Was versteht man unter Aktion Kornblume bzw. Ungeziefer?
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Was versteht man unter Aktion Kornblume bzw. Ungeziefer?
Nun auf unsere Reise durch die Geschichte machen wir mal wieder in den guten alten DDR halt. Eingefleischte Westkomunistten die immer noch an das tolle System des Komunismus glauben,dürfte jetzt zumindest die Galle anschwellen.
Aktion Kornblume hört sich ja ganz Ackertechnisch an, aber Ungeziefer kriegt dagegen einen faden beigeschmack.
Was versteht man darunter?
Dazu findet sich folgendes:
Aktion Ungeziefer und Aktion Festigung (MfS-Tarnname), auch Aktion Kornblume genannt, bezeichnen zwei große, generalstabsmäßig angelegte Operationen der DDR, die im Juni 1952 als „Aktion Ungeziefer“ und im Oktober 1961 als „Aktion Festigung“ bzw. „Aktion Kornblume“ mit dem Ziel durchgeführt wurden, in politischer Hinsicht als nicht zuverlässig eingeschätzte Personen aus dem Sperrgebiet entlang der innerdeutschen Grenze zu entfernen.[1]
Die „Aktion Ungeziefer“ war ein Tarnname (im Gebrauch waren auch die Bezeichnungen Aktion Grenze und Aktion G) einer vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR vorbereiteten und von der Volkspolizei durchgeführten Zwangsumsiedlungsaktion, in deren Verlauf zwischen Mai und Juni 1952 von der Staatsführung als „politisch unzuverlässig“ eingeschätzte Bürger mit ihren Familien zwangsweise von der innerdeutschen Grenze in das Landesinnere umgesiedelt wurden. Grundlage und Auslöser dieser Aktion war die vom Ministerrat am 26. Mai 1952 beschlossene „Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“ (Gesetzblatt [GBl.] der DDR Nr. 65 vom 27. Mai 1952 [Ausgabetag], S. 405).[2] Offiziell wurde die „Festigung“ der innerdeutschen Grenze als Ziel genannt.[3]
Der thüringische Innenminister und kommissarische Ministerpräsident Willy Gebhardt war auch verantwortlich für die Umsetzung der „Aktion Ungeziefer“ in Thüringen. Seine handschriftliche Notiz an den damaligen 2. Landesvorsitzenden bzw. Landessekretär der SED in Thüringen, Otto Funke, über die Anzahl der dabei aus den Grenzgebieten in das Innere der DDR zwangsumgesiedelten Menschen „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“ wird vielfach als Ausdruck der menschenverachtenden oder gar entmenschlichenden Sichtweise der DDR-Führung beschrieben.[4]
Eine ähnliche Aktion, die von den Einsatzleitungen in den Bezirken verschieden genannt wurde, wie: im Bezirk Erfurt „Aktion Kornblume“, im Bezirk Magdeburg „Aktion Neues Leben“, im Bezirk Suhl „Aktion Blümchen“, im Bezirk Karl-Marx-Stadt „Aktion Frische Luft“, im Bezirk Gera „Aktion Grenze“ und in den Bezirken Rostock und Schwerin „Aktion Osten“, fand im Oktober 1961 statt.[5]
Die Einschätzung der „politischen Unzuverlässigkeit“ erfolgte oft willkürlich (zum Teil auch durch Denunziationen von Nachbarn), so dass von der Zwangsumsiedlung Bürger mit Westkontakten, Kirchgänger, ehemalige Angehörige der NSDAP und ihrer Gliederungen, aber auch Bauern, die ihr Ablieferungssoll an den Staat nicht erfüllten, und Menschen, die sich in irgendeiner Form negativ über den Staat geäußert hatten, erfasst wurden. Vereinzelt stellten sich ganze Dörfer dieser Zwangsmaßnahme entgegen, so dass die Umsiedlung nur unter Einsatz von Verstärkungskräften und um einige Tage verzögert stattfinden konnte.
Betroffene erzählen, dass sie samt ihrem Hab und Gut auf einen Güterwagen der Bahn regelrecht verladen wurden; sie fuhren los, ohne ein Ziel zu kennen. Angekommen, wies man ihnen eine Wohnung oder ein Haus zu, das wertmäßig keineswegs dem entsprach, um das man sie gebracht hatte.
Von Historikern wird davon ausgegangen, dass bei den Aktionen „Ungeziefer“ (1952) und „Festigung“ (1961) insgesamt zwischen 11.000 und 12.000 Menschen umgesiedelt wurden und sich ca. 3.000 Menschen dieser Maßnahme durch Republikflucht entzogen.[6][7] Für Aufsehen sorgte die gemeinsame Flucht von 34 Menschen aus Billmuthausen im Juni 1952[8] sowie von 53 Menschen aus Böseckendorf im Oktober 1961. Beide Orte liegen in Thüringen.
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Ein weiterer Artikel hierzu :
Das Schweigen der Opfer
"Wie kann das passieren, Vati? Du hast doch von früher erzählt, aus der Nazi-Zeit - und als du ein Kind warst - und als ihr aus eurer Wohnung musstet - und wie kann das jetzt wieder passieren?", fragt die Tochter ihren Vater, Herbert Büchner, als die Familie im Oktober 1961 aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere der DDR deportiert wird. Tatsächlich hat Herbert Büchner, 20 Jahre zuvor, schon einmal eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht
Der Widerstandskämpfer Gustav Büchner
Ostpreußen, 1939: Als Mitglied der Bewegung "Kampf gegen den Faschismus" tritt Gustav Büchner unerschrocken den Nationalsozialisten entgegen. Trotz wiederholter Verhaftung durch die Gestapo ist der Familienvater weiterhin im Untergrund aktiv - bis er zum letzten Mal verhaftet und im April 1939 von den Nazis erschossen wird. Von offizieller Seite heißt es, der "Verbrecher" Gustav Büchner habe Selbstmord begangen. An diese Version glaubt auch sein 11-jähriger Sohn Herbert, denn aus Angst verschweigt die Mutter die Wahrheit. Mit ihren Kindern wird sie aus der eigenen Wohnung vertrieben, die Familie muss in ein schäbiges Zimmer umziehen. Erst viele Jahre später erfährt Herbert Büchner vom wirklichen Schicksal seines Vaters.
Heimat im Grenzgebiet
Heidhof bei Dömitz im Jahr 1961: Hier, an der Elbe, im Grenzgebiet der DDR, hat Herbert Büchner eine neue Heimat gefunden. Er und seine Frau Gretel arbeiten als Lehrer, sie haben drei Kinder und werden im Dorf geschätzt. Noch ahnen sie nicht, was hinter der scheinbar heilen Dorffassade vor sich geht: Akribisch erfasst die Staatssicherheit diejenigen Menschen, die aus dem Grenzgebiet in das Innere der DDR umgesiedelt werden sollen. Diese zweite große Vertreibungswelle - die erste fand 1952 statt - wird später als "Aktion Kornblume" bekannt. Umgesiedelt werden sollen vor allem "Personen, die durch ihre reaktionäre Einstellung den Aufbau des Sozialismus hindern sowie Personen, die ihrer Einstellung nach und durch ihre Handlungen eine Gefährdung für die Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet darstellen", wie es im Befehl des Ministeriums des Innern (MdI) heißt.
Zu diesen "Personen" zählen auch die Büchners. Sorgsam hat das Kreisgericht in Ludwigslust die Gründe für ihre Ausweisung zu einer handfesten Anklageschrift zusammengeschustert. Weil Herbert Büchner sich öffentlich gegen den Mauerbau geäußert, bei der letzten Kreiswahl nicht geflaggt und seine Fernsehantenne gen Westen ausgerichtet hat, wird er unter Ausschluss der Öffentlichkeit und bei eigener Abwesenheit angeklagt und ohne Verhandlung verurteilt.
Unerwarteter Besuch
Am 3. Oktober 1961 klingelt es bei den Büchners an der Haustür. Vor der Tür stehen drei Herren, zwei Lkws sowie bewaffnete Mitglieder der Kampftruppen. "Sie werden aufgefordert, das Grenzgebiet sofort zu verlassen!", sagt einer, der sich als Staatsanwalt vorstellt. Damit Herbert Büchner nicht gleich lautstark protestiert, wird ihm gesagt: "Sie kommen nach Crivitz, Ihnen wird dort eine gleichartige Wohnung zur Verfügung gestellt, und Sie können weiter als Lehrer tätig sein." Innerhalb von zwei Stunden muss die Familie ihr Hab und Gut zusammenpacken und auf die Lkws laden. Dann werden sie abtransportiert.
Tatsächlich landen die Büchners in Warnow-Hof bei Crivitz, östlich von Schwerin. Aber schon gleich nach ihrer Ankunft wird ihnen mitgeteilt, sie seien ab sofort nicht mehr Lehrer, sondern Genossenschaftsbauern und müssten in der Schweinemästerei arbeiten. Und das Haus, in das sie eingewiesen werden sollen? Das ist eine Katastrophe. "Es war unter aller Würde", erinnert sich Gretel Büchner, "es waren keine Fenster drin oder die Fenster waren zerschlagen und kaputt." Widerwillig ziehen sie in das Haus ein. "Wir sind die ganze Nacht wach geblieben, wir haben nicht schlafen können. Wir haben nur geweint, die ganze Nacht hindurch, bis zum Morgen", erinnert sich Gretel Büchner.
Vorladung und Verhaftung
Die Büchners haben keine Chance, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Im Dezember 1961 wird Herbert Büchner zum Bezirksschulrat bestellt. "Mir wurden die Aufhebungsverträge vorgelegt, ich sollte unterschreiben. Und da habe ich gesagt: 'Nein!'", erzählt er. Er darf wieder gehen, wird jedoch wenige Tage später beim Ministerium für Staatssicherheit in Schwerin vorgeladen. Dort wird er noch einmal gefragt, ob er bereit sei, die Aufhebungsverträge zu unterschreiben. Weil er sich weigert, wird er in eine Zelle gebracht. "Man hörte immer die Schritte der Wachleute. Ich saß stundenlang da, und irgendwann fiel mir ein: In drei Tagen ist Heiligabend, und du bist nicht zu Hause und nicht bei deiner Frau und deinen Kindern ..."
Am nächsten Tag unterschreibt Herbert Büchner das, was der Kreisschulrat schon längst abgesegnet hat: "Im gegenseitigen Einvernehmen lösen wir mit Wirkung vom 31.12.61 das bestehende Arbeitsrechtsverhältnis. Grund: Der Kollege Büchner ist nicht mehr im Kreise Ludwigslust wohnhaft, und nach seinen Angaben fühlt er sich den erhöhten Anforderungen, die unsere sozialistische Schule an den Lehrer und Erzieher stellt, nicht mehr gewachsen." Stattdessen muss er eine Stelle als Buchhalter annehmen. Gretel Büchner, die ebenfalls ihren Aufhebungsvertrag unterschreibt, erhält einen Job als Verkäuferin.
13 Spitzel, rund um die Uhr
Der Druck auf die Büchners allerdings, er lässt nicht nach. Die Anweisungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gelten ohne Einschränkung und das Ehepaar befolgt sie brav in den ersten Jahren nach der Zwangsaussiedlung: keine Teilnahme an öffentlichen, auch nicht kulturellen Veranstaltungen, keine Äußerungen zur Aussiedlung und keine Angaben zum Berufswechsel. Die Legende ist simpel: Herbert Büchner habe seine Tätigkeit als Lehrer aus Krankheitsgründen aufgeben müssen und sei nur deshalb mit seiner Familie nach Crivitz gezogen.
Je länger die Büchners in Crivitz leben und arbeiten, umso häufiger werden sie angesprochen und nach ihrer Herkunft gefragt. Aber sie halten sich an alle Auflagen, sie gehen nicht zu Tanzveranstaltungen, sie betätigen sich auch sonst nicht öffentlich. Sie schweigen. Die Staatssicherheit ist über alles im Bilde. Die Büchners erzählen: "Aus unseren Akten wissen wir heute, dass wir hier insgesamt dreizehn Inoffizielle Mitarbeiter hatten, die uns von 1961 an rund um die Uhr beschattet haben. Das MfS hat selbst einen aus dem Raum Lenzen Zwangsdeportierten auf uns angesetzt. Und mit dem hatten wir uns angefreundet damals. Und der hat dann lange Zeit nur darüber berichtet, welche Fernsehprogramme wir eingeschaltet und angesehen haben."
Erst mit der Mauer fällt die Angst
Das gilt bis etwa 1970, dann wollen die Büchners nicht länger schweigen. Im allerengsten Freundes- und Familienkreis reden sie über die Zwangsaussiedlung und über das Berufsverbot. Sie gehen wieder tanzen und lassen sich in der Öffentlichkeit sehen. "Wir haben uns einfach gesagt, jetzt müssen wir da durch!", sagen sie. Doch erst, nachdem Mauer und Stacheldraht gefallen sind, erzählen Gretel und Herbert Büchner ihre Lebensgeschichte ganz und ohne Lücken: öffentlich, laut und deutlich und zum ersten Mal ohne Angst.
Quelle
Aktion Kornblume hört sich ja ganz Ackertechnisch an, aber Ungeziefer kriegt dagegen einen faden beigeschmack.
Was versteht man darunter?
Dazu findet sich folgendes:
Aktion Ungeziefer und Aktion Festigung (MfS-Tarnname), auch Aktion Kornblume genannt, bezeichnen zwei große, generalstabsmäßig angelegte Operationen der DDR, die im Juni 1952 als „Aktion Ungeziefer“ und im Oktober 1961 als „Aktion Festigung“ bzw. „Aktion Kornblume“ mit dem Ziel durchgeführt wurden, in politischer Hinsicht als nicht zuverlässig eingeschätzte Personen aus dem Sperrgebiet entlang der innerdeutschen Grenze zu entfernen.[1]
Die „Aktion Ungeziefer“ war ein Tarnname (im Gebrauch waren auch die Bezeichnungen Aktion Grenze und Aktion G) einer vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR vorbereiteten und von der Volkspolizei durchgeführten Zwangsumsiedlungsaktion, in deren Verlauf zwischen Mai und Juni 1952 von der Staatsführung als „politisch unzuverlässig“ eingeschätzte Bürger mit ihren Familien zwangsweise von der innerdeutschen Grenze in das Landesinnere umgesiedelt wurden. Grundlage und Auslöser dieser Aktion war die vom Ministerrat am 26. Mai 1952 beschlossene „Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“ (Gesetzblatt [GBl.] der DDR Nr. 65 vom 27. Mai 1952 [Ausgabetag], S. 405).[2] Offiziell wurde die „Festigung“ der innerdeutschen Grenze als Ziel genannt.[3]
Der thüringische Innenminister und kommissarische Ministerpräsident Willy Gebhardt war auch verantwortlich für die Umsetzung der „Aktion Ungeziefer“ in Thüringen. Seine handschriftliche Notiz an den damaligen 2. Landesvorsitzenden bzw. Landessekretär der SED in Thüringen, Otto Funke, über die Anzahl der dabei aus den Grenzgebieten in das Innere der DDR zwangsumgesiedelten Menschen „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“ wird vielfach als Ausdruck der menschenverachtenden oder gar entmenschlichenden Sichtweise der DDR-Führung beschrieben.[4]
Eine ähnliche Aktion, die von den Einsatzleitungen in den Bezirken verschieden genannt wurde, wie: im Bezirk Erfurt „Aktion Kornblume“, im Bezirk Magdeburg „Aktion Neues Leben“, im Bezirk Suhl „Aktion Blümchen“, im Bezirk Karl-Marx-Stadt „Aktion Frische Luft“, im Bezirk Gera „Aktion Grenze“ und in den Bezirken Rostock und Schwerin „Aktion Osten“, fand im Oktober 1961 statt.[5]
Die Einschätzung der „politischen Unzuverlässigkeit“ erfolgte oft willkürlich (zum Teil auch durch Denunziationen von Nachbarn), so dass von der Zwangsumsiedlung Bürger mit Westkontakten, Kirchgänger, ehemalige Angehörige der NSDAP und ihrer Gliederungen, aber auch Bauern, die ihr Ablieferungssoll an den Staat nicht erfüllten, und Menschen, die sich in irgendeiner Form negativ über den Staat geäußert hatten, erfasst wurden. Vereinzelt stellten sich ganze Dörfer dieser Zwangsmaßnahme entgegen, so dass die Umsiedlung nur unter Einsatz von Verstärkungskräften und um einige Tage verzögert stattfinden konnte.
Betroffene erzählen, dass sie samt ihrem Hab und Gut auf einen Güterwagen der Bahn regelrecht verladen wurden; sie fuhren los, ohne ein Ziel zu kennen. Angekommen, wies man ihnen eine Wohnung oder ein Haus zu, das wertmäßig keineswegs dem entsprach, um das man sie gebracht hatte.
Von Historikern wird davon ausgegangen, dass bei den Aktionen „Ungeziefer“ (1952) und „Festigung“ (1961) insgesamt zwischen 11.000 und 12.000 Menschen umgesiedelt wurden und sich ca. 3.000 Menschen dieser Maßnahme durch Republikflucht entzogen.[6][7] Für Aufsehen sorgte die gemeinsame Flucht von 34 Menschen aus Billmuthausen im Juni 1952[8] sowie von 53 Menschen aus Böseckendorf im Oktober 1961. Beide Orte liegen in Thüringen.
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Ein weiterer Artikel hierzu :
Das Schweigen der Opfer
"Wie kann das passieren, Vati? Du hast doch von früher erzählt, aus der Nazi-Zeit - und als du ein Kind warst - und als ihr aus eurer Wohnung musstet - und wie kann das jetzt wieder passieren?", fragt die Tochter ihren Vater, Herbert Büchner, als die Familie im Oktober 1961 aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere der DDR deportiert wird. Tatsächlich hat Herbert Büchner, 20 Jahre zuvor, schon einmal eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht
Der Widerstandskämpfer Gustav Büchner
Ostpreußen, 1939: Als Mitglied der Bewegung "Kampf gegen den Faschismus" tritt Gustav Büchner unerschrocken den Nationalsozialisten entgegen. Trotz wiederholter Verhaftung durch die Gestapo ist der Familienvater weiterhin im Untergrund aktiv - bis er zum letzten Mal verhaftet und im April 1939 von den Nazis erschossen wird. Von offizieller Seite heißt es, der "Verbrecher" Gustav Büchner habe Selbstmord begangen. An diese Version glaubt auch sein 11-jähriger Sohn Herbert, denn aus Angst verschweigt die Mutter die Wahrheit. Mit ihren Kindern wird sie aus der eigenen Wohnung vertrieben, die Familie muss in ein schäbiges Zimmer umziehen. Erst viele Jahre später erfährt Herbert Büchner vom wirklichen Schicksal seines Vaters.
Heimat im Grenzgebiet
Heidhof bei Dömitz im Jahr 1961: Hier, an der Elbe, im Grenzgebiet der DDR, hat Herbert Büchner eine neue Heimat gefunden. Er und seine Frau Gretel arbeiten als Lehrer, sie haben drei Kinder und werden im Dorf geschätzt. Noch ahnen sie nicht, was hinter der scheinbar heilen Dorffassade vor sich geht: Akribisch erfasst die Staatssicherheit diejenigen Menschen, die aus dem Grenzgebiet in das Innere der DDR umgesiedelt werden sollen. Diese zweite große Vertreibungswelle - die erste fand 1952 statt - wird später als "Aktion Kornblume" bekannt. Umgesiedelt werden sollen vor allem "Personen, die durch ihre reaktionäre Einstellung den Aufbau des Sozialismus hindern sowie Personen, die ihrer Einstellung nach und durch ihre Handlungen eine Gefährdung für die Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet darstellen", wie es im Befehl des Ministeriums des Innern (MdI) heißt.
Zu diesen "Personen" zählen auch die Büchners. Sorgsam hat das Kreisgericht in Ludwigslust die Gründe für ihre Ausweisung zu einer handfesten Anklageschrift zusammengeschustert. Weil Herbert Büchner sich öffentlich gegen den Mauerbau geäußert, bei der letzten Kreiswahl nicht geflaggt und seine Fernsehantenne gen Westen ausgerichtet hat, wird er unter Ausschluss der Öffentlichkeit und bei eigener Abwesenheit angeklagt und ohne Verhandlung verurteilt.
Unerwarteter Besuch
Am 3. Oktober 1961 klingelt es bei den Büchners an der Haustür. Vor der Tür stehen drei Herren, zwei Lkws sowie bewaffnete Mitglieder der Kampftruppen. "Sie werden aufgefordert, das Grenzgebiet sofort zu verlassen!", sagt einer, der sich als Staatsanwalt vorstellt. Damit Herbert Büchner nicht gleich lautstark protestiert, wird ihm gesagt: "Sie kommen nach Crivitz, Ihnen wird dort eine gleichartige Wohnung zur Verfügung gestellt, und Sie können weiter als Lehrer tätig sein." Innerhalb von zwei Stunden muss die Familie ihr Hab und Gut zusammenpacken und auf die Lkws laden. Dann werden sie abtransportiert.
Tatsächlich landen die Büchners in Warnow-Hof bei Crivitz, östlich von Schwerin. Aber schon gleich nach ihrer Ankunft wird ihnen mitgeteilt, sie seien ab sofort nicht mehr Lehrer, sondern Genossenschaftsbauern und müssten in der Schweinemästerei arbeiten. Und das Haus, in das sie eingewiesen werden sollen? Das ist eine Katastrophe. "Es war unter aller Würde", erinnert sich Gretel Büchner, "es waren keine Fenster drin oder die Fenster waren zerschlagen und kaputt." Widerwillig ziehen sie in das Haus ein. "Wir sind die ganze Nacht wach geblieben, wir haben nicht schlafen können. Wir haben nur geweint, die ganze Nacht hindurch, bis zum Morgen", erinnert sich Gretel Büchner.
Vorladung und Verhaftung
Die Büchners haben keine Chance, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Im Dezember 1961 wird Herbert Büchner zum Bezirksschulrat bestellt. "Mir wurden die Aufhebungsverträge vorgelegt, ich sollte unterschreiben. Und da habe ich gesagt: 'Nein!'", erzählt er. Er darf wieder gehen, wird jedoch wenige Tage später beim Ministerium für Staatssicherheit in Schwerin vorgeladen. Dort wird er noch einmal gefragt, ob er bereit sei, die Aufhebungsverträge zu unterschreiben. Weil er sich weigert, wird er in eine Zelle gebracht. "Man hörte immer die Schritte der Wachleute. Ich saß stundenlang da, und irgendwann fiel mir ein: In drei Tagen ist Heiligabend, und du bist nicht zu Hause und nicht bei deiner Frau und deinen Kindern ..."
Am nächsten Tag unterschreibt Herbert Büchner das, was der Kreisschulrat schon längst abgesegnet hat: "Im gegenseitigen Einvernehmen lösen wir mit Wirkung vom 31.12.61 das bestehende Arbeitsrechtsverhältnis. Grund: Der Kollege Büchner ist nicht mehr im Kreise Ludwigslust wohnhaft, und nach seinen Angaben fühlt er sich den erhöhten Anforderungen, die unsere sozialistische Schule an den Lehrer und Erzieher stellt, nicht mehr gewachsen." Stattdessen muss er eine Stelle als Buchhalter annehmen. Gretel Büchner, die ebenfalls ihren Aufhebungsvertrag unterschreibt, erhält einen Job als Verkäuferin.
13 Spitzel, rund um die Uhr
Der Druck auf die Büchners allerdings, er lässt nicht nach. Die Anweisungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gelten ohne Einschränkung und das Ehepaar befolgt sie brav in den ersten Jahren nach der Zwangsaussiedlung: keine Teilnahme an öffentlichen, auch nicht kulturellen Veranstaltungen, keine Äußerungen zur Aussiedlung und keine Angaben zum Berufswechsel. Die Legende ist simpel: Herbert Büchner habe seine Tätigkeit als Lehrer aus Krankheitsgründen aufgeben müssen und sei nur deshalb mit seiner Familie nach Crivitz gezogen.
Je länger die Büchners in Crivitz leben und arbeiten, umso häufiger werden sie angesprochen und nach ihrer Herkunft gefragt. Aber sie halten sich an alle Auflagen, sie gehen nicht zu Tanzveranstaltungen, sie betätigen sich auch sonst nicht öffentlich. Sie schweigen. Die Staatssicherheit ist über alles im Bilde. Die Büchners erzählen: "Aus unseren Akten wissen wir heute, dass wir hier insgesamt dreizehn Inoffizielle Mitarbeiter hatten, die uns von 1961 an rund um die Uhr beschattet haben. Das MfS hat selbst einen aus dem Raum Lenzen Zwangsdeportierten auf uns angesetzt. Und mit dem hatten wir uns angefreundet damals. Und der hat dann lange Zeit nur darüber berichtet, welche Fernsehprogramme wir eingeschaltet und angesehen haben."
Erst mit der Mauer fällt die Angst
Das gilt bis etwa 1970, dann wollen die Büchners nicht länger schweigen. Im allerengsten Freundes- und Familienkreis reden sie über die Zwangsaussiedlung und über das Berufsverbot. Sie gehen wieder tanzen und lassen sich in der Öffentlichkeit sehen. "Wir haben uns einfach gesagt, jetzt müssen wir da durch!", sagen sie. Doch erst, nachdem Mauer und Stacheldraht gefallen sind, erzählen Gretel und Herbert Büchner ihre Lebensgeschichte ganz und ohne Lücken: öffentlich, laut und deutlich und zum ersten Mal ohne Angst.
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