Mata Hari oder H21
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Mata Hari oder H21
Mata Hari (javanisch: Auge des Tages = Sonne) war der Künstlername der niederländischen Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle (* 7. August 1876 in Leeuwarden; † 15. Oktober 1917 in Vincennes, Frankreich). Während ihrer Ehe verwendete sie auch die Namen Marguerite Campbell und Lady Gretha MacLeod. Als Spionin für den deutschen Geheimdienst führte sie den Decknamen H 21.
Mata Hari (1906)
Mata Hari war in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges als exotische Nackttänzerin und exzentrische Künstlerin berühmt. Daneben gilt sie heute als bekannteste Spionin aller Zeiten.[1] Sie wurde am 25. Juli 1917 wegen Doppelspionage und Hochverrats von den Richtern eines französischen Militärgerichts zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1917 hingerichtet.
Unklar ist bis heute, ob sie tatsächlich die raffinierte Doppelagentin war, wie in dem Urteil dargestellt – oder ein willkommenes Bauernopfer des französischen Militärgerichts, weil die Kriegsbegeisterung merklich nachließ und ein Sündenbock für die Niederlagen und Verluste hilfreich schien. Dies wird sich, wenn überhaupt, erst 2017 – einhundert Jahre nach ihrem Tod – endgültig klären, wenn die französischen Gerichtsakten geöffnet werden. Dass Mata Hari, vermutlich im Spätherbst 1915, in den Dienst des deutschen Geheimdienstes trat, ist heute unstrittig. Aus den zeitgenössischen Akten des britischen Geheimdienstes MI5, die am 21. Januar 1999 freigegeben wurden und nun im Britischen Nationalarchiv öffentlich zugänglich sind,[2] geht jedoch hervor, dass sie offenbar keine wesentlichen Geheimnisse an die Deutschen verraten hat. Derzeit scheint es, als habe Mata Hari am Ende ihrer Tanzkarriere mit einer kläglich-naiven, bedeutungslosen Informationstätigkeit ihr drohendes Schicksal, als Künstlerin in Vergessenheit zu geraten und unter akuter Geldnot zu leiden, abzuwenden versucht und dabei die Gefährlichkeit ihres Handelns nicht erkannt.[3]
Die deutsche Kriegspropaganda, die den Fall ausschlachtete, bezeichnete sie als „Opfer des französischen Kriegswahns“[4] und läutete mit dem politischen Finale des Idols seine dramatisch-romantische Verklärung ein. Mata Haris abenteuerliches Leben und ihr tragisches Ende stehen bis heute im Mittelpunkt zahlreicher Romane, Theaterstücke und Filme.
Ihre Lebensgeschichte war bislang Stoff für über 250 Bücher und ein Dutzend Filme.[5] Die Quellenlage ist jedoch nach wie vor dünn, basiert doch nur ein Bruchteil dieser Bücher und Filme auf verlässlichen Quellen.
Künstlername
Der Künstlername Mata Hari stammt aus der javanischen Sprache und bedeutet „Sonne“ bzw. wörtlich übersetzt „Auge“ (Mata) des „Tages“ (Hari).[6][7]
Quellenlage
Geertruida Zelle, die spätere Mata Hari
Die Berichte über Leben und Hintergrund der Mata Hari sind so zahlreich wie widersprüchlich. Viele Details aus ihrer Biografie sind bis heute umstritten. Die diversen Versionen ihres Lebenslaufes, aus denen schließlich ein dicht gewobenes Netz aus Sagen und Legenden entstand, sind zum einen darauf zurückzuführen, dass Mata Hari selbst zahlreiche Geschichten erfand, mit denen sie Tatsachen ihres Lebens zu verändern suchte. Andererseits wurden aber auch von ihren Biographen die tatsächlichen Lebensdaten mit willkürlich erfundenen Geschichten, umstrittenen Anekdoten und einseitigen Darstellungen der Spionagevorwürfe vermischt und oft genug als „authentisches Quellenmaterial“ dargestellt. Der Erfindungsreichtum manches Autors stand Mata Haris eigenem Reichtum an Fantasie kaum nach. So schrieb bereits Friedrich Wencker-Wildberg in den Quellennachweisen seiner 1936 erstmals erschienenen Biografie:
„Über Mata Hari hat sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine ziemlich umfangreiche Literatur angesammelt. Unterzieht man die einzelnen Schriften einer kritischen Untersuchung, so bleibt sehr viel Spreu und herzlich wenig Weizen übrig, ja man wundert sich geradezu, dass über eine Frau, die immerhin eine Zeitlang im hellen Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden und Behörden, Presse und Literatur beschäftigt hat, die widerspruchvollsten und unwahrscheinlichsten Geschichten verbreitet wurden …“
– (Friedrich Wencker-Wildberg: Mata Hari. Roman ihres Lebens.)
Hinsichtlich der Recherchen zu Mata Haris Spionagetätigkeit und Kontakt mit den deutschen, britischen und französischen Nachrichtendiensten gilt Sam Waagenaar (1908–1997) unter ihren Biographen als die verlässlichste Quelle. Er arbeitete in den 1930er Jahren für MGM und war an der Recherche zu dem mit Greta Garbo 1930 gedrehten Film Mata Hari beteiligt. Er sprach mit Zeitzeugen und erhielt von dem Dienstmädchen Anna Lintjens zwei Einklebebücher, in denen Mata Hari Fotos und Presseartikel über sich gesammelt und mit Notizen versehen hatte. Drei Jahrzehnte später sichtete Waagenaar das alte Material, recherchierte weiter und schrieb seine erste Biografie, die 1963 erschien; eine zweite, überarbeitete Fassung erschien 1976.[8] In seinem Vorwort zur deutschen Erstausgabe des Buches Mata Hari. Der erste wahre Bericht über die legendäre Spionin behauptet Waagenaar, nur „zwei Außenstehende“ hätten die Akte je gesehen: „Alain Presles, ein französischer Journalist, der durch einen blinden Glückszufall Teile dieser Akte kopieren durfte … und ich.“[9] Diese Übersetzung entsprach seinem ersten Buch über Mata Hari, das in seiner niederländischen Originalfassung den Titel De moord op Mata Hari („Der Mord an Mata Hari“) trägt. Nach weiteren Recherchen legte er 1976 ein zweites Buch vor, das allerdings schon im Titel ein radikal verändertes Bild vermittelte: Mata Hari: niet zo onschuldig („Mata Hari, [doch] nicht so unschuldig“). Die deutsche Fassung trägt den unverfänglichen Titel: Sie nannte sich Mata Hari. Bild eines Lebens, Dokument einer Zeit.
Solange – siehe oben – die französischen Gerichtsakten noch unzugänglich sind, müsste eigentlich den Informationen direkter Augenzeugen und Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Das älteste Quellenwerk stellen dabei die von Mata Haris Vater Adam Zelle herausgegebenen „Memoiren“ dar: Mata-Hari – Mevr. M.G. Mac Leod-Zelle. De levensgeschiedenis mijner dochter en mijne grieven tegen haar vroegeren echtgenoot. Met portretten, documenten, fac-simile’s en bijlagen („Mata Hari – Frau M.G. Mac Leod-Zelle. Die Lebensgeschichte meiner Tochter und meine Verärgerung über ihren früheren Ehemann. Mit Porträts, Dokumenten, Faksimiles und Beilagen“), erstmals 1907 bei Veldt, Amsterdam, erschienen.[10] Dabei handelt es sich indes um ein einseitiges Plädoyer eines sicherlich liebenden, aber ebenfalls mit blühender Fantasie ausgestatteten Vaters für seine Tochter und gegen deren Ehemann, dem sämtliche Schuld an der unglücklichen Ehe aufgebürdet werden soll. Das Buch enthält gefälschte Dokumente zu einer frei erfundenen Ahnenreihe, die die Abstammung der westfriesischen Familie von den Welfenherzögen des Hauses Braunschweig-Lüneburg-Celle und damit die Verwandtschaft zu den meisten europäischen Herrscherhäusern „nachweist“, so dass die dortigen Informationen insgesamt mit höchster Vorsicht zu genießen sind.[11]
Als Gegenschrift auf diese Versuche des Vaters, der Tochter zu helfen, galt lange Zeit der niederländische Autor und Dichter Gerrit Hendrik Priem (1865–1933)[12] mit seiner Schrift von 1907 De naakte Waarheid omtrent Mata Hari („Die nackte Wahrheit über Mata Hari“), die angeblich nach einem überraschenden und völlig ehrlichen Interview des Autors mit Mata Hari zustande gekommen sein soll. Heute sind sich die Forscher hingegen einig, dass dieses Interview fingiert und frei erfunden war.[13]
Ein direkter Augenzeuge, ja maßgeblicher Beteiligter, war der französische Nachrichtenoffizier Georges Ladoux (1875–1933), der im August 1914 vom Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte, General Joseph Joffre, zum Leiter der Presse- und Telegrammzensur des Kriegsministeriums bestimmt wurde und später die von ihm selbst gegründeten Abwehrabteilung des Pariser Kriegsministeriums leitete. Nach Kriegsende verfasste der journalistisch erfahrene Ladoux mehrere Bücher über seine Weltkriegserfahrungen sowie seine Sicht der Dinge in der Affäre Mata Hari, die indes „durch einen hohen fiktionalen Anteil und ein starkes Rechtfertigungsbedürfnis gekennzeichnet“[14] waren und daher ebenfalls nicht als verlässliche Quelle angesehen werden können.
Da aus all diesen Gründen ein Großteil der zur Verfügung stehenden Informationen äußerst problematisch ist, sind die im vorliegenden Artikel dargestellten Informationen, wenn nicht anders erwähnt, mit den Daten des Gemeindearchivs Leeuwarden, des Historisch Centrum Leeuwarden, des Leeuwarder Fries Museum und der offiziellen Biografie des Instituut voor Nederlandse Geschiedenis (Institut für niederländische Geschichte) abgeglichen und entsprechen – soweit veröffentlicht – den aktuellen Erkenntnissen der Leeuwarder Mata-Hari-Arbeitsgruppe.
Frühe Jahre
Kindheit und Jugend
Margaretha Geertruida Zelle wurde 1876 als Erstgeborene und einzige Tochter des Hutmachers Adam Zelle (1840–1910) und seiner Frau Antje van der Meulen (1842–1891) in Leeuwarden, der Hauptstadt der niederländischen Provinz Friesland, geboren. Ihre Mutter hatte javanische Wurzeln. Sie hatte drei jüngere Brüder, Johannes Henderikus (1878–1936), sowie die Zwillinge Ari Anne (1881–1955) und Cornelis Coenrad (1881–1956).
Greet, wie sie in der Kindheit auch gerufen wurde (was ihr indes nicht gefiel – sie bestand auf ihrem vollen Namen, gestattete höchstens den Rufnamen M’greet)[15], besuchte zunächst die Leeuwarder Gemeindeschule Hofschooltje am Raadhuisplein (Rathausplatz) und ab September 1890 die Middelbare Meisjes School an der Grote Kerkstraat (Große Kirchstraße), wo sie aber nur unregelmäßig und mit schlechten Noten teilnahm. In einem dem Leeuwarder Gemeindearchiv vorliegenden Schulzeugnis ist dann auch die Bemerkung „Is denkelijk vertrokken!“ (ist vermutlich verzogen) enthalten.[16]
Ihr Vater Adam Zelle, der ein Hutgeschäft in Kelders H23 (heute Kelders 33) in der Innenstadt Leeuwardens betrieb, war im Ort als Aufschneider und Verschwender bekannt, der sich gerne „Baron“ nennen ließ, obgleich er nicht adliger Abstammung war. Auch Mata Hari verfolgte den Wunsch, einen adligen Namen zu führen, später weiter: 1908 reichte sie an das Kabinett der Königin der Niederlande Wilhelmina die Eingabe um Änderung ihres Familiennamens Zelle-MacLeod in „van Zelle van Ahlden“. Als der Antrag abgewiesen wurde, änderte sie ihr Gesuch – nun persönlich an die Königin gerichtet – und wünschte, den Familiennamen „van Slooten Zelle“ zu tragen. Doch auch dieser Antrag wurde abschlägig beschieden. Der entsprechende Schriftwechsel wurde erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und befindet sich seit 2007 im Fries Museum.[17]
Eine erfolgreiche Börsenspekulation ermöglichte Margarethas Vater, auf vergleichsweise großem Fuß zu leben. 1883 erwarb er ein altes Patrizierhaus in der Grote Kerkstraat 28, das damals größte Haus am Platz. Sie erhielt zu ihrem sechsten Geburtstag von ihm eine Kutsche, die von Ziegen gezogen wurde. Noch 50 Jahre später sprach man in Leeuwarden von dem „kleinen Mädchen mit der dunklen Haut, den mandelförmigen Augen und dem schwarzen Haar auf dem Leiterwägelchen“.[18] Wie eine orientalische Prinzessin habe sie ausgesehen.
Die finanzielle Sorglosigkeit der Familie sollte allerdings nicht lange anhalten. Anfang 1889 musste der Vater aufgrund von dieses Mal verlustreichen Spekulationen Insolvenz anmelden und das geräumige und luxuriöse Stadtpalais gegen eine Wohnung im ersten Stock an der Willemskade 30 eintauschen. Damit war das bis dahin beträchtliche Ansehen des Hutmachers in dem damals erst rund 27.000 Einwohner[19] zählenden Leeuwarden verloren, und auch seine Ehe war am Ende.
Im September 1890 vereinbarten die Eheleute „Trennung von Bett und Tisch“ und im März 1891 zog der Vater nach Amsterdam, wo er eine Tätigkeit als Handelsreisender annahm. Zu einer offiziellen Ehescheidung kam es nicht, da Antje Zelle am 9. Mai 1891 an Tuberkulose verstarb.[20] Während der Vater die Zwillinge Ari und Cornelis nach dem Tod der Mutter zu sich nach Amsterdam nahm, wo er recht schnell wieder heiratete und vom Geld seiner zweiten Frau einem wenig ertragreichen Kleinhandel mit Petroleum nachging, kamen Tochter Margaretha und Sohn Johannes zu unterschiedlichen Familienmitgliedern.
Die Großmutter mütterlicherseits nahm sich der Kinder an und zahlte auch für deren Erziehung.[21] Margaretha kam in das Haus ihres Patenonkels, eines Herrn Visser in Sneek, der mit einer Schwester von Adam Zelle verheiratet war. Dieser schickte sie nach Leiden, um sie zur Kindergärtnerin ausbilden zu lassen – ein Beruf, für den sie sich selbst allerdings, genauso wie ihre Freunde und Bekannte, als ganz ungeeignet ansah.[22] Tatsächlich brach sie die Ausbildung nach kurzer Zeit ab. Die Gründe dafür werden sehr unterschiedlich vermittelt: Weder im Leeuwaarder Gemeindearchiv noch in der offiziellen Biografie des Instituts für niederländische Geschichte werden dazu Informationen gegeben, während Boulevardpublikationen ein Verhältnis des Direktors der Schule, Wybrandus Haanstra (1841–1925), mit der 15-Jährigen als Grund ausmachen und abwechselnd von Vergewaltigung, Verführung oder einer einverständlichen Beziehung eines alternden Mannes mit einem einsamen Mädchen sprechen, die öffentliches Ärgernis ausgelöst habe, so dass sie die Schule verlassen musste. Waagenaar schreibt zu dem Thema lediglich: „In Leiden verliebte sich der Leiter der Schule, Herr Wybrandus Haanstra in sie. Wie wäre wohl ihr Leben verlaufen, wenn er sich nicht in sie verliebt hätte?“[23] ohne weitere Umstände zu erläutern. Marijke Huisman schreibt: „Als sie halbnackt auf dem Schoß des Schuldirektors angetroffen wurde, musste sie die Lehranstalt verlassen.“[24] Sicher ist lediglich, dass sie in ihrem 17. Lebensjahr, also 1892/93, zu ihrem „Onkel Taconis“ nach Den Haag ging oder geschickt wurde[25] und Haanstra von dem wie auch immer gearteten Vorfall keinen beruflichen Schaden davontrug. Er blieb Schulleiter und gilt bis heute als veritabler niederländischer Pionier der Erziehung und Ausbildung von Kindern im Vorschulalter.[26]
Ehe und Aufenthalt in Niederländisch-Ostindien
Durch eine Zeitungsannonce in Nieuws van den Dag lernte Margaretha 1895 ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die Anzeige, die ihr Interesse weckte, lautete: Officier met verlof uit Indië[27] zoekt meisje met lief karakter met het doel een huwelijk aan te gaan („Offizier, auf Urlaub aus Indonesien, sucht junge Frau mit liebenswürdigem Charakter zur Eheschließung“).[24] Der niederländische Kolonialoffizier Campbell Rudolph (John) MacLeod (1856–1928) war rund 20 Jahre älter, litt an Rheuma und hatte Diabetes.[28] Trotz des Altersunterschiedes war Margaretha von MacLeods Auftreten angetan.[29]
Am 11. Juli 1895 heiratete die gerade 19-jährige Margaretha Geertruida Zelle John MacLeod. Die Ehe wurde im Rathaus zu Amsterdam geschlossen, und das Paar zog zu Johns Schwester Frida in deren Haus an der Leidsekade, das diese seit dem Tod ihres Mannes allein bewohnte.[30] Die Flitterwochen verbrachten sie in Wiesbaden.[31] Am 30. Januar 1896 – nach damaligen Moralvorstellungen über zwei Monate zu früh – brachte sie Sohn Norman John zur Welt. Andere Quellen nennen den 30. Januar 1897 als Normans Geburtsdatum.
Schnell traten auch die ersten Probleme auf. Die Schwägerinnen verstanden sich nicht, und es kam auch zwischen den Eheleuten immer öfter zum Streit, weil Margaretha, die sich nun Greta oder Gresha rufen ließ, unzufrieden mit ihren Lebensverhältnissen war. Andererseits soll MacLeod einen rauen Charakter gehabt haben und schwierig im Umgang gewesen sein.[30] Die Ehe galt jedenfalls schon in dieser frühen Zeit als wenig harmonisch.
Am 1. Mai 1897 begab sich das Ehepaar an Bord des Dampfers SS Amalia, um nach Batavia – dem heutigen Jakarta – auf Java in der damaligen Kolonie Niederländisch-Indien zu reisen. Ihr Mann wurde in Ambarawa, einem kleinen Ort unweit Semarang, stationiert.[32] Im Dezember desselben Jahres wurde MacLeod zum Major befördert und nach Malang versetzt, wo am 2. Mai 1898 die Tochter Jeanne Louise, genannt Non (malaiisch: Mädchen), geboren wurde.
Malang galt während der Kolonialzeit als die „Côte d’Azur Indonesiens“ und bot entsprechende Vergnügungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Margaretha, die zuvor unter Langeweile und den klimatischen Bedingungen gelitten hatte, blühte auf und beteiligte sich intensiv am kulturellen Leben. Als 1898 anlässlich der Feierlichkeiten zu Königin Wilhelminas Thronbesteigung das Schauspiel Die Kreuzfahrer von August von Kotzebue aufgeführt wurde, durfte Margaretha die Rolle der Königin spielen. Dies war zugleich ihr erster öffentlicher Auftritt.[30][33]
Im März 1899 wurde John MacLeod nach Medan auf Sumatra versetzt. Durch den Umzug war das Paar etwa sieben Monate getrennt. In dieser Zeit kam es auch in ihrem Brief- und Telegrammkontakt zu weiteren Schwierigkeiten und persönlichen Auseinandersetzungen. John MacLeod litt insbesondere seit dem Bühnenauftritt und dem seiner Ansicht nach zu freizügigen Verhalten seiner Frau an Eifersucht, ermahnte sie aber auch immer wieder zu mehr Sparsamkeit; beides beantwortete seine junge Frau mit Trotzreaktionen oder schnippischen Bemerkungen. Die Alters- und Persönlichkeitsunterschiede beider führten zu immer tieferen Problemen. Das Paar entfremdete sich zusehends.[34][35]
Am 28. Juni 1899 starb Söhnchen Norman an den Folgen einer Vergiftung. Die genauen Umstände des Todesfalls blieben ungeklärt. Wenige Wochen nach dem Vorfall enthüllte indes eine an Cholera erkrankte Hausangestellte der Familie auf ihrem Sterbebett, sie habe Normans Essen vergiftet, um sich für die frühere Bestrafung ihres Liebhabers durch McLeod zu rächen. Die kleine Non entging diesem Schicksal – je nach Version – nur durch die schnelle Hilfe eines Arztes[36] oder aufgrund der Tatsache, dass sie von der Mutter noch gestillt wurde.[37]
Im September 1900 wurde Major MacLeod nach 28 Dienstjahren in den Ruhestand versetzt, im Oktober übersiedelte die Familie nach Sindanglaya. Margaretha wollte unbedingt zurück nach Europa, doch John zögerte, da ihm bewusst war, dass seine Pension für ein angemessenes Leben dort nicht ausreichen würde. Die Beziehungsprobleme wurden stärker, die Ehe war völlig zerrüttet.[38] Im März 1902 kehrte das Paar gemeinsam in die Niederlande zurück und musste aus finanziellen Gründen wiederum bei Johns Schwester Frida in Amsterdam unterkommen, wo sie in getrennten Räumen wohnten. Es kam wiederholt zu Versöhnungen, die nach wenigen Wochen wieder in Streit und Trennung umschlugen.[39] Am 30. August 1902 sprach das Amsterdamer Amtsgericht die „Trennung von Tisch und Bett“ aus.[40] John wurde verurteilt, an seine Frau Unterhalt in Höhe von monatlich 100 Gulden zu zahlen. Tochter Non wurde der Mutter zugesprochen, verblieb jedoch einvernehmlich beim Vater, der sich mittlerweile in Velp (heute Gemeinde Grave) niedergelassen und wieder geheiratet hatte.[41]
John kam seiner Unterhaltspflicht Margaretha gegenüber nicht nach, so dass sie gezwungen war, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Im Oktober 1903 reiste sie mit der vagen Vorstellung nach Paris, eine Karriere als Mannequin zu beginnen.[42] Ihre Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht, und um ihre knappen finanziellen Mittel aufzubessern, stand sie Modell für verschiedene Maler. Octave Guillonnet (1872–1967) lehnte sie zunächst als ungeeignet ab, porträtierte sie nach einem Ohnmachtsanfall schließlich aus Mitleid für ein Plakat des Théâtre de la Gaîté.[43] Sein Kollege Gustave Assire (1870–1941) engagierte sie ebenfalls einmalig als Modell.[44] Weitere Aufträge blieben aus, und Margaretha kehrte desillusioniert in die Niederlande zurück. Ein Jahr später versuchte sie erneut, in Paris Fuß zu fassen, und bewarb sich als Reiterin („Amazone“) im damals weltberühmten Cirque Molier. Auch dieser Versuch blieb erfolglos.[41]
Weiteres zu Ihrer geschichte im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mata_Hari
Mata Hari (1906)
Mata Hari war in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges als exotische Nackttänzerin und exzentrische Künstlerin berühmt. Daneben gilt sie heute als bekannteste Spionin aller Zeiten.[1] Sie wurde am 25. Juli 1917 wegen Doppelspionage und Hochverrats von den Richtern eines französischen Militärgerichts zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1917 hingerichtet.
Unklar ist bis heute, ob sie tatsächlich die raffinierte Doppelagentin war, wie in dem Urteil dargestellt – oder ein willkommenes Bauernopfer des französischen Militärgerichts, weil die Kriegsbegeisterung merklich nachließ und ein Sündenbock für die Niederlagen und Verluste hilfreich schien. Dies wird sich, wenn überhaupt, erst 2017 – einhundert Jahre nach ihrem Tod – endgültig klären, wenn die französischen Gerichtsakten geöffnet werden. Dass Mata Hari, vermutlich im Spätherbst 1915, in den Dienst des deutschen Geheimdienstes trat, ist heute unstrittig. Aus den zeitgenössischen Akten des britischen Geheimdienstes MI5, die am 21. Januar 1999 freigegeben wurden und nun im Britischen Nationalarchiv öffentlich zugänglich sind,[2] geht jedoch hervor, dass sie offenbar keine wesentlichen Geheimnisse an die Deutschen verraten hat. Derzeit scheint es, als habe Mata Hari am Ende ihrer Tanzkarriere mit einer kläglich-naiven, bedeutungslosen Informationstätigkeit ihr drohendes Schicksal, als Künstlerin in Vergessenheit zu geraten und unter akuter Geldnot zu leiden, abzuwenden versucht und dabei die Gefährlichkeit ihres Handelns nicht erkannt.[3]
Die deutsche Kriegspropaganda, die den Fall ausschlachtete, bezeichnete sie als „Opfer des französischen Kriegswahns“[4] und läutete mit dem politischen Finale des Idols seine dramatisch-romantische Verklärung ein. Mata Haris abenteuerliches Leben und ihr tragisches Ende stehen bis heute im Mittelpunkt zahlreicher Romane, Theaterstücke und Filme.
Ihre Lebensgeschichte war bislang Stoff für über 250 Bücher und ein Dutzend Filme.[5] Die Quellenlage ist jedoch nach wie vor dünn, basiert doch nur ein Bruchteil dieser Bücher und Filme auf verlässlichen Quellen.
Künstlername
Der Künstlername Mata Hari stammt aus der javanischen Sprache und bedeutet „Sonne“ bzw. wörtlich übersetzt „Auge“ (Mata) des „Tages“ (Hari).[6][7]
Quellenlage
Geertruida Zelle, die spätere Mata Hari
Die Berichte über Leben und Hintergrund der Mata Hari sind so zahlreich wie widersprüchlich. Viele Details aus ihrer Biografie sind bis heute umstritten. Die diversen Versionen ihres Lebenslaufes, aus denen schließlich ein dicht gewobenes Netz aus Sagen und Legenden entstand, sind zum einen darauf zurückzuführen, dass Mata Hari selbst zahlreiche Geschichten erfand, mit denen sie Tatsachen ihres Lebens zu verändern suchte. Andererseits wurden aber auch von ihren Biographen die tatsächlichen Lebensdaten mit willkürlich erfundenen Geschichten, umstrittenen Anekdoten und einseitigen Darstellungen der Spionagevorwürfe vermischt und oft genug als „authentisches Quellenmaterial“ dargestellt. Der Erfindungsreichtum manches Autors stand Mata Haris eigenem Reichtum an Fantasie kaum nach. So schrieb bereits Friedrich Wencker-Wildberg in den Quellennachweisen seiner 1936 erstmals erschienenen Biografie:
„Über Mata Hari hat sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine ziemlich umfangreiche Literatur angesammelt. Unterzieht man die einzelnen Schriften einer kritischen Untersuchung, so bleibt sehr viel Spreu und herzlich wenig Weizen übrig, ja man wundert sich geradezu, dass über eine Frau, die immerhin eine Zeitlang im hellen Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden und Behörden, Presse und Literatur beschäftigt hat, die widerspruchvollsten und unwahrscheinlichsten Geschichten verbreitet wurden …“
– (Friedrich Wencker-Wildberg: Mata Hari. Roman ihres Lebens.)
Hinsichtlich der Recherchen zu Mata Haris Spionagetätigkeit und Kontakt mit den deutschen, britischen und französischen Nachrichtendiensten gilt Sam Waagenaar (1908–1997) unter ihren Biographen als die verlässlichste Quelle. Er arbeitete in den 1930er Jahren für MGM und war an der Recherche zu dem mit Greta Garbo 1930 gedrehten Film Mata Hari beteiligt. Er sprach mit Zeitzeugen und erhielt von dem Dienstmädchen Anna Lintjens zwei Einklebebücher, in denen Mata Hari Fotos und Presseartikel über sich gesammelt und mit Notizen versehen hatte. Drei Jahrzehnte später sichtete Waagenaar das alte Material, recherchierte weiter und schrieb seine erste Biografie, die 1963 erschien; eine zweite, überarbeitete Fassung erschien 1976.[8] In seinem Vorwort zur deutschen Erstausgabe des Buches Mata Hari. Der erste wahre Bericht über die legendäre Spionin behauptet Waagenaar, nur „zwei Außenstehende“ hätten die Akte je gesehen: „Alain Presles, ein französischer Journalist, der durch einen blinden Glückszufall Teile dieser Akte kopieren durfte … und ich.“[9] Diese Übersetzung entsprach seinem ersten Buch über Mata Hari, das in seiner niederländischen Originalfassung den Titel De moord op Mata Hari („Der Mord an Mata Hari“) trägt. Nach weiteren Recherchen legte er 1976 ein zweites Buch vor, das allerdings schon im Titel ein radikal verändertes Bild vermittelte: Mata Hari: niet zo onschuldig („Mata Hari, [doch] nicht so unschuldig“). Die deutsche Fassung trägt den unverfänglichen Titel: Sie nannte sich Mata Hari. Bild eines Lebens, Dokument einer Zeit.
Solange – siehe oben – die französischen Gerichtsakten noch unzugänglich sind, müsste eigentlich den Informationen direkter Augenzeugen und Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Das älteste Quellenwerk stellen dabei die von Mata Haris Vater Adam Zelle herausgegebenen „Memoiren“ dar: Mata-Hari – Mevr. M.G. Mac Leod-Zelle. De levensgeschiedenis mijner dochter en mijne grieven tegen haar vroegeren echtgenoot. Met portretten, documenten, fac-simile’s en bijlagen („Mata Hari – Frau M.G. Mac Leod-Zelle. Die Lebensgeschichte meiner Tochter und meine Verärgerung über ihren früheren Ehemann. Mit Porträts, Dokumenten, Faksimiles und Beilagen“), erstmals 1907 bei Veldt, Amsterdam, erschienen.[10] Dabei handelt es sich indes um ein einseitiges Plädoyer eines sicherlich liebenden, aber ebenfalls mit blühender Fantasie ausgestatteten Vaters für seine Tochter und gegen deren Ehemann, dem sämtliche Schuld an der unglücklichen Ehe aufgebürdet werden soll. Das Buch enthält gefälschte Dokumente zu einer frei erfundenen Ahnenreihe, die die Abstammung der westfriesischen Familie von den Welfenherzögen des Hauses Braunschweig-Lüneburg-Celle und damit die Verwandtschaft zu den meisten europäischen Herrscherhäusern „nachweist“, so dass die dortigen Informationen insgesamt mit höchster Vorsicht zu genießen sind.[11]
Als Gegenschrift auf diese Versuche des Vaters, der Tochter zu helfen, galt lange Zeit der niederländische Autor und Dichter Gerrit Hendrik Priem (1865–1933)[12] mit seiner Schrift von 1907 De naakte Waarheid omtrent Mata Hari („Die nackte Wahrheit über Mata Hari“), die angeblich nach einem überraschenden und völlig ehrlichen Interview des Autors mit Mata Hari zustande gekommen sein soll. Heute sind sich die Forscher hingegen einig, dass dieses Interview fingiert und frei erfunden war.[13]
Ein direkter Augenzeuge, ja maßgeblicher Beteiligter, war der französische Nachrichtenoffizier Georges Ladoux (1875–1933), der im August 1914 vom Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte, General Joseph Joffre, zum Leiter der Presse- und Telegrammzensur des Kriegsministeriums bestimmt wurde und später die von ihm selbst gegründeten Abwehrabteilung des Pariser Kriegsministeriums leitete. Nach Kriegsende verfasste der journalistisch erfahrene Ladoux mehrere Bücher über seine Weltkriegserfahrungen sowie seine Sicht der Dinge in der Affäre Mata Hari, die indes „durch einen hohen fiktionalen Anteil und ein starkes Rechtfertigungsbedürfnis gekennzeichnet“[14] waren und daher ebenfalls nicht als verlässliche Quelle angesehen werden können.
Da aus all diesen Gründen ein Großteil der zur Verfügung stehenden Informationen äußerst problematisch ist, sind die im vorliegenden Artikel dargestellten Informationen, wenn nicht anders erwähnt, mit den Daten des Gemeindearchivs Leeuwarden, des Historisch Centrum Leeuwarden, des Leeuwarder Fries Museum und der offiziellen Biografie des Instituut voor Nederlandse Geschiedenis (Institut für niederländische Geschichte) abgeglichen und entsprechen – soweit veröffentlicht – den aktuellen Erkenntnissen der Leeuwarder Mata-Hari-Arbeitsgruppe.
Frühe Jahre
Kindheit und Jugend
Margaretha Geertruida Zelle wurde 1876 als Erstgeborene und einzige Tochter des Hutmachers Adam Zelle (1840–1910) und seiner Frau Antje van der Meulen (1842–1891) in Leeuwarden, der Hauptstadt der niederländischen Provinz Friesland, geboren. Ihre Mutter hatte javanische Wurzeln. Sie hatte drei jüngere Brüder, Johannes Henderikus (1878–1936), sowie die Zwillinge Ari Anne (1881–1955) und Cornelis Coenrad (1881–1956).
Greet, wie sie in der Kindheit auch gerufen wurde (was ihr indes nicht gefiel – sie bestand auf ihrem vollen Namen, gestattete höchstens den Rufnamen M’greet)[15], besuchte zunächst die Leeuwarder Gemeindeschule Hofschooltje am Raadhuisplein (Rathausplatz) und ab September 1890 die Middelbare Meisjes School an der Grote Kerkstraat (Große Kirchstraße), wo sie aber nur unregelmäßig und mit schlechten Noten teilnahm. In einem dem Leeuwarder Gemeindearchiv vorliegenden Schulzeugnis ist dann auch die Bemerkung „Is denkelijk vertrokken!“ (ist vermutlich verzogen) enthalten.[16]
Ihr Vater Adam Zelle, der ein Hutgeschäft in Kelders H23 (heute Kelders 33) in der Innenstadt Leeuwardens betrieb, war im Ort als Aufschneider und Verschwender bekannt, der sich gerne „Baron“ nennen ließ, obgleich er nicht adliger Abstammung war. Auch Mata Hari verfolgte den Wunsch, einen adligen Namen zu führen, später weiter: 1908 reichte sie an das Kabinett der Königin der Niederlande Wilhelmina die Eingabe um Änderung ihres Familiennamens Zelle-MacLeod in „van Zelle van Ahlden“. Als der Antrag abgewiesen wurde, änderte sie ihr Gesuch – nun persönlich an die Königin gerichtet – und wünschte, den Familiennamen „van Slooten Zelle“ zu tragen. Doch auch dieser Antrag wurde abschlägig beschieden. Der entsprechende Schriftwechsel wurde erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und befindet sich seit 2007 im Fries Museum.[17]
Eine erfolgreiche Börsenspekulation ermöglichte Margarethas Vater, auf vergleichsweise großem Fuß zu leben. 1883 erwarb er ein altes Patrizierhaus in der Grote Kerkstraat 28, das damals größte Haus am Platz. Sie erhielt zu ihrem sechsten Geburtstag von ihm eine Kutsche, die von Ziegen gezogen wurde. Noch 50 Jahre später sprach man in Leeuwarden von dem „kleinen Mädchen mit der dunklen Haut, den mandelförmigen Augen und dem schwarzen Haar auf dem Leiterwägelchen“.[18] Wie eine orientalische Prinzessin habe sie ausgesehen.
Die finanzielle Sorglosigkeit der Familie sollte allerdings nicht lange anhalten. Anfang 1889 musste der Vater aufgrund von dieses Mal verlustreichen Spekulationen Insolvenz anmelden und das geräumige und luxuriöse Stadtpalais gegen eine Wohnung im ersten Stock an der Willemskade 30 eintauschen. Damit war das bis dahin beträchtliche Ansehen des Hutmachers in dem damals erst rund 27.000 Einwohner[19] zählenden Leeuwarden verloren, und auch seine Ehe war am Ende.
Im September 1890 vereinbarten die Eheleute „Trennung von Bett und Tisch“ und im März 1891 zog der Vater nach Amsterdam, wo er eine Tätigkeit als Handelsreisender annahm. Zu einer offiziellen Ehescheidung kam es nicht, da Antje Zelle am 9. Mai 1891 an Tuberkulose verstarb.[20] Während der Vater die Zwillinge Ari und Cornelis nach dem Tod der Mutter zu sich nach Amsterdam nahm, wo er recht schnell wieder heiratete und vom Geld seiner zweiten Frau einem wenig ertragreichen Kleinhandel mit Petroleum nachging, kamen Tochter Margaretha und Sohn Johannes zu unterschiedlichen Familienmitgliedern.
Die Großmutter mütterlicherseits nahm sich der Kinder an und zahlte auch für deren Erziehung.[21] Margaretha kam in das Haus ihres Patenonkels, eines Herrn Visser in Sneek, der mit einer Schwester von Adam Zelle verheiratet war. Dieser schickte sie nach Leiden, um sie zur Kindergärtnerin ausbilden zu lassen – ein Beruf, für den sie sich selbst allerdings, genauso wie ihre Freunde und Bekannte, als ganz ungeeignet ansah.[22] Tatsächlich brach sie die Ausbildung nach kurzer Zeit ab. Die Gründe dafür werden sehr unterschiedlich vermittelt: Weder im Leeuwaarder Gemeindearchiv noch in der offiziellen Biografie des Instituts für niederländische Geschichte werden dazu Informationen gegeben, während Boulevardpublikationen ein Verhältnis des Direktors der Schule, Wybrandus Haanstra (1841–1925), mit der 15-Jährigen als Grund ausmachen und abwechselnd von Vergewaltigung, Verführung oder einer einverständlichen Beziehung eines alternden Mannes mit einem einsamen Mädchen sprechen, die öffentliches Ärgernis ausgelöst habe, so dass sie die Schule verlassen musste. Waagenaar schreibt zu dem Thema lediglich: „In Leiden verliebte sich der Leiter der Schule, Herr Wybrandus Haanstra in sie. Wie wäre wohl ihr Leben verlaufen, wenn er sich nicht in sie verliebt hätte?“[23] ohne weitere Umstände zu erläutern. Marijke Huisman schreibt: „Als sie halbnackt auf dem Schoß des Schuldirektors angetroffen wurde, musste sie die Lehranstalt verlassen.“[24] Sicher ist lediglich, dass sie in ihrem 17. Lebensjahr, also 1892/93, zu ihrem „Onkel Taconis“ nach Den Haag ging oder geschickt wurde[25] und Haanstra von dem wie auch immer gearteten Vorfall keinen beruflichen Schaden davontrug. Er blieb Schulleiter und gilt bis heute als veritabler niederländischer Pionier der Erziehung und Ausbildung von Kindern im Vorschulalter.[26]
Ehe und Aufenthalt in Niederländisch-Ostindien
Durch eine Zeitungsannonce in Nieuws van den Dag lernte Margaretha 1895 ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die Anzeige, die ihr Interesse weckte, lautete: Officier met verlof uit Indië[27] zoekt meisje met lief karakter met het doel een huwelijk aan te gaan („Offizier, auf Urlaub aus Indonesien, sucht junge Frau mit liebenswürdigem Charakter zur Eheschließung“).[24] Der niederländische Kolonialoffizier Campbell Rudolph (John) MacLeod (1856–1928) war rund 20 Jahre älter, litt an Rheuma und hatte Diabetes.[28] Trotz des Altersunterschiedes war Margaretha von MacLeods Auftreten angetan.[29]
Am 11. Juli 1895 heiratete die gerade 19-jährige Margaretha Geertruida Zelle John MacLeod. Die Ehe wurde im Rathaus zu Amsterdam geschlossen, und das Paar zog zu Johns Schwester Frida in deren Haus an der Leidsekade, das diese seit dem Tod ihres Mannes allein bewohnte.[30] Die Flitterwochen verbrachten sie in Wiesbaden.[31] Am 30. Januar 1896 – nach damaligen Moralvorstellungen über zwei Monate zu früh – brachte sie Sohn Norman John zur Welt. Andere Quellen nennen den 30. Januar 1897 als Normans Geburtsdatum.
Schnell traten auch die ersten Probleme auf. Die Schwägerinnen verstanden sich nicht, und es kam auch zwischen den Eheleuten immer öfter zum Streit, weil Margaretha, die sich nun Greta oder Gresha rufen ließ, unzufrieden mit ihren Lebensverhältnissen war. Andererseits soll MacLeod einen rauen Charakter gehabt haben und schwierig im Umgang gewesen sein.[30] Die Ehe galt jedenfalls schon in dieser frühen Zeit als wenig harmonisch.
Am 1. Mai 1897 begab sich das Ehepaar an Bord des Dampfers SS Amalia, um nach Batavia – dem heutigen Jakarta – auf Java in der damaligen Kolonie Niederländisch-Indien zu reisen. Ihr Mann wurde in Ambarawa, einem kleinen Ort unweit Semarang, stationiert.[32] Im Dezember desselben Jahres wurde MacLeod zum Major befördert und nach Malang versetzt, wo am 2. Mai 1898 die Tochter Jeanne Louise, genannt Non (malaiisch: Mädchen), geboren wurde.
Malang galt während der Kolonialzeit als die „Côte d’Azur Indonesiens“ und bot entsprechende Vergnügungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Margaretha, die zuvor unter Langeweile und den klimatischen Bedingungen gelitten hatte, blühte auf und beteiligte sich intensiv am kulturellen Leben. Als 1898 anlässlich der Feierlichkeiten zu Königin Wilhelminas Thronbesteigung das Schauspiel Die Kreuzfahrer von August von Kotzebue aufgeführt wurde, durfte Margaretha die Rolle der Königin spielen. Dies war zugleich ihr erster öffentlicher Auftritt.[30][33]
Im März 1899 wurde John MacLeod nach Medan auf Sumatra versetzt. Durch den Umzug war das Paar etwa sieben Monate getrennt. In dieser Zeit kam es auch in ihrem Brief- und Telegrammkontakt zu weiteren Schwierigkeiten und persönlichen Auseinandersetzungen. John MacLeod litt insbesondere seit dem Bühnenauftritt und dem seiner Ansicht nach zu freizügigen Verhalten seiner Frau an Eifersucht, ermahnte sie aber auch immer wieder zu mehr Sparsamkeit; beides beantwortete seine junge Frau mit Trotzreaktionen oder schnippischen Bemerkungen. Die Alters- und Persönlichkeitsunterschiede beider führten zu immer tieferen Problemen. Das Paar entfremdete sich zusehends.[34][35]
Am 28. Juni 1899 starb Söhnchen Norman an den Folgen einer Vergiftung. Die genauen Umstände des Todesfalls blieben ungeklärt. Wenige Wochen nach dem Vorfall enthüllte indes eine an Cholera erkrankte Hausangestellte der Familie auf ihrem Sterbebett, sie habe Normans Essen vergiftet, um sich für die frühere Bestrafung ihres Liebhabers durch McLeod zu rächen. Die kleine Non entging diesem Schicksal – je nach Version – nur durch die schnelle Hilfe eines Arztes[36] oder aufgrund der Tatsache, dass sie von der Mutter noch gestillt wurde.[37]
Im September 1900 wurde Major MacLeod nach 28 Dienstjahren in den Ruhestand versetzt, im Oktober übersiedelte die Familie nach Sindanglaya. Margaretha wollte unbedingt zurück nach Europa, doch John zögerte, da ihm bewusst war, dass seine Pension für ein angemessenes Leben dort nicht ausreichen würde. Die Beziehungsprobleme wurden stärker, die Ehe war völlig zerrüttet.[38] Im März 1902 kehrte das Paar gemeinsam in die Niederlande zurück und musste aus finanziellen Gründen wiederum bei Johns Schwester Frida in Amsterdam unterkommen, wo sie in getrennten Räumen wohnten. Es kam wiederholt zu Versöhnungen, die nach wenigen Wochen wieder in Streit und Trennung umschlugen.[39] Am 30. August 1902 sprach das Amsterdamer Amtsgericht die „Trennung von Tisch und Bett“ aus.[40] John wurde verurteilt, an seine Frau Unterhalt in Höhe von monatlich 100 Gulden zu zahlen. Tochter Non wurde der Mutter zugesprochen, verblieb jedoch einvernehmlich beim Vater, der sich mittlerweile in Velp (heute Gemeinde Grave) niedergelassen und wieder geheiratet hatte.[41]
John kam seiner Unterhaltspflicht Margaretha gegenüber nicht nach, so dass sie gezwungen war, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Im Oktober 1903 reiste sie mit der vagen Vorstellung nach Paris, eine Karriere als Mannequin zu beginnen.[42] Ihre Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht, und um ihre knappen finanziellen Mittel aufzubessern, stand sie Modell für verschiedene Maler. Octave Guillonnet (1872–1967) lehnte sie zunächst als ungeeignet ab, porträtierte sie nach einem Ohnmachtsanfall schließlich aus Mitleid für ein Plakat des Théâtre de la Gaîté.[43] Sein Kollege Gustave Assire (1870–1941) engagierte sie ebenfalls einmalig als Modell.[44] Weitere Aufträge blieben aus, und Margaretha kehrte desillusioniert in die Niederlande zurück. Ein Jahr später versuchte sie erneut, in Paris Fuß zu fassen, und bewarb sich als Reiterin („Amazone“) im damals weltberühmten Cirque Molier. Auch dieser Versuch blieb erfolglos.[41]
Weiteres zu Ihrer geschichte im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mata_Hari
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