Die Braunschweiger Mumme oder Mumma Brunsvicensium - Mumia
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Die Braunschweiger Mumme oder Mumma Brunsvicensium - Mumia
Die Braunschweiger Mumme (lat.: Mumma Brunsvicensium oder Mumia, engl.: Brunswick Mum, frz.: Mom de Bronsvic), meist nur Mumme genannt, war ursprünglich je nach Brauart ein schwach bis stark alkoholhaltiges Bier aus Braunschweig. Seine Entstehungsgeschichte reicht bis in das Spätmittelalter zurück. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Zusammensetzung und der daraus resultierenden langen Haltbarkeit entwickelte sich die „Mumme“ schnell zum wichtigsten Exportartikel der Stadt und wurde in der frühen Neuzeit bis nach Indien und in die Karibik verschifft. Auch heute, nach mehr als 600 Jahren wird das Getränk noch immer in Braunschweig verkauft, wobei es seit Herbst 2008 zum ersten Mal seit circa 200 Jahren wieder in einer alkoholhaltigen Variante erhältlich ist.[1]
Werbeanzeige der Firma H. Nettelbeck in: "Braunschweigsches Adreß-Buch für das Jahr 1879"
Mumme-Brauerei Steger, Werbung von 1899
Fiktion und Wirklichkeit
Entgegen landläufiger Meinung ist die Bezeichnung „Mumme“ nicht auf einen Braunschweiger Bürger Christian Mumme zurückzuführen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden, begünstigt durch das 1736 erschienene Werk De Mumia Brunsvicensium des in Wolfenbüttel tätigen Arztes Franz Ernst Brückmann, zahlreiche Legenden um dieses alte Getränk, die fälschlicherweise teilweise noch heute kolportiert werden. Nach Brückmann soll besagter Christian Mumme, angeblich Bierbrauer in Braunschweig, die Rezeptur des Getränkes entweder um 1492 oder 1498 verbessert haben.[2] Zu dieser Zeit soll die Wirkung dieses Starkbiers, dem zahlreiche Gewürze beigemischt wurden, im wahrsten Sinn des Wortes „umwerfend“ gewesen sein.
Legendenbildung
Brückmanns Veröffentlichung förderte die bereits seit Jahrhunderten vorhandenen Geschichten und Legenden um die Braunschweiger Mumme, deren Bekanntheitsgrad weit über die Stadtgrenzen hinausging und deren Bedeutung für die Wirtschaft Braunschweigs in der frühen Neuzeit außerordentlich groß war. In der Folge verdrängten diese Geschichten großenteils die historischen Tatsachen.
So hat Brückmanns Buch erheblich dazu beigetragen, die Braunschweiger Mumme folkloristisch zu verklären.[3] Unterstützt wurde er dabei vom Kupferstecher A. Beck, der ab 1742 entsprechendes Bildmaterial zur Illustration beisteuerte. Brückmanns Mumme-Geschichte(n) und Becks Bilder fanden in der Folge Eingang in das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung und wurden schließlich von nachfolgenden Generationen als historische Tatsachen angesehen. Erst 1911 gelang es dem Braunschweiger Historiker und Direktor des Städtischen Museums, Heinrich Mack, in seinem Werk Zur Geschichte der Mumme. Insbesondere des Mummehandels im 17. Jahrhundert[2] nachzuweisen, dass es sich bei einem Großteil der tradierten Geschichten tatsächlich um Legenden handelte, so zum Beispiel bezüglich der Person des Christian Mumme, den Erzählungen über dessen Haus, über das Mumme-Kind sowie die Mumme-Probe.
Haus des Christian Mumme
Angebliches Brauhaus des Christian Mumme
Laut Brückmann soll Christian Mumme sein Bier in dem mit 1463 datierten und bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg tatsächlich vorhandenen Fachwerkhaus am Alten Petritore 2 gebraut haben; eine Illustration diente seither als Beleg für die Authentizität, wie auch die heute noch vorhandene geschnitzte Holzfigur eines Mannes mit einem Passglas, die an dem Haus befestigt war.[4] Mack gelang es jedoch anhand historischer Dokumente zweifelsfrei nachzuweisen, dass nicht einmal der Familienname Mumme für dieses Haus belegt ist.
Im Übrigen wurde ein Christian Mumme in Braunschweig urkundlich niemals erwähnt, was zumindest insofern verwunderlich ist, als er zum einen der Erfinder des angeblich nach ihm benannten Getränkes gewesen sein soll und zum anderen dieses Getränk der Exportschlager des mittelalterlichen Braunschweigs gewesen ist. Hätte dieser Christan Mumme wirklich existiert und das Getränk erfunden, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit in den Annalen der Stadt verzeichnet. Ein weiteres Indiz für die Existenz des Bieres vor 1492 stammt aus dem Jahre 1425, als der Hessische Landgraf bei einem Besuch in Braunschweig zwei Fässer Mumme verzehrt haben soll.
Mumme-Kind
Ein weiteres Beispiel für eine Fiktion ist das so genannte „Mumme-Kind“. Ein Kupferstich Becks stellt das Kind als einen extrem übergewichtigen jungen Mann dar, der an seiner Vorliebe für Mumme gestorben sein soll, da er sich an ihr im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode getrunken haben soll. Die Bildunterschrift lautete: „Abbildung eines Maltz-Kärners in Braunschweig, dem die Mumme so ungemein wohl geschmecket, daß er darinne sich so dicke, ja, gar zu Tode gesoffen, seines Alters 30 Jahr, an dem Gewicht hat er gewogen drey und einen halben Centner.“[5]
Mumme-Probe
Eher unter die Anekdoten fällt die Mumme-Probe. Süße und Zähflüssigkeit der Braunschweiger Mumme waren ihr Qualitätsmerkmal. Deshalb hatte sich eine Art Qualitätskontrolle entwickelt, die Maßstab sein sollte für die Güte der Mumme und damit für ihre Rezeptur. Man ging dabei wie folgt vor: Auf einen Stuhl oder Schemel wurde ein wenig Mumme gegossen und verstrichen. Anschließend musste sich jemand darauf setzen und sofort wieder aufstehen. Klebte die Sitzgelegenheit nun an seinem Gesäß, war die Mumme-Qualität einwandfrei.
Rechnung von 1390
Mack stieß bei seinen Recherchen zum Ursprung des Getränks auf eine Rechnung der Stadt Braunschweig für das Fest ihres Schutzpatrons St. Au(c)tor aus dem Jahre 1390.[2] Diese Rechnung war für „mumm“ ausgestellt. So ist es mehr als zweifelhaft, dass sich „Mumme“ wirklich von dem Namen eines Christian Mumme herleitete, denn die Rechnung entstand 102 Jahre vor dessen angeblicher Rezepturverbesserung. Darüber hinaus deutet eine „Verbesserung“ darauf hin, dass etwas schon vorher in minderer Qualität vorhanden gewesen sein muss. Auch die Jahreszahlen 1492 bzw. 1498 dürften sich eher an historischen Ereignissen, wie der Entdeckung Amerikas (1492) oder der Entdeckung des Seewegs nach Indien (1498) orientiert haben und somit ebenfalls zur Legendenbildung beigetragen haben.
Mumme als Gattungsbezeichnung
Mack wies weiterhin nach, dass die Bezeichnung „Mumme“ in Braunschweig zunächst eine Art Allgemeinbezeichnung für „dunkles Bier“ war,[6] im Gegensatz zu der Bezeichnung „Weißbier“ für ein Bier hellerer Farbe. Auch wurden in Braunschweig bereits sehr früh fünf verschiedene Mumme-Sorten gebraut; was jedoch allen gemein war, war ihre dunkelbraune Färbung, der starke Malzgehalt sowie die Dickflüssigkeit. In einem Edikt von 1571 wird „Mumme“ synonym zu Rotbier verwendet und von hellem Bier ausdrücklich unterschieden.
Rezeptur
Aufgrund ihrer vielhundertjährigen Geschichte, der verschiedenen Brau- und Zubereitungsarten sowie der verschiedenen Brauer ist es unmöglich, eine allgemeingültige Rezeptur bzw. Zusammensetzung anzugeben. Grundzutaten dürften aber auf jeden Fall Gerste, Hopfen und/oder Weizen in unterschiedlicher Menge gewesen sein, wobei auch hier genauere Angaben nicht möglich sind.
Krünitz’ Oeconomische Encyclopädie zählt 1773 unter Verweis auf weitere Quellen und in Abhängigkeit von der Zubereitungsphase, wie der Gärung oder auch dem Sieden folgende angebliche Bestandteile auf: Bohnen, Rinde und Spitzen von Tannen und Birken, Cardobenedictenkraut, Blüten von Sonnentau, Holunder und Thymian, Pimpinelle, Betonien, Majoran, Polei, Kardamom, Hagebutten, Alant, Gewürznelken, Zimt und sogar Eier. Zur Erzielung der dunkelroten bis -braunen Färbung soll auch Kirschsaft zugesetzt worden sein.
Der Wahrheitsgehalt dieser Angaben muss allerdings stark angezweifelt werden, da einige Bestandteile auch als Gerüchte verbreitet wurden, um den Ruf der Braunschweiger Mumme und damit ihren Absatz zu schädigen.
Exportschlager des ausgehenden Mittelalters
Aus dem Braunschweigischen Bierbuch von 1723:
„… die Mumme, welche ein angenehmer, wohlriech- und schmeckender Gersten-Safft ist, so in der Stadt Braunschweig gekochet, und wegen ihrer Vortrefflichkeit die Tag und Nacht gleichmachende Linie passieret und bis in beyde Indien verfahren wird, worin sie es allen anderen Bieren zuvor thut …“
Dank ihres hohen Alkohol- und Zuckergehaltes war Mumme in der frühen Neuzeit eines der wenigen Nahrungsmittel, das auch über längere Zeit hinweg für den Verzehr genießbar blieb und damit auch lange Reisen überstand. Aufgrund ihrer Zusammensetzung eignete sie sich vor allem als Proviant für die langen See- und Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts.
Um die Haltbarkeit des Getränks noch weiter verlängern zu können, wurde der Alkoholgehalt verdoppelt und es entstand die sogenannte „Schiff-Mumme“ oder „Segelschiff-Mumme“ (im Vergleich zur „schlechten“, das heißt einfachen „Stadt-Mumme“). Die Konsistenz der Schiff-Mumme soll eher der von Öl als der eines (heutigen) Bieres geähnelt haben. Selbst in den Tropen – Mumme wurde in speziell dafür hergestellten Fässern „in beide Indien“ (also Westindien und Ostindien) exportiert – verdarb das Bier nicht und trug so dazu bei, gefürchtete Mangelerkrankungen langer früher Schiffsreisen – wie Skorbut – zu verhindern. Aus dieser Zeit stammt das auch heute noch verwendete Markenzeichen auf den Getränkebehältnissen (bis in die 1970er Jahre Flaschen, seither Dosen): Ein ovales Siegel mit einem weißen Segelschiff (Dreimaster) auf blauem Grund.
Auf diese Weise erlebte das Getränk während vieler Jahrzehnte eine Konjunktur und wurde in der vorindustriellen Zeit Exportschlager Nr. 1 der Stadt Braunschweig. Zunächst wurde sie über Land nach Celle gebracht, von wo aus sie auf der Aller weiter transportiert wurde, um schließlich über Häfen wie Hamburg (nachweislich ab 1531), Lübeck und Bremen in alle Welt (u. a. nach Dänemark, Großbritannien, die Niederlande, Schweden sowie ins Baltikum) exportiert wurde, was Neider auf den Plan rief, so z. B. 1603 die Freie Hansestadt Bremen: Um einerseits von der Beliebtheit der Mumme zu profitieren und andererseits die eigenen Biere zu schützen, erhoben die Bremer einen exorbitanten Zoll auf das Getränk. So betrugen die Abgaben für die Durchfuhr über die Weser vor 1600 etwa 8 Schilling pro Fass, während sie danach bei 16 Schilling lagen.[7] Im Jahre 1608 beschwerten sich die Bremer Brauer, dass der Export ihrer Biere nach Ostfriesland um 90 % eingebrochen sei, da Mumme „jetzt auch auf Hochzeiten und Kindtaufen“ getrunken werde, was vor Jahren noch völlig unüblich gewesen sei. Dies wiederum wollte sich die Stadt Braunschweig nicht gefallen lassen (1613 wurden zirka 5000 Fässer nach Bremen geliefert). So kam es, dass man sich 1614 auf einen moderateren Zoll sowie auf die Überlassung des Mumme-Verkaufsrechts an die Bremer einigte. 1649 schließlich hob Bremen sein Durchfuhrverbot auf und Braunschweig konnte sein Produkt wieder selbst vertreiben.
Die Mumme hatte jedoch einen „Nachteil“ – ihren Geschmack. Damals, wie auch heute, war Maltose wesentlicher Bestandteil der Rezeptur, was das Getränk zwar haltbar, aber auch äußerst süß, klebrig und zähflüssig machte; aber da es bis Anfang des 17. Jahrhunderts keine (haltbare) Alternative gab, überwog der Vorteil der Haltbarkeit noch den geschmacklichen Nachteil.
Niedergang
Werbeanzeige der Firma H. Nettelbeck in: "Braunschweigisches Adreß-Buch für das Jahr 1893"
Werbung der Brauerei Nettelbeck von 1910
Protektionismus und Wirtschaftsspionage
Die Neider jedoch ließen sich allerhand einfallen, um Geschäfte mit ihren eigenen Bieren bzw. Nachahmerprodukten machen zu können, so wurde unter anderem in Meißen versucht, Mumme nachzubrauen, wobei zu diesem Zwecke sogar Gerste und Hopfen extra aus Braunschweig importiert wurden – dennoch schlug der Versuch fehl. Nach und nach aber wurden im Ausland erste Einfuhr- und damit Handelsverbote verhängt. In einem frühen Fall von Wirtschaftsspionage gelangte das Mumme-Rezept schließlich Mitte des 17. Jahrhunderts in englische Hände. George Monck, ein General Oliver Cromwells, behauptete, das Rezept von einer „vornehmen Person in Braunschweig“ erhalten zu haben.[8] Auf der Insel kopierte man nun die Mumme und verkaufte sie dort unter ihrem bekannten Namen. Um 1670 gelang es den Briten sogar, den Import der echten Mumme nach England für einige Jahre verbieten zu lassen.[9]
Zunächst jedoch erfreute sich das Braunschweiger Bier weiterhin größter Beliebtheit, die Exporte stiegen gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch an. Im Jahre 1681 verfassten die städtischen Brauer deshalb eine Protestnote an den Rat der Stadt, die auf ein Problem hinwies: Um sich gegen die üble Nachrede, die Mumme sei mit allerlei ungesunden Zusätzen versehen, zur Wehr zu setzen, war eine frühe Form der Qualitätskontrolle eingeführt worden – die sogenannten „Probeherren“.[10] Diese mussten jedes Mummenfass, bevor es zum Export freigegeben wurde und die Stadt verließ, zunächst verkosten. Bei bis zu 40 Fässern täglich hatte dies zur Folge, dass die Verkoster „vom Rausche beschlichen und derogestalt zugerichtet werden, daß Kopf und Füße ihres Amtes vergessen.“
Qualitäts- und Imageverlust
Allmählich jedoch änderten sich die Zeiten. Auch anderen Städten und Brauern gelang es schließlich in Verbindung mit verbesserten Konservierungstechniken von Lebensmitteln, haltbare Biere herzustellen, die zudem auch noch besser schmeckten. Dadurch brach der Absatz des Getränks massiv ein, und die Mumme büßte alsbald ihre marktführende Position ein.
Überdies führten zahlreiche schlechte Mumme-Kopien anderer Städte und Länder zu einem schleichenden Imageverlust des Originals; die mindere Qualität der Nachahmerprodukte trug zusätzlich zum Rückgang des Absatzes Braunschweiger Mumme bei. Auch in der Stadt selbst sorgten Import-Biere sowie seit Ende des 17. Jahrhunderts dort gebraute helle Biere dafür, dass Mumme allmählich in ein Nischendasein gedrängt wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sahen sich in der Stadt nur noch zwei Mumme-Brauereien zehn Brauereien gegenüber, die helles Bier produzierten.[11] Eine der Mumme-Brauereien, die Nettelbeck Mummebrauerei, ließ sich im Jahr 1907 die Marke Doppelte Schiff-Mumme schützen.[12]
Mumme anderer Städte und Länder
Wie beschrieben, war die Braunschweiger Mumme im Laufe ihrer langen Geschichte Opfer zahlreicher Plagiatoren. Ihr guter Ruf hat aber auch Brauereien in anderen Städten und Ländern dazu bewogen, vom guten Namen „Mumme“ zu profitieren, indem sie ihn sich „ausborgten“, um unter ihm eigene Produkte zu vermarkten. Drei Beispiele hierfür sind die „Rigaer Mumme“,[13] die Mumme der dänischen Brauerei Tuborg, die zwischen März 1951 und 1957 produziert wurde,[14] sowie die „Wismarer Mumme“, die anscheinend noch heute gebraut wird.[15]
Urahn des Malzbiers
Mumme-Werbung aus den USA (um 1900)
Der Niedergang des einstigen Exportschlagers kulminierte schließlich im 18. Jahrhundert in der Entscheidung, aus dem einstigen Starkbier ein fortan alkoholfreies Malzgetränk zu machen, das es bis auf den heutigen Tag auch geblieben ist. Wer damals diese Entscheidung getroffen hatte und warum, ist unbekannt. Sie muss aber wohl nach 1736 getroffen worden sein, denn das Rezept aus diesem Jahr enthielt noch Gerste und Hopfen.
Mumme wurde fortan eigentlich nur noch in Braunschweig und im engsten Umland konsumiert. Geworben wurde damit, dass es ein kräftigendes Getränk für „Wöchnerinnen, schwächliche Personen, Lungenkranke und Rekonvaleszenten“ sei; deshalb enthielt Mumme zeitweilig auch Eisen, Mangan, Chinin und Ähnliches.
Die Mumme in Musik und Literatur
Das Mumme-Lied
Werbung der Brauerei Steger von 1914
Im Laufe der Jahrhunderte entstanden zahlreiche literarische Werke, die die Braunschweiger Mumme priesen bzw. erwähnten. Ein Beispiel ist ein Gedicht, das Johann Albert Gebhardi, Rektor des Martino-Katharineums 1708 anlässlich der Hochzeit von Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel mit dem späteren Kaiser Karl VI. verfasste.[16] Ein zweites, sehr viel bekannteres, ist das „Mumme-Lied“ aus der Oper „Heinrich der Vogler“, die im Sommer 1718 in Braunschweig uraufgeführt wurde. Die Verse stammen von Johann Ulrich König, die Vertonung vom herzoglichen Kapellmeister Georg Caspar Schürmann (1672/73-1751).[3]
Die ersten zwei Strophen lauten:
(Die Schreibweise kann je nach Quelle stark variieren.)
Brunswyk, du leiwe Stadt,
vor vel dusent Städen,
dei sau schöne Mumme hat,
dar ik Worst kann freten.
Mumme smekkt noch mal sau fin,
as Tokay un Mosler wyn,
Slakkworst füllt den Magen …
Hochdeutsch:
Braunschweig, du liebe Stadt,
unter Tausenden von Städten.
die so schöne Mumme hat [und]
wo ich [Braunschweiger] Wurst essen kann.
Mumme schmeckt noch besser
als Tokajer und Mosel-Wein,
Schlackwurst füllt den Magen …
Ein Mumme-Gedicht
Als Anfang des 18. Jahrhunderts das Gerücht verbreitet wurde, die Braunschweiger Mumme sei mit allerhand Gewürzen und sonstigen obskuren Zutaten „verfälscht“, sowie mit Kirschsaft gefärbt, verfasste der bereits erwähnte Wolfenbütteler Mediziner Brückmann 1723 folgendes Gedicht auf die Mumme zu deren Verteidigung:
Das Gedicht von der Mumme
Die Mumme scheu’t sich nicht
sie will sich nicht verstecken
sie tritt ohn Masque hier der Welt recht vors Gesicht
wer durchs Vergrößrungs-Glaß will schauen ihre Flecken
beschaue sich vor erst
eh er das Urtheil spricht
Anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt Braunschweig im August 1861 verfasste Carl Schultes (* 1822; † 1904) das historische Schauspiel „Brunswick’s Leu, stark und treu“, in dem die Mumme ein letztes Mal gewürdigt wurde.[2]
Das Steger’sche Mumme-Haus
Mumme-Brauerei Steger um 1897
Die im Vorkriegs-Braunschweig bekannteste Adresse für gute Mumme war das Stammhaus der Brauerei Steger, das sogenannte „Mumme-Haus“, am Bäckerklint 4, gleich gegenüber dem noch heute vorhandenen Eulenspiegel-Brunnen.[17] Das um 1588 erbaute Fachwerkhaus wurde wie so viele andere im Zweiten Weltkrieg am 10. Februar 1944[18] bei einem der zahlreichen Luftangriffe so schwer beschädigt, dass es – bis auf Teile des Portals, das sich heute im Städtischen Museum Braunschweig befindet – abgerissen werden musste und nicht wieder aufgebaut wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es nur noch zwei Mumme-Brauereien in Braunschweig: Nettelbeck und Steger, wobei letztere ihren Betrieb 1954 einstellte. Die Familie Nettelbeck wiederum verkaufte die uralte Rezeptur, wonach das Getränk auch heute noch hergestellt wird, zusammen mit noch verwertbaren Gerätschaften 1949 an Lotterie-Einnehmer Leo Basilius. Der nahm die Produktion in bescheidenem Umfang wieder auf, allerdings nicht mehr am ursprünglichen Standort am Bäckerklint, sondern in einem Vorort, denn das alte Brauereigebäude war zerstört.
1990 ergab sich dann schließlich ein erneutes Schreckmoment in der nunmehr ca. 600-jährigen Geschichte des Traditionsgetränks: Ein staatliches Untersuchungsamt attestierte der Mumme einen zu hohen Eisengehalt, verursacht wahrscheinlich durch einen alten, eisernen Braukessel.[19] Da ein Neubau für den Eigentümer betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll erschien, wurde die Produktion von zuletzt ca. 30.000 Dosen pro Jahr eingestellt und eine 600-jährige Tradition schien damit ihr Ende gefunden zu haben. 1996 jedoch besann man sich, die Produktion wurde wieder aufgenommen und die Tradition damit bis in die Gegenwart erhalten. Hergestellt wird Mumme heute jedoch in Mülheim an der Ruhr und anschließend in Fässern nach Braunschweig geliefert, wo sie dann in die bekannten Dosen abgefüllt und verkauft wird. Vertrieben wird Mumme von der H. Nettelbeck Commandit-Gesellschaft, die seit 1998 wieder markenrechtlich die doppelte Segelschiff-Mumme geschützt hat.[20]
Mumme heute
Mumme in einer Dose – ohne Alkohol
Die seit 2008 wieder erhältliche alkoholhaltige Variante der Mumme
Alkoholfreie Version
Bis in das Jahr 2008 existierte die Braunschweiger Mumme lediglich in der alkoholfreien Version und ist als solche in Dosen abgefüllt erhältlich. Die nicht-alkoholische Mumme enthält hauptsächlich Maltose, aber auch Glucose, Saccharose und Fruktose. Wegen der erwähnten Süße und Zähflüssigkeit genießen aber nur wenige das Getränk pur. Es wird seit einigen Jahren, vor allem seit seiner „Renaissance“ durch die seit 2006 alljährlich stattfindende „Braunschweiger Mumme-Meile“ (s. u.) wiederentdeckt und verstärkt als Zusatz für Speisen und Getränke verwendet. Je nach Geschmack kann man einen Schuss in helles Bier (Pils) mischen oder aber zur Verfeinerung von Soßen, Kuchen und sonstigem Gebäck verwenden; mittlerweile existieren auch zahlreiche Kochbücher, die die Verwendungsvielfalt der Mumme widerspiegeln.
Viele Jahrzehnte lang war das Ergebnis der selbst verordneten Alkoholfreiheit jedoch deutlich spürbar: Braunschweiger Mumme hatte sich vom einstigen Exportartikel Nr. 1 der Stadt zum skurrilen Souvenir für Exil-Braunschweiger und Touristen entwickelt. Erst seit der „1. Braunschweiger Mumme-Meile“ im Herbst 2006 ist das Getränk aus seinem Nischen- und Dornröschen-Dasein herausgetreten bzw. erwacht.
„Braunschweiger Mumme-Meile“
2006 hat das Braunschweiger Stadtmarketing die Mumme wiederentdeckt: Im Oktober/November 2006 wurde die 1. „Braunschweiger Mumme-Meile“[1] in der Innenstadt veranstaltet. Besuchern wie Bewohnern der Stadt soll dabei durch vielfältige Veranstaltungen dieser Teil Wirtschaftsgeschichte der Stadt Braunschweig und die Mumme-Tradition wieder näher gebracht werden. Seither findet die „Mumme-Meile“ jeweils am 1. Wochenende im November statt.
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Werbeanzeige der Firma H. Nettelbeck in: "Braunschweigsches Adreß-Buch für das Jahr 1879"
Mumme-Brauerei Steger, Werbung von 1899
Fiktion und Wirklichkeit
Entgegen landläufiger Meinung ist die Bezeichnung „Mumme“ nicht auf einen Braunschweiger Bürger Christian Mumme zurückzuführen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden, begünstigt durch das 1736 erschienene Werk De Mumia Brunsvicensium des in Wolfenbüttel tätigen Arztes Franz Ernst Brückmann, zahlreiche Legenden um dieses alte Getränk, die fälschlicherweise teilweise noch heute kolportiert werden. Nach Brückmann soll besagter Christian Mumme, angeblich Bierbrauer in Braunschweig, die Rezeptur des Getränkes entweder um 1492 oder 1498 verbessert haben.[2] Zu dieser Zeit soll die Wirkung dieses Starkbiers, dem zahlreiche Gewürze beigemischt wurden, im wahrsten Sinn des Wortes „umwerfend“ gewesen sein.
Legendenbildung
Brückmanns Veröffentlichung förderte die bereits seit Jahrhunderten vorhandenen Geschichten und Legenden um die Braunschweiger Mumme, deren Bekanntheitsgrad weit über die Stadtgrenzen hinausging und deren Bedeutung für die Wirtschaft Braunschweigs in der frühen Neuzeit außerordentlich groß war. In der Folge verdrängten diese Geschichten großenteils die historischen Tatsachen.
So hat Brückmanns Buch erheblich dazu beigetragen, die Braunschweiger Mumme folkloristisch zu verklären.[3] Unterstützt wurde er dabei vom Kupferstecher A. Beck, der ab 1742 entsprechendes Bildmaterial zur Illustration beisteuerte. Brückmanns Mumme-Geschichte(n) und Becks Bilder fanden in der Folge Eingang in das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung und wurden schließlich von nachfolgenden Generationen als historische Tatsachen angesehen. Erst 1911 gelang es dem Braunschweiger Historiker und Direktor des Städtischen Museums, Heinrich Mack, in seinem Werk Zur Geschichte der Mumme. Insbesondere des Mummehandels im 17. Jahrhundert[2] nachzuweisen, dass es sich bei einem Großteil der tradierten Geschichten tatsächlich um Legenden handelte, so zum Beispiel bezüglich der Person des Christian Mumme, den Erzählungen über dessen Haus, über das Mumme-Kind sowie die Mumme-Probe.
Haus des Christian Mumme
Angebliches Brauhaus des Christian Mumme
Laut Brückmann soll Christian Mumme sein Bier in dem mit 1463 datierten und bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg tatsächlich vorhandenen Fachwerkhaus am Alten Petritore 2 gebraut haben; eine Illustration diente seither als Beleg für die Authentizität, wie auch die heute noch vorhandene geschnitzte Holzfigur eines Mannes mit einem Passglas, die an dem Haus befestigt war.[4] Mack gelang es jedoch anhand historischer Dokumente zweifelsfrei nachzuweisen, dass nicht einmal der Familienname Mumme für dieses Haus belegt ist.
Im Übrigen wurde ein Christian Mumme in Braunschweig urkundlich niemals erwähnt, was zumindest insofern verwunderlich ist, als er zum einen der Erfinder des angeblich nach ihm benannten Getränkes gewesen sein soll und zum anderen dieses Getränk der Exportschlager des mittelalterlichen Braunschweigs gewesen ist. Hätte dieser Christan Mumme wirklich existiert und das Getränk erfunden, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit in den Annalen der Stadt verzeichnet. Ein weiteres Indiz für die Existenz des Bieres vor 1492 stammt aus dem Jahre 1425, als der Hessische Landgraf bei einem Besuch in Braunschweig zwei Fässer Mumme verzehrt haben soll.
Mumme-Kind
Ein weiteres Beispiel für eine Fiktion ist das so genannte „Mumme-Kind“. Ein Kupferstich Becks stellt das Kind als einen extrem übergewichtigen jungen Mann dar, der an seiner Vorliebe für Mumme gestorben sein soll, da er sich an ihr im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode getrunken haben soll. Die Bildunterschrift lautete: „Abbildung eines Maltz-Kärners in Braunschweig, dem die Mumme so ungemein wohl geschmecket, daß er darinne sich so dicke, ja, gar zu Tode gesoffen, seines Alters 30 Jahr, an dem Gewicht hat er gewogen drey und einen halben Centner.“[5]
Mumme-Probe
Eher unter die Anekdoten fällt die Mumme-Probe. Süße und Zähflüssigkeit der Braunschweiger Mumme waren ihr Qualitätsmerkmal. Deshalb hatte sich eine Art Qualitätskontrolle entwickelt, die Maßstab sein sollte für die Güte der Mumme und damit für ihre Rezeptur. Man ging dabei wie folgt vor: Auf einen Stuhl oder Schemel wurde ein wenig Mumme gegossen und verstrichen. Anschließend musste sich jemand darauf setzen und sofort wieder aufstehen. Klebte die Sitzgelegenheit nun an seinem Gesäß, war die Mumme-Qualität einwandfrei.
Rechnung von 1390
Mack stieß bei seinen Recherchen zum Ursprung des Getränks auf eine Rechnung der Stadt Braunschweig für das Fest ihres Schutzpatrons St. Au(c)tor aus dem Jahre 1390.[2] Diese Rechnung war für „mumm“ ausgestellt. So ist es mehr als zweifelhaft, dass sich „Mumme“ wirklich von dem Namen eines Christian Mumme herleitete, denn die Rechnung entstand 102 Jahre vor dessen angeblicher Rezepturverbesserung. Darüber hinaus deutet eine „Verbesserung“ darauf hin, dass etwas schon vorher in minderer Qualität vorhanden gewesen sein muss. Auch die Jahreszahlen 1492 bzw. 1498 dürften sich eher an historischen Ereignissen, wie der Entdeckung Amerikas (1492) oder der Entdeckung des Seewegs nach Indien (1498) orientiert haben und somit ebenfalls zur Legendenbildung beigetragen haben.
Mumme als Gattungsbezeichnung
Mack wies weiterhin nach, dass die Bezeichnung „Mumme“ in Braunschweig zunächst eine Art Allgemeinbezeichnung für „dunkles Bier“ war,[6] im Gegensatz zu der Bezeichnung „Weißbier“ für ein Bier hellerer Farbe. Auch wurden in Braunschweig bereits sehr früh fünf verschiedene Mumme-Sorten gebraut; was jedoch allen gemein war, war ihre dunkelbraune Färbung, der starke Malzgehalt sowie die Dickflüssigkeit. In einem Edikt von 1571 wird „Mumme“ synonym zu Rotbier verwendet und von hellem Bier ausdrücklich unterschieden.
Rezeptur
Aufgrund ihrer vielhundertjährigen Geschichte, der verschiedenen Brau- und Zubereitungsarten sowie der verschiedenen Brauer ist es unmöglich, eine allgemeingültige Rezeptur bzw. Zusammensetzung anzugeben. Grundzutaten dürften aber auf jeden Fall Gerste, Hopfen und/oder Weizen in unterschiedlicher Menge gewesen sein, wobei auch hier genauere Angaben nicht möglich sind.
Krünitz’ Oeconomische Encyclopädie zählt 1773 unter Verweis auf weitere Quellen und in Abhängigkeit von der Zubereitungsphase, wie der Gärung oder auch dem Sieden folgende angebliche Bestandteile auf: Bohnen, Rinde und Spitzen von Tannen und Birken, Cardobenedictenkraut, Blüten von Sonnentau, Holunder und Thymian, Pimpinelle, Betonien, Majoran, Polei, Kardamom, Hagebutten, Alant, Gewürznelken, Zimt und sogar Eier. Zur Erzielung der dunkelroten bis -braunen Färbung soll auch Kirschsaft zugesetzt worden sein.
Der Wahrheitsgehalt dieser Angaben muss allerdings stark angezweifelt werden, da einige Bestandteile auch als Gerüchte verbreitet wurden, um den Ruf der Braunschweiger Mumme und damit ihren Absatz zu schädigen.
Exportschlager des ausgehenden Mittelalters
Aus dem Braunschweigischen Bierbuch von 1723:
„… die Mumme, welche ein angenehmer, wohlriech- und schmeckender Gersten-Safft ist, so in der Stadt Braunschweig gekochet, und wegen ihrer Vortrefflichkeit die Tag und Nacht gleichmachende Linie passieret und bis in beyde Indien verfahren wird, worin sie es allen anderen Bieren zuvor thut …“
Dank ihres hohen Alkohol- und Zuckergehaltes war Mumme in der frühen Neuzeit eines der wenigen Nahrungsmittel, das auch über längere Zeit hinweg für den Verzehr genießbar blieb und damit auch lange Reisen überstand. Aufgrund ihrer Zusammensetzung eignete sie sich vor allem als Proviant für die langen See- und Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts.
Um die Haltbarkeit des Getränks noch weiter verlängern zu können, wurde der Alkoholgehalt verdoppelt und es entstand die sogenannte „Schiff-Mumme“ oder „Segelschiff-Mumme“ (im Vergleich zur „schlechten“, das heißt einfachen „Stadt-Mumme“). Die Konsistenz der Schiff-Mumme soll eher der von Öl als der eines (heutigen) Bieres geähnelt haben. Selbst in den Tropen – Mumme wurde in speziell dafür hergestellten Fässern „in beide Indien“ (also Westindien und Ostindien) exportiert – verdarb das Bier nicht und trug so dazu bei, gefürchtete Mangelerkrankungen langer früher Schiffsreisen – wie Skorbut – zu verhindern. Aus dieser Zeit stammt das auch heute noch verwendete Markenzeichen auf den Getränkebehältnissen (bis in die 1970er Jahre Flaschen, seither Dosen): Ein ovales Siegel mit einem weißen Segelschiff (Dreimaster) auf blauem Grund.
Auf diese Weise erlebte das Getränk während vieler Jahrzehnte eine Konjunktur und wurde in der vorindustriellen Zeit Exportschlager Nr. 1 der Stadt Braunschweig. Zunächst wurde sie über Land nach Celle gebracht, von wo aus sie auf der Aller weiter transportiert wurde, um schließlich über Häfen wie Hamburg (nachweislich ab 1531), Lübeck und Bremen in alle Welt (u. a. nach Dänemark, Großbritannien, die Niederlande, Schweden sowie ins Baltikum) exportiert wurde, was Neider auf den Plan rief, so z. B. 1603 die Freie Hansestadt Bremen: Um einerseits von der Beliebtheit der Mumme zu profitieren und andererseits die eigenen Biere zu schützen, erhoben die Bremer einen exorbitanten Zoll auf das Getränk. So betrugen die Abgaben für die Durchfuhr über die Weser vor 1600 etwa 8 Schilling pro Fass, während sie danach bei 16 Schilling lagen.[7] Im Jahre 1608 beschwerten sich die Bremer Brauer, dass der Export ihrer Biere nach Ostfriesland um 90 % eingebrochen sei, da Mumme „jetzt auch auf Hochzeiten und Kindtaufen“ getrunken werde, was vor Jahren noch völlig unüblich gewesen sei. Dies wiederum wollte sich die Stadt Braunschweig nicht gefallen lassen (1613 wurden zirka 5000 Fässer nach Bremen geliefert). So kam es, dass man sich 1614 auf einen moderateren Zoll sowie auf die Überlassung des Mumme-Verkaufsrechts an die Bremer einigte. 1649 schließlich hob Bremen sein Durchfuhrverbot auf und Braunschweig konnte sein Produkt wieder selbst vertreiben.
Die Mumme hatte jedoch einen „Nachteil“ – ihren Geschmack. Damals, wie auch heute, war Maltose wesentlicher Bestandteil der Rezeptur, was das Getränk zwar haltbar, aber auch äußerst süß, klebrig und zähflüssig machte; aber da es bis Anfang des 17. Jahrhunderts keine (haltbare) Alternative gab, überwog der Vorteil der Haltbarkeit noch den geschmacklichen Nachteil.
Niedergang
Werbeanzeige der Firma H. Nettelbeck in: "Braunschweigisches Adreß-Buch für das Jahr 1893"
Werbung der Brauerei Nettelbeck von 1910
Protektionismus und Wirtschaftsspionage
Die Neider jedoch ließen sich allerhand einfallen, um Geschäfte mit ihren eigenen Bieren bzw. Nachahmerprodukten machen zu können, so wurde unter anderem in Meißen versucht, Mumme nachzubrauen, wobei zu diesem Zwecke sogar Gerste und Hopfen extra aus Braunschweig importiert wurden – dennoch schlug der Versuch fehl. Nach und nach aber wurden im Ausland erste Einfuhr- und damit Handelsverbote verhängt. In einem frühen Fall von Wirtschaftsspionage gelangte das Mumme-Rezept schließlich Mitte des 17. Jahrhunderts in englische Hände. George Monck, ein General Oliver Cromwells, behauptete, das Rezept von einer „vornehmen Person in Braunschweig“ erhalten zu haben.[8] Auf der Insel kopierte man nun die Mumme und verkaufte sie dort unter ihrem bekannten Namen. Um 1670 gelang es den Briten sogar, den Import der echten Mumme nach England für einige Jahre verbieten zu lassen.[9]
Zunächst jedoch erfreute sich das Braunschweiger Bier weiterhin größter Beliebtheit, die Exporte stiegen gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch an. Im Jahre 1681 verfassten die städtischen Brauer deshalb eine Protestnote an den Rat der Stadt, die auf ein Problem hinwies: Um sich gegen die üble Nachrede, die Mumme sei mit allerlei ungesunden Zusätzen versehen, zur Wehr zu setzen, war eine frühe Form der Qualitätskontrolle eingeführt worden – die sogenannten „Probeherren“.[10] Diese mussten jedes Mummenfass, bevor es zum Export freigegeben wurde und die Stadt verließ, zunächst verkosten. Bei bis zu 40 Fässern täglich hatte dies zur Folge, dass die Verkoster „vom Rausche beschlichen und derogestalt zugerichtet werden, daß Kopf und Füße ihres Amtes vergessen.“
Qualitäts- und Imageverlust
Allmählich jedoch änderten sich die Zeiten. Auch anderen Städten und Brauern gelang es schließlich in Verbindung mit verbesserten Konservierungstechniken von Lebensmitteln, haltbare Biere herzustellen, die zudem auch noch besser schmeckten. Dadurch brach der Absatz des Getränks massiv ein, und die Mumme büßte alsbald ihre marktführende Position ein.
Überdies führten zahlreiche schlechte Mumme-Kopien anderer Städte und Länder zu einem schleichenden Imageverlust des Originals; die mindere Qualität der Nachahmerprodukte trug zusätzlich zum Rückgang des Absatzes Braunschweiger Mumme bei. Auch in der Stadt selbst sorgten Import-Biere sowie seit Ende des 17. Jahrhunderts dort gebraute helle Biere dafür, dass Mumme allmählich in ein Nischendasein gedrängt wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sahen sich in der Stadt nur noch zwei Mumme-Brauereien zehn Brauereien gegenüber, die helles Bier produzierten.[11] Eine der Mumme-Brauereien, die Nettelbeck Mummebrauerei, ließ sich im Jahr 1907 die Marke Doppelte Schiff-Mumme schützen.[12]
Mumme anderer Städte und Länder
Wie beschrieben, war die Braunschweiger Mumme im Laufe ihrer langen Geschichte Opfer zahlreicher Plagiatoren. Ihr guter Ruf hat aber auch Brauereien in anderen Städten und Ländern dazu bewogen, vom guten Namen „Mumme“ zu profitieren, indem sie ihn sich „ausborgten“, um unter ihm eigene Produkte zu vermarkten. Drei Beispiele hierfür sind die „Rigaer Mumme“,[13] die Mumme der dänischen Brauerei Tuborg, die zwischen März 1951 und 1957 produziert wurde,[14] sowie die „Wismarer Mumme“, die anscheinend noch heute gebraut wird.[15]
Urahn des Malzbiers
Mumme-Werbung aus den USA (um 1900)
Der Niedergang des einstigen Exportschlagers kulminierte schließlich im 18. Jahrhundert in der Entscheidung, aus dem einstigen Starkbier ein fortan alkoholfreies Malzgetränk zu machen, das es bis auf den heutigen Tag auch geblieben ist. Wer damals diese Entscheidung getroffen hatte und warum, ist unbekannt. Sie muss aber wohl nach 1736 getroffen worden sein, denn das Rezept aus diesem Jahr enthielt noch Gerste und Hopfen.
Mumme wurde fortan eigentlich nur noch in Braunschweig und im engsten Umland konsumiert. Geworben wurde damit, dass es ein kräftigendes Getränk für „Wöchnerinnen, schwächliche Personen, Lungenkranke und Rekonvaleszenten“ sei; deshalb enthielt Mumme zeitweilig auch Eisen, Mangan, Chinin und Ähnliches.
Die Mumme in Musik und Literatur
Das Mumme-Lied
Werbung der Brauerei Steger von 1914
Im Laufe der Jahrhunderte entstanden zahlreiche literarische Werke, die die Braunschweiger Mumme priesen bzw. erwähnten. Ein Beispiel ist ein Gedicht, das Johann Albert Gebhardi, Rektor des Martino-Katharineums 1708 anlässlich der Hochzeit von Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel mit dem späteren Kaiser Karl VI. verfasste.[16] Ein zweites, sehr viel bekannteres, ist das „Mumme-Lied“ aus der Oper „Heinrich der Vogler“, die im Sommer 1718 in Braunschweig uraufgeführt wurde. Die Verse stammen von Johann Ulrich König, die Vertonung vom herzoglichen Kapellmeister Georg Caspar Schürmann (1672/73-1751).[3]
Die ersten zwei Strophen lauten:
(Die Schreibweise kann je nach Quelle stark variieren.)
Brunswyk, du leiwe Stadt,
vor vel dusent Städen,
dei sau schöne Mumme hat,
dar ik Worst kann freten.
Mumme smekkt noch mal sau fin,
as Tokay un Mosler wyn,
Slakkworst füllt den Magen …
Hochdeutsch:
Braunschweig, du liebe Stadt,
unter Tausenden von Städten.
die so schöne Mumme hat [und]
wo ich [Braunschweiger] Wurst essen kann.
Mumme schmeckt noch besser
als Tokajer und Mosel-Wein,
Schlackwurst füllt den Magen …
Ein Mumme-Gedicht
Als Anfang des 18. Jahrhunderts das Gerücht verbreitet wurde, die Braunschweiger Mumme sei mit allerhand Gewürzen und sonstigen obskuren Zutaten „verfälscht“, sowie mit Kirschsaft gefärbt, verfasste der bereits erwähnte Wolfenbütteler Mediziner Brückmann 1723 folgendes Gedicht auf die Mumme zu deren Verteidigung:
Das Gedicht von der Mumme
Die Mumme scheu’t sich nicht
sie will sich nicht verstecken
sie tritt ohn Masque hier der Welt recht vors Gesicht
wer durchs Vergrößrungs-Glaß will schauen ihre Flecken
beschaue sich vor erst
eh er das Urtheil spricht
Anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt Braunschweig im August 1861 verfasste Carl Schultes (* 1822; † 1904) das historische Schauspiel „Brunswick’s Leu, stark und treu“, in dem die Mumme ein letztes Mal gewürdigt wurde.[2]
Das Steger’sche Mumme-Haus
Mumme-Brauerei Steger um 1897
Die im Vorkriegs-Braunschweig bekannteste Adresse für gute Mumme war das Stammhaus der Brauerei Steger, das sogenannte „Mumme-Haus“, am Bäckerklint 4, gleich gegenüber dem noch heute vorhandenen Eulenspiegel-Brunnen.[17] Das um 1588 erbaute Fachwerkhaus wurde wie so viele andere im Zweiten Weltkrieg am 10. Februar 1944[18] bei einem der zahlreichen Luftangriffe so schwer beschädigt, dass es – bis auf Teile des Portals, das sich heute im Städtischen Museum Braunschweig befindet – abgerissen werden musste und nicht wieder aufgebaut wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es nur noch zwei Mumme-Brauereien in Braunschweig: Nettelbeck und Steger, wobei letztere ihren Betrieb 1954 einstellte. Die Familie Nettelbeck wiederum verkaufte die uralte Rezeptur, wonach das Getränk auch heute noch hergestellt wird, zusammen mit noch verwertbaren Gerätschaften 1949 an Lotterie-Einnehmer Leo Basilius. Der nahm die Produktion in bescheidenem Umfang wieder auf, allerdings nicht mehr am ursprünglichen Standort am Bäckerklint, sondern in einem Vorort, denn das alte Brauereigebäude war zerstört.
1990 ergab sich dann schließlich ein erneutes Schreckmoment in der nunmehr ca. 600-jährigen Geschichte des Traditionsgetränks: Ein staatliches Untersuchungsamt attestierte der Mumme einen zu hohen Eisengehalt, verursacht wahrscheinlich durch einen alten, eisernen Braukessel.[19] Da ein Neubau für den Eigentümer betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll erschien, wurde die Produktion von zuletzt ca. 30.000 Dosen pro Jahr eingestellt und eine 600-jährige Tradition schien damit ihr Ende gefunden zu haben. 1996 jedoch besann man sich, die Produktion wurde wieder aufgenommen und die Tradition damit bis in die Gegenwart erhalten. Hergestellt wird Mumme heute jedoch in Mülheim an der Ruhr und anschließend in Fässern nach Braunschweig geliefert, wo sie dann in die bekannten Dosen abgefüllt und verkauft wird. Vertrieben wird Mumme von der H. Nettelbeck Commandit-Gesellschaft, die seit 1998 wieder markenrechtlich die doppelte Segelschiff-Mumme geschützt hat.[20]
Mumme heute
Mumme in einer Dose – ohne Alkohol
Die seit 2008 wieder erhältliche alkoholhaltige Variante der Mumme
Alkoholfreie Version
Bis in das Jahr 2008 existierte die Braunschweiger Mumme lediglich in der alkoholfreien Version und ist als solche in Dosen abgefüllt erhältlich. Die nicht-alkoholische Mumme enthält hauptsächlich Maltose, aber auch Glucose, Saccharose und Fruktose. Wegen der erwähnten Süße und Zähflüssigkeit genießen aber nur wenige das Getränk pur. Es wird seit einigen Jahren, vor allem seit seiner „Renaissance“ durch die seit 2006 alljährlich stattfindende „Braunschweiger Mumme-Meile“ (s. u.) wiederentdeckt und verstärkt als Zusatz für Speisen und Getränke verwendet. Je nach Geschmack kann man einen Schuss in helles Bier (Pils) mischen oder aber zur Verfeinerung von Soßen, Kuchen und sonstigem Gebäck verwenden; mittlerweile existieren auch zahlreiche Kochbücher, die die Verwendungsvielfalt der Mumme widerspiegeln.
Viele Jahrzehnte lang war das Ergebnis der selbst verordneten Alkoholfreiheit jedoch deutlich spürbar: Braunschweiger Mumme hatte sich vom einstigen Exportartikel Nr. 1 der Stadt zum skurrilen Souvenir für Exil-Braunschweiger und Touristen entwickelt. Erst seit der „1. Braunschweiger Mumme-Meile“ im Herbst 2006 ist das Getränk aus seinem Nischen- und Dornröschen-Dasein herausgetreten bzw. erwacht.
„Braunschweiger Mumme-Meile“
2006 hat das Braunschweiger Stadtmarketing die Mumme wiederentdeckt: Im Oktober/November 2006 wurde die 1. „Braunschweiger Mumme-Meile“[1] in der Innenstadt veranstaltet. Besuchern wie Bewohnern der Stadt soll dabei durch vielfältige Veranstaltungen dieser Teil Wirtschaftsgeschichte der Stadt Braunschweig und die Mumme-Tradition wieder näher gebracht werden. Seither findet die „Mumme-Meile“ jeweils am 1. Wochenende im November statt.
Quelle - literatur & Einzelnachweise
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