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SS, Junker und Schwerindustrie

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Beitrag  checker Mo Sep 28, 2015 6:27 am

1. Einige Gedanken zur sozialen Dynamik des Krieges

Krieg warf im 20. Jahrhundert die soziale Frage auf. Dabei entwickelte der Krieg eine eigene soziale Dynamik. Keine Regierung konnte einen lang andauernden Krieg ohne die Unterstützung der Massen führen, seit in Europa spätestens seit der Jahrhundertwende überall Armeen auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht bestanden. Schon Lenin schrieb, daß durch den Krieg "alle politischen und sozialen Einrichtungen mit Feuer und Schwert einer Prüfung unterworfen werden".

Die gesamte rechte Bewegung und vor allem die Nazis wurden durch die Jahre des 1. Weltkrieges geprägt. Die klassenübergreifende Volksgemeinschaft im Schützengraben, wo Arbeiter und Bürger in der gleichen Uniform nebeneinander lagen, wurde zum Idealbild der Gesellschaft erhoben. Der Krieg spielte in dieser "Frontsoldatenideologie" eine zentrale Rolle, da nur in ihm das ganze Volk in gleichrangige Soldaten verwandelt würde. "Kriege sind für Hitler die Revolutionen gesunder Völker. Deshalb nennt er den Krieg ‘stärkste und klassischste Ausprägung des Lebens’." [172] Der Krieg war für Hitler nicht nur Mittel zur Durchsetzung des bäuerlichen Massenstaates, sondern Teil des Ziels selbst. Ludendorffs Buch "Der totale Krieg" zeigt beispielhaft diese Vorstellung. Auch wenn Hitler Ludendorff schon mal als "Freimaurer" bezeichnete, dürften die Thesen des Buches mit Hitlers Auffassungen übereinstimmen: "die Zeiten der Kabinettskriege (sind) vorbei, d. h. von Kriegen, die von der Regierung mit ihren Heeren geführt" werden. [173] Seit dem 1. Weltkrieg sah Ludendorff die Zeit der "Welt- und Volkskriege" gekommen, die nur noch als "totaler Krieg" zu führen seien. Den berühmten Satz von Clausewitz, daß der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, drehten Männer wie Hitler und Ludendorff um: "Alle Theorien von Clausewitz sind über den Haufen zu werfen. Krieg und Politik dienen der Lebenserhaltung des Volkes, der Krieg ist aber die höchste Äußerung völkischen Lebenswillens. Darum hat die Politik der Kriegsführung zu dienen." [174] In der Friedenszeit hätte die Politik deshalb die Aufgabe, auf den Krieg vorzubereiten. Ludendorff formulierte im Gegensatz zu Hitler, der nach 1933 in der Öffentlichkeit vorsichtig war, offen das Kriegsprogramm. Der totale Krieg wäre die totale Mobilisierung des Volkes. Dazu müßte eine soziale Öffnung der Armee stattfinden, um diese im Volk zu verwurzeln. Armee, Wirtschaft und Volk müßten unter den Befehl eines "Feldherren" gestellt werden, der sich nur von dem Gesamt-, nicht vom Einzelinteresse leiten ließe. So sah also die Volksgemeinschaft im Schützengraben in der militaristischen Welt Hitlers und Ludendorffs aus.

Der Krieg schuf die gesellschaftliche Situation, in der die nationalsozialistischen Ziele umgesetzt werden konnten, die zuvor aus bündnispolitischen Gründen auf die lange Bank geschoben wurden. Der Krieg war z. B. für Goebbels das Mittel, durch den Sieg über die anderen Völker die eigene Gesellschaft zu revolutionieren. Er bezeichnete ihn deshalb als "Klassenkampf der Völker". Am Vorabend des 2. Weltkrieges schrieb er, daß "die Auseinandersetzungen, die heute Europa durchzittern, (...) vielmehr in ihrem Wesen die gleichen geblieben sind, die ehedem im Rahmen unseres Volkes und heute noch im Rahmen vieler anderer Völker ausgetragen werden (...) Denn das, was sich augenblicklich in Europa abspielt, ist tatsächlich eine Art von Völkerklassenkampf, und dieser Völkerklassenkampf findet seine eigentliche Ursache in der Tatsache, daß die einen Nationen augenblicklich alles besitzen, während die anderen nichts eigen nennen können." [175]

In der Realität brachte der Krieg andere soziale Veränderungen mit sich, wie die folgenden Kapitel zeigen. Zum Teil waren die Veränderungen Nebenprodukte des Krieges, die die Machthaber nicht beabsichtigten. Die soziale Dynamik des Krieges entwickelte sich nicht erst 1939, sondern schon mit den Kriegsvorbereitungen, die bekanntlich 1933 begannen. Einige seien hier benannt: Durch die Aufrüstung brauchte die Industrie immer mehr Arbeitskräfte. Landarbeiter, ausländische Arbeiter, aber auch immer mehr Frauen strömten in die Fabriken. Für alle drei Gruppen hatten die NS-Ideologen eigentlich andere Pläne. Die Millionenmasse der Industriearbeiter, vor allem in der Rüstungsindustrie, stieg zum wichtigsten Faktor der politischen Stabilität auf. Die Gewinnung der Arbeiter wurde wichtiger als die Befriedigung des Mittelstandes, der für Sozialpolitik viel geringere Spielräume als die Großindustrie hatte. Die soziale Öffnung der Armee, besonders des Offizierskorps, wurde unausweichlich. Mit der unbeliebten Junkerarmee konnte man langfristig keinen Krieg führen. Durch die Modernisierung der Armee wie Einführung moderner Panzertechnik und größere Bedeutung der Luftwaffe wurde Fachwissen wichtiger als Titel und Herkunft. In den modernen Waffengattungen reichten weder die oft traditionellen Kriegsvorstellungen der Junker noch die ihrer ungebildeten Landarbeiter aus. Die Modernisierung der Armee veränderte ihr soziales Antlitz. Auch in der Großindustrie mußte der Staat stark genug sein, um die kapitalistischen Einzelinteressen im Sinne der Kriegsführung zurückzudrängen.
2. Wendepunkt : Die Entmachtung der Schwerindustrie

"Und es darf keinen Zweifel geben: Entweder die sogenannte freie Wirtschaft ist fähig, diese Probleme zu lösen, oder sie ist nicht fähig, als freie Wirtschaft weiterzubestehen." (Hitler anläßlich der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung 1937) [176]
Aufstieg der IG-Farben

1936 kam es zu einer ersten Veränderung im Verhältnis zwischen Großindustrie und NSDAP. Mit dem Forcieren der Aufrüstung wurde der Mangel an Rohstoffen immer akuter. Um trotzdem die Kriegsvorbereitungen im gleichen Tempo voranzutreiben, versuchte man zum einen, den Balkan als ökonomische Interessensphäre zu erschließen, und zum anderen, die fehlenden Waren im Inland zu produzieren. Die große Mehrheit der Industriellen hatte aber weder an der synthetischen Herstellung von Kautschuk und Benzin noch an der Erschließung der deutschen Erzvorkommen Interesse, da diese Projekte unrentabel waren und die Kosten weit über den Weltmarktpreisen lagen. Hitler zog aus dem 1. Weltkrieg die Lehre, nie wieder von ausländischen Lieferungen abhängig zu sein, und wollte deshalb die Autarkie herstellen, ob es den Industriellen nun paßte oder nicht.

Schließlich fand sich die IG-Farben, um die synthetische Produktion von Kautschuk und Benzin ins Leben zu rufen. Die IG-Farben war einer der Konzerne gewesen, die am Ende der Weimarer Republik noch auf die Präsidialdiktatur anstelle auf Hitlers Machtantritt setzten. Nun fanden NS-Regime und der Chemiekonzern zusammen und die IG-Farben stieg bald zu einem der mächtigsten Konzerne in Deutschland auf.

Schacht trat ab 1935 für eine "Rüstungspause" ein, um durch mehr Warenexport Devisen zu beschaffen und die Währung zu stabilisieren. Das Tempo der Aufrüstung heizte die Inflation nämlich mächtig an. Außerdem weigerte er sich, wie große Teile der Schwerindustrie, den Plänen der synthetischen Treibstofferzeugung zuzustimmen und forderte eine "realistische Wirtschaftspolitik". Schacht war keineswegs gegen die Aufrüstung und gegen den Krieg. Er war aber der Meinung, die Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik würde in einer Krise enden.

Die IG-Farben wurde durch die neue Zusammenarbeit mit dem Parteiapparat zum Anhänger einer beschleunigten Aufrüstung und stellte nun ihre besten Kräfte für die Planung des Krieges zur Verfügung. Auf Grundlage des IG-Farben-Materials stellte Hitler 1936 seine 4-Jahresplan-Denkschrift zusammen. Innerhalb von 4 Jahren sollte Deutschland durch diesen Wirtschaftsplan für den Krieg einsatzbereit sein. IG-Farben-Direktor Karl Krausch wurde neben Göring zum mächtigsten Mann der Behörde. [177] Er schlug Hitler in seiner 4-Jahresplan-Denkschrift vor, "eine wehrwirtschaftliche Neuorganisation zu schaffen, die den letzten Mann und die letzte Frau, die letzte Produktionseinrichtung und Maschine sowie den letzten Rohstoff der Erzeugung der kriegswichtigen Produktion zuführt und alle Arbeitskräfte, Produktionseinrichtungen und Rohstoffe in einen straff militärisch geführten wirtschaftlichen Organismus eingliedert." [178] In diesem Zusammenhang forderte Krausch die "Blitzkriegsstrategie" als konzeptionelles Erfordernis, da Deutschland wegen der knappen Ressourcen keinen langen Krieg führen könne. Auch Göring sah den 4-Jahresplan nicht als planwirtschaftliches Element in der Wirtschaft, sondern als Kriegsvorbereitung. Für ihn war der 4-Jahresplan "letzten Endes nichts anderes, als die höchste und äußerste Zusammenballung und Zusammenfassung all der wirtschaftlichen Kräfte, um die Rüstung des Reiches zu kräftigen und auszugestalten." [179]

Um diesem Anliegen näher zu kommen, bildete er 1936 den "Gutachterausschuß zur Rohstoff- und Devisenlage", dem Krupp, Thyssen, Flick, Schacht, Vögel, Blessing, Pleiger usw. beisaßen. Das "Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe" war hingegen zu über 80 % mit Mitarbeitern der IG-Farben besetzt. [180] Der Aufstieg der IG-Farben zeigte sich im Zusammenhang mit dem 4-Jahresplan unaufhaltsam. Albert Pietzsch aus dem Umfeld der IG-Farben von den Münchner Elektro-Chemischen Werken wurde Leiter der Reichswirtschaftskammer. Der von der Schwerindustrie dominierte "Generalrat der deutschen Wirtschaft" wurde umgebildet und der 4-Jahresplanbehörde untergeordnet. [181] Fast alle staatlichen Gremien, in denen Industrielle saßen, waren von der IG-Farben dominiert. Auch auf wirtschaftlicher Ebene konnte der Konzern seine Stellung ausbauen. 1939 arbeiteten bei der IG-Farben 25 % der Beschäftigten der gesamten deutschen Chemieindustrie, sie tätigte 40 % der Investitionen, hatte 33 % des Kapitals und 66 % des Exports der Chemieindustrie. [182]

Das vorläufige Bündnis zwischen Kapital und Nationalsozialismus bestand nach dem Beginn des 4-Jahresplanes in erster Linie zwischen IG-Farben und NSDAP. Die Schwerindustrie trat in den Hintergrund. Die ungleichen Partner hatten aus unterschiedlichen Gründen zusammengefunden. Hitler brauchte die IG-Farben, um die wirtschaftlichen Ressourcen für einen langen Siedlungskrieg zu haben. Der Konzern sah durch die Zusammenarbeit mit den Nazis die Chance, neue Produktionszweige auf Staatskosten zu erschließen und durch den Krieg riesigen Gewinn zu machen. Langfristig verfolgten Krausch und Hitler völlig unterschiedliche Ziele. Auch die Vertreter der IG-Farben konnten nur solange in staatlichen Positionen arbeiten, wie es im Interesse der Ziele der Nazis lag.
Die "Reichswerke" und der Widerstand der Schwerindustrie

Hjalmar Schacht, der den Aufstieg der IG-Farben mißtrauisch verfolgte und durch die 4- Jahresplanbehörde seine Macht als Wirtschaftsminister beschnitten sah, wurde immer unzufriedener mit der Entwicklung. Zum Bruch mit Hitler sollte es durch den Aufbau der Reichswerke Hermann Göring kommen. In Salzgitter wurden die Göring-Werke gegründet, um die dortigen Erzvorkommen zu erschließen. Die Schwerindustrie stellte sich gegen dieses unprofitable Vorhaben. Die Unternehmer befürchteten Absatzschwierigkeiten des neu gewonnenen Erzes nach Abflachen des Rüstungsbooms. Außerdem war der Import aus dem Ausland sowieso um ein Vielfaches billiger. Schacht wollte den Widerstand der Schwerindustrie organisieren und war überzeugt, " daß sein Einspruch ein solches Projekt (...) zu Fall" bringen könnte. [183] Pleiger, Chef der Reichswerke, beschwerte sich darauf über die "Sabotage" der "Wirtschaftsgruppe der eisenschaffenden Industrien". [184] Aller Widerstand nutzte nichts. Die Erzlagerstätten der anliegenden Unternehmen enteignete der Staat, zahlte allerdings Entschädigung. [185]

Im Zuge dieser Kämpfe trat Schacht im November 1937 zurück und räumte 1939 auch seinen Posten als Reichsbankpräsident. Auch wenn der Vertreter der Banken noch bis 1943 Reichsminister ohne Geschäftsbereich blieb, hatte der einst so mächtige Mann seinen Einfluß gänzlich verloren. Laut SS-Ideologe Ohlendorf galt er ab 1938 intern als Parteifeind. Im Zusammenhang mit dem Aufstand am 20.Juni 1944 wurde er verhaftet und ins KZ Ravensbrück gebracht. Auch Fritz Thyssen traf ein ähnliches Schicksal wie Schacht. 1938 emigrierte er aus Deutschland, da er im "Dritten Reich" nicht den Staat sah, den er vor Augen gehabt hatte, als er vor 1933 Millionen an die NSDAP spendete. Nach seiner Verhaftung 1941 wurde auch er in einem Konzentrationslager interniert.

Schacht schrieb nach dem Krieg voller Verbitterung über Göring: "Eines seiner tollsten Stücke war die Errichtung der Hermann-Göring-Werke (...) Jedem Laien mußte es einleuchten, wieviel kostspieliger die Verarbeitung eines höchstens 30%igen Erzes gegenüber einem 45%igen sein muß (...) Dieser Mehraufwand blieb bei Göring ohne Eindruck." [186] Der Staat hatte bewiesen, auch gegen die Profitinteressen des Kapitals handeln zu können. Schacht und die Schwerindustrie gaben klein bei. Die Reichswerke wurden zum größten schwerindustriellen Konzern in Europa. 1942 lieferte die "Reichswerke AG" 43 % der deutschen Eisenerzproduktion und beschäftigte über 600.000 Arbeiter. [187] Mit einem Nominalkapital von 2,8 Milliarden Reichsmark stand sie an der Spitze aller deutschen Konzerne. [188] Über 70 % der Aktien waren in Händen des Staates.

Damit war eine neue Politik eingeleitet. Staatskonzerne reprivatisierte man nicht mehr, sondern schuf mächtige Aktiengesellschaften mit staatlicher Mehrheit. Die Schwerindustrie an Ruhr und Rhein verlor ein ganzes Stück an Bedeutung. Der Staat hatte die Abhängigkeit von ihr beseitigt. Die Nazis führten ihren ehemaligen Gönnern die Macht des Staates vor Augen. Schacht hatte mit seinem Widerstand gegen die Göring-Werke die Machtfrage gestellt und verloren. Da, wo die Unternehmer nicht im Interesse der kleinbürgerlichen Massenbewegung handelten, wurde Zwang angewandt oder der Staat übernahm die Aufgaben. Die Nazis hatten sich von ihren Bündnispartnern emanzipiert.
3. Der Angriff auf die Junker

"Wir haben die linken Klassenkämpfer liquidiert, aber leider haben wir dabei vergessen, auch den Schlag gegen rechts zu führen. Das ist unsere große Unterlassungssünde." [189] (Hitler am 24. Februar 1945)
Die Nazifizierung der Wehrmacht

Wie stand es nach 1933 mit der politischen Stellung der von Darre und Hitler so gehaßten preußischen Elite? Viele Positionen im Staatsapparat und in der Landwirtschaft büßten sie gleich 1933 ein. Die letzte Bastion, die ihnen blieb, war die Reichswehr. Die Generalität hatte anfangs große Freiräume bei der Führung der Armee. Hitlers außenpolitisches Ziel, den Versailler Vertrag zu sprengen und aufzurüsten, lag allein schon aus beruflichen Gründen im Interesse der Soldaten. Reichswehrminister von Blomberg, der ab 1935 Oberbefehlshaber der in "Wehrmacht" umbenannten Armee war, integrierte das Heer in den NS-Staat. Nach dem 30. Januar erklärte Blomberg: "Jetzt ist das Unpolitische vorbei, und es bleibt nur eins: der nationalen Bewegung mit Hingabe zu dienen." [190] Schon am 28. Februar 1934 erließ Blomberg für die Wehrmacht einen "Arierparagraphen", ohne daß Hitler es bereits verlangt hätte. [191] Wegen seiner Anbiederung an den nationalsozialistischen Staat erhielt von Blomberg den Spitznamen "Gummilöwe" und "Hitlerjunge Quex". Als Ausdruck der Anerkennung der starken Stellung der Armee formulierte Hitler 1934 die "Zwei-Säulen-Theorie": "Die Staatsführung (...) wird von zwei Säulen getragen: politisch von der in der nationalsozialistischen Bewegung organisierten Volksgemeinschaft, militärisch von der Wehrmacht." [192] Darüber hinaus erklärte er die NSDAP zum "alleinigen politischen Willensträger der Nation" und die Wehrmacht zum einzigen "Waffenträger". Damit erweckte er den Eindruck, daß die Armee als eigenständiger Machtfaktor bestehen bleiben sollte und nicht unter das Kommando der Partei gestellt würde. Zudem war die "Zwei-Säulen-Theorie" eine Bestätigung, keine SA- oder SS-Kaderarmee neben der Wehrmacht aufstellen zu wollen. Die Generäle nahmen Hitler zunächst seinen Kniefall ab.

Am 2.8.1934 starb der prominenteste Junkervertreter Hindenburg. Die NSDAP vereinigte das Amt des Reichspräsidenten und Reichskanzlers in einer Person. Der Oberbefehl über die Streitkräfte blieb trotzdem weiter dem Reichskriegsminister von Blomberg vorbehalten. Die Nazis wagten also noch nicht, die preußische Elite anzugreifen. Die Nazifizierung der Armee schritt dennoch weiter voran. Blomberg ließ am 2.8.34 ohne gesetzliche Grundlage die Wehrmacht auf Hitler vereidigen. Mit diesem Eid hatten sich die deutschen Soldaten dem Nationalsozialismus und vor allem dem Führerstaat zu unterwerfen.

Widerspruch meldete die Armeeführung aus ganz anderen Gründen an. Der Nichtangriffspakt mit Polen 1934 paßte den adligen Generälen gar nicht. Durch die Gründung des ihnen verhaßten Staates und durch die Annexion von Schlesien hatten sie nach dem 1. Weltkrieg viele Rittergüter verloren. Das Junkertum war schon in der Weimarer Republik am entschiedensten für die Zerschlagung Polens eingetreten. [193] Der Einzige, der taktische Bedenken gegen Hitlers offensive Außenpolitik gegen den Westen hegte, war Generalstabschef Beck. Er äußerte schon im Mai 1934 Kritik an der Aufstellung eines 300.000-Mann-Heeres. Dies könnte in internationaler Hinsicht "tatsächlich der Tropfen sein, der das Faß zum Überlaufen bringt." [194]

Die starke, unabhängige Stellung konnte die Wehrmachtsführung bis 1938 behaupten. Die sogenannte Blomberg-Fritsch-Krise brachte eine entscheidende Wende. Um diese Krise wurden in der Nachkriegszeit verschiedene Legenden gesponnen. Von Blomberg verwickelte sich in einen Heiratsskandal. Seine Frau, Luise Gruhun, war bei der Polizei wegen Sexfotos aktenkundig und kam nicht aus den gehobenen Kreisen. Dieser Skandal war Anlaß für die Entlassung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht. In der Bundesrepublik entwarfen Historiker nach dem Krieg die Legende, der Heiratsskandal sei von Göring und Himmler inszeniert worden, um Blomberg und Fritsch als Gegner der expansiven Außenpolitik loszuwerden. Die beiden Journalisten Janßen und Tobias widerlegten dieses Märchen und setzten sich in der neueren Geschichtsforschung mit ihrer Darstellung durch. Für Hitler gab es überhaupt keinen Grund, sich von seinen Schützlingen zu trennen. Mit der aggressiven Außenpolitik waren sowohl Fritsch als auch von Blomberg einverstanden. Zum Beispiel verfaßte Blomberg auf Wunsch Hitlers 1937 "Weisungen für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht", die einen "Angriffskrieg gegen die Tschechoslowakei" [195] vorsahen. Fritsch legte in einem Rundschreiben an alle Kommandierenden Generäle vom 19. August 1935 dar: "Nach meiner festen Überzeugung ist Deutschlands Zukunft auf Gedeih und Verderb mit dem Nationalsozialismus fest verbunden. Wer schädigend gegen den nationalsozialistischen Staat handelt, ist ein Verbrecher." [196] Hitler mußte sich auf Druck der Generalität von seinem "Hitlerjungen Quex" trennen, weil sie durch Blombergs Heirat ihren Ehren- und Heiratskodex verletzt sah. So notierte auch Goebbels in sein Tagebuch: "Die Helldorf bringt mir den Akt, Frau Generalfeldmarschall Blomberg. Die Haare stehen einem zu Berge (...) Die schwerste Krise des Regimes seit der Röhm-Affäre. Ich bin ganz zerschmettert. Der Führer sieht aus wie eine Leiche." [197]

Auch wenn Hitler die Affäre nicht inszenierte und über den Skandal entsetzt war, stand er doch am Ende als Gewinner da. Den Oberbefehl über die Wehrmacht bekam er jetzt auch faktisch in die Hand und hatte den Freiraum der Armee enorm eingeschränkt. Der Ausgang der Blomberg-Fritsch-Krise war der erste große Sieg der nationalsozialistischen Massenbewegung über die alte aristokratische Elite.
Die Wehrmacht und die Aggression

Die Führung der Wehrmacht billigte aus ihrer alten wilhelminischen Tradition heraus grundsätzlich eine aggressive Außenpolitik und nahm den Krieg als Mittel zur Durchsetzung "deutscher Interessen" billigend in Kauf. Als Hitler 1938 von der "friedlichen" Sprengung zur militärischen Lösung überging, konnte er sich der Unterstützung der Mehrheit der Armee sicher sein. Widerstand brachte dieser Politik nur ein kleiner Kreis um Beck entgegen, der ein Angreifen der Westmächte und eine verheerende Niederlage für Deutschland befürchtete. Beck verfaßte am 16. Juni 1938 eine Denkschrift, die vor dem Angriff auf die Tschechoslowakei warnte. Ein Überfall würde in einer allgemeinen Katastrophe enden, da es zum "sofortigen Eingreifen Frankreichs und damit auch Englands gegen uns führen würde (...)". [198] Zusammen mit von Witzenleben, Befehlshaber des Berliner Wehrkreises (3), Generalleutnant Carl Heinrich von Stülpnagel und einigen anderen Militärs aus der zweiten Reihe plante Beck für den Fall des Angriffs einen Staatsstreich. Das Münchener Abkommen machte diese Aktion aber zunichte, da nun der Anlaß zum Losschlagen fehlte. Danach zerfiel die Opposition, da Hitler in der Wehrmacht durch die außenpolitischen Erfolge große Prestigegewinne erzielte. Beck trat nun als Generalstabschef zurück.

Beim Überfall auf Polen starteten die Nazis die Aggression mit Zustimmung der gesamten Wehrmachtsführung. [199] Mit der Zerschlagung des verhaßten Staates des Versailler Vertrages war die Armee einverstanden. Bei der Planung des Überfalls im Westen hegten die Generäle hingegen Bedenken. Nicht, daß sie gegen einen Angriff auf den alten Erzfeind Frankreich gewesen wären. Sie hielten Hitlers Pläne für zu "kühn" und glaubten nicht an einen schnellen Sieg. Ende 1939 vertrat das OKH die Auffassung, " im Westen noch auf Jahre hinaus den Krieg nur verteidigungsweise führen zu können" [200]. Hitler wandte sich daraufhin in einer Denkschrift am 9. Oktober gegen die Bedenken des OKH und bekräftigte die Absicht, noch im Herbst im Westen anzugreifen. Nachdem der "Führer" ein Machtwort gesprochen hatte, verstummten die Zweifel, und die Aggression wurde weiter vorbereitet.

Beck versuchte unterdessen weiter, in der Wehrmacht eine Opposition zu sammeln. Becks Nachfolger Halder ließ sich von der Notwendigkeit eines Staatsstreiches nicht überzeugen. Halder wollte sich nicht zu einem neuen "Kapp-Putsch" drängen lassen. "Nach seiner Einschätzung war keine breite Basis für ein Losschlagen vorhanden, da die Truppe nach wie vor an den ‘Führer’ glaube." [201] In dieser Äußerung spiegelte sich das Dilemma des militärischen Widerstands wieder. Ein Staatsstreich der Militärs hätte in der Bevölkerung keine Basis gefunden. Die alte aristokratische Elite war bei den breiten Massen nicht gerade beliebt. Die Einzigen, die noch ein gewisser Mythos umgab, waren Hindenburg und Ludendorff.

Nach der verheerenden Niederlage Frankreichs war Hitler endgültig als der "größte deutsche Feldherr" bei den Soldaten etabliert. Das "Unternehmen Barbarossa", der "Kommissarbefehl" und damit der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wurde von allen führenden Generälen gebilligt. Erst am 20. Juni 1944 meldete sich der Widerstand zurück.
Von der Junker- zur Volksarmee

Nachdem der Staatsapparat 1933 für die kleinbürgerliche Elite geöffnet war, kam mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die Armee an die Reihe. Die überwiegend adeligen Offiziere hatten im Kaiserreich und der Weimarer Republik ausgeklügelte Verordnungen geschaffen, um das Offizierskorps ihrer Schicht vorzubehalten. Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1936 wurden Forderungen nach der sozialen Öffnung der Armee laut. Nun strömten Arbeiter und Leute aus der einfachen Bevölkerung in die Armee, die vorher nur vom Berufssoldatentum geprägt war. Die Nazis wollten im Sinne ihres Massenstaates die Armee in eine nationalsozialistische Volksarmee umwandeln.

Im diesem Kontext sprach auch der Reichskriegsminister Blomberg 1937: " Im 20. Jahrhundert wird jedem Volksgenossen (...) die Offizierslaufbahn erschlossen (...) Ich erblicke in der schrittweisen Durchführung des Leistungsprinzips ohne Rücksicht auf Herkunft, Stand und Geldbeutel des Vaters eine wichtige Forderung des neuen deutschen Sozialismus." [202] Doch die soziale Öffnung des Offizierskorps und Kaders der Wehrmacht ließ zunächst auf sich warten. Hitler wandte sich in seinen "Tischgesprächen" mehrfach gegen Heiratsordnungen, Moralvorstellungen und mangelnde Aufstiegschancen in der Wehrmacht. [203]"Neben unerhört Gutem war in der deutschen Armee unerhört viel Veraltetes. Daraus ist die Sozialdemokratie geboren worden, was nie geschehen wäre, wenn nicht Heer und Marine alles getan hätten, um den Arbeiter dem Volk zu entfernen. [204] Um "den Arbeiter" in die "Volksgemeinschaft" wieder zu reintegrieren, wollten die Nazis auch ihm Aufstiegschancen in der Armee bieten.

Auch aus innenpolitischen Gründen mußte die NSDAP die Armee umgestalten. Auch wenn es bei der Außenpolitik nicht viele Konflikte gab, paßte den Nazis das überwiegend preußisch-monarchistische Gedankengut der Generalität nicht. So schrieb Goebbels z. B. am 28. Oktober 1937 in sein Tagebuch: "Die Wehrmacht wird ein Staat im Staate. Das darf nicht sein. Die Generalität hat politisch nichts zugelernt und wird auch nie etwas hinzulernen." Und noch einmal am 2. November 1937: "In der Wehrmacht sind immer noch monarchistische Tendenzen bemerkbar. Der Führer ist wütend darüber (...) Sie wollen einen Staat im Staate. Und sind schon weit damit gekommen." [205] Der durchschlagende Angriff auf die Junkerarmee ließ trotzdem bis zum 2. Weltkrieg auf sich warten. Noch trauten sich die Nazis nicht. Alle Mechanismen und Schutzregelungen, die die Dominanz der ostelbischen Junker und ihrer Söhne seit über 100 Jahren sicherten, blieben bis zum 2. Weltkrieg erhalten: Die Heiratsordnung der Offiziere erlaubte die Ehe erst ab 27 Jahren, und die Frau mußte aus einer wohlhabenden Familie kommen. Die Beförderung wurde nicht nach Leistung, sondern nach dem Dienstalter vollzogen. Es gab einen richterlichen Ehrenkodex und psychologische Tests, die die Instrumente des Militärs zur Sicherung ihre Vormachtstellung waren. [206]

Durch den Zweifrontenkrieg brauchte man eine riesige Armee und mußte die hohen Verluste an der "Ostfront" ersetzen können. In dieser Situation konnte Hitler die Umwandlung der Wehrmacht in eine Volksarmee durchführen. Der Umfang des aktiven Offizierskorps stieg innerhalb nur weniger Jahre von 3.852 (1935) auf 42.709 (1943). [207] Die Zahl der Reserveoffiziere im Apparat der Wehrmacht stieg von ca. 50.000 (1936) auf über 250.000 (1943). Gegen den Willen vieler Generäle wurde das Offizierskorps der Wehrmacht nun geöffnet. Ab 1941 wurden die psychologischen Tests und die reaktionäre Heirats- und Familienordnung für die Offiziere völlig abgeschafft. 1942 konnte die Beförderung nach Leistung in den meisten Heeresteilen durchgesetzt werden. Die soziale Zusammensetzung der Wehrmacht änderte sich schlagartig: "Ließen sich noch 62,9 % der Offiziersanwärter der Jahre 1928/1930 den sozial gehobenen Schichten zuordnen, während nur 36 % dem mittleren Bürgertum und 0,4 % den Unterschichten entstammten, so hatte sich Ende 1942 das Verhältnis radikal verändert: Nur noch 21 % ließen sich jetzt der oberen Kategorie zuordnen, während 51 % der mittleren und 28 % der unteren entstammten." Der Anteil der Offiziersbewerber aus dem Stadt- und Landproletariat stieg von 0 % (1936) auf 9 % bis Ende 1942. [208]

Hitler begrüßte es, daß "diese Wehrmacht von Monat zu Monat nationalsozialistischer wird (...) wie alle Vorrechte, Klassenvorteile usw. immer mehr beseitigt werden." [209] Am 30.9.1942 verkündet er in einer Rede stolz: "wenn sie die Beförderung unserer jungen Offiziere sehen, hier beginnt der Einbruch der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft in vollem Umfang. Es gibt keine Vorrechte der Geburtsurkunden (...) Es ist wirklich eine alte Welt zum Einsturz gebracht worden." [210] Die alte Elite war damit weitgehend entmachtet. Hitler revidierte jetzt auch die "Zwei-Säulen-Theorie". In Wahrheit sei die Wehrmacht, "was 1934 als Parole noch unverstanden geblieben wäre, (...) Funktionsträgerin der Partei" [211] und stehe nicht als Säule neben ihr. Damit waren die neu geschaffenen Machtverhältnisse auf den Punkt gebracht.

Die Einführung der "NS-Führungsoffiziere" beschnitt weiter die Macht der Generalität. Die NSFO sollten "das Einvernehmen mit der NSDAP als Trägerin des politischen Willens herstellen". Die NSFO unterstanden dem jeweiligen Truppenbefehlshaber, ihre Auswahl wurde aber in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Reichskanzlei Martin Bormann getroffen. [212] Hitler, der immer Stalins Armeesäuberungen bewunderte, scheint sich diese Regelung vom sowjetischen Kommissarprinzip abgeguckt zu haben.

Obwohl sich die soziale Zusammensetzung der Armee änderte, blieb die Spitze der Wehrmacht, wenn auch der Partei untergeordnet, noch in den Händen der alten Elite. Hitler stellte deshalb rückblickend unzufrieden fest: "In Ermangelung der Elite, wie sie uns vorschwebte, mußten wir uns mit dem vorhandenen Menschenmaterial begnügen. Das Ergebnis sieht danach aus! Dadurch, daß die geistige Konzeption mit der praktisch möglichen Verwirklichung nicht übereinstimmte, wurde aus der Kriegspolitik eines revolutionären Staates, wie das Dritte Reich, notwendigerweise eine Politik reaktionärer Spießbürger. Unsere Generäle und unsere Diplomaten sind mit wenigen Ausnahmen Männer von gestern, die den Krieg ebenso wie die Politik einer überlebten Zeit führen." [213]

Die radikalste soziale Veränderung, die der Nationalsozialismus hervorbrachte, war die Entmachtung der Junker. Vor 1933 dominierte die preußische Elite noch den Staatsapparat und konnte ihn immer wieder für ihre Belange einsetzen. Damit war es nach der Machtübernahme der NSDAP vorbei. Mit der sozialen Öffnung der Armee verlor das Junkertum die letzte Bastion im Staatsapparat und so auch das letzte Stück politischer Macht. Wie auch die Auflösung der Fideikommisse im Jahr der Blomberg-Fritsch-Krise zeigte, war die NSDAP stark genug, sich gegen ihren alten Bündnispartner zu richten. Mit dem Ende der Osthilfe und des Fideikommis war auch der Untergang der maroden Rittergüter nur noch eine Frage der Zeit. Den endgültigen ökonomischen Todesstoß versetzten den Junkern schließlich die sowjetische Besatzungsmacht und die Arbeiterparteien durch die Bodenreform nach dem 2. Weltkrieg. Vergessen sollte man dabei aber nicht, daß sie politisch von Hitler und dem Nationalsozialismus entmachtet wurden.
4. Auf dem Weg zum SS-Staat
Die Prätorianergarde der Bauernschaft

Die SS stellte die neue Elite des "3. Reiches" dar. Ihr Aufstieg begann mit der Zerschlagung der SA und setzte sich unaufhaltsam bis zum Kriegsende fort. Die nach rassistischen und politischen Kriterien ausgesuchten Elitesoldaten sollten an die Stelle der alten Führungsschicht treten und stellten den Keim des neuen bäuerlich-kleinbürgerlichen Massenstaat in dem noch von Kompromissen geprägten "Vorkriegs"-Staat dar.

Ideologisch stand die SS wie keine andere Organisation für die Besiedlung des Ostens und den Blut- und Bodenwahn. Heinrich Himmler, der Reichsführer der SS, war schon als Jugendlicher von dieser Idee besessen. Er schloß sich im jungen Alter der sogenannten Atamanenbewegung an. Diese Bewegung ging aus der Bündischen Jugend hervor und sah in der Neuverwurzelung des Menschen im Boden ein Mittel zur "Volksgesundung". Himmler notierte 1921 in sein Tagebuch: "Das weiß ich bestimmter jetzt als je, wenn im Osten wieder ein Feldzug ist, so gehe ich mit. Der Osten ist der (?) Wichtigste für uns (...) Im Osten müssen wir kämpfen und siedeln." [214] Diesen Grundgedanken betonte Himmler bis zu seinem Tod immer wieder. "Das deutsche Volk war ein Bauernvolk und muß es in seiner Grundsubstanz wieder werden. Der Osten soll dazu dienen, diese bäuerliche Seite des deutschen Volkes zu stärken (...)" [215] Durch den Siedlungskrieg in Rußland und Polen sollte Deutschland teilreagrarisiert werden, um die Moderne zu überwinden und die Industrie zum Hilfsinstrument des Bauernreiches zu machen. In diesem Kampf sah sich die SS als rassische Elite der "Germanen". Die SS gründete Institute, um überall germanische Siedlungen zu suchen und so die mittelalterliche Ostsiedlung wieder aufnehmen zu können. Im Kampf um die "Reinheit der Rasse" spielten die Bauern die zentrale Rolle, von denen Millionen für den "Ritt nach Osten" vorgesehen waren. Himmler betonte in einem Aufsatz: "Ich darf versichern, daß es kein Zufall ist, daß der Reichsbauernführer des Deutschen Reiches seit Jahren als Führer der SS angehört, sowie es kein Zufall ist, daß ich von Abstammung, Blut und Wesen Bauer bin und dem Reichsbauernrat angehöre." Die Schutzstaffel sähe den Bauern als "besten Kamerad und Freund" an. [216]

Die SS brach fast vollständig mit der konservativen Ideologie des Kaiserreiches und der Weimarer Republik. Neben den Kommunisten und bürgerlichen Demokraten wurde die christliche Kirche als Hauptfeind angesehen. Im SS-Plan zur "Erschließung des germanischen Erbes" von 1938 hieß es deshalb: " Wir leben im Zeitalter der endgültigen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Es liegt in der Sendung der Schutzstaffel, dem deutschen Volk im nächsten Jahrhundert die außerchristlichen Grundlagen der Lebensführung und Lebensgestaltung zu geben." [217] Die "außerchristlichen Grundlagen" waren die Siedlungs- und Rassenideologie, die alle Lebensbereiche der Deutschen bestimmen sollten. Wenn es auch richtig ist, daß sich die Kirche bei den Nazis anbiederte und viele Geistliche Sympathien für die Bewegung hatten, war das umgekehrt kaum der Fall. Leute wie Himmler und Hitler ließen die Kirche aus bündnispolitischen Gründen vorerst bestehen. Nach dem Krieg war aber ihre Zerschlagung vorgesehen. "Mit dem Christentum als einer ‘perversen und lebensfremden Weltanschauung’, ‘dieser größten Pest, die uns in der Geschichte anfallen konnte’, müsse man eben noch fertig werden, lautete Himmlers unabdingbare Forderung." [218] Damit lag Himmler voll auf Hitlers Linie, der in seinen "Tischgesprächen" wiederholt die Zerschlagung der Kirche nach dem Krieg angekündigt hatte und ihr Vermögen für die Siedlung einsetzen wollte.

Der Antisemitismus und der Rassismus der SS waren eng mit dem Siedlungsgedanken verbunden. Durch Krieg und auf Grundlage der Vernichtung der "slawischen" Völker und Juden sollte der Raum für die deutschen Siedler frei gemacht werden. Der "Generalplan Ost" konkretisierte später diese Vorstellungen. Nicht zufällig übernahm die SS das Konzentrationslagersystem.

Bei der rassistischen Bauernideologie war es kein Wunder, daß sich die Mannschaften der SS vor allem aus landwirtschaftlichen Gebieten rekrutierten. Die Führungsspitze setzte sich dagegen hauptsächlich aus Akademikern zusammen, die von der "Rassenwissenschaft" besessen waren. Ende 1938 waren 12.000 Akademiker Mitglied der SS. [219] Adelige stellten 9 % der Führungskräfte ab dem Oberst und waren damit relativ gut vertreten. Auch bei den Nürnberger Prozessen fiel der hohe Akademikeranteil bei den angeklagten SS-Führern auf. [220] Eine Untersuchung der sozialen Zusammensetzung der Führerkorps der Waffen-SS zeigte deren hauptsächlich mittelständische Prägung, wobei die Mehrheit aus dem gehobenen Mittelstand kam. [221] Viele dieser Mittelständler oder Intellektuellen konnten auf eine gescheiterte Karriere in der Weimarer Republik zurückblicken und vertraten mehr aus "Idealismus" als aus sozialen Gründen den Siedlungsgedanken.

Nun zu den einfachen SS-Männern. 1937 schätzten SS-Statistiker den Anteil der Bauern nur auf 9 %. [222] Zu diesem Zeitpunkt war die SS noch eine relative kleine Organisation. Der Siedlungsgedanke war ohne den dazu gehörigen Krieg reine Theorie und wurde von vielen Deutschen als Spinnerei angesehen. Doch mit dem Krieg gegen Polen und die Sowjetunion konnte damit begonnen werden, Himmlers und Hitlers "Jugendträume" in die Realität umzusetzen. Die Landfrage stellte sich für die SS- Männer nun konkret. Heinz Höhne meinte, daß 90 % der Führer der SS-Verfügungstruppen bäuerlicher Herkunft waren. "Die Verfügungstruppe konnte nie das Bürgertum und die Großstädter für sich engagieren, die VT blieb eine Bauern- und Handwerkerarmee. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Franken und an der Saar trat fast jeder dritte Bauernsohn in die VT oder später in die Waffen-SS ein." [223] Die Waffen-SS bot den Bauernsöhnen neue Aufstiegschancen. Zur Ausbildung richtete die SS sogenannte Junkerschulen ein. Dass über 40 % der Besucher der SS-Junkerschulen kein Abitur hatten, [224] zeigte, für wen die neuen Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen wurden.

Die SS stellte die Prätorianergarde der Bauernschaft dar. Sie war die Organisation der Siedlung, auf der der neue Herrenmensch gedeihen sollte. Die SS verstand sich als politische und rassische Avantgarde im Kampf für den bäuerlich dominierten Rassenstaat. Mit diesem Programm gelang es der Organisation, mit der Unterstützung von Hitler entscheidende Machtpositionen zu erkämpfen.
Der doppelte Staatsapparat

Wären die Nazis nicht auf das Bündnis mit Kapital und Junkertum angewiesen gewesen, hätten sie einfach den alten Staatsapparat zerschlagen können. Doch Hitler entschied sich für die schleichende Entmachtung der alten machthabenden Klassen. Die NSDAP begann darum schon ab 1933, neben dem alten Staatsapparat parallel einen neuen aufzubauen: den SS-Staat.

Als erstes wurde ein Dualismus zwischen Justiz und SS-Polizei geschaffen, der sich auch im Strafrecht widerspiegelte. Die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933 ermächtigte die Polizei, Verhaftungen und Freiheitsstrafen ohne richterliche Entscheidung vorzunehmen. Mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 konnte die politische Führung mißliebige Richter einfach absetzen. Damit war die Gewaltenteilung aufgehoben. Justiz und Polizei verloren an Einfluß. Ab 1939 verkündete man, Erschießungen auch ohne Gerichtsurteil vorzunehmen, "weil die Gerichte (...) den besonderen Verhältnissen des Krieges sich nicht gewachsen zeigten". [225] Die SS durfte jetzt auch offiziell nach Lust und Laune verhaften und morden.

"Der Aufstieg der SS und Arbeitsfront ging mit dem Abstieg der SA und der Partei einher." [226] Den Aufstieg der SS im "Dritten Reich" kann man an der persönlichen Karriere des SS-Chefs Himmler nachvollziehen. 1934 ernannte ihn Hitler zum Chef des mächtigen Sicherheitsdienstes, der Gestapo. 1936 wurde Himmler "Reichsführer der SS" und Chef der Polizei. 1937 begann Himmler die Ordnungspolizei mit der SS auch personell zu verschmelzen. [227]

Auch in der Planung der Siedlung behielt die "Prätorianergarde" der Bauernschaft die Oberhand. Himmler wurde 1941 Beauftragter der NSDAP für Volkstumsfragen. Ihm unterstand damit die "Ostsiedlung". Sein Aufstieg krönte 1943 seine Ernennung zum Reichsinnenminister. Später übernahm er noch die Leitung der Raketenfertigung und sorgte dafür, daß die SS das Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) dominierte. Im Zuge des 2. Weltkrieges wurde der Reichsführer der SS der mächtigste Mann neben Hitler.

Den größten Beitrag zum Aufbau des dualen Staatsapparats stellte aber der Aufbau der Waffen-SS dar. Der Nationalsozialismus begnügte sich nicht damit, die Wehrmacht Schritt für Schritt von einer Junker- in eine Volksarmee zu verwandeln. Mit der Waffen-SS stellte er einfach eine zusätzliche nationalsozialistische Elitearmee neben der "alten" Wehrmacht auf. Auch das geschah, um die Generalität nicht zu verprellen, nicht auf einen Schlag, sondern nahm einen langen Zeitraum in Anspruch. Der erste Schritt war die Schaffung von Waffen-SS-Schulen außerhalb des Zugriffs der Wehrmacht. Aus den gesagten bündnispolitischen Gründen mußte Hitler den Aufbau der Waffen-SS mehrfach bremsen. Der Armeeführung blieben die Absichten der SS nicht verborgen. Fritsch sagte am 1. Februar 1938, "daß das Verhältnis der SS-Verfügungstruppen zum Heer ein sehr kühles, wenn nicht ablehnendes sei. Man kann sich den Eindrucks nicht erwehren, daß die ablehnende Haltung gegen das Heer in der SS- Verfügungstruppe geradezu gefördert wird". [228]

Mit dem Krieg nahm die NSDAP auf die Generalität keine Rücksicht mehr. Die Waffen-SS wurde zur Massenarmee und schnellte von 100.000 Mann 1940 auf 220.000 Ende 1941. 1943 waren es schließlich 540.000 Mann und Ende 1944 sogar 910.000. [229] Der bäuerlichen Massenarmee traten aber nicht nur Deutsche bei. Die sogenannten Volksdeutschen stellten 1943 ein Viertel der Waffen-SS, [230] und auch Niederländer und Skandinavier waren häufig vertreten, die man mit Siedlungsversprechen anwarb. Spätestens 1943 waren die Divisionen der Waffen-SS zur Kerntruppe der deutschen Ostfront geworden. Diese Tatsache war sicherlich ein Grund, warum der Vernichtungskrieg so erbarmungslos geführt wurde. Der Oberbefehlshaber des Ersatzheeres wurde am 20. Juni 1944 Himmler. Damit hatte er auch in der Wehrmacht eine wichtige Position inne.

Zusammengefaßt bestand der doppelte Staatsapparat in der Dualität von Waffen-SS und Wehrmacht, sowie zwischen der alten übernommenen Justiz und dem SD und der Polizei in SS-Händen auf der anderen Seite. Wirtschaftspolitisch stand auf der einen Seite das RWM bis 1937 mit Hjalmar Schacht als Vertreter der Banken und Großindustrie an der Spitze. Den nationalsozialistischen Gegenpol bildete die Vierjahresplanbehörde von Göring, die den Keim der zukünftigen Staatswirtschaft darstellte, in der der einzelne Kapitalist als Eigentümer im Interesse der Staates zu wirtschaften hatte. Auch im Bildungswesen existierten neben dem bürgerlichen Schulsystem die NAPOLAs und Adolf-Hitler-Schulen.

Durch den doppelten Staatsapparat gab es zwangsläufig viele Kompetenzüberschneidungen und Machtkämpfe. Viele Institutionskonflikte dauerten bis zum Ende des NS-Staates an. Die Macht der Junker, aber auch der Schwerindustrie, schränkte der neue Teil des Staatsapparates enorm ein. Auch wenn der alte Staatsapparat unter dem Kommando der NSDAP stand, entsprachen seine privilegierten Repräsentanten aus den besitzenden Schichten und ihre konservativen oder monarchistischen Weltanschauungen nicht den nationalsozialistischen Vorstellungen. In den SS-Organisationen herrschte schon die neue Elite, die sich hauptsächlich aus dem Kleinbürgertum rekrutierte. Die Nazis wollten die Macht ihres Apparats immer weiter ausdehnen und den alten Staatsapparat spätestens nach dem Krieg ganz verschwinden lassen.

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Beitrag  checker Mo Sep 28, 2015 6:29 am

IV. Die sozialen Triebkräfte des Krieges

Manche Historiker neigen bis heute dazu, die Verantwortung für den Krieg allein der Person Hitler zu geben. Dieses Schema war in der Nachkriegsauseinandersetzung auch bei vielen Deutschen beliebt, um die eigene Schuld zu verdrängen. Auch die SED, die aus der eigenen Geschichtstheorie nie begreifen konnte, warum die große Mehrheit der Arbeiterklasse dem Nationalsozialismus bis zum Schluß die Treue hielt, brauchte Hilfskonstruktionen. Bald war in der Geschichtsschreibung der DDR von der "Hitlerclique" die Rede, die im Interesse der Monopole das deutsche Volk unschuldig in den Krieg gestürzt habe. Auch der ZDF-Historiker Guido Knopp hat in seiner Fernsehserie "Hitler - eine Bilanz" den 2. Weltkrieg als Ausgeburt eines verrückten Hirnes mit Unterstützung seiner engen Kampfgefährten dargestellt. Der Krieg war jedoch nicht nur das Werk Hitlers, sondern hatte auch soziale Triebkräfte in der Gesellschaft. Fraktionen der alten und der neuen Eliten entwickelten verschiedene außenpolitische Konzepte, die Deutschland zur Weltmacht und zum Herrn über Europa machen sollten. In der Gesellschaft hatten einige dieser Konzepte eine Basis. Bei der Untersuchung der Machtverhältnisse im NS- Staat ist auch die Frage zentral, welche außenpolitische Konzeption sich in der Praxis durchsetzte.
1. Die Pläne und Strategien der Aggression
Krieg für den bäuerlichen Rassenstaat

In "Mein Kampf" legte Hitler ausführlich und in völliger Offenheit die zukünftige Außenpolitik des Nationalsozialismus dar. Aus der Analyse der Niederlage des kaiserlichen Deutschlands im 1. Weltkrieg zog er Lehren und entwickelte eine neue außenpolitische Zielsetzung, aber auch eine neue Strategie, die mit der traditionellen revanchistischen Außenpolitik der Weimarer Republik brach.

Der Absicht aller Regierungsparteien der Weimarer Republik, in erster Linie mit friedlichen Mitteln Schritt für Schritt die Grenzen des Kaiserreiches wiederherzustellen, erteilte Hitler eine Absage. "Die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ist ein politischer Unsinn von Ausmaßen und Folgen, die ihn als Verbrechen erscheinen lassen." [231] Hitler hatte kein Interesse an einfacher imperialistischer Machtpolitik. Die Außenpolitik sollte dem Ziel dienen, den bäuerlichen Rassenstaat zu errichten. "Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken." [232] Die bäuerliche Besiedlung Rußlands und der umliegenden Staaten erhob Hitler zum Leitmotiv der deutschen Außenpolitik und verwarf die Kolonialpolitik. Dieses Leitmotiv stellte etwas Neues dar. Siedlungsideologie gab es auch schon während des 1. Weltkrieges. Sie konnte sich aber gegen die "Kolonial- und Handelspolitik" nie durchsetzen.

Schon in "Mein Kampf" machte Hitler keinen Hehl daraus, daß seine Ziele nur durch Krieg zu erreichen seien und legte offen dar, daß "auch uns in der Zukunft den Boden und das Leben für unser Volk keine göttliche Gnade zuweisen (wird), sondern nur die Gewalt eines siegreichen Schwertes." [233]

Der Grundsatz der Ablehnung eines deutschen Kolonialreichs in Afrika zog sich bis Hitlers Tod wie ein roter Faden durch seine Weltanschauung. Bei Hitler spielten rassistische und völkische Vorstellungen die zentrale Rolle. Er befürchtete, die "Neger" würden sich auf Dauer mit den deutschen Einwanderern und Kolonialisten vermischen. Als abschreckendes Beispiel galt ihm Frankreich, das er als "europäisch-afrikanischen Mulattenstaat" [234] bezeichnete. Statt dessen forderte er die Konzentration des deutschen "Volkstums" in einem geschlossenen Block von Blut und Boden in Europa.

In der zentralen Kriegszielbesprechung am 5. November 1937 in der Reichskanzlei (von Hößbach protokolliert) nannte Hitler auch wirtschaftspolitische Gründe: "Wenn die Sicherheit unserer Ernährungslage im Vordergrunde stände, so könne der hierfür notwendige Raum nur in Europa gesucht werden, nicht aber ausgehend von liberalistisch-kapitalistischen Auffassungen in der Ausbeutung der Kolonien (...) Auch die Rohstoffgebiete seien zweckmäßiger im unmittelbaren Anschluß an das Reich in Europa und nicht in Übersee zu suchen." [235] Auch in seinem "Testament", in dem er seine Außenpolitik rückblickend analysierte, unterstrich er seine Prinzipien noch einmal. "Es gibt eine weitere Veranlassung dafür, uns mit den Amerikanern zu vertragen: weder sie noch wir neigen zur Kolonisation (...) Ich betrachte die stümperhaften Versuche am Ende des 19. Jahrhunderts als Seitensprung in unserer Geschichte. Die Niederlage von 1918 hatte wenigstens das Gute, uns auf einem verhängnisvollen Weg zu stoppen, zu dem sich die Deutschen, eifersüchtig auf Erfolge (...) törichterweise durch das Beispiel der Franzosen und der Engländer hatten verleiten lassen." [236] "Nach Osten, und immer nur nach Osten haben wir unseren Geburtenüberschuß zu lenken. Das ist die von der Natur gewiesene Richtung der germanischen Expansion" [237], versuchte er den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und Polen zu rechtfertigen.

In "Mein Kampf" ließ sich Hitler auch länger über die Politik der anderen Großmächte und die Mächtekonstellation, die die Nachkriegsordnung von Versailles geschaffen hatte, aus. Daraus leitete er Gegner und Bündnispartner Deutschlands ab. "Der unerbittliche Todfeind des deutschen Volkes ist und bleibt Frankreich." [238] Frankreichs Ziel, von den Jakobinern über Napoleon, sei immer die Kleinhaltung und Zersplitterung Deutschlands gewesen, um die zentrale Großmacht in Kontinentaleuropa zu werden. Das Ziel könne deshalb nur die Unterwerfung Frankreichs sein. Hitler sprach nur das allgemeine Gedankengut der deutschen und französischen Revanchisten aus. Die deutsch- französischen Kriege und die Reibereien um das Rheinland und Elsaß-Lothringen waren Ausdruck dieser Tatsache. Die französische Nachkriegsordnung des Versailler Vertrages, Deutschland zu verkleinern und sich selbst im Nahen Osten und Afrika Kolonien unter dem Stichwort "Mandat" anzueignen, hatten schon die USA nicht unterstützt, indem sie dem Völkerbund nicht beitraten. Auch die britische Regierung empfand den Versailler Vertrag als zu hart gegenüber dem deutschen Reich.

Als Bündnispartner kam für Hitler deshalb nur England in Frage. "Wenn europäische Bodenpolitik nur zu treiben war gegen Rußland mit England im Bunde, dann war aber umgekehrt Kolonialpolitik und Welthandelspolitik nur denkbar gegen England mit Rußland." [239] England habe in Europa nur ein Interesse an Stabilität, um Weltpolitik, sprich Kolonialpolitik, machen zu können, deshalb sei ein Bündnis möglich. England verfolgte tatsächlich auf dem Kontinent die sogenannte "balance of power"- Politik. Im 1. Weltkrieg griff England nur ungern auf dem Festland ein und förderte schon zu Stresemanns Zeiten die Lockerung des Versailler Vertrages, um das Gleichgewicht der Stärke herzustellen. Hitler setzte also auf die Ausnutzung der Widersprüche zwischen den beiden großen Kolonialmächten England und Frankreich. "England kann weiter niemals ein Frankreich wünschen, dessen kontinental-politische Lage dank der Zertrümmerung des übrigen Europa als so gesichert erscheint, daß die Wiederaufnahme der größeren Linie einer französischen Weltpolitik nicht nur ermöglicht, sondern geradezu erzwungen wird", führte er aus. [240] Entsprachen Hitlers Berechnungen soweit der Realität, war es aber auch schon 1925 fraglich, ob das Empire ein Deutschland hinnehmen würde, das durch die Zertrümmerung des übrigen Europa der Weltmachtstellung Großbritanniens gefährlich werden könnte. Ein von Deutschland beherrschtes Europa war langfristig für das Empire eine zu große Gefahr. Da England mit fast allen Kräften in den Kolonien gebunden war, würde es in dieser Situation von der deutschen Laune abhängen, England zu besetzen.

Der zweite potentielle Bündnispartner war für Hitler Italien. Italiens Interessen seien "um das Mittelmeerbecken gruppiert". [241] Aufgrund dieser traditionellen Orientierung würden die Siedlungsinteressen Deutschlands und die Kolonialpolitik Italiens nicht in Widerspruch zueinander geraten. Im "Zweiten Buch" 1928 kündigte Hitler schon den deutschen Verzicht auf Südtirol an, das dem Bündnis immer im Weg stand. Auch in diesem Punkt verwarf er eine Forderung der revanchistischen Außenpolitik.

Hitlers Darlegungen in "Mein Kampf" bewiesen, daß er trotz aller antisemitischen Wahnvorstellungen in der Lage war, die innerimperialistischen Widersprüche der Nachkriegsordnung richtig zu analysieren und daraus eine Strategie zur Sprengung des Versailler Vertrages abzuleiten, um dann den Siedlungskrieg führen zu können. Die konzeptionelle Fehleinschätzung der Politik des britischen Empires sollte Hitler allerdings noch zum Verhängnis werden.
Die Konkretisierung der Siedlungspläne

Mit dem Beginn des Krieges im Osten 1939 wurden die Länder von Deutschland besetzt, die Hitler 1925 als deutsche Siedlungsgebiete bestimmt hatte. Die SS übernahm nun als Blut- und Bodenorganisation die Konkretisierung dieses Programms. Den Grundgedanken der Siedlung bildete die Vernichtung oder Vertreibung der im Osten lebenden Völker, um so Siedlungsraum für Millionen "germanischer" Bauern zu schaffen. Himmler brachte es in Kiew 1942 auf den Punkt, indem er sagte, "daß man die soziale Frage nur dadurch lösen kann, daß man die anderen totschlägt, damit man ihre Äcker bekommt." [242] Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und Polen stand also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Siedlungspolitik.

Schon 1939 erörterte Hitler die Aussiedlung von 6 Millionen Tschechen. Dieses Projekt wurde nicht durchgeführt, da die Nazis die tschechischen Arbeiter in der wichtigen Rüstungsindustrie Böhmens und Mährens brauchten. Der SS-Ideologe Konrad Meyer verfaßte im Mai 1940 den berühmt-berüchtigten Generalplan Ost. Dieser Plan beinhaltete die nationalsozialistischen Völkermordabsichten schon vor der Wannsee-Konferenz. Noch beschränkten sich die Pläne auf Polen, da man die Sowjetunion noch nicht erobert hatte. [243] Er sah die Deportation von Juden und Abschiebung von 3,4 Millionen Polen vor. An deren Stelle sollten 2 Millionen angesiedelter deutscher "Wehrbauern" einen "Wall deutschen Volkstums" bilden. Heydrich, einer der wichtigsten SS-Führer, äußerte zu den Wehrbauern: "Das sind Räume, die man eigentlich behandelt wie die Eindeichung eines neuen Landes an der Küste, indem man ganz im Osten einen Wehrwall von Wehrbauern zieht, um das Land abzuriegeln gegen die Sturmflut Asiens." Die untere Größe der Bauernhöfe legte Meyer bei 20 ha und die obere Größe bei 50-200 ha fest. Klein- und vor allem Mittelbauern, nicht Großgrundbesitzer, sollten das Siedlerpotential darstellen. Für die dörfliche Infrastruktur sah die SS auch die Ansiedlung von Handwerkern und Technikern vor. Himmler meldete zum Generalplan: "Der Führer sagte, daß es Punkt um Punkt richtig wäre." [244]

Mit dem Krieg gegen die Sowjetunion dehnte Meyer Anfang 1942 den Generalplan Ost auf den Vielvölkerstaat aus und die SS entwickelte den Generalsiedlungsplan. 31 Millionen Einwohner der besetzten Ostgebiete wollte man nach Westsibirien aussiedeln. Schwerpunktmäßig planten die Nazis eine Verringerung der Stadtbevölkerung, da die Städte als Hort des Widerstandes galten. Dafür sollten 10 Millionen "volksdeutsche" Siedler innerhalb von 30 Jahren angesiedelt werden. [245]

Ein anderes wichtiges Plandokument ist das "vorläufige Friedensprogramm des Reichsführers der SS" vom 14. Dezember 1941. Dieses Programm war ein riesiges Bauprogramm, das Milliarden für die Siedlungen veranschlagte. Das ganze polnische Gebiet, Skandinavien, Tschechien und die Niederlande schlug man darin dem Deutschen Reich zu. Die Durchführung dieses Plans hätte den Osten nicht nur in ein Bauern-, sondern auch in ein Sklavenreich verwandelt. 80 % des Bauprogramms sollte von KZ-Häftlingen durchgeführt werden. Albert Speer, Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, schätzte die Zahl im nachhinein auf 14.450.000 Häftlinge innerhalb des Zwanzig-Jahresprogramms. [246]

Etwas "bescheidenere" Siedlungsplanungen verfaßte das "Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront". Dieses Institut glaubte, daß sich in Deutschland nicht so viele Siedler finden würden, die nach Osten ziehen wollten. Um die Siedlung trotzdem zu ermöglichen, schlug es eine Veränderung der deutschen Industriestruktur vor. Alle nicht hochtechnischen Industriebereiche seien nach Rußland auszulagern. Nur durch Stillegung dieser Industriezweige, z. B. der Eisenindustrie, würden in Deutschland genug Siedler vorhanden sein. Außerdem sei nur durch eine Verdopplung der Größe der landwirtschaftlichen Betriebe im Osten der Anreiz groß genug, um 700.000 deutsche Bauernfamilien nach Rußland zu locken.

In seinen "Tischgesprächen" phantasierte Hitler in diesen Jahren wiederholt über die Zukunft seines Bauernstaates. Er war vom Siedlungswillen der deutschen Bevölkerung fest überzeugt: "der Reichsbauer (soll) in hervorragenden schönen Siedlungen hausen. Die deutschen Stellen und Behörden sollen wunderbare Gebäulichkeiten haben, die Gouverneure Paläste (...). Um die Stadt herum wird auf 30 bis 40 Kilometer ein Ring von schönen Dörfern gelegt, durch die besten Straßen verbunden." [247] Er wollte im Osten deshalb auch eine Eisenbahn und Autobahn bauen lassen. Hitler verstand sich also als Kolonisator, der die "Steppen Asiens" in blühende Äcker verwandeln wollte. Die Besiedlung Amerikas, die auf der Grundlage der Vertreibung und Vernichtung der Indianer basierte, sowie die mittelalterliche Ostsiedlung der deutschen Ritterorden dienten dabei als historische Vorbilder. So viele brutale Verbrechen diese beiden "Kolonisationen" auch hervorgebracht haben, sie stehen in keinem Vergleich zur nationalsozialistischen Siedlungspolitik. Allein schon deshalb, weil der nationalsozialistische Völkermord im 20. Jahrhundert stattfand. Die Wehrmacht und SS führten bei ihrem "Ritt nach Osten" keine Schwerter und auch keine Winchester mit sich, sondern moderne Vernichtungswaffen. Sie drangen auch nicht in die weiten Prärien Amerikas ein, sondern in die Kerngebiete industrialisierten und dicht besiedelten Landes. Die Absicht, Millionen Russen, Polen, Ukrainer usw. zu vertreiben und zu vernichten, war somit schon indirekt in der Siedlungsprogrammatik von "Mein Kampf" enthalten.

Der Siedlungskrieg im Osten hatte eine bäuerliche Triebkraft. Es ging zum einen darum, den Landhunger der deutschen Bauern nach außen zu lenken und mit einem neuen Siedlerreich im Osten die Dominanz der Industrie in Deutschland zu überwinden. Millionen landloser oder armer Kleinbauern wäre so ein beträchtlicher Besitz zugefallen. Auch das absteigende Kleinbürgertum und Handwerk sollte mit der Siedlung gerettet werden. Im "neuen Lebensraum" hätte es genug Arbeitsmöglichkeiten für die im Reich bedrängten Kleinbetriebe gegeben. Zum anderen stand hinter der Siedlungsprogrammatik eine ideologische Absicht. Die SS und die NSDAP glaubten, durch die Siedlung den Bauern als "Blutquell des deutschen Volkes" zu erhalten und durch die Neuverwurzelung des deutschen Volkes im Boden die "rassische Reinheit" wiederherzustellen. Die Triebkraft der Siedlung war ein konkretes soziales Bedürfnis von Tausenden Bauern, aber auch die irrationale Rassenideologie von Hitler und der SS.
Die "Kontinentalblock"-Strategie - Alles gegen das Empire!

Eine alternative außenpolitische Zielsetzung zu Hitlers Siedlungspolitik entwickelten die Anhänger des Kolonialismus. Im Gegensatz zu der SS, Hitler und Rosenberg träumten sie von einem deutschen Kolonialreich in Afrika, das auf den Trümmern des britischen Empire entstehen sollte. Ihre Strategie, die sich deshalb in erster Linie gegen England richtete, verfolgten der deutsche Außenminister von Ribbentrop, die Führungselite des Auswärtigen Amtes und das Kolonialpolitische Amt des alten Kolonialisten Ritter von Epp. Auch Vertreter der Banken wie Hjalmar Schacht unterstützten den Kampf für Rohstoffquellen und Absatzmärkte in Afrika. Sie stellten sich selten offen gegen Hitlers Politik, versuchten aber in ihren Einflußbereichen, den Blick vom Osten nach Afrika abzulenken. Diese Linie knüpfte an die traditionelle Außenpolitik des Kaiserreiches und des Revanchismus der Weimarer Republik an und hatte auch in der deutschen Bevölkerung einigen Einfluß. Ihre Vertreter sammelten sich im Auswärtigen Amt, im Kolonialpolitischen Amt und in der Leitung der Marine.

Joachim von Ribbentrop war als deutscher Sonderbotschafter in England schon Mitte der 30er Jahre zu der Erkenntnis gekommen, daß England zu einem Bündnis mit Deutschland nicht bereit sei. Hitlers Wunschpartner kam für ihn nicht als Sicherung der deutschen Expansionspolitik in Frage. Angesichts der Schwäche des britischen Empire und der aufflammenden Befreiungsbewegungen in den Kolonien hielt Ribbentrop den Zeitpunkt für die Zerschlagung des Empire für günstig. Ribbentrop entwickelte als Außenminister die "Kontinentalblock"- Strategie. Das hieß eine Orientierung aller europäisch-asiatischen Großstaaten von anfänglich noch Frankreich und Spanien über Deutschland, Italien bis zu Japan gegen die angelsächsische Seemacht, um das Empire zu zerschlagen. [248] Spanien und Italien waren für die antibritische Front am Mittelmeer vorgesehen, und Japan bedrohte durch seine Expansion in Südostasien das Empire ohnehin schon. Als sich abzeichnete, daß sich Frankreich zu diesem Bündnis nicht hinreißen ließ, versuchte Ribbentrop die Sowjetunion in seine Planungen einzubinden. Der neuen Großmacht, die auf Seite der antikolonialen Bewegungen stand, bot Ribbentrop Indien als Einflußsphäre an. Für Ribbentrop war ein deutsches Kolonialreich Voraussetzung für die Weltmachtstellung. Er verfolgte eine Macht- statt Siedlungspolitik. Diese Vorstellungen bezeichnete der Historiker Wolfgang Michalka deshalb in Abgrenzung zu Hitlers Programmatik als "wilhelministische Allerweltspolitik". [249]

Karl Ritter aus dem Auswärtigen Amt arbeitete im Krieg Pläne für das deutsche Reich in Afrika aus. Die Denkschrift über die Schaffung eines "Großwirtschaftsraums" vom 1. Juni 1940 skizzierte ein deutsches Kolonialreich aus den ehemaligen deutschen Kolonien, Belgisch-Kongo, Französisch-Äquatorialafrika und "vielleicht auch" Britisch-Nigeria. [250] Damit lag Ritter näher an dem Programm des Alldeutschen Verbandes als an der nationalsozialistischen Außenpolitik Hitlers.

Die alten Kader der kaiserlichen Kolonialpolitik sammelten sich um den Reichskolonialbund und das Kolonialpolitische Amt (KPA). Diese Bewegung, die schon in der Weimarer Republik eine gesellschaftliche Verankerung hatte, trat damals unter dem Namen "Deutsche Kolonial Gesellschaft" auf. Die DKG übte Einfluß auf alle Parteien außer der KPD aus und hatte 30.000 Mitglieder. Erst nach der Machtübernahme der NSDAP begann ihr Aufstieg zur Massenbewegung. 1934 kam es zur Gründung des Kolonialpolitischen Amts der NSDAP (KPA) mit dem alten Kolonialisten Ritter von Epp an der Spitze. Im Juni 1941 beschäftigte das Amt 209 hauptamtliche Mitarbeiter und der mit dem KPA verbundene Reichskolonialbund hatte im selben Jahr über 2.100.000 Mitglieder [251]. Damit war er eine der größten Massenorganisationen des NS-Staates. Die staatliche Unterstützung stieg von mageren 157.428 RM (1938) auf schließlich 29.942.060 RM (1941). [252]

Die Tatsache ist interessant, da Ritter von Epp von Hitlers Programmatik nichts hielt. Schon 1928 kritisierte Epp das außenpolitische Programm Hitlers und prangerte es als "Ostlandreiterei" an. [253] Auch aus seinem Nachlaß geht hervor, daß er Hitlers Politik kritisierte, da sie nicht auf die Zerschlagung des Empire, sondern der Sowjetunion ausgerichtet war, die für Epp niemals der Hauptgegner war. [254] Das KPA arbeitete statt dessen umfangreiche Organisations- und Wirtschaftspläne für ein deutsches Kolonialreich aus. In den Kolonien sollte strengste Rassentrennung herrschen, womit sich nationalsozialistische Rassenpolitik und Kolonialismus vermischte. 1941 planten Epp und verschiedene andere sogar ein Reichskolonialministerium, als die Ziele der Kolonialisten in Afrika greifbar nahe schienen.

Auch die Marine trat als Teil der Wehrmacht entschieden für eine antibritische Kolonialpolitik ein. Dabei spielten neben der Tradition der deutschen Flotte auch ressortpolitische Gründe eine Rolle. Ein Krieg, der sich auf Kontinentaleuropa beschränkte, verurteilte die Marine zur Bedeutungslosigkeit. Ohne eine Vielzahl von Stützpunkten in Afrika und am europäischen Mittelmeer bestand keine Aussicht auf einen Erfolg gegen die völlig überlegene britische Flotte. So forderte Wilhelm Canaris, Leiter des Amtes Ausland/Abwehr im OKW 1938, in einer Entwurfstudie "genügend Kolonialbesitz" für die "Seekriegsführung gegen England". [255] Diese Pläne umfaßten den Aufbau einer Kolonialflotte und die Ausstattung von Kolonialhäfen. Die große Chance kam für die Marine mit den deutschen Siegen in Afrika. Raeder entwickelte im Sommer 1940 einen Plan, um in Afrika gegen das Empire vorzugehen, den allerdings Hitler ablehnte. Ebenso schlug Admiral Raeder, der Oberbefehlshaber der Marine, Hitler 1940 dreimal vergeblich vor, den Hauptstoß gegen das britische Kolonialreich zu richten und von Nordafrika bis in den Vorderen Orient vorzustoßen. [256]

In einer Denkschrift vom 3. Juni 1940 von Fricke, dem Admiral und Stabschef der deutschen Seekriegsleitung, über "Raumerweiterung und Stützpunktfragen" forderte dieser, zusammenhängenden Kolonialbesitz in Mittelafrika zu schaffen und weitete die Ansprüche auf französische und britische Kolonien im Juli noch weiter aus. [257] Auch die Richter der Nürnberger Prozesse erkannten, wer die eifrigsten Vertreter der Kolonialpolitik waren. "Am eindringlichsten hat wohl Großadmiral Raeder aus ressort-spezifischen Gründen versucht, Hitler vom Ostkrieg abzubringen und ihn für die schwerpunktmäßige Fortsetzung des Krieges gegen Großbritannien zu gewinnen." [258]

Schon vor dem 1. Weltkrieg traten auch Teile der Schwerindustrie für die Eroberung von neuen Kolonien ein und unterstützten massiv den gegen England gerichteten Flottenbau. Der Alldeutsche Verband propagierte den "Kolonialgedanken" bis ins kleinste Dorf. Auch in der Weimarer Republik wurden die bürgerlichen Politiker nicht müde, die Rückgabe der deutschen Kolonien zu fordern.

Diese Tradition setzten Teile der Schwerindustrie auch nach Hitlers Machtübernahme fort. Hjalmar Schacht war ein Vertreter der Rückgabe deutscher Kolonien und argumentierte rein wirtschaftlich. Nach der Befreiung schrieb er noch: "von je her war ich ein eifriger Verfechter des kolonialpolitischen Gedankens gewesen, nicht im Sinne eines Imperialismus, sondern einzig aus dem Grunde, weil ein Industrievolk, das nicht über eine ausreichende Ackerfläche in der Heimat verfügt, zu seiner Ernährung zusätzliche landwirtschaftliche Produktionsquellen benötigt." [259] Zusätzlich führte er den Mangel an Rohstoffen in Deutschland ins Feld. Die nationalsozialistische Ostpolitik lehnte Schacht genauso wie der Ritter von Epp ab. In einem Brief vom 19.3.1935 an Epp schrieb der Finanzexperte: "Die Idee von dem zu erwerbenden Ostraum stiftet leider viel Unheil an." "Ich brauche ihnen deshalb, sehr geehrter Herr General von Epp, nicht zu sagen, wie sehr ich ihre kolonialpolitischen Gedankengänge billige und unterstütze" [260], beteuerte er gegenüber dem Leiter des KPA. Schacht ließ in der Öffentlichkeit keine Gelegenheit aus, Kolonien in Übersee zu fordern, wie z. B. im Interview für die französische Zeitung "Paris Soir" oder am 27. Mai 1937 vor der Handelskammer. [261] Schacht dachte nach eigenen Angaben an die Rückgabe der deutschen Kolonien durch Verhandlung mit Großbritannien und Frankreich.

Schacht war nicht der einzige Kolonialist unter den Vertretern des Kapitals. Die Denkschriften der Gruppe Deutscher Kolonialwirtschaftlicher Unternehmungen forderte neben den ehemaligen deutschen Kolonien in Belgisch-Kongo noch Kolonien in Britisch-Nigeria und Französisch-Äquatorialafrika. [262] Die Autoren waren sich der Tatsache wohl bewußt, daß ohne Krieg Frankreich und England wohl kaum zu diesen Zugeständnissen bereit sein würden. Was Hitler von diesen Plänen hielt, legte Schacht auch nach dem 2. Weltkrieg dar: "Mehrfach hatte ich versucht, Hitler (...) für das koloniale Problem zu interessieren (...) Dagegen war sein Traum einer deutschen Ausdehnung nach dem Osten Europas, (...) die keinerlei Aussicht auf Verwirklichung haben konnte." [263]
Revanchekrieg gegen den Osten - Die Junker

Neben dem Gegensatz von Siedlungs- und Kolonialpolitikern gab es noch eine dritte Kraft: Die junkerliche Reichswehrführung. Wie schon in dem vorhergehenden Kapitel dargestellt, trat die Reichswehrführung für einen Revanchekrieg gegen den Versailler Vertrag ein. Kernstück ihres Programms war schon seit 1919 die Zerschlagung Polens. Die Enteignung der junkerlichen Rittergüter durch den jungen polnischen Staat sollte rückgängig gemacht werden und der Staat, der als Bollwerk gegen die deutsche Expansion nach Osten gegründet worden war, sollte liquidiert werden. Gegen den Krieg im Westen hatten die Junker einige taktische Bedenken, der Krieg gegen Polen war ihnen jedoch eine Herzensangelegenheit.
Die Bedeutung der Kriegsplanungen

Die wichtigsten Kriegszielplanungen im NS-Staat wären damit dargestellt. Welche geschichtliche Bedeutung diese Berge an Denkschriften und Dokumenten tatsächlich hatten, kann man nur an Hand der Praxis des Weltkrieges untersuchen. Die "Kontinentalblockstrategie" Ribbentrops war unvereinbar mit der nationalsozialistischen Ostpolitik Hitlers sowie der Europastrategie bestimmter Kapitalfraktionen. Einige Denkschriften schrieben die Autoren deshalb für die Schubladen. Die unterschiedlichen Strategien und Ziele stellen ein bedeutendes Argument dar gegen die Interpretationen, die Hitler als den alles kontrollierenden Alleinherrscher darstellen. Weder die NSDAP noch der Staatsapparat stellten jemals einen monolithischen Block dar.

Auf der anderen Seite bewerten manche Autoren diese Dokumente, ohne sie in der Praxis zu untersuchen. Reinhardt Opitz veröffentlichte unter dem Titel "Die Europastrategien des deutschen Kapitals" eine Dokumentensammlung, in der auch der Generalplan Ost der SS enthalten ist. Ob die SS wirklich Teil des "Finanzkapitals" war, darüber darf ein Historiker der Schule der SED natürlich nicht nachdenken. Allein aus der Tatsache der Existenz der Europastrategie von Teilen des deutschen Kapitals zieht er deshalb automatisch den Schluß, daß der Weltkrieg der Krieg des deutschen Kapitals war, ohne zu untersuchen, ob sich diese Strategie wirklich durchsetzte. Ähnlich verfährt Ralf Giordano in seinem Buch "Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte". Durch seine rein moralistische Herangehensweise sieht er Hitler nur als bösen Größenwahnsinnigen, der die ganze Welt erobern wollte und schiebt ihm sämtliche Kolonialplanungen in die Schuhe, die völlig im Widerspruch zu seinen in "Mein Kampf" dargelegten Grundsätzen stehen.

Wenn im folgenden Kapitel über den 2. Weltkrieg oft nur von Hitler gesprochen wird, wenn die bäuerlich-rassistische Triebkraft des Krieges gemeint ist, dann liegt das nicht an einer "Hitler-Zentrik" des Autors. In der Praxis machten nicht die siedlungswilligen Bauern oder die SS die Außenpolitik, sondern Hitler. Er traf alle wichtigen tagespolitischen Entscheidungen. Die SS spielte nur bei dem Dollfuß-Attentat 1935, bei dem Angriff auf Polen und der Siedlungsplanung eine Rolle. Die Bestimmung der Außenpolitik durch Hitler änderte aber nichts an der Tatsache der bäuerlich-rassistischen Triebkraft des Krieges, da der "Führer" für das damit verbundene Programm stand.

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Beitrag  checker Mo Sep 28, 2015 6:30 am

2. Kampf im Westen - Rücken frei für den Siedlungskrieg
Phase der "friedlichen" Revisionspolitik

Die Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands schien in den Anfangsjahren in erster Linie auf die Revision des Versailler Vertrages ausgerichtet zu sein. Die letzten Regierungen der Weimarer Republik konnten durch die Stresemannsche "Schaukelpolitik" zwischen West und Ost einige Lockerungen des Vertrages erzielen, ohne allerdings die Grenzen zu verändern. Hitler und der NSDAP gelang es hingegen, innerhalb von 6 Jahren die Pariser Nachkriegsordnung grundlegend zu zerstören, und das nicht durch Krieg, sondern durch eine Mischung aus geschicktem Verhandeln, Erpressungen und dem Ausnutzen der Widersprüche zwischen England, Frankreich und der Sowjetunion. Die erste spektakuläre Entscheidung war der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, dessen Satzung Teil des Versailler Vertrages war. Einen Erfolg erzielte Hitler mit dem deutsch-britischen Flottenabkommen vom 18. Juni 1935, das ein Verhältnis der Seestreitkräfte beider Länder von 35 zu 100 vorsah. Der Einmarsch der Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland im März 1936 sowie die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht brachen den Versailler Vertrag völlig offen.

Hitlers Planung ging auf. Das Empire fühlte sich der Nachkriegsordnung nicht mehr verpflichtet und damit stand Frankreich isoliert da. Englands "appeasement"- Politik stellte die Sicherung des Friedens in Europa über alles andere. Durch die Bedrohung des Kolonialreiches durch Japan im Fernen Osten und durch Aufstände im Nahen Osten hatte die britische Regierung alle Hände voll zu tun und fürchtete, ein Krieg in Europa würde das Ende des Empire bedeuten. Mit territorialen Zugeständnissen an Deutschland glaubte man das richtige Friedensmittel gefunden zu haben. Frankreich, ohne britische Unterstützung hilflos, schloß 1936 einen Bündnisvertrag mit der Sowjetunion, konnte dadurch die Nachkriegsordnung aber nicht retten.

Mit der Wiedereingliederung des Saarlandes per Volksentscheid verbuchten die Nazis den nächsten Erfolg und konnten sich trotz aller Proteste 1938 an die Einverleibung von Österreich wagen. Wieder griff Großbritannien nicht ein. Der Anschluß Österreichs begeisterte die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Österreich. Schon 1918 hatten beide Parlamente die Vereinigung beschlossen. Die Siegermächte verboten daraufhin die Umsetzung des Beschlusses. Mit der Annexion Österreichs fiel wieder eine Säule des Versailler Vertrages.

Die Einverleibung des Sudetenlandes durch das Münchener Abkommen war der letzte Schritt der "friedlichen" Revisionspolitik. Als Folge des Abkommens mehrten sich im englischen Königreich die Stimmen, die in dem Machtzuwachs Deutschlands eine größere Gefahr für das Empire sahen als in einem Krieg auf dem europäischen Kontinent. Trotzdem wurde die militärische Eroberung der "Resttschechei" noch hingenommen.

In dieser Phase verschleierten die Nazis ihre außenpolitischen Ziele demagogisch. Hitler sprach nur vom Frieden und wiederholte, Deutschland stelle nun keine territorialen Forderungen mehr. In der deutschen Bevölkerung stieg sein Ansehen durch die außenpolitischen Erfolge, da alle vorigen Regierungen an der Revision Versailles' gescheitert waren. Die nationalsozialistische Terrorherrschaft dehnte sich auf immer größere Teile Europas aus. Für die Nationalsozialisten bildete die internationale Stärkung Deutschlands nur die Brücke für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Die Tatsache, daß diese territorialen Gewinne ohne Krieg vonstatten gingen, verdankte Hitler dem Stillhalten Englands und Frankreichs. Die waghalsige Politik Hitlers, die bei militärischen Gegenmaßnahmen gescheitert wäre, setzte sich durch.
Der gescheiterte Deal mit dem Empire

Hitler hielt noch immer an Großbritannien als Wunschpartner fest. 1937 kam es zu einem Treffen zwischen Ribbentrop und Churchill. Churchill berichtete über Ribbentrops Vorschläge: Der "Kern seiner Ausführungen war, daß Deutschland die Freundschaft mit England anstrebe (...)- Es sei aber unerläßlich, daß England Deutschland in Osteuropa freie Hand einräume (...) Von der britischen Völkergemeinschaft und dem Empire verlangte man nur, daß sie sich nicht einmischten." [264] Der "Führer" war sich allerdings nicht ganz sicher, ob England darauf wirklich eingehen würde. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Weizsäcker notierte zu Hitlers Überlegungen: "Augen stark auf Osten gerichtet. England wird voraussichtlich noch einer Demonstration unserer militärischen Gewalt bedürfen, ehe es nachgibt und uns den Rücken frei läßt nach Osten." [265] Neu war der Gedanke, das Empire durch militärische Gewalt zu dem "Kompromiß" zu zwingen. In einer Besprechung mit der Führung der Wehrmacht am 5.11.1937 sprach Hitler deshalb zum ersten Mal von einem Krieg gegen beide europäischen Westmächte. [266]

Hitler hatte aber keine Kriegsziele im Westen. Er wollte weder ein vereinigtes Europa unter deutscher Herrschaft noch Elsaß-Lothringen annektieren. Im August 1939 äußerte Hitler wieder intern: "Alles was ich unternehme, ist gegen Rußland gerichtet, wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies zu begreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit den Russen zu verständigen, den Westen zu schlagen, um dann nach seiner Niederlage mich mit versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden." [267]

Mit der Garantieerklärung an Polen stellten sich die Westmächte zum ersten Mal gegen die deutsche Expansion. Hitler, der glaubte, Polen "friedlich" zum deutschen Vasallenstaat machen zu können, sah sich nun vor eine neue Situation gestellt. Jetzt mußte er sich tatsächlich mit Rußland verständigen, um den Rücken für den Schlag gegen den Westen frei zu haben. Durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt im August 1939 gewannen beide Staaten Zeit. Der territoriale Kern des Vertrages war die Teilung Polens. Wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Rumänien zimmerten die Siegermächte im Versailler Vertrag Polen aus Resten des deutschen, österreichischen und russischen Reichs zusammen, um dem deutschen Drang nach Osten Einhalt zu gebieten. Polen betrieb unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg aber nicht nur gegen Deutschland, sondern auch gegen die Sowjetunion eine aggressive Expansionspolitik. Später arbeitete Polen mit Nazi- Deutschland zusammen, war aber nicht bereit, Danzig und den Korridor freizugeben. So hatten 1939 Deutschland und die SU ein Interesse daran, diese Stütze des Versailler Vertrages zu zerschlagen, und die Sowjetunion bekam ihre alten Gebiete bis zur Curzon-Linie wieder. Stalin war zu dem Pakt mit dem größten Feind bereit, da die Westmächte nicht auf sein Angebot zu einem kollektiven Sicherheitssystem gegen Deutschland eingingen. Deutschland vernichtete Polen als Staat und ging damit weit über die Revisionspolitik hinaus. Polen diente damit nicht nur als Aufmarschgebiet gegen die Sowjetunion, sondern war auch als wichtiges deutsches Siedlungsgebiet vorgesehen.

Mit der Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland wurde die Auseinandersetzung im Westen unvermeidlich. Der Sinn des Krieges im Westen war für Hitler, wie schon gesagt, Großbritannien zu zwingen, seine Bündnisbedingungen anzunehmen, und nicht, das Empire zu zerstören. Goebbels, der im Unterschied zu Hitler gerne das Ende des Empire erlebt hätte, notierte in sein Tagebuch den Unmut über diese Politik. Am 20.10.39 hieß es :"In Indien rumort es gegen England. Wir müssen versuchen, die ganze Welt gegen die feigen Londoner Kriegstreiber mobil zu machen." [268] Und über Hitlers Politik notierte er: "Unter der Bedingung, daß England ‘aus Europa heraus’ gehe und Deutschland seine ‘Kolonien abgerundet’ zurückerhalte, sei er sofort zum Frieden mit London bereit. Er wolle England gar nicht vernichten und auch sein Empire nicht zerstören." [269] In diesem Sinne richtete Hitler am 9. Juni 1940 einen "Friedensappell" an Großbritannien. Die britische Regierung sagte aus den schon genannten Gründen ab. Goebbels notierte: "Der Führer will Englands Antwort im Augenblick noch nicht wahrhaben." [270] Goebbels sah im britischen Staat die Herrschaft der verhaßten "Plutokratie", die für ihn den Hauptfeind darstellte anstelle des Bolschewismus. Am 29. Juni 1940 schrieb er: "Wir warten, warten. Wann endlich geht der Führer gegen England los?" [271] Der "Führer" sorgte durch seinen Befehl dafür, die deutschen Truppen vor Dünkirchen zu stoppen, so daß 370.000 britische Soldaten auf die Insel gebracht werden konnten und damit ein wichtiger Teil der britischen Armee gerettet wurde. Aber weder solche Geschenke, noch der deutsche Bombenterror gegen London und Coventry im November 1940 konnten Großbritannien zu dem Deal: Sicherung des Empire gegen "freie Hand im Osten" bewegen. Zu bedrohlich war das nationalsozialistische Deutschland geworden.

Der deutsche Außenminister Ribbentrop, der wie das Auswärtige Amt eine andere Programmatik vertrat, versuchte währenddessen, seinen "Kontinentalblock" gegen das Empire zu schmieden. Hitler ließ ihn dabei in dem Glauben gewähren, daß ein zusätzlicher Druck Großbritannien doch noch zum Einlenken zwingen würde. Am 22. Mai 1939 unterzeichneten Deutschland und Italien den "Stahlpakt". Dieser Vertrag besiegelte die faschistische Waffenbrüderschaft und die Neuaufteilung Europas. Eine Bedrohung des gesamten britischen Königreiches erwuchs daraus allerdings noch nicht. Nach langen Verhandlungen trat Japan im September 1940 dem Dreimächtepakt bei. Ribbentrop versicherte Japan zum wiederholte Mal, daß Deutschland im Fernen Osten keine Interessen habe. Durch die deutschen Erfolge in Europa verlor Japan seine großen Bedenken gegen den deutsch- sowjetischen Nichtangriffspakt.

Gegen wen der Antikominternpakt wirklich gerichtet war, verkannten die damaligen Akteure nicht. Der amerikanische Botschafter in Tokio, Joseph C. Grew, schrieb zum Bündnis: "Der Antikommunismus ist lediglich das Panier, unter dem sich die ‘Habenichtse’ zusammenschließen. Die Bedrohung Englands ist sehr real und unmittelbar einleuchtend, bedenkt man, daß durch Japans Verbindung mit der Achse Berlin-Rom die ‘life-line’ des britischen Imperiums von der Nordsee durch das Mittelmeer bis jenseits Singapurs bedroht ist." [272] Auch der italienische Außenminister Ciao trug in sein Tagebuch ein, der Antikomintern-Pakt sei in Wirklichkeit "antibritisch". [273]

Ribbentrop versuchte, die antibritische Front um die Sowjetunion zu erweitern. Das "weltpolitische Dreieck" sollte sich in ein "weltpolitisches Viereck" verwandeln. Der deutsche Außenminister umriß vor einem japanischen Gast seine Zielsetzung: "Bei der neuen Weltordnung würde Japan in Ostasien, Rußland in Asien, Deutschland und Italien in Europa zu bestimmen haben, und auch in Afrika würden ausschließlich Deutschland und Italien, vielleicht mit einigen anderen Interessenten die Vorherrschaft ausüben." [274] Auch Goebbels, der Ribbentrops Strategie nahe stand, sprach sich für ein Bündnis mit Rußland aus. Er schrieb am 28.9.40 in sein Tagebuch: "Jetzt müssen wir Rußland und die Türkei noch nach Berlin bringen. England muß von allen Seiten eingekreist werden. Die Lords sollen in ihrem eigenen Fett ersticken." [275] Ribbentrop bot deshalb in seinem Brief am 13. Oktober Stalin sowie Molotow während seines Berlinbesuches den Beitritt zur antibritische Allianz an. [276]

Die sowjetische Führung war sich jedoch im Klaren darüber, daß das nationalsozialistische Deutschland die Hauptgefahr darstellte und der Rest der deutschen Führung ganz andere Ziele verfolgte. Hitler blockierte Ribbentrops Politik nicht, um die sowjetische Führung von seinen wirklichen Zielen abzulenken. Bald beendete er jedoch die Bündnisbemühungen seines Außenministers, und der Traum vom Ende des Empire war ausgeräumt.
Kriegspolitik im Westen - Revision des Versailler Vertrages?

Betrachten wir wieder den deutschen Krieg im Westen. Nach der Niederlage Polens bereitete Deutschland alles zur Niederwerfung Frankreichs und zum militärischen Aufzwingen des deutschen Angebots an Großbritannien vor. Eine wichtige strategische und wehrwirtschaftliche Basis bildete dazu Skandinavien. Am 3. Oktober 1939 verfaßte Raeder die Denkschrift "Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen". Großadmiral Raeder vertrat die Auffassung, Norwegen zu besetzen und Flottenstützpunkte für den Krieg gegen Großbritannien zu errichten. [277] Angesicht der sich abzeichnenden Besetzung Narviks durch die Briten gab Hitler am 1. März 1940 die Weisung "Weserübung", in der er die Besetzung Norwegens und Dänemarks befahl. "Hierdurch sollen englische Übergriffe nach Skandinavien und der Ostsee vorgebeugt, unsere Erzbasis in Schweden gesichert und für Kriegsmarine und Luftwaffe die Ausgangsstellung gegen Dänemark und England erweitert werden." [278] Weder Dänemark noch Norwegen gliederte die Besatzungsmacht an das deutsche Reich an.

Es folgte der schnelle Sieg über Frankreich. Hielt Hitler nun an seiner Programmatik, den Westen niederzuschlagen, um den Siedlungskrieg führen zu können fest, oder beseitigte er die letzten Reste der französischen Nachkriegsordnung? In Belgien annektierte Deutschland ein über 200 km2 großes Gebiet, das über die im Versailler Vertrag Belgien zugeschlagenen Gebiete hinausging. Der "Waffenstillstandsvertrag" mit Frankreich sah da schon ganz anders aus. Die Wehrmacht besetzte Nordfrankreich. Aber statt mit Pauken und Trompeten die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens zu feiern, wurde überhaupt keine Grenzverschiebung vorgenommen. Das Vichy-Frankreich, das sich über den Rest des Landes erstreckte, blieb unabhängig und wurde nicht besetzt. Frankreich behielt sogar zum Entsetzen aller deutschen Kolonialpolitiker sein Kolonialreich, in dem sich weiterhin über 200.000 Mann starke Kolonialtruppen befanden. Auch die französische Flotte und Luftwaffe demobilisierte man lediglich. Die Nazis wollten ein Frankreich, das sich der deutschen Expansion nach Osten nicht in den Weg stellte und Deutschland die Herrschaft über Kontinentaleuropa überließ. Trotz der Möglichkeit dazu dachten sie nicht an die Schaffung eines deutschen Kolonialreiches in Afrika durch Aneignung des französischen Besitzes.

Erst als die alliierten Truppen 1942 in Algerien landeten und mit Vertretern von Vichy-Frankreich vereinbarten, daß die französischen Truppen keinen Widerstand leisten würden, okkupierten die deutschen Truppen ganz Frankreich, da die Alliierten Frankreichs Empire als Ausgangsbasis gegen Deutschland nutzten.
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Beitrag  checker Mo Sep 28, 2015 6:31 am

3. Krieg auf dem Balkan und in Afrika
Das deutsche Eingreifen - Kampf um Kolonien?

Nach der Machtübertragung auf Hitler schien es zunächst so, als setzten die Nazis in der Kolonialpolitik den traditionellen Revanchismus fort. Hitler, keinesfalls Protagonist dieser Politik, forderte hin und wieder die Rückgabe der deutschen Kolonien. 1933 sagte er: "Was unsere Überseekolonien anbetrifft, so haben wir koloniale Bestrebungen keineswegs aufgegeben (...)" [279] Am 7.3.1936 forderte der "Führer" erstmals in einer offiziellen Erklärung die Rückgabe der deutschen Kolonien. [280] In diesem Jahr machte die deutsche Presse die koloniale Frage zum Dauerthema. Hitler betonte dabei, daß es sich nur um eine friedliche Rückgabe handeln könne. [281]

Im Sommer 1936 schickte Hitler Hjalmar Schacht nach Paris, um über die Rückgabe der deutschen Kolonien zu verhandeln. Schacht berichtete nach dem Krieg von diesen Verhandlungen: "Bevor jedoch eine präzisere Antwort einlief, wurde alles zunichte gemacht, weil Hitler durch seinen Eingriff in die spanische Bürgerkriegs - Affäre die Beziehung zu beiden Westmächten auf das Ungünstigste beeinflußte. Ein schon angesagter Besuch des deutschen Außenministers von Neurath in London wurde wieder abgesagt, und meine aussichtsreich begonnenen Besprechungen fanden keine Fortsetzung." [282]

Noch im "Friedensangebot" an England vom 6. Oktober 1939 bot Hitler an, das Empire nicht anzutasten, verlangte aber auch die Rückgabe der deutschen Kolonien. [283] Frankreich und England zeigten sich im Rahmen der Appeasementpolitik sogar zu einigen kolonialen Zugeständnissen bereit. Doch Hitler hatte schließlich ganz andere Ziele. So hielten damalige Staatsmänner im Nachhinein Hitlers koloniale Revisionsforderungen für Ablenkung. Francois Poncet meinte, daß die kolonialen Forderungen "nur ein Täuschungsmanöver Hitlers waren, der bloß auf einen günstigen Augenblick wartete, um Hand an Österreich und die Tschechoslowakei zu legen." [284] Im gleichen Tenor schätzte ihn der britische Premier Chamberlain ein: "Die koloniale Agitation diente Hitler (...) nur noch als Ablenkungsmanöver, um seine wahren Absichten zu verbergen." [285]

Den Flottenbau (Z-Plan) ließ Hitler im September 1939, also kurz vor der anstehenden Auseinandersetzung im Westen, einstellen. Er wurde erst später wieder aufgenommen. Diese Tatsache spricht dafür, daß der "Führer" der nationalsozialistischen Bewegung seine Programmatik nicht geändert hatte. Bei der Besetzung Frankreichs zeigte Deutschland, wie schon erwähnt, keinerlei koloniale Interessen. Es ist also anzunehmen, daß Hitler die Forderung nach der Rückgabe der deutschen Kolonien nur als taktisches Mittel gegen seine Gegner einsetzte.

Das deutsche Eingreifen in den Krieg in Afrika hatte andere Ursachen. Hier wurde der "Stahlpakt" mit Italien zum Verhängnis für die deutsche Ostexpansion. Italien versuchte seit dem Machtantritt der Faschisten, ein "großrömisches Imperium" zu schaffen und knüpfte dabei an klassische imperialistische Kolonialpolitik an. 1935 begann Italien mit der Aggression gegen Abessinien den kolonialen Eroberungsfeldzug in Afrika. Den Eroberungskrieg führte Italien gegen Libyen und Ägypten weiter. Großbritannien startete im Dezember 1939 den Gegenangriff zur Rettung des Empire. Der Krieg in Afrika war somit ein klassischer Kampf zweier Kolonialmächte um Einflußsphären. Die italienische Armee verlor in Afrika eine Schlacht nach der anderen gegen die Briten und mußte sich immer mehr zurückziehen. Zusätzlich lieferten sich Italien und Großbritannien um Griechenland, das zum Einflußgebiet des Empire gehörte, harte Gefechte, auch hier drohte die faschistische Kriegspolitik im Fiasko zu enden.

Ab Februar 1940 versuchte das deutsche "Afrika- Korps", Italien vor einer katastrophalen Niederlage zu retten und griff in den Kolonialkrieg ein. Die Nazis sahen sich gezwungen, dem italienischen Kolonialismus Schützenhilfe zu leisten, da ein Sieg Englands den Alliierten einen weiteren Zugang zum europäischen Festland über das Mittelmeer verschafft hätte. Dem Autor sind keine Dokumente bekannt, die belegen würden, daß Hitler in Afrika koloniale Ziele verfolgte. Der deutsche Eingriff konnte die Niederlage der "Achse" in Afrika nur verzögern, aber nicht abwenden. Die deutschen Truppen mußten am 13. Mai 1943 kapitulieren. "Die westlichen Alliierten errangen günstige Bedingungen für eine Landung auf Sizilien und der Apenninhalbinsel." [286]
Krieg auf dem Balkan

Schon seit Jahrhunderten kämpften die Großmächte um politischen und ökonomischen Einfluß auf dem Balkan. Mit der Machtübernahme der NSDAP versuchten die Regierung und deutsche Konzerne den Balkan als ökonomische Einflußsphäre zurückzugewinnen. Mit Hjalmar Schachts "Neuem Plan" sollten die Balkanstaaten zum billigen Agrarlieferanten und Absatzmarkt für Deutschland werden. Man tauschte Maschinen gegen Agrarprodukte und konnte so Devisen sparen. Einige Staaten gerieten schon vor der deutschen Aggression in große Abhängigkeit.

Als erstes Land versuchte Italien, Albanien und Griechenland militärisch zu unterwerfen. Beide Länder wurden von den Faschisten als natürliche Einflußsphäre des "römischen" Imperiums angesehen. Im Oktober 1940 überfiel die italienische Armee das kleine Albanien. Wenig später erfolgte die italienische Intervention in Griechenland. Auch hier fand das italienische Kriegsglück ein schnelles Ende. Die griechische Armee leistete mit politischer und militärischer Unterstützung Großbritanniens erfolgreichen Widerstand. Am 16. März brach dadurch die italienische Offensive endgültig zusammen.

Die deutsche Regierung griff in den Krieg ein. Am 6.April gab Hitler den Befehl für den Angriff. Deutsche Truppen sollten mit Hilfe von Bulgarien und Rumänien Griechenland besetzen, um den Krieg auf dem Balkan zu beenden. Hitler äußerte damals: "Ich sehe wohl, daß der italienische Beistand gleich Null ist, aber die strategische Lage Italiens ist zu wichtig, als daß ich zugestehen könnte, daß das Land aus diesem Krieg vollkommen zusammengebrochen hervorginge." [287] Kurz danach trafen sich Hitler und Mussolini in der Nähe von Salzburg. Hitler lehnte zu diesem Zeitpunkt noch das Entsenden deutscher Panzerdivisionen nach Afrika ab und schlug Mussolini vor, zusammen mit Jugoslawien Griechenland zu besetzen. [288] Zu diesem Zeitpunkt war das königliche Jugoslawien Mitglied des "Dreimächtepaktes" und somit wichtiger Verbündeter. Am 27. März machte ein Offiziersputsch in Jugoslawien Hitler einen Strich durch die Rechnung. Die neue Regierung trat aus dem Dreimächtepakt aus und schloß wenig später einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion, der allerdings keine militärischen Verpflichtungen enthielt. Noch am 27. März unterzeichnete Hitler die Weisung Nr. 25, die festlegte, daß Jugoslawien "so rasch wie möglich zerschlagen werden" müsse. [289]

Am 6. April 1941 folgte der deutsch-italienische Angriff auf Jugoslawien und Griechenland. In Belgrad veranstaltete die deutsche Luftwaffe einen gnadenlosen Bombenterror gegen die Bevölkerung. Ziel des deutschen Angriffs war die Sicherung der Südflanke für den "Rußlandfeldzug". "Im Grunde war Hitler durchaus nicht kampfeslustig. Er zog widerwillig in die Balkanarena, in die er sich wegen des törichten Angriffs Mussolinis auf die Griechen begeben mußte, denen die Achse nicht das geringste vorzuwerfen hatte. Die Truppen, die die Donau überschritten, waren eigentlich dazu bestimmt, die Ukraine zu besetzen, und nur äußerst unwillig befahl ihnen Hitler nun diesen Umweg über das Ägäische Meer." [290] Durch das Eingreifen in Jugoslawien mußten die Nazis den Überfall auf die Sowjetunion um 4 Wochen verschieben. [291] Hitler hätte lieber ein in den Antikomintern-Pakt eingebundenes Jugoslawien gesehen, als an immer mehr Fronten kämpfen zu müssen. Doch jetzt, wo die Achse den Balkan unterworfen hatte, erfolgte eine systematische wirtschaftliche Ausbeutung durch Deutschland. Rohstoffe wie das rumänische Öl wurden unentbehrlich, um den Krieg weiterzuführen.

Nach dem Sieg der Wehrmacht auf dem Balkan standen die Siegesaussichten für einen Krieg im Mittelmeer gut. Trotzdem bereiteten die Nazis Deutschland auf den alles entscheidenden Krieg gegen die Sowjetunion vor. "Unmittelbar nach dem Kreta-Unternehmen wurde der Hauptteil der deutschen Luftstreitkräfte vom Mittelmeer in die Ausgangsstellungen für den Rußland- Feldzug verlegt." [292], berichtete Admiral Friedrich Runge. Wieder entschied sich Hitler gegen einen antibritischen Kolonialkrieg.

Der Krieg im Westen, auf dem Balkan und in Afrika stellte nur scheinbar eine Abweichung vom nationalsozialistischen Programm dar. Deutschland hatte die volle Verantwortung für diese Kriege. In allen Ländern verübte Deutschland grausame Kriegsverbrechen, versuchte das Judentum zu vernichten und beutete die besetzen Länder wirtschaftlich aus.

Den Krieg im Westen nahmen die Nazis billigend in Kauf. Er bildete aber in der nationalsozialistischen Strategie nur die zweite Variante. Sie entschieden sich erst für den Krieg, als die erste Variante, das Bündnis mit dem Empire zur Rückendeckung für den Vernichtungskrieg im Osten, gescheitert war. Neben dem eisernen englischen Willen, Deutschland nicht die Herrschaft über Europa zu überlassen, rief das militärische Debakel des italienischen Faschismus Deutschland auf die Schlachtfelder in Afrika und auf dem Balkan. Das deutsche Eingreifen schadete und verzögerte die Vorbereitung des "Unternehmens Barbarossa". Die Nazis mußten aber aus der Logik ihres Programms eingreifen, da ein auf Grund des italienischen Zusammenbruchs vorrückendes England alle bis dahin errungenen Erfolge in Frage gestellt und den Krieg gegen die Sowjetunion auf den Sanktnimmerleinstag vertagt hätte. Zum einen war das Bündnis mit Italien dem deutschen Faschismus zum Verhängnis geworden, zum anderen hatte sich das Empire nicht programmgemäß verhalten. Trotzdem starteten die Nazis nun den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion.

Weiteres dazu im Link:
http://www.kommunistische-debatte.de/faschismus/nationalsozialismus2000_7_5.html
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