Was versteht man unter: Unternehmen Seelöwe
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Was versteht man unter: Unternehmen Seelöwe
Das Unternehmen Seelöwe war die im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht vorbereitete, aber nicht verwirklichte Invasion Großbritanniens.
Plan des Unternehmens Seelöwe
Zum ersten Mal taucht eine Landung in England als Möglichkeit in den schriftlichen Dokumenten der Stäbe der Wehrmacht Anfang August 1939 auf, rund einen Monat bevor Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte (3. September 1939). In einer „Studie für den Luftkrieg gegen England“ der Luftwaffe ist am 7. August 1939 als letzter Punkt der Liste „Zielsetzung der Luftkriegführung gegen England in der Endlösung“ vermerkt: „6. Die Drohung mit der Invasion und ihre Durchführung im Rahmen grösserer kontinentaler Operationen der gesamten Wehrmacht, um die letzte Widerstandskraft des Gegners durch Besetzung grösserer Landesteile zu brechen.“[1]
Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht am 14. November 1939 beschlossen hatte, das südliche Holland in den geplanten Westfeldzug einzubeziehen – was hieß, dass die Flussmündungen des Rheins mit ihren günstigen Möglichkeiten zum Sammeln und Ausrüsten einer Landungsflotte und ihrer größeren Nähe zu England als die Deutsche Bucht, mit Sicherheit in deutsche Hand fallen würden – befahl der Oberkommandierende der Kriegsmarine, Erich Raeder, am 15. November 1939 eine „Überprüfung der unter bestimmten Voraussetzungen weiterer Kriegsentwicklung gegebenen Möglichkeiten einer Invasion Englands“. Das heißt, die Kriegsmarine hatte vorher schon entsprechende Überlegungen angestellt.
Diese „Überprüfung“ stellte die vielfältigen Schwierigkeiten einer Landungsflotte für die Invasion Englands fest, wobei als Haupthindernisse die Royal Navy, die britische Flotte, zu der Zeit die stärkste Flotte der Welt, und die Royal Air Force, die britische Luftwaffe, angesehen wurden. Die Studie kam zu dem Schluss, die Niederringung der Royal Navy und der Royal Air Force werde „höchstwahrscheinlich gleichzeitig das völlige Zusammenbrechen des Widerstandswillens dieses Landes im Gefolge haben, so daß eine Landung und Besetzung... kaum notwendig wird“.
Trotzdem wurde in der Studie festgehalten: „ein Landungsunternehmen im großen Stil über die Nordsee unter den vorerwähnten Voraussetzungen ein mögliches Mittel, die Friedensbereitschaft des Feindes zu erzwingen“.[2]
Im Heer begann Anfang Dezember 1939 die Planung für eine Invasion Englands. Am 6. Dezember 1939 forderte Franz Halder, der Generalstabschef des Heeres, Karten von England an. Am 13. Dezember lag eine Ausarbeitung des Heeres vor, die der Kriegsmarine und der Luftwaffe zugestellt wurde, für deren Ansichten über diesen Rohentwurf für eine Landung an der südlichen Nordseeküste Englands (East Anglia) von der Deutschen Bucht aus. Darin heißt es, durch den Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, sei „die Untersuchung der Möglichkeiten einer Landung in England angeordnet worden. Das Ergebnis soll in einer Studie ,Nordwest‘ niedergelegt werden.“
Die Kriegsmarine und die Luftwaffe antworteten dem Heer am 30. Dezember 1939, dass zunächst die Royal Navy ausgeschaltet werden müsse, was gegenwärtig nicht möglich sei, und dass auf Grund der begrenzten Reichweite der Flugzeuge der Luftwaffe eine Luftunterstützung für eine Landung in England von Deutschland aus nicht möglich sei.[3]
Mit dem erfolgreichen Verlauf des Westfeldzuges im Mai 1940 begann die Kriegsmarine wieder Planungen für eine Invasion Englands. Am 27. Mai lag eine neue Studie vor, die sich auch auf die Studie Nordwest des Heeres vom Dezember 1939 bezog, und nun alle Häfen von der französischen Kanalküste bis zum im April 1940 besetzten Dänemark als Basis für eine Invasionsflotte einbezog. Am 31. Mai begann die Kriegsmarine die Arbeiten für den Aufbau einer Landungsflotte. Dafür wurden in den nächsten Wochen alle Seefahrzeuge erfasst, die für eine Landung in England brauchbar waren. Nun hatten ernsthafte Vorbereitungen für eine Invasion Englands begonnen. Bis zum 7. Juni war eine Studie erstellt, in der die navigatorischen Bedingungen in den britischen Küstengewässern, der Zustand jedes englischen Hafens im möglichen Landungsraum und die Küstenabschnitte für Landemöglichkeiten an offener Küste dargestellt wurden.
Mit dem militärischen Zusammenbruch Frankreichs im Juni 1940 und dem folgenden Waffenstillstand, der am 25. Juni 1940 in Kraft trat, musste auch eine Entscheidung über den weiteren Kriegsverlauf mit Großbritannien als dem einzigen verbliebenen Gegner Deutschlands fallen.
Auch das Heer begann Anfang Juni wieder mit Planungen für eine Invasion Englands, und verschiedene Konferenzen über eine Landung in England wurden in den Führungsebenen der Wehrmacht abgehalten. Am 13. Juli 1940 hielt Halder als Generalstabschef des Heeres in Anwesenheit des Oberkommandierenden des Heeres von Brauchitsch, einen Vortrag über die Vorüberlegungen des Heeres für eine Landung in England vor Adolf Hitler. Im Anschluss an den Vortrag befahl dieser den beiden Generalen, sofort mit den praktischen Vorbereitungen der Invasion Englands zu beginnen.
Am 16. Juli 1940 erteilte Hitler die „Weisung Nr. 16 über die Vorbereitung einer Landungsoperation gegen England“. Darin heißt es:
„Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen Lage, noch keine Anzeichen einer Verständigungsbereitschaft zu erkennen gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation gegen England vorzubereiten und, wenn nötig, durchzuführen.[4]“
Die Planungen von Heer und Marine waren sich über Ort und Zeitpunkt der Invasion und andere Zuständigkeiten uneinig. Aufgabe der Luftwaffe und Voraussetzung für die Invasion war nach Ansicht der Marine in jedem Fall die Erringung der totalen Luftüberlegenheit über dem Invasionsraum sowie die operative Unterstützung von Heer und Marine.
Das deutsche Heer wollte an möglichst vielen Stellen landen und Großbritannien auf breiter Front angreifen.
Deutsche Truppen bei einer Verladeübung mit einem amphibisch modifizierten Panzerkampfwagen III
Die deutsche Marine wollte hingegen nur auf einem schmalen Korridor in der Straße von Dover landen, da die Marine selbst bei totaler Luftüberlegenheit zu schwach war, mehrere Landungsoperationen gegen die überlegene Royal Navy zu schützen. Nach Plänen der Marine sollte der Korridor links und rechts durch Minensperren und vorgeschobene U-Boote geschützt werden.
Daraufhin griff Hitler ein und entschied folgenden Plan, der weder die Marine noch das Heer befriedigte:
Die 9. Armee startet in den Häfen Le Havre und Boulogne und landet im Gebiet zwischen Bognor Regis und Eastbourne
Die 16. Armee startet in den Häfen Calais, Dünkirchen, Ostende, Antwerpen und Rotterdam und landet im Gebiet zwischen Eastbourne und Dover, beide Armeen unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt
Die 6. Armee wird in Cherbourg in Reserve gehalten unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb.
Verladen von Tauchpanzer III
Am 25. Juli berechnete die Marine den Bedarf an Seefahrzeugen:
155 Frachter (etwa 700.000 BRT)
1722 Kähne
471 Schlepper
1161 Motorboote
In diesen Zahlen war eine Reserve von 10 % für Verluste aller Art (Feindeinwirkung, Havarien) eingeschlossen.[5]
Als frühesten Landetermin meldete die Kriegsmarine am 22. Juli den Zeitraum Mitte August, aber auch nur unter der Voraussetzung der Luftherrschaft. Die Vorbereitungen für die Landung in England waren tatsächlich schließlich erst Mitte September 1940 abgeschlossen, hauptsächlich wegen des zeitaufwändigen Umbaus von rund 2000 Kähnen zu Landungsbooten.
Anfang September begann die Verlegung der Landungsflotte in ihre Absprunghäfen. Trotz der Verluste durch englische Bombenangriffe auf die Landungsflotte in ihren Häfen waren genug Schiffe für die Landungsflotte vorhanden. Der Bestand betrug am 19. September 1940:
168 Frachter
1975 Kähne
100 Küstenmotorschiffe
420 Schlepper
1600 Motorboote[6]
Zur Täuschung der englischen Verteidigung wurde noch eine Scheinlandung im Norden Großbritanniens vorbereitet (Operation Herbstreise).
Hitler zeigte keine große Begeisterung für eine Landung in England, was sich schon an der Formulierung in der Weisung Nr. 16 erkennen lässt, eine Landung nur „wenn nötig durchzuführen“, und Raeder erklärte ihm als Chef der Kriegsmarine immer wieder die Schwierigkeiten einer Landung. Eine „Verständigungsbereitschaft“ Englands war Hitler offensichtlich lieber. So machte er am 19. Juli während einer Rede in Berlin ein Friedensangebot an England, auf das die Regierung in London aber nicht einging. Darauf reagierte Hitler am 2. August 1940 mit der „Weisung Nr. 17 für die Führung des Luft- und Seekrieges gegen England“.
Anstatt nun alle Vorbereitungen auf die Invasion Englands zu konzentrieren, versuchte Hitler mit der Weisung Nr. 17 sowohl die geplante Landungsoperation im Vorfeld zu unterstützen, indem er verlangte „die englische Luftwaffe möglichst bald niederzukämpfen“, als auch einen reinen Wirtschaftskrieg zu führen. So sollten die „Luftrüstungsindustrie“ und die „Lebensmittelbevorratung“ Englands angegriffen werden und dafür sogar der Kampf gegen feindliche Kriegsschiffe aus der Luft zurücktreten, wie es in der Weisung heißt – also ein Befehl, welcher der Vorbereitung der Landung in England genau widerspricht. Im letzten Punkt der Weisung Nr. 17 hielt Hitler fest: „Terrorangriffe als Vergeltung behalte ich mir vor“.[7] Schnell entwickelten sich diese Luftangriffe zu reinen Bombardements von Städten ohne jeden Zusammenhang mit dem Unternehmen Seelöwe. Die Angriffe brachten der Luftwaffe hohe Verluste und Hitlers Hoffnung erfüllte sich nicht, durch die Bombenangriffe auf Städte – insbesondere auf London – die Moral der englischen Bevölkerung und Regierung zu brechen, um sie friedensbereit zu machen. Auch die Luftherrschaft konnte nicht errungen werden. Dieser im Sinne der geplanten Landung in England sinnlose Luftkrieg ging als Luftschlacht um England in die Geschichte ein.
Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Die Umstellung der Angriffe der Luftwaffe war von Hitler gebilligt worden. Es war zu erkennen, daß er ebenso wie Göring die Hoffnung hegte, durch die Angriffe auf London zum Erfolg zu kommen, ohne das Risiko einer Invasion einzugehen. Ich hielt es für aussichtslos, ihn von dieser Einstellung abzubringen. Ich hätte ihm dann raten müssen, stattdessen die Operation „Seelöwe“ durchzuführen, an deren Gelingen ich von vornherein zweifelte ...“[8]
Die in Libyen stehenden Italiener wurden um den 10. August aufgefordert, die Italienische Invasion Ägyptens zu beginnen, um die britischen Truppen für den Fall der Invasion Englands dort zu binden.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt Raeder über ein Gespräch mit Hitler am 13. August: „Ich wies erneut darauf hin, daß die Operation „Seelöwe“ nur als letzter Ausweg in Frage kommt, wenn England auf keinem anderen Wege friedensbereit gemacht werden könne. Hitler stimmte meiner Auffassung zu, wollte aber mit dem Oberbefehlshaber des Heeres noch einmal sprechen.“[8]
Als letzten Versuch, mit England ohne eine Invasion des Landes zum Frieden zu kommen, begann Hitler Anfang September 1940 geheime Verhandlungen mit England, die er über Zwischenträger in Schweden führte. Sie endeten am 19. September 1940 in einer geheimen offiziellen Stellungnahme der britischen Regierung mit für Hitler unannehmbaren Bedingungen (Räumung der von Deutschland besetzten Länder).[9]
Zu dieser Zeit kam eine Studie, in Auftrag gegeben vom War Cabinet, der politischen Militärführung Großbritanniens unter dem Vorsitz des Premierministers Winston Churchill, zu dem Schluss, dass die entscheidende Waffe gegen eine deutsche Invasion, die Royal Navy, die Eroberung Englands durch die Wehrmacht nicht würde verhindern können.[10]
Genau in diese Zeit der Geheimverhandlungen mit England fiel auch die Zeit der endgültigen Entscheidung, ob das Unternehmen Seelöwe durchgeführt würde oder nicht. Mitte September 1940 hätte Hitler den Befehl zur Durchführung geben müssen, weil vom Befehl bis zur Durchführung auf Grund aller notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen mehrere Tage vergehen würden und um den 20. bis 25. September wegen der dann mondhellen Nächte bestes Operationswetter herrschen würde. Später würden sowohl die Wetterbedingungen mit dem einsetzenden Herbstwetter und den immer kürzer werdenden Tagen und dunklen Nächten eine Landungsoperation unmöglich machen. Hitler gab den Befehl zur Landung in England jedoch nicht und verschob am 15. Oktober 1940 das Unternehmen Seelöwe auf das Frühjahr 1941.
Dem General der Flieger Kurt Student, der die Luftlandetruppen befehligte, die beim Unternehmen Seelöwe an Fallschirmen und mit Lastenseglern in der ersten Welle und später mit Transportflugzeugen in England landen sollten, sagte Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, am 2. September 1940: „Der Führer will gar nicht nach England, Student!“ Student: „Und warum nicht?“ Als Antwort zuckte Göring mit den Achseln.[11]
Am 18. Dezember 1940 gab Hitler mit der „Weisung Nr. 21: Fall Barbarossa“ den Befehl zur Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion. Diese Vorbereitungen sollten bis zum 15. Mai 1941 abgeschlossen sein, um sodann zum Angriff übergehen zu können.[12] Damit war eine Invasion Englands auch 1941 ausgeschlossen, obwohl die Vorbereitungen für die Landung in England weiterliefen, wenn auch seit dem 15. Oktober 1940 immer mehr Truppen und Material vom Unternehmen Seelöwe für andere Aufgaben abgezogen wurden.
Am 14. Dezember 1941 wurde vom Oberkommando der Wehrmacht der Bau des Atlantikwalls befohlen, der eine Invasion der Engländer und Amerikaner in West- und Nordeuropa verhindern sollte.[13]
Endgültig aufgegeben wurde die Operation Seelöwe nie. Der letzte Befehl zur offiziell weiterhin geplanten Landung in England wurde von der Kriegsmarine am 5. Februar 1944 gegeben: „Die Fertigungen (und nur die) für die Vorbereitungen für Seelöwe sind bis auf weiteres stillzulegen.“[14]
Der Kanal, Deutsche Admiralitätskarte 66, Oberkommando der Kriegsmarine 1943, Privatsammlung
Siehe auch
Erprobungsverband Ostsee
Unternehmen Grün (Plan zur Invasion Irlands)
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Plan des Unternehmens Seelöwe
Zum ersten Mal taucht eine Landung in England als Möglichkeit in den schriftlichen Dokumenten der Stäbe der Wehrmacht Anfang August 1939 auf, rund einen Monat bevor Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte (3. September 1939). In einer „Studie für den Luftkrieg gegen England“ der Luftwaffe ist am 7. August 1939 als letzter Punkt der Liste „Zielsetzung der Luftkriegführung gegen England in der Endlösung“ vermerkt: „6. Die Drohung mit der Invasion und ihre Durchführung im Rahmen grösserer kontinentaler Operationen der gesamten Wehrmacht, um die letzte Widerstandskraft des Gegners durch Besetzung grösserer Landesteile zu brechen.“[1]
Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht am 14. November 1939 beschlossen hatte, das südliche Holland in den geplanten Westfeldzug einzubeziehen – was hieß, dass die Flussmündungen des Rheins mit ihren günstigen Möglichkeiten zum Sammeln und Ausrüsten einer Landungsflotte und ihrer größeren Nähe zu England als die Deutsche Bucht, mit Sicherheit in deutsche Hand fallen würden – befahl der Oberkommandierende der Kriegsmarine, Erich Raeder, am 15. November 1939 eine „Überprüfung der unter bestimmten Voraussetzungen weiterer Kriegsentwicklung gegebenen Möglichkeiten einer Invasion Englands“. Das heißt, die Kriegsmarine hatte vorher schon entsprechende Überlegungen angestellt.
Diese „Überprüfung“ stellte die vielfältigen Schwierigkeiten einer Landungsflotte für die Invasion Englands fest, wobei als Haupthindernisse die Royal Navy, die britische Flotte, zu der Zeit die stärkste Flotte der Welt, und die Royal Air Force, die britische Luftwaffe, angesehen wurden. Die Studie kam zu dem Schluss, die Niederringung der Royal Navy und der Royal Air Force werde „höchstwahrscheinlich gleichzeitig das völlige Zusammenbrechen des Widerstandswillens dieses Landes im Gefolge haben, so daß eine Landung und Besetzung... kaum notwendig wird“.
Trotzdem wurde in der Studie festgehalten: „ein Landungsunternehmen im großen Stil über die Nordsee unter den vorerwähnten Voraussetzungen ein mögliches Mittel, die Friedensbereitschaft des Feindes zu erzwingen“.[2]
Im Heer begann Anfang Dezember 1939 die Planung für eine Invasion Englands. Am 6. Dezember 1939 forderte Franz Halder, der Generalstabschef des Heeres, Karten von England an. Am 13. Dezember lag eine Ausarbeitung des Heeres vor, die der Kriegsmarine und der Luftwaffe zugestellt wurde, für deren Ansichten über diesen Rohentwurf für eine Landung an der südlichen Nordseeküste Englands (East Anglia) von der Deutschen Bucht aus. Darin heißt es, durch den Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, sei „die Untersuchung der Möglichkeiten einer Landung in England angeordnet worden. Das Ergebnis soll in einer Studie ,Nordwest‘ niedergelegt werden.“
Die Kriegsmarine und die Luftwaffe antworteten dem Heer am 30. Dezember 1939, dass zunächst die Royal Navy ausgeschaltet werden müsse, was gegenwärtig nicht möglich sei, und dass auf Grund der begrenzten Reichweite der Flugzeuge der Luftwaffe eine Luftunterstützung für eine Landung in England von Deutschland aus nicht möglich sei.[3]
Mit dem erfolgreichen Verlauf des Westfeldzuges im Mai 1940 begann die Kriegsmarine wieder Planungen für eine Invasion Englands. Am 27. Mai lag eine neue Studie vor, die sich auch auf die Studie Nordwest des Heeres vom Dezember 1939 bezog, und nun alle Häfen von der französischen Kanalküste bis zum im April 1940 besetzten Dänemark als Basis für eine Invasionsflotte einbezog. Am 31. Mai begann die Kriegsmarine die Arbeiten für den Aufbau einer Landungsflotte. Dafür wurden in den nächsten Wochen alle Seefahrzeuge erfasst, die für eine Landung in England brauchbar waren. Nun hatten ernsthafte Vorbereitungen für eine Invasion Englands begonnen. Bis zum 7. Juni war eine Studie erstellt, in der die navigatorischen Bedingungen in den britischen Küstengewässern, der Zustand jedes englischen Hafens im möglichen Landungsraum und die Küstenabschnitte für Landemöglichkeiten an offener Küste dargestellt wurden.
Mit dem militärischen Zusammenbruch Frankreichs im Juni 1940 und dem folgenden Waffenstillstand, der am 25. Juni 1940 in Kraft trat, musste auch eine Entscheidung über den weiteren Kriegsverlauf mit Großbritannien als dem einzigen verbliebenen Gegner Deutschlands fallen.
Auch das Heer begann Anfang Juni wieder mit Planungen für eine Invasion Englands, und verschiedene Konferenzen über eine Landung in England wurden in den Führungsebenen der Wehrmacht abgehalten. Am 13. Juli 1940 hielt Halder als Generalstabschef des Heeres in Anwesenheit des Oberkommandierenden des Heeres von Brauchitsch, einen Vortrag über die Vorüberlegungen des Heeres für eine Landung in England vor Adolf Hitler. Im Anschluss an den Vortrag befahl dieser den beiden Generalen, sofort mit den praktischen Vorbereitungen der Invasion Englands zu beginnen.
Am 16. Juli 1940 erteilte Hitler die „Weisung Nr. 16 über die Vorbereitung einer Landungsoperation gegen England“. Darin heißt es:
„Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen Lage, noch keine Anzeichen einer Verständigungsbereitschaft zu erkennen gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation gegen England vorzubereiten und, wenn nötig, durchzuführen.[4]“
Die Planungen von Heer und Marine waren sich über Ort und Zeitpunkt der Invasion und andere Zuständigkeiten uneinig. Aufgabe der Luftwaffe und Voraussetzung für die Invasion war nach Ansicht der Marine in jedem Fall die Erringung der totalen Luftüberlegenheit über dem Invasionsraum sowie die operative Unterstützung von Heer und Marine.
Das deutsche Heer wollte an möglichst vielen Stellen landen und Großbritannien auf breiter Front angreifen.
Deutsche Truppen bei einer Verladeübung mit einem amphibisch modifizierten Panzerkampfwagen III
Die deutsche Marine wollte hingegen nur auf einem schmalen Korridor in der Straße von Dover landen, da die Marine selbst bei totaler Luftüberlegenheit zu schwach war, mehrere Landungsoperationen gegen die überlegene Royal Navy zu schützen. Nach Plänen der Marine sollte der Korridor links und rechts durch Minensperren und vorgeschobene U-Boote geschützt werden.
Daraufhin griff Hitler ein und entschied folgenden Plan, der weder die Marine noch das Heer befriedigte:
Die 9. Armee startet in den Häfen Le Havre und Boulogne und landet im Gebiet zwischen Bognor Regis und Eastbourne
Die 16. Armee startet in den Häfen Calais, Dünkirchen, Ostende, Antwerpen und Rotterdam und landet im Gebiet zwischen Eastbourne und Dover, beide Armeen unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt
Die 6. Armee wird in Cherbourg in Reserve gehalten unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb.
Verladen von Tauchpanzer III
Am 25. Juli berechnete die Marine den Bedarf an Seefahrzeugen:
155 Frachter (etwa 700.000 BRT)
1722 Kähne
471 Schlepper
1161 Motorboote
In diesen Zahlen war eine Reserve von 10 % für Verluste aller Art (Feindeinwirkung, Havarien) eingeschlossen.[5]
Als frühesten Landetermin meldete die Kriegsmarine am 22. Juli den Zeitraum Mitte August, aber auch nur unter der Voraussetzung der Luftherrschaft. Die Vorbereitungen für die Landung in England waren tatsächlich schließlich erst Mitte September 1940 abgeschlossen, hauptsächlich wegen des zeitaufwändigen Umbaus von rund 2000 Kähnen zu Landungsbooten.
Anfang September begann die Verlegung der Landungsflotte in ihre Absprunghäfen. Trotz der Verluste durch englische Bombenangriffe auf die Landungsflotte in ihren Häfen waren genug Schiffe für die Landungsflotte vorhanden. Der Bestand betrug am 19. September 1940:
168 Frachter
1975 Kähne
100 Küstenmotorschiffe
420 Schlepper
1600 Motorboote[6]
Zur Täuschung der englischen Verteidigung wurde noch eine Scheinlandung im Norden Großbritanniens vorbereitet (Operation Herbstreise).
Hitler zeigte keine große Begeisterung für eine Landung in England, was sich schon an der Formulierung in der Weisung Nr. 16 erkennen lässt, eine Landung nur „wenn nötig durchzuführen“, und Raeder erklärte ihm als Chef der Kriegsmarine immer wieder die Schwierigkeiten einer Landung. Eine „Verständigungsbereitschaft“ Englands war Hitler offensichtlich lieber. So machte er am 19. Juli während einer Rede in Berlin ein Friedensangebot an England, auf das die Regierung in London aber nicht einging. Darauf reagierte Hitler am 2. August 1940 mit der „Weisung Nr. 17 für die Führung des Luft- und Seekrieges gegen England“.
Anstatt nun alle Vorbereitungen auf die Invasion Englands zu konzentrieren, versuchte Hitler mit der Weisung Nr. 17 sowohl die geplante Landungsoperation im Vorfeld zu unterstützen, indem er verlangte „die englische Luftwaffe möglichst bald niederzukämpfen“, als auch einen reinen Wirtschaftskrieg zu führen. So sollten die „Luftrüstungsindustrie“ und die „Lebensmittelbevorratung“ Englands angegriffen werden und dafür sogar der Kampf gegen feindliche Kriegsschiffe aus der Luft zurücktreten, wie es in der Weisung heißt – also ein Befehl, welcher der Vorbereitung der Landung in England genau widerspricht. Im letzten Punkt der Weisung Nr. 17 hielt Hitler fest: „Terrorangriffe als Vergeltung behalte ich mir vor“.[7] Schnell entwickelten sich diese Luftangriffe zu reinen Bombardements von Städten ohne jeden Zusammenhang mit dem Unternehmen Seelöwe. Die Angriffe brachten der Luftwaffe hohe Verluste und Hitlers Hoffnung erfüllte sich nicht, durch die Bombenangriffe auf Städte – insbesondere auf London – die Moral der englischen Bevölkerung und Regierung zu brechen, um sie friedensbereit zu machen. Auch die Luftherrschaft konnte nicht errungen werden. Dieser im Sinne der geplanten Landung in England sinnlose Luftkrieg ging als Luftschlacht um England in die Geschichte ein.
Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Die Umstellung der Angriffe der Luftwaffe war von Hitler gebilligt worden. Es war zu erkennen, daß er ebenso wie Göring die Hoffnung hegte, durch die Angriffe auf London zum Erfolg zu kommen, ohne das Risiko einer Invasion einzugehen. Ich hielt es für aussichtslos, ihn von dieser Einstellung abzubringen. Ich hätte ihm dann raten müssen, stattdessen die Operation „Seelöwe“ durchzuführen, an deren Gelingen ich von vornherein zweifelte ...“[8]
Die in Libyen stehenden Italiener wurden um den 10. August aufgefordert, die Italienische Invasion Ägyptens zu beginnen, um die britischen Truppen für den Fall der Invasion Englands dort zu binden.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt Raeder über ein Gespräch mit Hitler am 13. August: „Ich wies erneut darauf hin, daß die Operation „Seelöwe“ nur als letzter Ausweg in Frage kommt, wenn England auf keinem anderen Wege friedensbereit gemacht werden könne. Hitler stimmte meiner Auffassung zu, wollte aber mit dem Oberbefehlshaber des Heeres noch einmal sprechen.“[8]
Als letzten Versuch, mit England ohne eine Invasion des Landes zum Frieden zu kommen, begann Hitler Anfang September 1940 geheime Verhandlungen mit England, die er über Zwischenträger in Schweden führte. Sie endeten am 19. September 1940 in einer geheimen offiziellen Stellungnahme der britischen Regierung mit für Hitler unannehmbaren Bedingungen (Räumung der von Deutschland besetzten Länder).[9]
Zu dieser Zeit kam eine Studie, in Auftrag gegeben vom War Cabinet, der politischen Militärführung Großbritanniens unter dem Vorsitz des Premierministers Winston Churchill, zu dem Schluss, dass die entscheidende Waffe gegen eine deutsche Invasion, die Royal Navy, die Eroberung Englands durch die Wehrmacht nicht würde verhindern können.[10]
Genau in diese Zeit der Geheimverhandlungen mit England fiel auch die Zeit der endgültigen Entscheidung, ob das Unternehmen Seelöwe durchgeführt würde oder nicht. Mitte September 1940 hätte Hitler den Befehl zur Durchführung geben müssen, weil vom Befehl bis zur Durchführung auf Grund aller notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen mehrere Tage vergehen würden und um den 20. bis 25. September wegen der dann mondhellen Nächte bestes Operationswetter herrschen würde. Später würden sowohl die Wetterbedingungen mit dem einsetzenden Herbstwetter und den immer kürzer werdenden Tagen und dunklen Nächten eine Landungsoperation unmöglich machen. Hitler gab den Befehl zur Landung in England jedoch nicht und verschob am 15. Oktober 1940 das Unternehmen Seelöwe auf das Frühjahr 1941.
Dem General der Flieger Kurt Student, der die Luftlandetruppen befehligte, die beim Unternehmen Seelöwe an Fallschirmen und mit Lastenseglern in der ersten Welle und später mit Transportflugzeugen in England landen sollten, sagte Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, am 2. September 1940: „Der Führer will gar nicht nach England, Student!“ Student: „Und warum nicht?“ Als Antwort zuckte Göring mit den Achseln.[11]
Am 18. Dezember 1940 gab Hitler mit der „Weisung Nr. 21: Fall Barbarossa“ den Befehl zur Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion. Diese Vorbereitungen sollten bis zum 15. Mai 1941 abgeschlossen sein, um sodann zum Angriff übergehen zu können.[12] Damit war eine Invasion Englands auch 1941 ausgeschlossen, obwohl die Vorbereitungen für die Landung in England weiterliefen, wenn auch seit dem 15. Oktober 1940 immer mehr Truppen und Material vom Unternehmen Seelöwe für andere Aufgaben abgezogen wurden.
Am 14. Dezember 1941 wurde vom Oberkommando der Wehrmacht der Bau des Atlantikwalls befohlen, der eine Invasion der Engländer und Amerikaner in West- und Nordeuropa verhindern sollte.[13]
Endgültig aufgegeben wurde die Operation Seelöwe nie. Der letzte Befehl zur offiziell weiterhin geplanten Landung in England wurde von der Kriegsmarine am 5. Februar 1944 gegeben: „Die Fertigungen (und nur die) für die Vorbereitungen für Seelöwe sind bis auf weiteres stillzulegen.“[14]
Der Kanal, Deutsche Admiralitätskarte 66, Oberkommando der Kriegsmarine 1943, Privatsammlung
Siehe auch
Erprobungsverband Ostsee
Unternehmen Grün (Plan zur Invasion Irlands)
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