Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR)
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Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR)
Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) war eine Kodifikation für den Staat Preußen, die unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. von den Rechtsgelehrten Svarez und Klein unter Federführung des preußischen Großkanzlers Johann Heinrich von Carmer erarbeitet und im Jahre 1794 erlassen wurde. Es war der erste und bis heute einzige neuzeitliche Versuch einer umfassenden und zusammenhängenden Kodifikation des Zivilrechts, des Strafrechts und weiter Teile des öffentlichen Rechts in einem einzigen Gesetzbuch.
Räumlicher Geltungsbereich (rot) zum Ende des 19. Jahrhunderts
Entstehungsgeschichte
Die Wurzeln des ALR reichen zurück zu den Überlegungen Friedrichs I., ein einheitliches Recht zu schaffen. Diese grundlegende Reform wurde jedoch erst von Friedrich II. dem Großen in Auftrag gegeben und zunächst durch den Großkanzler Samuel von Cocceji umgesetzt. Dieser Versuch Coccejis, das sog. Project eines Corporis Juris Fridericiani (1749/1751), blieb jedoch erfolglos.
Maßgebliches Anliegen für die spätere Entwicklung des Landrechts war der Wunsch Friedrichs II. nach einem klaren und eindeutigen Recht. Friedrich war nachhaltig geprägt vom Müller-Arnold-Fall und nahm diesen zum Anlass für eine umfassende Justiz- und Gesetzesreform. Insbesondere sollte die Macht der Juristen durch einen möglichst genauen Gesetzeswortlaut begrenzt werden.
Zunächst hatte Friedrich ein Kommentierungsverbot (Analogieverbot) verfügt mit dem Ziel, den Rechtsmissbrauch der Juristen zu beenden. Nur der Wortsinn durfte ausgelegt werden. Im Zweifel wurde eine eigens eingerichtete Kommission befragt, die jedoch wieder abgeschafft werden musste, da die häufigen Anfragen die Rechtsprechung lähmten.
Das ALR sollte nun für jedermann das Recht in verständlicher Form „nachlesbar“ machen.
Mit Kabinettsorder vom 14. April 1780 wurde Großkanzler Johann Heinrich von Carmer mit der Ausarbeitung beauftragt, der die Arbeiten an dem Gesetzeswerk nach dem Willen des Königs mehreren Personen übertrug. Maßgeblich schlug sich das Wirken von Carl Gottlieb Svarez (Zivilrecht) und Ernst Ferdinand Klein (Strafrecht) im Entwurf nieder.
Das ALR wurde 1792 zunächst als „Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“ (AGB) fertiggestellt. Unter dem Eindruck der Ereignisse der Französischen Revolution erfolgte eine nochmalige Überarbeitung, bei der die reaktionären und konservativen Eliten in Preußen ihre Bedenken gegen die freiheitliche Grundtendenz des Gesetzes durchsetzen konnten: Viele freiheitliche und vernunftrechtliche Bestimmungen wurden entfernt oder eingeschränkt (so die Wohlfahrt als Staatszweck). Das Gesetz trat dadurch erst unter Friedrichs Nachfolger Friedrich Wilhelm II. am 1. Juni 1794 in Kraft.
Geltungsbereich
Das ALR ersetzte subsidiär geltende unterschiedliche Rechtsquellen wie das Römische Recht und das Sachsenrecht. Es galt ebenfalls nur subsidiär, d. h. es kam nur dann zur Anwendung, wenn die lokalen Rechtsquellen keine Regelung trafen. Es sorgte daher nicht für eine umfassende Rechtseinheit im Lande. Es setzte lediglich ein umfassendes einheitliches Recht für Gebiete ohne eigene althergebrachte Rechtsquellen, insbesondere in den vormals polnischen Provinzen (mit Ausnahme der Städte, die hier häufig über eigene Rechtsquellen verfügten). In der erst nach dem Wiener Kongress 1814 preußisch gewordenen Rheinprovinz galt nicht das ALR, sondern der eingedeutschte Code Civil, der sich im liberalen Bürgertum aufgrund seiner freiheitlichen Grundgedanken wie Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, Eigentums-, Vertrags- und Testierfreiheit, Geschworenengerichte großer Beliebtheit erfreute.
Inhalt
Das ALR regelte, soweit es zu dieser Zeit vorgesehen war alle Rechtsbereiche, so das allgemeine Zivilrecht, Familien- und Erbrecht, Lehnsrecht, Ständerecht, Gemeinderecht, Staatsrecht, Kirchenrecht, Polizeirecht, Strafrecht und Strafvollzugsrecht in über 19.000 Vorschriften. Jeder mögliche Fall sollte exakt geregelt sein.
Würdigung
Rechtspolitisch war die Einführung des ALR ein Fortschritt, auch wenn die feudale Ständeordnung im 19. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß war und immer mehr die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bremste (siehe dazu Bauernbefreiung und Leibeigenschaft). Vor allem der Vorrang des Naturrechts vor dem Römischen Recht war ein großer Fortschritt. Auch rechtspolitische Grundsätze wie nullum crimen sine lege oder dass der Staat sein Eingriffsrecht dem Bürger nachweisen muss, waren neu.
Insbesondere der Entwurf des ALR spiegelte eine veränderte Staatsauffassung von Staat und Recht wider, die im Staatsdenken von Friedrich II. ihren Ursprung hatte. Jedoch beabsichtigte das Gesetz nicht eine konstitutionelle Einschränkung der Monarchie, sondern stellte lediglich ein Bekenntnis zur Selbstbeschränkung dar. Dieses wurde durch die Umarbeitung zum ALR abgeschwächt. So war das Verbot von Machtsprüchen des Königs mit dem Ziel, der Willkür des Herrschers Grenzen zu setzen, im ALR nicht mehr enthalten, obwohl es im Fall des Müllers Arnold gerade um einen Machtspruch des Königs gegangen war.
Auch die Rechte des Adels wurden weiter gefestigt und die bestehende Sozialordnung wie der Zunftzwang beibehalten. Dadurch konservierte das ALR im Wirtschaftsleben bestehende Besitzstände und bremste die Entwicklung eines bürgerlich geprägten Staatswesens.
Moderne Wirkung
Im heutigen Recht spielt das Allgemeine Landrecht auch wegen der umfassenden Kodifikation des Privatrechts im BGB kaum noch eine Rolle. Landesrechtlich gelten einzelne Vorschriften bis heute fort. So hat beispielsweise das LG Neubrandenburg im Jahr 2011 entschieden, dass die nachbarrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts in Teilen Pommerns noch anwendbar sind.[1]
Allerdings werden noch heute die §§ 74, 75 der Einleitung zum ALR als bundesweit geltendes Gewohnheitsrecht in seiner richterrechtlichen Ausprägung herangezogen. Die Vorschriften enthalten den Aufopferungsgedanken und ermöglichen einen Ersatzanspruch gegen den Staat bei
rechtmäßigen hoheitlichen Eingriffen in Eigentum, die zu einer besonderen Belastung führen (enteignender Eingriff);
rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffen in Eigentum (enteignungsgleicher Eingriff);
hoheitlichen Eingriffen in andere grundrechtlich geschützte Rechtspositionen (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit), die zu einer besonderen Belastung führen und sofern keine besonderen gesetzlichen Regelungen bestehen.[2]
„Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen.“
– § 74 ALR
„Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten.“
– § 75 ALR[3]
Siehe auch
§ 10 II 17 ALR
Code Civil
Codex Maximilianeus bavaricus civilis
Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
Sachsenspiegel
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Räumlicher Geltungsbereich (rot) zum Ende des 19. Jahrhunderts
Entstehungsgeschichte
Die Wurzeln des ALR reichen zurück zu den Überlegungen Friedrichs I., ein einheitliches Recht zu schaffen. Diese grundlegende Reform wurde jedoch erst von Friedrich II. dem Großen in Auftrag gegeben und zunächst durch den Großkanzler Samuel von Cocceji umgesetzt. Dieser Versuch Coccejis, das sog. Project eines Corporis Juris Fridericiani (1749/1751), blieb jedoch erfolglos.
Maßgebliches Anliegen für die spätere Entwicklung des Landrechts war der Wunsch Friedrichs II. nach einem klaren und eindeutigen Recht. Friedrich war nachhaltig geprägt vom Müller-Arnold-Fall und nahm diesen zum Anlass für eine umfassende Justiz- und Gesetzesreform. Insbesondere sollte die Macht der Juristen durch einen möglichst genauen Gesetzeswortlaut begrenzt werden.
Zunächst hatte Friedrich ein Kommentierungsverbot (Analogieverbot) verfügt mit dem Ziel, den Rechtsmissbrauch der Juristen zu beenden. Nur der Wortsinn durfte ausgelegt werden. Im Zweifel wurde eine eigens eingerichtete Kommission befragt, die jedoch wieder abgeschafft werden musste, da die häufigen Anfragen die Rechtsprechung lähmten.
Das ALR sollte nun für jedermann das Recht in verständlicher Form „nachlesbar“ machen.
Mit Kabinettsorder vom 14. April 1780 wurde Großkanzler Johann Heinrich von Carmer mit der Ausarbeitung beauftragt, der die Arbeiten an dem Gesetzeswerk nach dem Willen des Königs mehreren Personen übertrug. Maßgeblich schlug sich das Wirken von Carl Gottlieb Svarez (Zivilrecht) und Ernst Ferdinand Klein (Strafrecht) im Entwurf nieder.
Das ALR wurde 1792 zunächst als „Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“ (AGB) fertiggestellt. Unter dem Eindruck der Ereignisse der Französischen Revolution erfolgte eine nochmalige Überarbeitung, bei der die reaktionären und konservativen Eliten in Preußen ihre Bedenken gegen die freiheitliche Grundtendenz des Gesetzes durchsetzen konnten: Viele freiheitliche und vernunftrechtliche Bestimmungen wurden entfernt oder eingeschränkt (so die Wohlfahrt als Staatszweck). Das Gesetz trat dadurch erst unter Friedrichs Nachfolger Friedrich Wilhelm II. am 1. Juni 1794 in Kraft.
Geltungsbereich
Das ALR ersetzte subsidiär geltende unterschiedliche Rechtsquellen wie das Römische Recht und das Sachsenrecht. Es galt ebenfalls nur subsidiär, d. h. es kam nur dann zur Anwendung, wenn die lokalen Rechtsquellen keine Regelung trafen. Es sorgte daher nicht für eine umfassende Rechtseinheit im Lande. Es setzte lediglich ein umfassendes einheitliches Recht für Gebiete ohne eigene althergebrachte Rechtsquellen, insbesondere in den vormals polnischen Provinzen (mit Ausnahme der Städte, die hier häufig über eigene Rechtsquellen verfügten). In der erst nach dem Wiener Kongress 1814 preußisch gewordenen Rheinprovinz galt nicht das ALR, sondern der eingedeutschte Code Civil, der sich im liberalen Bürgertum aufgrund seiner freiheitlichen Grundgedanken wie Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, Eigentums-, Vertrags- und Testierfreiheit, Geschworenengerichte großer Beliebtheit erfreute.
Inhalt
Das ALR regelte, soweit es zu dieser Zeit vorgesehen war alle Rechtsbereiche, so das allgemeine Zivilrecht, Familien- und Erbrecht, Lehnsrecht, Ständerecht, Gemeinderecht, Staatsrecht, Kirchenrecht, Polizeirecht, Strafrecht und Strafvollzugsrecht in über 19.000 Vorschriften. Jeder mögliche Fall sollte exakt geregelt sein.
Würdigung
Rechtspolitisch war die Einführung des ALR ein Fortschritt, auch wenn die feudale Ständeordnung im 19. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß war und immer mehr die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bremste (siehe dazu Bauernbefreiung und Leibeigenschaft). Vor allem der Vorrang des Naturrechts vor dem Römischen Recht war ein großer Fortschritt. Auch rechtspolitische Grundsätze wie nullum crimen sine lege oder dass der Staat sein Eingriffsrecht dem Bürger nachweisen muss, waren neu.
Insbesondere der Entwurf des ALR spiegelte eine veränderte Staatsauffassung von Staat und Recht wider, die im Staatsdenken von Friedrich II. ihren Ursprung hatte. Jedoch beabsichtigte das Gesetz nicht eine konstitutionelle Einschränkung der Monarchie, sondern stellte lediglich ein Bekenntnis zur Selbstbeschränkung dar. Dieses wurde durch die Umarbeitung zum ALR abgeschwächt. So war das Verbot von Machtsprüchen des Königs mit dem Ziel, der Willkür des Herrschers Grenzen zu setzen, im ALR nicht mehr enthalten, obwohl es im Fall des Müllers Arnold gerade um einen Machtspruch des Königs gegangen war.
Auch die Rechte des Adels wurden weiter gefestigt und die bestehende Sozialordnung wie der Zunftzwang beibehalten. Dadurch konservierte das ALR im Wirtschaftsleben bestehende Besitzstände und bremste die Entwicklung eines bürgerlich geprägten Staatswesens.
Moderne Wirkung
Im heutigen Recht spielt das Allgemeine Landrecht auch wegen der umfassenden Kodifikation des Privatrechts im BGB kaum noch eine Rolle. Landesrechtlich gelten einzelne Vorschriften bis heute fort. So hat beispielsweise das LG Neubrandenburg im Jahr 2011 entschieden, dass die nachbarrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts in Teilen Pommerns noch anwendbar sind.[1]
Allerdings werden noch heute die §§ 74, 75 der Einleitung zum ALR als bundesweit geltendes Gewohnheitsrecht in seiner richterrechtlichen Ausprägung herangezogen. Die Vorschriften enthalten den Aufopferungsgedanken und ermöglichen einen Ersatzanspruch gegen den Staat bei
rechtmäßigen hoheitlichen Eingriffen in Eigentum, die zu einer besonderen Belastung führen (enteignender Eingriff);
rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffen in Eigentum (enteignungsgleicher Eingriff);
hoheitlichen Eingriffen in andere grundrechtlich geschützte Rechtspositionen (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit), die zu einer besonderen Belastung führen und sofern keine besonderen gesetzlichen Regelungen bestehen.[2]
„Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen.“
– § 74 ALR
„Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten.“
– § 75 ALR[3]
Siehe auch
§ 10 II 17 ALR
Code Civil
Codex Maximilianeus bavaricus civilis
Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
Sachsenspiegel
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