Carl Friedrich Goerdeler
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Carl Friedrich Goerdeler
Carl Friedrich Goerdeler (* 31. Juli 1884 in Schneidemühl, Provinz Posen; † 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee) war ein deutscher Jurist, Politiker (DNVP) und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er gehörte zu den führenden zivilen Köpfen der Widerstandsbewegung und sollte nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, an dessen Planung er maßgeblich beteiligt war, das Amt des Reichskanzlers übernehmen.
Goerdeler entstammte einer preußischen Beamtenfamilie. Er war seit 1911 Kommunalpolitiker und von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig. Geistig orientierte Goerdeler sich an der preußischen Tradition und einem wirtschaftsliberalen Wertkonservatismus. Der Verwaltungsfachmann war in den 1920er Jahren mehrfach als Reichskanzler im Gespräch, bevor er 1931/32 und 1934/35 das Amt des Reichskommissars für Preisüberwachung innehatte.
Die Machtübertragung an die NSDAP Anfang 1933 bewertete Goerdeler zunächst positiv. Aus seiner konservativen Weltanschauung heraus weigerte er sich jedoch von Anfang an, Mitglied der Partei zu werden, und entwickelte sich bis 1936 zu einem entschiedenen Gegner des NS-Regimes. Als Nazis im November 1936 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Leipziger Denkmal des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy aufgrund dessen jüdischer Herkunft beseitigten, trat Goerdeler demonstrativ vom Amt des Oberbürgermeisters zurück. In den folgenden Jahren reiste er durch die Staaten der Westmächte, um vor dem Nationalsozialismus zu warnen und die alliierten Regierungen zu beraten.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges bildete sich um Goerdeler ein konservativer Kreis des zivilen Widerstands heraus, der das Ende der NS-Herrschaft herbeiführen wollte. Dieser sogenannte „Goerdeler-Kreis“ war ein geistiges Zentrum der Opposition gegen Hitler und verfügte über zahlreiche Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, insbesondere zum militärischen Widerstand um Ludwig Beck. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli wurde Goerdeler im August 1944 denunziert, vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.[1]
Herkunft und Kindheit
Carl Friedrich Goerdeler wurde als dritter Sohn von Julius Goerdeler und seiner Frau Adelheid, geborener Roloff, in Schneidemühl, Kreis Kolmar i. Posen, geboren. Seine Familie gehörte väterlicher- und mütterlicherseits zur preußischen Beamtenelite. Bereits sein ursprünglich aus Lüchow stammender Urgroßvater Christian Goerdeler war als Oberrevisionsrat zur Zeit Friedrich Wilhelms III. in Berlin tätig gewesen. Sein Großvater, Dietrich Wilhelm Goerdeler, arbeitete am Oberlandesgericht Hamm in der Provinz Westfalen. Seit seiner Versetzung 1852 an das Appellationsgericht Marienwerder in der Provinz Westpreußen war die Familie eng mit dem ländlichen Ostelbien verbunden.[2] Der noch in Hamm geborene Vater Julius Goerdeler wuchs in Marienwerder auf und heiratete die Tochter des dortigen Appellationsgerichtsrats Carl Roloff, nachdem er als Offizier der Reserve aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zurückgekehrt war. Aus dieser Ehe gingen vier Söhne (Gustav, Franz, Carl und Fritz) sowie eine Tochter (Else) hervor.[2] Über die Jugendzeit Goerdelers liegen aufgrund seiner erhaltenen Jugenderinnerungen, die er kurz vor seiner Verhaftung 1944 verfasste, detaillierte Quellen vor.[3]
Nach der Geburt des dritten Sohnes Carl Friedrich gab Julius Goerdeler seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Schneidemühl auf und ergriff die Chance, als Amtsrichter und gleichzeitig als Geschäftsführer der Landwirtschaftsbank „Neue Westpreußische Landschaft“ zu arbeiten. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr wuchs Carl Friedrich Goerdeler in der kleinen Landstadt Schneidemühl auf, bevor sein Vater 1890 ins nahe Marienwerder versetzt wurde und die Familie dorthin umzog.[4] Am Umfeld der Familie änderte sich jedoch wenig: Ihre Lebensführung war bürgerlich und von provinzieller Einfachheit und Naturverbundenheit geprägt. Sein Vater führte die Familie patriarchalisch-autoritär, kompensiert durch die „liebreizende Würde“ und Lebhaftigkeit der Mutter. Der große Familienzusammenhalt und insbesondere auch die geschlechterspezifische Rollenverteilung bestimmten Goerdelers spätere Auffassungen über die Familie als wichtigste Stütze der Gesellschaft – er selbst nannte dies das „Grunderlebnis“ seiner Kinder- und Jugendzeit.[5] Hinzu kam der „Geist altpreußisch-konservativen Beamtentums“: Goerdeler erfuhr eine Erziehung zu preußischen Tugenden und königstreu-konservativer Grundeinstellung. Auch politische Diskussionen fanden im Hause der Familie häufig statt, besonders, seitdem der Vater 1899 für die Freikonservative Partei in den preußischen Landtag eingezogen war.[6]
Seit 1891 besuchte Goerdeler das humanistische Gymnasium Marienwerder, wo schon sein Vater das Abitur gemacht hatte. Auch wenn er nicht zu den besten Schülern gehörte, so beurteilte er im Rückblick seine Schulzeit doch als „vorzüglich“.[7] Am humanistischen Gymnasium erwarb er eine bürgerlich ästhetisch-geschichtlich ausgerichtete Bildung. Besonders die Kultur des antiken Griechenlands und die friederizianisch-protestantische Tradition standen im Vordergrund.[8] Am 22. März 1902 legte Carl Friedrich Goerdeler dort die Reifeprüfung erfolgreich ab. Anschließend meldete er sich, der Mode der Jahrhundertwende folgend,[9] zur Offiziersausbildung bei der kaiserlichen Marine.[6] Er verbrachte aber nur wenige Monate als Schüler der Marineakademie in Kiel, da ihn „furchtbares Heimweh“ packte.[10] Nach dem kurzen Zwischenspiel als Marinesoldat entschloss sich Goerdeler schließlich, die Familientradition fortzusetzen und Jurist zu werden.
Studium in Tübingen und Königsberg
Am 13. November 1902 nahm Goerdeler an der Eberhard Karls Universität Tübingen das Jura-Studium auf.[11] Dort hatten bereits seine beiden älteren Brüder studiert, und wie sie wechselte auch Carl Friedrich nach drei Semestern die Universität: 1905 ging er an die Albertina nach Königsberg. Die juristischen Fakultäten dieser beiden Hochschulen galten als besonders konservativ und elitär. Neben Vorlesungen der Rechtswissenschaft besuchte Goerdeler auch historische, da er sich sehr für die Geschichte des 19. Jahrhunderts, insbesondere für die Preußischen Reformen, interessierte. Dieses historische Interesse prägte später auch seine politischen Ansichten.
In Tübingen trat er der „Akademischen Turnerschaft Eberhardina“ (heute: Alte Turnerschaft Eberhardina-Markomannia[12]) bei. Im Kaiserreich bildeten die Verbindungen die zentralen Institutionen des studentischen Lebens. Die „Eberhardina“, der auch Goerdelers Brüder angehörten, war eine 1884 gegründete, freie, farbentragende und pflichtschlagende Turnerverbindung.[13] Zu seinen Kommilitonen gehörte Eugen Bolz, der als Zentrumspolitiker 1928 bis 1933 württembergischer Staatspräsident war und später im Widerstandskreis des 20. Juli mitwirkte. Zum Sommersemester 1904 wechselte Goerdeler nach Königsberg und legte dort am 31. Oktober 1905 sein erstes Staatsexamen mit dem Prädikat „befriedigend“ ab,[14] was damals im zweiten juristischen Staatsexamen eine anerkennenswerte Note war. Wenige Tage später erfolgte seine Ernennung zum Referendar. In Königsberg lernte er die Arzttochter Anneliese Ulrich kennen, mit der er sich 1903 verlobte.[15] Er war Mitglied der Verbindung Rossitten, aus der 1926 die Fliegerschaft Preußen hervorging.
Vom 1. November 1905 bis zum 30. September 1906 diente Carl Friedrich Goerdeler als Einjährig-Freiwilliger beim 1. Ostpreußischen Feldartillerie-Regiment Nr. 16. Danach begann er mit einer praktischen Ausbildung als Referendar. Er absolvierte seinen Vorbereitungsdienst in Fischhausen, Braunsberg, Königsberg und Marienwerder. Neben seinem Referendariat hat Goerdeler die Zeit gefunden, zum Thema Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit im Schuldinhalte und Behandlung in der Literatur und den wichtigsten deutschen Gesetzbüchern des 19. Jahrhunderts zu promovieren.[16] 1907 reichte er die Dissertation bei Professor Robert von Hippel an der Universität Göttingen ein.[17] Insgesamt erhielt er hierfür aber nur die Note „rite“.
Drei Jahre später beendete er seine Referendariatszeit und legte am 31. März 1911 in Berlin das zweite Staatsexamen ab. Wenig später wurde er zum Gerichtsassessor ernannt. Dies bedeutete jedoch nur, dass er nunmehr die formalen Voraussetzungen für das Amt des „Gerichtsrats“ (z. B. Amtsrichter oder ähnlich) besaß;[18] keineswegs aber bedeutete es die Übernahme in den dauerhaften Beamtenstatus; vielmehr verdiente die Mehrheit der Juristen in der Kaiserzeit erst ab Mitte vierzig ihr erstes Gehalt.[19] So war Goerdeler (wie andere auch) veranlasst, anderswo einen Arbeitsplatz zu finden. Aufgrund seines politischen Interesses entschied er sich, wie später auch sein Bruder Fritz, für eine kommunalpolitische Laufbahn. Um hierauf besonders gut vorbereitet zu sein, entschloss sich Carl Friedrich Goerdeler auf Anraten des mit seinen Eltern befreundeten Königsberger Oberbürgermeisters Siegfried Körte dafür, zunächst Praktika im Bankwesen zu absolvieren. Zu diesem Zweck ließ er sich am 21. April 1911 für ein Jahr aus dem Justizdienst beurlauben.
Vom 24. April bis zum 14. September arbeitete Goerdeler bei der Bank der „Ostpreußischen Landschaft“ und anschließend bis zum 10. Oktober in der Königlichen Seehandlung, der preußischen Staatsbank, am Gendarmenmarkt in Berlin.[20] Das Praktikum im Bankwesen verschaffte ihm Einblicke in ökonomische Zusammenhänge, die ihm später in der Kommunalverwaltung von Nutzen waren. Nach Abschluss der Praktika und des Referendariats strebte Goerdeler, nunmehr Jurist, einer ersten festen Anstellung entgegen. Zudem hatte er während seiner Praktikumszeit seine Verlobte Anneliese Ulrich (1888–1961) geheiratet, die er in Königsberg kennengelernt hatte. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor,[21] die Söhne Ulrich (1913–2000), Christian (1914–1942) und Reinhard (1922–1996) sowie Marianne (1919–2011), die Mutter von Frieder Meyer-Krahmer, und Benigna.
Kommunalpolitische Anfänge in Solingen
Am 15. Oktober 1911 trat Goerdeler als Gerichtsassessor in den Dienst der Stadtverwaltung von Solingen ein, der Oberbürgermeister August Dicke vorstand. Er fand zunächst neben der reinen Verwaltungstätigkeit durch die Teilnahme an den Stadtverordnetenversammlungen einen Einblick in die kommunalpolitische Praxis, bevor er seit dem 17. Oktober auch das Recht hatte, den Kommissionssitzungen beizuwohnen. Am 10. Juni 1912 erfolgte seine dauerhafte Anstellung als besoldeter juristischer Hilfsarbeiter.[22] Die Position eines juristischen Hilfsarbeiters war für die Vorbereitung auf höhere Beamtenposten geschaffen worden, weshalb Oberbürgermeister Dicke Goerdeler auch von Anfang an mit der Leitung kleinerer Dezernate betraute. Die Stadt Solingen stellte in vielerlei Hinsicht einen Gegensatz zu den Orten seiner Jugend dar: Sie war eine moderne Industriestadt, politisch eine Hochburg der Sozialdemokratie. So entwickelte der konservative Preuße eine stärkere Offenheit gegenüber anderen politischen Strömungen, ohne in irgendeiner Weise von seinen nationalkonservativen Überzeugungen abzurücken.[23]
Am 17. Dezember 1912 wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung für zwölf Jahre in das Amt des Beigeordneten. Goerdeler hatte zuvor erwogen, als Stadtrat nach Halberstadt zu wechseln. Wegen seiner besonderen fachlichen Befähigung war die Stadtverordnetenversammlung schließlich bereit, ihn ungewöhnlich schnell zu befördern, um ihn auf diese Weise in Solingen zu halten.[24] Für die Familie war sein beruflicher Aufstieg „ein schöner Erfolg“, wie seine Frau Anneliese später schrieb,[25] insbesondere deshalb, weil wenige Tage nach Goerdelers Amtseinführung das erste Kind, Sohn Ulrich, zur Welt kam.[26] Zu den Aufgaben als Beigeordneter gehörte die Leitung des Schul-, Sozial-, Finanz-, Steuer- und Versicherungswesens sowie die Vertretung des Bürgermeisters, womit er auch tatsächlich während einer Abwesenheit Dickes betraut wurde.[26] Bereits in Solingen bildete sich heraus, was Goerdeler in späteren Schriften häufig betonte: Im Vergleich der beiden Kommunalverfassungen, der Bürgermeister- und der Magistratsverfassung, bevorzugte er eindeutig die Bürgermeisterverfassung, weil diese die seines Erachtens effektivste Verwaltungsstruktur habe.[27] Aus der geregelten Tätigkeit als Beigeordneter wurde Goerdeler schließlich durch den Beginn des Ersten Weltkriegs herausgerissen.
Offizier im Ersten Weltkrieg
Carl Friedrich Goerdeler verkündete am 31. Juli 1914 in Solingen von der Rathaustreppe die allgemeine Mobilmachung.[26] Als Reserveoffizier musste er sich sofort nach der Mobilmachung beim Feldartillerie-Regiment Nr. 71 melden. Seit dem 4. August 1914 stand er bei diesem Regiment an der Ostfront in Ostpreußen. Goerdeler war Adjutant des Kommandeurs der Ersatzabteilung, mit der er an der siegreichen Schlacht bei Tannenberg teilnahm. Es folgten die Schlacht von Wilna und der Stellungskampf um Smorgon. Im Oktober 1915 wurde das Regiment aufgelöst; die Soldaten wurden dem Feldartillerie-Regiment Nr. 93 überstellt. Dort stieg Goerdeler, mittlerweile im Rang eines Oberleutnants, zum Führer der 6. Batterie, wobei es sich um leichte Feldhaubitzen handelte, auf. Danach war er als Ordonnanzoffizier bei verschiedenen Stäben an der Ostfront tätig, zuletzt als Hauptmann der Reserve beim Oberkommando der 10. Armee, die General Erich von Falkenhayn unterstellt war. Dort gehörte die Finanzverwaltung im Gebiet Ober Ost zu seinen Aufgaben. Goerdeler diente bis zum 31. Januar 1919 und wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet.
Seit Beginn des Krieges kämpfte er „mit größtem Optimismus bis zum letzten Tag“.[28] Sein patriotischer Enthusiasmus entsprang einer unbedingten Übereinstimmung mit den Kriegszielen des Kaiserreichs. Diese Haltung behielt er bis zum Kriegsende, trotz der grauenhaften Kriegserfahrungen. Goerdelers Bruder Franz fiel 1918 bei St.-Quentin an der Westfront. Allerdings teilte Goerdeler nicht die Erfahrungen des Grabenkrieges im Westen.
Zu der schweren Enttäuschung durch die Kriegsniederlage kam bei Goerdeler das Entsetzen über die politischen Umbrüche im Zuge der Novemberrevolution 1918. Nach seiner Rückkehr kämpfte er am 3. und 4. März 1919 in Straßenkämpfen in Berlin als Freikorps-Mitglied gegen den Spartakusbund. Später sah er dies kritisch: Angesichts der politischen Entwicklung 1918 sei der Versuch einer Revolution rückblickend „eine natürliche Selbstverständlichkeit“ gewesen.[29] Die veränderte Situation führte bei Goerdeler 1918/19 zu seiner Sinnkrise. So bezweifelte er, dass es überhaupt sinnvoll sei, unter diesen Bedingungen wieder in den Verwaltungsdienst einzutreten.[30] Letztendlich nahm er seine Tätigkeit als Beigeordneter in Solingen aber wieder auf. Der jungen Weimarer Republik stand Carl Friedrich Goerdeler vom ersten Moment an ablehnend gegenüber und setzte sich in den folgenden Jahren auch für die Wiedererrichtung der Hohenzollern-Monarchie ein.
Weiteres zu seiner Geschichte im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Goerdeler
Goerdeler entstammte einer preußischen Beamtenfamilie. Er war seit 1911 Kommunalpolitiker und von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig. Geistig orientierte Goerdeler sich an der preußischen Tradition und einem wirtschaftsliberalen Wertkonservatismus. Der Verwaltungsfachmann war in den 1920er Jahren mehrfach als Reichskanzler im Gespräch, bevor er 1931/32 und 1934/35 das Amt des Reichskommissars für Preisüberwachung innehatte.
Die Machtübertragung an die NSDAP Anfang 1933 bewertete Goerdeler zunächst positiv. Aus seiner konservativen Weltanschauung heraus weigerte er sich jedoch von Anfang an, Mitglied der Partei zu werden, und entwickelte sich bis 1936 zu einem entschiedenen Gegner des NS-Regimes. Als Nazis im November 1936 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Leipziger Denkmal des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy aufgrund dessen jüdischer Herkunft beseitigten, trat Goerdeler demonstrativ vom Amt des Oberbürgermeisters zurück. In den folgenden Jahren reiste er durch die Staaten der Westmächte, um vor dem Nationalsozialismus zu warnen und die alliierten Regierungen zu beraten.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges bildete sich um Goerdeler ein konservativer Kreis des zivilen Widerstands heraus, der das Ende der NS-Herrschaft herbeiführen wollte. Dieser sogenannte „Goerdeler-Kreis“ war ein geistiges Zentrum der Opposition gegen Hitler und verfügte über zahlreiche Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, insbesondere zum militärischen Widerstand um Ludwig Beck. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli wurde Goerdeler im August 1944 denunziert, vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.[1]
Herkunft und Kindheit
Carl Friedrich Goerdeler wurde als dritter Sohn von Julius Goerdeler und seiner Frau Adelheid, geborener Roloff, in Schneidemühl, Kreis Kolmar i. Posen, geboren. Seine Familie gehörte väterlicher- und mütterlicherseits zur preußischen Beamtenelite. Bereits sein ursprünglich aus Lüchow stammender Urgroßvater Christian Goerdeler war als Oberrevisionsrat zur Zeit Friedrich Wilhelms III. in Berlin tätig gewesen. Sein Großvater, Dietrich Wilhelm Goerdeler, arbeitete am Oberlandesgericht Hamm in der Provinz Westfalen. Seit seiner Versetzung 1852 an das Appellationsgericht Marienwerder in der Provinz Westpreußen war die Familie eng mit dem ländlichen Ostelbien verbunden.[2] Der noch in Hamm geborene Vater Julius Goerdeler wuchs in Marienwerder auf und heiratete die Tochter des dortigen Appellationsgerichtsrats Carl Roloff, nachdem er als Offizier der Reserve aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zurückgekehrt war. Aus dieser Ehe gingen vier Söhne (Gustav, Franz, Carl und Fritz) sowie eine Tochter (Else) hervor.[2] Über die Jugendzeit Goerdelers liegen aufgrund seiner erhaltenen Jugenderinnerungen, die er kurz vor seiner Verhaftung 1944 verfasste, detaillierte Quellen vor.[3]
Nach der Geburt des dritten Sohnes Carl Friedrich gab Julius Goerdeler seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Schneidemühl auf und ergriff die Chance, als Amtsrichter und gleichzeitig als Geschäftsführer der Landwirtschaftsbank „Neue Westpreußische Landschaft“ zu arbeiten. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr wuchs Carl Friedrich Goerdeler in der kleinen Landstadt Schneidemühl auf, bevor sein Vater 1890 ins nahe Marienwerder versetzt wurde und die Familie dorthin umzog.[4] Am Umfeld der Familie änderte sich jedoch wenig: Ihre Lebensführung war bürgerlich und von provinzieller Einfachheit und Naturverbundenheit geprägt. Sein Vater führte die Familie patriarchalisch-autoritär, kompensiert durch die „liebreizende Würde“ und Lebhaftigkeit der Mutter. Der große Familienzusammenhalt und insbesondere auch die geschlechterspezifische Rollenverteilung bestimmten Goerdelers spätere Auffassungen über die Familie als wichtigste Stütze der Gesellschaft – er selbst nannte dies das „Grunderlebnis“ seiner Kinder- und Jugendzeit.[5] Hinzu kam der „Geist altpreußisch-konservativen Beamtentums“: Goerdeler erfuhr eine Erziehung zu preußischen Tugenden und königstreu-konservativer Grundeinstellung. Auch politische Diskussionen fanden im Hause der Familie häufig statt, besonders, seitdem der Vater 1899 für die Freikonservative Partei in den preußischen Landtag eingezogen war.[6]
Seit 1891 besuchte Goerdeler das humanistische Gymnasium Marienwerder, wo schon sein Vater das Abitur gemacht hatte. Auch wenn er nicht zu den besten Schülern gehörte, so beurteilte er im Rückblick seine Schulzeit doch als „vorzüglich“.[7] Am humanistischen Gymnasium erwarb er eine bürgerlich ästhetisch-geschichtlich ausgerichtete Bildung. Besonders die Kultur des antiken Griechenlands und die friederizianisch-protestantische Tradition standen im Vordergrund.[8] Am 22. März 1902 legte Carl Friedrich Goerdeler dort die Reifeprüfung erfolgreich ab. Anschließend meldete er sich, der Mode der Jahrhundertwende folgend,[9] zur Offiziersausbildung bei der kaiserlichen Marine.[6] Er verbrachte aber nur wenige Monate als Schüler der Marineakademie in Kiel, da ihn „furchtbares Heimweh“ packte.[10] Nach dem kurzen Zwischenspiel als Marinesoldat entschloss sich Goerdeler schließlich, die Familientradition fortzusetzen und Jurist zu werden.
Studium in Tübingen und Königsberg
Am 13. November 1902 nahm Goerdeler an der Eberhard Karls Universität Tübingen das Jura-Studium auf.[11] Dort hatten bereits seine beiden älteren Brüder studiert, und wie sie wechselte auch Carl Friedrich nach drei Semestern die Universität: 1905 ging er an die Albertina nach Königsberg. Die juristischen Fakultäten dieser beiden Hochschulen galten als besonders konservativ und elitär. Neben Vorlesungen der Rechtswissenschaft besuchte Goerdeler auch historische, da er sich sehr für die Geschichte des 19. Jahrhunderts, insbesondere für die Preußischen Reformen, interessierte. Dieses historische Interesse prägte später auch seine politischen Ansichten.
In Tübingen trat er der „Akademischen Turnerschaft Eberhardina“ (heute: Alte Turnerschaft Eberhardina-Markomannia[12]) bei. Im Kaiserreich bildeten die Verbindungen die zentralen Institutionen des studentischen Lebens. Die „Eberhardina“, der auch Goerdelers Brüder angehörten, war eine 1884 gegründete, freie, farbentragende und pflichtschlagende Turnerverbindung.[13] Zu seinen Kommilitonen gehörte Eugen Bolz, der als Zentrumspolitiker 1928 bis 1933 württembergischer Staatspräsident war und später im Widerstandskreis des 20. Juli mitwirkte. Zum Sommersemester 1904 wechselte Goerdeler nach Königsberg und legte dort am 31. Oktober 1905 sein erstes Staatsexamen mit dem Prädikat „befriedigend“ ab,[14] was damals im zweiten juristischen Staatsexamen eine anerkennenswerte Note war. Wenige Tage später erfolgte seine Ernennung zum Referendar. In Königsberg lernte er die Arzttochter Anneliese Ulrich kennen, mit der er sich 1903 verlobte.[15] Er war Mitglied der Verbindung Rossitten, aus der 1926 die Fliegerschaft Preußen hervorging.
Vom 1. November 1905 bis zum 30. September 1906 diente Carl Friedrich Goerdeler als Einjährig-Freiwilliger beim 1. Ostpreußischen Feldartillerie-Regiment Nr. 16. Danach begann er mit einer praktischen Ausbildung als Referendar. Er absolvierte seinen Vorbereitungsdienst in Fischhausen, Braunsberg, Königsberg und Marienwerder. Neben seinem Referendariat hat Goerdeler die Zeit gefunden, zum Thema Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit im Schuldinhalte und Behandlung in der Literatur und den wichtigsten deutschen Gesetzbüchern des 19. Jahrhunderts zu promovieren.[16] 1907 reichte er die Dissertation bei Professor Robert von Hippel an der Universität Göttingen ein.[17] Insgesamt erhielt er hierfür aber nur die Note „rite“.
Drei Jahre später beendete er seine Referendariatszeit und legte am 31. März 1911 in Berlin das zweite Staatsexamen ab. Wenig später wurde er zum Gerichtsassessor ernannt. Dies bedeutete jedoch nur, dass er nunmehr die formalen Voraussetzungen für das Amt des „Gerichtsrats“ (z. B. Amtsrichter oder ähnlich) besaß;[18] keineswegs aber bedeutete es die Übernahme in den dauerhaften Beamtenstatus; vielmehr verdiente die Mehrheit der Juristen in der Kaiserzeit erst ab Mitte vierzig ihr erstes Gehalt.[19] So war Goerdeler (wie andere auch) veranlasst, anderswo einen Arbeitsplatz zu finden. Aufgrund seines politischen Interesses entschied er sich, wie später auch sein Bruder Fritz, für eine kommunalpolitische Laufbahn. Um hierauf besonders gut vorbereitet zu sein, entschloss sich Carl Friedrich Goerdeler auf Anraten des mit seinen Eltern befreundeten Königsberger Oberbürgermeisters Siegfried Körte dafür, zunächst Praktika im Bankwesen zu absolvieren. Zu diesem Zweck ließ er sich am 21. April 1911 für ein Jahr aus dem Justizdienst beurlauben.
Vom 24. April bis zum 14. September arbeitete Goerdeler bei der Bank der „Ostpreußischen Landschaft“ und anschließend bis zum 10. Oktober in der Königlichen Seehandlung, der preußischen Staatsbank, am Gendarmenmarkt in Berlin.[20] Das Praktikum im Bankwesen verschaffte ihm Einblicke in ökonomische Zusammenhänge, die ihm später in der Kommunalverwaltung von Nutzen waren. Nach Abschluss der Praktika und des Referendariats strebte Goerdeler, nunmehr Jurist, einer ersten festen Anstellung entgegen. Zudem hatte er während seiner Praktikumszeit seine Verlobte Anneliese Ulrich (1888–1961) geheiratet, die er in Königsberg kennengelernt hatte. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor,[21] die Söhne Ulrich (1913–2000), Christian (1914–1942) und Reinhard (1922–1996) sowie Marianne (1919–2011), die Mutter von Frieder Meyer-Krahmer, und Benigna.
Kommunalpolitische Anfänge in Solingen
Am 15. Oktober 1911 trat Goerdeler als Gerichtsassessor in den Dienst der Stadtverwaltung von Solingen ein, der Oberbürgermeister August Dicke vorstand. Er fand zunächst neben der reinen Verwaltungstätigkeit durch die Teilnahme an den Stadtverordnetenversammlungen einen Einblick in die kommunalpolitische Praxis, bevor er seit dem 17. Oktober auch das Recht hatte, den Kommissionssitzungen beizuwohnen. Am 10. Juni 1912 erfolgte seine dauerhafte Anstellung als besoldeter juristischer Hilfsarbeiter.[22] Die Position eines juristischen Hilfsarbeiters war für die Vorbereitung auf höhere Beamtenposten geschaffen worden, weshalb Oberbürgermeister Dicke Goerdeler auch von Anfang an mit der Leitung kleinerer Dezernate betraute. Die Stadt Solingen stellte in vielerlei Hinsicht einen Gegensatz zu den Orten seiner Jugend dar: Sie war eine moderne Industriestadt, politisch eine Hochburg der Sozialdemokratie. So entwickelte der konservative Preuße eine stärkere Offenheit gegenüber anderen politischen Strömungen, ohne in irgendeiner Weise von seinen nationalkonservativen Überzeugungen abzurücken.[23]
Am 17. Dezember 1912 wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung für zwölf Jahre in das Amt des Beigeordneten. Goerdeler hatte zuvor erwogen, als Stadtrat nach Halberstadt zu wechseln. Wegen seiner besonderen fachlichen Befähigung war die Stadtverordnetenversammlung schließlich bereit, ihn ungewöhnlich schnell zu befördern, um ihn auf diese Weise in Solingen zu halten.[24] Für die Familie war sein beruflicher Aufstieg „ein schöner Erfolg“, wie seine Frau Anneliese später schrieb,[25] insbesondere deshalb, weil wenige Tage nach Goerdelers Amtseinführung das erste Kind, Sohn Ulrich, zur Welt kam.[26] Zu den Aufgaben als Beigeordneter gehörte die Leitung des Schul-, Sozial-, Finanz-, Steuer- und Versicherungswesens sowie die Vertretung des Bürgermeisters, womit er auch tatsächlich während einer Abwesenheit Dickes betraut wurde.[26] Bereits in Solingen bildete sich heraus, was Goerdeler in späteren Schriften häufig betonte: Im Vergleich der beiden Kommunalverfassungen, der Bürgermeister- und der Magistratsverfassung, bevorzugte er eindeutig die Bürgermeisterverfassung, weil diese die seines Erachtens effektivste Verwaltungsstruktur habe.[27] Aus der geregelten Tätigkeit als Beigeordneter wurde Goerdeler schließlich durch den Beginn des Ersten Weltkriegs herausgerissen.
Offizier im Ersten Weltkrieg
Carl Friedrich Goerdeler verkündete am 31. Juli 1914 in Solingen von der Rathaustreppe die allgemeine Mobilmachung.[26] Als Reserveoffizier musste er sich sofort nach der Mobilmachung beim Feldartillerie-Regiment Nr. 71 melden. Seit dem 4. August 1914 stand er bei diesem Regiment an der Ostfront in Ostpreußen. Goerdeler war Adjutant des Kommandeurs der Ersatzabteilung, mit der er an der siegreichen Schlacht bei Tannenberg teilnahm. Es folgten die Schlacht von Wilna und der Stellungskampf um Smorgon. Im Oktober 1915 wurde das Regiment aufgelöst; die Soldaten wurden dem Feldartillerie-Regiment Nr. 93 überstellt. Dort stieg Goerdeler, mittlerweile im Rang eines Oberleutnants, zum Führer der 6. Batterie, wobei es sich um leichte Feldhaubitzen handelte, auf. Danach war er als Ordonnanzoffizier bei verschiedenen Stäben an der Ostfront tätig, zuletzt als Hauptmann der Reserve beim Oberkommando der 10. Armee, die General Erich von Falkenhayn unterstellt war. Dort gehörte die Finanzverwaltung im Gebiet Ober Ost zu seinen Aufgaben. Goerdeler diente bis zum 31. Januar 1919 und wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet.
Seit Beginn des Krieges kämpfte er „mit größtem Optimismus bis zum letzten Tag“.[28] Sein patriotischer Enthusiasmus entsprang einer unbedingten Übereinstimmung mit den Kriegszielen des Kaiserreichs. Diese Haltung behielt er bis zum Kriegsende, trotz der grauenhaften Kriegserfahrungen. Goerdelers Bruder Franz fiel 1918 bei St.-Quentin an der Westfront. Allerdings teilte Goerdeler nicht die Erfahrungen des Grabenkrieges im Westen.
Zu der schweren Enttäuschung durch die Kriegsniederlage kam bei Goerdeler das Entsetzen über die politischen Umbrüche im Zuge der Novemberrevolution 1918. Nach seiner Rückkehr kämpfte er am 3. und 4. März 1919 in Straßenkämpfen in Berlin als Freikorps-Mitglied gegen den Spartakusbund. Später sah er dies kritisch: Angesichts der politischen Entwicklung 1918 sei der Versuch einer Revolution rückblickend „eine natürliche Selbstverständlichkeit“ gewesen.[29] Die veränderte Situation führte bei Goerdeler 1918/19 zu seiner Sinnkrise. So bezweifelte er, dass es überhaupt sinnvoll sei, unter diesen Bedingungen wieder in den Verwaltungsdienst einzutreten.[30] Letztendlich nahm er seine Tätigkeit als Beigeordneter in Solingen aber wieder auf. Der jungen Weimarer Republik stand Carl Friedrich Goerdeler vom ersten Moment an ablehnend gegenüber und setzte sich in den folgenden Jahren auch für die Wiedererrichtung der Hohenzollern-Monarchie ein.
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