Zum Tode von Oliver Storz: Nazis, Mord und rote Badeanzüge
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Zum Tode von Oliver Storz: Nazis, Mord und rote Badeanzüge
Darf man so von Geschichte erzählen? Oliver Storz fand immer neue Perspektiven auf den Krieg und die Bundesrepublik - und eröffnete dem Fernsehen unkonventionelle Erzählweisen. Jetzt starb der "Raumpatrouille"-Autor und "Im Schatten der Macht"-Regisseur im Alter von 82 Jahren.
Oliver Storz stand kurz vor seinem 80. Geburtstag, da erschien im Jahr 2008 noch mal so ein echtes Storz-Werk. Diesmal war es aber keine spektakuläre Fernsehserie, kein ereignisträchtiger Zweiteiler, sondern ein Büchlein aus radikal subjektiver Sicht: "Die Freibadclique", ein beinahe sommersonniger Erinnerungsroman über die letzten Stunden des Krieges.
Schwüle Tagträume vermischen sich in diesem Pubertätsdrama mit dem aufreibenden Überlebenskampf kurz vor der Stunde Null: An den Straßen hängen aufgeknüpfte Deserteure, verbohrte Nazis wollen ihn an der immer näher rückenderen Front verheizen, aber der jugendliche Held wird nicht von Alpträumen, sondern von lustvollen Visionen eines Mädchens im roten Badeanzug verfolgt. Jugendliches Sehnen und Drängen, so widersinnig das klingen mag, legt eben auch in Zeiten des Mordens keine Pause ein. Darf man so über die Schrecken des Zweiten Weltkrieges berichten?
Typisch Storz könnte man sagen. Der Journalist, Autor und Regisseur prägte mit seinen Erzählungen fast ein halbes Jahrhundert das deutsche Fernsehens, müde selbstgefällig oder gar langweilig ist er dabei nie geworden. Im Gegenteil, bis ins hohe Alter bescherte er diesem unbeweglichen Medium neue Erzählweisen und neue Perspektiven.
Storz kam 1957 als Theater-, Literatur- und Fernsehkritiker in die Kulturredaktion der "Stuttgarter Zeitung". Von 1960 bis 1974 arbeitete er als Dramaturg, Produzent und Autor in der Fernsehspielabteilung der Bavaria GmbH in München. Hier war er unter anderem an der Entwicklung der ersten deutschen Science-Fiction-Serie, "Raumpatrouille" (1966), beteiligt, in der mit Requisiten wie Küchentöpfen und Pfannen ein die Phantasie sprengendes und zuweilen überforderndes Fernsehen produziert wurde.
Hintersinn und Analyse
Später schockte Storz als Drehbuchautor das junge deutsche Fernsehen mit harschen Gesellschaftsdramen wie "Der Trinker" (1967) oder "Die Beichte" (1970). Mitte der Siebziger ersann er für den WDR den von Hansjörg Felmy verkörperten Ermittler Haferkamp, der manisch Buletten verzehrte, Jazz hörte und die von RAF-Terror und Paranoia geprägte Bundesrepublik mit lakonisch-analytischem Blick betrachtete. Deutschland im Herbst? Für Storz kein Grund zum Trübsal blasen.
Ein bisschen muss man sich den Jazzliebhaber, Feingeist und Lebemann Storz wohl wie die Filmfigur Haferkamp vorstellen: Die schwärzesten Kapitel deutscher Geschichte betrachtete er stets mit einem gewissen trockenen Humor, mit einer fast verbotenen Leichtigkeit. So schrieb er Ende der Siebziger auch einige Folgen zur Serie "Die Magermilchbande", in der Deutschland im Zweiten Weltkrieg aus der Sicht von Kindern gezeigt wird. Auch in seinem wunderbaren Fernsehfilm "Das tausendunderste Jahr" (1979) betrachtete er den Krieg aus jugendlichen Augen - und förderte so mehr über die Zeit zu Tage als viele staatstragend feierliche TV-Epen.
Den Sinn für ungewöhnliche Perspektiven behielt Oliver Storz bis zum Ende seines Schaffens bei. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, als das deutsche Fernsehen die deutsche Geschichte im Stile von "Die Luftbrücke" oder "Dresden" in Form von psychologisch eher schlichten Eventfilmen bearbeitete, schlug er einen ganz anderen Ton an; er beleuchtete die Zeitenwenden in Deutschland subtiler und raffinierter: In seinem Willy-Brandt Drama "Im Schatten der Macht" (2003), bei dem er auch Regie führte, ließ er ausgerechnet den Kanzler-Sohn Matthias Brandt jenen Spion spielen, über den dessen Vater einst stolperte.
Und für seinen vorletzten Fernsehfilm "Drei Schwestern made in Germany" (2006) erzählte er den materiellen Verteilungskampf in Nachkriegsdeutschland als tragikomisches amouröses Verwirrspiel - und legte doch umso deutlicher die neuen oder doch nicht so neuen Machtgefüge nach der Stunde Null offen.
Hintersinn und Analyse gingen bei Oliver Storz immer Hand in Hand - was auch die Reportagen und Medientexte bewiesen, die der stets tadellos gekleidete, tadellose formulierende und tadellos kettenrauchende Mann für die "Süddeutsche Zeitung" verfasste. Die Medienseite der Zeitung meldete am Mittwoch auch als erste den Tod ihres Autors, den ein Sprecher des Südwestrundfunks dann am Morgen bestätigte.
Oliver Storz war schon am Mittwoch, den 6. Juli in seinem Heimatort Egling bei München gestorben und ist bereits im Kreise der Familie beigesetzt worden. Mit ihm ist einer der klügsten, wachsten und und subtilsten Chronisten deutscher Geschichte gegangen.
Mit Material von dpa und dapd
quelle
Oliver Storz stand kurz vor seinem 80. Geburtstag, da erschien im Jahr 2008 noch mal so ein echtes Storz-Werk. Diesmal war es aber keine spektakuläre Fernsehserie, kein ereignisträchtiger Zweiteiler, sondern ein Büchlein aus radikal subjektiver Sicht: "Die Freibadclique", ein beinahe sommersonniger Erinnerungsroman über die letzten Stunden des Krieges.
Schwüle Tagträume vermischen sich in diesem Pubertätsdrama mit dem aufreibenden Überlebenskampf kurz vor der Stunde Null: An den Straßen hängen aufgeknüpfte Deserteure, verbohrte Nazis wollen ihn an der immer näher rückenderen Front verheizen, aber der jugendliche Held wird nicht von Alpträumen, sondern von lustvollen Visionen eines Mädchens im roten Badeanzug verfolgt. Jugendliches Sehnen und Drängen, so widersinnig das klingen mag, legt eben auch in Zeiten des Mordens keine Pause ein. Darf man so über die Schrecken des Zweiten Weltkrieges berichten?
Typisch Storz könnte man sagen. Der Journalist, Autor und Regisseur prägte mit seinen Erzählungen fast ein halbes Jahrhundert das deutsche Fernsehens, müde selbstgefällig oder gar langweilig ist er dabei nie geworden. Im Gegenteil, bis ins hohe Alter bescherte er diesem unbeweglichen Medium neue Erzählweisen und neue Perspektiven.
Storz kam 1957 als Theater-, Literatur- und Fernsehkritiker in die Kulturredaktion der "Stuttgarter Zeitung". Von 1960 bis 1974 arbeitete er als Dramaturg, Produzent und Autor in der Fernsehspielabteilung der Bavaria GmbH in München. Hier war er unter anderem an der Entwicklung der ersten deutschen Science-Fiction-Serie, "Raumpatrouille" (1966), beteiligt, in der mit Requisiten wie Küchentöpfen und Pfannen ein die Phantasie sprengendes und zuweilen überforderndes Fernsehen produziert wurde.
Hintersinn und Analyse
Später schockte Storz als Drehbuchautor das junge deutsche Fernsehen mit harschen Gesellschaftsdramen wie "Der Trinker" (1967) oder "Die Beichte" (1970). Mitte der Siebziger ersann er für den WDR den von Hansjörg Felmy verkörperten Ermittler Haferkamp, der manisch Buletten verzehrte, Jazz hörte und die von RAF-Terror und Paranoia geprägte Bundesrepublik mit lakonisch-analytischem Blick betrachtete. Deutschland im Herbst? Für Storz kein Grund zum Trübsal blasen.
Ein bisschen muss man sich den Jazzliebhaber, Feingeist und Lebemann Storz wohl wie die Filmfigur Haferkamp vorstellen: Die schwärzesten Kapitel deutscher Geschichte betrachtete er stets mit einem gewissen trockenen Humor, mit einer fast verbotenen Leichtigkeit. So schrieb er Ende der Siebziger auch einige Folgen zur Serie "Die Magermilchbande", in der Deutschland im Zweiten Weltkrieg aus der Sicht von Kindern gezeigt wird. Auch in seinem wunderbaren Fernsehfilm "Das tausendunderste Jahr" (1979) betrachtete er den Krieg aus jugendlichen Augen - und förderte so mehr über die Zeit zu Tage als viele staatstragend feierliche TV-Epen.
Den Sinn für ungewöhnliche Perspektiven behielt Oliver Storz bis zum Ende seines Schaffens bei. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, als das deutsche Fernsehen die deutsche Geschichte im Stile von "Die Luftbrücke" oder "Dresden" in Form von psychologisch eher schlichten Eventfilmen bearbeitete, schlug er einen ganz anderen Ton an; er beleuchtete die Zeitenwenden in Deutschland subtiler und raffinierter: In seinem Willy-Brandt Drama "Im Schatten der Macht" (2003), bei dem er auch Regie führte, ließ er ausgerechnet den Kanzler-Sohn Matthias Brandt jenen Spion spielen, über den dessen Vater einst stolperte.
Und für seinen vorletzten Fernsehfilm "Drei Schwestern made in Germany" (2006) erzählte er den materiellen Verteilungskampf in Nachkriegsdeutschland als tragikomisches amouröses Verwirrspiel - und legte doch umso deutlicher die neuen oder doch nicht so neuen Machtgefüge nach der Stunde Null offen.
Hintersinn und Analyse gingen bei Oliver Storz immer Hand in Hand - was auch die Reportagen und Medientexte bewiesen, die der stets tadellos gekleidete, tadellose formulierende und tadellos kettenrauchende Mann für die "Süddeutsche Zeitung" verfasste. Die Medienseite der Zeitung meldete am Mittwoch auch als erste den Tod ihres Autors, den ein Sprecher des Südwestrundfunks dann am Morgen bestätigte.
Oliver Storz war schon am Mittwoch, den 6. Juli in seinem Heimatort Egling bei München gestorben und ist bereits im Kreise der Familie beigesetzt worden. Mit ihm ist einer der klügsten, wachsten und und subtilsten Chronisten deutscher Geschichte gegangen.
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