmittel der modernen Technik auch.
Darum sei erwähnt, daß sie beispielsweise bei einem Kraftwerksneubau 6 bis 8% am Wert der gesamten technischen Anlage ausmachen, in der chemischen Industrie teilweise noch sehr viel mehr. Es gibt dort Produktionsprozesse, bei welchen Meßgeräte und Regler bis zu 30% der apparativen Kosten verursachen. Insbesondere die Entwicklung und Fertigung der synthetischen Kunststoffe sind übrigens ein gutes Beispiel für Prozesse, die ohne Meß- und Regeleinrichtungen kaum denkbar wären.
Als die Währungsumstellung die Grundlage schuf, auf der sich Deutschland wieder am Welthandel beteiligen konnte, waren bei H & B sehr rasch auch die Fäden zu den alten Geschäftsfreunden außerhalb Deutschlands wieder angeknüpft. Ein von Jahr zu Jahr steigendes Exportvolumen zeigt, in welchem Umfang die Erzeugnisse des Hauses wieder in die Welt hinausgingen. Bei diesen Zahlen ist zu beachten, daß sie lediglich den direkten Export darstellen. Ungefähr den gleichen Wert haben jedoch die indirekten Auslandslieferungen von H & B, bei denen die Erzeugnisse von deutschen Kesselfirmen, Ofenbauanstalten, Ingenieurunternehmungen (wie z.B. LURGI), in kompletten Anlagen exportiert werden. Man kann annehmen, daß im Durchschnitt 40 bis 45% der Erzeugnisse von H & B ins Ausland gehen.
Um den Export noch weiter zu fördern, beteiligte sich das Frankfurter Haus auch an einigen Unternehmungen im Ausland. So begann noch im Jahre 1945 ein Erfahrungsaustausch und eine immer enger werdende Zusammenarbeit mit der Camille Bauer Meßgeräte AG. in Wohlen/Schweiz, die dem Generalvertreter von H & B in der Schweiz gehört; das führte schließlich im Jahre 1956 auch zu einer kapitalmäßigen Beteiligung. Im gleichen Jahre wurde in São Paulo/Brasilien die Hartmann & Braun/Bender Ltda. gegründet, und im Jahre darauf in Madrid die Hartmann & Braun Española. Beide Firmen werden nach Lizenzen und Konstruktionen des Frankfurter Stammhauses diejenigen Geräte im Lande herstellen, für welche Importlizenzen nicht zu erhalten sind. Die Firma H & B ist heute in 47 Ländern der Welt vertreten und konnte in den letzten Jahren auch in Übersee z.T. Großanlagen in Konkurrenz gegen die Industrie der ganzen Welt erstellen.
1949 wurde die Fertigung und später auch der Vertrieb von Schalttafelgeräten -eine Geschäftssparte, in der die in- und ausländische Konkurrenz besonders scharf ist- organisatorisch und räumlich ausgegliedert und einer Tochtergesellschaft, der ELIMA-GmbH, übertragen, für welche Fabrikationsräume in Münster bei Dieburg eingerichtet wurden. Diese Maßnahme hat sich als sehr zweckmäßig erwiesen, denn der Betrieb mußte inzwischen räumlich dreimal stark erweitert werden. Er beschäftigt heute über 430 Mitarbeiter.
Schon kurze Zeit später beteiligte sich H & B an einem jungen, sehr erfolgreich aufstrebenden Unternehmen in Minden/Westf., der Schoppe & Faeser GmbH, deren Gesellschaftskapital zu 5o% von H & B übernommen wurde. Schoppe & Faeser stellen Regelgeräte, Zahnradprüfgeräte, Induktionshärtemaschinen und Großrechenanlagen her, so daß deren Fabrikationsprogramm eine gute Ergänzung zu demjenigen von H & B darstellt. Auch diese Firma hat sich in den letzten Jahren ausgesprochen gut entwickelt. In einem modernen Fabrikneubau in Minden werden heute über 6oo Mitarbeiter beschäftigt. Im Jahre 1953 übernahmen H & B das gesamte Gesellschaftskapital der kleinen, aber sehr gut renommierten Braunschweiger Feinmechanikerfirma Günther & Tegetmeyer GmbH, deren Aufgabengebiet teilweise weitergeführt, teilweise durch den Vertrieb spezieller Meß- und Zählgeräte erweitert wurde.
Stammwerk-Gräfstrasse von H & B an der Bockenheimer Warte von 1955
Inzwischen war der Ausbau und Wiederaufbau des Stammwerks in Frankfurt planmäßig weitergeführt worden. Die Werkstätten waren modernisiert und vergrößert, Ende 1954 alle wiedererstanden, aber genügten dennoch dem wachsenden Raumbedarf des Betriebes nicht. Aus der noch immer unbefriedigenden Raum-Situation heraus -das Werk liegt im alten Stadtteil Bockenheim so von allen Seiten eingekeilt, daß jede großzügige Planung hinsichtlich einer Erweiterung sich von selbst verbietet- wurde zäh und verbissen um die Freigabe des Praunheimer Werkes gekämpft, die endlich 1955 in Aussicht stand und Anfang 1956 Tatsache wurde. Zwar war von den Gebäuden nach zehnjähriger Benutzung durch die Besatzungsmacht nicht viel mehr übriggeblieben als ein Rohbau, aber einmal ging dessen Herrichtung naturgemäß schneller vonstatten als ein völliger Neubau, vor allem aber steht in Praunheim genügend Grundfläche zur Verfügung, um auf Jahrzehnte den Erweiterungsbedarf des Werkes sicherzustellen.
Eine besondere Erwähnung verdient noch der Braunschweiger Zweigbetrieb von H & B, der gleichfalls im Jahre 1956 endlich in ein eigenes Heim einziehen konnte. Auf Betreiben damaliger Rüstungsdienststellen im Jahre 1935 eingerichtet, war er 21 Jahre lang in einem großen Fabrikgebäude pachtweise untergebracht. Als es 1956 gekündigt wurde, verkleinerte zufällig ein in unmittelbarer Nähe liegender Betrieb der Blechwaren-Industrie seine Fertigung so erheblich, daß H & B das ganze, für ihre Zwecke sehr geeignete Anwesen erwerben konnten. In Braunschweig werden von derzeitig etwa 200 Mitarbeitern einige wärmetechnische Gerätetypen hergestellt. Durch die nun erworbenen eigenen Räume und durch eine vorhandene räumliche Reserve wird der Betrieb in Zukunft eine wachsende Bedeutung für die Produktion des gesamten Unternehmens erhalten.
Foto:Schmitz-Sieg
Mechaniker bei Hartmann & Braun 1958
Meßgeräte sind durch ihren Typenreichtum keine industriellen Massengüter, sondern werden nach modernsten Fertigungsmethoden, aber dennoch zu einem erheblichen Teil auch heute noch handwerklich und individuell hergestellt. Dementsprechend groß ist der Anteil an gelernten Facharbeitern in der Werkstatt, an Technikern und Ingenieuren im ganzen Betrieb sowohl als auch im Verkauf. Das Verhältnis zwischen Gehalts- und Lohnempfängern schwankt zwischen 1:2 und 1:2,5. Auch unter den Gehaltsempfängern überwiegen weitaus die technischen Berufe. So ist auch der Vertrieb im wesentlichen eine technische Angelegenheit. Er erfolgt für H & B in Westdeutschland durch ein engmaschiges Netz eigener Geschäftsstellen, in denen Meßtechniker die Kundschaft auf allen Gebieten technisch einwandfrei beraten und unterstützen können.
Auch bei der baulichen Neugestaltung des Werkes hatte die Technik insofern den Vorrang, als zunächst einmal die Werkstätten wieder mustergültig werden mußten. Erst in den Jahren 1953 bis 1955 wurde auch ein modernes Bürohaus (unten) errichtet, das an die Stelle der im Kriege zerstörten, unschönen und unzweckmäßigen Gebäude an der ehemaligen Königstraße (heutige Gräfstrasse) trat. Seine Einweihung erlebte der langjährige Vorsitzende des Vorstands, Dr. Waldemar Braun, nicht mehr. Er verstarb im Sommer 1954. An seine Stelle trat sein Sohn Wilfried Braun, der nunmehr in der dritten Generation die Gründerfamilien im Hause als Vorsitzender des Vorstands vertritt.
Das Aktienkapital, auch heute noch zum überwiegenden Teil im Besitz der Gründerfamilien, betrug 3,6 Millionen RM. Es wurde 1949 1:1 auf DM umgestellt und im Jahre 1955 auf 6,7 Millionen DM erhöht. Die Firma konnte nach langen -infolge der Kriegsschäden dividendenlosen Jahren -die erste Dividendenzahlung für das zweite Halbjahr 1948 mit 3% aufnehmen; für die Jahre 1952 bis 1955 wurden 8%, und erstmalig für das Jahr 1956 9% ausgeschüttet.
Bei dem starken Streben nach Rationalisierung und technischer Verbesserung der Fertigungsanlagen in aller Welt darf erwartet werden, daß die Aussichten für die Gesellschaft auch für die nächste Zukunft günstig sind.
Quelle: F.Lerner: " Frankfurt am Main und seine Wirtschaft", Ammelburg-Verlag 1958
Quelle
Aber bleiben wir bei der jüngsten Geschichte.
Die HARTMANN & BRAUN AKTIENGESELLSCHAFT war schon seit Jahrzehnten weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt als Spezialfabrik für elektrische und wärmetechnische Meßgeräte, für Erzeugnisse höchster Präzision. Entsprechend diesem Ruf und diesen hohen Ansprüchen waren Werkstätten und Maschinenpark ausgerichtet.
Sprengbomben hatten am 8. Februar 1944 große Teile des Stammwerks an der Bockenheimer Warte verwüstet und in wenigen Sekunden 166 Opfer unter den Mitarbeitern gefordert. Was an diesem Tage verschont geblieben war hatten einige Wochen später Brandbomben zum größten Teil endgültig vernichtet. So waren in den darauffolgenden Tagen die meisten Werkstätten aus Frankfurt heraus verlagert worden, und bei Kriegsende arbeitete nur noch ein geringer Prozentsatz der über 5ooo Mitarbeiter in den beiden Frankfurter Werken, in dem unzerstörten neuen Werk im Vorort Praunheim und in den Trümmern an der Bockenheimer Warte. Dafür gab es H & B-Arbeitsstätten tief in der Erde in Sektkellereien am Rhein, im südlichsten Schwarzwald, in der nordöstlichen Ecke von Bayern, in Oberhessen und an fast zwei Dutzend Plätzen in der weiteren Umgebung von Frankfurt am Main.
Als nach dem Zusammenbruch durch das "Permit Nr.8" die Arbeitserlaubnis der Militärregierung erkämpft worden war, galt es, zunächst einmal zu sammeln und nach Frankfurt am Main zurückzuführen, was übriggeblieben war. Das Praunheimer Werk, ein in den Jahren 1941 bis 1942 entstandener moderner Fabrikneubau für eine Belegschaft von mehr als 1000 Köpfen, war fast ohne Schaden geblieben und wurde wohl infolge dieser Tatsache gleich in den ersten Tagen der Besetzung von den Amerikanern beschlagnahmt, so daß es daher für die notwendigen Entscheidungen vorerst nicht in Betracht kam. Das Stammwerk aber war in einem Ausmaß verwüstet, daß es wohl noch kurze Zeit vorher niemand für möglich gehalten hätte, hier Meßinstrumente zu bauen. Noch wußte man ja auch nicht, in welchem Umfang überhaupt die Erzeugnisse der Firma wieder benötigt würden, denn der Export, der schon vor dem Kriege namhafte Teile der H & B-Produktion in fast alle Länder der Welt gebracht hatte, lag noch in ferner Zukunft.
Werbung, um 1950
Der Rest des Jahres 1945 und große Teile von 1946 zeigten bei H & B das gleiche Bild, wie es damals überall in Deutschland zu sehen war: Es wurde aufgeräumt. Man versuchte, der unvorstellbaren Mengen von Schutt und Dreck Herr zu werden. Mit primitivsten Mitteln wurden die ersten Arbeitsräume wieder eingerichtet, Maschinen und Werkzeuge wurden repariert und überholt, so gut es eben ging. Wo früher einmal eine beinahe aseptische Sauberkeit verlangt wurde, standen im Winter rauchende Öfen, in denen "kompensierte" Kohle und Reste von angekohlten Dachsparren mehr Ruß und Rauch als Wärme spendeten. Mit weniger als einem Zehntel der letzten Kriegsbelegschaft war aber ein Anfang gemacht, und die ersten Nachkriegs-Meßinstrumente wurden mittels Holzgaslastwagen zur Kundschaft gebracht. Überraschend bald stellte sich heraus, welch unentbehrlicher Helfer für Technik und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten das Meßinstrument geworden war. Gewiß, in den folgenden Jahren bis zur Währungsreform gingen viele Aufträge bei H & B ein, bei denen keine echte technische Notwendigkeit, sondern ausschließlich die beabsichtigte Flucht in die Sachwerte, Anlaß zum Bestellbrief waren, und die natürlich auch fast nie ausgeliefert wurden. Aber der wirklich echte Bedarf war weit größer als erwartet, schon weil ja auch bei den Inlands-Kunden unendlich viel zerstört war, und gerade weil die gesamte deutsche Wirtschaft sparsam haushalten und trotzdem den Versuch machen mußte, durch Qualität den verlorenen Anschluß an den Weltmarkt wieder zu gewinnen.
Fast kein Zweig der Industrie kommt heute ohne Meßgeräte aus, und nicht mit Unrecht hat man in der H & B-Werkzeitschrift die Erzeugnisse des Unternehmens als "Gehirnzellen" der Industrie bezeichnet. Ob es sich um die Erzeugung und Verteilung der elektrischen Energie handelt oder um die Hüttenprozesse, mit deren Hilfe aus dem Erz Rohstahl und Halbfabrikate gewonnen werden, ob im Großkessel die wirtschaftliche Ausnutzung der Kohle, die Einhaltung der zulässigen Dampftemperatur und des Dampfdruckes zu überwachen sind, oder ob im Spinnsaal der Textilfabrik Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur maßgebliche Faktoren für die Qualität des Garnes und Gewebes darstellen, ob der Bierbrauer den Gärprozeß überwachen will oder der Arzt aus dem "Grundumsatz" eines Patienten wichtige Rückschlüsse auf dessen Kreislauf und Gesundheit ziehen will, immer dienen Meßgeräte als zuverlässige Helfer; und in immer weitergehendem Umfang dienen Meßgeräte und Regler dazu, den Überwachungsprozeß völlig zu automatisieren. Sie werden damit in zahllosen Betrieben zu Garanten der Qualität und der Ökonomie des Herstellungsprozesses, sie liefern als kurvenzeichnende und Meßwerte in Ziffern schreibende Instrumente beweiskräftige Dokumente über den Gesamtablauf und zahlreiche Einzelfunktionen der Produktion. Sie sind aber dem "großen Publikum" im allgemeinen so unbekannt und verborgen wie viele andere Hilfsmittel der modernen Technik auch.
Darum sei erwähnt, daß sie beispielsweise bei einem Kraftwerksneubau 6 bis 8% am Wert der gesamten technischen Anlage ausmachen, in der chemischen Industrie teilweise noch sehr viel mehr. Es gibt dort Produktionsprozesse, bei welchen Meßgeräte und Regler bis zu 30% der apparativen Kosten verursachen. Insbesondere die Entwicklung und Fertigung der synthetischen Kunststoffe sind übrigens ein gutes Beispiel für Prozesse, die ohne Meß- und Regeleinrichtungen kaum denkbar wären.
Als die Währungsumstellung die Grundlage schuf, auf der sich Deutschland wieder am Welthandel beteiligen konnte, waren bei H & B sehr rasch auch die Fäden zu den alten Geschäftsfreunden außerhalb Deutschlands wieder angeknüpft. Ein von Jahr zu Jahr steigendes Exportvolumen zeigt, in welchem Umfang die Erzeugnisse des Hauses wieder in die Welt hinausgingen. Bei diesen Zahlen ist zu beachten, daß sie lediglich den direkten Export darstellen. Ungefähr den gleichen Wert haben jedoch die indirekten Auslandslieferungen von H & B, bei denen die Erzeugnisse von deutschen Kesselfirmen, Ofenbauanstalten, Ingenieurunternehmungen (wie z.B. LURGI), in kompletten Anlagen exportiert werden. Man kann annehmen, daß im Durchschnitt 40 bis 45% der Erzeugnisse von H & B ins Ausland gehen.
Um den Export noch weiter zu fördern, beteiligte sich das Frankfurter Haus auch an einigen Unternehmungen im Ausland. So begann noch im Jahre 1945 ein Erfahrungsaustausch und eine immer enger werdende Zusammenarbeit mit der Camille Bauer Meßgeräte AG. in Wohlen/Schweiz, die dem Generalvertreter von H & B in der Schweiz gehört; das führte schließlich im Jahre 1956 auch zu einer kapitalmäßigen Beteiligung. Im gleichen Jahre wurde in São Paulo/Brasilien die Hartmann & Braun/Bender Ltda. gegründet, und im Jahre darauf in Madrid die Hartmann & Braun Española. Beide Firmen werden nach Lizenzen und Konstruktionen des Frankfurter Stammhauses diejenigen Geräte im Lande herstellen, für welche Importlizenzen nicht zu erhalten sind. Die Firma H & B ist heute in 47 Ländern der Welt vertreten und konnte in den letzten Jahren auch in Übersee z.T. Großanlagen in Konkurrenz gegen die Industrie der ganzen Welt erstellen.
1949 wurde die Fertigung und später auch der Vertrieb von Schalttafelgeräten -eine Geschäftssparte, in der die in- und ausländische Konkurrenz besonders scharf ist- organisatorisch und räumlich ausgegliedert und einer Tochtergesellschaft, der ELIMA-GmbH, übertragen, für welche Fabrikationsräume in Münster bei Dieburg eingerichtet wurden. Diese Maßnahme hat sich als sehr zweckmäßig erwiesen, denn der Betrieb mußte inzwischen räumlich dreimal stark erweitert werden. Er beschäftigt heute über 430 Mitarbeiter.
Schon kurze Zeit später beteiligte sich H & B an einem jungen, sehr erfolgreich aufstrebenden Unternehmen in Minden/Westf., der Schoppe & Faeser GmbH, deren Gesellschaftskapital zu 5o% von H & B übernommen wurde. Schoppe & Faeser stellen Regelgeräte, Zahnradprüfgeräte, Induktionshärtemaschinen und Großrechenanlagen her, so daß deren Fabrikationsprogramm eine gute Ergänzung zu demjenigen von H & B darstellt. Auch diese Firma hat sich in den letzten Jahren ausgesprochen gut entwickelt. In einem modernen Fabrikneubau in Minden werden heute über 6oo Mitarbeiter beschäftigt. Im Jahre 1953 übernahmen H & B das gesamte Gesellschaftskapital der kleinen, aber sehr gut renommierten Braunschweiger Feinmechanikerfirma Günther & Tegetmeyer GmbH, deren Aufgabengebiet teilweise weitergeführt, teilweise durch den Vertrieb spezieller Meß- und Zählgeräte erweitert wurde.
Stammwerk-Gräfstrasse von H & B an der Bockenheimer Warte von 1955
Inzwischen war der Ausbau und Wiederaufbau des Stammwerks in Frankfurt planmäßig weitergeführt worden. Die Werkstätten waren modernisiert und vergrößert, Ende 1954 alle wiedererstanden, aber genügten dennoch dem wachsenden Raumbedarf des Betriebes nicht. Aus der noch immer unbefriedigenden Raum-Situation heraus -das Werk liegt im alten Stadtteil Bockenheim so von allen Seiten eingekeilt, daß jede großzügige Planung hinsichtlich einer Erweiterung sich von selbst verbietet- wurde zäh und verbissen um die Freigabe des Praunheimer Werkes gekämpft, die endlich 1955 in Aussicht stand und Anfang 1956 Tatsache wurde. Zwar war von den Gebäuden nach zehnjähriger Benutzung durch die Besatzungsmacht nicht viel mehr übriggeblieben als ein Rohbau, aber einmal ging dessen Herrichtung naturgemäß schneller vonstatten als ein völliger Neubau, vor allem aber steht in Praunheim genügend Grundfläche zur Verfügung, um auf Jahrzehnte den Erweiterungsbedarf des Werkes sicherzustellen.
Eine besondere Erwähnung verdient noch der Braunschweiger Zweigbetrieb von H & B, der gleichfalls im Jahre 1956 endlich in ein eigenes Heim einziehen konnte. Auf Betreiben damaliger Rüstungsdienststellen im Jahre 1935 eingerichtet, war er 21 Jahre lang in einem großen Fabrikgebäude pachtweise untergebracht. Als es 1956 gekündigt wurde, verkleinerte zufällig ein in unmittelbarer Nähe liegender Betrieb der Blechwaren-Industrie seine Fertigung so erheblich, daß H & B das ganze, für ihre Zwecke sehr geeignete Anwesen erwerben konnten. In Braunschweig werden von derzeitig etwa 200 Mitarbeitern einige wärmetechnische Gerätetypen hergestellt. Durch die nun erworbenen eigenen Räume und durch eine vorhandene räumliche Reserve wird der Betrieb in Zukunft eine wachsende Bedeutung für die Produktion des gesamten Unternehmens erhalten.
Foto:Schmitz-Sieg
Mechaniker bei Hartmann & Braun 1958
Meßgeräte sind durch ihren Typenreichtum keine industriellen Massengüter, sondern werden nach modernsten Fertigungsmethoden, aber dennoch zu einem erheblichen Teil auch heute noch handwerklich und individuell hergestellt. Dementsprechend groß ist der Anteil an gelernten Facharbeitern in der Werkstatt, an Technikern und Ingenieuren im ganzen Betrieb sowohl als auch im Verkauf. Das Verhältnis zwischen Gehalts- und Lohnempfängern schwankt zwischen 1:2 und 1:2,5. Auch unter den Gehaltsempfängern überwiegen weitaus die technischen Berufe. So ist auch der Vertrieb im wesentlichen eine technische Angelegenheit. Er erfolgt für H & B in Westdeutschland durch ein engmaschiges Netz eigener Geschäftsstellen, in denen Meßtechniker die Kundschaft auf allen Gebieten technisch einwandfrei beraten und unterstützen können.
Auch bei der baulichen Neugestaltung des Werkes hatte die Technik insofern den Vorrang, als zunächst einmal die Werkstätten wieder mustergültig werden mußten. Erst in den Jahren 1953 bis 1955 wurde auch ein modernes Bürohaus (unten) errichtet, das an die Stelle der im Kriege zerstörten, unschönen und unzweckmäßigen Gebäude an der ehemaligen Königstraße (heutige Gräfstrasse) trat. Seine Einweihung erlebte der langjährige Vorsitzende des Vorstands, Dr. Waldemar Braun, nicht mehr. Er verstarb im Sommer 1954. An seine Stelle trat sein Sohn Wilfried Braun, der nunmehr in der dritten Generation die Gründerfamilien im Hause als Vorsitzender des Vorstands vertritt.
Das Aktienkapital, auch heute noch zum überwiegenden Teil im Besitz der Gründerfamilien, betrug 3,6 Millionen RM. Es wurde 1949 1:1 auf DM umgestellt und im Jahre 1955 auf 6,7 Millionen DM erhöht. Die Firma konnte nach langen -infolge der Kriegsschäden dividendenlosen Jahren -die erste Dividendenzahlung für das zweite Halbjahr 1948 mit 3% aufnehmen; für die Jahre 1952 bis 1955 wurden 8%, und erstmalig für das Jahr 1956 9% ausgeschüttet.
Bei dem starken Streben nach Rationalisierung und technischer Verbesserung der Fertigungsanlagen in aller Welt darf erwartet werden, daß die Aussichten für die Gesellschaft auch für die nächste Zukunft günstig sind.
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