Ethnie oder ethnische Gruppe
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Ethnie oder ethnische Gruppe
Eine Ethnie oder ethnische Gruppe (altgriechisch éthnos „[fremdes] Volk, Volkszugehörige“) ist in den Sozialwissenschaften – insbesondere in der Ethnologie (Völkerkunde) – eine abgrenzbare Menschengruppe, der aufgrund ihres intuitiven Selbstverständnisses und Gemeinschaftsgefühls eine eigenständige Identität als Volksgruppe innerhalb eines Staates zuerkannt wird. Grundlage dieser Ethnizität können gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Wirtschaftsweise, Geschichte, Kultur, Religion oder Verbindung zu einem bestimmten Gebiet sein.[1][2] Eine Ethnie muss keine gemeinsame Abstammungsgruppe sein (familienübergreifend), die Zugehörigkeit vererbt sich weiter (familienumfassend) und es muss keine eindeutigen Grenzziehungen geben (Zugehörigkeit zu mehreren Ethnien möglich).[3] Der geschichtliche, soziale und kulturelle Vorgang der Entstehung einer Ethnie wird als Ethnogenese bezeichnet.
Die Onge auf den indischen Andamanen-Inseln sind mit unter 100 Angehörigen eine der kleinsten Ethnien der Welt
Zu den rund 1.300 weltweit erfassten Ethnien[4] gehört eine große Anzahl indigener Völker (lateinisch „eingeboren, ursprünglich”). Siehe hierzu die Liste indigener Völker. Im deutschen Sprachraum wird der Begriff Ethnie gemeinsprachig mit gleicher Bedeutung wie Volk verwendet; während Wissenschaftler den Terminus Volk eher vermeiden oder als Oberbegriff für Gesamtgesellschaften aus mehreren verbundenen Ethnien verwenden.[5][6]
Begrifflichkeiten
Das altgriechische Wort éthnos beschreibt die Abgrenzung durch Selbst- und Fremdzuweisung. Das Wort wurde zunächst lediglich als Fremdzuweisung benutzt. Seine Bedeutung und Verwendung unterliegt starkem Wandel. Ethnische Gruppierungen definieren sich in der Regel durch eine gemeinsame Vergangenheit. Die Gemeinsamkeit zeigt sich oft in geschichtlicher Überlieferung (Tradition), Brauchtum, Sprache, Religion, Kleidung, Ernährung und Lebensgewohnheiten.
Der Begriff der Ethnie ist teilweise dem der Volkszugehörigkeit und teilweise dem der Kulturnation verwandt. Bei Max Weber wird eine ethnische Gruppe folgendermaßen definiert:
„Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“
Der Begriff ist äußerst problematisch, denn es besteht häufig die Gefahr der Essenzialisierung.[7] So wird dieser heute zum Beispiel anstelle des Begriffs Rasse verwendet und ersetzt diesen synonym, folgt damit also der gleichen Logik. Es ist jedoch wichtig, gerade die Konstruiertheit von Gruppen und eben nicht ihre Natürlichkeit zu betonen. Gruppenzugehörigkeiten und damit auch Merkmale unterliegen nämlich kontinuierlichem Wandel und sind stark geprägt durch Mechanismen der Grenzziehung.[8][9]
Adjektiv ethnisch
Während die Begriffe Volk und Ethnie weiterhin im aktuellen Wortschatz vorkommen, bietet sich im wertfreieren Zusammenhang nur das entsprechende Adjektiv ethnisch an. Das Wort „völkisch“ hat durch den historischen Gebrauch in der deutschen Sprache eine abweichende Bedeutung erlangt (vgl. völkische Bewegung). So hat sich die Verbreitung von Ethnie als Entsprechung zu seinem Adjektiv ethnisch vollzogen.
Das Adjektiv „ethnisch“ wird verwendet, um die Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit von Menschen zu benennen, die von ihrer Staatsbürgerschaft unabhängig ist.
Abgrenzung „Ethnos“ und „Demos“
Die Gesamtmenge der Angehörigen eines Volkes im ethnischen Sinn (eines Ethnos) ist nicht identisch mit der Menge der Wahlberechtigten in einem Staat (mit dessen Demos). So sind nicht alle Staatsbürger Finnlands, Frankreichs, Deutschlands usw. auch ethnische Finnen, Franzosen, Deutsche usw., und nicht alle Angehörigen eines Volks oder einer Volksgruppe bewohnen ihren Nationalstaat, in dem sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Es gibt Völker und Volksgruppen ohne „eigenen Staat“ (z. B. Tamilen und Kurden) oder solche, die sich mit anderen Völkern und Volksgruppen einen Staat teilen (in Europa z. B. Schweiz und Belgien).
Im Deutschen ist die Bezeichnung Volksgruppe üblich. Oft leben verschiedene Volksgruppen in einem Staatsgebiet. Beispielsweise bestand der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im 19. und 20. Jahrhundert aus verschiedenen Ethnien (vor allem Deutschen, Ungarn, Slowenen, Bosniaken, Kroaten und Italienern). Das gilt auch heute noch für die Schweiz, die keine ethnische Einheit bildet, sondern aus verschiedenen ethnischen Gruppen besteht (deutsch-, französisch-, italienisch-, rätoromanisch- und jenischsprachige Schweizer) und aufgrund diverser ethnischer Minderheiten in Deutschland und Österreich (etwa Dänen, Friesen, Sorben, Sinti, Roma, Kroaten, Ungarn) in geringerem Umfang auch für diese beiden Staaten. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass es kaum ethnisch homogene Staaten gibt. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und willkürliche Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgehen, so zum Beispiel die Staaten Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Asiens und Polynesiens (z. B. Indonesien), oder durch Einwanderung geprägt sind, wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Australien, sowie Süd- und Mittelamerika.
Abgrenzung „Ethnos“ und „Sprachgemeinschaft“
Durch die Bezeichnung „ethnisch“ werden Menschen nicht nach linguistischen Gesichtspunkten nach ihrer Muttersprache in Gruppen eingeteilt. In manchen Ländern, insbesondere in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada, benutzen verschiedene ethnische Gruppen dieselbe Sprache als gemeinsame Verkehrssprache, selbst als Muttersprache. Andererseits gibt es innerhalb der Sprache vieler Ethnien starke Dialektunterschiede, die im Laufe der Zeit zur Ausbildung von zwei verschiedenen Sprachen führen können; in diesem Fall stellt sich die Frage, ob deren Sprecher Angehörige von zwei verschiedenen Ethnien sein können. Es gibt jedoch zahlreiche Fälle, in denen das eindeutig nicht so ist: So gelten nicht nur Menschen, die mit Hochdeutsch oder einem mittel- oder oberdeutschen Dialekt als Muttersprache aufgewachsen sind, als „Deutsche“, sondern auch Menschen mit Plattdeutsch als Muttersprache. Gleiches gilt in Deutschland für die Angehörigen nationaler Minderheiten. Auch zählen sich viele Menschen zu einer bestimmten Ethnie, obwohl sie deren Sprache nicht oder nur gebrochen sprechen (z. B. empfinden sich viele Russlanddeutsche, die nur Russisch fließend sprechen, als deutsche Volkszugehörige). Bei Nationalitäteneinträgen in amtlichen Dokumenten, die es z. B. in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gibt, wird die Frage, ob jemand die Sprache seiner Nationalität spricht, nicht gestellt. Stattdessen werden dort bei der Festlegung der Nationalität eines Menschen seine Abstammung, gegebenenfalls sein Bekenntnis zu einer Nationalität als Zuordnungskriterien verwendet. Bei den Volkszählungen in der Türkei wird seit 1985 nicht mehr nach der Muttersprache gefragt, so dass es anhand dieses Kriteriums keine exakten Angaben zur Anzahl der Kurden in der Türkei gibt.
Ethnie und Religion
Im Osmanischen Reich und im späteren Jugoslawien wurde als Unterscheidungskriterium der Nationalitäten oder Ethnien die Religionszugehörigkeit verwendet. So war lange Zeit die Bezeichnung „slawische Muslime“ üblich und ist es in Serbien und Montenegro teilweise immer noch. Im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen gelangte 1992 der Begriff „ethnische Säuberung“ in den deutschen Sprachraum.
„Indigene Völker“ als Ethnien
→ Hauptartikel: Indigene Völker und Liste indigener Völker
Dem angelsächsischen Sprachgebrauch entsprechend werden auch solche Kulturen und Kulturelemente ethnisch genannt, die in einer westlichen oder in der globalen Zivilisation als Überreste von Urbevölkerungen und deren Traditionen lebendig sind. Beispiel für indigene Völker (lateinisch indiges „eingeboren”) sind die Indianer Nordamerikas, die sich als Angehörige einer „Indianischen Nation” (Indian Nation) und damit einer gemeinsamen Ethnie verstehen. Entsprechendes gilt für die Aborigines in Australien, die südafrikanischen Buschleute (San) und die Eskimos im nördlichen Polargebiet (siehe auch Indigene Völker der Welt, Indigene Völker in Wildnisgebieten, Isolierte Völker).
Ethnische Gruppe
Meist ist die Selbstidentifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe so stark, dass sie dem handelnden Individuum als völlig selbstverständlich, gar natürlich erscheint. Es ist dieses kollektive Gefühl des Einander-zugehörig-Seins oder Anders-Seins, das für die Konstitution einer ethnischen Gruppe ausschlaggebend ist. Das Konzept der kulturellen Differenzierung zwischen dem „Wir“ und den kulturell „Anderen“ nennt man Ethnizität. Das Empfinden, einer bestimmten ethnischen Gruppe anzugehören, ändert sich nicht ohne weiteres dadurch, dass neue Staatsgrenzen gezogen werden: So entschied das Arbeitsgericht Stuttgart, dass ehemalige DDR-Bürger und deren Nachfahren keine Ethnie im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seien, weil sich binnen 40 Jahren keine separate Geschichte, Sprache, Religion, Tradition und Kultur, kein Solidaritätsgefühl sowie keine spezifischen Ernährungsgewohnheiten entwickelt hätten.[10] Auch 40 Jahre nach Gründung der DDR demonstrierten 1989 DDR-Bürger in großer Zahl unter dem Motto: „Wir sind ein Volk!“, was nahelegt, dass sich die Mehrheit der Staatsbürger der DDR als Deutsche und immer als Teil eines Gesamtdeutschlands verstanden hat.
Ethnische Gruppen sind keine unveränderlichen Erscheinungen, sondern definieren sich anhand der Innen- und Außensicht von Kollektiven. Es gibt auf der Welt eine Vielzahl ethnischer „Wir-Gruppen“, die einer Vielzahl von anderen ethnischen Gruppen gegenüberstehen. Allerdings sind diese Gruppen und ihr Verhältnis zu den „Anderen“ keine biologischen Gegebenheiten. Ethnische Gruppen sind sozial konstruiert und ihre Grenzen verändern sich im Laufe der Zeit. Dies unterscheidet das Ethnizitätskonzept wesentlich vom überholten Konzept der Rassentheorie, das ausschließlich von einer physischen, biologischen Differenzierung der Menschheit ausgeht. Ethnische Gruppen können beispielsweise miteinander verschmelzen (vgl. Mestizen in Südamerika) oder sich durch einen Konflikt abspalten.
Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten verschieden sein. Die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft, die ethnisch niemals homogen ist, nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums. Kulturelle und ethnische Identität bilden sich in Abgrenzung zu den „Anderen“. Dies kann auch zu Ethnozentrismus (Interpretation der Umwelt durch die Maßstäbe der eigenen Gruppe) und Xenophobie (Feindseligkeit gegenüber Fremdem) führen. Ethnozentrismus und Xenophobie kommen oft ins Spiel im Zusammenhang mit politischen Debatten zur Migration.
Zusammensetzung
Ethnische Gruppen sind nicht immer so homogen, wie sie wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer ethnischen Gruppe ist vielschichtig und im Zusammenhang mit Migration und diasporischen Realitäten manchmal auch nicht eindeutig. Neue ethnische Gruppen können sich beispielsweise im Zuge von Konflikten oder auch durch Aus-/Einwanderung bilden (Ethnogenese). Ein jüngeres Beispiel der Geschichte sind die nordamerikanischen Afroamerikaner, eine sehr heterogene ethnische Gruppe, die nur aufgrund der Ereignisse der letzten 500 Jahre entstehen konnte. Ähnlich die auf der Karibikinsel Jamaika lebenden Maroons, deren Ursprung auf geflüchtete Sklaven zurückgeht, die aus Westafrika in die Karibik verschleppt wurden.
Ethnische Gliederung
Die kleinste denkbare Menschengruppe aus ethnischer Sicht ist die Lokalgruppe: Das sind sogenannte „Face-to-Face Communities“ wie Wildbeuter-Horden, Nomadenlager oder Dorfgemeinschaften.[11] Für sie gelten alle eingangs genannten Kriterien der Ethnizität: gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Wirtschaftsweise, Geschichte, Kultur, Religion und die Verbindung zu einem bestimmten Territorium.
Beispiel: Die einzelnen Familiengruppen der !Kung-San
Aus mehreren Lokalgruppen setzt sich eine Ethnie zusammen. Bei großen, deutlich differenzierten Ethnien, die trotz ihres gemeinsamen Selbstverständnisses regional unterschiedliche Lebensweisen, Werte und Normen entwickelt haben, werden nochmals Untergruppen genannt,[12] die auch als Subethnien bezeichnet werden.
Beispiel: Die Samen Lapplands werden unterteilt in die Küstensamen (Meeresfischer), Bergsamen (Rentierhüter) und Waldsamen (früher Jäger).
Das gleiche gilt in die „andere Richtung“: Verstehen sich mehrere Ethnien nach ihrer willentlichen Entscheidung als historisch zusammengehörig, verwenden manche Autoren die Bezeichnung Volk als Überbegriff.[5] Selten wird dafür auch die Bezeichnung Superethnie benutzt.
Beispiel: Die drei Ethnien Lakota, Nakota und Dakota bilden zusammen das Volk der Sioux (Sioux-Nation).
Benachbarte Ethnien oder Völker mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen werden ungeachtet ihrer tatsächlichen Beziehungen untereinander bisweilen zu abstrakten Völkergruppen zusammengefasst (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Volksgruppe).
Beispiele: Papua nennt man die kraushaarigen Einwohner Neuguineas, die sehr viele vollkommen unterschiedliche Ethnien bilden; Germanen nennt man die historischen Völker mit germanischen Sprachen; Prärie-Indianer werden die nordamerikanischen Reiterkulturen genannt, deren Subsistenzbasis der Bison war.
Diese Einteilung hat nur noch einen klassifizierenden Wert als Sammelbezeichnung und in den seltensten Fällen eine Entsprechung bei den so bezeichneten Menschen.
Beispiel: Die „Eskimo-Völkergruppe“ zeichnet sich durch eine weitgehend einheitliche Kultur aus und dies spiegelt sich ausnahmsweise auch im Selbstverständnis dieser Menschen wider, die sich gemeinsam von den Indianern abgrenzen.
Kombiniert die Einteilung auf globaler Ebene kulturelle und geographische Gemeinsamkeiten sind noch die ethnologischen Kulturareale zu nennen.
Beispiel: „Eurasische Steppe“ – Khanate, Ständeordnung, Stammeskonföderationen, vorwiegend Viehwirtschaft; „Amazonien“ – halbsesshafter Gartenbau, Wanderfeldbau, Jagd und Fischfang; „Horn von Afrika“ – Clansysteme in Staaten, Agropastoralismus.
Es bleibt anzumerken, dass es in den Wissenschaften nur selten einheitliche Zuordnungen gibt: Einige Autoren sprechen von Untergruppen, anderen von Ethnien; einige verwenden den Terminus Volk, andere grundsätzlich nicht und so weiter.
Siehe auch
Listen von ethnischen Gruppen weltweit
Ethnozid (kultureller Völkermord)
Liste aller Wikipedia-Artikel, deren Titel mit ethnisch beginnt
Liste aller Wikipedia-Artikel, deren Titel ethnisch enthält
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Die Onge auf den indischen Andamanen-Inseln sind mit unter 100 Angehörigen eine der kleinsten Ethnien der Welt
Zu den rund 1.300 weltweit erfassten Ethnien[4] gehört eine große Anzahl indigener Völker (lateinisch „eingeboren, ursprünglich”). Siehe hierzu die Liste indigener Völker. Im deutschen Sprachraum wird der Begriff Ethnie gemeinsprachig mit gleicher Bedeutung wie Volk verwendet; während Wissenschaftler den Terminus Volk eher vermeiden oder als Oberbegriff für Gesamtgesellschaften aus mehreren verbundenen Ethnien verwenden.[5][6]
Begrifflichkeiten
Das altgriechische Wort éthnos beschreibt die Abgrenzung durch Selbst- und Fremdzuweisung. Das Wort wurde zunächst lediglich als Fremdzuweisung benutzt. Seine Bedeutung und Verwendung unterliegt starkem Wandel. Ethnische Gruppierungen definieren sich in der Regel durch eine gemeinsame Vergangenheit. Die Gemeinsamkeit zeigt sich oft in geschichtlicher Überlieferung (Tradition), Brauchtum, Sprache, Religion, Kleidung, Ernährung und Lebensgewohnheiten.
Der Begriff der Ethnie ist teilweise dem der Volkszugehörigkeit und teilweise dem der Kulturnation verwandt. Bei Max Weber wird eine ethnische Gruppe folgendermaßen definiert:
„Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“
Der Begriff ist äußerst problematisch, denn es besteht häufig die Gefahr der Essenzialisierung.[7] So wird dieser heute zum Beispiel anstelle des Begriffs Rasse verwendet und ersetzt diesen synonym, folgt damit also der gleichen Logik. Es ist jedoch wichtig, gerade die Konstruiertheit von Gruppen und eben nicht ihre Natürlichkeit zu betonen. Gruppenzugehörigkeiten und damit auch Merkmale unterliegen nämlich kontinuierlichem Wandel und sind stark geprägt durch Mechanismen der Grenzziehung.[8][9]
Adjektiv ethnisch
Während die Begriffe Volk und Ethnie weiterhin im aktuellen Wortschatz vorkommen, bietet sich im wertfreieren Zusammenhang nur das entsprechende Adjektiv ethnisch an. Das Wort „völkisch“ hat durch den historischen Gebrauch in der deutschen Sprache eine abweichende Bedeutung erlangt (vgl. völkische Bewegung). So hat sich die Verbreitung von Ethnie als Entsprechung zu seinem Adjektiv ethnisch vollzogen.
Das Adjektiv „ethnisch“ wird verwendet, um die Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit von Menschen zu benennen, die von ihrer Staatsbürgerschaft unabhängig ist.
Abgrenzung „Ethnos“ und „Demos“
Die Gesamtmenge der Angehörigen eines Volkes im ethnischen Sinn (eines Ethnos) ist nicht identisch mit der Menge der Wahlberechtigten in einem Staat (mit dessen Demos). So sind nicht alle Staatsbürger Finnlands, Frankreichs, Deutschlands usw. auch ethnische Finnen, Franzosen, Deutsche usw., und nicht alle Angehörigen eines Volks oder einer Volksgruppe bewohnen ihren Nationalstaat, in dem sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Es gibt Völker und Volksgruppen ohne „eigenen Staat“ (z. B. Tamilen und Kurden) oder solche, die sich mit anderen Völkern und Volksgruppen einen Staat teilen (in Europa z. B. Schweiz und Belgien).
Im Deutschen ist die Bezeichnung Volksgruppe üblich. Oft leben verschiedene Volksgruppen in einem Staatsgebiet. Beispielsweise bestand der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im 19. und 20. Jahrhundert aus verschiedenen Ethnien (vor allem Deutschen, Ungarn, Slowenen, Bosniaken, Kroaten und Italienern). Das gilt auch heute noch für die Schweiz, die keine ethnische Einheit bildet, sondern aus verschiedenen ethnischen Gruppen besteht (deutsch-, französisch-, italienisch-, rätoromanisch- und jenischsprachige Schweizer) und aufgrund diverser ethnischer Minderheiten in Deutschland und Österreich (etwa Dänen, Friesen, Sorben, Sinti, Roma, Kroaten, Ungarn) in geringerem Umfang auch für diese beiden Staaten. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass es kaum ethnisch homogene Staaten gibt. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und willkürliche Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgehen, so zum Beispiel die Staaten Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Asiens und Polynesiens (z. B. Indonesien), oder durch Einwanderung geprägt sind, wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Australien, sowie Süd- und Mittelamerika.
Abgrenzung „Ethnos“ und „Sprachgemeinschaft“
Durch die Bezeichnung „ethnisch“ werden Menschen nicht nach linguistischen Gesichtspunkten nach ihrer Muttersprache in Gruppen eingeteilt. In manchen Ländern, insbesondere in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada, benutzen verschiedene ethnische Gruppen dieselbe Sprache als gemeinsame Verkehrssprache, selbst als Muttersprache. Andererseits gibt es innerhalb der Sprache vieler Ethnien starke Dialektunterschiede, die im Laufe der Zeit zur Ausbildung von zwei verschiedenen Sprachen führen können; in diesem Fall stellt sich die Frage, ob deren Sprecher Angehörige von zwei verschiedenen Ethnien sein können. Es gibt jedoch zahlreiche Fälle, in denen das eindeutig nicht so ist: So gelten nicht nur Menschen, die mit Hochdeutsch oder einem mittel- oder oberdeutschen Dialekt als Muttersprache aufgewachsen sind, als „Deutsche“, sondern auch Menschen mit Plattdeutsch als Muttersprache. Gleiches gilt in Deutschland für die Angehörigen nationaler Minderheiten. Auch zählen sich viele Menschen zu einer bestimmten Ethnie, obwohl sie deren Sprache nicht oder nur gebrochen sprechen (z. B. empfinden sich viele Russlanddeutsche, die nur Russisch fließend sprechen, als deutsche Volkszugehörige). Bei Nationalitäteneinträgen in amtlichen Dokumenten, die es z. B. in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gibt, wird die Frage, ob jemand die Sprache seiner Nationalität spricht, nicht gestellt. Stattdessen werden dort bei der Festlegung der Nationalität eines Menschen seine Abstammung, gegebenenfalls sein Bekenntnis zu einer Nationalität als Zuordnungskriterien verwendet. Bei den Volkszählungen in der Türkei wird seit 1985 nicht mehr nach der Muttersprache gefragt, so dass es anhand dieses Kriteriums keine exakten Angaben zur Anzahl der Kurden in der Türkei gibt.
Ethnie und Religion
Im Osmanischen Reich und im späteren Jugoslawien wurde als Unterscheidungskriterium der Nationalitäten oder Ethnien die Religionszugehörigkeit verwendet. So war lange Zeit die Bezeichnung „slawische Muslime“ üblich und ist es in Serbien und Montenegro teilweise immer noch. Im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen gelangte 1992 der Begriff „ethnische Säuberung“ in den deutschen Sprachraum.
„Indigene Völker“ als Ethnien
→ Hauptartikel: Indigene Völker und Liste indigener Völker
Dem angelsächsischen Sprachgebrauch entsprechend werden auch solche Kulturen und Kulturelemente ethnisch genannt, die in einer westlichen oder in der globalen Zivilisation als Überreste von Urbevölkerungen und deren Traditionen lebendig sind. Beispiel für indigene Völker (lateinisch indiges „eingeboren”) sind die Indianer Nordamerikas, die sich als Angehörige einer „Indianischen Nation” (Indian Nation) und damit einer gemeinsamen Ethnie verstehen. Entsprechendes gilt für die Aborigines in Australien, die südafrikanischen Buschleute (San) und die Eskimos im nördlichen Polargebiet (siehe auch Indigene Völker der Welt, Indigene Völker in Wildnisgebieten, Isolierte Völker).
Ethnische Gruppe
Meist ist die Selbstidentifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe so stark, dass sie dem handelnden Individuum als völlig selbstverständlich, gar natürlich erscheint. Es ist dieses kollektive Gefühl des Einander-zugehörig-Seins oder Anders-Seins, das für die Konstitution einer ethnischen Gruppe ausschlaggebend ist. Das Konzept der kulturellen Differenzierung zwischen dem „Wir“ und den kulturell „Anderen“ nennt man Ethnizität. Das Empfinden, einer bestimmten ethnischen Gruppe anzugehören, ändert sich nicht ohne weiteres dadurch, dass neue Staatsgrenzen gezogen werden: So entschied das Arbeitsgericht Stuttgart, dass ehemalige DDR-Bürger und deren Nachfahren keine Ethnie im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seien, weil sich binnen 40 Jahren keine separate Geschichte, Sprache, Religion, Tradition und Kultur, kein Solidaritätsgefühl sowie keine spezifischen Ernährungsgewohnheiten entwickelt hätten.[10] Auch 40 Jahre nach Gründung der DDR demonstrierten 1989 DDR-Bürger in großer Zahl unter dem Motto: „Wir sind ein Volk!“, was nahelegt, dass sich die Mehrheit der Staatsbürger der DDR als Deutsche und immer als Teil eines Gesamtdeutschlands verstanden hat.
Ethnische Gruppen sind keine unveränderlichen Erscheinungen, sondern definieren sich anhand der Innen- und Außensicht von Kollektiven. Es gibt auf der Welt eine Vielzahl ethnischer „Wir-Gruppen“, die einer Vielzahl von anderen ethnischen Gruppen gegenüberstehen. Allerdings sind diese Gruppen und ihr Verhältnis zu den „Anderen“ keine biologischen Gegebenheiten. Ethnische Gruppen sind sozial konstruiert und ihre Grenzen verändern sich im Laufe der Zeit. Dies unterscheidet das Ethnizitätskonzept wesentlich vom überholten Konzept der Rassentheorie, das ausschließlich von einer physischen, biologischen Differenzierung der Menschheit ausgeht. Ethnische Gruppen können beispielsweise miteinander verschmelzen (vgl. Mestizen in Südamerika) oder sich durch einen Konflikt abspalten.
Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten verschieden sein. Die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft, die ethnisch niemals homogen ist, nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums. Kulturelle und ethnische Identität bilden sich in Abgrenzung zu den „Anderen“. Dies kann auch zu Ethnozentrismus (Interpretation der Umwelt durch die Maßstäbe der eigenen Gruppe) und Xenophobie (Feindseligkeit gegenüber Fremdem) führen. Ethnozentrismus und Xenophobie kommen oft ins Spiel im Zusammenhang mit politischen Debatten zur Migration.
Zusammensetzung
Ethnische Gruppen sind nicht immer so homogen, wie sie wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer ethnischen Gruppe ist vielschichtig und im Zusammenhang mit Migration und diasporischen Realitäten manchmal auch nicht eindeutig. Neue ethnische Gruppen können sich beispielsweise im Zuge von Konflikten oder auch durch Aus-/Einwanderung bilden (Ethnogenese). Ein jüngeres Beispiel der Geschichte sind die nordamerikanischen Afroamerikaner, eine sehr heterogene ethnische Gruppe, die nur aufgrund der Ereignisse der letzten 500 Jahre entstehen konnte. Ähnlich die auf der Karibikinsel Jamaika lebenden Maroons, deren Ursprung auf geflüchtete Sklaven zurückgeht, die aus Westafrika in die Karibik verschleppt wurden.
Ethnische Gliederung
Die kleinste denkbare Menschengruppe aus ethnischer Sicht ist die Lokalgruppe: Das sind sogenannte „Face-to-Face Communities“ wie Wildbeuter-Horden, Nomadenlager oder Dorfgemeinschaften.[11] Für sie gelten alle eingangs genannten Kriterien der Ethnizität: gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Wirtschaftsweise, Geschichte, Kultur, Religion und die Verbindung zu einem bestimmten Territorium.
Beispiel: Die einzelnen Familiengruppen der !Kung-San
Aus mehreren Lokalgruppen setzt sich eine Ethnie zusammen. Bei großen, deutlich differenzierten Ethnien, die trotz ihres gemeinsamen Selbstverständnisses regional unterschiedliche Lebensweisen, Werte und Normen entwickelt haben, werden nochmals Untergruppen genannt,[12] die auch als Subethnien bezeichnet werden.
Beispiel: Die Samen Lapplands werden unterteilt in die Küstensamen (Meeresfischer), Bergsamen (Rentierhüter) und Waldsamen (früher Jäger).
Das gleiche gilt in die „andere Richtung“: Verstehen sich mehrere Ethnien nach ihrer willentlichen Entscheidung als historisch zusammengehörig, verwenden manche Autoren die Bezeichnung Volk als Überbegriff.[5] Selten wird dafür auch die Bezeichnung Superethnie benutzt.
Beispiel: Die drei Ethnien Lakota, Nakota und Dakota bilden zusammen das Volk der Sioux (Sioux-Nation).
Benachbarte Ethnien oder Völker mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen werden ungeachtet ihrer tatsächlichen Beziehungen untereinander bisweilen zu abstrakten Völkergruppen zusammengefasst (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Volksgruppe).
Beispiele: Papua nennt man die kraushaarigen Einwohner Neuguineas, die sehr viele vollkommen unterschiedliche Ethnien bilden; Germanen nennt man die historischen Völker mit germanischen Sprachen; Prärie-Indianer werden die nordamerikanischen Reiterkulturen genannt, deren Subsistenzbasis der Bison war.
Diese Einteilung hat nur noch einen klassifizierenden Wert als Sammelbezeichnung und in den seltensten Fällen eine Entsprechung bei den so bezeichneten Menschen.
Beispiel: Die „Eskimo-Völkergruppe“ zeichnet sich durch eine weitgehend einheitliche Kultur aus und dies spiegelt sich ausnahmsweise auch im Selbstverständnis dieser Menschen wider, die sich gemeinsam von den Indianern abgrenzen.
Kombiniert die Einteilung auf globaler Ebene kulturelle und geographische Gemeinsamkeiten sind noch die ethnologischen Kulturareale zu nennen.
Beispiel: „Eurasische Steppe“ – Khanate, Ständeordnung, Stammeskonföderationen, vorwiegend Viehwirtschaft; „Amazonien“ – halbsesshafter Gartenbau, Wanderfeldbau, Jagd und Fischfang; „Horn von Afrika“ – Clansysteme in Staaten, Agropastoralismus.
Es bleibt anzumerken, dass es in den Wissenschaften nur selten einheitliche Zuordnungen gibt: Einige Autoren sprechen von Untergruppen, anderen von Ethnien; einige verwenden den Terminus Volk, andere grundsätzlich nicht und so weiter.
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Listen von ethnischen Gruppen weltweit
Ethnozid (kultureller Völkermord)
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