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George Kennedy Allen Bell

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George Kennedy Allen Bell Empty George Kennedy Allen Bell

Beitrag  Andy Mo Mai 01, 2017 11:54 pm

George Kennedy Allen Bell (* 4. Februar 1883 auf Hayling Island, Hampshire; † 3. Oktober 1958 in Canterbury) war Bischof der Church of England (Anglikaner) und führender Vertreter der Ökumene. Er ist in Deutschland und Großbritannien als enger Freund Dietrich Bonhoeffers, als Gegner der britischen Luftkriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg und für seine ökumenische Friedens- und Versöhnungsarbeit bekannt.

Sozial engagierter Ökumeniker

Bell wurde als Sohn des Pfarrers von Hayling Island und späteren Domherrn von Norwich, James Allen Bell, und dessen Frau Sarah Georgina Megaw geboren. Er studierte Theologie in Oxford (England) und wurde 1907 zum anglikanischen Priester geweiht. Dann arbeitete er drei Jahre als Sozialpfarrer in den Slums der englischen Industriestadt Leeds. Seine Aufgabe war die christliche Mission unter den dortigen Industriearbeitern, von denen ein Drittel Inder und Afrikaner aus damaligen britischen Kolonien waren. Dabei lernte Bell viel von den Methodisten, deren Verbindung von persönlichem Glaubensbekenntnis und sozialem Engagement er als Vorbild für seine Kirche ansah.

Im Herbst 1910 ging Bell zunächst für knapp vier Jahre als Studentenpfarrer und akademischer Tutor am Christ Church College zurück nach Oxford. Auch hier war er sozial engagiert. Er gehörte zu den Gründern einer erfolgreichen Konsumgenossenschaft für Studenten und Universitätsangehörige und setzte sich für Siedlungsprojekte (settlements) und Arbeiterbildung durch die W.E.A. (Workers' Educational Association) ein.

1914 wurde er Privatsekretär des Erzbischofs von Canterbury im Lambeth Palace und übernahm ein Sonderreferat für internationale und interkonfessionelle Beziehungen. In diesem Amt erreichte er 1915, dass lutherisch getaufte Inder die Arbeit der Leipziger und der Goßner-Mission in Chota Nagpur (Ostindien) fortsetzen durften, nachdem deren deutsche Missionare interniert worden waren. Bis zum Kriegsende engagierte er sich auch für den Johanniterorden, eine überkonfessionelle Aktion zur Rettung von Kriegswaisen und – zusammen mit dem schwedischen lutherischen Erzbischof Nathan Söderblom, einem seiner engsten lebenslangen Freunde – für den Austausch von Kriegsgefangenen. In dieser Arbeit sah er die innerevangelischen Gegensätze immer mehr als belanglos an.

Nach dem Krieg wurde Bell ein hervorragender Initiator und Förderer der noch jungen ökumenischen Bewegung. 1919 auf dem ersten Nachkriegstreffen des »Weltbunds für Freundschaftsarbeit der Kirchen« in den Niederlanden regte er erfolgreich an, eine Kommission für religiöse und nationale Minderheiten zu gründen. Auf der Stockholmer Weltkirchenkonferenz im Jahre 1925 half er beim Zustandekommen des »Ökumenischen Rates für praktisches Christentum (Life and Work)«. Zusammen mit Adolf Deißmann veranstaltete er deutsch-britische Theologentagungen.

Von 1925 bis 1929 war Bell Dompropst (Dean) von Canterbury Cathedral. In dieser Zeit rief er ein Kunstfestival im und um den Dom (Canterbury Festival) ins Leben. Zu dessen Gastautoren gehörten damals u. a. John Masefield, Gustav Holst, Dorothy L. Sayers und T. S. Eliot, dessen Drama „Mord im Dom“ (1935) Bell in Auftrag gab.

1929 wurde Bell zum Bischof von Chichester ernannt. In diesem Amt organisierte er Patenschaften zwischen seinem Bistum und von der Weltwirtschaftskrise betroffenen Arbeitern. Er nahm dazu an Treffen der National Union of Public Employees (britische Gewerkschaft für Staatsangestellte) teil, wo er zu seiner Freude als „Bruder Bell“ angeredet wurde. 1931 erhielt er in Chichester auch Besuch von Mahatma Gandhi.

1932 wurde er für zwei Jahre zum Präsidenten von „Life and Work“ beim Ökumenischen Rat in Genf berufen. Bei dessen Berliner Tagung Anfang Februar 1933 wurde er Zeuge der sogenannten Machtergreifung des Nationalsozialismus.
Verbündeter der Bekennenden Kirche

Nun nahm Bell regen Anteil am deutschen Kirchenkampf. Im April 1933 erklärte er öffentlich die Sorge der Ökumene über die beginnende Judenverfolgung in Deutschland und trug im September eine Resolution mit, die scharf gegen den Arierparagraphen und seine Übernahme durch Teile der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) protestierte. Schon bei einer Tagung des Weltbundes in Sofia im Herbst 1931 hatte er Dietrich Bonhoeffer kennengelernt. Als dieser im Herbst 1933 für zwei Jahre als Auslandspfarrer nach London ging, entwickelte sich zwischen beiden ein enges Vertrauensverhältnis. Bonhoeffer wurde für Bell zum wichtigsten Informanten über die Vorgänge in Deutschland; Bell seinerseits informierte die britische Öffentlichkeit darüber, unter anderem durch regelmäßige Leserbriefe an die Londoner Times.

Am 1. Juni 1934 proklamierte die Barmer Theologische Erklärung als Gründungsmanifest der Bekennenden Kirche (BK) die Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Nationalsozialismus und verwarf die Theologie der NS-nahen Deutschen Christen als „falsche Lehre“ (Häresie). Am 6. Juni berichtete Bell darüber den versammelten Bischöfen der Church of England und erläuterte das für diese schwer nachvollziehbare Bekennen und Verwerfen, also den aktuellen Vollzug einer Scheidung zwischen rechtmäßiger und illegitimer Berufung auf Jesus Christus. Dies war die erste Reaktion in der Ökumene auf die Barmer Erklärung.

1934 sorgte Bell als Präsident von Life and Work dafür, dass Bonhoeffer neben Karl Koch, Präses der westfälischen Landeskirche, als Vertreter der BK zur ökumenischen Weltkonferenz im dänischen Fanö eingeladen wurde. Als gewählter Jugendsekretär war Bonhoeffer ohnehin für die angegliederte Weltjugendkonferenz zuständig. Bei einer Morgenandacht sprach er die Weltchristenheit als „Ökumenisches Konzil“ an und rief sie zum Aufstehen gegen den drohenden Krieg auf. Auf Anregung Bells verabschiedete die Weltkonferenz gegen den Protest der anwesenden Vertreter der DEK eine Solidaritätserklärung für die BK und ihren Kampf. Dabei wurden nochmals die Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten publik gemacht, darunter die Konzentrationslager.

1936 übernahm Bell den Vorsitz des International Christian Committee for German Refugees (Internationales Christliches Komitee für deutsche Flüchtlinge). Darin setzte er sich besonders für Judenchristen ein, die damals weder von jüdischen noch christlichen Organisationen unterstützt wurden. Um ihnen zur Auswanderung zu verhelfen, entsandte er seine Schwägerin Laura Livingstone nach Berlin und Hamburg und ließ die Exilierten zeitweise in seinem Privathaus wohnen. Im selben Jahr druckte er in seinem Bistumsblatt ein Gebet für Juden und „nichtarische“ Christen ab:[1]

„Bete für die Juden in Stepney, und Whitechapel, und Bethnal Green; bete für die deutschen Juden; für alle jene, die Schmerzen leiden, die Schande leiden, wegen ihrer Rasse. Bete für jene, die einen jüdischen Elternteil oder Großelternteil haben, und nach ihrem Glauben Christen sind ...“

1937 wurde er als Lord Spiritual Mitglied des Oberhauses. Gleich in seiner ersten großen Rede am 27. Juli 1938 forderte er die britische Regierung zu verstärkter Hilfe für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland auf. Er nutzte diesen Einfluss auch, um gezielt Verfolgte des NS-Regimes zu schützen. So konnte er z. B. dem bekanntesten Vertreter der Bekennenden Kirche Martin Niemöller das Leben retten, indem er dessen Inhaftierung im KZ Sachsenhausen ab Februar 1938 und später im KZ Dachau in der englischen Öffentlichkeit bekannt machte und als Beispiel für die kirchenfeindliche Haltung des Hitlerstaates brandmarkte. Daraufhin nahm Adolf Hitler 1938 Abstand von Niemöllers geplanter Ermordung.

Mit persönlichen Bürgschaften ermöglichte Bell im Winter 1938/39 90 Menschen, vor allem Pfarrersfamilien (u. a. auch Hans Ehrenberg, Christuskirche Bochum), die als „nichtarische“ Christen von den Nationalsozialisten verfolgt und von der offiziellen Kirche im Stich gelassen wurden, die Emigration nach England. Zu den von ihm besonders geförderten Flüchtlingen gehörte Bonhoeffers Zwillingsschwester Sabine und ihr Mann, der Jurist Gerhard Leibholz, der im Krieg zu einem wichtigen Gesprächspartner Bells über die Zukunft Deutschlands wurde, sowie der Künstler Hans Feibusch, dem er Aufträge zu großformatigen Fresken in seiner Diözese und darüber hinaus verschaffte.

Auch während des Krieges engagierte sich Bell für displaced persons und andere Notleidende, die vom Kontinent nach England flüchteten. Zudem setzte er sich für dort internierte Deutsche und britische Kriegsdienstverweigerer ein.
Gegner der Flächenbombardements und Helfer des deutschen Widerstands

Schon 1939 schrieb Bell, die Kirche dürfe nicht zum spirituellen Gehilfen eines Staates werden, sondern solle sich für friedliche internationale Beziehungen einsetzen und Stellung gegen Vertreibung, Versklavung und die Zerstörung der Moral beziehen. Sie dürfe nicht aufgeben, ständig wiederholte Vergeltungsschläge oder das Bombardieren der Zivilbevölkerung zu verurteilen. Er drängte die Kirchen dazu, eine gegenüber der Kriegführung ihrer eigenen Länder kritische Haltung einzunehmen.

1940 traf er sich mit einigen ökumenischen Freunden in den Niederlanden, um die Kirchen auf eine gemeinsame Initiative für den Frieden nach dem Sieg über das NS-Regime zu orientieren. Am 17. April 1941 schrieb Bell an die „Times“: Es ist barbarisch, unbewaffnete Frauen und Kinder bewusst zum Angriffsziel zu machen.[2] Damit widersprach er direkt Winston Churchill, der damals ein Flächenbombardement (area bombing) deutscher Städte plante.

Im Mai 1942 reiste Bell per Flugzeug nach Schweden; die britische Regierung hatte ihn auf eine zweiwöchige goodwill-Tour geschickt, um die kirchlichen und Kulturbeziehungen zu dem neutralen Land zu intensivieren. Hier traf er am 26. Mai in Stockholm Hans Schönfeld und am 1. Juni in Sigtuna für Bell völlig überraschend Dietrich Bonhoeffer, der ihm als Geheimkurier Informationen des deutschen Widerstands übergab. Darunter waren die Klarnamen der Beteiligten in der Wehrmacht und Abwehr an dem geplanten Hitlerattentat und Putsch zum Sturz des NS-Regimes. Um diesen Plan zum Erfolg führen und anschließend um Waffenstillstand verhandeln zu können, baten die Verschwörer die britische Regierung um ein öffentliches Signal, die Deutschen nicht mit den Nationalsozialisten gleichzusetzen.[3]

Bell übergab diese Informationen dem britischen Außenminister Anthony Eden, erhielt jedoch am 17. Juli die ablehnende Antwort, weitergehende Kontakte seien nicht im nationalen Interesse.[4] In einem weiteren Schreiben vom 25. Juli drückte Bell seine Enttäuschung darüber aus und hoffte, es sei der Regierung wenigstens möglich,[5]

„...nachdrücklich und öffentlich zu erklären, daß die britische Regierung (und die Alliierten) nicht den Wunsch haben, ein Deutschland zu versklaven, das Hitler, Himmler und ihre Mitschuldigen beseitigt haben wird.“

Doch diese Korrespondenz führte zu nichts. Die Alliierten beschlossen auf der Casablanca-Konferenz, den Krieg bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu führen, und begannen mit dem area bombing.

Als erste Attentate auf Hitler scheiterten und einige der Verschwörer bereits inhaftiert waren, versuchte Bell erneut vergeblich eine Kursänderung der britischen Politik zu erwirken. Nach dem 20. Juli 1944 warf er Eden vor, er habe trotz Wissens um die Beteiligten nichts unternommen, um ihnen rechtzeitig zu helfen.

Am 14. Februar 1943 verurteilte Bell im Oberhaus das area bombing: Es stelle alle humanen und demokratischen Werte in Frage, für die Großbritannien Krieg führe. Dies rief vehemente Proteste hervor. Am 9. Februar 1944 beschrieb er die Bombardierung deutscher Städte wie Hamburg und Berlin erneut als unverhältnismäßig und damit völkerrechtswidrig:[6]

„Ich möchte die Regierung herausfordern wegen ihrer Politik der Bombardierung feindlicher Städte im gegenwärtigen Umfang, besonders hinsichtlich von Zivilisten, Non-Kombattanten, sowie von nichtmilitärischen und nichtindustriellen Zielen. [...] Ich bin mir bewusst, dass bei den Angriffen auf Zentren der Kriegsindustrie und auf Militärtransporte der Tod von Zivilisten unvermeidbar ist, soweit er aus einer im guten Glauben durchgeführten Militäraktion rührt. Aber es muss eine Verhältnismäßigkeit zwischen den eingesetzten Mitteln und dem erreichten Zweck bestehen. Eine ganze Stadt auszulöschen, nur weil sich in einigen ihrer Bereiche militärische und industrielle Einrichtungen befinden, heißt die Verhältnismäßigkeit abzulehnen. [...] Ich glaube nicht, dass die Regierung Seiner Majestät die Vernichtung Deutschlands anstrebt. Sie hat die Unterscheidung zwischen Deutschland und dem Hitler-Staat akzeptiert. [...] Die Alliierten stehen für etwas Größeres als Macht. Die Hauptinschrift auf unserem Banner ist 'Recht'. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir, die wir mit unseren Verbündeten die Befreier Europas sind, die Macht so nutzen, dass sie unter der Kontrolle des Rechtes steht. Doch die Bombardierung der Feindstädte, diese Flächenbombardierung, bringt das Thema einer solch grenzenlosen und exklusiven Macht auf, und daher ist es von immenser Bedeutung, wie sie die Politik und die Aktionen der Regierung beeinflusst.“

Die Rede machte die Unterscheidung von Nichtkämpfern (Zivilisten) und Kämpfern (Soldaten) nach Artikel 22 der Haager Landkriegsordnung für die britische Luftkriegsstrategie geltend. Damit löste Bell heftige Tumulte im Oberhaus aus. Dort war der erklärte Gegner des Nationalsozialismus mit seiner Haltung isoliert. Auch im Unterhaus teilten damals nur zwei Labourabgeordnete seine Kritik am area bombing.

Auch in seiner Kirche war Bell deswegen stark umstritten. William Temple, der als damaliger Erzbischof von Canterbury das höchste, politisch einflussreiche Amt der Anglikanischen Kirche innehatte, weigerte sich, das Bombardieren feindlicher Innenstädte zu kritisieren. Dabei hatte er vor Kriegsbeginn genau diesen konkreten Punkt genannt, an dem die Kirche aufgrund ihrer Lehre vom Gerechten Krieg zum Widerspruch gegen die Politik genötigt sei und zur Kriegsdienstverweigerung aufrufen müsse. Seit dem Blitzkrieg aber rechtfertigte er den britischen Luftkrieg als schicksalhafte Notwendigkeit.

Bell dagegen wurde vorgeworfen, mit seinem Protest nur der NS-Propaganda zu helfen. Seine Opposition gegen die britische Kriegführung kostete ihn seine weitere Karriere: Obwohl er als geeigneter Kandidat für das höchste Amt seiner Kirche galt, wurde er wahrscheinlich auf Betreiben Churchills bei der Nachfolgeregelung zweimal übergangen und blieb bis zu seinem Rücktritt aus Altersgründen Anfang 1958 Bischof von Chichester.

Bonhoeffers letzte Botschaft unmittelbar vor dem Abtransport zu seiner Hinrichtung am 9. April 1945 galt seinem engsten ökumenischen Freund Bell und lautete dem Überbringer Sigismund Payne Best zufolge:[7]

„Sag ihm: Dies ist für mich das Ende; aber auch der Anfang - mit ihm glaube ich an das Prinzip unserer universellen christlichen Bruderschaft, die über alle nationalen Hassgefühle hinausragt, und dass unser Sieg sicher ist - sag ihm auch, dass ich nie seine Worte bei unserem letzten Treffen vergessen habe.“

Bell hielt gemeinsam mit Franz Hildebrandt und Julius Rieger am 27. Juli 1945 in der (heute nicht mehr bestehenden) Holy Trinity Church am Kingsway in London einen Gedenkgottesdienst für Bonhoeffer vor Tausenden Zuhörern, darunter seiner Zwillingsschwester. Die BBC übertrug die Feier nach Deutschland, so dass viele seiner Verwandten, Freunde und Schüler dadurch die erste gewisse Nachricht von Bonhoeffers Tod erhielten.
Fürsprecher der besiegten Deutschen, Visionär eines versöhnten Europas

Bereits im Juli 1945 sprach sich Bell für eine politische Selbstbestimmung der Deutschen aus, da es in Deutschland eine von der christlichen Minderheit getragene Widerstandsbewegung gegeben habe. Auf dieser Basis hielt er eine gründliche Abkehr der Deutschen vom Nationalsozialismus und Versöhnung mit ihnen für möglich.

Am 18. und 19. Oktober 1945 nahm Bell als Mitglied einer ökumenischen Delegation an der ersten Sitzung des neu gebildeten Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Stuttgart teil. Der Rat übergab der Abordnung die „Schulderklärung der evangelischen Christenheit Deutschlands“.

In seiner Antwort darauf erinnerte Bell auch an den Holocaust, der in der Schulderklärung nicht genannt worden war. Danach hielt er mit Otto Dibelius, dem russisch-orthodoxen Erzbischof Alexander und anderen hochrangigen Kirchenvertretern in der Berliner Marienkirche den ersten ökumenischen Gottesdienst nach dem Krieg in Deutschland. Dabei rief er „die ganzen Kirchen der Welt“ zur Versammlung des Ökumenischen Rates auf, der 1948 in Amsterdam neu gegründet wurde. Dort erhielt Bell den Ehrenvorsitz.

Bell war kein Pazifist, aber entschiedener Antifaschist. 1946 beantwortete er die Stuttgarter Schulderklärung mit einem Rückblick auf das Versagen Großbritanniens im Münchner Abkommen von 1938:[8]

„Wir hier in England haben in geradezu verbrecherisch leichtfertiger Weise unsere Verpflichtung verkannt, Friede und Ordnung zu verteidigen; und wenn die Deutschen sich beim Aufstieg Hitlers verhängnisvoll passiv verhalten haben, so war auch unsere und anderer Völker Passivität kaum weniger tadelnswert. Auch wir und unsere Kirchen haben zugeschaut, wie das nationalsozialistische System allmählich überhand gewann über das Leben in Deutschland, und wir waren zu bekümmert oder zu faul, die nötigen militärischen Maßnahmen zur Sicherung der Freiheit Europas zu treffen.“

Im selben Jahr hielt Bell eine vielbeachtete leidenschaftliche Rede in Basel über Europa, Deutschland und die Kirchen. Darin hieß es:[9]

„Die Einheit Europas ist das eigentliche Anliegen. [...] Und wir müssen auf Europas Einheit nicht primär vom politischen, sondern zuerst vom kulturellen und dann vom wirtschaftlichen Standpunkt aus blicken. [...] Die christliche Kirche, sei sie protestantisch, katholisch oder orthodox, hat heute überall eine schwere Aufgabe, vor allem in Europa. In Deutschland brachten beide, die protestantische und die katholische Kirche es nicht fertig, dem Volk jene starke moralische Grundhaltung zu geben, die es befähigt hätte, ein solches Regime wie das Hitler-Regime unmöglich zu machen. Vor allem die protestantische Kirche hat zu wenig Interesse für soziale Fragen, Arbeit, Wohnfragen und Frieden gezeigt und war dem Staat gegenüber zu unterwürfig, und die Deutschen sind - allgemein gesprochen - so gelehrig, so undemokratisch vom Temperament her, dass die Verantwortung der Kirche um so größer ist, wenn sie dem Volk das Evangelium verkündet und die Herrschaft Gottes über den Staat und über das Ganze des menschlichen Lebens betont.“

Er sah die zukünftige Aufgabe der Kirchen also darin, diese moralische Grundhaltung, das demokratische und soziale Bewusstsein als einigendes Band Europas wachzuhalten und zu fördern. Basis dazu war für ihn der Glaube an die „Herrschaft Gottes“ auch über den Staat, wie sie die Barmer Theologische Erklärung 1934 formuliert hatte. Nach dieser Rede sagte er in einem Interview:[10]

„Die Frage ist, wie man das Diabolische entmutigen und auslöschen und das Gesunde und Gute ermutigen kann. Es kann nicht dabei bleiben, dass man die Deutschen allein lässt in ihrer gegenwärtigen Katastrophe. Das wird die Verzweiflung nur vertiefen. Es kann auch nicht bei einer simplen Verdammung der Vergangenheit und der Philosophie der Vergangenheit bleiben. Sondern man muss ihnen ein aktives Vorbild einer besseren Philosophie geben.“

Kritiker der Vertreibungen

Demgemäß war Bell auch einer der ersten britischen Bischöfe, der dem Unrecht widersprach, das viele besiegte Deutsche bei ihrer Vertreibung aus den damaligen deutschen Ostgebieten erfuhren. Er ergriff gegen ihre unmenschliche Behandlung das Wort und protestierte wiederholt und deutlich dagegen, rund 14 Millionen deutsche Schlesier, Pommern, Ostpreußen und Sudetendeutsche aus ihrer Heimat zu vertreiben. Um den 15. August 1945 schrieb er im Spectator dagegen einen Leserbrief, am 12. September 1945 unterschrieb er mit dem britisch-jüdischen Verleger Victor Gollancz, Lord Bertrand Russell und anderen einen Aufruf gegen diese Vertreibungen, den mehrere Londoner Tageszeitungen veröffentlichten.

Kurz zuvor, am 8. September, hatte er dem Berliner Propst Heinrich Grüber, dem Leiter des Fluchthilfebüros der Bekennenden Kirche für Juden, geschrieben:

„Ich darf Ihnen sagen, dass die Erzbischöfe von Canterbury und York ihrerseits tiefstens berührt sind und zusammen mit den Leitern der evangelischen Freikirche und dem katholischen Erzbischof von Westminster eine gemeinsame Demarche unternehmen wollen ... Ich fühle die Unmenschlichkeit der Vertreibung aufs Tiefste mit Ihnen und habe über diesen Punkt bereits im Oberhaus gesprochen, indem ich ausführte, dass die Entwurzelung von Millionen aus rassischen Gründen unvereinbar sei mit den Idealen, für die die Vereinten Nationen gekämpft haben.“

Am 30. Januar 1946 verurteilte er erneut im britischen Oberhaus die Vertreibung der Deutschen:[11]

„Es gibt nichts Vergleichbares zu den derzeitigen Bevölkerungstransfers ... Dieser Transfer ist nicht nur die Übertragung von Land, sondern ein Herausreißen bis auf die Wurzeln einer immensen Bevölkerung aus rassischen Gründen, um Grund zu bereiten für neue Besatzer. Er ist schlecht in sich selbst. Er beinhaltet eine Verweigerung von Menschenrechten, und es ist außerordentlich schwierig, ihn grundsätzlich von den Massendeportationen von Zivilbevölkerungen zu unterscheiden, für welche die NS-Führer jetzt als Kriegsverbrecher in Nürnberg vor Gericht stehen.“

Dann wies er auf die Mitverantwortung der Alliierten für die besonders grausame Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei hin, warnte vor der Präzedenzwirkung für andere Staaten und nannte Beispiele, dass der „Transfer“ keineswegs, wie auf der Potsdamer Konferenz beschlossen, „ordnungsgemäß und human“ erfolge.
Gegner der Atomrüstung und des Kalten Krieges

In den 1950er Jahren engagierte sich Bell gegen die atomare Aufrüstung und stellte sich wie viele damalige christliche Initiativen gegen den Kalten Krieg. 1955 lernte er durch seine ökumenischen Kontakte noch Giovanni Montini in Mailand kennen, der 1963 als Paul VI. Papst wurde und 1965 das II. Vatikanische Konzil zum Abschluss brachte.
Die Erinnerung an George Bell

George Bell ist – anders als sein Freund Dietrich Bonhoeffer in Großbritannien – heute in Deutschland nur noch wenig bekannt. Die Erinnerung an ihn wird fast nur unter Ökumenikern, akademischen Theologen oder pazifistischen Kirchengruppen gepflegt.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit genoss er vor allem in der Ökumene jedoch wegen seiner Haltung als frühzeitiger Warner vor der NS-Innenpolitik, seiner Unterstützung des deutschen Widerstands gegen Hitler, seiner Kritik am britischen Bombenkrieg und an den Vertreibungen, für die Versöhnungsarbeit und eine demokratische Nachkriegsordnung hohes Ansehen. Er verkörperte das seltene Beispiel eines hohen Kirchenführers, der christlichen Glauben, persönliches Engagement und politische Einflussnahme auch im Krieg glaubwürdig vereinte und diese Haltung auch dann durchhielt, als ihm daraus persönliche Nachteile erwuchsen.

Manche Beobachter nehmen an, dass Bell nicht etwa trotz, sondern gerade wegen dieser unbeugsamen Wahrheitsliebe und seines Gerechtigkeitssinnes in Deutschland in Vergessenheit geraten ist. Denn er begründete seine Versöhnungsbereitschaft mit den Deutschen mit der Minderheit christlicher und demokratisch gesinnter Widerstandskämpfer und stellte sich damit gegen Versuche einer restaurativen Erneuerung jener autoritären Obrigkeitshörigkeit, die sich gerade im deutschen Protestantismus mit dem Nationalsozialismus arrangiert und zum Versagen der Kirche gegenüber den NS-Verbrechen beigetragen hatte. Bells und Bonhoeffers konspirative Unterstützung des Attentats vom 20. Juli 1944 waren der großen Mehrheit in der EKD äußerst unangenehm und suspekt, ebenso seine Vorstellungen einer ökumenisch solidarischen und universalen, ganz den Armen und Verfolgten verpflichteten Kirche als Keimzelle einer erneuerten gesamteuropäischen humanen Werteordnung.

Seine Kritik an den Vertreibungen wie auch seine Opposition zur Atombewaffnung der NATO-Staaten machten ihn nach 1945 wiederum zum Außenseiter in Großbritannien. Nach seinem Tod wurde er ab etwa 1965 auch von der deutschen Linken abgelehnt, nicht zuletzt wegen seiner Kritik der Vertreibung. Für die Studentenbewegung der 68er spielte der 1958 verstorbene Bell bereits keine Rolle mehr, weil sie ihn nicht mehr wahrnahm.
Vorwurf des Kindesmissbrauchs

1995 erhob eine Frau beim damaligen Bischof von Chichester Eric Waldram Kemp den Vorwurf, Bell habe sie um 1949/1950 mehrmals sexuell missbraucht. Kemp ging dem Vorwurf nicht nach.[12] 2013 beschwerte sich die Frau darüber beim amtierenden Erzbischof von Canterbury Justin Welby. Dieser verständigte die Polizei, die erklärte, Bell wäre zu Lebzeiten verhaftet worden. Die Kirche entschädigte die Frau finanziell, und am 22. Oktober 2015 entschuldigte sich der Bischof von Chichester Martin Warner öffentlich bei ihr.[13]

Daraufhin berichtete die Presse, Bell sei pädophil gewesen.[14] Es folgte eine öffentliche Diskussion, ob die Kirche den Missbrauchsvorwurf als bewiesen ansehe[15] und ob Bells Leistungen genügend gewürdigt worden seien. Peter Hitchens beschrieb Bell als einen fairen, gerechten und tapferen Mann und forderte für ihn die Unschuldsvermutung.[16] Franz Hildebrandts Tochter äußerte sich ähnlich. Warner widersprach dem Vorwurf, er habe Bells Ruf zu Gunsten der kurzfristigen Interessen der Kirche geopfert. Wichtig sei, dass Missbrauchsopfer nicht länger Angst haben müssten, nicht ernst genommen zu werden.[17] Bischof Paul Butler erklärte, die Kirche habe nie behauptet, vom Missbrauch Bells überzeugt zu sein.[18] Im Februar 2016 schilderte das Opfer den Missbrauch in einem Interview.[19]

Im März 2016 veröffentlichte eine hochkarätig besetzte „George Bell Group“ einen Review, der das Vorgehen der Kirche systematisch kritisierte. Insbesondere habe die Kirche es versäumt, einen wichtigen noch lebenden Zeugen zu vernehmen und Bells umfangreiche Tagebücher zu konsultieren.[20][21]
Ehrungen

1958: Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland

Werke

A Brief Sketch of the Church of England. Student Christian Movement, London 1929, 1930 (deutsch in: Ekklesia. Sammlung von Selbstdarstellungen der christlichen Kirchen. Hrsg. Friedrich Siegmund-Schultze, Klotz, Gotha 1934)
Randall Davidson, Archbishop of Canterbury. Biografie, 2 Bände, Oxford University Press, Humphrey Milford, London 1935
Christianity and World Order. Harmondsworth, Penguin Books, London 1940
George Bell, Hans Kramm, John Oldcastle Cobham (Hrsg): The Significance of the Barmen Declaration for the Oecumenical Church. Society for Promoting Christian Knowledge, London 1943 (Vorwort)
The Background of the Hitler Plot. in: The Contemporary Review. 10. Isbister, London 1945, ISSN 0010-7565
The Church and Humanity. Longmans-Green, London 1946 (Anthologie, darin: The Church's Function in Wartime. November 1939).
The Task of the Churches in Germany. S.P.C.K., The Sword of the Spirit, London 1947
Christian Unity. The Anglican Position. Hodder and Stoughton, London 1948
Kirche in der Welt. Reden und Aufsätze des Bischofs von Chichester Dr. George Bell. Übersetzt von Rudolf Weckerling, Wichern-Verlag, Berlin 1948 (darin u.a. deutsche Übersetzungen der Rede Bells im House of Lords am 9. Februar 1944 und des Artikels The Background of the Hitler Plot von 1945)
The Kingship of Christ. The Story of the World Council of Churches. The Pinguin books, Harmondsworth 1954, Reprint Greenwood Press, Westport 1979, ISBN 0313211213

(deutsch) Die Königsherrschaft Jesu Christi. Die Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen. Übersetzt von Rudolf Dohrmann. Mit einem Nachtrag über die Entwicklung des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1954 bis 1957 von Francis House. Reich, Hamburg-Bergstedt 1960 (deutsche Ausgabe von "The Kingship...")

Die Kirche u. die Widerstandsbewegung. Politisch-historische Vorlesungsreihe der Universität Göttingen. In: Evangelische Theologie. Chr. Kaiser, München 1957 Nr. 7 ISSN 0014-3502

Briefwechsel

Andreas Lindt (Hrsg.): Briefwechsel:1933-1954; George Bell - Alphons Koechlin. Zürich: EVZ 1969
Eberhard Bethge, Ronald C. D Jasper (Hrsg.): An der Schwelle zum gespaltenen Europa: der Briefwechsel zwischen George Bell und Gerhard Leibholz 1939-1951. Stuttgart: Kreuz 1982, ISBN 3783104483


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