Die Niger-Kongo-Sprachen
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Die Niger-Kongo-Sprachen
Die Niger-Kongo-Sprachen – früher auch niger-kordofanische Sprachen genannt – bilden eine Familie von fast 1.400 Sprachen, die von etwa 400 Millionen Menschen im westlichen, zentralen, östlichen und südlichen Afrika gesprochen werden. Das Verbreitungsgebiet reicht von der Westspitze Afrikas bei Dakar östlich bis Mombasa und südlich bis Kapstadt.
Das Niger-Kongo ist eine der vier von Joseph Greenberg etablierten Spracheinheiten in Afrika. Die anderen sind das Afroasiatische, das Nilosaharanische und die Restgruppe (die also keine genetische Einheit bildet) der Khoisan-Sprachen (eine Übersicht bietet der Artikel Afrikanische Sprachen). Die Niger-Kongo-Sprachen grenzen im Nordwesten und äußersten Nordosten an afroasiatische, im zentralen und östlichen Sudangebiet an nilosaharanische Sprachen. Im Südwesten bilden die Khoisan-Sprachen eine Enklave im Niger-Kongo-Gebiet. Die bedeutendste Untergruppe des Niger-Kongo sind die Bantusprachen, die im südlichen Teil des Niger-Kongo-Gebietes von Ostnigeria bis Südafrika gesprochen werden (siehe Karte). Sie zählen zu der von Edgar Gregersen begründeten (hypothetischen) afrikanischen Makrofamilie, dem Kongo-Saharanischen.
Die Niger-Kongo-Sprachen (rot und orange) innerhalb der anderen afrikanischen Sprachen
Verbreitung auf das Gebiet von Kamerun, Nigeria und Benin konzentriert:
Nordwestecke des Bantu-Gebietes und die übrigen Benue-Kongo-Sprachen
Zur Bezeichnung
Die früher auch verwendete und auf Joseph Greenberg (1963) zurückgehende Bezeichnung Niger-Kordofanisch suggeriert eine Zweiteilung der Sprachfamilie in das Kordofanische und die restlichen Niger-Kongo-Sprachen. Da sämtliche sechs Primärzweige des Niger-Kongo heute aber als gleichrangig betrachtet werden, hat sich die ursprüngliche – 1949 ebenfalls von Greenberg eingeführte – neutralere Bezeichnung Niger-Kongo in der Fachliteratur wieder allgemein durchgesetzt.
Vor den Arbeiten Greenbergs wurden die Nicht-Bantu-Sprachen des Niger-Kongo als westsudanische Sprachen bezeichnet, deren genetische Verwandtschaft erst relativ spät erkannt wurde (Westermann 1927). Die Erkenntnis, dass die Bantu-Sprachen mit den westsudanischen Sprachen genetisch verwandt sind, setzte sich erst durch Greenbergs Arbeiten (seit 1949) durch, allerdings kam auch Diedrich Westermann etwa gleichzeitig zu einer ähnlichen Ansicht. Greenberg klassifizierte die Bantusprachen als eine Unter-Unter-Einheit des Niger-Kongo, was 1950 revolutionär wirkte, heute aber allgemein als zutreffend akzeptiert wird.
Zur Statistik
Mit 1.400 Sprachen, die sich in viele tausend Dialekte gliedern, bildet Niger-Kongo die sprachenreichste Sprachfamilie der Welt, gefolgt vom Austronesischen mit 1.100 und dem Transneuguinea-Phylum mit 550 Sprachen. Nach der Zahl seiner Sprecher (370–400 Millionen) nimmt das Niger-Kongo – allerdings mit großem Abstand – den dritten Rang nach dem Indogermanischen (2,7 Mrd.) und dem Sinotibetischen (1,3 Mrd.) ein.
Etwa 45 % der Bevölkerung Afrikas (925 Mio., siehe Artikel Afrika) sprechen eine Niger-Kongo-Sprache, 70 % aller etwa 2.000 afrikanischen Sprachen gehören zur Niger-Kongo-Gruppe, weltweit macht sie fast ein Viertel aller Sprachen aus. Die größte homogene Untergruppe des Niger-Kongo sind die Bantusprachen mit 500 eng verwandten Sprachen und 210 Mio. Sprechern. Die durchschnittliche Sprecherzahl der Niger-Kongo-Sprachen beträgt nur knapp 300.000, die Familie weist also eine relativ hohe Diversität auf.
Bedeutende Niger-Kongo-Sprachen
Es gibt etwas über 20 Niger-Kongo-Sprachen mit mindestens fünf Millionen Sprechern, davon sind die Mehrzahl Bantusprachen. Viele dieser „großen“ afrikanischen Sprachen sind sogenannte Verkehrssprachen, die nicht nur muttersprachlich (als Erstsprache) erlernt, sondern von vielen Sprechern als Zweit- oder Drittsprache erworben werden, um eine Kommunikation in einem größeren Gebiet über die engen Sprachgrenzen einzelner Volksgruppen und Stämme hinweg zu ermöglichen. Bei manchen Sprachen ist der Anteil der Zweitsprecher größer als der der Erstsprecher (z. B. Swahili).
Die Niger-Kongo-Sprache mit den meisten Sprechern ist das Swahili, das als Verkehrssprache von mehr als 80 Mio. Menschen in Ostafrika gesprochen wird. Der Größe nach folgt das nigerianische Yoruba mit 20 bis 25 Mio. Sprechern, das zum Benue-Kongo gerechnet wird. Fulfulde oder Ful(ani) ist ein großes Dialektcluster der atlantischen Gruppe im westlichen Afrika mit über 20 Mio. Sprechern. Igbo wird von fast 20 Mio. Menschen in Südost-Nigeria gesprochen, es gehört wie das Yoruba zum Benue-Kongo-Zweig. Niger-Kongo-Sprachen mit etwa 10 Mio. Sprechern sind das Shona, Zulu, Nyanja, Lingala (alle Bantu), Bambara in Mali, Akan oder Twi-Fante in Ghana und das Wolof im Senegal. Bambara, Twi-Fante und Wolof gehören verschiedenen Untergruppen des Niger-Kongo an. Eine Liste sämtlicher Niger-Kongo-Sprachen mit mindestens drei Millionen Sprechern ist als Anhang zu diesem Artikel aufgeführt.
Klassifikationsübersicht
Die folgende Übersicht stellt die aktuell in der Forschung allgemein konsensfähige Klassifikation des Niger-Kongo dar. Sie basiert auf Bendor-Samuel 1989 und Williamson-Blench (in Heine-Nurse 2000) und liegt dem gesamten Artikel zugrunde. Ihre historische Entwicklung wird im Abschnitt „Geschichte der Klassifikation“ ausführlich dargestellt.
Gesamt-Klassifikation des Niger-Kongo nach Williamson-Blench 2000
Niger-Kongo
Kordofanisch
Mande
Atlantisch
Dogon
Ijoid
Volta-Kongo
Nord-Volta-Kongo
Kru
Gur
Senufo
Adamawa-Ubangi
Süd-Volta-Kongo
Kwa
Benue-Kongo
West-Benue-Kongo: Yoruboid, Edoid, Igboid, Nupoid, Idomoid
Ost-Benue-Kongo
Platoid: Kainji, Plateau-Sprachen, tarokoid, Jukunoid
Bantoid-Cross
Cross-River
Bantoid
Nord-Bantoid: Dakoid, Mambiloid, Tikaroid
Süd-Bantoid: Jarawoid, Tivoid, Beboid, Ekoid, Nyang, Grasland, Bantu
Bisher ist nicht endgültig geklärt, ob die Gruppierungen Benue-Kongo und Nord-Bantoid genetische Einheiten bilden. Die sprachlichen und statistischen Eigenschaften der Untergruppierungen werden im Abschnitt „Niger-Kongo und seine Untereinheiten“ dargestellt.
Niger-Kongo als genetische Einheit
Bei der Größe des Niger-Kongo mit 1.400 Sprachen ist es nicht erstaunlich, dass bisher noch keine Protosprache für die gesamte Familie rekonstruiert werden konnte. Es fehlte allein schon die Forschungskapazität, um dieses Projekt durchzuführen. Dieses Faktum wurde – und wird vereinzelt noch – als Argument der Gegner einer genetischen Einheit des Niger-Kongo benutzt. Es stellt sich also die Frage: Ist das Niger-Kongo eine genetische Einheit, so dass die lexikalischen und grammatischen Gemeinsamkeiten auf eine gemeinsame Vorgängersprache zurückgehen, oder ist es nur eine Ansammlung von typologisch ähnlichen Sprachgruppen, die sich durch arealen Kontakt gegenseitig mehr oder weniger stark beeinflusst haben?
Die Antwort fällt seitens der Fachleute der Niger-Kongo-Forschung heute eindeutig aus: die Gemeinsamkeiten in Grammatik und Wortschatz lassen sich nur durch eine genetische Verwandtschaft erklären. Dabei sind drei Merkmale von besonderer Bedeutung:
das System der Nominalklassen
die vielfältigen Verbalerweiterungen und
der gemeinsame Basiswortschatz.
Nominalklassensystem
Struktur und Funktion
Die Niger-Kongo-Sprachen besitzen in vielen Zweigen ein ausgeprägtes Nominalklassensystem, das die Zugehörigkeit aller (oder der meisten) Substantive einer Sprache zu einer Klasse festlegt. Diese Klassen treten für zählbare Nomina in der Regel als Singular-Plural-Paare auf, für Massenbezeichnungen, Flüssigkeiten und Abstrakta als Einzelklassen. Die Markierung (Kennzeichnung) der Klasse erfolgt durch Affixe am Nomen – die Klassenaffixe –, meist durch Präfixe, manchmal durch Suffixe und sehr selten durch Infixe. Die Klassenzugehörigkeit des Nomens übt häufig einen Konkordanzzwang auf untergeordnete Komponenten der Nominalphrase (Genitivattribut, Adjektivattribut, Numerale, Possessiva, Demonstrativa) und/oder auf das Prädikat des Satzes aus, das das Nomen zum Subjekt hat. Oft dienen spezifische Affixe an den Attributen und dem Verb dazu, diese Konkordanz zu markieren, manchmal sind die Konkordanzaffixe sogar identisch mit den Klassenaffixen des Nomens.
Am deutlichsten ist das Nominalklassensystem in den Bantusprachen ausgeprägt, in anderen Zweigen des Niger-Kongo wurde es umgeformt oder reduziert, teilweise ist das System auch ganz verloren gegangen, z. B. bei den Mande-Sprachen. Für diese Zweige müssen dann andere Kriterien für die genetische Zugehörigkeit zum Niger-Kongo herangezogen werden.
Nominalklassen in den Bantusprachen
Zur Verdeutlichung der Begriffe Nominalklassen, Klassenpräfixe und Konkordanz werden im Folgenden einige Beispiele aus den Bantusprachen angeführt, in denen diese Phänomene am klarsten erkennbar sind. Es gab im Proto-Bantu etwa zwanzig Nominalklassen. Diese Anzahl hat sich bei einigen der heutigen Bantusprachen erhalten (z. B. im Ganda), in anderen wurde sie bis auf etwa zehn Klassen reduziert. Die Nominalklassen werden im Bantu ausschließlich durch Präfixe markiert. Es herrscht Konkordanz des Nomens mit seinen Ergänzungen in der Nominalphrase und zwischen Subjektnomen und Verb im Satz, allerdings können die Konkordanzpräfixe einer Klasse bei Nomen, Numerale, Pronomen und Verb unterschiedlich sein.
Nominalklassen im Ganda
zur Wurzel -ganda:
mu-ganda „ein(e) Ganda“ > ba-ganda „die Ganda-Leute“ (Plural der mu-Klasse)
bu-ganda „das Land der Ganda“
lu-ganda „die Sprache der Ganda“
zur Wurzel -ntu:
mu-ntu „Mensch“ > ba-ntu „Menschen“
gu-ntu „Riese“ > ga-ntu „Riesen“
Weitere Beispiele aus dem Swahili zeigen die weitverbreitete Dopplung in Singular- und Pluralklasse.
Singular – Plural − Klassenpaare im Swahili
m-tu „Person“ > wa-tu „Leute“
ki-tu „Ding“ > vi-tu „Dinge“
ji-cho „Auge“ > ma-cho „Augen“
u-fumbi „Tal“ > ma-fumbi „Täler“
Konkordanz in den Bantusprachen
Zur Demonstration von Nominalklassen und Konkordanzverhalten folgen einige weitere Beispiele aus dem Swahili.
Konkordanz in der Nominalphrase
Bei Verwendung von Adjektiven, Zahlwörtern und Demonstrativpronomen ergibt sich im Swahili folgende Reihenfolge in einer Nominalphrase: Nomen + Adjektiv + Zahlwort + Demonstrativum. Sämtliche Glieder einer Nominalphrase unterliegen dabei der Klassenkonkordanz. Dazu einige Beispiele:
m-tu m-kubwa „große Person“ (m-tu „Mensch“, kubwa „groß“)
wa-tu wa-kubwa „große Leute“ (die wa-Klasse ist der Plural der m-Klasse)
ki-kapu ki-kubwa „großer Korb“ (ki-kapu „Korb“)
vi-kapu vi-kubwa „große Körbe“ (die vi--Klasse ist der Plural der ki-Klasse)
ki-kapu ki-dogo ki-le „jener kleine (-dogo) Korb“
vi-kapu vi-dogo vi-tatu vi-le „jene drei (-tatu) kleinen Körbe“
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le „jene (-le) zwei (-wili) guten (-zuri) Menschen“
Hier sind sämtliche Konkordanzmarker identisch mit dem Klassenpräfix des Nomens. Man spricht deswegen auch von Alliteration.
Konkordanz zwischen Subjekt und Prädikat
In den Sprachen mit ausgeprägtem Nominalklassensystem muss die Klasse des Subjekts vom Prädikat eines Satzes kongruent aufgenommen werden, es herrscht also auch hier Konkordanz. Folgende Beispiele aus dem Swahili zeigen das Prinzip:
ki-kapu ki-kubwa ki-me-fika „der große Korb ist angekommen“ (ki-kapu „Korb“, -fika „ankommen“, -me- Perfekt-Marker)
Hinweis: gleiche Klassenpräfixe ki- bei Nomen und Verb, sog. Alliteration
m-toto m-kubwa a-me-fika „das große Kind (m-toto) ist angekommen“
Hinweis: verbales a-Präfix entspricht der nominalen m-Klasse; also verschiedene Präfixmorpheme bei gleicher Klasse
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le wa-me-anguka „jene (wa-le) zwei (wa-wili) guten (wa-zuri) Menschen sind niedergefallen (-anguka)“
wa-geni wa-zungu w-engi wa-li-fika Kenya
lit. „Fremde (wa-geni) europäische (wa-zungu) viele (w-engi < *wa-ingi) kamen an (-li- Vergangenheitsmarker) in Kenia“
„viele Europäer kamen in Kenia an“
Die Bedeutungskategorien der Nominalklassen
Die einzelnen Klassen hatten ursprünglich ein festumrissenes Bedeutungsfeld, z. B. Menschen, Tiere, Pflanzen, Massenbegriffe, Flüssigkeiten, Ortsnamen, Abstrakta etc. Die zugehörigen Affixe waren im Prä-Niger-Kongo wahrscheinlich bedeutungstragende Morpheme, die dann bereits im Proto-Niger-Kongo grammatikalisiert wurden, sodass ihre Etymologie nicht mehr erkennbar ist. Immerhin ist in manchen Sprachen noch eine Ähnlichkeit von Personenklassenaffixen und Personalpronomina vorhanden.
Obwohl die Klassenzugehörigkeit von Nomina heutiger Niger-Kongo-Sprachen nur sehr schwer semantisch bestimmbar ist, wurde in vielen Forschungsarbeiten zu diesem Thema eine Liste der Bedeutungsfelder der einzelnen Nominalklassen erarbeitet. Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse insbesondere für die Bantusprachen geben Hendrikse und Poulos (1992), hier zitiert nach Nurse (2003). Die Bedeutungsfelder sind in der Tabelle des nächsten Abschnitts zusammengefasst. Ein Blick in diese Tabelle zeigt viele Überschneidungen der Bedeutungsfelder der einzelnen Klassen, z. B. können Tiere den Klassen 3–4, 5–6, 7–8, 9–10 und anderen zugeordnet werden. Somit ist fast nie vorhersagbar, zu welcher Klasse ein Substantiv einer bestimmten Bedeutungskategorie gehört. Eine Ausnahme stellen die Personenbezeichnungen dar, die fast immer den Klassen 1 (Singular) und 2 (Plural) zugeordnet sind. Ansonsten ist die Klasse eines Nomens ein lexikalisches Merkmal.
Formale Ähnlichkeit der Klassenaffixe
Das von den Gegnern einer genetischen Einheit des Niger-Kongo häufig vorgebrachte Argument, Nominalklassensysteme seien nur typologische Merkmale ohne genetische Relevanz und sie seien außerdem in fast allen afrikanischen Sprachen verbreitet, ist nach Auffassung nahezu aller Spezialisten dieser Sprachgruppe falsch. Die Systeme der Nominalkategorisierung sind in den afrikanischen Sprachen im Gegenteil sehr unterschiedlich. So hat das Afroasiatische ein Genussystem, Nord-Khoisan eine kleine Zahl von Nominalklassen, die aber nicht am Nomen gekennzeichnet werden, Zentral-Khoisan wiederum ein Genussystem mit Femininum, Maskulinum und Neutrum. Einige Gruppen des Nilosaharanischen haben einfache Nominalklassensysteme, was ein Hinweis auf eine entfernte Verwandtschaft des Niger-Kongo mit dem Nilosaharanischen sein könnte (siehe unten „Niger-Kongo und Nilosaharanisch“). Natürlich gibt es Nominalklassensysteme auch in anderen Teilen der Erde, so in den kaukasischen, australischen und – besonders ausgeprägt – in den jenisseischen Sprachen.
Entscheidend für die genetische Verwandtschaft ist aber die Tatsache, dass die Klassenaffixe in den einzelnen Zweigen des Niger-Kongo eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit in Form und Bedeutung aufweisen, sie also ein gemeinsames Erbe aus der gemeinsamen Protosprache sein müssen.
Klassenaffixe in den Zweigen des Niger-Kongo und die Bedeutungsfelder der Klassen im Bantu
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Niger-Kongo-Sprachen
Das Niger-Kongo ist eine der vier von Joseph Greenberg etablierten Spracheinheiten in Afrika. Die anderen sind das Afroasiatische, das Nilosaharanische und die Restgruppe (die also keine genetische Einheit bildet) der Khoisan-Sprachen (eine Übersicht bietet der Artikel Afrikanische Sprachen). Die Niger-Kongo-Sprachen grenzen im Nordwesten und äußersten Nordosten an afroasiatische, im zentralen und östlichen Sudangebiet an nilosaharanische Sprachen. Im Südwesten bilden die Khoisan-Sprachen eine Enklave im Niger-Kongo-Gebiet. Die bedeutendste Untergruppe des Niger-Kongo sind die Bantusprachen, die im südlichen Teil des Niger-Kongo-Gebietes von Ostnigeria bis Südafrika gesprochen werden (siehe Karte). Sie zählen zu der von Edgar Gregersen begründeten (hypothetischen) afrikanischen Makrofamilie, dem Kongo-Saharanischen.
Die Niger-Kongo-Sprachen (rot und orange) innerhalb der anderen afrikanischen Sprachen
Verbreitung auf das Gebiet von Kamerun, Nigeria und Benin konzentriert:
Nordwestecke des Bantu-Gebietes und die übrigen Benue-Kongo-Sprachen
Zur Bezeichnung
Die früher auch verwendete und auf Joseph Greenberg (1963) zurückgehende Bezeichnung Niger-Kordofanisch suggeriert eine Zweiteilung der Sprachfamilie in das Kordofanische und die restlichen Niger-Kongo-Sprachen. Da sämtliche sechs Primärzweige des Niger-Kongo heute aber als gleichrangig betrachtet werden, hat sich die ursprüngliche – 1949 ebenfalls von Greenberg eingeführte – neutralere Bezeichnung Niger-Kongo in der Fachliteratur wieder allgemein durchgesetzt.
Vor den Arbeiten Greenbergs wurden die Nicht-Bantu-Sprachen des Niger-Kongo als westsudanische Sprachen bezeichnet, deren genetische Verwandtschaft erst relativ spät erkannt wurde (Westermann 1927). Die Erkenntnis, dass die Bantu-Sprachen mit den westsudanischen Sprachen genetisch verwandt sind, setzte sich erst durch Greenbergs Arbeiten (seit 1949) durch, allerdings kam auch Diedrich Westermann etwa gleichzeitig zu einer ähnlichen Ansicht. Greenberg klassifizierte die Bantusprachen als eine Unter-Unter-Einheit des Niger-Kongo, was 1950 revolutionär wirkte, heute aber allgemein als zutreffend akzeptiert wird.
Zur Statistik
Mit 1.400 Sprachen, die sich in viele tausend Dialekte gliedern, bildet Niger-Kongo die sprachenreichste Sprachfamilie der Welt, gefolgt vom Austronesischen mit 1.100 und dem Transneuguinea-Phylum mit 550 Sprachen. Nach der Zahl seiner Sprecher (370–400 Millionen) nimmt das Niger-Kongo – allerdings mit großem Abstand – den dritten Rang nach dem Indogermanischen (2,7 Mrd.) und dem Sinotibetischen (1,3 Mrd.) ein.
Etwa 45 % der Bevölkerung Afrikas (925 Mio., siehe Artikel Afrika) sprechen eine Niger-Kongo-Sprache, 70 % aller etwa 2.000 afrikanischen Sprachen gehören zur Niger-Kongo-Gruppe, weltweit macht sie fast ein Viertel aller Sprachen aus. Die größte homogene Untergruppe des Niger-Kongo sind die Bantusprachen mit 500 eng verwandten Sprachen und 210 Mio. Sprechern. Die durchschnittliche Sprecherzahl der Niger-Kongo-Sprachen beträgt nur knapp 300.000, die Familie weist also eine relativ hohe Diversität auf.
Bedeutende Niger-Kongo-Sprachen
Es gibt etwas über 20 Niger-Kongo-Sprachen mit mindestens fünf Millionen Sprechern, davon sind die Mehrzahl Bantusprachen. Viele dieser „großen“ afrikanischen Sprachen sind sogenannte Verkehrssprachen, die nicht nur muttersprachlich (als Erstsprache) erlernt, sondern von vielen Sprechern als Zweit- oder Drittsprache erworben werden, um eine Kommunikation in einem größeren Gebiet über die engen Sprachgrenzen einzelner Volksgruppen und Stämme hinweg zu ermöglichen. Bei manchen Sprachen ist der Anteil der Zweitsprecher größer als der der Erstsprecher (z. B. Swahili).
Die Niger-Kongo-Sprache mit den meisten Sprechern ist das Swahili, das als Verkehrssprache von mehr als 80 Mio. Menschen in Ostafrika gesprochen wird. Der Größe nach folgt das nigerianische Yoruba mit 20 bis 25 Mio. Sprechern, das zum Benue-Kongo gerechnet wird. Fulfulde oder Ful(ani) ist ein großes Dialektcluster der atlantischen Gruppe im westlichen Afrika mit über 20 Mio. Sprechern. Igbo wird von fast 20 Mio. Menschen in Südost-Nigeria gesprochen, es gehört wie das Yoruba zum Benue-Kongo-Zweig. Niger-Kongo-Sprachen mit etwa 10 Mio. Sprechern sind das Shona, Zulu, Nyanja, Lingala (alle Bantu), Bambara in Mali, Akan oder Twi-Fante in Ghana und das Wolof im Senegal. Bambara, Twi-Fante und Wolof gehören verschiedenen Untergruppen des Niger-Kongo an. Eine Liste sämtlicher Niger-Kongo-Sprachen mit mindestens drei Millionen Sprechern ist als Anhang zu diesem Artikel aufgeführt.
Klassifikationsübersicht
Die folgende Übersicht stellt die aktuell in der Forschung allgemein konsensfähige Klassifikation des Niger-Kongo dar. Sie basiert auf Bendor-Samuel 1989 und Williamson-Blench (in Heine-Nurse 2000) und liegt dem gesamten Artikel zugrunde. Ihre historische Entwicklung wird im Abschnitt „Geschichte der Klassifikation“ ausführlich dargestellt.
Gesamt-Klassifikation des Niger-Kongo nach Williamson-Blench 2000
Niger-Kongo
Kordofanisch
Mande
Atlantisch
Dogon
Ijoid
Volta-Kongo
Nord-Volta-Kongo
Kru
Gur
Senufo
Adamawa-Ubangi
Süd-Volta-Kongo
Kwa
Benue-Kongo
West-Benue-Kongo: Yoruboid, Edoid, Igboid, Nupoid, Idomoid
Ost-Benue-Kongo
Platoid: Kainji, Plateau-Sprachen, tarokoid, Jukunoid
Bantoid-Cross
Cross-River
Bantoid
Nord-Bantoid: Dakoid, Mambiloid, Tikaroid
Süd-Bantoid: Jarawoid, Tivoid, Beboid, Ekoid, Nyang, Grasland, Bantu
Bisher ist nicht endgültig geklärt, ob die Gruppierungen Benue-Kongo und Nord-Bantoid genetische Einheiten bilden. Die sprachlichen und statistischen Eigenschaften der Untergruppierungen werden im Abschnitt „Niger-Kongo und seine Untereinheiten“ dargestellt.
Niger-Kongo als genetische Einheit
Bei der Größe des Niger-Kongo mit 1.400 Sprachen ist es nicht erstaunlich, dass bisher noch keine Protosprache für die gesamte Familie rekonstruiert werden konnte. Es fehlte allein schon die Forschungskapazität, um dieses Projekt durchzuführen. Dieses Faktum wurde – und wird vereinzelt noch – als Argument der Gegner einer genetischen Einheit des Niger-Kongo benutzt. Es stellt sich also die Frage: Ist das Niger-Kongo eine genetische Einheit, so dass die lexikalischen und grammatischen Gemeinsamkeiten auf eine gemeinsame Vorgängersprache zurückgehen, oder ist es nur eine Ansammlung von typologisch ähnlichen Sprachgruppen, die sich durch arealen Kontakt gegenseitig mehr oder weniger stark beeinflusst haben?
Die Antwort fällt seitens der Fachleute der Niger-Kongo-Forschung heute eindeutig aus: die Gemeinsamkeiten in Grammatik und Wortschatz lassen sich nur durch eine genetische Verwandtschaft erklären. Dabei sind drei Merkmale von besonderer Bedeutung:
das System der Nominalklassen
die vielfältigen Verbalerweiterungen und
der gemeinsame Basiswortschatz.
Nominalklassensystem
Struktur und Funktion
Die Niger-Kongo-Sprachen besitzen in vielen Zweigen ein ausgeprägtes Nominalklassensystem, das die Zugehörigkeit aller (oder der meisten) Substantive einer Sprache zu einer Klasse festlegt. Diese Klassen treten für zählbare Nomina in der Regel als Singular-Plural-Paare auf, für Massenbezeichnungen, Flüssigkeiten und Abstrakta als Einzelklassen. Die Markierung (Kennzeichnung) der Klasse erfolgt durch Affixe am Nomen – die Klassenaffixe –, meist durch Präfixe, manchmal durch Suffixe und sehr selten durch Infixe. Die Klassenzugehörigkeit des Nomens übt häufig einen Konkordanzzwang auf untergeordnete Komponenten der Nominalphrase (Genitivattribut, Adjektivattribut, Numerale, Possessiva, Demonstrativa) und/oder auf das Prädikat des Satzes aus, das das Nomen zum Subjekt hat. Oft dienen spezifische Affixe an den Attributen und dem Verb dazu, diese Konkordanz zu markieren, manchmal sind die Konkordanzaffixe sogar identisch mit den Klassenaffixen des Nomens.
Am deutlichsten ist das Nominalklassensystem in den Bantusprachen ausgeprägt, in anderen Zweigen des Niger-Kongo wurde es umgeformt oder reduziert, teilweise ist das System auch ganz verloren gegangen, z. B. bei den Mande-Sprachen. Für diese Zweige müssen dann andere Kriterien für die genetische Zugehörigkeit zum Niger-Kongo herangezogen werden.
Nominalklassen in den Bantusprachen
Zur Verdeutlichung der Begriffe Nominalklassen, Klassenpräfixe und Konkordanz werden im Folgenden einige Beispiele aus den Bantusprachen angeführt, in denen diese Phänomene am klarsten erkennbar sind. Es gab im Proto-Bantu etwa zwanzig Nominalklassen. Diese Anzahl hat sich bei einigen der heutigen Bantusprachen erhalten (z. B. im Ganda), in anderen wurde sie bis auf etwa zehn Klassen reduziert. Die Nominalklassen werden im Bantu ausschließlich durch Präfixe markiert. Es herrscht Konkordanz des Nomens mit seinen Ergänzungen in der Nominalphrase und zwischen Subjektnomen und Verb im Satz, allerdings können die Konkordanzpräfixe einer Klasse bei Nomen, Numerale, Pronomen und Verb unterschiedlich sein.
Nominalklassen im Ganda
zur Wurzel -ganda:
mu-ganda „ein(e) Ganda“ > ba-ganda „die Ganda-Leute“ (Plural der mu-Klasse)
bu-ganda „das Land der Ganda“
lu-ganda „die Sprache der Ganda“
zur Wurzel -ntu:
mu-ntu „Mensch“ > ba-ntu „Menschen“
gu-ntu „Riese“ > ga-ntu „Riesen“
Weitere Beispiele aus dem Swahili zeigen die weitverbreitete Dopplung in Singular- und Pluralklasse.
Singular – Plural − Klassenpaare im Swahili
m-tu „Person“ > wa-tu „Leute“
ki-tu „Ding“ > vi-tu „Dinge“
ji-cho „Auge“ > ma-cho „Augen“
u-fumbi „Tal“ > ma-fumbi „Täler“
Konkordanz in den Bantusprachen
Zur Demonstration von Nominalklassen und Konkordanzverhalten folgen einige weitere Beispiele aus dem Swahili.
Konkordanz in der Nominalphrase
Bei Verwendung von Adjektiven, Zahlwörtern und Demonstrativpronomen ergibt sich im Swahili folgende Reihenfolge in einer Nominalphrase: Nomen + Adjektiv + Zahlwort + Demonstrativum. Sämtliche Glieder einer Nominalphrase unterliegen dabei der Klassenkonkordanz. Dazu einige Beispiele:
m-tu m-kubwa „große Person“ (m-tu „Mensch“, kubwa „groß“)
wa-tu wa-kubwa „große Leute“ (die wa-Klasse ist der Plural der m-Klasse)
ki-kapu ki-kubwa „großer Korb“ (ki-kapu „Korb“)
vi-kapu vi-kubwa „große Körbe“ (die vi--Klasse ist der Plural der ki-Klasse)
ki-kapu ki-dogo ki-le „jener kleine (-dogo) Korb“
vi-kapu vi-dogo vi-tatu vi-le „jene drei (-tatu) kleinen Körbe“
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le „jene (-le) zwei (-wili) guten (-zuri) Menschen“
Hier sind sämtliche Konkordanzmarker identisch mit dem Klassenpräfix des Nomens. Man spricht deswegen auch von Alliteration.
Konkordanz zwischen Subjekt und Prädikat
In den Sprachen mit ausgeprägtem Nominalklassensystem muss die Klasse des Subjekts vom Prädikat eines Satzes kongruent aufgenommen werden, es herrscht also auch hier Konkordanz. Folgende Beispiele aus dem Swahili zeigen das Prinzip:
ki-kapu ki-kubwa ki-me-fika „der große Korb ist angekommen“ (ki-kapu „Korb“, -fika „ankommen“, -me- Perfekt-Marker)
Hinweis: gleiche Klassenpräfixe ki- bei Nomen und Verb, sog. Alliteration
m-toto m-kubwa a-me-fika „das große Kind (m-toto) ist angekommen“
Hinweis: verbales a-Präfix entspricht der nominalen m-Klasse; also verschiedene Präfixmorpheme bei gleicher Klasse
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le wa-me-anguka „jene (wa-le) zwei (wa-wili) guten (wa-zuri) Menschen sind niedergefallen (-anguka)“
wa-geni wa-zungu w-engi wa-li-fika Kenya
lit. „Fremde (wa-geni) europäische (wa-zungu) viele (w-engi < *wa-ingi) kamen an (-li- Vergangenheitsmarker) in Kenia“
„viele Europäer kamen in Kenia an“
Die Bedeutungskategorien der Nominalklassen
Die einzelnen Klassen hatten ursprünglich ein festumrissenes Bedeutungsfeld, z. B. Menschen, Tiere, Pflanzen, Massenbegriffe, Flüssigkeiten, Ortsnamen, Abstrakta etc. Die zugehörigen Affixe waren im Prä-Niger-Kongo wahrscheinlich bedeutungstragende Morpheme, die dann bereits im Proto-Niger-Kongo grammatikalisiert wurden, sodass ihre Etymologie nicht mehr erkennbar ist. Immerhin ist in manchen Sprachen noch eine Ähnlichkeit von Personenklassenaffixen und Personalpronomina vorhanden.
Obwohl die Klassenzugehörigkeit von Nomina heutiger Niger-Kongo-Sprachen nur sehr schwer semantisch bestimmbar ist, wurde in vielen Forschungsarbeiten zu diesem Thema eine Liste der Bedeutungsfelder der einzelnen Nominalklassen erarbeitet. Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse insbesondere für die Bantusprachen geben Hendrikse und Poulos (1992), hier zitiert nach Nurse (2003). Die Bedeutungsfelder sind in der Tabelle des nächsten Abschnitts zusammengefasst. Ein Blick in diese Tabelle zeigt viele Überschneidungen der Bedeutungsfelder der einzelnen Klassen, z. B. können Tiere den Klassen 3–4, 5–6, 7–8, 9–10 und anderen zugeordnet werden. Somit ist fast nie vorhersagbar, zu welcher Klasse ein Substantiv einer bestimmten Bedeutungskategorie gehört. Eine Ausnahme stellen die Personenbezeichnungen dar, die fast immer den Klassen 1 (Singular) und 2 (Plural) zugeordnet sind. Ansonsten ist die Klasse eines Nomens ein lexikalisches Merkmal.
Formale Ähnlichkeit der Klassenaffixe
Das von den Gegnern einer genetischen Einheit des Niger-Kongo häufig vorgebrachte Argument, Nominalklassensysteme seien nur typologische Merkmale ohne genetische Relevanz und sie seien außerdem in fast allen afrikanischen Sprachen verbreitet, ist nach Auffassung nahezu aller Spezialisten dieser Sprachgruppe falsch. Die Systeme der Nominalkategorisierung sind in den afrikanischen Sprachen im Gegenteil sehr unterschiedlich. So hat das Afroasiatische ein Genussystem, Nord-Khoisan eine kleine Zahl von Nominalklassen, die aber nicht am Nomen gekennzeichnet werden, Zentral-Khoisan wiederum ein Genussystem mit Femininum, Maskulinum und Neutrum. Einige Gruppen des Nilosaharanischen haben einfache Nominalklassensysteme, was ein Hinweis auf eine entfernte Verwandtschaft des Niger-Kongo mit dem Nilosaharanischen sein könnte (siehe unten „Niger-Kongo und Nilosaharanisch“). Natürlich gibt es Nominalklassensysteme auch in anderen Teilen der Erde, so in den kaukasischen, australischen und – besonders ausgeprägt – in den jenisseischen Sprachen.
Entscheidend für die genetische Verwandtschaft ist aber die Tatsache, dass die Klassenaffixe in den einzelnen Zweigen des Niger-Kongo eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit in Form und Bedeutung aufweisen, sie also ein gemeinsames Erbe aus der gemeinsamen Protosprache sein müssen.
Klassenaffixe in den Zweigen des Niger-Kongo und die Bedeutungsfelder der Klassen im Bantu
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Niger-Kongo-Sprachen
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