Russlandfeldzug 1812
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Russlandfeldzug 1812
Napoleons Russlandfeldzug von 1812 (im Französischen Campagne de Russie, im Russischen auch Vaterländischer Krieg – Отечественная война, Otečestvennaja vojna – genannt) stellt die erste Phase des Sechsten Koalitionskriegs dar, in dem sich Frankreich und Russland mit ihren jeweiligen Verbündeten gegenüberstanden. Der Feldzug endete nach anfänglichen französischen Erfolgen in einer der größten militärischen Katastrophen der Geschichte. Nach der vollständigen Vertreibung der Grande Armée von russischem Territorium mündete der Feldzug Anfang 1813 in die zweite Kriegsphase: In den Befreiungskriegen wechselten zunächst Preußen und Österreich, später auch die von Frankreich dominierten deutschen Rheinbundstaaten auf die russische Seite und trugen zur Niederlage und Abdankung Napoleons im Jahr 1814 bei.
Die Ausgangslage vor dem Russlandfeldzug 1812: Europa unter französischer Vorherrschaft
Politische Vorgeschichte
Durch den Frieden von Tilsit wurden Napoleon Bonaparte und der russische Zar Alexander I. im Juli 1807 Verbündete. Eine von Napoleon geplante Verbindung zur Zarenfamilie durch die Heirat mit Katharina Pawlowna, einer Schwester Alexanders, wurde durch deren Vermählung 1809 mit Prinz Georg von Oldenburg verhindert. Ihre jüngere Schwester Anna, die Napoleon als Alternative vorgeschlagen hatte, war erst fünfzehn Jahre alt, weshalb man ihn auf einen späteren Zeitpunkt vertröstete. Diese Nachricht erreichte Napoleon erst, als er sich schon für Marie-Louise von Habsburg, eine Tochter des österreichischen Kaisers, entschieden hatte. Da es zur damaligen Zeit nicht unüblich war, Fünfzehnjährige zu verheiraten, sah Napoleon das als Zurückweisung an. Tatsächlich mochte die Mutter des Zaren Napoleon nicht und wollte keine ihrer Töchter mit ihm verheiraten.
Im Jahre 1809 war es zum Krieg zwischen Frankreich und Österreich gekommen. Gleichzeitig kam es zu Aufständen in Tirol, in Preußen und im Königreich Westphalen. Als Verbündeter Frankreichs griff Russland in Österreichs Feldzug gegen das Herzogtum Warschau ein. Aber die russische Armee führte nur einen Scheinfeldzug, in dem es zu keinem Kampf mit den Österreichern kam. Auch zu Preußen, mit dem Russland bis 1807 verbündet war, bestanden weiter gute Kontakte. Zwischen Alexander I. und der preußischen Königin gab es eine enge freundschaftliche Verbindung. Zum Missfallen Napoleons empfing der Zar das preußische Königspaar im Januar 1808 für einen mehrwöchigen Freundschaftsbesuch in Sankt Petersburg.
Napoleon lockerte im Jahr 1810 die Kontinentalsperre gegen Großbritannien für französische Schiffe. Französische Kaufleute durften unter Auflagen wieder Handel mit Großbritannien betreiben. Dagegen verlangte er im Oktober vom Zaren, dass selbst neutrale Schiffe, die russische Häfen anlaufen wollten, beschlagnahmt werden sollen, sofern sie Waren englischen Ursprungs an Bord hatten. Im August hatte Alexander I. erfahren, dass drei französische Divisionen aus Süddeutschland in die Nähe der russischen Grenze verlegt werden sollten. In Warschau waren für die polnischen Brigaden 50.000 neue Gewehre eingetroffen. Am Ende des Jahres annektierte Frankreich das Herzogtum Oldenburg und griff damit den Schwager des Zaren an. Alexander I. beteiligte sich nun nicht mehr an der Kontinentalsperre, die auch zu einer wirtschaftlichen Belastung geworden war. Russland durfte keine Rohstoffe wie Holz, Flachs oder Pech nach Großbritannien exportieren. Textilien, Kaffee, Tee, Tabak oder Zucker durften aus Großbritannien nicht importiert werden. Auch die Steuereinnahmen aus diesen Geschäften fehlten in der Staatskasse, dafür machten Schmuggler große Gewinne. Unternehmen, die vom Import oder Export abhängig waren, hatten Bankrott gemacht. Der Wert des Papierrubels war drastisch gesunken. Aufgrund der negativen Handelsbilanz verbot der Zar am 31. Dezember den Import von Luxusgütern. Davon war besonders Frankreich betroffen, das große Mengen Seide, Wein und Parfüm nach Russland exportierte. Andere Waren wurden mit so hohen Zöllen belegt, dass sie kaum noch importiert wurden. Das galt nur für Waren, die auf dem Landweg nach Russland kamen. Importe, die auf dem Seeweg erfolgten, waren zollfrei. Davon profitierten Engländer und die neutralen Staaten, deren Schiffe zu einem großen Teil englische Waren beförderten. Russland hielt große Teile des ehemaligen Königreichs Polen besetzt. Diese Gebiete waren traditionell wichtige Holzlieferanten für den Bau britischer Kriegs- und Handelsschiffe. Da Russland auch das waldreiche Finnland besetzt hatte, war es der größte Holzlieferant Europas und für den britischen Schiffbau lebenswichtig.
Im Jahr 1811 begannen Frankreich und Russland mit den Vorbereitungen für einen Krieg. Bereits im Februar wurden fünf zusätzliche russische Divisionen an die Grenze zu Polen verlegt, außerdem wurden die Truppen an der Grenze mit 180 Kanonen verstärkt. Die Rüstungsfabriken in Tula und Alexandrowsk erhielten die Anweisung, selbst an hohen Feiertagen zu arbeiten. Der Zar rechnete mit einer Invasion und dachte auch an einen Angriffskrieg. Dafür brauchte er die Unterstützung Polens, Preußens und Österreichs. Am 12. Februar schrieb er an Adam Czartoryski und machte ihm den Vorschlag, ein Königreich Polen auszurufen. Im Gegenzug sollten die wichtigsten Politiker und Militärs des Herzogtums Warschau ihm schriftlich garantieren, dass sie ihn unterstützen. Ende Februar schrieb er an den preußischen König und den österreichischen Kaiser, dabei weihte er sie teilweise in seine Pläne ein.[1] Napoleon erfuhr davon und versetzte seine Armee in Alarmbereitschaft. Beide Seiten versicherten mehrfach, dass sie keinen Krieg wollten. Der russische Militärattaché Alexander Iwanowitsch Tschernyschow reiste mehrmals zu Verhandlungen von Sankt Petersburg nach Paris. Bereits im April schrieb er aus Paris, dass, nach seiner Ansicht, der Krieg für Napoleon beschlossene Sache sei. Anderslautende Äußerungen hätten nur den Zweck, Zeit zu gewinnen. Fürst Alexander Kurakin, der russische Gesandte in Paris, musste sich am 15. August, auf einem Empfang zum Geburtstag Napoleons, von diesem einen lautstarken Vortrag anhören, in dem er behauptete, dass Russland einen Krieg plane. Am 17. Oktober unterzeichnete Gerhard von Scharnhorst in Sankt Petersburg einen Bündnisvertrag zwischen Preußen und Russland, der allerdings bedeutungslos blieb, da er nur für den Fall eines französischen Angriffs auf Preußen galt. In diesem Fall sollte sich die preußische Armee auf russisches Territorium zurückziehen, um sich dort mit der russischen Armee zu vereinen.
Im November forderte Napoleon topographische Karten über Russland aus der kaiserlichen Bibliothek an, wobei ihn besonders Litauen interessierte. Im Dezember informierte er seine Verbündeten, dass sie sich auf einen Krieg vorbereiten sollten. Ende 1811 wurde in Paris ein Drucker verhaftet, der russische Banknoten herstellte. Er tat das angeblich im Auftrag des französischen Polizeiministers und wurde wieder freigelassen. Louis-Philippe de Ségur, ein enger Vertrauter Napoleons, bestätigte die Festnahme.[2] Nach seiner Darstellung sah Napoleon das Falschgeld nur mit deutlichem Widerwillen und der größte Teil des Geldes wurde auf dem Rückzug in Wilna auf Anweisung Napoleons verbrannt. Was mit dem restlichen Teil passierte, verschwieg Ségur. Im Auftrag des preußischen Königs reiste Scharnhorst nach Wien, um dort Sondierungsgespräche zu führen. Am 26. Dezember lehnte der österreichische Kanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich ein Bündnis ab.
Napoleon war sich der Besonderheiten des Kriegsschauplatzes sowie der daraus abzuleitenden Maßnahmen durchaus bewusst. Das „Hineinstolpern“ in das „russische Wagnis“ − wie in der Literatur oft zu finden − fand definitiv nicht statt. So waren ihm die Erfahrungen während des Winterfeldzuges von 1806/07 östlich der Weichsel und in Polen bekannt, weiterhin versorgte er sich bereits im Frühjahr 1811 mit den wichtigsten literarischen Werken über die in den letzten Jahren stattgefundenen Feldzüge der Russen und Österreicher; ebenso waren ihm Darstellungen der Operationen Karls XII. gegen Russland im Großen Nordischen Krieg in den Jahren 1708/09 geläufig. Darüber hinaus waren unmittelbar vor dem Konflikt polnische und französische Offiziere damit beauftragt worden, die Wegverhältnisse jenseits des Njemen (deutsch: Memel) zu erkunden.[3]
Im Februar 1812 besetzten französische Truppen Schwedisch-Vorpommern und die damals schwedische Insel Rügen. Ein Mitarbeiter des Pariser Kriegsministeriums, der regelmäßig Informationen an Tschernyschow verkauft hatte, wurde im gleichen Monat festgenommen.[4] Auch Napoleon hatte seine Spione. Auf diesem Weg gelangte er in den Besitz russischer Druckplatten für Landkarten. Im März berichtete die Vossische Zeitung in Berlin über den Aufmarsch französischer Truppen in Deutschland. John Quincy Adams, amerikanischer Gesandter in Sankt Petersburg und später Präsident der USA, notierte zur gleichen Zeit den Abmarsch russischer Truppen aus Sankt Petersburg in sein Tagebuch. Schweden schloss am 5. April ein Bündnis mit Russland, in dem es auf das von Russland besetzte Finnland verzichtete. Im Gegenzug sollte es nach einem Sieg gegen Napoleon Norwegen erhalten, das zu Dänemark gehörte. Alexander I. verlangte am 8. April den Rückzug aller französischen Truppen als Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Dieses Schreiben wurde am 30. April in Paris übergeben. Bereits am 18. April hatte Napoleon England einen Friedensvorschlag gemacht, der abgelehnt wurde, da das Angebot vorsah, dass Napoleons Bruder Joseph König von Spanien bleiben sollte. Am 21. April verließ Alexander Sankt Petersburg und reiste nach Wilna, um das Kommando über die Armee zu übernehmen. In Litauen hatte man bereits vorher eine Nachrichtensperre verhängt. Die in Wilna lebende Gräfin Tiesenhausen schrieb: „Wir wussten nicht einmal, dass die Franzosen durch Deutschland marschierten […].“ Am 9. Mai verließ Napoleon Paris. Louis de Narbonne überreichte Alexander am 18. Mai ein Schreiben Napoleons, in dem der seine Friedensbereitschaft bestätigte. Im Gegenzug verlangte er, dass sich Russland wieder an der Kontinentalsperre beteiligen sollte. Narbonne berichtete Alexander auch über die Stärke der Grande Armée, wobei er das auf ausdrücklichen Befehl Napoleons tat. Alexander ließ sich nicht beeindrucken. Als Narbonne sechs Tage später ein Antwortschreiben an Napoleon übergab, erklärte der: „So sind also alle Vermittlungsvorschläge am Ende angelangt! Der Geist, der im russischen Lager herrscht, treibt uns in den Krieg. […] Es ist keine Zeit mit fruchtlosen Verhandlungen zu vergeuden […].“[5] Mit dem Frieden von Bukarest beendete Russland am 28. Mai den Krieg mit dem Osmanischen Reich, wodurch weitere Truppen für einen Krieg gegen Napoleon frei wurden. Nach den Verträgen mit Schweden und dem Osmanischen Reich marschierten 90.000 russische Soldaten als Verstärkung in Richtung der russisch-polnischen Grenze. Der russische Gesandte in Paris, Kurakin, hatte mehrfach seine Pässe für eine Abreise gefordert. Aus Sicht Napoleons war das ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen, was er Jahre später als russische Kriegserklärung darstellte. Kurakin erhielt seine Pässe am 12. Juni und reiste aus Paris ab. Am 22. Juni verfasste Napoleon in Wilkowiszki einen Tagesbefehl, in dem er den 2. Polnischen Krieg verkündete.[6] Am nächsten Tag ritt Napoleon, getarnt mit dem Mantel eines polnischen Ulanen, an den Njemen. Er wurde von Armand de Caulaincourt begleitet, der berichtete, dass das Pferd Napoleons vor einem aufspringenden Hasen scheute und der Kaiser vom Pferd fiel. Der Krieg begann mit einem schlechten Vorzeichen, so Caulaincourt.
Logistik
In früheren Kriegen hatte sich die französische Armee fast ausschließlich aus dem durchzogenen Land versorgt. In der Regel hatten französische Revolutionstruppen ebenso wie später Napoleons Truppen keinen militärisch organisierten Tross wie andere Armeen und waren deshalb schneller und beweglicher. Für den Krieg gegen Russland hatte Kaiser Napoleon eine umfangreichere Logistik als bisher geplant, und in Preußen und Polen wurden viele Lagerhäuser mit Vorräten gefüllt. Auf den Flüssen in Preußen und Polen wurde eine große Zahl von Lastkähnen eingesetzt, die den Nachschub auf dem Wasserweg übernahmen. Der Zeitpunkt für den Einmarsch war ebenfalls unter logistischen Aspekten festgelegt worden. Napoleon ging davon aus, dass die Armee sich zu dieser Jahreszeit auch mit russischem Getreide versorgen könnte, und für Pferde und Rinder sollte ausreichend Futter vorhanden sein. Die medizinische Versorgung war für die damalige Zeit vorbildlich. Die französische Armee war eine der ersten, die über Sanitätsfuhrwerke verfügten. Der Arzt Dominique Jean Larrey, der die mobilen Lazarette eingeführt hatte, begleitete die Armee in Russland als Leiter des medizinischen Korps.
Durch diesen Anspruch war der Tross, der der Großen Armee folgte, sehr umfangreich. Alleine Napoleons persönlicher Tross bestand aus achtzehn Versorgungswagen, einem Garderobewagen, zwei Butlern, drei Köchen, sechs Dienern und acht Pferdeknechten. Er selbst fuhr in einer sechsspännigen Kutsche, weitere 52 Kutschen wurden allein für seinen Stab benötigt sowie eine enorme Zahl von Fuhrwerken nur für dessen Versorgung. Zum Bau von Brücken führte man auf mehreren Wagen Pontons mit sowie Fuhrwerke mit Material und Werkzeug für Pioniere. Feldschmieden und eine mobile Druckerei gehörten zum Tross. Die Artillerie hatte nur mit ihren Lafetten für die Kanonen und den dazugehörigen Munitionswagen mehr als 3.000 Fuhrwerke. Schneider, Schuster und andere Handwerker begleiteten die Armee. Mehr als 50 Kassenwagen mit Geld für den Sold der Soldaten und andere Ausgaben begleiteten die Truppen. Jeder Stab der einzelnen Korps hatte einen riesigen Fuhrpark, darunter viele Fuhrwerke für den persönlichen Komfort der höheren Offiziere. Häufig wurden dadurch die Fuhrwerke behindert, die für die Versorgung der Armee wichtig waren. Der Arzt Heinrich von Roos berichtete, dass, als er Wilna erreichte, seine Sanitätsfahrzeuge noch nicht einmal den Njemen überquert hatten.
Über den bei den Verbänden schon vorhandenen Fuhrpark hinaus hatte Napoleon für das militärische Transportwesen zusätzlich 26 Equipagen-Bataillons mit über 6.000 Wagen bereitstellen lassen. Hinter der Armee sollten Herden mit Schlachtvieh folgen, das aber, ohne Pausen vorwärtsgetrieben, rasch abmagerte und zum beträchtlichen Teil am Straßenrand verendete. Darüber hinaus war ein Teil der 26 Equipagen-Bataillons mit Ochsen bespannt, die für den späteren Verzehr vorgesehen waren; diese Tiere verendeten wegen der mangelhaften Versorgung aber schon nach kurzer Zeit. Die Fuhrwerke der 26 Equipagen-Bataillone, die zusammen eine Transportkapazität von kaum 8000 Tonnen besaßen, reichten für die Versorgung der rund 600.000 Mann der Grande Armée (die Besatzungstruppen in Preußen und Polen sowie die zahlreichen Militärbeamten, die der Armee folgten, mussten schließlich ebenfalls ernährt werden) nicht im entferntesten aus. Daher requirierten die französischen Einheiten – genau wie schon die „Revolutionstruppen“ vor ihnen – in Preußen, Polen und Litauen unzählige Pferdefuhrwerke. Nach einem offiziellen Bericht der Regierung in Königsberg wurden im Jahr 1812 von der französischen Armee alleine in der preußischen Provinz Ostpreußen 1.629 Fuhrwerke und 7.546 Pferde förmlich requiriert.[7] Darüber hinaus nahmen die durchziehenden Truppen der Grande Armée aus der Provinz noch weitere 26.579 Wagen und 79.161 Pferde gewaltsam mit. Aus den anderen preußischen Provinzen und dem Großherzogtum Warschau wurden ähnliche Zahlen gemeldet. Der Marquis de Chambray bezeichnete diese zahllosen Privatfuhrwerke, die ohne Ordnung die Truppen begleiteten, als „eine wahre Plage“, da sie andauernd die Straßen blockierten und dadurch die marschierenden Verbände auseinanderrissen.[8] Die von der Armee zum Mitkommen gezwungenen Pferde und Menschen mussten sich, da sie nicht zur Armee gehörten, selbst versorgen. Diese wurden für kurze Zeit rücksichtslos ausgebeutet, so dass viele von ihnen dabei elend zugrunde gingen und nicht mehr nach Hause zurückkehrten.[9] Die Große Armee verteilte sich Ende August auf eine Fläche von rund 350.000 Quadratkilometern. Von den gut gefüllten großen Magazinen in Danzig hatten die Fuhrkolonnen nur bis Smolensk über 900 Kilometer zurückzulegen. Für diesen Weg benötigte ein Transportbataillon (hin und zurück) mehr als 80 Tage. Daher waren im Januar und Februar 1813 noch viele der französischen Magazine in Preußen, in Polen oder in Litauen mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und sonstigem Bedarf gefüllt, als sie von russischen und preußischen Truppen erobert wurden, während gleichzeitig viele französische Soldaten verhungerten. Alleine in Wilna erbeuteten die russischen Truppen 4 Millionen Portionen Brot und Zwieback, 3,6 Millionen Portionen Fleisch und 9 Millionen Portionen Branntwein, Wein und Bier sowie etliche tausend Tonnen Bekleidung und sonstigen Militärbedarf. In Minsk erbeuteten sie, trotz den Versuchen, sie bei der Besetzung der Stadt noch zu verbrennen, 2 Millionen Portionen Brot und Zwieback.[10] Der Anspruch der Grande Armée „schneller und beweglicher“ zu sein als andere Heere, führte dazu, dass der militärisch völlig unorganisierte Tross von Anfang an den Kampfeinheiten nicht folgen konnte, so dass der Hunger bei vielen Einheiten schon einsetzte, noch ehe der Njemen überschritten oder Grodno erreicht waren. Daher waren von Anfang an viele Soldaten auf der Suche nach Ess- und Trinkbarem. Dabei verließen sie nicht selten ihre Einheit, um auch in entfernter gelegenen Dörfern nach Nahrung zu suchen (wie zahlreiche Tagebücher und Briefe von Soldaten belegen). Nicht zuletzt deshalb verlor die Grande Armée schon in den ersten sechs Wochen rund 50.000 Soldaten durch Desertieren.
Bei den Einheiten gab es zwar Fuhrwagen für Lebensmittel, aber keine Wagen für das Futter der rund 150.000 Pferde. Die Tiere, die jeden Tag schwer zu arbeiten und dadurch auch einen erhöhten Energiebedarf hatten, waren weitgehend auf das Grünfutter angewiesen, das sie in der Nacht grasen konnten. Daher blieben bereits auf dem Weg nach Wilna etwa 10.000 Pferde liegen. Bis zur Schlacht von Smolensk gingen schon mehrere zehntausend Pferde ein.[11] Trotz der unterwegs laufend zwangsweise erfolgten Requirierung von Pferden musste auf dem Rückzug von Moskau ein großer Teil der französischen Kavallerie zu Fuß gehen, um Wagen und Geschütze bespannen zu können. Trotzdem mussten auf dem Rückzug nach kurzer Zeit zahlreiche Munitionswagen und Kanonen wegen fehlender Zugtiere verbrannt oder stehen gelassen werden. Das Gleiche gilt für die provisorischen Transportwagen für Kranke und Verwundete.
Die Logistik der „Großen Armee“ von 1812 war somit höchstens für einen ganz kurzen Feldzug ausgelegt. Das „revolutionäre“, auf Requirierung beruhende System war angesichts des dünn besiedelten Landes schon in Polen und Litauen ungenügend, es versagte endgültig, als die Armee am Dnjepr (kurz vor Smolensk) die Grenze nach („Alt-“) Russland überschritt und ab dort fast nur noch verlassene Dörfer und große Wälder vorfand. Da die Grande Armée auch keine Zelte für die Soldaten mit sich führte, mussten diese selbst bei Schneetreiben und klirrendem Frost im Freien biwakieren. Der weitgehende Verzicht auf einen militärisch organisierten Tross rächte sich in Russland. Die Invasoren verloren dadurch wesentlich mehr Menschen durch Hunger, Krankheit und Desertion als durch Feindeinwirkung.
So hier unterbrechen wir.
Wer weiterlesen möchte,hier der Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Russlandfeldzug_1812
Die Ausgangslage vor dem Russlandfeldzug 1812: Europa unter französischer Vorherrschaft
Politische Vorgeschichte
Durch den Frieden von Tilsit wurden Napoleon Bonaparte und der russische Zar Alexander I. im Juli 1807 Verbündete. Eine von Napoleon geplante Verbindung zur Zarenfamilie durch die Heirat mit Katharina Pawlowna, einer Schwester Alexanders, wurde durch deren Vermählung 1809 mit Prinz Georg von Oldenburg verhindert. Ihre jüngere Schwester Anna, die Napoleon als Alternative vorgeschlagen hatte, war erst fünfzehn Jahre alt, weshalb man ihn auf einen späteren Zeitpunkt vertröstete. Diese Nachricht erreichte Napoleon erst, als er sich schon für Marie-Louise von Habsburg, eine Tochter des österreichischen Kaisers, entschieden hatte. Da es zur damaligen Zeit nicht unüblich war, Fünfzehnjährige zu verheiraten, sah Napoleon das als Zurückweisung an. Tatsächlich mochte die Mutter des Zaren Napoleon nicht und wollte keine ihrer Töchter mit ihm verheiraten.
Im Jahre 1809 war es zum Krieg zwischen Frankreich und Österreich gekommen. Gleichzeitig kam es zu Aufständen in Tirol, in Preußen und im Königreich Westphalen. Als Verbündeter Frankreichs griff Russland in Österreichs Feldzug gegen das Herzogtum Warschau ein. Aber die russische Armee führte nur einen Scheinfeldzug, in dem es zu keinem Kampf mit den Österreichern kam. Auch zu Preußen, mit dem Russland bis 1807 verbündet war, bestanden weiter gute Kontakte. Zwischen Alexander I. und der preußischen Königin gab es eine enge freundschaftliche Verbindung. Zum Missfallen Napoleons empfing der Zar das preußische Königspaar im Januar 1808 für einen mehrwöchigen Freundschaftsbesuch in Sankt Petersburg.
Napoleon lockerte im Jahr 1810 die Kontinentalsperre gegen Großbritannien für französische Schiffe. Französische Kaufleute durften unter Auflagen wieder Handel mit Großbritannien betreiben. Dagegen verlangte er im Oktober vom Zaren, dass selbst neutrale Schiffe, die russische Häfen anlaufen wollten, beschlagnahmt werden sollen, sofern sie Waren englischen Ursprungs an Bord hatten. Im August hatte Alexander I. erfahren, dass drei französische Divisionen aus Süddeutschland in die Nähe der russischen Grenze verlegt werden sollten. In Warschau waren für die polnischen Brigaden 50.000 neue Gewehre eingetroffen. Am Ende des Jahres annektierte Frankreich das Herzogtum Oldenburg und griff damit den Schwager des Zaren an. Alexander I. beteiligte sich nun nicht mehr an der Kontinentalsperre, die auch zu einer wirtschaftlichen Belastung geworden war. Russland durfte keine Rohstoffe wie Holz, Flachs oder Pech nach Großbritannien exportieren. Textilien, Kaffee, Tee, Tabak oder Zucker durften aus Großbritannien nicht importiert werden. Auch die Steuereinnahmen aus diesen Geschäften fehlten in der Staatskasse, dafür machten Schmuggler große Gewinne. Unternehmen, die vom Import oder Export abhängig waren, hatten Bankrott gemacht. Der Wert des Papierrubels war drastisch gesunken. Aufgrund der negativen Handelsbilanz verbot der Zar am 31. Dezember den Import von Luxusgütern. Davon war besonders Frankreich betroffen, das große Mengen Seide, Wein und Parfüm nach Russland exportierte. Andere Waren wurden mit so hohen Zöllen belegt, dass sie kaum noch importiert wurden. Das galt nur für Waren, die auf dem Landweg nach Russland kamen. Importe, die auf dem Seeweg erfolgten, waren zollfrei. Davon profitierten Engländer und die neutralen Staaten, deren Schiffe zu einem großen Teil englische Waren beförderten. Russland hielt große Teile des ehemaligen Königreichs Polen besetzt. Diese Gebiete waren traditionell wichtige Holzlieferanten für den Bau britischer Kriegs- und Handelsschiffe. Da Russland auch das waldreiche Finnland besetzt hatte, war es der größte Holzlieferant Europas und für den britischen Schiffbau lebenswichtig.
Im Jahr 1811 begannen Frankreich und Russland mit den Vorbereitungen für einen Krieg. Bereits im Februar wurden fünf zusätzliche russische Divisionen an die Grenze zu Polen verlegt, außerdem wurden die Truppen an der Grenze mit 180 Kanonen verstärkt. Die Rüstungsfabriken in Tula und Alexandrowsk erhielten die Anweisung, selbst an hohen Feiertagen zu arbeiten. Der Zar rechnete mit einer Invasion und dachte auch an einen Angriffskrieg. Dafür brauchte er die Unterstützung Polens, Preußens und Österreichs. Am 12. Februar schrieb er an Adam Czartoryski und machte ihm den Vorschlag, ein Königreich Polen auszurufen. Im Gegenzug sollten die wichtigsten Politiker und Militärs des Herzogtums Warschau ihm schriftlich garantieren, dass sie ihn unterstützen. Ende Februar schrieb er an den preußischen König und den österreichischen Kaiser, dabei weihte er sie teilweise in seine Pläne ein.[1] Napoleon erfuhr davon und versetzte seine Armee in Alarmbereitschaft. Beide Seiten versicherten mehrfach, dass sie keinen Krieg wollten. Der russische Militärattaché Alexander Iwanowitsch Tschernyschow reiste mehrmals zu Verhandlungen von Sankt Petersburg nach Paris. Bereits im April schrieb er aus Paris, dass, nach seiner Ansicht, der Krieg für Napoleon beschlossene Sache sei. Anderslautende Äußerungen hätten nur den Zweck, Zeit zu gewinnen. Fürst Alexander Kurakin, der russische Gesandte in Paris, musste sich am 15. August, auf einem Empfang zum Geburtstag Napoleons, von diesem einen lautstarken Vortrag anhören, in dem er behauptete, dass Russland einen Krieg plane. Am 17. Oktober unterzeichnete Gerhard von Scharnhorst in Sankt Petersburg einen Bündnisvertrag zwischen Preußen und Russland, der allerdings bedeutungslos blieb, da er nur für den Fall eines französischen Angriffs auf Preußen galt. In diesem Fall sollte sich die preußische Armee auf russisches Territorium zurückziehen, um sich dort mit der russischen Armee zu vereinen.
Im November forderte Napoleon topographische Karten über Russland aus der kaiserlichen Bibliothek an, wobei ihn besonders Litauen interessierte. Im Dezember informierte er seine Verbündeten, dass sie sich auf einen Krieg vorbereiten sollten. Ende 1811 wurde in Paris ein Drucker verhaftet, der russische Banknoten herstellte. Er tat das angeblich im Auftrag des französischen Polizeiministers und wurde wieder freigelassen. Louis-Philippe de Ségur, ein enger Vertrauter Napoleons, bestätigte die Festnahme.[2] Nach seiner Darstellung sah Napoleon das Falschgeld nur mit deutlichem Widerwillen und der größte Teil des Geldes wurde auf dem Rückzug in Wilna auf Anweisung Napoleons verbrannt. Was mit dem restlichen Teil passierte, verschwieg Ségur. Im Auftrag des preußischen Königs reiste Scharnhorst nach Wien, um dort Sondierungsgespräche zu führen. Am 26. Dezember lehnte der österreichische Kanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich ein Bündnis ab.
Napoleon war sich der Besonderheiten des Kriegsschauplatzes sowie der daraus abzuleitenden Maßnahmen durchaus bewusst. Das „Hineinstolpern“ in das „russische Wagnis“ − wie in der Literatur oft zu finden − fand definitiv nicht statt. So waren ihm die Erfahrungen während des Winterfeldzuges von 1806/07 östlich der Weichsel und in Polen bekannt, weiterhin versorgte er sich bereits im Frühjahr 1811 mit den wichtigsten literarischen Werken über die in den letzten Jahren stattgefundenen Feldzüge der Russen und Österreicher; ebenso waren ihm Darstellungen der Operationen Karls XII. gegen Russland im Großen Nordischen Krieg in den Jahren 1708/09 geläufig. Darüber hinaus waren unmittelbar vor dem Konflikt polnische und französische Offiziere damit beauftragt worden, die Wegverhältnisse jenseits des Njemen (deutsch: Memel) zu erkunden.[3]
Im Februar 1812 besetzten französische Truppen Schwedisch-Vorpommern und die damals schwedische Insel Rügen. Ein Mitarbeiter des Pariser Kriegsministeriums, der regelmäßig Informationen an Tschernyschow verkauft hatte, wurde im gleichen Monat festgenommen.[4] Auch Napoleon hatte seine Spione. Auf diesem Weg gelangte er in den Besitz russischer Druckplatten für Landkarten. Im März berichtete die Vossische Zeitung in Berlin über den Aufmarsch französischer Truppen in Deutschland. John Quincy Adams, amerikanischer Gesandter in Sankt Petersburg und später Präsident der USA, notierte zur gleichen Zeit den Abmarsch russischer Truppen aus Sankt Petersburg in sein Tagebuch. Schweden schloss am 5. April ein Bündnis mit Russland, in dem es auf das von Russland besetzte Finnland verzichtete. Im Gegenzug sollte es nach einem Sieg gegen Napoleon Norwegen erhalten, das zu Dänemark gehörte. Alexander I. verlangte am 8. April den Rückzug aller französischen Truppen als Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Dieses Schreiben wurde am 30. April in Paris übergeben. Bereits am 18. April hatte Napoleon England einen Friedensvorschlag gemacht, der abgelehnt wurde, da das Angebot vorsah, dass Napoleons Bruder Joseph König von Spanien bleiben sollte. Am 21. April verließ Alexander Sankt Petersburg und reiste nach Wilna, um das Kommando über die Armee zu übernehmen. In Litauen hatte man bereits vorher eine Nachrichtensperre verhängt. Die in Wilna lebende Gräfin Tiesenhausen schrieb: „Wir wussten nicht einmal, dass die Franzosen durch Deutschland marschierten […].“ Am 9. Mai verließ Napoleon Paris. Louis de Narbonne überreichte Alexander am 18. Mai ein Schreiben Napoleons, in dem der seine Friedensbereitschaft bestätigte. Im Gegenzug verlangte er, dass sich Russland wieder an der Kontinentalsperre beteiligen sollte. Narbonne berichtete Alexander auch über die Stärke der Grande Armée, wobei er das auf ausdrücklichen Befehl Napoleons tat. Alexander ließ sich nicht beeindrucken. Als Narbonne sechs Tage später ein Antwortschreiben an Napoleon übergab, erklärte der: „So sind also alle Vermittlungsvorschläge am Ende angelangt! Der Geist, der im russischen Lager herrscht, treibt uns in den Krieg. […] Es ist keine Zeit mit fruchtlosen Verhandlungen zu vergeuden […].“[5] Mit dem Frieden von Bukarest beendete Russland am 28. Mai den Krieg mit dem Osmanischen Reich, wodurch weitere Truppen für einen Krieg gegen Napoleon frei wurden. Nach den Verträgen mit Schweden und dem Osmanischen Reich marschierten 90.000 russische Soldaten als Verstärkung in Richtung der russisch-polnischen Grenze. Der russische Gesandte in Paris, Kurakin, hatte mehrfach seine Pässe für eine Abreise gefordert. Aus Sicht Napoleons war das ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen, was er Jahre später als russische Kriegserklärung darstellte. Kurakin erhielt seine Pässe am 12. Juni und reiste aus Paris ab. Am 22. Juni verfasste Napoleon in Wilkowiszki einen Tagesbefehl, in dem er den 2. Polnischen Krieg verkündete.[6] Am nächsten Tag ritt Napoleon, getarnt mit dem Mantel eines polnischen Ulanen, an den Njemen. Er wurde von Armand de Caulaincourt begleitet, der berichtete, dass das Pferd Napoleons vor einem aufspringenden Hasen scheute und der Kaiser vom Pferd fiel. Der Krieg begann mit einem schlechten Vorzeichen, so Caulaincourt.
Logistik
In früheren Kriegen hatte sich die französische Armee fast ausschließlich aus dem durchzogenen Land versorgt. In der Regel hatten französische Revolutionstruppen ebenso wie später Napoleons Truppen keinen militärisch organisierten Tross wie andere Armeen und waren deshalb schneller und beweglicher. Für den Krieg gegen Russland hatte Kaiser Napoleon eine umfangreichere Logistik als bisher geplant, und in Preußen und Polen wurden viele Lagerhäuser mit Vorräten gefüllt. Auf den Flüssen in Preußen und Polen wurde eine große Zahl von Lastkähnen eingesetzt, die den Nachschub auf dem Wasserweg übernahmen. Der Zeitpunkt für den Einmarsch war ebenfalls unter logistischen Aspekten festgelegt worden. Napoleon ging davon aus, dass die Armee sich zu dieser Jahreszeit auch mit russischem Getreide versorgen könnte, und für Pferde und Rinder sollte ausreichend Futter vorhanden sein. Die medizinische Versorgung war für die damalige Zeit vorbildlich. Die französische Armee war eine der ersten, die über Sanitätsfuhrwerke verfügten. Der Arzt Dominique Jean Larrey, der die mobilen Lazarette eingeführt hatte, begleitete die Armee in Russland als Leiter des medizinischen Korps.
Durch diesen Anspruch war der Tross, der der Großen Armee folgte, sehr umfangreich. Alleine Napoleons persönlicher Tross bestand aus achtzehn Versorgungswagen, einem Garderobewagen, zwei Butlern, drei Köchen, sechs Dienern und acht Pferdeknechten. Er selbst fuhr in einer sechsspännigen Kutsche, weitere 52 Kutschen wurden allein für seinen Stab benötigt sowie eine enorme Zahl von Fuhrwerken nur für dessen Versorgung. Zum Bau von Brücken führte man auf mehreren Wagen Pontons mit sowie Fuhrwerke mit Material und Werkzeug für Pioniere. Feldschmieden und eine mobile Druckerei gehörten zum Tross. Die Artillerie hatte nur mit ihren Lafetten für die Kanonen und den dazugehörigen Munitionswagen mehr als 3.000 Fuhrwerke. Schneider, Schuster und andere Handwerker begleiteten die Armee. Mehr als 50 Kassenwagen mit Geld für den Sold der Soldaten und andere Ausgaben begleiteten die Truppen. Jeder Stab der einzelnen Korps hatte einen riesigen Fuhrpark, darunter viele Fuhrwerke für den persönlichen Komfort der höheren Offiziere. Häufig wurden dadurch die Fuhrwerke behindert, die für die Versorgung der Armee wichtig waren. Der Arzt Heinrich von Roos berichtete, dass, als er Wilna erreichte, seine Sanitätsfahrzeuge noch nicht einmal den Njemen überquert hatten.
Über den bei den Verbänden schon vorhandenen Fuhrpark hinaus hatte Napoleon für das militärische Transportwesen zusätzlich 26 Equipagen-Bataillons mit über 6.000 Wagen bereitstellen lassen. Hinter der Armee sollten Herden mit Schlachtvieh folgen, das aber, ohne Pausen vorwärtsgetrieben, rasch abmagerte und zum beträchtlichen Teil am Straßenrand verendete. Darüber hinaus war ein Teil der 26 Equipagen-Bataillons mit Ochsen bespannt, die für den späteren Verzehr vorgesehen waren; diese Tiere verendeten wegen der mangelhaften Versorgung aber schon nach kurzer Zeit. Die Fuhrwerke der 26 Equipagen-Bataillone, die zusammen eine Transportkapazität von kaum 8000 Tonnen besaßen, reichten für die Versorgung der rund 600.000 Mann der Grande Armée (die Besatzungstruppen in Preußen und Polen sowie die zahlreichen Militärbeamten, die der Armee folgten, mussten schließlich ebenfalls ernährt werden) nicht im entferntesten aus. Daher requirierten die französischen Einheiten – genau wie schon die „Revolutionstruppen“ vor ihnen – in Preußen, Polen und Litauen unzählige Pferdefuhrwerke. Nach einem offiziellen Bericht der Regierung in Königsberg wurden im Jahr 1812 von der französischen Armee alleine in der preußischen Provinz Ostpreußen 1.629 Fuhrwerke und 7.546 Pferde förmlich requiriert.[7] Darüber hinaus nahmen die durchziehenden Truppen der Grande Armée aus der Provinz noch weitere 26.579 Wagen und 79.161 Pferde gewaltsam mit. Aus den anderen preußischen Provinzen und dem Großherzogtum Warschau wurden ähnliche Zahlen gemeldet. Der Marquis de Chambray bezeichnete diese zahllosen Privatfuhrwerke, die ohne Ordnung die Truppen begleiteten, als „eine wahre Plage“, da sie andauernd die Straßen blockierten und dadurch die marschierenden Verbände auseinanderrissen.[8] Die von der Armee zum Mitkommen gezwungenen Pferde und Menschen mussten sich, da sie nicht zur Armee gehörten, selbst versorgen. Diese wurden für kurze Zeit rücksichtslos ausgebeutet, so dass viele von ihnen dabei elend zugrunde gingen und nicht mehr nach Hause zurückkehrten.[9] Die Große Armee verteilte sich Ende August auf eine Fläche von rund 350.000 Quadratkilometern. Von den gut gefüllten großen Magazinen in Danzig hatten die Fuhrkolonnen nur bis Smolensk über 900 Kilometer zurückzulegen. Für diesen Weg benötigte ein Transportbataillon (hin und zurück) mehr als 80 Tage. Daher waren im Januar und Februar 1813 noch viele der französischen Magazine in Preußen, in Polen oder in Litauen mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und sonstigem Bedarf gefüllt, als sie von russischen und preußischen Truppen erobert wurden, während gleichzeitig viele französische Soldaten verhungerten. Alleine in Wilna erbeuteten die russischen Truppen 4 Millionen Portionen Brot und Zwieback, 3,6 Millionen Portionen Fleisch und 9 Millionen Portionen Branntwein, Wein und Bier sowie etliche tausend Tonnen Bekleidung und sonstigen Militärbedarf. In Minsk erbeuteten sie, trotz den Versuchen, sie bei der Besetzung der Stadt noch zu verbrennen, 2 Millionen Portionen Brot und Zwieback.[10] Der Anspruch der Grande Armée „schneller und beweglicher“ zu sein als andere Heere, führte dazu, dass der militärisch völlig unorganisierte Tross von Anfang an den Kampfeinheiten nicht folgen konnte, so dass der Hunger bei vielen Einheiten schon einsetzte, noch ehe der Njemen überschritten oder Grodno erreicht waren. Daher waren von Anfang an viele Soldaten auf der Suche nach Ess- und Trinkbarem. Dabei verließen sie nicht selten ihre Einheit, um auch in entfernter gelegenen Dörfern nach Nahrung zu suchen (wie zahlreiche Tagebücher und Briefe von Soldaten belegen). Nicht zuletzt deshalb verlor die Grande Armée schon in den ersten sechs Wochen rund 50.000 Soldaten durch Desertieren.
Bei den Einheiten gab es zwar Fuhrwagen für Lebensmittel, aber keine Wagen für das Futter der rund 150.000 Pferde. Die Tiere, die jeden Tag schwer zu arbeiten und dadurch auch einen erhöhten Energiebedarf hatten, waren weitgehend auf das Grünfutter angewiesen, das sie in der Nacht grasen konnten. Daher blieben bereits auf dem Weg nach Wilna etwa 10.000 Pferde liegen. Bis zur Schlacht von Smolensk gingen schon mehrere zehntausend Pferde ein.[11] Trotz der unterwegs laufend zwangsweise erfolgten Requirierung von Pferden musste auf dem Rückzug von Moskau ein großer Teil der französischen Kavallerie zu Fuß gehen, um Wagen und Geschütze bespannen zu können. Trotzdem mussten auf dem Rückzug nach kurzer Zeit zahlreiche Munitionswagen und Kanonen wegen fehlender Zugtiere verbrannt oder stehen gelassen werden. Das Gleiche gilt für die provisorischen Transportwagen für Kranke und Verwundete.
Die Logistik der „Großen Armee“ von 1812 war somit höchstens für einen ganz kurzen Feldzug ausgelegt. Das „revolutionäre“, auf Requirierung beruhende System war angesichts des dünn besiedelten Landes schon in Polen und Litauen ungenügend, es versagte endgültig, als die Armee am Dnjepr (kurz vor Smolensk) die Grenze nach („Alt-“) Russland überschritt und ab dort fast nur noch verlassene Dörfer und große Wälder vorfand. Da die Grande Armée auch keine Zelte für die Soldaten mit sich führte, mussten diese selbst bei Schneetreiben und klirrendem Frost im Freien biwakieren. Der weitgehende Verzicht auf einen militärisch organisierten Tross rächte sich in Russland. Die Invasoren verloren dadurch wesentlich mehr Menschen durch Hunger, Krankheit und Desertion als durch Feindeinwirkung.
So hier unterbrechen wir.
Wer weiterlesen möchte,hier der Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Russlandfeldzug_1812
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