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Wilhelm Hauff

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Wilhelm Hauff Empty Wilhelm Hauff

Beitrag  Andy Fr Mai 01, 2015 9:21 pm

Wilhelm Hauff (* 29. November 1802 in Stuttgart, Herzogtum Württemberg; † 18. November 1827 in Stuttgart, Königreich Württemberg) war ein deutscher Schriftsteller der Romantik. Er gehörte zum Kreise der Schwäbischen Dichterschule.

Wilhelm Hauff 220px-Behringer_-_Wilhelm_Hauff_1826
Wilhelm Hauff nach einem Gemälde von J. Behringer, Pastellkreide 1826

Leben

Hauffs Vater August Friederich Hauff war Regierungs-Sekretarius in Stuttgart. Als er 1809 starb, zog die Mutter mit ihren vier Kindern (neben Wilhelm: Hermann, geb. 1800; Marie, geb. 1806; Sophie, geb. 1807) zu ihrem Vater Karl Friederich Elsässer nach Tübingen.

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Deutsche Sonderbriefmarke von 1977 zum 150. Todestag, gestaltet von Elisabeth von Janota-Bzowski

Hauff besuchte von 1809 bis 1816 die Schola Anatolica, die damalige Tübinger Lateinschule, und nach bestandenem Landexamen ab 1817 die Klosterschule in Blaubeuren. Er studierte von 1820 bis 1824 als Stipendiat des Evangelischen Stifts Tübingen an der Universität Tübingen Theologie und wurde zum Dr. phil. promoviert. Er war Mitglied der Tübinger Burschenschaft Germania.[1] Aus dieser Zeit stammen einige im Kommersbuch abgedruckte Texte von Studentenliedern.

Hauff arbeitete von 1824 bis 1826 in Stuttgart bei Ernst Eugen Freiherr von Hügel als Hauslehrer und reiste danach durch Frankreich und Norddeutschland. 1825 trat er mit der Satire Der Mann im Mond hervor, in der er Stil und Manier des Trivialautors Heinrich Clauren und dessen Erzählung Mimili virtuos nachahmt und der Lächerlichkeit preisgibt. Zwei Jahre später legte er mit der Controvers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Mond den literarischen Bluff offen.

Im Januar 1827 wurde er Redakteur des Cottaschen Morgenblattes für gebildete Stände. Im gleichen Jahr heiratete er auch seine Cousine Luise Hauff (* 6. Januar 1806; † 30. Juli 1867), die ihm am 10. November desselben Jahres die Tochter Wilhelmine († 2. Januar 1845) gebar.

Hauff starb nur eine Woche später infolge einer Typhus-Erkrankung, die er sich während einer Reise durch Tirol zugezogen hatte, bei der er Material für ein geplantes Werk über Andreas Hofer sammeln wollte. Sein Grab befindet sich auf dem Hoppenlaufriedhof in Stuttgart.

Zu Hauffs Gedenken wurde der Wilhelm-Hauff-Preis zur Förderung von Kinder- und Jugendliteratur gestiftet.
Werke

Wilhelm Hauffs kurze literarische Schaffensperiode begann 1825 mit der Veröffentlichung einiger Novellen (Memoiren des Satan, Othello) sowie seines ersten Märchenalmanachs.

Die Germanisten Gabriele von Glasenapp und Wolf-Daniel Hartwich wiesen darauf hin, dass Hauff in einigen Werken wie Jud Süß, Mittheilungen aus den Memoiren des Satans und Abner, der Jude, der nichts gesehen hat durch Zeichnungen des Charakters wie der Physiognomie seiner Figuren auch antijüdische Stereotypen und Klischees seiner Zeit reproduziere.
Märchen und Sagen

Hauffs Märchen fallen in die spätromantische Literaturphase nach den scharfen Zensurbestimmungen der Karlsbader Beschlüsse im Jahre 1819. Der erste Band um die Rahmenerzählung Die Karawane enthält bekannte Märchen wie Kalif Storch und Der kleine Muck. Der zweite Band um den Scheich von Allessandria und seine Sklaven verlässt den rein orientalischen Handlungsraum; Zwerg Nase und zwei von Wilhelm Grimm übernommene Märchen (Schneeweißchen und Rosenroth und Das Fest der Unterirdischen – letzteres taucht in der grimmschen Märchensammlung nicht auf) stehen in der europäischen Märchentradition. Sein dritter Band, Das Wirtshaus im Spessart, behandelt eher Sagenstoffe als Märchen; die Schwarzwaldsage Das kalte Herz ist die bekannteste dieser Sagen.

Wilhelm Hauff 640px-Gespensterschiff-1
Illustration aus dem Gespensterschiff

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Erstausgabe des Märchenalmanachs von 1828


   Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 für Söhne und Töchter gebildeter Stände (1825)
       Märchen als Almanach (Einleitung)
       Die Karawane (Rahmenerzählung)
       Die Geschichte von Kalif Storch
       Die Geschichte von dem Gespensterschiff
       Die Geschichte von der abgehauenen Hand
       Die Errettung Fatmes
       Die Geschichte von dem kleinen Muck
       Das Märchen vom falschen Prinzen

   Märchen-Almanach auf das Jahr 1827 für Söhne und Töchter gebildeter Stände (1826)
       Der Scheich von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzählung)
       Der Zwerg Nase
       Abner, der Jude, der nichts gesehen hat
       Der arme Stephan (von Gustav Adolf Schöll)
       Der gebackene Kopf (von James Justinian Morier)
       Der Affe als Mensch (Der junge Engländer)
       Das Fest der Unterirdischen (von Wilhelm Grimm)
       Schneeweißchen und Rosenrot (von Wilhelm Grimm)
       Die Geschichte Almansors

   Märchen-Almanach auf das Jahr 1828 für Söhne und Töchter gebildeter Stände (1827)[on 1]
       Das Wirtshaus im Spessart (Rahmenerzählung)
       Die Sage vom Hirschgulden[on 2]
       Das kalte Herz (in zwei Teilen in die Rahmenerzählung eingefügt)
       Saids Schicksale
       Die Höhle von Steenfoll – Eine schottländische Sage
   Der Reußenstein[2]
   Märchen. – Brodhag, Stuttgart 1842[on 3]

Wilhelm Hauff 800px-LichtensteinnearReutlingen
Wilhelm-Hauff-Denkmal beim heutigen Schloss Lichtenstein am Albtrauf. Unterhalb im Ort Honau befindet sich auch ein Wilhelm-Hauff-Museum.

Roman

   Lichtenstein (3 Bände, 1826)

Der historische Roman Lichtenstein war bis ins 20. Jahrhundert neben Hauffs Märchen sein bekanntestes Werk. Herzog Wilhelm von Urach, Angehöriger einer Nebenlinie des regierenden Hauses Württemberg, ließ sich durch den Roman anregen, das alte Forsthaus in der Nähe des Standortes der ehemaligen Burg Alt-Lichtenstein zu erwerben und Anfang der 1840er Jahre auf dessen Gelände über dem Echaztal bei Lichtenstein-Honau eine der vormaligen Ritterburg nachempfundene neue Burg, das bis heute bestehende Schloss Lichtenstein, errichten zu lassen. Die Ruinenreste der Ende des 14. Jahrhunderts zerstörten Burg befinden sich nur wenige hundert Meter davon entfernt.

Auch eine Oper, Theaterstücke und Dramatisierungen für das Scherenschnitttheater trugen zur Popularisierung des Romans bei.
Satiren

   Der Mann im Mond oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme (erschienen 1825 unter dem Namen des populären H. Clauren)
   Mittheilungen aus den Memoiren des Satan (1825/1826, 2 Bände)
   Controvers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Mond, gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827


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Familiengrab von Wilhelm Hauff, seiner Ehefrau Luise und ihrer früh verstorbenen Tochter Wilhelmine auf dem Hoppenlaufriedhof in Stuttgart

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Grabmal auf dem Familiengrab, geschmückt mit dem Symbol einer Lyra und dem Lorbeerkranz. Auf der Bronzeplatte sind die Lebensdaten der Familie verzeichnet.

Erzählungen

   Othello (1826)
   Die Sängerin (1826)
   Die Bettlerin vom Pont des Arts (1827)
   Jud Süß (1827)
   Die letzten Ritter von Marienburg
   Das Bild des Kaisers (1827)
   Phantasien im Bremer Ratskeller, ein Herbstgeschenk für Freunde des Weines (1827)[on 4]
   Die Bücher und die Lesewelt
   Freie Stunden am Fenster
   Der ästhetische Klub
   Ein Paar Reisestunden

Studenten- und andere Lieder

   Zum letzten Mal willkommen (1823)
   Wenn die Becher fröhlich kreisen (1823)[on 5]
   Brüder auf, erhebt die Klingen (1824)[on 6]
   Treue Liebe (1824)[on 7]
   Wo eine Glut die Herzen bindet (1824)[on 8]
   Reiters Morgenlied (Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod?) nach einem schwäbischen Volkslied mit den zum Zitat gewordenen Zeilen „Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen, morgen in das kühle Grab“.[3]

Adaptionen
Verfilmungen

Zahlreiche Filme basieren auf Hauffs Märchen – es wurden jedoch auch andere seiner Stoffe umgesetzt:

   1923: Das Wirtshaus im Spessart, Regie: Adolf Wenter
   1940: Jud Süß, Regie: Veit Harlan
   1950: Das kalte Herz, Regie: Paul Verhoeven
   1953: Die Geschichte vom kleinen Muck, Regie: Wolfgang Staudte
   1957: Das Wirtshaus im Spessart, Regie: Kurt Hoffmann
   1981: Märchen in der Nacht erzählt (Сказка, рассказанная ночью), Regie: Irma Rausch
   2013: Das kalte Herz, Regie: Hannes Rall [4]
   2014: Das kalte Herz, Regie: Marc-Andreas Bochert

Oper

Ingeborg Bachmann schrieb 1964 das Libretto für Hans Werner Henzes komische Oper Der junge Lord in Anlehnung an die Parabel Der Affe als Mensch (Der junge Engländer).

Quelle - Literatur & Einzelnachweise

Wilhelm Hauff
1. Wen der Satan an der Table d'hôte im Weißen Schwanen sah

Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie feiern daselbst nicht wie z. B. in Bayern 1½, oder, wie im Kalender vorgeschrieben, 2 Festtage, sondern sie rechnen vier Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf, denn sie fangen in Bornheim ihre heiligen Übungen schon am Samstag an, und der Bundestag hat sogar acht bis zehen.

Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren Sprachkünsten der Apostel, als mir. Was die berühmtesten Mystiker am Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten, das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: ob man am Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins Wäldchen gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad zu fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall gehen solle, oder beides, diese Fragen schienen bei weitem wichtiger, als jene, die doch für andächtige Feiertagsleute viel näherlag, ob die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?

Muß ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreuen, der an solchen Tagen mehr Seelen für sich gewinnt, als das ganze Judenquartier in einer guten Börsestunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die von einem berühmten Belletristen verwöhnt, alles bis aufs kleinste Detail wissen wollen, diene zur Nachricht, daß ich im Weißen Schwanen auf Nr. 45 recht gut wohnte, an der großen Table d'hôte in angenehmer Gesellschaft trefflich speiste, den Küchenzettel mögen sie sich übrigens von dem Oberkellner ausbitten.

Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stöhnen, das aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat näher, ich hörte deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzählte, und dann wieder wimmerte und weinte, wie ein Kind, das seiner Aufgabe für die Schule nicht mächtig ist.

Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte ihn, wer der Herr sei, der nebenan so überaus kläglich sich gebärde?

»Nun«, antwortete er, »das ist der stille Herr.«

»Der stille Herr? lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluß, wer ist er denn?«

»Wir nennen ihn hier im Schwanen den stillen Herrn, oder auch den Seufzer, er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner, und wohnt schon seit vierzehn Tagen hier.«

»Was tut er denn hier? ist ihm ein Unglück zugestoßen, daß er so gar kläglich winselt?«

»Ja! das weiß ich nicht«, erwiderte er, »aber seit dem zweiten Tag, daß er hier ist, ist sein einziges Geschäft, daß er zwischen zwölf und ein Uhr in der neuen Judenstraße auf und ab geht, und dann kommt er zu Tisch, spricht nichts, ißt nichts, und den ganzen Tag über jammert er ganz stille und trinkt Kapwein.«

»Nun das ist keine schlimme Eigenschaft«, sagte ich, »setzen Sie mich doch heute mittag in seine Nähe.« Der Kellner versprach es, und ich lauschte wieder auf meinen Nachbar.

»Den 12. Mai« – hörte ich ihn stöhnen, »Metalliques 84¾. Österreichische Staatsobligationen 87⅜. Rothschildsche Lotterielose, der Teufel hat sie erfunden und gemacht! 132. Preußische Staatsschuldscheine. 81! o Rebekka! Rebekka! wo will das hinaus! 81! Die Preußen! ist denn gar keine Barmherzigkeit im Himmel?«

So ging es eine Zeitlang fort; bald hörte ich ihn ein Glas Kapwein zu sich nehmen, und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen, bald jammerte er wieder in den kläglichsten Tönen und mischte die Konsols, die Rothschildschen Unverzinslichen, und seine Rebekka auf herzbrechende Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hörte ihn sein Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen, es war wohl die Stunde, in welcher er durch die neue Judenstraße promenierte.

Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal trat, auf einen Stuhl: »Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin«, flüsterte er, »zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer.« Ich setzte mich, ich betrachtete ihn von der Seite; wie man sich täuschen kann! Ich hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstigem Aussehen erwartet, wie man sie heutzutage in großen Städten und Romanen trifft, etwa bleichschmachtend und fein wie Eduard, von der Verfasserin der »Ourika«, oder von schwächlichem, beinahe lüderlichem Anblick, wie einige Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das Gegenteil; ich fand einen untersetzten, runden jungen Mann mit frischen, wohlgenährten Wangen und roten Lippen, der aber die trüben Augen beinahe immer niederschlug, und um den hübschen Mund einen weinerlichen Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht paßte.

Ich versuchte, während ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot, einige Male mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber immer vergeblich; er antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen scheuen, finstern Blick geradeaus, und sah dann wieder seufzend auf seinen Teller.

Ich folgte einem dieser Blicke, und glaubte zu bemerken, daß sie einem Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunlichtes, eingeschnurrtes Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weit hervortretende Nase deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, die er haben mochte, etwas schnell verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen, bildete ein ruhiges süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine sehr jugendliche und modische Kleidung.

Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen, knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und süßlich dazu lächelte, die größte Ähnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen, während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen war.

Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finsteren Augen maß, konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen, den Rücken auf künstliche Art auszudehnen, und das spitzige Köpfchen nach uns herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: »Noch immer so düster, mein lieber Monsieur Zwerner? etwa gar eifersüchtig auf meine Wenigkeit!«

An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art das »r« wie »gr« auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonsmenschen zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen. Und so war es, denn mein Nachbar antwortete: »Eifersüchtig, Herr Graf? auf Sie in keinem Fall.«

Graf Rebs, so hörte ich ihn später nennen – faltete sein Mäulchen zu einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes knöchernes Kinn, und kicherte.

»Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht eifersüchtig? und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes Ragout bitten, mein Herr?«

»Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater, und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken.«

»Herr Oberkellner«, lispelte der Graf, »Sie haben die Trüffeln gespart; aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich hätte auf Ehre geglaubt, Sie schauen herauf in die Loge mit melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein v. Rothschild, denn als ich auf Sie hinabwies – Kellner, ich trinke heute lieber roten Engelheimer, ein Fläschchen – ja, wollte ich sagen – das ist mir nun während des Engelheimers gänzlich entfallen, so geht es, wenn man so viel zu denken hat.«

Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als daß er nicht weiter geforscht hätte. »Nun, auch Fräulein von Rothschild hat bemerkt, daß ich melancholisch hinaufsähe«, fragte er, indem er seine bitteren Züge durch eine Zutat von Lächeln zu versüßen suchte; »freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette –«

»Richtig, das war es«, erwiderte Rebs, »das war es; ja, als ich auf Sie hinabwies und Rebekkchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie mich mit ihrem Jockofächer auf die Hand, und nannte mich einen Schalk.«

Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen röteten sich noch mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich noch durch wilden Trotz, der in ihm wütete. Er zog den Kopf tief in die Schultern, und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem grimmigen Blick an. Er hatte nie so große Ähnlichkeit mit einem angenehmen Froschjüngling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf dem Teiche sitzt, als in diesem Augenblicke.

Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das r noch mehr schnurren ließ, als zuvor, sprach er: »Werter Monsieur Zwerner. Sie dürfen aus dem Schlag mit dem Jockofächer keine argen Folgerungen ziehen. Es ist nur eine Façon de parler unter Leuten von gutem Ton. Wegen meiner dürfen Sie ruhig sein. Zwar solange man jung ist«, fuhr er fort, indem er den Halskragen höher heraufzog und schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch, »zwar solange man jung ist, macht man sich hie und da ein Späßchen. Aber ein ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben Sie schon die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit drei Tagen hier in Frankfurt ist?«

»Nein«, antwortete mein Nachbar, leichter atmend.

»Oh, ein deliziöses Kind! Augenbraunen wie, wie – wie mein Rock hier, einen Mund zum Küssen und in dem schönen Gesicht so etwas Pikantes, ich möchte sagen so viel englische Race. Nun, wir sind hier unter uns, ich kann Sie versichern, es ist auffallend aber wahr, ich sollte es nicht sagen, es beschämt mich, aber auf Ehre, Sie können sich drauf verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, übrigens hoffe ich mich auf Ihre Diskretion verlassen zu können; nein, es ist wirklich auffallend, in drei Tagen . . .«

»Nun so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen Sie denn sagen?«

Es war ein eigener Genuß, das Kaninchen in diesem Augenblick anzusehen. Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln, denn er kniff die Äuglein zu, sein Kinn verlängerte sich, seine Nase bog sich abwärts nach den Lippen, und sein Mund war nur noch eine dünne, zarte Linie; dazu arbeitete er mit dem zierlich gekrümmten Rücken und den Schulterblättern, als wolle er anfangen zu fliegen, und mit den abgelebten Knöchlein seiner Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch einmal mußte der Seufzer ihn ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben, bis er endlich hervorbrachte: »Sie ist in mich verliebt. Sie staunen; ich kann es Ihnen nicht übelnehmen, auch mir wollte es anfangs sonderbar bedünken, in so kurzer Zeit; aber ich habe meine sicheren Kennzeichen, und auch andere haben es bemerkt.«

»Sie Glücklicher!« rief der Seufzer nicht ohne Ironie, »wo Sie nur hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; übrigens rate ich, diese Engländerin ernstlicher zu verfolgen, bedenken Sie, eine so solide Partie –«

»Merke schon, merke schon«, entgegnete Rebs mit schlauem Lächeln, »es ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gänzlich aus dem Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, daß ich schon heiraten will? Gott bewahre mich! aber wegen Rebekkchen dürfen Sie ruhig sein; ich ziehe mich gänzlich zurück. Und sollte vielleicht eine vorübergehende Neigung in dem Mädchen – Sie verstehen mich schon –, das wird sich bald geben, ich glaube nicht, daß sie mich ernstlich geliebt hat.«

»Ich glaube auch nicht«, entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in welchen sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand auf, wir folgten. Graf Rebs tänzelte lächelnd zu den Damen, welchen er während der Tafel so zärtliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem unglücklichen Seufzer.

Wilhelm Hauff
2. Trost für Liebende

»Was war doch dies für ein sonderbarer Herr?« fragte ich meinen Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloß. »Findet er wirklich bei den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrückt?«

»Ein Geck ist er, ein Narr!« rief der Seufzende, indem er mit dem Kopf aus den Schultern herausfuhr, und die Arme umherwarf; »ein alter Junggeselle von fünfundvierzig, und spielt noch den ersten Liebhaber. Eitel, töricht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Äuglein anblinzelt, ist in ihn verliebt, drängt sich überall an und ein –«

»Nun da spielt dieser Graf Rebs eine lächerliche Rolle in der Gesellschaft, da wird er wohl überall verhöhnt und abgewiesen?«

»Ja, wenn die Damen dächten wie Sie, wertgeschätzter Herr! aber so lächerlich dieser Gnome ist, so töricht er sich überall gebärdet, so – o Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht.«

»Ei, ei!« sagte ich, indem ich schnell Nro. 45 aufschloß und den Verzweifelnden hineinschob, »ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge Beschuldigungen ausstoßen. Und auf Fräulein Rebekka, setzen Sie sich doch gefälligst aufs Sofa, auf das Fräulein sollte er auch Eindruck gemacht haben, dieser Gliedermann?«

»Ach, nicht er, nicht er; sie sieht, daß er lächerlich ist und geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm; nicht mit ihm, sondern mit seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu sehen, oder auf der Promenade von ihm begrüßt zu werden, vielleicht wenn sie eine Christin wäre, hätte sie einen solidern Geschmack.«

»Wie, das Fräulein ist eine Jüdin?«

»Ja, es ist ein Judenfräulein; ihr Vater ist der reiche Simon in der neuen Judenstraße; das große gelbe Haus neben dem Herrn von Rothschild, und eine Million hat er, das ist ausgemacht.«

»Sie haben einen soliden Geschmack; und wie ich aus dem Gespräch des Grafen bemerkt habe, können Sie sich einige Hoffnung machen?«

»Ja«, erwiderte er ärgerlich, »wenn nicht der Satan das Papierwesen erfunden hätte. So stehe ich immer zwischen Türe und Angel. Glaube ich heute einen festen Preis, ein sicheres Vermögen zu haben, um vor Herrn Simon treten, und sagen zu können: ›Herr! wir wollen ein kleines Geschäft machen miteinander, ich bin das Haus Zwerner und Comp. aus Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?‹ Glaube ich nun so sprechen zu können, so läßt auf einmal der Teufel die Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um so viele Prozente höher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken.«

»Aber kann denn nicht der Fall eintreten, daß Sie gewinnen?«

»Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit ihm anzufangen, denn er ist ein ausgemachter Narr und reif für das Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebekkchen, so gut sie sonst ist, guckt auf allen Seiten der jüdische Geldteufel heraus.«

»Wie, sollte es möglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld sehen?«

»Da kennen Sie die Mädchen, wie sie heutzutage sind, schlecht«, erwiderte er seufzend. »Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es, was sie wollen. Können Sie sich durch einen Lieutenant zur ›Gnädigen Frau‹ machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld, so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewöhnlich keines hat.«

»Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner und Comp. in Dessau hat Geld, woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fräuleins?«

»Ja, ja!« sagte er etwas freundlicher, »wir haben Geld, und so viel, um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien; aber Sie kennen die Frankfurter Mädchen nicht, werter Herr! Ist von einem angenehmen, liebenswürdigen jungen Mann die Rede, so fragen sie, ›Wie steht er?‹ Steht er nun nicht nach allen Börsenregeln solid, so ist er in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muß.«

»Und Rebekka denkt auch so?«

»Wie soll sie andere Empfindungen kennenlernen in der neuen Judenstraße? Ach! Ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Kurs der Börsenhalle! Man weiß hier, daß ich mich verführen ließ, viele Metalliques und preußische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein Interesse geht mit dem der hohen Mächte und mit dem Wohl Griechenlands Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein reicher Mann; gewinnt der Großtürke und sein Reis-Effendi, so bin ich um zwanzigtausend Kaisergulden ärmer, und nicht mehr würdig, um sie zu freien. Das weiß nun das liebenswürdige Geschöpf gar wohl, und ihr Herz ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald möchte sie gerne, daß die Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glück zu fördern; bald denkt sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn von Metternich verlieren könnte, und wünscht dem Effendi so viel Verstand als möglich. Ich Unglücklicher!«

»Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschöpf?« fragte ich.

Tränen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus seiner Brust. »Wie sollte ich sie nicht lieben«, antwortete er, »bedenken Sie, fünfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine ganze. Und dabei ist sie vernünftig und liebenswürdig, hat so was Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine kühn geschwungene Nase, frische Lippen, der Teint, wie ich ihn liebe, etwas dunkel und dennoch rötlich. Ha! und eine Figur! Herr! wie sollte man ein solches Geschöpf nicht lieben!«

»Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?«

»Oh, einige Judenjünglinge, bedeutende Häuser, buhlen um sie, aber ihr Sinn steht nach einem soliden Christen; sie weiß, daß bei uns alles nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schämt sich, in guter Gesellschaft für eine Jüdin zu gelten. Daher hat sie sich auch den Frankfurter Dialekt ganz abgewöhnt und spricht Preußisch; Sie sollten hören, wie schön es klingt, wenn sie sagt, ›ißßt es möchlich?‹ oder: ›Es jienge wohl, aber es jeht nich.‹«

Der Seufzer gefiel mir; es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem Ladentisch eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten Romanen der Leihbibliotheken sammeln; sie sehen die Menschen, die Gesellschaft nie, es sei denn wenn sie abends durch die Promenade gehen oder sonntags, gekleidet wie Herren comme il faut, auf Kirchweihen oder sonstigen Bällen sich amüsieren. Reisen sie hernach, so dreht sich ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schöne Wirtin der nächsten Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgänger empfohlen ist; oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie sie glauben, noch lange um den »schönen, wohlgewachsenen, jungen Mann« weinen wird. Sie haben irgendwo gelesen oder gehört, daß der Handelsstand gegenwärtig viel zu bedeuten habe; drum sprechen sie mit Ehrfurcht von sich und ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, daß einer von sich sagte: Kaufmann oder Bänderkrämer, sondern: »Ich reise in Geschäften des Hauses Bäuerlein oder Zwierlein«, und fragte man in welchen Artikeln, so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie ganz bescheiden antworten hören: Knöpfe, Haften und Haken, Tabak, Schnupf- und Rauch-, und dergleichen bedeutende Artikel. Haben sie nun gar im Städtchen ihrer Heimat ein »Schätzchen« zurückgelassen, so darf man darauf rechnen, sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, »ihre sehr interessante Geschichte« erzählen, wie sie Fräulein Jettchen beim Mondschein kennengelernt haben, sie werden die Brieftasche öffnen und unter hundert Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthöfen etc., ein Seidenpapier hervorziehen, das ein »Pröbchen Haar von der Stirne der Geliebten« enthält.

Glückliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden Ritter der Christenheit; und wenn es euch auch nicht zukommt, mit eingelegter Lanze à la Don Quijote eurer Jungfrauen Schönheit zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger Verwüstung an, wie jener mannhafte Ritter, und seid überdies meist euer eigener Sancho Pansa an der Tafel.

Eine solche liebenswürdige Erziehung, aus Comptoir-Spekulationen, Romanen, Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien nun auch mein Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte ihm, er war zu ehrlich. Wie leicht wäre es für einen Mann von Zweimalhunderttausend gewesen, Kuriere nicht von Höchst, oder von Langen, sondern von Wien, sogar mit authentischen Nachrichten kommen zu lassen, um seinem Glücke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht alles um Geld feil? und wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann, warum sollte es ein anderer nicht auch können, wenn sein Geld ebensogut ist, als das des großen Makkabäers?

Zwar ein solcher Sperling macht keinen Sommer; eine solche Handelsseele mehr oder weniger mein, kann mir nicht nützen; doch die Nüanzen ergötzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht ins Netz geht, und darum beschloß ich ihm zu nützen, ihn zu fangen.

»Ich bin«, sagte ich zu ihm, »ich bin selbst einigermaßen Papierspekulant, daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre bisherige Verfahrungsart etwas sonderbar finde.«

»Wie meinen Sie das?« fragte er verwundert. »Als ich in Dessau war, ließ ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? und hier, gehe ich nicht jeden Tag in die Börsenhalle? gehe ich nicht jeden Tag in die neue Judenstraße, um das Neueste zu erfragen?«

»Das ist es nicht was ich meine, ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er verbeugte sich lächelnd), das heißt, ein Mann mit diesen Mitteln, der etwas wagen will, muß selbst eingreifen in den Lauf der Zeiten.«

»Aber mein Gott«, rief er verwunderungsvoll, »das kann ja jetzt niemand als der Rothschild, der Reis-Effendi und der Herr von Metternich; wie meinen Sie denn?«

»Über Ihr Glück, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine einzige Stunde entscheiden; zum Beispiel, wenn die Pforte das Ultimatum verwirft, die Nachricht schnell hieher kommt, kann eine Krisis sich bilden, die Sie stürzt. Ebenso im Gegenteil, können Sie durch eine solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere steigen?«

»Gewiß, gewiß«, seufzete er; »aber ich sehe nur noch nicht recht ein –«

»Nur Geduld; wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das Ministerium in Wien, oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht und dem großen Portier ein Stück Geld in die Hand gedrückt hat, läßt noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen; der reitet und fährt und fliegt nach Frankfurt, und bringt die Depesche, wem?«

»Ach, dem Glücklichsten, dem Vornehmsten!«

»Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort mancherlei erfahren, ohne gerade der österreichische Beobachter zu sein; kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen Krisis, eines bedeutenden Vorfalls, kommen –«

»Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von Rußland sei plötzlich –«

»Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als daß es die Leute glauben; Unwahrscheinliches, Überraschendes, muß auf der Börse wirken –«

»Also etwa der Fürst von M. sei ein Türke geworden; habe dem Islam geschworen?«

»Ich sage Ihnen ja, nichts Wahrscheinliches; nein, geradezu, die Pforte habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht mit allem möglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier sogleich ein paar Stationen weiterreisen, lassen Sie den Brief einige Geheimniskrämer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Börsenhalle, so kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre Papiere mit Gewinn ab.«

»Aber, lieber Herr«, erwiderte der Kaufmann von Dessau kläglich, »das wäre ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Sünde für einen rechtlichen Mann, bedenken Sie, ein Kaufmann muß im Geruch von Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben.«

»Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wornach er riechen muß, und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? ob Sie Ihre Kunden bei einem Pfunde Kaffee betrügen, ob Sie einem alten Weib ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe Experiment im großen vornehmen, das ist am Ende dasselbe.«

»Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das Weib zu wenig bekömmt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt, aber wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele Häuser können fallieren, andere wanken und im Kredit verlieren, und das wäre dann meine Schuld!«

»So, mein Herr?« sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen Seele, »so, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste was man auf Erden hat, so zu verhunzen? also wegen der Folgen wollen Sie nicht? nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie zurück? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im Weißen Schwanen wohnt und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen Rebs, grollt?«

»Aber, mein Herr«, rief der Seufzer etwas pikiert, »ich weiß gar nicht, was Sie mir, als einem ganz Fremden für eine Teilnahme erzeigen; ich weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?«

»Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt, daher meine Antwort. Übrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das Treffliche und Erhabene kennenzulernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben; –«

»Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die meine –«

»Das können Sie nicht so beurteilen, wie ein anderer; auf Ihrer Stirne thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender Geist –«

»Finden Sie das wirklich«, rief er, indem er lächelnd meine Hand faßte und verstohlen nach dem Spiegel blickte; »es ist wahr, man hat mir schon dergleichen gesagt, und, in Stuttgart hat man mich sogar versichert, ich sei dem berühmten Dannecker auf der Straße aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den König von England gekommen, um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen.«

»Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen, so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem mutigen Auge zu finden!«

»Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel stiegen in mir auf, und – nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein gewisses Etwas, ja – so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranrücken und einen Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!«

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