Sir Colin Davis gestorben
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Sir Colin Davis gestorben
Leicht wurde es dem Autodidakten am Pult nicht gemacht - und doch war er der ideale Dirigent. Zum Tode von Sir Colin Davis.
Wären all jene musikalischen Talente, denen man die Aufnahme an ein Konservatorium verweigert hat oder mangelnde Begabung attestierte, dadurch entmutigt worden und hätten sich, wie man früher so schön zu sagen pflegte, für einen Brotberuf entschieden - die Welt der Musik wäre um einige ihrer Größten ärmer geblieben.
Auch Sir Colin Davis, der jetzt im Alter von fünfundachtzig Jahren gestorben ist, könnte man dafür in den Zeugenstand rufen. Ein Studium am Royal College of Music in London hat man ihm, dem angehenden Klarinettisten, zwar nicht gerade verwehrt - aber ohne Klavierkenntnisse blieb ihm die Dirigentenklasse dieses Eliteinstituts verschlossen. Colin Davis hat dennoch Karriere gemacht, und er ist zu einem der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation aufgestiegen.
Leicht wurde es dem Autodidakten am Pult freilich nicht gemacht. Selbst als er sich mit Zähigkeit über die Provinz empfohlen hatte - etwa als Assistent beim BBC Scottish Orchestra in Glasgow, was Kenner der britischen Szene Mitte der fünfziger Jahre näher zu Grönland als zu London rechneten -, musste er durch das Unglück anderer seine Chance finden.
Debüt mit zweiundzwanzig Jahren
1959 als Einspringer für den erkrankten Otto Klemperer bei der konzertanten Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ in der Festival Hall, ein Jahr später in gleicher Feuerwehrsmission für Sir Thomas Beecham am Opernhaus in Glyndebourne.
Auch noch später, als Colin Davis schon ein arrivierter Dirigent geworden war, hätten all jene, die ihm partout eine Zweite-Wahl-Vita andichten wollten, durchaus Beweise dafür finden können. Erst durch den plötzlichen Tod von Kyrill Kondraschin, dem designierten Nachfolger Rafael Kubeliks als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, rückte Davis 1983 nach in diese wichtige Position in München, die er dann allerdings für höchst produktive neun Jahre innehatte.
Es gibt aber auch noch eine zweite Lesart seiner Künstlerbiographie, und die ließe sich erzählen als eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte: Dirigierdebüt mit zweiundzwanzig Jahren, kurz darauf Musikdirektor an Sadler’s Wells Opera, 1967 Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra, also keineswegs an der Peripherie des musikalischen Geschehens, vielmehr in London; schließlich 1971 Nachfolger von Sir Georg Solti als Direktor des Royal Opera House Covent Garden.
Konzentriertes Dirigieren
Spätestens aber, als Colin Davis dann 1977 als erster Engländer am Pult des Bayreuther Festspielhauses stand, aus Anlass von Richard Wagners „Tannhäuser“ in der Inszenierung von Götz Friedrich, hätte das Royal College of Music die Aufnahmestatuten für seine Dirigentenklasse überprüfen müssen. Zu diesem Zeitpunkt galt Colin Davis, seit 1980 Sir Colin, bereits als der legitime Nachfolger des legendären Sir Thomas Beecham - und als der führende britische Dirigent.
Mit einem anderen großen Kollegen, Sir Adrian Boult, teilte Colin Davis im Übrigen die uneitle Art des Auftritts und sein ganz auf die Sache konzentriertes Dirigieren. Beide neigten auch am Pult eher zum Understatement, nichts lag ihnen jedenfalls ferner als das Etikett eines Magiers mit dem Taktstock.
Boults Urteil über die Unarten seiner Zunft hätten ebenso gut auch von Colin Davis stammen können: „Die moderne theatralische Art, Musik wie ein Balletttänzer zu mimen, ist eine Angewohnheit, die wahrscheinlich den geistig Anspruchsloseren unseres Publikums entgegenkommt.“
„Unnötig, bei Proben zu schreien“
Die wesentliche Arbeit fand für Sir Colin in den Proben statt, die er rationell und höchst konzentriert durchführte. „Wenn eine Sache bei der Probe nicht funktioniert“, so erklärte er einmal, „versucht man, gemeinsam einen Weg zu finden. Es ist ganz unnötig, bei Proben zu schreien. Ich brauche alle Energie für das Konzert.“
Colin Davis verfügte über ein breites Repertoire, sowohl im symphonischen wie im musiktheatralischen Bereich. Mozart gehörte seine erste Liebe, der er sein Leben lang die Treue hielt. Dazu kam die für einen Engländer nicht eben untypische Affinität zur nordischen Musik, vor allem zu Jean Sibelius.
Aber Davis hat auch das Gesamtwerk von Hector Berlioz für die Schallplatte eingespielt, eine Pioniertat, die nicht unwesentlich zur Renaissance dieses Komponisten beigetragen hat, der ebenso wie er selbst zu jenen Künstlern gehörte, der mit musikalischen Bildungseinrichtungen zeitlebens auf dem Kriegsfuß stand.
Entspannte Art des Musizierens
Auf der Opernbühne, im Konzertsaal hat sich Sir Colin Davis immer wieder auch mit der britischen Musik, vorwiegend der des zwanzigsten Jahrhunderts auseinandergesetzt, mit Benjamin Britten und Michael Tippett - sicherlich auch, um das lange virulent gebliebene Vorurteil über England als Land der Musiker ohne eigene Musik ad absurdum zu führen.
1972 berief ihn das Boston Symphony Orchestra zum Ersten Gastdirigenten, Colin Davis blieb dort für die Dauer von vier fruchtbaren Jahren. Sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York hatte er schon 1967 gegeben.
Allerdings liegen die wichtigsten Stationen seiner Karriere fast alle in Europa: in Covent Garden, beim London Symphony Orchestra, bei der BBC oder auch in Deutschland, dessen führende Orchester, die er sämtlich dirigiert hat, vor allem die entspannte Art seines Musizierens schätzten, seine Fähigkeit, Klängen Raum zu geben und die Instrumente atmen zu lassen.
Der ideale Dirigent
Nicht zuletzt aus diesem Grund ernannte ihn die Sächsische Staatskapelle Dresden, an deren Pult Colin Davis oft gestanden hat, 1990 zu ihrem Ehrenmitglied. Franz Liszt hat in seinem „Brief über das Dirigieren“ aus dem Jahre 1853 den bemerkenswerten Satz formuliert, die wirkliche Aufgabe eines Dirigenten bestehe darin, sich augenscheinlich überflüssig zu machen und mit seiner Funktion möglichst zu verschwinden.
Auf wenige große Dirigenten unserer Zeit hat diese Beschreibung so genau gepasst wie auf Colin Davis, der immer unaufdringlich dirigierte, nie zu Extremen neigte. Für seine Interpretationen war ein Duktus des Musikmachens charakteristisch, das sich wie von selbst versteht.
Liszt hat noch eine Kritik an den unverwüstlichen Taktschlägern angefügt, deren grobe Aufrechterhaltung des Taktes einem sinnvollen musikalischen Ausdruck geradezu entgegenarbeitet: „Hier wie allerwärts tötet der Buchstabe den Geist - ein Todesurteil, das ich nie unterzeichnen werde.“
In diesem Lisztschen Sinne erscheint Sir Colin Davis als der ideale Dirigent. Er hat nie den Taktstock zum Skalpell umfunktioniert, um Partituren zu zerstückeln. Er hat nie seziert, er hat musiziert, auf höchstem Niveau.
Quelle
Wären all jene musikalischen Talente, denen man die Aufnahme an ein Konservatorium verweigert hat oder mangelnde Begabung attestierte, dadurch entmutigt worden und hätten sich, wie man früher so schön zu sagen pflegte, für einen Brotberuf entschieden - die Welt der Musik wäre um einige ihrer Größten ärmer geblieben.
Auch Sir Colin Davis, der jetzt im Alter von fünfundachtzig Jahren gestorben ist, könnte man dafür in den Zeugenstand rufen. Ein Studium am Royal College of Music in London hat man ihm, dem angehenden Klarinettisten, zwar nicht gerade verwehrt - aber ohne Klavierkenntnisse blieb ihm die Dirigentenklasse dieses Eliteinstituts verschlossen. Colin Davis hat dennoch Karriere gemacht, und er ist zu einem der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation aufgestiegen.
Leicht wurde es dem Autodidakten am Pult freilich nicht gemacht. Selbst als er sich mit Zähigkeit über die Provinz empfohlen hatte - etwa als Assistent beim BBC Scottish Orchestra in Glasgow, was Kenner der britischen Szene Mitte der fünfziger Jahre näher zu Grönland als zu London rechneten -, musste er durch das Unglück anderer seine Chance finden.
Debüt mit zweiundzwanzig Jahren
1959 als Einspringer für den erkrankten Otto Klemperer bei der konzertanten Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ in der Festival Hall, ein Jahr später in gleicher Feuerwehrsmission für Sir Thomas Beecham am Opernhaus in Glyndebourne.
Auch noch später, als Colin Davis schon ein arrivierter Dirigent geworden war, hätten all jene, die ihm partout eine Zweite-Wahl-Vita andichten wollten, durchaus Beweise dafür finden können. Erst durch den plötzlichen Tod von Kyrill Kondraschin, dem designierten Nachfolger Rafael Kubeliks als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, rückte Davis 1983 nach in diese wichtige Position in München, die er dann allerdings für höchst produktive neun Jahre innehatte.
Es gibt aber auch noch eine zweite Lesart seiner Künstlerbiographie, und die ließe sich erzählen als eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte: Dirigierdebüt mit zweiundzwanzig Jahren, kurz darauf Musikdirektor an Sadler’s Wells Opera, 1967 Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra, also keineswegs an der Peripherie des musikalischen Geschehens, vielmehr in London; schließlich 1971 Nachfolger von Sir Georg Solti als Direktor des Royal Opera House Covent Garden.
Konzentriertes Dirigieren
Spätestens aber, als Colin Davis dann 1977 als erster Engländer am Pult des Bayreuther Festspielhauses stand, aus Anlass von Richard Wagners „Tannhäuser“ in der Inszenierung von Götz Friedrich, hätte das Royal College of Music die Aufnahmestatuten für seine Dirigentenklasse überprüfen müssen. Zu diesem Zeitpunkt galt Colin Davis, seit 1980 Sir Colin, bereits als der legitime Nachfolger des legendären Sir Thomas Beecham - und als der führende britische Dirigent.
Mit einem anderen großen Kollegen, Sir Adrian Boult, teilte Colin Davis im Übrigen die uneitle Art des Auftritts und sein ganz auf die Sache konzentriertes Dirigieren. Beide neigten auch am Pult eher zum Understatement, nichts lag ihnen jedenfalls ferner als das Etikett eines Magiers mit dem Taktstock.
Boults Urteil über die Unarten seiner Zunft hätten ebenso gut auch von Colin Davis stammen können: „Die moderne theatralische Art, Musik wie ein Balletttänzer zu mimen, ist eine Angewohnheit, die wahrscheinlich den geistig Anspruchsloseren unseres Publikums entgegenkommt.“
„Unnötig, bei Proben zu schreien“
Die wesentliche Arbeit fand für Sir Colin in den Proben statt, die er rationell und höchst konzentriert durchführte. „Wenn eine Sache bei der Probe nicht funktioniert“, so erklärte er einmal, „versucht man, gemeinsam einen Weg zu finden. Es ist ganz unnötig, bei Proben zu schreien. Ich brauche alle Energie für das Konzert.“
Colin Davis verfügte über ein breites Repertoire, sowohl im symphonischen wie im musiktheatralischen Bereich. Mozart gehörte seine erste Liebe, der er sein Leben lang die Treue hielt. Dazu kam die für einen Engländer nicht eben untypische Affinität zur nordischen Musik, vor allem zu Jean Sibelius.
Aber Davis hat auch das Gesamtwerk von Hector Berlioz für die Schallplatte eingespielt, eine Pioniertat, die nicht unwesentlich zur Renaissance dieses Komponisten beigetragen hat, der ebenso wie er selbst zu jenen Künstlern gehörte, der mit musikalischen Bildungseinrichtungen zeitlebens auf dem Kriegsfuß stand.
Entspannte Art des Musizierens
Auf der Opernbühne, im Konzertsaal hat sich Sir Colin Davis immer wieder auch mit der britischen Musik, vorwiegend der des zwanzigsten Jahrhunderts auseinandergesetzt, mit Benjamin Britten und Michael Tippett - sicherlich auch, um das lange virulent gebliebene Vorurteil über England als Land der Musiker ohne eigene Musik ad absurdum zu führen.
1972 berief ihn das Boston Symphony Orchestra zum Ersten Gastdirigenten, Colin Davis blieb dort für die Dauer von vier fruchtbaren Jahren. Sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York hatte er schon 1967 gegeben.
Allerdings liegen die wichtigsten Stationen seiner Karriere fast alle in Europa: in Covent Garden, beim London Symphony Orchestra, bei der BBC oder auch in Deutschland, dessen führende Orchester, die er sämtlich dirigiert hat, vor allem die entspannte Art seines Musizierens schätzten, seine Fähigkeit, Klängen Raum zu geben und die Instrumente atmen zu lassen.
Der ideale Dirigent
Nicht zuletzt aus diesem Grund ernannte ihn die Sächsische Staatskapelle Dresden, an deren Pult Colin Davis oft gestanden hat, 1990 zu ihrem Ehrenmitglied. Franz Liszt hat in seinem „Brief über das Dirigieren“ aus dem Jahre 1853 den bemerkenswerten Satz formuliert, die wirkliche Aufgabe eines Dirigenten bestehe darin, sich augenscheinlich überflüssig zu machen und mit seiner Funktion möglichst zu verschwinden.
Auf wenige große Dirigenten unserer Zeit hat diese Beschreibung so genau gepasst wie auf Colin Davis, der immer unaufdringlich dirigierte, nie zu Extremen neigte. Für seine Interpretationen war ein Duktus des Musikmachens charakteristisch, das sich wie von selbst versteht.
Liszt hat noch eine Kritik an den unverwüstlichen Taktschlägern angefügt, deren grobe Aufrechterhaltung des Taktes einem sinnvollen musikalischen Ausdruck geradezu entgegenarbeitet: „Hier wie allerwärts tötet der Buchstabe den Geist - ein Todesurteil, das ich nie unterzeichnen werde.“
In diesem Lisztschen Sinne erscheint Sir Colin Davis als der ideale Dirigent. Er hat nie den Taktstock zum Skalpell umfunktioniert, um Partituren zu zerstückeln. Er hat nie seziert, er hat musiziert, auf höchstem Niveau.
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