** Das Eine **
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** Das Eine **
Das Eine (altgriechisch τò ἕν to hen, lateinisch unum) ist ein philosophischer Begriff, der ein höchstes Prinzip bezeichnet. Oft wird dieses Prinzip als absolut transzendent betrachtet, das heißt, es wird jenseits des Horizonts möglicher Sinneserfahrung verortet und soll auch dem gedanklichen Zugriff unzugänglich sein. Eine zentrale Rolle spielt das Eine in Theorien, die auf dem Gedankengut des antiken Platonismus fußen und für alles, was ist, eine einzige Grundlage annehmen (monistischer Idealismus). Solche Systeme führen alles letztlich auf das Eine zurück.
Schon die vorsokratischen Philosophen beschäftigten sich mit dem Einen als Gegenteil des Vielen. Sie fassten es aber nicht als absolut transzendent auf. Erst im Platonismus entstand die Theorie eines Einen, das die Ursache von allem ist, jede Vorstellung übersteigt und sich einer gedanklichen Erfassung prinzipiell entzieht.
Nach der Platon zugeschriebenen, jedenfalls im 4. Jahrhundert v. Chr. entstandenen „Prinzipienlehre“ ist das Eine das transzendente höchste Prinzip und zusammen mit dem entgegengesetzten Prinzip, der „unbestimmten Zweiheit“, der Grund für die Existenz von allem. In der Forschung ist stark umstritten, ob Platon tatsächlich der Urheber der Prinzipienlehre ist und ob er, wie manche Forscher annehmen, das Eine mit dem Guten gleichgesetzt hat. Später bauten antike Platoniker die Lehre vom Einen stark aus und arbeiteten den Aspekt der absoluten Transzendenz heraus. Die Neuplatoniker machten diese Lehre zu einem Hauptbestandteil ihrer metaphysischen Modelle.
Da das Eine nach der antiken platonischen Tradition absolut transzendent ist, können ihm keine Bestimmungen zugewiesen werden, auch nicht die des Seins. Es ist „überseiend“, das heißt dem Bereich der seienden Dinge übergeordnet. Alles Seiende hat im Einen (Hen) seinen Ursprung. Daher ist das Hen genau genommen nicht Gegenstand der Ontologie, die sich mit dem Sein und dem Seienden befasst; manche Philosophiehistoriker sprechen von „Henologie“ als einer eigenen Disziplin. Die Henologie macht Aussagen über das Verhältnis des Einen zu den seienden Dingen.
Terminologie
Das griechische εἷς, μία, ἕν heis, mia, hen „der, die, das Eine“ hat verschiedene Bedeutungen: Es bezeichnet sowohl die Zahl Eins als auch ein Individuum als solches und ein Ganzes, dessen Teile zu einer Einheit vereinigt sind. In der letzteren Bedeutung beruht die Einheit darauf, dass alle Teile eine Gemeinsamkeit aufweisen, die für ihre Zugehörigkeit zu dem Ganzen konstitutiv ist. Für den philosophischen Sprachgebrauch stehen drei Aspekte im Vordergrund:
die Unteilbarkeit im Sinne der Vorstellung eines Individuums als unteilbare Einheit
die Vereinigung oder Verschmelzung von Elementen zu einer einheitlichen Ganzheit
der Umstand, dass „Eins“ als Zahlwort in der griechischen Philosophie der Mathematik eine besondere, privilegierte Stellung ausdrückt. Die Eins ist das Maß und Prinzip der anderen Zahlen, an dem sie gemessen werden. So betrachtet ist sie selbst keine Zahl, sondern der ganzen Zahlenwelt übergeordnet.
Der Ausdruck „henological“ ist in der Forschungsliteratur schon 1943 bezeugt; der anglo-katholische Theologe Eric Lionel Mascall bezeichnete damit einen Gottesbeweis bei Thomas von Aquin, in dem sich die Einheit Gottes aus der Vielheit der Dinge ergibt. 1948 verwendete Étienne Gilson den Ausdruck énologie zur Bezeichnung des neuplatonischen, auf dem Gedanken des Überseins beruhenden Einheitskonzepts. Dieses Konzept wollte er damit von der christlichen ontologischen Vorstellung eines seienden Gottes, insbesondere von seinem eigenen neuthomistischen Ansatz abgrenzen.[1] Den Fachbegriff „Henologie“ hat aber erst der norwegische Philosophiehistoriker Egil A. Wyller geprägt und definiert. Er führte ihn 1960 ein, um die „Einheitslehre“ von der „Seinslehre“, der Ontologie, abzutrennen. Damit wollte er die fundamentale Unterscheidung zwischen Seiendem und Überseiendem, die von antiken Philosophen betont wurde, auch in der Terminologie der modernen Forschung verankern. Diesen Gegensatz bezeichnete Wyller als „henologische Differenz“. Er zählte alle der platonischen Tradition folgenden idealistischen Lehren von einer absolut transzendenten Einheit zum Gegenstandsbereich der Henologie, also beispielsweise auch das Einheitskonzept von Johann Gottlieb Fichte.[2] Im neueren Sprachgebrauch wird der Begriff „Henologie“ gewöhnlich nicht in diesem umfassenden Sinn, sondern speziell bezogen auf die Einheitslehren antiker Platoniker verwendet.
Vorsokratiker
Den vorsokratischen Philosophen war die Vorstellung eines absolut transzendenten Einen fremd. Sie versuchten aber ein einheitliches Urprinzip zu finden, auf das sich die gesamte Wirklichkeit zurückführen lässt. Damit waren sie Vorläufer der späteren Einheitsmetaphysik. Allerdings unterscheiden sich ihre Lehren von den henologischen dadurch, dass anscheinend keiner von ihnen das Urprinzip oberhalb des Seins verortet hat.
Xenophanes
Xenophanes, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts und im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. tätig war, soll den Anfang gemacht haben. Aristoteles berichtet, Xenophanes sei der erste Denker gewesen, der die Einheit postulierte, und er habe das Eine mit Gott identifiziert.[3] Allerdings habe er sein Konzept nicht erläutert. Aus den erhaltenen Fragmenten der Lehrdichtung des Xenophanes geht hervor, dass er tatsächlich in seiner Auseinandersetzung mit dem Polytheismus der homerischen und hesiodeischen Dichtung ein henotheistisches Modell entwickelt hat. Er ging von einer nicht-anthropomorphen höchsten Gottheit aus und behauptete, dieser „eine Gott“ sei „unter Göttern und Menschen der größte“; er sei unbeweglich, beeinflusse alles mühelos durch sein Denken und sehe, denke und höre „als Ganzer“.[4]
Heraklit
Heraklit (um 520 – um 460 v. Chr.) fasste die Einheit nicht als Gegensatz zu Polarität und Vielheit auf, sondern fand sie gerade in der Verschränkung der Gegensatzpaare. Nach seiner Lehre zeigt sich im Gegensatz zweier Gegenpole die Einheit als Zusammengehörigkeit des Konträren. Die Pole bedingen einander, sind stets ineinander verschlungen und schlagen ineinander um. In einem Heraklit-Fragment ist vom „Einträchtig-Zwieträchtigen“ die Rede, und es wird festgestellt: „Aus allem eines und aus einem alles“.[5] Damit meinte Heraklit, dass sich das Eine aus dem Zusammenwirken von Vielem und Gegensätzlichem konstituiert. Der einigende Grund, der die universale Einheit und Ganzheit des Kosmos ermöglicht, ist der Logos.[6]
Die Eleaten
Die Philosophen der Schule von Elea vertraten eine streng monistische Ontologie. In ihrem Weltbild spielte ein schroffer, unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Sein und Nichtsein eine zentrale Rolle. Parmenides, der erste und bekannteste Vertreter dieser Richtung, formulierte seine Lehre in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Für ihn war das Seiende „eines“ im Sinne einer unteilbaren Einheit und das einzige wirklich Existierende. Er betrachtete das Seiende als die Ganzheit, die alles andere ausschließt. Das Seiende ist notwendigerweise unentstanden und daher unvergänglich. Als Ganzheit leidet es keinen Mangel, ist zeitlos vollkommen und daher keiner Veränderung unterworfen. Nur Unveränderliches kann als wirklich seiend betrachtet werden. Alles Veränderliche und Vergängliche ordnete Parmenides dem Bereich des Nichtseienden zu, der trügerischen Scheinwelt der doxa (Meinung im Gegensatz zu Wahrheitsbesitz). In Wirklichkeit existiere diese Scheinwelt gar nicht. Den Bereich des Seienden betrachtete er als undifferenziert, in sich geschlossen, räumlich ausgedehnt und wegen des Ausschlusses von Veränderung unbeweglich; er verglich ihn mit einer Kugel. Die Einheit des so aufgefassten eleatischen Seins weist Übereinstimmungen mit der Einheit des unräumlichen und überseienden henologischen Einen des Platonismus auf, unterscheidet sich aber auch grundlegend von ihr. Eine Gemeinsamkeit besteht darin, dass das Eine des Parmenides ebenso wie dasjenige der Platoniker der Sinneswahrnehmung prinzipiell entzogen ist.[7]
Während bei Parmenides der Begriff des Einen nur als Prädikat belegt ist, machten die Eleaten Zenon von Elea und Melissos Aussagen über das Eine als Subjekt.[8] Melissos hielt das eine Seiende für unkörperlich, unbeweglich, homogen und für räumlich und zeitlich grenzenlos.[9] Zenon, ein Schüler des Parmenides, versuchte zu beweisen, dass die Annahme einer Vielheit verschiedener Entitäten zu paradoxen Konsequenzen führe und daher falsch sein müsse. Somit sei die Vielheit nichtseiend und es könne nur das Eine geben. Dieses müsse unbewegt sein, denn die Annahme von Bewegung führe ebenso wie die von Vielheit zu unmöglichen Konsequenzen.[10]
Die frühen Pythagoreer
Die frühen Pythagoreer hielten das Eine nicht für den transzendenten, absolut einheitlichen Ursprung des Seins, sondern sahen darin etwas aus Unbegrenztem und Begrenzendem Gemischtes und damit Abgeleitetes. Das Eine war für sie ein im Kosmos immanentes Mischungsprodukt.[11]
Der erste Pythagoreer, von dem bekannt ist, dass er das Eine von einem philosophischen Standpunkt aus betrachtete, war Philolaos, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte. Seine Theorie ähnelt der Prinzipienlehre der Platoniker insofern, als er die gesamte Wirklichkeit – den Kosmos im Ganzen und alle Einzeldinge – auf das Zusammenwirken eines einzigen Gegensatzpaars zurückführte. Sein Denken kreiste um den Gegensatz zwischen den unbegrenzten Gegebenheiten (ápeira) und den grenzbildenden Faktoren (peraínonta). Aus der Verbindung von Unbegrenztem und Begrenzendem geht nach seiner Lehre alles hervor, wobei die Harmonie als dritter Faktor für das Zusammenwirken der beiden Gegenpole sorgt. Dank den Begrenzungen sind die Dinge mathematisch erfassbar.
Im Unterschied zur idealistischen Denkweise der Platoniker meinte Philolaos aber nicht abstrakte Prinzipien wie Unendlichkeit und Endlichkeit, sondern es ging ihm um die in Zahlen ausdrückbare Struktur des sinnlich Wahrnehmbaren. Diese Struktur der Sinnesobjekte deutete er als das Resultat der Einwirkung der begrenzenden Faktoren auf das Unbegrenzte. Das Eine bezeichnete er als das „erste Zusammengefügte“, das „in der Mitte der Kugel“ sei und „Herd“ genannt werde. Damit meinte er das Zentralfeuer, das nach der pythagoreischen Kosmologie den Mittelpunkt des Universums bildet.[12] Wie die Bezeichnung des Feuers als „Eines“ zu deuten ist, darüber gehen in der Forschung die Meinungen auseinander.[13]
Bei Philolaos ist keines der beiden obersten Prinzipien aus dem anderen ableitbar. Somit ist sein System dualistisch. Darin besteht ein grundlegender Unterschied zu den monistischen henologischen Systemen der Platoniker, in denen dem Einen ein absoluter Vorrang zukommt.[14]
Platon
Platon (428/427–348/347 v. Chr.) kannte und verwertete das Gedankengut der Eleaten und der Pythagoreer, schlug aber einen völlig neuen Weg ein. Wie schon vorsokratische Denker setzte er sich mit dem Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit auseinander und suchte nach einem einfachen Ursprung der Vielfalt und Komplexität. Dabei folgte er dem Grundsatz, dass das Einheitliche, Einfache und Allgemeine stets der Grund für das Dasein, die Beschaffenheit und die Erkennbarkeit des Mannigfaltigen, Komplexen und Besonderen sein muss. Zu jeder Menge von Elementen, die eine Gemeinsamkeit aufweisen, muss es etwas Einheitsstiftendes geben, auf dem die Gemeinsamkeit – das Einheitliche der Menge – beruht. Dieser einheitsstiftende Faktor kann für jede Gemeinsamkeit nur einer sein, und er kann nicht nur vorgestellt sein, sondern muss real existieren. Dies wird das Prinzip des Einen über Vielem genannt (griechisch hen epi pollṓn, in der Forschungsliteratur „one over many“).[15]
Einheit und Vielheit in der Ideenlehre
→ Hauptartikel: Ideenlehre
Wie die Eleaten ging Platon von einem fundamentalen Gegensatz zwischen dem vollkommenen, unwandelbaren Seienden und den ständiger Veränderung unterworfenen Sinnesobjekten aus. Er teilte auch die eleatische Überzeugung von der Unzuverlässigkeit aller auf Sinneswahrnehmung basierenden Annahmen. Im Gegensatz zu den Eleaten unterschied er aber nicht zwischen einem einheitlichen, undifferenzierten Seienden als einziger Realität und einer absolut nichtseienden Vielheit der illusionären Sinnesobjekte. Er sprach den unbeständigen Dingen, die sinnlich wahrgenommen werden, nicht die Existenz ab, sondern billigte ihnen ein bedingtes und unvollkommenes Sein zu und unterschied dieses vom eigentlichen Sein des Unveränderlichen. Das Sein im eigentlichen Sinne wies er in seiner Ideenlehre den später so genannten „platonischen Ideen“ zu.
Eine fundamentale und folgenreiche Neuerung war, dass Platon den Bereich des vollkommenen Seins der Ideen für transzendent erklärte. Er behauptete, dieser Bereich existiere als objektive metaphysische Realität, unabhängig von den Objekten der Sinneserfahrung, von Raum und Zeit und auch unabhängig von den Vorstellungen im menschlichen Geist. Der Ideenbereich sei zwar der sinnlichen Wahrnehmung völlig entzogen, aber dem Denken zugänglich (intelligibel).
Die Ideenlehre bot Platon eine Erklärung für die Existenz der Sinnesobjekte. Er deutete die veränderlichen Dinge als Abbilder der ewigen, transzendenten, nur geistig erfassbaren Ideen und damit als deren Erzeugnisse. Dadurch reduzierte er die Mannigfaltigkeit der materiellen Erscheinungswelt auf die ihr zugrunde liegenden einfachen, allgemeinen Prinzipien. Auf diesem Weg vom Besonderen und Individuellen zum Allgemeinen ging er von der größten Vielheit aus und bewegte sich in Richtung der Einheit. Dabei hob er aber im Gegensatz zu den Eleaten das Vielheitsprinzip nicht auf, sondern übertrug es in den Bereich des unwandelbaren Seins, wo es die Eleaten nicht geduldet hatten. Auch im Reich der platonischen Ideen herrscht Vielfalt, da jedem Begriff eine Idee entspricht, und unter den Ideen besteht eine hierarchische Ordnung. Die Ideen der Gattungen sind allgemeiner und umfassender als die Ideen der Arten und diesen daher übergeordnet.
Somit konnte die Ideenlehre das Problem des Verhältnisses von Einheit und Vielheit nicht lösen, sondern verlagerte es nur in den intelligiblen Bereich. Die Frage nach dem schlechthin Einen, dem Prinzip der Einheit blieb in den Dialogen Platons unbeantwortet. Die Ableitung der Vielheit aus dieser ursprünglichen Einheit wurde nicht erklärt und plausibel gemacht.[16]
Einheit und Vielheit in der Prinzipienlehre
→ Hauptartikel: Ungeschriebene Lehre
Die Frage der Authentizität der Prinzipienlehre
Möglicherweise war die Einführung der Ideen nur eine Etappe auf Platons Weg von der maximalen Vielheit in der Erscheinungswelt zur größtmöglichen Einheit. Die Frage, ob er die Zurückführung von Vielheit auf Einheit konsequent zum Abschluss gebracht hat, ist in der Forschung seit langem sehr umstritten. Da anscheinend alle Werke, die er veröffentlicht hat, erhalten geblieben sind, kann diese Frage nur bejaht werden, wenn man annimmt, dass er seine Erkenntnisse zu dieser Thematik dem mündlichen Unterricht in seiner Schule, der Akademie, vorbehalten hat. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Hinweisen auf die Existenz von „ungeschriebenen Lehren“ Platons, darunter Angaben des Aristoteles, der diese Bezeichnung verwendet und auch auf den Inhalt eingeht. Obwohl Aristoteles ein langjähriger Schüler Platons war und als solcher am Unterricht in der Akademie teilnahm, wird seine Glaubwürdigkeit von manchen Forschern bestritten.[17]
Die „ungeschriebene Lehre“ wird auch Prinzipienlehre genannt, da sie von den höchsten Prinzipien handelt. Die Forscher, die von ihrer Authentizität ausgehen, haben sich anhand der verstreuten Angaben und Indizien in den Quellen intensiv um die Rekonstruktion bemüht. Dabei zeichnet sich ein relativ geschlossenes Bild von den Grundzügen ab, obwohl viele wichtige Einzelheiten unbekannt oder strittig sind.[18] Falls dieses Bild der Wirklichkeit entspricht, hat Platon die herkömmliche, von den Eleaten nachdrücklich vertretene Überzeugung aufgegeben, wonach das unwandelbare Sein die höchstmögliche Stufe der Vollkommenheit darstellt. Demnach stellte er ein absolut vollkommenes „überseiendes“ Eines noch über den Bereich der seienden Entitäten und wurde damit zum Schöpfer der Henologie. In einem solchen Modell ist alles Seiende als solches in gewisser Hinsicht unvollkommen, da der Übergang vom absolut transzendenten Übersein zum Sein bereits eine Einschränkung der ursprünglichen absoluten Vollkommenheit darstellt.
Die beiden Urprinzipien und ihr Verhältnis
Nach der auf den Quellenzeugnissen fußenden Rekonstruktion soll die Prinzipienlehre die Existenz der Ideen erklären, so wie die Ideenlehre die Existenz der Erscheinungswelt erklären soll.[19] Dabei werden zwei fundamentale Prinzipien angenommen: das Eine als Prinzip der Einheit und Bestimmtheit und die „unbegrenzte“ oder „unbestimmte“ Zweiheit (ahóristos dyás). Die unbestimmte Zweiheit soll Platon als „das Große und das Kleine“ (to méga kai to mikrón) beschrieben haben.[20] Sie erscheint in der Prinzipienlehre als das Prinzip der Verminder- und Vermehrbarkeit, des Zweideutigen und Unbestimmten und der Vielheit. Gemeint ist damit nicht Unbegrenztheit als eine räumliche oder quantitative Unendlichkeit, sondern nur das Fehlen einer Festlegung und damit einer Gestaltung. Auf das Zusammenwirken der beiden Urprinzipien, der letzten Anfangsgründe, wird die Ideenwelt zurückgeführt. Die formgebende Einheit ist die erzeugende Instanz, die formlose unbestimmte Zweiheit dient der Wirksamkeit der Einheit als Substrat. Ohne das Substrat könnte die Einheit nichts hervorbringen. Alles Sein beruht darauf, dass das Eine auf die unbestimmte Zweiheit einwirkt, indem sie dem Formlosen Grenzen setzt, ihm Form und Merkmale verleiht und damit als Individuationsprinzip die einzelnen Entitäten in die Existenz bringt. In allem Seienden liegt eine Mischung der beiden Urprinzipien vor.[21] Je nachdem, ob das eine oder das andere Urprinzip überwiegt, herrscht in den Entitäten Ordnung oder Unordnung vor.[22]
Unklar ist das Verhältnis der beiden Urprinzipien. Sicher ist aber, dass Platon – falls er die Prinzipienlehre tatsächlich vertrat – dem Einen einen höheren Rang zuwies als der unbestimmten Zweiheit[23] und nur das Eine als absolut transzendent betrachtete. Demnach war Platon konsequenter Monist, wie schon die antiken Neuplatoniker annahmen, und vertrat eine Henologie, die im Wesentlichen mit der neuplatonischen übereinstimmt. Die Prinzipienlehre hat aber auch einen dualistischen Aspekt, da auch die unbestimmte Zweiheit als Urprinzip aufgefasst wird. Diesen Aspekt betont der Mailänder Gelehrte Giovanni Reale, der vehement für die Authentizität der Prinzipienlehre eintritt. Er spricht von einer „bipolaren Struktur des Wirklichen“, stellt aber auch fest, dass die Einheit „der Zweiheit hierarchisch überlegen bleibt“.[24]
Das Eine und das Gute
Sehr umstritten ist in der Forschung die Frage, welchen Status Platon der Idee des Guten zugedacht hat.[25] Diese Idee grenzt er scharf von den übrigen Ideen ab. Er weist ihr eine einzigartige Vorrangstellung zu. Nach seiner Lehre verdanken alle anderen Ideen ihr Sein dieser einen Idee. Somit sind sie ihr ontologisch untergeordnet.[26] Die Idee des Guten ist auch das Prinzip der Ordnung; als solches durchdringt sie den gesamten Ideenbereich und verleiht ihm seine Struktur.[27]
Im Dialog Politeia stellt Platon fest, das Gute sei „nicht die Ousia“, sondern „jenseits der Ousia“ und übertreffe sie an Ursprünglichkeit[28] und Macht.[29] Der Begriff Ousia (wörtlich „Seiendheit“) wird gewöhnlich mit „Sein“ oder „Wesen“ übersetzt; bei Platon kommen beide Bedeutungen vor. Diskutiert wird, welche Bedeutung hier vorliegt und wie wörtlich die Aussage gemeint ist.
Wenn mit „Ousia“ nur das Wesen gemeint ist oder die Stelle frei ausgelegt wird, kann die Idee des Guten innerhalb des Ideenbereichs, des Bereichs der seienden Dinge, verortet werden. Das bedeutet, dass sie nicht „seinstranszendent“ oder „überseiend“ ist, ihr also keine absolute Transzendenz zukommt, sondern nur ein Sonderstatus.[30] Zugunsten dieser Deutung lassen sich eine Reihe von Äußerungen Platons anführen, die zeigen, dass er es – zumindest aus einer bestimmten Betrachtungsperspektive – für legitim hielt, das Gute in den Bereich des Seins einzuordnen. Beispielsweise nannte er es „das Seligste des Seienden“ und „das Glänzendste des Seienden“.[31]
Wenn hingegen mit Ousia das Sein gemeint ist und die Stelle wörtlich ausgelegt wird, ist „jenseits der Ousia“ im Sinne von Seinstranszendenz zu verstehen.[32] Dann ist davon auszugehen, dass Platon die Idee des Guten als absolut transzendent betrachtet hat. In diesem Fall hat er die Idee des Guten mit dem Einen identifiziert, denn im Bereich der absoluten Transzendenz kann es keine Bestimmungen und damit auch keine Unterscheidung zweier Prinzipien geben. Die Identitätshypothese vertreten die meisten Forscher, die von der Authentizität der Prinzipienlehre ausgehen. Dabei berufen sie sich auch auf Angaben des Aristoteles.[33]
Das Eine im Dialog Parmenides
Im Dialog Parmenides, der inhaltlich zu den späten Werken zählt, lässt Platon den berühmten Eleaten auftreten. Im Rahmen einer Argumentationsübung untersucht Parmenides die Frage, ob die Hypothese „Das Eine existiert“ oder die Hypothese „Das Eine existiert nicht“ Bestandteil eines widerspruchsfreien Systems sein kann. In beiden Fällen führt die Hypothese zu paradoxen Konsequenzen. Beispielsweise ist weder die Annahme, dass das Eine Teile hat, noch die gegenteilige Annahme stimmig. Das Eine kann weder unveränderlich noch wechselhaft, weder bewegt noch in Ruhe sein; es kann weder sich selbst gleich noch sich selbst ungleich sein und auch nichts anderem gleich oder ungleich sein. Die Hypothese, dass das Eine nicht existiert, führt ebenfalls zu solchen absurden Folgerungen.[34]
Somit führt die Untersuchung in Ausweglosigkeiten. Die Lösung der damit gestellten Aufgaben hat Platon dem Leser überlassen. Was er damit bezweckte und welche Position er selbst vertrat, ist in der Forschung heftig umstritten. Nach der Interpretation von Befürwortern der Authentizität der Prinzipienlehre wollte Platon andeuten, dass ein Ausweg nur gefunden werden könne, wenn man oberhalb der Ideenebene eine Metaebene ansetze. Damit meinte er nach diesem Verständnis die Ebene der beiden Urprinzipien.[35]
Meinungen in Platons Akademie
Platons Schüler und Nachfolger als Leiter (Scholarch) der Akademie, Speusippos, vertrat eine abgewandelte Variante der Platon zugeschriebenen Prinzipienlehre. Er sprach anscheinend nicht von unbestimmter Zweiheit, sondern von Vielheit. Nach den Angaben des Aristoteles verglich Speusippos die beiden höchsten Prinzipien mit Samen, aus denen Pflanzen hervorgehen. So wie der Same keine Pflanze ist und die Merkmale einer Pflanze wie etwa Schönheit nicht aufweist, aber als Ursache der Pflanze die Ursache von deren Merkmalen ist, so verleihen die Prinzipien der Einheit und der Vielheit den Dingen eine Beschaffenheit, die sie selbst nicht aufweisen.[36] Sie sind Prinzipien des Seienden, selbst aber nicht seiend.[37] Nach der aristotelischen Unterscheidung von Akt und Potenz ist das Eine des Speusippos hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem von ihm Hervorgebrachten reine Potenz.[38]
Die Gleichsetzung des Einen mit dem Guten lehnte Speusippos ab. Nach seiner Argumentation liegt das Gute im Nutzen und Ertrag (etwa von Pflanzen und Nutztieren), also im Ziel von etwas und somit nicht in dessen Ursache oder Ursprung. Das Gute kann nicht mit dem Einen zusammenfallen, denn sonst müsste die Vielheit, die den Gegenpol des Einen bildet, das Schlechte an sich sein. Dann müsste alles, woran Vielheit beteiligt ist, also auch die mathematischen Gegebenheiten, in einem gewissen Ausmaß schlecht sein. Von solchen Überlegungen ausgehend trennte Speusippos das Gute und das Eine. Die höchsten Prinzipien hielt er für wertneutral.[39]
Xenokrates, der Nachfolger des Speusippos als Scholarch, formulierte die Lehre von den zwei höchsten Prinzipien in theologischer Sprache. Er identifizierte die Einheit (monás), der er eine Vaterrolle zuwies, mit dem „ersten Gott“ (Zeus), der als König herrsche, und mit dem Nous (Intellekt). Da ein Intellekt Denkinhalte haben muss, ist die monas des Xenokrates offenbar keine undifferenzierte Einheit und nicht absolut transzendent. Als zweite Gottheit betrachtete er die Zweiheit, die er für weiblich hielt.[40]
Da dieses Thema etwas umfangreicher ist, verweisen wir aufg den Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Eine
Schon die vorsokratischen Philosophen beschäftigten sich mit dem Einen als Gegenteil des Vielen. Sie fassten es aber nicht als absolut transzendent auf. Erst im Platonismus entstand die Theorie eines Einen, das die Ursache von allem ist, jede Vorstellung übersteigt und sich einer gedanklichen Erfassung prinzipiell entzieht.
Nach der Platon zugeschriebenen, jedenfalls im 4. Jahrhundert v. Chr. entstandenen „Prinzipienlehre“ ist das Eine das transzendente höchste Prinzip und zusammen mit dem entgegengesetzten Prinzip, der „unbestimmten Zweiheit“, der Grund für die Existenz von allem. In der Forschung ist stark umstritten, ob Platon tatsächlich der Urheber der Prinzipienlehre ist und ob er, wie manche Forscher annehmen, das Eine mit dem Guten gleichgesetzt hat. Später bauten antike Platoniker die Lehre vom Einen stark aus und arbeiteten den Aspekt der absoluten Transzendenz heraus. Die Neuplatoniker machten diese Lehre zu einem Hauptbestandteil ihrer metaphysischen Modelle.
Da das Eine nach der antiken platonischen Tradition absolut transzendent ist, können ihm keine Bestimmungen zugewiesen werden, auch nicht die des Seins. Es ist „überseiend“, das heißt dem Bereich der seienden Dinge übergeordnet. Alles Seiende hat im Einen (Hen) seinen Ursprung. Daher ist das Hen genau genommen nicht Gegenstand der Ontologie, die sich mit dem Sein und dem Seienden befasst; manche Philosophiehistoriker sprechen von „Henologie“ als einer eigenen Disziplin. Die Henologie macht Aussagen über das Verhältnis des Einen zu den seienden Dingen.
Terminologie
Das griechische εἷς, μία, ἕν heis, mia, hen „der, die, das Eine“ hat verschiedene Bedeutungen: Es bezeichnet sowohl die Zahl Eins als auch ein Individuum als solches und ein Ganzes, dessen Teile zu einer Einheit vereinigt sind. In der letzteren Bedeutung beruht die Einheit darauf, dass alle Teile eine Gemeinsamkeit aufweisen, die für ihre Zugehörigkeit zu dem Ganzen konstitutiv ist. Für den philosophischen Sprachgebrauch stehen drei Aspekte im Vordergrund:
die Unteilbarkeit im Sinne der Vorstellung eines Individuums als unteilbare Einheit
die Vereinigung oder Verschmelzung von Elementen zu einer einheitlichen Ganzheit
der Umstand, dass „Eins“ als Zahlwort in der griechischen Philosophie der Mathematik eine besondere, privilegierte Stellung ausdrückt. Die Eins ist das Maß und Prinzip der anderen Zahlen, an dem sie gemessen werden. So betrachtet ist sie selbst keine Zahl, sondern der ganzen Zahlenwelt übergeordnet.
Der Ausdruck „henological“ ist in der Forschungsliteratur schon 1943 bezeugt; der anglo-katholische Theologe Eric Lionel Mascall bezeichnete damit einen Gottesbeweis bei Thomas von Aquin, in dem sich die Einheit Gottes aus der Vielheit der Dinge ergibt. 1948 verwendete Étienne Gilson den Ausdruck énologie zur Bezeichnung des neuplatonischen, auf dem Gedanken des Überseins beruhenden Einheitskonzepts. Dieses Konzept wollte er damit von der christlichen ontologischen Vorstellung eines seienden Gottes, insbesondere von seinem eigenen neuthomistischen Ansatz abgrenzen.[1] Den Fachbegriff „Henologie“ hat aber erst der norwegische Philosophiehistoriker Egil A. Wyller geprägt und definiert. Er führte ihn 1960 ein, um die „Einheitslehre“ von der „Seinslehre“, der Ontologie, abzutrennen. Damit wollte er die fundamentale Unterscheidung zwischen Seiendem und Überseiendem, die von antiken Philosophen betont wurde, auch in der Terminologie der modernen Forschung verankern. Diesen Gegensatz bezeichnete Wyller als „henologische Differenz“. Er zählte alle der platonischen Tradition folgenden idealistischen Lehren von einer absolut transzendenten Einheit zum Gegenstandsbereich der Henologie, also beispielsweise auch das Einheitskonzept von Johann Gottlieb Fichte.[2] Im neueren Sprachgebrauch wird der Begriff „Henologie“ gewöhnlich nicht in diesem umfassenden Sinn, sondern speziell bezogen auf die Einheitslehren antiker Platoniker verwendet.
Vorsokratiker
Den vorsokratischen Philosophen war die Vorstellung eines absolut transzendenten Einen fremd. Sie versuchten aber ein einheitliches Urprinzip zu finden, auf das sich die gesamte Wirklichkeit zurückführen lässt. Damit waren sie Vorläufer der späteren Einheitsmetaphysik. Allerdings unterscheiden sich ihre Lehren von den henologischen dadurch, dass anscheinend keiner von ihnen das Urprinzip oberhalb des Seins verortet hat.
Xenophanes
Xenophanes, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts und im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. tätig war, soll den Anfang gemacht haben. Aristoteles berichtet, Xenophanes sei der erste Denker gewesen, der die Einheit postulierte, und er habe das Eine mit Gott identifiziert.[3] Allerdings habe er sein Konzept nicht erläutert. Aus den erhaltenen Fragmenten der Lehrdichtung des Xenophanes geht hervor, dass er tatsächlich in seiner Auseinandersetzung mit dem Polytheismus der homerischen und hesiodeischen Dichtung ein henotheistisches Modell entwickelt hat. Er ging von einer nicht-anthropomorphen höchsten Gottheit aus und behauptete, dieser „eine Gott“ sei „unter Göttern und Menschen der größte“; er sei unbeweglich, beeinflusse alles mühelos durch sein Denken und sehe, denke und höre „als Ganzer“.[4]
Heraklit
Heraklit (um 520 – um 460 v. Chr.) fasste die Einheit nicht als Gegensatz zu Polarität und Vielheit auf, sondern fand sie gerade in der Verschränkung der Gegensatzpaare. Nach seiner Lehre zeigt sich im Gegensatz zweier Gegenpole die Einheit als Zusammengehörigkeit des Konträren. Die Pole bedingen einander, sind stets ineinander verschlungen und schlagen ineinander um. In einem Heraklit-Fragment ist vom „Einträchtig-Zwieträchtigen“ die Rede, und es wird festgestellt: „Aus allem eines und aus einem alles“.[5] Damit meinte Heraklit, dass sich das Eine aus dem Zusammenwirken von Vielem und Gegensätzlichem konstituiert. Der einigende Grund, der die universale Einheit und Ganzheit des Kosmos ermöglicht, ist der Logos.[6]
Die Eleaten
Die Philosophen der Schule von Elea vertraten eine streng monistische Ontologie. In ihrem Weltbild spielte ein schroffer, unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Sein und Nichtsein eine zentrale Rolle. Parmenides, der erste und bekannteste Vertreter dieser Richtung, formulierte seine Lehre in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Für ihn war das Seiende „eines“ im Sinne einer unteilbaren Einheit und das einzige wirklich Existierende. Er betrachtete das Seiende als die Ganzheit, die alles andere ausschließt. Das Seiende ist notwendigerweise unentstanden und daher unvergänglich. Als Ganzheit leidet es keinen Mangel, ist zeitlos vollkommen und daher keiner Veränderung unterworfen. Nur Unveränderliches kann als wirklich seiend betrachtet werden. Alles Veränderliche und Vergängliche ordnete Parmenides dem Bereich des Nichtseienden zu, der trügerischen Scheinwelt der doxa (Meinung im Gegensatz zu Wahrheitsbesitz). In Wirklichkeit existiere diese Scheinwelt gar nicht. Den Bereich des Seienden betrachtete er als undifferenziert, in sich geschlossen, räumlich ausgedehnt und wegen des Ausschlusses von Veränderung unbeweglich; er verglich ihn mit einer Kugel. Die Einheit des so aufgefassten eleatischen Seins weist Übereinstimmungen mit der Einheit des unräumlichen und überseienden henologischen Einen des Platonismus auf, unterscheidet sich aber auch grundlegend von ihr. Eine Gemeinsamkeit besteht darin, dass das Eine des Parmenides ebenso wie dasjenige der Platoniker der Sinneswahrnehmung prinzipiell entzogen ist.[7]
Während bei Parmenides der Begriff des Einen nur als Prädikat belegt ist, machten die Eleaten Zenon von Elea und Melissos Aussagen über das Eine als Subjekt.[8] Melissos hielt das eine Seiende für unkörperlich, unbeweglich, homogen und für räumlich und zeitlich grenzenlos.[9] Zenon, ein Schüler des Parmenides, versuchte zu beweisen, dass die Annahme einer Vielheit verschiedener Entitäten zu paradoxen Konsequenzen führe und daher falsch sein müsse. Somit sei die Vielheit nichtseiend und es könne nur das Eine geben. Dieses müsse unbewegt sein, denn die Annahme von Bewegung führe ebenso wie die von Vielheit zu unmöglichen Konsequenzen.[10]
Die frühen Pythagoreer
Die frühen Pythagoreer hielten das Eine nicht für den transzendenten, absolut einheitlichen Ursprung des Seins, sondern sahen darin etwas aus Unbegrenztem und Begrenzendem Gemischtes und damit Abgeleitetes. Das Eine war für sie ein im Kosmos immanentes Mischungsprodukt.[11]
Der erste Pythagoreer, von dem bekannt ist, dass er das Eine von einem philosophischen Standpunkt aus betrachtete, war Philolaos, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte. Seine Theorie ähnelt der Prinzipienlehre der Platoniker insofern, als er die gesamte Wirklichkeit – den Kosmos im Ganzen und alle Einzeldinge – auf das Zusammenwirken eines einzigen Gegensatzpaars zurückführte. Sein Denken kreiste um den Gegensatz zwischen den unbegrenzten Gegebenheiten (ápeira) und den grenzbildenden Faktoren (peraínonta). Aus der Verbindung von Unbegrenztem und Begrenzendem geht nach seiner Lehre alles hervor, wobei die Harmonie als dritter Faktor für das Zusammenwirken der beiden Gegenpole sorgt. Dank den Begrenzungen sind die Dinge mathematisch erfassbar.
Im Unterschied zur idealistischen Denkweise der Platoniker meinte Philolaos aber nicht abstrakte Prinzipien wie Unendlichkeit und Endlichkeit, sondern es ging ihm um die in Zahlen ausdrückbare Struktur des sinnlich Wahrnehmbaren. Diese Struktur der Sinnesobjekte deutete er als das Resultat der Einwirkung der begrenzenden Faktoren auf das Unbegrenzte. Das Eine bezeichnete er als das „erste Zusammengefügte“, das „in der Mitte der Kugel“ sei und „Herd“ genannt werde. Damit meinte er das Zentralfeuer, das nach der pythagoreischen Kosmologie den Mittelpunkt des Universums bildet.[12] Wie die Bezeichnung des Feuers als „Eines“ zu deuten ist, darüber gehen in der Forschung die Meinungen auseinander.[13]
Bei Philolaos ist keines der beiden obersten Prinzipien aus dem anderen ableitbar. Somit ist sein System dualistisch. Darin besteht ein grundlegender Unterschied zu den monistischen henologischen Systemen der Platoniker, in denen dem Einen ein absoluter Vorrang zukommt.[14]
Platon
Platon (428/427–348/347 v. Chr.) kannte und verwertete das Gedankengut der Eleaten und der Pythagoreer, schlug aber einen völlig neuen Weg ein. Wie schon vorsokratische Denker setzte er sich mit dem Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit auseinander und suchte nach einem einfachen Ursprung der Vielfalt und Komplexität. Dabei folgte er dem Grundsatz, dass das Einheitliche, Einfache und Allgemeine stets der Grund für das Dasein, die Beschaffenheit und die Erkennbarkeit des Mannigfaltigen, Komplexen und Besonderen sein muss. Zu jeder Menge von Elementen, die eine Gemeinsamkeit aufweisen, muss es etwas Einheitsstiftendes geben, auf dem die Gemeinsamkeit – das Einheitliche der Menge – beruht. Dieser einheitsstiftende Faktor kann für jede Gemeinsamkeit nur einer sein, und er kann nicht nur vorgestellt sein, sondern muss real existieren. Dies wird das Prinzip des Einen über Vielem genannt (griechisch hen epi pollṓn, in der Forschungsliteratur „one over many“).[15]
Einheit und Vielheit in der Ideenlehre
→ Hauptartikel: Ideenlehre
Wie die Eleaten ging Platon von einem fundamentalen Gegensatz zwischen dem vollkommenen, unwandelbaren Seienden und den ständiger Veränderung unterworfenen Sinnesobjekten aus. Er teilte auch die eleatische Überzeugung von der Unzuverlässigkeit aller auf Sinneswahrnehmung basierenden Annahmen. Im Gegensatz zu den Eleaten unterschied er aber nicht zwischen einem einheitlichen, undifferenzierten Seienden als einziger Realität und einer absolut nichtseienden Vielheit der illusionären Sinnesobjekte. Er sprach den unbeständigen Dingen, die sinnlich wahrgenommen werden, nicht die Existenz ab, sondern billigte ihnen ein bedingtes und unvollkommenes Sein zu und unterschied dieses vom eigentlichen Sein des Unveränderlichen. Das Sein im eigentlichen Sinne wies er in seiner Ideenlehre den später so genannten „platonischen Ideen“ zu.
Eine fundamentale und folgenreiche Neuerung war, dass Platon den Bereich des vollkommenen Seins der Ideen für transzendent erklärte. Er behauptete, dieser Bereich existiere als objektive metaphysische Realität, unabhängig von den Objekten der Sinneserfahrung, von Raum und Zeit und auch unabhängig von den Vorstellungen im menschlichen Geist. Der Ideenbereich sei zwar der sinnlichen Wahrnehmung völlig entzogen, aber dem Denken zugänglich (intelligibel).
Die Ideenlehre bot Platon eine Erklärung für die Existenz der Sinnesobjekte. Er deutete die veränderlichen Dinge als Abbilder der ewigen, transzendenten, nur geistig erfassbaren Ideen und damit als deren Erzeugnisse. Dadurch reduzierte er die Mannigfaltigkeit der materiellen Erscheinungswelt auf die ihr zugrunde liegenden einfachen, allgemeinen Prinzipien. Auf diesem Weg vom Besonderen und Individuellen zum Allgemeinen ging er von der größten Vielheit aus und bewegte sich in Richtung der Einheit. Dabei hob er aber im Gegensatz zu den Eleaten das Vielheitsprinzip nicht auf, sondern übertrug es in den Bereich des unwandelbaren Seins, wo es die Eleaten nicht geduldet hatten. Auch im Reich der platonischen Ideen herrscht Vielfalt, da jedem Begriff eine Idee entspricht, und unter den Ideen besteht eine hierarchische Ordnung. Die Ideen der Gattungen sind allgemeiner und umfassender als die Ideen der Arten und diesen daher übergeordnet.
Somit konnte die Ideenlehre das Problem des Verhältnisses von Einheit und Vielheit nicht lösen, sondern verlagerte es nur in den intelligiblen Bereich. Die Frage nach dem schlechthin Einen, dem Prinzip der Einheit blieb in den Dialogen Platons unbeantwortet. Die Ableitung der Vielheit aus dieser ursprünglichen Einheit wurde nicht erklärt und plausibel gemacht.[16]
Einheit und Vielheit in der Prinzipienlehre
→ Hauptartikel: Ungeschriebene Lehre
Die Frage der Authentizität der Prinzipienlehre
Möglicherweise war die Einführung der Ideen nur eine Etappe auf Platons Weg von der maximalen Vielheit in der Erscheinungswelt zur größtmöglichen Einheit. Die Frage, ob er die Zurückführung von Vielheit auf Einheit konsequent zum Abschluss gebracht hat, ist in der Forschung seit langem sehr umstritten. Da anscheinend alle Werke, die er veröffentlicht hat, erhalten geblieben sind, kann diese Frage nur bejaht werden, wenn man annimmt, dass er seine Erkenntnisse zu dieser Thematik dem mündlichen Unterricht in seiner Schule, der Akademie, vorbehalten hat. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Hinweisen auf die Existenz von „ungeschriebenen Lehren“ Platons, darunter Angaben des Aristoteles, der diese Bezeichnung verwendet und auch auf den Inhalt eingeht. Obwohl Aristoteles ein langjähriger Schüler Platons war und als solcher am Unterricht in der Akademie teilnahm, wird seine Glaubwürdigkeit von manchen Forschern bestritten.[17]
Die „ungeschriebene Lehre“ wird auch Prinzipienlehre genannt, da sie von den höchsten Prinzipien handelt. Die Forscher, die von ihrer Authentizität ausgehen, haben sich anhand der verstreuten Angaben und Indizien in den Quellen intensiv um die Rekonstruktion bemüht. Dabei zeichnet sich ein relativ geschlossenes Bild von den Grundzügen ab, obwohl viele wichtige Einzelheiten unbekannt oder strittig sind.[18] Falls dieses Bild der Wirklichkeit entspricht, hat Platon die herkömmliche, von den Eleaten nachdrücklich vertretene Überzeugung aufgegeben, wonach das unwandelbare Sein die höchstmögliche Stufe der Vollkommenheit darstellt. Demnach stellte er ein absolut vollkommenes „überseiendes“ Eines noch über den Bereich der seienden Entitäten und wurde damit zum Schöpfer der Henologie. In einem solchen Modell ist alles Seiende als solches in gewisser Hinsicht unvollkommen, da der Übergang vom absolut transzendenten Übersein zum Sein bereits eine Einschränkung der ursprünglichen absoluten Vollkommenheit darstellt.
Die beiden Urprinzipien und ihr Verhältnis
Nach der auf den Quellenzeugnissen fußenden Rekonstruktion soll die Prinzipienlehre die Existenz der Ideen erklären, so wie die Ideenlehre die Existenz der Erscheinungswelt erklären soll.[19] Dabei werden zwei fundamentale Prinzipien angenommen: das Eine als Prinzip der Einheit und Bestimmtheit und die „unbegrenzte“ oder „unbestimmte“ Zweiheit (ahóristos dyás). Die unbestimmte Zweiheit soll Platon als „das Große und das Kleine“ (to méga kai to mikrón) beschrieben haben.[20] Sie erscheint in der Prinzipienlehre als das Prinzip der Verminder- und Vermehrbarkeit, des Zweideutigen und Unbestimmten und der Vielheit. Gemeint ist damit nicht Unbegrenztheit als eine räumliche oder quantitative Unendlichkeit, sondern nur das Fehlen einer Festlegung und damit einer Gestaltung. Auf das Zusammenwirken der beiden Urprinzipien, der letzten Anfangsgründe, wird die Ideenwelt zurückgeführt. Die formgebende Einheit ist die erzeugende Instanz, die formlose unbestimmte Zweiheit dient der Wirksamkeit der Einheit als Substrat. Ohne das Substrat könnte die Einheit nichts hervorbringen. Alles Sein beruht darauf, dass das Eine auf die unbestimmte Zweiheit einwirkt, indem sie dem Formlosen Grenzen setzt, ihm Form und Merkmale verleiht und damit als Individuationsprinzip die einzelnen Entitäten in die Existenz bringt. In allem Seienden liegt eine Mischung der beiden Urprinzipien vor.[21] Je nachdem, ob das eine oder das andere Urprinzip überwiegt, herrscht in den Entitäten Ordnung oder Unordnung vor.[22]
Unklar ist das Verhältnis der beiden Urprinzipien. Sicher ist aber, dass Platon – falls er die Prinzipienlehre tatsächlich vertrat – dem Einen einen höheren Rang zuwies als der unbestimmten Zweiheit[23] und nur das Eine als absolut transzendent betrachtete. Demnach war Platon konsequenter Monist, wie schon die antiken Neuplatoniker annahmen, und vertrat eine Henologie, die im Wesentlichen mit der neuplatonischen übereinstimmt. Die Prinzipienlehre hat aber auch einen dualistischen Aspekt, da auch die unbestimmte Zweiheit als Urprinzip aufgefasst wird. Diesen Aspekt betont der Mailänder Gelehrte Giovanni Reale, der vehement für die Authentizität der Prinzipienlehre eintritt. Er spricht von einer „bipolaren Struktur des Wirklichen“, stellt aber auch fest, dass die Einheit „der Zweiheit hierarchisch überlegen bleibt“.[24]
Das Eine und das Gute
Sehr umstritten ist in der Forschung die Frage, welchen Status Platon der Idee des Guten zugedacht hat.[25] Diese Idee grenzt er scharf von den übrigen Ideen ab. Er weist ihr eine einzigartige Vorrangstellung zu. Nach seiner Lehre verdanken alle anderen Ideen ihr Sein dieser einen Idee. Somit sind sie ihr ontologisch untergeordnet.[26] Die Idee des Guten ist auch das Prinzip der Ordnung; als solches durchdringt sie den gesamten Ideenbereich und verleiht ihm seine Struktur.[27]
Im Dialog Politeia stellt Platon fest, das Gute sei „nicht die Ousia“, sondern „jenseits der Ousia“ und übertreffe sie an Ursprünglichkeit[28] und Macht.[29] Der Begriff Ousia (wörtlich „Seiendheit“) wird gewöhnlich mit „Sein“ oder „Wesen“ übersetzt; bei Platon kommen beide Bedeutungen vor. Diskutiert wird, welche Bedeutung hier vorliegt und wie wörtlich die Aussage gemeint ist.
Wenn mit „Ousia“ nur das Wesen gemeint ist oder die Stelle frei ausgelegt wird, kann die Idee des Guten innerhalb des Ideenbereichs, des Bereichs der seienden Dinge, verortet werden. Das bedeutet, dass sie nicht „seinstranszendent“ oder „überseiend“ ist, ihr also keine absolute Transzendenz zukommt, sondern nur ein Sonderstatus.[30] Zugunsten dieser Deutung lassen sich eine Reihe von Äußerungen Platons anführen, die zeigen, dass er es – zumindest aus einer bestimmten Betrachtungsperspektive – für legitim hielt, das Gute in den Bereich des Seins einzuordnen. Beispielsweise nannte er es „das Seligste des Seienden“ und „das Glänzendste des Seienden“.[31]
Wenn hingegen mit Ousia das Sein gemeint ist und die Stelle wörtlich ausgelegt wird, ist „jenseits der Ousia“ im Sinne von Seinstranszendenz zu verstehen.[32] Dann ist davon auszugehen, dass Platon die Idee des Guten als absolut transzendent betrachtet hat. In diesem Fall hat er die Idee des Guten mit dem Einen identifiziert, denn im Bereich der absoluten Transzendenz kann es keine Bestimmungen und damit auch keine Unterscheidung zweier Prinzipien geben. Die Identitätshypothese vertreten die meisten Forscher, die von der Authentizität der Prinzipienlehre ausgehen. Dabei berufen sie sich auch auf Angaben des Aristoteles.[33]
Das Eine im Dialog Parmenides
Im Dialog Parmenides, der inhaltlich zu den späten Werken zählt, lässt Platon den berühmten Eleaten auftreten. Im Rahmen einer Argumentationsübung untersucht Parmenides die Frage, ob die Hypothese „Das Eine existiert“ oder die Hypothese „Das Eine existiert nicht“ Bestandteil eines widerspruchsfreien Systems sein kann. In beiden Fällen führt die Hypothese zu paradoxen Konsequenzen. Beispielsweise ist weder die Annahme, dass das Eine Teile hat, noch die gegenteilige Annahme stimmig. Das Eine kann weder unveränderlich noch wechselhaft, weder bewegt noch in Ruhe sein; es kann weder sich selbst gleich noch sich selbst ungleich sein und auch nichts anderem gleich oder ungleich sein. Die Hypothese, dass das Eine nicht existiert, führt ebenfalls zu solchen absurden Folgerungen.[34]
Somit führt die Untersuchung in Ausweglosigkeiten. Die Lösung der damit gestellten Aufgaben hat Platon dem Leser überlassen. Was er damit bezweckte und welche Position er selbst vertrat, ist in der Forschung heftig umstritten. Nach der Interpretation von Befürwortern der Authentizität der Prinzipienlehre wollte Platon andeuten, dass ein Ausweg nur gefunden werden könne, wenn man oberhalb der Ideenebene eine Metaebene ansetze. Damit meinte er nach diesem Verständnis die Ebene der beiden Urprinzipien.[35]
Meinungen in Platons Akademie
Platons Schüler und Nachfolger als Leiter (Scholarch) der Akademie, Speusippos, vertrat eine abgewandelte Variante der Platon zugeschriebenen Prinzipienlehre. Er sprach anscheinend nicht von unbestimmter Zweiheit, sondern von Vielheit. Nach den Angaben des Aristoteles verglich Speusippos die beiden höchsten Prinzipien mit Samen, aus denen Pflanzen hervorgehen. So wie der Same keine Pflanze ist und die Merkmale einer Pflanze wie etwa Schönheit nicht aufweist, aber als Ursache der Pflanze die Ursache von deren Merkmalen ist, so verleihen die Prinzipien der Einheit und der Vielheit den Dingen eine Beschaffenheit, die sie selbst nicht aufweisen.[36] Sie sind Prinzipien des Seienden, selbst aber nicht seiend.[37] Nach der aristotelischen Unterscheidung von Akt und Potenz ist das Eine des Speusippos hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem von ihm Hervorgebrachten reine Potenz.[38]
Die Gleichsetzung des Einen mit dem Guten lehnte Speusippos ab. Nach seiner Argumentation liegt das Gute im Nutzen und Ertrag (etwa von Pflanzen und Nutztieren), also im Ziel von etwas und somit nicht in dessen Ursache oder Ursprung. Das Gute kann nicht mit dem Einen zusammenfallen, denn sonst müsste die Vielheit, die den Gegenpol des Einen bildet, das Schlechte an sich sein. Dann müsste alles, woran Vielheit beteiligt ist, also auch die mathematischen Gegebenheiten, in einem gewissen Ausmaß schlecht sein. Von solchen Überlegungen ausgehend trennte Speusippos das Gute und das Eine. Die höchsten Prinzipien hielt er für wertneutral.[39]
Xenokrates, der Nachfolger des Speusippos als Scholarch, formulierte die Lehre von den zwei höchsten Prinzipien in theologischer Sprache. Er identifizierte die Einheit (monás), der er eine Vaterrolle zuwies, mit dem „ersten Gott“ (Zeus), der als König herrsche, und mit dem Nous (Intellekt). Da ein Intellekt Denkinhalte haben muss, ist die monas des Xenokrates offenbar keine undifferenzierte Einheit und nicht absolut transzendent. Als zweite Gottheit betrachtete er die Zweiheit, die er für weiblich hielt.[40]
Da dieses Thema etwas umfangreicher ist, verweisen wir aufg den Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Eine
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