Lou Andreas-Salomé
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Lou Andreas-Salomé
Kommen wir zu einer anderen Person, die unter auch Deutsche Geschichte mitgestaltet hat. Dazu findet sich folgendes Geschrieben:
Lou Andreas-Salomé (geborene Louise von Salomé; gelegentliches Pseudonym Henri Lou; * 12. Februar 1861 in St. Petersburg; † 5. Februar 1937 in Göttingen) war eine weitgereiste Schriftstellerin, Erzählerin, Essayistin und Psychoanalytikerin aus russisch-deutscher Familie. Die Art ihrer persönlichen Beziehungen zu prominenten Vertretern des deutschen Geisteslebens – in erster Linie zu Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud – war und ist bis heute Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen.
Lou Andreas-Salomé 1907, Fotografie von Atelier Elvira
Ihr Vater Gustav Salomé stammte von südfranzösischen Hugenotten ab und kam 1810 als Kind mit seiner Familie nach St. Petersburg. Eine militärische Karriere führte ihn bis in den Generalstab der russischen Armee. 1831 wurde er durch Zar Nikolaus I. in den Adelsstand erhoben. Die Mutter, Louise, geb. Wilm war norddeutsch-dänischer Herkunft. Die beiden heirateten 1844, ihre Tochter Louise von Salomé kam als jüngstes von sechs Kindern und einziges Mädchen am 12. Februar 1861 in St. Petersburg zur Welt. Sie wuchs als Liebling des Vaters in einer wohlhabenden, kulturell vielseitig interessierten Familie auf, in der drei Sprachen gesprochen wurden: Deutsch, Französisch und Russisch. In der glücklichen und anregenden Kindheit sehen Biographen die Grundlage für ihre gleichbleibend starke intellektuelle Neugier, für ihre innere Sicherheit und Unabhängigkeit, auch für ihre Souveränität im Umgang mit mehr oder weniger bedeutenden Männern. Kurz vor ihrem Tod beschrieb sie ihr Lebensgefühl: „Es mag mir geschehen, was will – ich verliere nie die Gewissheit, dass hinter mir Arme geöffnet sind, um mich aufzunehmen“.[1]
Lou von Salomé im Alter von 16 Jahren
Einige Aufregung und Spannungen innerhalb ihrer streng protestantischen Familie verursachte Louise, als sie die Konfirmation durch den dogmatischen Pastor der zuständigen reformierten Gemeinde verweigerte und mit 16 Jahren aus der Kirche austrat. Als Achtzehnjährige war sie fasziniert von den Predigten eines anderen protestantischen Pastors in St. Petersburg, des Holländers Hendrik Gillot, der sie als Schülerin annahm und mit ihr philosophische, literarische und religiöse Themen besprach. Umfang und Intensität dieser Studien sind aus ihren Notizbüchern ablesbar. Es gehörten dazu: Vergleichende Religionsgeschichte; Grundvorstellungen der Religionsphänomenologie. Dogmatismus, messianische Vorstellungen im Alten Testament und der Glaubenssatz von der Dreifaltigkeit; Philosophie, Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie; das französische Theater vor Corneille, die klassische französische Literatur, Descartes und Pascal; Schiller, Kant und Kierkegaard, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Fichte und Schopenhauer. Hier werden die Grundzüge jener umfassenden Bildung sichtbar, die, ebenso wie ihre rasche Auffassungsgabe, spätere Gesprächspartner immer wieder beeindruckte.
Gillot war 25 Jahre älter als sie und hatte zwei nahezu erwachsene Töchter. Nun kündigte er an, dass er sich von seiner Frau trennen wolle, und machte seiner Schülerin einen Heiratsantrag. Von Salomé lehnte ab. An einer Ehe und einem sexuellen Verhältnis war sie nicht interessiert; sie war regelrecht enttäuscht und schockiert durch diese Entwicklung, blieb aber mit Gillot befreundet. Dieses Muster wiederholte sich häufig in ihrem Leben: Männer machten ihr weitgehende Angebote (körperliche Intimität meist eingeschlossen), sie nahm davon, was sie wünschte; sie bestimmte die Bedingungen. Mit Gillot unternahm sie noch eine Reise nach Holland. Dort ließ sie sich von ihm konfirmieren – sie hätte sonst keinen eigenen Pass bekommen – und wurde von ihm auf den Namen „Lou“ getauft.
Nach dem Tod des Vaters (1879) zog Lou von Salomé zusammen mit ihrer Mutter im Herbst 1880 nach Zürich und begann ein Studium an der dortigen Universität, die als eine von wenigen Hochschulen jener Zeit auch Frauen zum Studium annahm. Zuvor hatte sie einen Eignungstest zu bestehen, weil ihr der verlangte Schulabschluss fehlte. Sie hörte unter anderem Religionswissenschaften, Logik, Metaphysik, Archäologie und Geschichte. Ein Lungenleiden zwang sie zur Unterbrechung des Studiums, man empfahl ihr zur Heilung ein wärmeres Klima. Im Februar 1882 trafen Mutter und Tochter in Rom ein.
Ein Empfehlungsschreiben verschaffte Lou von Salomé Zugang zum Bekanntenkreis der Schriftstellerin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Malwida von Meysenbug, die einst wegen ihrer offenen Sympathien für die Revolutionäre von 1848 aus Berlin ausgewiesen worden war und inzwischen in Rom einen Zirkel von Künstlern und Intellektuellen in der Tradition der Berliner Salons etabliert hatte. In diesem Kreis verkehrten der Philosoph Paul Rée, ein Freund Friedrich Nietzsches, und auch Nietzsche selbst. Rée verliebte sich umgehend in Lou von Salomé, hielt um ihre Hand an und wurde abgewiesen; zwischen beiden entwickelte sich aber eine enge Freundschaft. Als Nietzsche im April 1882 Rom erreichte, war er durch enthusiastische Briefe von Rée auf die Begegnung mit von Salomé vorbereitet. Auch er war von der „jungen Russin“ entzückt und machte ihr einen Heiratsantrag, ausgerechnet durch Rée als Vermittler. Auch er wurde zurückgewiesen, war aber als Freund, Lehrer und Gesprächspartner hochwillkommen.
Denn sie hatte inzwischen, ohne ihn persönlich zu kennen, das Wunschbild einer intensiven Arbeitsgemeinschaft (der von ihr so genannten „Dreieinigkeit“) mit Nietzsche, Rée und sich selbst entworfen. Man würde in Wien oder Paris freundschaftlich zusammenleben, studieren, schreiben und diskutieren. Diese ihre Idealvorstellung, die zu dritt eifrig besprochen wurde, ließ sich nicht verwirklichen. Sie scheiterte letztlich an der Eifersucht der beiden Männer – sie wollten sich nicht auf die ihnen zugedachten Rollen festlegen lassen (andererseits hatte Nietzsche mehrfach die Befürchtung geäußert, dass jede wirklich enge, dauerhafte Bindung ihn an der Vollendung seines Lebenswerkes hindern könnte). Die Freundschaft zwischen von Salomé und Paul Rée war relativ unkompliziert, dabei enger und vertrauter als die zu Nietzsche – man duzte sich, schickte sich Tagebuchblätter zu und beriet sich über den jeweiligen Stand der Dinge im Verhältnis zu Nietzsche, der von alledem nichts wusste.
Dessen Situation wurde zunehmend unbefriedigender. Anfang Mai 1882 hatte er allein mit von Salomé einen langen Ausflug am Sacro Monte di Orta in Oberitalien gemacht – seither Anlass für Mutmaßungen darüber, wie nahe sich die beiden dabei gekommen waren. Mitte Mai dann in Luzern ein neuer Heiratsantrag, der wieder abgewiesen wurde. Hier entstand das bekannte Foto, von Nietzsche selbst in allen Einzelheiten arrangiert, auf dem von Salomé ihn und Rée vor ihren Karren spannt. Wenig später begann Nietzsches Schwester Elisabeth, sich in die Angelegenheiten ihres Bruders einzumischen. Sie berichtete ihm von dem angeblich „leichtfertigen“ und „skandalösen“ Verhalten seiner Freundin während der Festspiele in Bayreuth und unterrichtete auch ihre Mutter über die aus ihrer Sicht moralisch bedenkliche Affäre. Nietzsche war empört über die Einmischung seiner Familie, litt aber auch unter den Details, die ihm zugetragen worden waren. Den Sommer 1882 verbrachten Nietzsche und von Salomé philosophierend in Tautenburg. Die Beziehung der beiden wurde von manchen Zeitgenossen – etwa dem in Tautenburg ansäßigen Pfarrer Hermann Otto Stölten – kritisch gesehen.[2]
Nietzsches Beziehung zu Lou von Salomé endete nach einer letzten Begegnung mit ihr und Rée im Herbst 1882 in Leipzig, von wo von Salomé abreiste, ohne sich von ihm zu verabschieden. Danach änderten sich Nietzsches Einstellung und Verhalten beiden gegenüber. In einem Briefentwurf vom Dezember 1882 äußerte er Verzweiflung und Selbstmitleid: „An jedem Morgen verzweifle ich, wie ich den Tag überdaure … Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, dass ich die Vernunft verliere: Wo ist noch ein M(ensch) den man verehren könnte! Aber ich kenne Euch alle durch und durch“.[3] In unbeherrschter Eifersucht machte er Rée und Lou schwere Vorwürfe und verstieg sich zu wilden Beschimpfungen und Beleidigungen auch gegenüber Dritten. Danach sah man sich nie wieder.
Später bedauerte Nietzsche in einem Brief an seine Schwester sein Verhalten – und zwar sowohl in Hinblick auf die verlorene Freundschaft, als auch aus grundsätzlichen Erwägungen: „Nein, ich bin nicht gemacht zu Feindschaft und Hass: und seit diese Sache so weit fortgeschritten ist, dass eine Versöhnung mit jenen beiden nicht mehr möglich ist, weiß ich nicht mehr, wie leben; ich denke fortwährend dran. Es ist unverträglich mit meiner ganzen Philosophie und Denkweise …“[3] Im Januar 1883 schrieb er in Rapallo den ersten Teil des Zarathustra, überwand so seine akute Krise und hatte sich, wie er anmerkte, „einen schweren Stein von der Seele gewälzt“. Aus den Kapiteln, die sich auf das Wesen der Frauen beziehen, kann man Spuren seiner Erfahrungen mit von Salomé herauslesen, zugleich aber auch Abschluss und Bewältigung dieser Episode seines Lebens. Er blieb bis zu seinem Lebensende allein; nach seinem völligen geistigen Zusammenbruch im Januar 1889 wurde er von Mutter und Schwester gepflegt, bis er am 25. August 1900 starb. In ihrem Buch „Nietzsche in seinen Werken“ von 1894 versuchte von Salomé, auf der Grundlage ihrer genauen Textkenntnis und ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem schwierigen Freund, den „Denker durch den Menschen zu erläutern“. Anna Freud sprach später davon, Lou Andreas-Salomé habe mit diesem Buch über Nietzsche die Psychoanalyse vorweggenommen.
Lou von Salomé und Paul Rée lebten drei Jahre lang freundschaftlich zusammen in Berlin und trennten sich 1885. Reé kam 1901 bei einer Bergwanderung ums Leben; ungeklärt blieb, ob durch einen Unfall oder durch Suizid.
Das Paar Salomé/Andreas 1886
m August 1886 lernte Lou von Salomé in Berlin den Orientalisten Friedrich Carl Andreas kennen. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, dunkelhaarig, temperamentvoll und bald fest entschlossen, sie zu heiraten. Seine entschiedene Absicht unterstrich er durch einen Selbstmordversuch vor ihren Augen. Nach längeren inneren Kämpfen willigte sie 1887 in die Eheschließung ein, stellte aber Bedingungen. Die Hauptsache: sie werde sich niemals bereit finden, die Ehe sexuell zu vollziehen. Aus welchen Gründen Andreas dies akzeptierte, ist nicht bekannt. Falls er hoffte – wie meist vermutet wird –, dass sie es damit nicht dauerhaft ernst meinen werde, sah er sich enttäuscht. In den ersten Ehejahren gab es immer wieder Eifersuchtsszenen wegen ihrer Beziehungen zu anderen Männern. Dennoch lehnte Andreas es mehrmals ab, sich scheiden zu lassen. In Berlin bewohnte das Paar nacheinander verschiedene Wohnungen, zeitweilig hatte Andreas berufliche Schwierigkeiten und nur sehr geringe Einnahmen, so dass die ebenfalls recht begrenzten Einkünfte, die seine Frau als Schriftstellerin erzielte, dringend gebraucht wurden.
Lou Andreas-Salomés Leben bestand aus einer konventionellen, bürgerlichen Hälfte mit Ehemann, hausfraulicher Pflichterfüllung und geistiger Arbeit – und einem anderen Bereich, in dem sie weder Pflichten noch engere Bindungen akzeptierte und mit gelegentlichen, inoffiziellen Liebhabern unterwegs war. Gleichzeitig warf sie ihrem Mann anfangs dessen Beziehung zu ihrer Haushälterin Marie vor. Doch kümmerte auch sie sich um das Kind aus dieser Verbindung, nachdem die Mutter früh gestorben war, und setzte es später als Haupterbin ein. Auf lange Sicht erwies sich die schwierige, widersprüchliche Ehe als unerwartet haltbar. Seit Friedrich Carl Andreas im Frühjahr 1903 auf den Lehrstuhl für Westasiatische Sprachen an der Universität Göttingen berufen worden war, lebte das Paar dort im eigenen Haus (von ihr „Loufried“ genannt, wie schon ein früherer Aufenthaltsort) – er mit der Haushälterin im Erdgeschoss, sie im Stockwerk darüber. Sie betreute, wenn sie in Göttingen war, den Garten am Haus, sie baute Gemüse an und hielt Hühner, führte aber im Wesentlichen weiterhin ein unabhängiges, reisefreudiges Leben. In ihren Tagebuchnotizen erscheint dieser Lebensabschnitt, insbesondere das Verhältnis zu ihrem Mann, wesentlich entspannter als die Zeit zuvor.
Der Berliner Kreis
Als Lou von Salomé in Berlin mit Paul Rée zusammenwohnte, also von 1882 bis 1885, bestand ihr gemeinsamer Bekanntenkreis hauptsächlich aus Wissenschaftlern – den Freunden und Fachkollegen Rées. Von Salomé war die einzige Frau in diesem Kreis, sie genoss die Verehrung der Männer und die Teilnahme an den philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskussionen. 1885 erschien unter dem Pseudonym Henri Lou ihr erstes Buch, der Roman Im Kampf um Gott, Thema: „Was geschieht, wenn der Mensch seinen Glauben verliert?“ Mit dem Problem musste sie sich in ihrer eigenen Jugend schon beschäftigen. Die Kritiken waren gut, das Pseudonym schnell durchschaut, der Erfolg machte sie in weiteren Kreisen der Berliner Gesellschaft bekannt.
Nach ihrer Heirat mit Friedrich Carl Andreas ergaben sich neue Kontakte, insbesondere zum sogenannten „Friedrichshagener Dichterkreis“ und zum „Freundeskreis der Freien Volksbühne“ – beide personell zu großen Teilen identisch. Um 1890 hatte sich in dem idyllischen Berliner Vorort Friedrichshagen eine lose Vereinigung von Schriftstellern und Naturliebhabern zusammengefunden, mit dem Ziel, ein zwangloses Leben zu führen sowie Dichtung und Theater im Sinne des Naturalismus zu erneuern. Bruno Wille, einer der Initiatoren, gehörte 1890 zu den Gründern der „Freien Volksbühne“, die Arbeitern den Zugang zur dramatischen Kunst ermöglichen sollte. Zu den Mitgliedern oder Sympathisanten dieser Initiativen gehörten unter anderen Otto Brahm, Richard Dehmel, Max Halbe, Knut Hamsun, Maximilian Harden, Gerhart Hauptmann, Hugo Höppener (genannt Fidus), Erich Mühsam und Frank Wedekind, vorübergehend auch August Strindberg. Bald war Lou Andreas-Salomé mit einer Anzahl von ihnen befreundet oder gut bekannt, besonders Hauptmann und Harden waren von ihr beeindruckt. In der Zeitschrift „Freie Bühne“, die das Projekt Volksbühne begleitete, veröffentlichte auch sie Artikel und Rezensionen. In diesem Zusammenhang wuchs ihr Interesse an den Dramen von Henrik Ibsen, mit denen die Volksbühne eröffnet worden war. Sie untersuchte seine Darstellung von Eheproblemen mit der für sie selbst bedeutsamen Fragestellung: Wie muss eine Ehe beschaffen sein, um auch der Selbstverwirklichung, besonders der Frauen, Raum zu lassen? Ihr Buch „Henrik Ibsens Frauengestalten“ von 1892 zu diesem Thema erhielt ungeteilten Beifall und festigte ihren Ruf als beachtenswerte Autorin.
Rainer Maria Rilke, gezeichnet von Emil Orlik 1917
Rainer Maria Rilke hatte sich seit 1896 in München aufgehalten und war mit literarisch noch recht anspruchslosen Gedichten und Erzählungen einigermaßen erfolgreich. Als Lou Andreas-Salomé im Frühjahr 1897 von Berlin aus ihre Freundin Frieda von Bülow in München besuchte, wurde ihr Rilke bei Jakob Wassermann vorgestellt. Was sie zu jenem Zeitpunkt nicht wusste: Schon vorher hatte er ihr eine Reihe von anonymen Briefen mit beigefügten Gedichten zukommen lassen. Nun versicherte er ihr, wie überaus beeindruckt er von ihrem religionsphilosophischen Essay „Jesus der Jude“ gewesen sei, in dem sie „mit der gigantischen Wucht einer heiligen Überzeugung so meisterhaft klar ausgesprochen“ habe, was er selbst in einem Gedichtzyklus ausdrücken wollte; er lief „mit ein paar Rosen in der Stadt und dem Anfang des Englischen Gartens herum …, um Ihnen die Rosen zu schenken“,[4] las ihr aus seinen Arbeiten vor, widmete ihr ein eigenes Gedicht – wenig später hatte er mit seiner intensiven Werbung Erfolg.
Es folgten einige gemeinsame Sommermonate in der Marktgemeinde Wolfratshausen im Isartal nahe München. Sie bewohnten drei Kammern in einem Bauernhaus und nannten die Unterkunft „Loufried“. Als Lou Andreas-Salomé zurück nach Berlin ging, folgte Rilke ihr dorthin. Er war 21 Jahre alt. Andreas-Salomé, die er als mütterliche Geliebte überschwänglich verehrte, war 36. Auch sie war heftig verliebt, behielt aber, ihrem Wesen entsprechend, gleichzeitig die Kontrolle über sich und die Situation. Sie veranlasste ihn, an seinem sprachlichen Ausdruck zu arbeiten, den sie als übertrieben pathetisch empfand. Ihrem Vorschlag entsprechend änderte er seinen eigentlichen Vornamen René zu Rainer. Sie machte ihn mit dem Denken Nietzsches bekannt und lenkte sein Interesse auf ihre Heimat Russland; er lernte Russisch und begann, Turgenjew und Tolstoi im Original zu lesen. Dies alles geschah vorwiegend in der engen Berliner Wohnung des Ehepaares Andreas-Salomé. Rilke hatte sich ganz in der Nähe eingemietet, hielt sich aber meist bei Lou Andreas-Salomé auf, die in der Küche ihren Wohn- und Arbeitsraum hatte, während ihr Mann im Wohnzimmer arbeitete. Andreas-Salomé stellte bald fest, dass die innere Abhängigkeit des jungen, psychisch labilen Dichters ihr gegenüber ständig zunahm – eine unerwünschte Entwicklung. So drängte sie ihn im Frühjahr 1898 zu einer Italienreise, auf der sie ihn nicht begleitete.
In den Jahren 1899 und 1900 unternahmen sie dann gemeinsam zwei Reisen nach Russland, die erste, kürzere (25. April bis 18. Juni 1899) noch in Begleitung von Andreas. Die zweite Reise dauerte vom 7. Mai bis zum 24. August 1900 und gilt als Wendepunkt in der Beziehung zwischen Andreas-Salomé und Rilke (eine dritte Reise wurde für 1901 geplant, kam aber nicht zustande). Die Pfingstwoche verbrachten beide in Kiew. Die starken Eindrücke und Empfindungen dieser Zeit sollen ihren Niederschlag in seinem berühmten Stundenbuch gefunden haben (geschrieben 1899 bis 1903). Sie gaben ihm aber auch Anlass zu Weinkrämpfen, zu „Angstverfassungen und körperlichen Anfällen“, wie Andreas-Salomé sich in ihrem Lebensrückblick erinnerte. Sie war erschrocken und besorgt, vermutete als Hintergrund eine ernsthafte psychische Erkrankung. Während eines Abstechers im August 1900 zum Urlaubsort ihrer Familie in Finnland beschloss sie, sich von Rilke zu trennen. Tatsächlich beendete sie die Liebesbeziehung dann erst mit einem Abschiedsbrief vom 26. Februar 1901. In der Zwischenzeit bekräftigte sie ihren Vorsatz in Tagebuchnotizen: „Was ich will vom kommenden Jahr, was ich brauche, ist fast nur Stille, – mehr Alleinsein, so wie es bis vor vier Jahren war. Das wird, muss wiederkommen“ – „Mich vor R. mit Lügen verleugnet“ – „Damit R. fortginge, ganz fort, wäre ich einer Brutalität fähig (Er muss fort!)“[4]
Die leidenschaftliche Beziehung ging über in eine enge Freundschaft, die bis zu Rilkes Tod im Jahre 1926 anhielt. 1937 erinnerte Sigmund Freud in seinem Nachruf auf Lou Andreas Salomé daran, „dass sie dem großen, im Leben ziemlich hilflosen Dichter Rainer Maria Rilke zugleich Muse und sorgsame Mutter gewesen war“.
Weiter geht es in Teil 2
Lou Andreas-Salomé (geborene Louise von Salomé; gelegentliches Pseudonym Henri Lou; * 12. Februar 1861 in St. Petersburg; † 5. Februar 1937 in Göttingen) war eine weitgereiste Schriftstellerin, Erzählerin, Essayistin und Psychoanalytikerin aus russisch-deutscher Familie. Die Art ihrer persönlichen Beziehungen zu prominenten Vertretern des deutschen Geisteslebens – in erster Linie zu Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud – war und ist bis heute Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen.
Lou Andreas-Salomé 1907, Fotografie von Atelier Elvira
Ihr Vater Gustav Salomé stammte von südfranzösischen Hugenotten ab und kam 1810 als Kind mit seiner Familie nach St. Petersburg. Eine militärische Karriere führte ihn bis in den Generalstab der russischen Armee. 1831 wurde er durch Zar Nikolaus I. in den Adelsstand erhoben. Die Mutter, Louise, geb. Wilm war norddeutsch-dänischer Herkunft. Die beiden heirateten 1844, ihre Tochter Louise von Salomé kam als jüngstes von sechs Kindern und einziges Mädchen am 12. Februar 1861 in St. Petersburg zur Welt. Sie wuchs als Liebling des Vaters in einer wohlhabenden, kulturell vielseitig interessierten Familie auf, in der drei Sprachen gesprochen wurden: Deutsch, Französisch und Russisch. In der glücklichen und anregenden Kindheit sehen Biographen die Grundlage für ihre gleichbleibend starke intellektuelle Neugier, für ihre innere Sicherheit und Unabhängigkeit, auch für ihre Souveränität im Umgang mit mehr oder weniger bedeutenden Männern. Kurz vor ihrem Tod beschrieb sie ihr Lebensgefühl: „Es mag mir geschehen, was will – ich verliere nie die Gewissheit, dass hinter mir Arme geöffnet sind, um mich aufzunehmen“.[1]
Lou von Salomé im Alter von 16 Jahren
Einige Aufregung und Spannungen innerhalb ihrer streng protestantischen Familie verursachte Louise, als sie die Konfirmation durch den dogmatischen Pastor der zuständigen reformierten Gemeinde verweigerte und mit 16 Jahren aus der Kirche austrat. Als Achtzehnjährige war sie fasziniert von den Predigten eines anderen protestantischen Pastors in St. Petersburg, des Holländers Hendrik Gillot, der sie als Schülerin annahm und mit ihr philosophische, literarische und religiöse Themen besprach. Umfang und Intensität dieser Studien sind aus ihren Notizbüchern ablesbar. Es gehörten dazu: Vergleichende Religionsgeschichte; Grundvorstellungen der Religionsphänomenologie. Dogmatismus, messianische Vorstellungen im Alten Testament und der Glaubenssatz von der Dreifaltigkeit; Philosophie, Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie; das französische Theater vor Corneille, die klassische französische Literatur, Descartes und Pascal; Schiller, Kant und Kierkegaard, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Fichte und Schopenhauer. Hier werden die Grundzüge jener umfassenden Bildung sichtbar, die, ebenso wie ihre rasche Auffassungsgabe, spätere Gesprächspartner immer wieder beeindruckte.
Gillot war 25 Jahre älter als sie und hatte zwei nahezu erwachsene Töchter. Nun kündigte er an, dass er sich von seiner Frau trennen wolle, und machte seiner Schülerin einen Heiratsantrag. Von Salomé lehnte ab. An einer Ehe und einem sexuellen Verhältnis war sie nicht interessiert; sie war regelrecht enttäuscht und schockiert durch diese Entwicklung, blieb aber mit Gillot befreundet. Dieses Muster wiederholte sich häufig in ihrem Leben: Männer machten ihr weitgehende Angebote (körperliche Intimität meist eingeschlossen), sie nahm davon, was sie wünschte; sie bestimmte die Bedingungen. Mit Gillot unternahm sie noch eine Reise nach Holland. Dort ließ sie sich von ihm konfirmieren – sie hätte sonst keinen eigenen Pass bekommen – und wurde von ihm auf den Namen „Lou“ getauft.
Nach dem Tod des Vaters (1879) zog Lou von Salomé zusammen mit ihrer Mutter im Herbst 1880 nach Zürich und begann ein Studium an der dortigen Universität, die als eine von wenigen Hochschulen jener Zeit auch Frauen zum Studium annahm. Zuvor hatte sie einen Eignungstest zu bestehen, weil ihr der verlangte Schulabschluss fehlte. Sie hörte unter anderem Religionswissenschaften, Logik, Metaphysik, Archäologie und Geschichte. Ein Lungenleiden zwang sie zur Unterbrechung des Studiums, man empfahl ihr zur Heilung ein wärmeres Klima. Im Februar 1882 trafen Mutter und Tochter in Rom ein.
Ein Empfehlungsschreiben verschaffte Lou von Salomé Zugang zum Bekanntenkreis der Schriftstellerin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Malwida von Meysenbug, die einst wegen ihrer offenen Sympathien für die Revolutionäre von 1848 aus Berlin ausgewiesen worden war und inzwischen in Rom einen Zirkel von Künstlern und Intellektuellen in der Tradition der Berliner Salons etabliert hatte. In diesem Kreis verkehrten der Philosoph Paul Rée, ein Freund Friedrich Nietzsches, und auch Nietzsche selbst. Rée verliebte sich umgehend in Lou von Salomé, hielt um ihre Hand an und wurde abgewiesen; zwischen beiden entwickelte sich aber eine enge Freundschaft. Als Nietzsche im April 1882 Rom erreichte, war er durch enthusiastische Briefe von Rée auf die Begegnung mit von Salomé vorbereitet. Auch er war von der „jungen Russin“ entzückt und machte ihr einen Heiratsantrag, ausgerechnet durch Rée als Vermittler. Auch er wurde zurückgewiesen, war aber als Freund, Lehrer und Gesprächspartner hochwillkommen.
Denn sie hatte inzwischen, ohne ihn persönlich zu kennen, das Wunschbild einer intensiven Arbeitsgemeinschaft (der von ihr so genannten „Dreieinigkeit“) mit Nietzsche, Rée und sich selbst entworfen. Man würde in Wien oder Paris freundschaftlich zusammenleben, studieren, schreiben und diskutieren. Diese ihre Idealvorstellung, die zu dritt eifrig besprochen wurde, ließ sich nicht verwirklichen. Sie scheiterte letztlich an der Eifersucht der beiden Männer – sie wollten sich nicht auf die ihnen zugedachten Rollen festlegen lassen (andererseits hatte Nietzsche mehrfach die Befürchtung geäußert, dass jede wirklich enge, dauerhafte Bindung ihn an der Vollendung seines Lebenswerkes hindern könnte). Die Freundschaft zwischen von Salomé und Paul Rée war relativ unkompliziert, dabei enger und vertrauter als die zu Nietzsche – man duzte sich, schickte sich Tagebuchblätter zu und beriet sich über den jeweiligen Stand der Dinge im Verhältnis zu Nietzsche, der von alledem nichts wusste.
Dessen Situation wurde zunehmend unbefriedigender. Anfang Mai 1882 hatte er allein mit von Salomé einen langen Ausflug am Sacro Monte di Orta in Oberitalien gemacht – seither Anlass für Mutmaßungen darüber, wie nahe sich die beiden dabei gekommen waren. Mitte Mai dann in Luzern ein neuer Heiratsantrag, der wieder abgewiesen wurde. Hier entstand das bekannte Foto, von Nietzsche selbst in allen Einzelheiten arrangiert, auf dem von Salomé ihn und Rée vor ihren Karren spannt. Wenig später begann Nietzsches Schwester Elisabeth, sich in die Angelegenheiten ihres Bruders einzumischen. Sie berichtete ihm von dem angeblich „leichtfertigen“ und „skandalösen“ Verhalten seiner Freundin während der Festspiele in Bayreuth und unterrichtete auch ihre Mutter über die aus ihrer Sicht moralisch bedenkliche Affäre. Nietzsche war empört über die Einmischung seiner Familie, litt aber auch unter den Details, die ihm zugetragen worden waren. Den Sommer 1882 verbrachten Nietzsche und von Salomé philosophierend in Tautenburg. Die Beziehung der beiden wurde von manchen Zeitgenossen – etwa dem in Tautenburg ansäßigen Pfarrer Hermann Otto Stölten – kritisch gesehen.[2]
Nietzsches Beziehung zu Lou von Salomé endete nach einer letzten Begegnung mit ihr und Rée im Herbst 1882 in Leipzig, von wo von Salomé abreiste, ohne sich von ihm zu verabschieden. Danach änderten sich Nietzsches Einstellung und Verhalten beiden gegenüber. In einem Briefentwurf vom Dezember 1882 äußerte er Verzweiflung und Selbstmitleid: „An jedem Morgen verzweifle ich, wie ich den Tag überdaure … Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, dass ich die Vernunft verliere: Wo ist noch ein M(ensch) den man verehren könnte! Aber ich kenne Euch alle durch und durch“.[3] In unbeherrschter Eifersucht machte er Rée und Lou schwere Vorwürfe und verstieg sich zu wilden Beschimpfungen und Beleidigungen auch gegenüber Dritten. Danach sah man sich nie wieder.
Später bedauerte Nietzsche in einem Brief an seine Schwester sein Verhalten – und zwar sowohl in Hinblick auf die verlorene Freundschaft, als auch aus grundsätzlichen Erwägungen: „Nein, ich bin nicht gemacht zu Feindschaft und Hass: und seit diese Sache so weit fortgeschritten ist, dass eine Versöhnung mit jenen beiden nicht mehr möglich ist, weiß ich nicht mehr, wie leben; ich denke fortwährend dran. Es ist unverträglich mit meiner ganzen Philosophie und Denkweise …“[3] Im Januar 1883 schrieb er in Rapallo den ersten Teil des Zarathustra, überwand so seine akute Krise und hatte sich, wie er anmerkte, „einen schweren Stein von der Seele gewälzt“. Aus den Kapiteln, die sich auf das Wesen der Frauen beziehen, kann man Spuren seiner Erfahrungen mit von Salomé herauslesen, zugleich aber auch Abschluss und Bewältigung dieser Episode seines Lebens. Er blieb bis zu seinem Lebensende allein; nach seinem völligen geistigen Zusammenbruch im Januar 1889 wurde er von Mutter und Schwester gepflegt, bis er am 25. August 1900 starb. In ihrem Buch „Nietzsche in seinen Werken“ von 1894 versuchte von Salomé, auf der Grundlage ihrer genauen Textkenntnis und ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem schwierigen Freund, den „Denker durch den Menschen zu erläutern“. Anna Freud sprach später davon, Lou Andreas-Salomé habe mit diesem Buch über Nietzsche die Psychoanalyse vorweggenommen.
Lou von Salomé und Paul Rée lebten drei Jahre lang freundschaftlich zusammen in Berlin und trennten sich 1885. Reé kam 1901 bei einer Bergwanderung ums Leben; ungeklärt blieb, ob durch einen Unfall oder durch Suizid.
Das Paar Salomé/Andreas 1886
m August 1886 lernte Lou von Salomé in Berlin den Orientalisten Friedrich Carl Andreas kennen. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, dunkelhaarig, temperamentvoll und bald fest entschlossen, sie zu heiraten. Seine entschiedene Absicht unterstrich er durch einen Selbstmordversuch vor ihren Augen. Nach längeren inneren Kämpfen willigte sie 1887 in die Eheschließung ein, stellte aber Bedingungen. Die Hauptsache: sie werde sich niemals bereit finden, die Ehe sexuell zu vollziehen. Aus welchen Gründen Andreas dies akzeptierte, ist nicht bekannt. Falls er hoffte – wie meist vermutet wird –, dass sie es damit nicht dauerhaft ernst meinen werde, sah er sich enttäuscht. In den ersten Ehejahren gab es immer wieder Eifersuchtsszenen wegen ihrer Beziehungen zu anderen Männern. Dennoch lehnte Andreas es mehrmals ab, sich scheiden zu lassen. In Berlin bewohnte das Paar nacheinander verschiedene Wohnungen, zeitweilig hatte Andreas berufliche Schwierigkeiten und nur sehr geringe Einnahmen, so dass die ebenfalls recht begrenzten Einkünfte, die seine Frau als Schriftstellerin erzielte, dringend gebraucht wurden.
Lou Andreas-Salomés Leben bestand aus einer konventionellen, bürgerlichen Hälfte mit Ehemann, hausfraulicher Pflichterfüllung und geistiger Arbeit – und einem anderen Bereich, in dem sie weder Pflichten noch engere Bindungen akzeptierte und mit gelegentlichen, inoffiziellen Liebhabern unterwegs war. Gleichzeitig warf sie ihrem Mann anfangs dessen Beziehung zu ihrer Haushälterin Marie vor. Doch kümmerte auch sie sich um das Kind aus dieser Verbindung, nachdem die Mutter früh gestorben war, und setzte es später als Haupterbin ein. Auf lange Sicht erwies sich die schwierige, widersprüchliche Ehe als unerwartet haltbar. Seit Friedrich Carl Andreas im Frühjahr 1903 auf den Lehrstuhl für Westasiatische Sprachen an der Universität Göttingen berufen worden war, lebte das Paar dort im eigenen Haus (von ihr „Loufried“ genannt, wie schon ein früherer Aufenthaltsort) – er mit der Haushälterin im Erdgeschoss, sie im Stockwerk darüber. Sie betreute, wenn sie in Göttingen war, den Garten am Haus, sie baute Gemüse an und hielt Hühner, führte aber im Wesentlichen weiterhin ein unabhängiges, reisefreudiges Leben. In ihren Tagebuchnotizen erscheint dieser Lebensabschnitt, insbesondere das Verhältnis zu ihrem Mann, wesentlich entspannter als die Zeit zuvor.
Der Berliner Kreis
Als Lou von Salomé in Berlin mit Paul Rée zusammenwohnte, also von 1882 bis 1885, bestand ihr gemeinsamer Bekanntenkreis hauptsächlich aus Wissenschaftlern – den Freunden und Fachkollegen Rées. Von Salomé war die einzige Frau in diesem Kreis, sie genoss die Verehrung der Männer und die Teilnahme an den philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskussionen. 1885 erschien unter dem Pseudonym Henri Lou ihr erstes Buch, der Roman Im Kampf um Gott, Thema: „Was geschieht, wenn der Mensch seinen Glauben verliert?“ Mit dem Problem musste sie sich in ihrer eigenen Jugend schon beschäftigen. Die Kritiken waren gut, das Pseudonym schnell durchschaut, der Erfolg machte sie in weiteren Kreisen der Berliner Gesellschaft bekannt.
Nach ihrer Heirat mit Friedrich Carl Andreas ergaben sich neue Kontakte, insbesondere zum sogenannten „Friedrichshagener Dichterkreis“ und zum „Freundeskreis der Freien Volksbühne“ – beide personell zu großen Teilen identisch. Um 1890 hatte sich in dem idyllischen Berliner Vorort Friedrichshagen eine lose Vereinigung von Schriftstellern und Naturliebhabern zusammengefunden, mit dem Ziel, ein zwangloses Leben zu führen sowie Dichtung und Theater im Sinne des Naturalismus zu erneuern. Bruno Wille, einer der Initiatoren, gehörte 1890 zu den Gründern der „Freien Volksbühne“, die Arbeitern den Zugang zur dramatischen Kunst ermöglichen sollte. Zu den Mitgliedern oder Sympathisanten dieser Initiativen gehörten unter anderen Otto Brahm, Richard Dehmel, Max Halbe, Knut Hamsun, Maximilian Harden, Gerhart Hauptmann, Hugo Höppener (genannt Fidus), Erich Mühsam und Frank Wedekind, vorübergehend auch August Strindberg. Bald war Lou Andreas-Salomé mit einer Anzahl von ihnen befreundet oder gut bekannt, besonders Hauptmann und Harden waren von ihr beeindruckt. In der Zeitschrift „Freie Bühne“, die das Projekt Volksbühne begleitete, veröffentlichte auch sie Artikel und Rezensionen. In diesem Zusammenhang wuchs ihr Interesse an den Dramen von Henrik Ibsen, mit denen die Volksbühne eröffnet worden war. Sie untersuchte seine Darstellung von Eheproblemen mit der für sie selbst bedeutsamen Fragestellung: Wie muss eine Ehe beschaffen sein, um auch der Selbstverwirklichung, besonders der Frauen, Raum zu lassen? Ihr Buch „Henrik Ibsens Frauengestalten“ von 1892 zu diesem Thema erhielt ungeteilten Beifall und festigte ihren Ruf als beachtenswerte Autorin.
Rainer Maria Rilke, gezeichnet von Emil Orlik 1917
Rainer Maria Rilke hatte sich seit 1896 in München aufgehalten und war mit literarisch noch recht anspruchslosen Gedichten und Erzählungen einigermaßen erfolgreich. Als Lou Andreas-Salomé im Frühjahr 1897 von Berlin aus ihre Freundin Frieda von Bülow in München besuchte, wurde ihr Rilke bei Jakob Wassermann vorgestellt. Was sie zu jenem Zeitpunkt nicht wusste: Schon vorher hatte er ihr eine Reihe von anonymen Briefen mit beigefügten Gedichten zukommen lassen. Nun versicherte er ihr, wie überaus beeindruckt er von ihrem religionsphilosophischen Essay „Jesus der Jude“ gewesen sei, in dem sie „mit der gigantischen Wucht einer heiligen Überzeugung so meisterhaft klar ausgesprochen“ habe, was er selbst in einem Gedichtzyklus ausdrücken wollte; er lief „mit ein paar Rosen in der Stadt und dem Anfang des Englischen Gartens herum …, um Ihnen die Rosen zu schenken“,[4] las ihr aus seinen Arbeiten vor, widmete ihr ein eigenes Gedicht – wenig später hatte er mit seiner intensiven Werbung Erfolg.
Es folgten einige gemeinsame Sommermonate in der Marktgemeinde Wolfratshausen im Isartal nahe München. Sie bewohnten drei Kammern in einem Bauernhaus und nannten die Unterkunft „Loufried“. Als Lou Andreas-Salomé zurück nach Berlin ging, folgte Rilke ihr dorthin. Er war 21 Jahre alt. Andreas-Salomé, die er als mütterliche Geliebte überschwänglich verehrte, war 36. Auch sie war heftig verliebt, behielt aber, ihrem Wesen entsprechend, gleichzeitig die Kontrolle über sich und die Situation. Sie veranlasste ihn, an seinem sprachlichen Ausdruck zu arbeiten, den sie als übertrieben pathetisch empfand. Ihrem Vorschlag entsprechend änderte er seinen eigentlichen Vornamen René zu Rainer. Sie machte ihn mit dem Denken Nietzsches bekannt und lenkte sein Interesse auf ihre Heimat Russland; er lernte Russisch und begann, Turgenjew und Tolstoi im Original zu lesen. Dies alles geschah vorwiegend in der engen Berliner Wohnung des Ehepaares Andreas-Salomé. Rilke hatte sich ganz in der Nähe eingemietet, hielt sich aber meist bei Lou Andreas-Salomé auf, die in der Küche ihren Wohn- und Arbeitsraum hatte, während ihr Mann im Wohnzimmer arbeitete. Andreas-Salomé stellte bald fest, dass die innere Abhängigkeit des jungen, psychisch labilen Dichters ihr gegenüber ständig zunahm – eine unerwünschte Entwicklung. So drängte sie ihn im Frühjahr 1898 zu einer Italienreise, auf der sie ihn nicht begleitete.
In den Jahren 1899 und 1900 unternahmen sie dann gemeinsam zwei Reisen nach Russland, die erste, kürzere (25. April bis 18. Juni 1899) noch in Begleitung von Andreas. Die zweite Reise dauerte vom 7. Mai bis zum 24. August 1900 und gilt als Wendepunkt in der Beziehung zwischen Andreas-Salomé und Rilke (eine dritte Reise wurde für 1901 geplant, kam aber nicht zustande). Die Pfingstwoche verbrachten beide in Kiew. Die starken Eindrücke und Empfindungen dieser Zeit sollen ihren Niederschlag in seinem berühmten Stundenbuch gefunden haben (geschrieben 1899 bis 1903). Sie gaben ihm aber auch Anlass zu Weinkrämpfen, zu „Angstverfassungen und körperlichen Anfällen“, wie Andreas-Salomé sich in ihrem Lebensrückblick erinnerte. Sie war erschrocken und besorgt, vermutete als Hintergrund eine ernsthafte psychische Erkrankung. Während eines Abstechers im August 1900 zum Urlaubsort ihrer Familie in Finnland beschloss sie, sich von Rilke zu trennen. Tatsächlich beendete sie die Liebesbeziehung dann erst mit einem Abschiedsbrief vom 26. Februar 1901. In der Zwischenzeit bekräftigte sie ihren Vorsatz in Tagebuchnotizen: „Was ich will vom kommenden Jahr, was ich brauche, ist fast nur Stille, – mehr Alleinsein, so wie es bis vor vier Jahren war. Das wird, muss wiederkommen“ – „Mich vor R. mit Lügen verleugnet“ – „Damit R. fortginge, ganz fort, wäre ich einer Brutalität fähig (Er muss fort!)“[4]
Die leidenschaftliche Beziehung ging über in eine enge Freundschaft, die bis zu Rilkes Tod im Jahre 1926 anhielt. 1937 erinnerte Sigmund Freud in seinem Nachruf auf Lou Andreas Salomé daran, „dass sie dem großen, im Leben ziemlich hilflosen Dichter Rainer Maria Rilke zugleich Muse und sorgsame Mutter gewesen war“.
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Teil 2
Bei einem Aufenthalt in Schweden begann Lou Andreas-Salomé ein intensives Verhältnis mit einem 15 Jahre jüngeren Mann, dem Nervenarzt und Freudianer Poul Bjerre. Als er 1911 zum Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung nach Weimar fuhr, begleitete sie ihn und traf dort erstmals mit Sigmund Freud zusammen. Er wurde zur entscheidenden Bezugsperson ihrer letzten 25 Lebensjahre. Sie ahnte und hoffte, dass die neue Denkschule der Psychoanalyse – mit Freud als Vaterfigur – ihr Zugang verschaffen könnte zum Verständnis der eigenen seelischen Verfassung. Von Oktober 1912 bis April 1913 hielt sie sich in Wien auf, später folgten viele weitere Besuche. Sie hörte im Wintersemester 1912/1913 Freuds Vorlesung in der Psychiatrischen Klinik über „Einzelne Kapitel aus der Lehre von der Psychoanalyse“ und nahm an seinen „Mittwochssitzungen“ und „Samstags-Kollegs“ teil. Mit ausdrücklicher Zustimmung Freuds beteiligte sie sich aber auch an den Diskussionsabenden Alfred Adlers, der sich 1911 von der orthodoxen psychoanalytischen Schule Freuds distanziert und mit seinem Verein für Individualpsychologie eine eigene tiefenpsychologische Schule begründet hatte.
Sigmund Freud hielt sehr viel von seiner Schülerin. In einer engen, rein platonischen Beziehung wurde sie für ihn durch ihren Wissensdurst, ihre Neugier auf menschliche Verhaltensweisen und die intensive Suche nach deren Verständnis eine hochgeschätzte Diskussionspartnerin. Sogar ihre eigenwillige Ausdeutung psychoanalytischer Konzepte, denen sie eine vorwiegend poetische und literarische Form gab, akzeptierte er ohne Widerspruch. Er fand, sie sei die „Dichterin der Psychoanalyse“, während er selbst Prosa schreibe. In der „Schule bei Freud“ (so der Titel ihres postum veröffentlichten Tagebuches der Jahre 1912/1913) lernte Lou Andreas-Salomé, ihr eigenes Leben besser zu verstehen und zu beherrschen, darauf legte sie in Hinblick auf ihr fortgeschrittenes Alter besonderen Wert.
Freud riet ihr zum Beruf der Psychoanalytikerin. Sie schrieb Aufsätze für die psychoanalytische Zeitschrift „Imago“ und war schon 1913 Gastrednerin beim Psychoanalytischen Kongress in Berlin. 1915 eröffnete sie in ihrem Göttinger Wohnhaus die erste psychoanalytische Praxis der Stadt. 1921 wurde sie Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Im selben Jahr begann ihre Freundschaft mit Anna, einer der drei Töchter Freuds. 1923 ging sie auf Bitten Sigmund Freuds für ein halbes Jahr als Lehranalytikerin nach Königsberg, fünf Ärzte absolvierten bei ihr eine Lehranalyse (die sie selbst nie durchlaufen hatte). Zum 75. Geburtstag ihres Freundes und Lehrers am 6. Mai 1931 schrieb sie den offenen Brief „Mein Dank an Freud“. Der Adressat antwortete ihr: „Es ist gewiss nicht oft vorgekommen, dass ich eine psa. [psychoanalytische] Arbeit bewundert habe, anstatt sie zu kritisieren. Das muss ich diesmal tun. Es ist das Schönste, was ich von Ihnen gelesen habe, ein unfreiwilliger Beweis Ihrer Überlegenheit über uns alle.“[5]
Grabstelle in Göttingen
Lou Andreas-Salomé war schwächlich und herzkrank, musste mehrmals im Krankenhaus behandelt werden. Ihr Ehemann besuchte sie täglich, eine beschwerliche Situation für den alten, ebenfalls kranken Mann. Nach einer vierzigjährigen Ehe mit gegenseitigen Kränkungen und lang andauernder Sprachlosigkeit waren die beiden sich nähergekommen. Sigmund Freud begrüßte das aus der Ferne: „So dauerhaft beweist sich doch nur das Echte“. Friedrich Carl Andreas starb 1930 an einem Krebsleiden. Lou Andreas-Salomé musste sich 1935 einer schweren Krebsoperation unterziehen. Zuvor hatte sie ihren letzten Patienten abgegeben. Am Abend des 5. Februar 1937 starb sie im Schlaf. Ihre Urne wurde im Grab ihres Mannes auf dem Stadtfriedhof in Göttingen beigesetzt.
Ein paar Tage nach ihrem Tod wurde ihre Bibliothek von der Göttinger Polizei auf Anordnung der Gestapo konfisziert und in den Keller des Rathauses gebracht. Als Begründung der Beschlagnahmung wurde angegeben, Lou Andreas-Salomé sei Psychoanalytikerin gewesen, sie habe eine „jüdische Wissenschaft“ betrieben, sie sei Mitarbeiterin von Sigmund Freud gewesen und in ihrer Bibliothek fänden sich zahlreiche Werke jüdischer Autoren.[6]
Ein Gedenkstein am neubebauten Grundstück ihres einstigen Wohnhauses, ein „Lou-Andreas-Salomé-Weg“ und das „Lou Andreas-Salomé Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie“ erinnern in Göttingen an die ehemalige Mitbürgerin.
Rezeption von Leben und Werk
Ihre oft gerühmte persönliche Ausstrahlung, ihre Bildung und intellektuelle Beweglichkeit, die Freundschaft mit namhaften Zeitgenossen und ihre unkonventionelle Lebensführung sicherten Lou Andreas-Salomé einen Platz in der deutschen Kulturgeschichte. Ihr Leben war und ist Gegenstand von Biographien, von Texten, in denen ihre Kontakte zu Berühmtheiten der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte erörtert werden, von Romanliteratur und Musiktheater (der Oper Lou Salomé von Giuseppe Sinopoli zum Beispiel, die 1981 in München uraufgeführt wurde).
Verglichen damit fand ihr eigenes schriftstellerisches Werk seither wenig Beachtung – es verschwand hinter der außergewöhnlichen Geschichte ihres Lebens. Dabei hatte sie ja als renommierte Autorin an der Entwicklung der Positionen der Moderne um 1900 lebhaft mitgewirkt. In Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterkritiken, Schriften über Ibsen, Nietzsche, Rilke und Freud, einer Autobiographie, zahlreichen Texten über Philosophie und Psychoanalyse, einem weitläufigen Briefwechsel beteiligte sie sich an den Diskussionen über grundlegende Fragen der Zeit – mit Beiträgen zur Lebensreformbewegung, zum Monismus, zur Emanzipation der Frauen, der Reformpädagogik, den Anfängen von Soziologie und Psychoanalyse. In ihren Romanen und Erzählungen behandelte sie Probleme moderner Frauen, die in einer traditionsverhafteten Umwelt eigene Wege zu beschreiten versuchen; trotz dieser Themenwahl und ihrer eigenen, für Frauen ihrer Zeit atypischen Lebensweise hielt sie Distanz zu den sozialen und politischen Zielen und Aktivitäten der Frauenbewegung ihrer Zeit. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Großteil ihrer Arbeiten gesichtet und herausgegeben.
Persönliche Urteile
„Sie war ein ungewöhnlicher Mensch, das merkte man sofort. Sie hatte die Gabe, sich unmittelbar in die Gedankenwelt eines anderen zu versetzen … In meinem langen Leben habe ich nie wieder jemanden getroffen, der mich so schnell, so gut und so vollkommen verstand wie Lou. Sie hatte einen ungewöhnlich starken Willen und Freude daran, über Männer zu triumphieren. Zwar konnte sie entflammen, aber nur für Augenblicke und in einer seltsam kalten Leidenschaft. Sie hat mir weh getan, aber sie hat mir auch viel gegeben.“
– Poul Bjerre[7]
„Sie ist ein energisches, unglaublich kluges Wesen … Ich halte bei Fräulein von Meysenbug Vorträge über mein Buch, was mich einigermaßen fördert, zumal auch die Russin zuhört, welche alles durch und durch hört, so dass sie in fast ärgerlicher Weise schon immer vorweg weiß, was kommt, und worauf es hinaus soll. Rom wäre nicht für Sie. Aber die Russin müssen Sie durchaus kennenlernen.“
– Paul Rée: Brief an Nietzsche[8]
„Lou ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe … Nach Bayreuth kommt sie zu mir, und im Herbst siedeln wir zusammen nach Wien über. Wir werden in einem Hause wohnen und zusammen arbeiten; sie ist auf die erstaunlichste Weise gerade für meine Denk- und Gedankenweise vorbereitet. Lieber Freund, Sie erweisen uns beiden sicherlich die Ehre, den Begriff einer Liebschaft von unserem Verhältnis fernzuhalten. Wir sind Freunde und ich werde dieses Mädchen und dieses Vertrauen zu mir heilig halten. – Übrigens hat sie einen unglaublich sicheren und lauteren Charakter.“
– Friedrich Nietzsche: Brief an seinen Mitarbeiter und Sekretär Peter Gast (eigentlich Heinrich Köselitz – Nietzsche hatte ihm zu dem neuen Namen geraten)
„Diese dürre, schmutzige, übelriechende Äffin mit ihren falschen Brüsten – ein Verhängnis!“
– Friedrich Nietzsche: Brief an Paul Rées Bruder Georg nach der Trennung von Lou Andreas-Salomé[9]
„Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.“
– Rainer Maria Rilke: Gedicht, nachdem sich Lou von ihm getrennt hatte[4]
„Die letzten 25 Lebensjahre dieser außerordentlichen Frau gehörten der Psychoanalyse an, zu der sie wertvolle wissenschaftliche Arbeiten beitrug und die sie auch praktisch ausübte. Ich sage nicht viel, wenn ich bekenne, dass wir es alle als eine Ehre empfanden, als sie in die Reihen unserer Mitarbeiter und Mitkämpfer eintrat … Meine Tochter [Anna], die mit ihr vertraut war, hat sie bedauern gehört, dass sie die Psychoanalyse nicht in ihrer Jugend kennengelernt hatte. Freilich gab es damals noch keine …“
– Sigmund Freud: Nachruf auf Lou Andreas-Salomé[4]
„Es ist weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen, wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht, vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weiteren Zusammenhängen.“
– Lou Andreas-Salomé[7]
„Ich bin Erinnerungen treu für immer: Menschen werde ich es niemals sein.“
– Lou Andreas-Salomé[4]
„Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten 'unübersteiglichen Schranken' die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“
– Lou Andreas-Salomé[10]
Werke
Im Kampf um Gott. 1885, ISBN 3-548-35174-3.
Henrik Ibsens Frauen-Gestalten. 1892. Neu herausgegeben mit Kommentaren und Nachwort von Cornelia Pechota, Taching am See 2012, ISBN 978-3-937211-32-9.
Friedrich Nietzsche in seinen Werken. 1894. Neu herausgegeben mit Anmerkungen von Thomas Pfeiffer. Frankfurt am Main/ Leipzig, Insel 2000, ISBN 3-458-34292-3.
Ruth. 1895, ISBN 978-3-937211-02-2.
Jesus der Jude. 1895; enthalten in, ISBN 978-3-937211-08-4.
Aus fremder Seele. 1896, ISBN 978-3-423-13596-2.
Fenitschka. Eine Ausschweifung, 1898, Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv, ISBN 3-548-30315-3.
Menschenkinder. 1899.
Ma (Roman). Ein Porträt, 1901
Im Zwischenland. 1902.
Die Erotik. 1910, ISBN 3-88221-302-7, ISBN 3-926023-17-1.
Elisabeth Siewert. In: Das literarische Echo. Hg. Ernst Heilborn. 14. Jg. 1911/12, 15. September 1912, Berlin, S. 1690–1695 (→ Zusammenfassung.).
Vom frühen Gottesdienst. 1913; enthalten in, ISBN 978-3-937211-08-4.
Zum Typus Weib. 1914; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Anal, Sexual. 1916; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Psychosexualität. 1917; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Drei Briefe an einen Knaben. 1917, ISBN 978-3-937211-05-3.
Narzißmus als Doppelrichtung. 1921; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Das Haus. Eine Familiengeschichte vom Ende des vorigen Jahrhunderts, 1921.
Die Stunde ohne Gott. und andere Kindergeschichten, 1922.
Der Teufel und seine Großmutter. (Traumspiel), 1922. Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf
Rodinka. Eine russische Erinnerung, 1923.
Rainer Maria Rilke (Buch des Gedenkens). 1928, ISBN 3-458-32744-4.
Mein Dank an Freud. Offener Brief, 1931; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Veröffentlichungen aus dem Nachlass
Lebensrückblick – Grundriß einiger Lebenserinnerungen. 1951/1994, ISBN 3-518-38840-1.
Rainer Maria Rilke – Lou Andreas Salomé: Briefwechsel. 1952.
In der Schule bei Freud – Tagebuch eines Jahres – 1912/1913. 1958.
Sigmund Freud – Lou Andreas-Salomé: Briefwechsel. 1966.
Friedrich Nietzsche, Paul Rée, Lou von Salomé. Die Dokumente ihrer Begegnung, 1970.
Amor (1897) – Jutta (1933) – Die Tarnkappe (?). Drei Dichtungen, 1981.
„Als käm ich heim zu Vater und Schwester“ Lou Andreas-Salomé – Anna Freud: Briefwechsel. 2001, Wallstein Verlag, Göttingen, ISBN 3-89244-213-4.
Le diable et sa grand-mère. 1922; Übersetzung und Anmerkungen von Pascale Hummel, 2005
L’heure sans Dieu et autres histoires pour enfants. 1922; Übersetzung und Anmerkungen von Pascale Hummel (2006)
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Sigmund Freud hielt sehr viel von seiner Schülerin. In einer engen, rein platonischen Beziehung wurde sie für ihn durch ihren Wissensdurst, ihre Neugier auf menschliche Verhaltensweisen und die intensive Suche nach deren Verständnis eine hochgeschätzte Diskussionspartnerin. Sogar ihre eigenwillige Ausdeutung psychoanalytischer Konzepte, denen sie eine vorwiegend poetische und literarische Form gab, akzeptierte er ohne Widerspruch. Er fand, sie sei die „Dichterin der Psychoanalyse“, während er selbst Prosa schreibe. In der „Schule bei Freud“ (so der Titel ihres postum veröffentlichten Tagebuches der Jahre 1912/1913) lernte Lou Andreas-Salomé, ihr eigenes Leben besser zu verstehen und zu beherrschen, darauf legte sie in Hinblick auf ihr fortgeschrittenes Alter besonderen Wert.
Freud riet ihr zum Beruf der Psychoanalytikerin. Sie schrieb Aufsätze für die psychoanalytische Zeitschrift „Imago“ und war schon 1913 Gastrednerin beim Psychoanalytischen Kongress in Berlin. 1915 eröffnete sie in ihrem Göttinger Wohnhaus die erste psychoanalytische Praxis der Stadt. 1921 wurde sie Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Im selben Jahr begann ihre Freundschaft mit Anna, einer der drei Töchter Freuds. 1923 ging sie auf Bitten Sigmund Freuds für ein halbes Jahr als Lehranalytikerin nach Königsberg, fünf Ärzte absolvierten bei ihr eine Lehranalyse (die sie selbst nie durchlaufen hatte). Zum 75. Geburtstag ihres Freundes und Lehrers am 6. Mai 1931 schrieb sie den offenen Brief „Mein Dank an Freud“. Der Adressat antwortete ihr: „Es ist gewiss nicht oft vorgekommen, dass ich eine psa. [psychoanalytische] Arbeit bewundert habe, anstatt sie zu kritisieren. Das muss ich diesmal tun. Es ist das Schönste, was ich von Ihnen gelesen habe, ein unfreiwilliger Beweis Ihrer Überlegenheit über uns alle.“[5]
Grabstelle in Göttingen
Lou Andreas-Salomé war schwächlich und herzkrank, musste mehrmals im Krankenhaus behandelt werden. Ihr Ehemann besuchte sie täglich, eine beschwerliche Situation für den alten, ebenfalls kranken Mann. Nach einer vierzigjährigen Ehe mit gegenseitigen Kränkungen und lang andauernder Sprachlosigkeit waren die beiden sich nähergekommen. Sigmund Freud begrüßte das aus der Ferne: „So dauerhaft beweist sich doch nur das Echte“. Friedrich Carl Andreas starb 1930 an einem Krebsleiden. Lou Andreas-Salomé musste sich 1935 einer schweren Krebsoperation unterziehen. Zuvor hatte sie ihren letzten Patienten abgegeben. Am Abend des 5. Februar 1937 starb sie im Schlaf. Ihre Urne wurde im Grab ihres Mannes auf dem Stadtfriedhof in Göttingen beigesetzt.
Ein paar Tage nach ihrem Tod wurde ihre Bibliothek von der Göttinger Polizei auf Anordnung der Gestapo konfisziert und in den Keller des Rathauses gebracht. Als Begründung der Beschlagnahmung wurde angegeben, Lou Andreas-Salomé sei Psychoanalytikerin gewesen, sie habe eine „jüdische Wissenschaft“ betrieben, sie sei Mitarbeiterin von Sigmund Freud gewesen und in ihrer Bibliothek fänden sich zahlreiche Werke jüdischer Autoren.[6]
Ein Gedenkstein am neubebauten Grundstück ihres einstigen Wohnhauses, ein „Lou-Andreas-Salomé-Weg“ und das „Lou Andreas-Salomé Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie“ erinnern in Göttingen an die ehemalige Mitbürgerin.
Rezeption von Leben und Werk
Ihre oft gerühmte persönliche Ausstrahlung, ihre Bildung und intellektuelle Beweglichkeit, die Freundschaft mit namhaften Zeitgenossen und ihre unkonventionelle Lebensführung sicherten Lou Andreas-Salomé einen Platz in der deutschen Kulturgeschichte. Ihr Leben war und ist Gegenstand von Biographien, von Texten, in denen ihre Kontakte zu Berühmtheiten der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte erörtert werden, von Romanliteratur und Musiktheater (der Oper Lou Salomé von Giuseppe Sinopoli zum Beispiel, die 1981 in München uraufgeführt wurde).
Verglichen damit fand ihr eigenes schriftstellerisches Werk seither wenig Beachtung – es verschwand hinter der außergewöhnlichen Geschichte ihres Lebens. Dabei hatte sie ja als renommierte Autorin an der Entwicklung der Positionen der Moderne um 1900 lebhaft mitgewirkt. In Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterkritiken, Schriften über Ibsen, Nietzsche, Rilke und Freud, einer Autobiographie, zahlreichen Texten über Philosophie und Psychoanalyse, einem weitläufigen Briefwechsel beteiligte sie sich an den Diskussionen über grundlegende Fragen der Zeit – mit Beiträgen zur Lebensreformbewegung, zum Monismus, zur Emanzipation der Frauen, der Reformpädagogik, den Anfängen von Soziologie und Psychoanalyse. In ihren Romanen und Erzählungen behandelte sie Probleme moderner Frauen, die in einer traditionsverhafteten Umwelt eigene Wege zu beschreiten versuchen; trotz dieser Themenwahl und ihrer eigenen, für Frauen ihrer Zeit atypischen Lebensweise hielt sie Distanz zu den sozialen und politischen Zielen und Aktivitäten der Frauenbewegung ihrer Zeit. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Großteil ihrer Arbeiten gesichtet und herausgegeben.
Persönliche Urteile
„Sie war ein ungewöhnlicher Mensch, das merkte man sofort. Sie hatte die Gabe, sich unmittelbar in die Gedankenwelt eines anderen zu versetzen … In meinem langen Leben habe ich nie wieder jemanden getroffen, der mich so schnell, so gut und so vollkommen verstand wie Lou. Sie hatte einen ungewöhnlich starken Willen und Freude daran, über Männer zu triumphieren. Zwar konnte sie entflammen, aber nur für Augenblicke und in einer seltsam kalten Leidenschaft. Sie hat mir weh getan, aber sie hat mir auch viel gegeben.“
– Poul Bjerre[7]
„Sie ist ein energisches, unglaublich kluges Wesen … Ich halte bei Fräulein von Meysenbug Vorträge über mein Buch, was mich einigermaßen fördert, zumal auch die Russin zuhört, welche alles durch und durch hört, so dass sie in fast ärgerlicher Weise schon immer vorweg weiß, was kommt, und worauf es hinaus soll. Rom wäre nicht für Sie. Aber die Russin müssen Sie durchaus kennenlernen.“
– Paul Rée: Brief an Nietzsche[8]
„Lou ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe … Nach Bayreuth kommt sie zu mir, und im Herbst siedeln wir zusammen nach Wien über. Wir werden in einem Hause wohnen und zusammen arbeiten; sie ist auf die erstaunlichste Weise gerade für meine Denk- und Gedankenweise vorbereitet. Lieber Freund, Sie erweisen uns beiden sicherlich die Ehre, den Begriff einer Liebschaft von unserem Verhältnis fernzuhalten. Wir sind Freunde und ich werde dieses Mädchen und dieses Vertrauen zu mir heilig halten. – Übrigens hat sie einen unglaublich sicheren und lauteren Charakter.“
– Friedrich Nietzsche: Brief an seinen Mitarbeiter und Sekretär Peter Gast (eigentlich Heinrich Köselitz – Nietzsche hatte ihm zu dem neuen Namen geraten)
„Diese dürre, schmutzige, übelriechende Äffin mit ihren falschen Brüsten – ein Verhängnis!“
– Friedrich Nietzsche: Brief an Paul Rées Bruder Georg nach der Trennung von Lou Andreas-Salomé[9]
„Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.“
– Rainer Maria Rilke: Gedicht, nachdem sich Lou von ihm getrennt hatte[4]
„Die letzten 25 Lebensjahre dieser außerordentlichen Frau gehörten der Psychoanalyse an, zu der sie wertvolle wissenschaftliche Arbeiten beitrug und die sie auch praktisch ausübte. Ich sage nicht viel, wenn ich bekenne, dass wir es alle als eine Ehre empfanden, als sie in die Reihen unserer Mitarbeiter und Mitkämpfer eintrat … Meine Tochter [Anna], die mit ihr vertraut war, hat sie bedauern gehört, dass sie die Psychoanalyse nicht in ihrer Jugend kennengelernt hatte. Freilich gab es damals noch keine …“
– Sigmund Freud: Nachruf auf Lou Andreas-Salomé[4]
„Es ist weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen, wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht, vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weiteren Zusammenhängen.“
– Lou Andreas-Salomé[7]
„Ich bin Erinnerungen treu für immer: Menschen werde ich es niemals sein.“
– Lou Andreas-Salomé[4]
„Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten 'unübersteiglichen Schranken' die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“
– Lou Andreas-Salomé[10]
Werke
Im Kampf um Gott. 1885, ISBN 3-548-35174-3.
Henrik Ibsens Frauen-Gestalten. 1892. Neu herausgegeben mit Kommentaren und Nachwort von Cornelia Pechota, Taching am See 2012, ISBN 978-3-937211-32-9.
Friedrich Nietzsche in seinen Werken. 1894. Neu herausgegeben mit Anmerkungen von Thomas Pfeiffer. Frankfurt am Main/ Leipzig, Insel 2000, ISBN 3-458-34292-3.
Ruth. 1895, ISBN 978-3-937211-02-2.
Jesus der Jude. 1895; enthalten in, ISBN 978-3-937211-08-4.
Aus fremder Seele. 1896, ISBN 978-3-423-13596-2.
Fenitschka. Eine Ausschweifung, 1898, Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv, ISBN 3-548-30315-3.
Menschenkinder. 1899.
Ma (Roman). Ein Porträt, 1901
Im Zwischenland. 1902.
Die Erotik. 1910, ISBN 3-88221-302-7, ISBN 3-926023-17-1.
Elisabeth Siewert. In: Das literarische Echo. Hg. Ernst Heilborn. 14. Jg. 1911/12, 15. September 1912, Berlin, S. 1690–1695 (→ Zusammenfassung.).
Vom frühen Gottesdienst. 1913; enthalten in, ISBN 978-3-937211-08-4.
Zum Typus Weib. 1914; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Anal, Sexual. 1916; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Psychosexualität. 1917; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Drei Briefe an einen Knaben. 1917, ISBN 978-3-937211-05-3.
Narzißmus als Doppelrichtung. 1921; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Das Haus. Eine Familiengeschichte vom Ende des vorigen Jahrhunderts, 1921.
Die Stunde ohne Gott. und andere Kindergeschichten, 1922.
Der Teufel und seine Großmutter. (Traumspiel), 1922. Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf
Rodinka. Eine russische Erinnerung, 1923.
Rainer Maria Rilke (Buch des Gedenkens). 1928, ISBN 3-458-32744-4.
Mein Dank an Freud. Offener Brief, 1931; enthalten in, ISBN 978-3-937211-17-6.
Veröffentlichungen aus dem Nachlass
Lebensrückblick – Grundriß einiger Lebenserinnerungen. 1951/1994, ISBN 3-518-38840-1.
Rainer Maria Rilke – Lou Andreas Salomé: Briefwechsel. 1952.
In der Schule bei Freud – Tagebuch eines Jahres – 1912/1913. 1958.
Sigmund Freud – Lou Andreas-Salomé: Briefwechsel. 1966.
Friedrich Nietzsche, Paul Rée, Lou von Salomé. Die Dokumente ihrer Begegnung, 1970.
Amor (1897) – Jutta (1933) – Die Tarnkappe (?). Drei Dichtungen, 1981.
„Als käm ich heim zu Vater und Schwester“ Lou Andreas-Salomé – Anna Freud: Briefwechsel. 2001, Wallstein Verlag, Göttingen, ISBN 3-89244-213-4.
Le diable et sa grand-mère. 1922; Übersetzung und Anmerkungen von Pascale Hummel, 2005
L’heure sans Dieu et autres histoires pour enfants. 1922; Übersetzung und Anmerkungen von Pascale Hummel (2006)
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