Heinrich von Treitschke
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Heinrich von Treitschke
Heinrich Gotthardt von Treitschke (* 15. September 1834 in Dresden; † 28. April 1896 in Berlin) war ein deutscher Historiker, politischer Publizist und Mitglied des Reichstags von 1871 bis 1884, zunächst als nationalliberaler Abgeordneter, seit 1878 ohne Parteizugehörigkeit. Er war einer der zu seiner Zeit bekanntesten und meist gelesenen Historiker und politischen Publizisten in Deutschland.
Mit einem 1879 veröffentlichen Aufsatz löste Treitschke den Berliner Antisemitismusstreit aus. Dieser Aufsatz enthält u. a. den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zum Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde.
Leben
Herkunft und Ausbildung
Heinrich von Treitschke stammte aus einer sächsischen Beamten- und Offiziersfamilie und war evangelischer Konfession. Die Vorfahren stammten aus Böhmen und wanderten wegen ihrer evangelischen Konfession im Dreißigjährigen Krieg nach der Schlacht am Weißen Berg nach Sachsen ein. Sein Vater war der sächsische Generalleutnant Eduard Heinrich von Treitschke, sein Onkel der Jurist Georg Carl Treitschke und sein Vetter der General Heinrich Leo von Treitschke. Er studierte 1851 bis 1853 Geschichte und Bonn, wo er im Wintersemester 1851/52 der Burschenschaft Frankonia beitrat und wo er durch den Historiker Friedrich Christoph Dahlmann beeinflusst wurde, und danach auf Drängen seienes Vaters vor allem Staats- und Kameralwissenschaften an der Leipzig. Schon als Student litt er an zunehmender Schwerhörigkeit, was auch den Besuch von Vorlesungen behinderte. Wegen der besseren Bibliothek ging er für seine Promotion in Nationalökonomie an die Tübingen zu Wilhelm Roscher und vollendete seine Dissertation zum Dr. iur. (Titel: Quibusnam operis vera conficiantur bona, Über die Produktivität der Arbeit) während eines zweimonatigen Aufenthalts in Freiburg im Breisgau. Eingereicht wurde sie in Leipzig. Danach ging er nach Heidelberg, wo er wegen eines Pistolenduells einige Zeit im Karzer sass und wandte sich dann nach Dresden und wegen der besseren Bibliothek nach Göttingen, wo er in eineinhalb Jahren seine Habilitation schrieb, die er 1858 in Leipzig bei Roscher einreichte („Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch“). Er schwankte in dieser Zeit Dichter oder Journalist zu werden, versuchte sich an Gedichten und einem Drama. Auf Einladung von Rudolf Haym wurde er 1858 Mitarbeiter der neu gegründeten Preußischen Jahrbücher und fand durch seinen Aufsatz Über die Grundlagen der englischen Freiheit, in dem er die Vorteile des politischen und Rechts-Systems in England gegenüber der staatlichen Willkür deutscher Verhältnisse pries, bei Liberalen Aufmerksamkeit. 1858 veröffentlichte er seinen Streitschrift Die Gesellschaftswissenschaften, in der er diese von Robert Mohl und Wilhelm Heinrich Riehl vertretene Denkrichtung kritisierte (die Untersuchung der Gesellschaft konnte nach Treitschke nicht unabhängig von der des Staates erfolgen), und er veröffentlichte einen Essay über Heinrich von Kleist, in der noch seine zuvor aufgegebenen literarischen Neigungen nachwirkten und denen später weitere Essays und Skizzen von Literaten folgten. 1859 wurde er Privatdozent in Leipzig und lehrte dort außerdem ab 1862 Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Akademie in Plagwitz, wandte sich aber zunehmend von der Nationalökonomie ab. Seine Vorlesungen in Leipzig zum Beispiel über preußische Geschichte (was an einer sächsischen Universität ungewöhnlich war), europäische und deutsche Geschichte fanden schon 1861 über 200 Hörer. Gleichzeitig kam es zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater dem General, der für ihn eine andere Karriere geplant hatte und von ihm verlangte, nichts der sächsischen Regierung gegenüber Kritisches zu sagen, dem Treitschke nicht nachkommen wollte. Als seine Mutter Marie von Oppen (1810-1861) starb, teilte ihm die Familie das so spät mit, dass er nicht an der Beerdigung teilnehmen konnte. Da er in Leipzig wenig Aussicht auf Beförderung sah, trotz seines Erfolgs als Hochschullehrer, verbrachte er viel Zeit zum Beispiel in München. 1863 wurde er zum außerordentlichen Professor für Staatswissenschaften in Freiburg im Breisgau ernannt. 1866 übernahm er eine ordentliche Professur für Geschichte und Politik an der Universität Kiel, wobei es Widerstände in der Fakultät gab wegen seiner offensiven Art und politischen Auffassung der Geschichtswissenschaft, und 1867 an der Universität Heidelberg. 1873 wurde er als Nachfolger auf den Lehrstuhl Leopold von Rankes an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen, nachdem Jacob Burckhardt den Ruf im Jahr zuvor abgelehnt hatte. Johann Gustav Droysen war gegen seine Berufung, die aber unter anderem von Hermann von Helmholtz betrieben wurde, der mit Treitschke befreundet war.
1886 wurde er nach dem Tod von Ranke offizieller Historiograph des Preußischen Staates.
Wirken in Preußen
Treitschke im Hörsaal, Zeichnung um 1879
Seit 1858 war Treitschke Redakteur der Zeitschrift Preußische Jahrbücher. Dabei vertrat er anfänglich eine liberale Einstellung und brach sogar 1863 mit den Preußischen Jahrbüchern, für die er ein eifriger Autor gewesen war, da diese sich im Verfassungskonflikt auf Bismarcks Seite stellten. Nach der Reichsgründung 1871 schloss er sich aber den Nationalliberalen an und unterstützte die preußische Staatsidee und Reichskanzler Otto von Bismarck, den er anfangs als Liberaler noch bekämpft hatte. Dabei sah er vor allem Sozialdemokraten und Juden, aber auch liberale Befürworter der Parlamentarisierung des Reiches sowie Vertreter der freigeistigen Bewegung als Gegner. Treitschke wurde später aus der Redaktion der Preußischen Jahrbücher verdrängt. Sein langjähriger Mitherausgeber Hans Delbrück, der nach Treitschkes Tod auch dessen Lehrstuhl übernehmen sollte, führte die Jahrbücher weiter.
Von 1871 bis 1884 war Treitschke zudem Mitglied des Reichstages, bis 1878 als Angehöriger der nationalliberalen Partei, später parteilos.
1886 wurde Treitschke offizieller Hofhistoriograph des preußischen Staates. Objektivität in der Geschichtsschreibung lehnte er ab und er galt in der späteren Wahrnehmung als Inbegriff des politisierenden Historikers (nach einer Wortschöpfung von Thomas Nipperdey als Treitschke redivivus bezeichnet)[1][2]. Treitschke stellte seine historische Arbeit in den Dienst politischer Ziele. Sein Hauptwerk, die fünfbändige Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (1879–1894), das mit der Schilderung der Vorboten der Revolutionen 1848/1849 in Frankreich, Italien und der Schweiz eher abbricht als schließt, legitimiert die Politik Preußens und seine herausragende Stellung. Gleichzeitig versuchte er die eigenstaatliche Existenz der süddeutschen Monarchien, insbesondere Bayerns, zu delegitimieren, indem er deren Souveränität als Ergebnis ausschließlich der französischen Politik bewertete. Von den Reformen Montgelas nahm Treitschke nur insoweit Kenntnis, als er dessen Defizite betonte. In seiner Geschichtsschreibung tritt allenthalben die Idee einer deutsch-französischen Erbfeindschaft entgegen. Auf die zeitgenössischen Leser wirkten vor allem die vielen biographischen Skizzen, nicht nur von Staatsmännern, sondern auch von Literaten und anderen Persönlichkeiten. Seine Deutsche Geschichte erlebte viele Auflagen und fand im gebildeten Bürgertum weite Verbreitung und die Tantiemen machten ihn finanziell unabhängig.
Das Buch fand aber auch heftige Kritiker unter Historikerkollegen, insbesondere von seinem ehemaligen Freund Hermann Baumgarten ab 1883, der ihm zu große Parteinahme für Preußen und Vernachlässigung wissenschaftlicher Sorgfalt vorwarf[3] was zu einer breiten Kontroverse führte (siehe Treitschke-Baumgarten-Kontroverse). Ein Motiv des politisch liberalen Baumgarten war auch seinen Enttäuschung der politischen Kehrtwendung eines früher liberalen Weggenossen. Treitschke wurde aber auch von Historikern wie Bernhard Erdmannsdörffer, Gottlob Egelhaaf und Heinrich von Sybel verteidigt, und ein Gutachten von Sybel führte dazu, dass Treitschke für die ersten beiden Bände der Deutschen Geschichte 1884 den Verdun Preis erhielt. Treitschke war durch die Kritik enttäuscht, fühlte sich aber durch den publizistischen Erfolg ermutigt und erweiterte das Werk über das ursprünglich Geplante hinaus auf fünf jeweils rund 800 Seiten starke Bände.
Treitschke übte großen Einfluss auf jene Generation von Studenten aus, die in der Endphase des Kaiserreiches und auch noch in der Weimarer Republik die Regierung und Verwaltung Deutschlands prägten. Der schwerhörige Treitschke, der seine Vorlesungen leidenschaftlich und laut vortrug (und aufgrund seiner fast völligen Taubheit keine Seminare abhielt und auch keine Schule bildete)[4], erfreute sich insbesondere bei Corpsstudenten größter Beliebtheit. Seine lebendig und mit rhetorischem Geschick vorgetragenen Vorlesungen waren häufig überfüllt und zogen auch Hörer außerhalb der Universität an und waren gesellschaftliche Ereignisse. Zu seinen Hörern und Studenten zählten auch viele prominente Persönlichkeiten und spätere Vertreter imperialistischer Strömungen im Deutschen Reich wie Alfred von Tirpitz, Friedrich von Bernhardi, Carl Peters und Heinrich Claß. Zu seinen Hörern gehörten auch Friedrich Meinecke, Erich Marcks, Gustav Beckmann, Karl Liebknecht, W. E. B. Du Bois, Georg Simmel. Frauen liess er zu seinen Vorlesungen nicht zu.[5]
Treitschke war in Deutschland ein Befürworter des Monarchismus, den er als historisch gewachsen empfand, und der Reichseinigung unter preußischer Führung. Nach Thomas Gerhards[6] vertrat er zwar kein imperialistisches Gedankengut, wurde aber zu Beginn des Ersten Weltkriegs insbesondere von englischen Historikern als einer von dessen herausragenden Vertretern herausgestellt, wobei vor allem die Mitschriften seiner Vorlesungen herangezogen wurden (insbesondere sein Buch Politik). Die Engländer, denen Treitschke in einem häufig zitierten Ausspruch[7] vorhielt, Seife mit Zivilisation zu verwechseln, sahen ihn Anfang des Ersten Weltkriegs als Kronzeugen einer tiefliegenden militaristischen Gesinnung der Deutschen in einer Reihe mit Friedrich von Bernhardi und Friedrich Nietzsche.[8] Der Historiker Gordon A. Craig sieht ihn mit der Forderung nach „Zerschlagung der britischen Seemacht“[9] und seiner emotionsgeladenen „wilden“ Sprache ebenfalls noch in der Reihe der Vordenker eines Großmachtstrebens, das zum Ersten Weltkrieg führte. Seine ursprünglich positive Haltung zu England (er war ein guter Kenner der englischen Verhältnisse und der englischen Literatur, der unter anderem einen Essay über John Milton geschrieben hatte) war nach deren Einflußnahme im Krieg 1864 gegen Dänemark und 1870/71 gegen Frankreich jeweils im Sinn einer Bremsung des preußischen Vordringens abgekühlt und in Erbitterung umgeschlagen, was ein Aufenthalt in England 1895 (seine erste Reise dorthin) verstärkte.[10] Er sah auch Konflikte mit England bei einem weiteren von ihm befürworteten Kolonialstreben Deutschlands vorher, war aber aufgrund der bedrohlichen Konsequenzen für das isolierte Deutsche Reich ein Gegner eines Kriegs mit England.
Treitschke bekämpfte in den 1870er Jahren auch Sozialisten wie seinen Professorenkollegen, ehemaligen Freund und „Kathedersozialisten“ Gustav Schmoller, wetterte gegen Katholiken, Juden und die Engländer. In seinem einflußreichen Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 stellte er Polen und andere Slawen abwertend einem in seiner Sicht kultur- und staatsbildenden Einfluß der Deutschen (in Form des Deutschen Ordens) gegenüber.[11]
Er war 1866 bis 1889 (neben Hans Delbrück) Herausgeber der Preußischen Jahrbücher. 1895/96 war er Herausgeber der Historischen Zeitschrift.
Berliner Antisemitismusstreit
Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später das Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Treitschke formulierte diesen Satz in dem aufsehenerregenden Aufsatz Unsere Aussichten (1879) als angeblichen parteiübergreifenden Konsens seiner Zeitgenossen „wie aus einem Munde“ und erhob darin Forderungen nach Zurückdrängen des gesellschaftlichen Einflusses der Juden.
Der Aufsatz löste den Berliner Antisemitismusstreit aus, der die deutsche Öffentlichkeit landesweit beschäftigte, bis 1881 anhielt und den Antisemitismus gesellschaftsfähig machte.[12] Der Kern der Polemik Treitschkes ist gegen den Willen der Juden gerichtet, ihre eigene Identität und ihren kulturellen Zusammenhang zu behaupten, während sie an dem Leben der Nation teilnehmen können. Der Weg der Assimilation, den er für eine Lösung hielt, sei von einzelnen wie Gabriel Rießer und Felix Mendelssohn schon betreten worden. In seiner politischen Theorie ging er davon aus, dass ein Jude, der den Willen zur vollen Bejahung seiner Umwelt habe, die Fähigkeit besitze, deutsches Wesen in sich aufzunehmen und das jüdische Wesen abzustreifen. Eine Bekehrung zum Deutschtum mit allen seinen spirituellen Werten sei möglich. Alles, was an Gutem an den Juden sei, wäre aus der Anpassung an die deutsche Welt geschöpft, das Judentum selbst sei keine positive Kraft, sondern ein überlebtes Relikt mit der gefährlichen Macht, eine säkularisierte internationale Gesellschaft zu bilden. Die gesunde Haupttendenz der Geschichte läge im modernen Nationalstaat mit christlicher Tradition. Das Judentum dürfe nie gleichberechtigte Konfession werden, da sonst keine nationale Einheit möglich sei und nur die Vertreibung aller Juden bliebe.
Die Rassenlehre als Grundlage der Nationalidee, die damals Antisemiten wie Wilhelm Marr und bald darauf Karl Eugen Dühring propagierten, lehnte Treitschke ab; aber auch er sprach von „Blutvermischung“ und „Mischcultur“ als „zersetzendem“ Faktor, auf den das gesunde germanische Volksempfinden mit Abwehr reagieren müsse. Die damals verbreitete Antisemitenpetition hat er nicht unterschrieben, stand den Aktionen seiner Studenten zur Unterschriftensammlung aber wohlwollend gegenüber und distanzierte sich erst auf Drängen seines Kollegen Theodor Mommsen davon (November 1880). Seine Schriften und Vorlesungen an der Berliner Universität haben erheblich dazu beigetragen, in der gebildeten Welt eine Betrachtungsweise einzuführen, durch die das Judentum der nationalen Einigung wesensfremd erschien.
Treitschke wurde von Teilen der Presse wegen seiner Äußerungen scharf angegriffen und seine Haltung führte zu vielen Zerwürfnissen mit Kollegen wie Theodor Mommsen, Harry Breßlau und Johann Gustav Droysen und jüdischen Freunden wie Levin Goldschmidt und auch sein enger Freund Franz Overbeck kritisierte ihn deswegen. Er selbst grenzte sich vom „Radau-Antisemitismus“ ab, sah diesen aber als nachvollziehbare Folge eines angeblich übergroßen Einflusses von Juden an. Er verstand sich selbst nicht als Antisemiten und verwies auf seine Kontakte zu Juden (z. B. hielt er die Grabrede auf seinen jüdischen Freund und Bundesbruder Alphons Oppenheim). Er bot auch an, Beiträge für Josef Schrattenholz’ Antisemiten-Hammer zu liefern, eine Schriftenreihe mit dem erklärten Ziel, den Antisemitismus zu widerlegen.[13] Seine Schriften waren jedoch radikal nationalistisch, wobei sein Verständnis von Nation die Juden als Fremde sah und ausgrenzte. Treitschke nahm so „dem Antisemitismus den ‚Kappzaum der Scham‘ (Theodor Mommsen) und machte ihn für breite Bevölkerungskreise akzeptabel, die sich vom ‚Radau- und Pöbelantisemitismus‘ distanzierten“[14]. Er leistete damit „einen bedeutenden Beitrag dazu, den Antisemitismus innerhalb des Bürgertums salonfähig zu machen“[15].
Der Historiker Golo Mann charakterisierte Treitschkes Haltung wie folgt:[16]
„Zugleich mit der Judenemanzipation, der neuen bürgerlichen Angleichung, erscheint der neue Antisemitismus. Aber er ist zunächst nicht das, was wir uns darunter vorstellen; er verlangt nicht Ausschließung, sondern völlige Angleichung und Bescheidenheit in der Angleichung; er verlangt Ausschließung nur derer, die sich nicht angleichen wollen. Ich will Ihnen für diese Ansicht, diese Haltung nur ein merkwürdiges Beispiel geben, das des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke. Dieser große Schriftsteller gilt gemeinhin als Antisemit, und das war er auch; dennoch hätten etwa die Nazis mit seinem Antisemitismus durchaus nichts anfangen können. Treitschke war ein leidenschaftlicher, zorniger Patriot, sehr entschieden in seinem Urteil, aber mit einem schönen Sinn für das Gerechte und Wahre; etwas Unwahres, etwas Gemeines wäre nie aus seiner Feder gekommen. Und so sah Treitschke nur eine mögliche Lösung der Judenfrage in Deutschland: völliges Aufgehen des zahlenmäßig so geringen Judentums im Deutschtum, Preisgabe jedes eigenen jüdischen Lebensstiles. Er lobte die preußischen Juden, die in den Befreiungskriegen ehrenhaft ihre soldatische Pflicht getan hatten.“
Als eine der Folgen der Auseinandersetzung versuchte Mommsen lange die Aufnahme von Treitschke in die Preußische Akademie der Wissenschaften zu verhindern (und seine Teilhabe an der Herausgeberschaft der Historischen Zeitschrift), mit der Begründung er wäre mehr Publizist als Wissenschaftler. 1895 wurde Treitschke dann aber doch noch insbesondere auf energisches Betreiben von Sybel aufgenommen.
Treitschke wurde später von den Nationalsozialisten für sich vereinnahmt und seine antisemitische Haltung wurde in der von Alfred Rosenberg organisierten Volksausgabe seiner Werke durch Kürzungen, Auslassungen und teilweise völlige Neuschreibungen[17] verstärkt.
Nachwirkung
Grab von Treitschke auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof Berlin
Treitschke wirkte wie zu Lebzeiten auch nach seinem Tod polarisierend. Einerseits anerkannten auch Kritiker das rhetorische Geschick und die literarische Lebendigkeit seiner Darstellung, andererseits wurde er politisch als preußischer Hofhistoriker und Historiker mit explizit in seinen Werken zum Ausdruck gebrachtem politisch-konservativem bzw. aus heutiger Sicht reaktionärem Anspruch abgelehnt. In jüngerer Zeit und insbesondere nach der Erfahrung des Nationalsozialismus dominiert die Ablehnung wegen seiner antisemitischen Äußerungen.[18]
1909 wurde ihm vor der Berliner Universität neben der Statue von Hermann von Helmholtz ein Denkmal errichtet, dem wenig später auch das von Theodor Mommsen zur Seite gestellt wurde. Während das Mommsen Denkmal noch heute dort steht, wurde das von Treitschke Mitte der 1930er bei der Renovierung in einen Seitenhof versetzt und 1951 abgebaut und eingeschmolzen.[19]
Nach seinem Tod wurden in vielen Städten Straßen nach Treitschke benannt, was in den letzten Jahren zu Kontroversen führte. So wurde in Nürnberg eine in der Zeit des Nationalsozialismus nach ihm benannte Straße in Steuerwald-Landmann-Straße umbenannt. Im November 2011 beschloss der Gemeinderat Heidelberg nach langjährigem Streit eine Umbenennung der dortigen Treitschkestraße.[20] Die Umbenennung in Goldschmidtstraße erfolgte dann am 29. März 2012.[21]
In anderen Städten wie Berlin, München (seit 1960) oder Karlsruhe gibt es nach wie vor Treitschkestraßen.[22] Die Umbenennung der Treitschkestraße in Berlin in Kurt Scharf Straße wurde 2003 von der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf nach ausgiebiger Diskussion abgelehnt.[23] In Berlin-Steglitz und Karlsruhe erklären Informationstafeln die Bedeutung Treitschkes.[24] In Berlin-Steglitz wurde zusätzlich eine angrenzende Grünfläche in Harry-Bresslau-Park umbenannt.[25]
Privates
Treitschke war seit 1867 mit Emma von Bodmann verheiratet und hatte drei Kinder. Der Tod seines Sohnes im Januar 1881 an Diphterie traf ihn und vor allem seine Frau schwer, was Treitschke zusätzlich belastete. Er war fast taub und verständigte sich mit seiner Frau mit Zeichensprache, mit Anderen über Zettel. Er reiste viel in Deutschland und in Europa, am meisten in die Schweiz und Tirol, aber auch nach Italien, Frankreich, Schweden, Spanien und England.
Er war eng seit der gemeinsamen Studienzeit mit Franz Overbeck befreundet und stand mit Gustav Freytag im Briefwechsel. Weitere Freunde waren Emil Herrmann und Hermann von Helmholtz.
Treitschke liegt auf dem evangelischen Alten St. Matthäusfriedhof in Berlin-Schöneberg begraben. 1952 erhielt es den Status eines Ehrengrabs des Landes Berlin, der Status wurde 2003 aberkannt.
Werke (Auswahl)
Vaterländische Gedichte. Berlin 1856
Studien, Hirzel, Leipzig 1857
Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch. Leipzig 1859
Das deutsche Ordensland Preußen, Preußische Jahrbücher, Band 10, 1862, S. 95-151 (auch in Historische und Politische Aufsätze, Band 2, 1871 in überarbeiteter Form)
Historische und Politische Aufsätze vornehmlich zur neuesten Deutschen Geschichte. 1865
Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage. Eine Erwiderung. Leipzig 1865
Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten. Berlin 1866
Der Krieg und die Bundesreform. 1866
Was fordern wir von Frankreich ?, Berlin 1870
Cavour, in Historische und Politische Aufsätze, Band 1, 1870
Zehn Jahre deutscher Kämpfe 1865–1874. Schriften zur Tagespolitik., 2 Bände, Berlin 1874
Der Socialismus und seine Gönner. Nebst einem Sendschreiben an Gustav Schmoller., Preußische Jahrbücher, Band 34, 1875, S. 67-110 und 248-301
Der Socialismus und der Meuchelmord. 1878
Unsere Aussichten, Preußische Jahrbücher, Band 44, 1879, S. 559-576, Online (PDF; 1,2 MB) (Antisemitismusstreit)
Herr Graetz und sein Judenthum, Preußische Jahrbücher. Bd. 44, 1879, S. 660–670, Online (PDF; 666 kB)
Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. 1879–1894
Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Hirzel, Leipzig 1879. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Hirzel, Leipzig 1882. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Hirzel, Leipzig 1885. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Hirzel, Leipzig 1889. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Hirzel, Leipzig 1894. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Noch einige Bemerkungen zur Judenfrage, Preußische Jahrbücher, Bd. 45, 1880, S. 85–95, Online (PDF; 740 kB)
Ein Wort über unser Judenthum, 1880 (vier Auflagen), Sonderabdruck aus: Preußische Jahrbücher. Bd. 44 und 45, 1879 und 1880
Luther und die deutsche Nation. Vortrag. 1884
Rede, gehalten zur Feier der fünfundzwanzigjährigen Regierung Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm I. im großen Hörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität am 4. Januar 1886. 1886
Die Zukunft des deutschen Gymnasiums. 1890
Der Entwurf des Preußischen Volksschulgesetzes. 1892
Gustav Adolf und Deutschlands Freiheit. Vortrag gehalten am 8. Dezember 1894 in der Sing-Akademie zu Berlin, Leipzig, Hirzel 1895
Reden von Heinrich v. Treitschke im Deutschen Reichstage 1871–1884. Leipzig 1896
Deutsche Kämpfe. Neue Folge, Schriften zur Tagespolitik, Leipzig 1896
Politik. Vorlesungen. 1897–1898, 2 Bände, Leipzig 1911, 1913
Bilder aus der deutschen Geschichte, 2 Bände, Hirzel, 3. Auflage 1909
Ausgewählte Schriften, 2 Bände, Leipzig: Hirzel, 4. Auflage, 1908
Historische und Politische Aufsätze, 4 Bände, Leipzig, Hirzel, 8. Auflage 1918
Quelle - Literatur & einzelnachweise
Mit einem 1879 veröffentlichen Aufsatz löste Treitschke den Berliner Antisemitismusstreit aus. Dieser Aufsatz enthält u. a. den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zum Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde.
Leben
Herkunft und Ausbildung
Heinrich von Treitschke stammte aus einer sächsischen Beamten- und Offiziersfamilie und war evangelischer Konfession. Die Vorfahren stammten aus Böhmen und wanderten wegen ihrer evangelischen Konfession im Dreißigjährigen Krieg nach der Schlacht am Weißen Berg nach Sachsen ein. Sein Vater war der sächsische Generalleutnant Eduard Heinrich von Treitschke, sein Onkel der Jurist Georg Carl Treitschke und sein Vetter der General Heinrich Leo von Treitschke. Er studierte 1851 bis 1853 Geschichte und Bonn, wo er im Wintersemester 1851/52 der Burschenschaft Frankonia beitrat und wo er durch den Historiker Friedrich Christoph Dahlmann beeinflusst wurde, und danach auf Drängen seienes Vaters vor allem Staats- und Kameralwissenschaften an der Leipzig. Schon als Student litt er an zunehmender Schwerhörigkeit, was auch den Besuch von Vorlesungen behinderte. Wegen der besseren Bibliothek ging er für seine Promotion in Nationalökonomie an die Tübingen zu Wilhelm Roscher und vollendete seine Dissertation zum Dr. iur. (Titel: Quibusnam operis vera conficiantur bona, Über die Produktivität der Arbeit) während eines zweimonatigen Aufenthalts in Freiburg im Breisgau. Eingereicht wurde sie in Leipzig. Danach ging er nach Heidelberg, wo er wegen eines Pistolenduells einige Zeit im Karzer sass und wandte sich dann nach Dresden und wegen der besseren Bibliothek nach Göttingen, wo er in eineinhalb Jahren seine Habilitation schrieb, die er 1858 in Leipzig bei Roscher einreichte („Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch“). Er schwankte in dieser Zeit Dichter oder Journalist zu werden, versuchte sich an Gedichten und einem Drama. Auf Einladung von Rudolf Haym wurde er 1858 Mitarbeiter der neu gegründeten Preußischen Jahrbücher und fand durch seinen Aufsatz Über die Grundlagen der englischen Freiheit, in dem er die Vorteile des politischen und Rechts-Systems in England gegenüber der staatlichen Willkür deutscher Verhältnisse pries, bei Liberalen Aufmerksamkeit. 1858 veröffentlichte er seinen Streitschrift Die Gesellschaftswissenschaften, in der er diese von Robert Mohl und Wilhelm Heinrich Riehl vertretene Denkrichtung kritisierte (die Untersuchung der Gesellschaft konnte nach Treitschke nicht unabhängig von der des Staates erfolgen), und er veröffentlichte einen Essay über Heinrich von Kleist, in der noch seine zuvor aufgegebenen literarischen Neigungen nachwirkten und denen später weitere Essays und Skizzen von Literaten folgten. 1859 wurde er Privatdozent in Leipzig und lehrte dort außerdem ab 1862 Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Akademie in Plagwitz, wandte sich aber zunehmend von der Nationalökonomie ab. Seine Vorlesungen in Leipzig zum Beispiel über preußische Geschichte (was an einer sächsischen Universität ungewöhnlich war), europäische und deutsche Geschichte fanden schon 1861 über 200 Hörer. Gleichzeitig kam es zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater dem General, der für ihn eine andere Karriere geplant hatte und von ihm verlangte, nichts der sächsischen Regierung gegenüber Kritisches zu sagen, dem Treitschke nicht nachkommen wollte. Als seine Mutter Marie von Oppen (1810-1861) starb, teilte ihm die Familie das so spät mit, dass er nicht an der Beerdigung teilnehmen konnte. Da er in Leipzig wenig Aussicht auf Beförderung sah, trotz seines Erfolgs als Hochschullehrer, verbrachte er viel Zeit zum Beispiel in München. 1863 wurde er zum außerordentlichen Professor für Staatswissenschaften in Freiburg im Breisgau ernannt. 1866 übernahm er eine ordentliche Professur für Geschichte und Politik an der Universität Kiel, wobei es Widerstände in der Fakultät gab wegen seiner offensiven Art und politischen Auffassung der Geschichtswissenschaft, und 1867 an der Universität Heidelberg. 1873 wurde er als Nachfolger auf den Lehrstuhl Leopold von Rankes an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen, nachdem Jacob Burckhardt den Ruf im Jahr zuvor abgelehnt hatte. Johann Gustav Droysen war gegen seine Berufung, die aber unter anderem von Hermann von Helmholtz betrieben wurde, der mit Treitschke befreundet war.
1886 wurde er nach dem Tod von Ranke offizieller Historiograph des Preußischen Staates.
Wirken in Preußen
Treitschke im Hörsaal, Zeichnung um 1879
Seit 1858 war Treitschke Redakteur der Zeitschrift Preußische Jahrbücher. Dabei vertrat er anfänglich eine liberale Einstellung und brach sogar 1863 mit den Preußischen Jahrbüchern, für die er ein eifriger Autor gewesen war, da diese sich im Verfassungskonflikt auf Bismarcks Seite stellten. Nach der Reichsgründung 1871 schloss er sich aber den Nationalliberalen an und unterstützte die preußische Staatsidee und Reichskanzler Otto von Bismarck, den er anfangs als Liberaler noch bekämpft hatte. Dabei sah er vor allem Sozialdemokraten und Juden, aber auch liberale Befürworter der Parlamentarisierung des Reiches sowie Vertreter der freigeistigen Bewegung als Gegner. Treitschke wurde später aus der Redaktion der Preußischen Jahrbücher verdrängt. Sein langjähriger Mitherausgeber Hans Delbrück, der nach Treitschkes Tod auch dessen Lehrstuhl übernehmen sollte, führte die Jahrbücher weiter.
Von 1871 bis 1884 war Treitschke zudem Mitglied des Reichstages, bis 1878 als Angehöriger der nationalliberalen Partei, später parteilos.
1886 wurde Treitschke offizieller Hofhistoriograph des preußischen Staates. Objektivität in der Geschichtsschreibung lehnte er ab und er galt in der späteren Wahrnehmung als Inbegriff des politisierenden Historikers (nach einer Wortschöpfung von Thomas Nipperdey als Treitschke redivivus bezeichnet)[1][2]. Treitschke stellte seine historische Arbeit in den Dienst politischer Ziele. Sein Hauptwerk, die fünfbändige Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (1879–1894), das mit der Schilderung der Vorboten der Revolutionen 1848/1849 in Frankreich, Italien und der Schweiz eher abbricht als schließt, legitimiert die Politik Preußens und seine herausragende Stellung. Gleichzeitig versuchte er die eigenstaatliche Existenz der süddeutschen Monarchien, insbesondere Bayerns, zu delegitimieren, indem er deren Souveränität als Ergebnis ausschließlich der französischen Politik bewertete. Von den Reformen Montgelas nahm Treitschke nur insoweit Kenntnis, als er dessen Defizite betonte. In seiner Geschichtsschreibung tritt allenthalben die Idee einer deutsch-französischen Erbfeindschaft entgegen. Auf die zeitgenössischen Leser wirkten vor allem die vielen biographischen Skizzen, nicht nur von Staatsmännern, sondern auch von Literaten und anderen Persönlichkeiten. Seine Deutsche Geschichte erlebte viele Auflagen und fand im gebildeten Bürgertum weite Verbreitung und die Tantiemen machten ihn finanziell unabhängig.
Das Buch fand aber auch heftige Kritiker unter Historikerkollegen, insbesondere von seinem ehemaligen Freund Hermann Baumgarten ab 1883, der ihm zu große Parteinahme für Preußen und Vernachlässigung wissenschaftlicher Sorgfalt vorwarf[3] was zu einer breiten Kontroverse führte (siehe Treitschke-Baumgarten-Kontroverse). Ein Motiv des politisch liberalen Baumgarten war auch seinen Enttäuschung der politischen Kehrtwendung eines früher liberalen Weggenossen. Treitschke wurde aber auch von Historikern wie Bernhard Erdmannsdörffer, Gottlob Egelhaaf und Heinrich von Sybel verteidigt, und ein Gutachten von Sybel führte dazu, dass Treitschke für die ersten beiden Bände der Deutschen Geschichte 1884 den Verdun Preis erhielt. Treitschke war durch die Kritik enttäuscht, fühlte sich aber durch den publizistischen Erfolg ermutigt und erweiterte das Werk über das ursprünglich Geplante hinaus auf fünf jeweils rund 800 Seiten starke Bände.
Treitschke übte großen Einfluss auf jene Generation von Studenten aus, die in der Endphase des Kaiserreiches und auch noch in der Weimarer Republik die Regierung und Verwaltung Deutschlands prägten. Der schwerhörige Treitschke, der seine Vorlesungen leidenschaftlich und laut vortrug (und aufgrund seiner fast völligen Taubheit keine Seminare abhielt und auch keine Schule bildete)[4], erfreute sich insbesondere bei Corpsstudenten größter Beliebtheit. Seine lebendig und mit rhetorischem Geschick vorgetragenen Vorlesungen waren häufig überfüllt und zogen auch Hörer außerhalb der Universität an und waren gesellschaftliche Ereignisse. Zu seinen Hörern und Studenten zählten auch viele prominente Persönlichkeiten und spätere Vertreter imperialistischer Strömungen im Deutschen Reich wie Alfred von Tirpitz, Friedrich von Bernhardi, Carl Peters und Heinrich Claß. Zu seinen Hörern gehörten auch Friedrich Meinecke, Erich Marcks, Gustav Beckmann, Karl Liebknecht, W. E. B. Du Bois, Georg Simmel. Frauen liess er zu seinen Vorlesungen nicht zu.[5]
Treitschke war in Deutschland ein Befürworter des Monarchismus, den er als historisch gewachsen empfand, und der Reichseinigung unter preußischer Führung. Nach Thomas Gerhards[6] vertrat er zwar kein imperialistisches Gedankengut, wurde aber zu Beginn des Ersten Weltkriegs insbesondere von englischen Historikern als einer von dessen herausragenden Vertretern herausgestellt, wobei vor allem die Mitschriften seiner Vorlesungen herangezogen wurden (insbesondere sein Buch Politik). Die Engländer, denen Treitschke in einem häufig zitierten Ausspruch[7] vorhielt, Seife mit Zivilisation zu verwechseln, sahen ihn Anfang des Ersten Weltkriegs als Kronzeugen einer tiefliegenden militaristischen Gesinnung der Deutschen in einer Reihe mit Friedrich von Bernhardi und Friedrich Nietzsche.[8] Der Historiker Gordon A. Craig sieht ihn mit der Forderung nach „Zerschlagung der britischen Seemacht“[9] und seiner emotionsgeladenen „wilden“ Sprache ebenfalls noch in der Reihe der Vordenker eines Großmachtstrebens, das zum Ersten Weltkrieg führte. Seine ursprünglich positive Haltung zu England (er war ein guter Kenner der englischen Verhältnisse und der englischen Literatur, der unter anderem einen Essay über John Milton geschrieben hatte) war nach deren Einflußnahme im Krieg 1864 gegen Dänemark und 1870/71 gegen Frankreich jeweils im Sinn einer Bremsung des preußischen Vordringens abgekühlt und in Erbitterung umgeschlagen, was ein Aufenthalt in England 1895 (seine erste Reise dorthin) verstärkte.[10] Er sah auch Konflikte mit England bei einem weiteren von ihm befürworteten Kolonialstreben Deutschlands vorher, war aber aufgrund der bedrohlichen Konsequenzen für das isolierte Deutsche Reich ein Gegner eines Kriegs mit England.
Treitschke bekämpfte in den 1870er Jahren auch Sozialisten wie seinen Professorenkollegen, ehemaligen Freund und „Kathedersozialisten“ Gustav Schmoller, wetterte gegen Katholiken, Juden und die Engländer. In seinem einflußreichen Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 stellte er Polen und andere Slawen abwertend einem in seiner Sicht kultur- und staatsbildenden Einfluß der Deutschen (in Form des Deutschen Ordens) gegenüber.[11]
Er war 1866 bis 1889 (neben Hans Delbrück) Herausgeber der Preußischen Jahrbücher. 1895/96 war er Herausgeber der Historischen Zeitschrift.
Berliner Antisemitismusstreit
Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später das Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Treitschke formulierte diesen Satz in dem aufsehenerregenden Aufsatz Unsere Aussichten (1879) als angeblichen parteiübergreifenden Konsens seiner Zeitgenossen „wie aus einem Munde“ und erhob darin Forderungen nach Zurückdrängen des gesellschaftlichen Einflusses der Juden.
Der Aufsatz löste den Berliner Antisemitismusstreit aus, der die deutsche Öffentlichkeit landesweit beschäftigte, bis 1881 anhielt und den Antisemitismus gesellschaftsfähig machte.[12] Der Kern der Polemik Treitschkes ist gegen den Willen der Juden gerichtet, ihre eigene Identität und ihren kulturellen Zusammenhang zu behaupten, während sie an dem Leben der Nation teilnehmen können. Der Weg der Assimilation, den er für eine Lösung hielt, sei von einzelnen wie Gabriel Rießer und Felix Mendelssohn schon betreten worden. In seiner politischen Theorie ging er davon aus, dass ein Jude, der den Willen zur vollen Bejahung seiner Umwelt habe, die Fähigkeit besitze, deutsches Wesen in sich aufzunehmen und das jüdische Wesen abzustreifen. Eine Bekehrung zum Deutschtum mit allen seinen spirituellen Werten sei möglich. Alles, was an Gutem an den Juden sei, wäre aus der Anpassung an die deutsche Welt geschöpft, das Judentum selbst sei keine positive Kraft, sondern ein überlebtes Relikt mit der gefährlichen Macht, eine säkularisierte internationale Gesellschaft zu bilden. Die gesunde Haupttendenz der Geschichte läge im modernen Nationalstaat mit christlicher Tradition. Das Judentum dürfe nie gleichberechtigte Konfession werden, da sonst keine nationale Einheit möglich sei und nur die Vertreibung aller Juden bliebe.
Die Rassenlehre als Grundlage der Nationalidee, die damals Antisemiten wie Wilhelm Marr und bald darauf Karl Eugen Dühring propagierten, lehnte Treitschke ab; aber auch er sprach von „Blutvermischung“ und „Mischcultur“ als „zersetzendem“ Faktor, auf den das gesunde germanische Volksempfinden mit Abwehr reagieren müsse. Die damals verbreitete Antisemitenpetition hat er nicht unterschrieben, stand den Aktionen seiner Studenten zur Unterschriftensammlung aber wohlwollend gegenüber und distanzierte sich erst auf Drängen seines Kollegen Theodor Mommsen davon (November 1880). Seine Schriften und Vorlesungen an der Berliner Universität haben erheblich dazu beigetragen, in der gebildeten Welt eine Betrachtungsweise einzuführen, durch die das Judentum der nationalen Einigung wesensfremd erschien.
Treitschke wurde von Teilen der Presse wegen seiner Äußerungen scharf angegriffen und seine Haltung führte zu vielen Zerwürfnissen mit Kollegen wie Theodor Mommsen, Harry Breßlau und Johann Gustav Droysen und jüdischen Freunden wie Levin Goldschmidt und auch sein enger Freund Franz Overbeck kritisierte ihn deswegen. Er selbst grenzte sich vom „Radau-Antisemitismus“ ab, sah diesen aber als nachvollziehbare Folge eines angeblich übergroßen Einflusses von Juden an. Er verstand sich selbst nicht als Antisemiten und verwies auf seine Kontakte zu Juden (z. B. hielt er die Grabrede auf seinen jüdischen Freund und Bundesbruder Alphons Oppenheim). Er bot auch an, Beiträge für Josef Schrattenholz’ Antisemiten-Hammer zu liefern, eine Schriftenreihe mit dem erklärten Ziel, den Antisemitismus zu widerlegen.[13] Seine Schriften waren jedoch radikal nationalistisch, wobei sein Verständnis von Nation die Juden als Fremde sah und ausgrenzte. Treitschke nahm so „dem Antisemitismus den ‚Kappzaum der Scham‘ (Theodor Mommsen) und machte ihn für breite Bevölkerungskreise akzeptabel, die sich vom ‚Radau- und Pöbelantisemitismus‘ distanzierten“[14]. Er leistete damit „einen bedeutenden Beitrag dazu, den Antisemitismus innerhalb des Bürgertums salonfähig zu machen“[15].
Der Historiker Golo Mann charakterisierte Treitschkes Haltung wie folgt:[16]
„Zugleich mit der Judenemanzipation, der neuen bürgerlichen Angleichung, erscheint der neue Antisemitismus. Aber er ist zunächst nicht das, was wir uns darunter vorstellen; er verlangt nicht Ausschließung, sondern völlige Angleichung und Bescheidenheit in der Angleichung; er verlangt Ausschließung nur derer, die sich nicht angleichen wollen. Ich will Ihnen für diese Ansicht, diese Haltung nur ein merkwürdiges Beispiel geben, das des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke. Dieser große Schriftsteller gilt gemeinhin als Antisemit, und das war er auch; dennoch hätten etwa die Nazis mit seinem Antisemitismus durchaus nichts anfangen können. Treitschke war ein leidenschaftlicher, zorniger Patriot, sehr entschieden in seinem Urteil, aber mit einem schönen Sinn für das Gerechte und Wahre; etwas Unwahres, etwas Gemeines wäre nie aus seiner Feder gekommen. Und so sah Treitschke nur eine mögliche Lösung der Judenfrage in Deutschland: völliges Aufgehen des zahlenmäßig so geringen Judentums im Deutschtum, Preisgabe jedes eigenen jüdischen Lebensstiles. Er lobte die preußischen Juden, die in den Befreiungskriegen ehrenhaft ihre soldatische Pflicht getan hatten.“
Als eine der Folgen der Auseinandersetzung versuchte Mommsen lange die Aufnahme von Treitschke in die Preußische Akademie der Wissenschaften zu verhindern (und seine Teilhabe an der Herausgeberschaft der Historischen Zeitschrift), mit der Begründung er wäre mehr Publizist als Wissenschaftler. 1895 wurde Treitschke dann aber doch noch insbesondere auf energisches Betreiben von Sybel aufgenommen.
Treitschke wurde später von den Nationalsozialisten für sich vereinnahmt und seine antisemitische Haltung wurde in der von Alfred Rosenberg organisierten Volksausgabe seiner Werke durch Kürzungen, Auslassungen und teilweise völlige Neuschreibungen[17] verstärkt.
Nachwirkung
Grab von Treitschke auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof Berlin
Treitschke wirkte wie zu Lebzeiten auch nach seinem Tod polarisierend. Einerseits anerkannten auch Kritiker das rhetorische Geschick und die literarische Lebendigkeit seiner Darstellung, andererseits wurde er politisch als preußischer Hofhistoriker und Historiker mit explizit in seinen Werken zum Ausdruck gebrachtem politisch-konservativem bzw. aus heutiger Sicht reaktionärem Anspruch abgelehnt. In jüngerer Zeit und insbesondere nach der Erfahrung des Nationalsozialismus dominiert die Ablehnung wegen seiner antisemitischen Äußerungen.[18]
1909 wurde ihm vor der Berliner Universität neben der Statue von Hermann von Helmholtz ein Denkmal errichtet, dem wenig später auch das von Theodor Mommsen zur Seite gestellt wurde. Während das Mommsen Denkmal noch heute dort steht, wurde das von Treitschke Mitte der 1930er bei der Renovierung in einen Seitenhof versetzt und 1951 abgebaut und eingeschmolzen.[19]
Nach seinem Tod wurden in vielen Städten Straßen nach Treitschke benannt, was in den letzten Jahren zu Kontroversen führte. So wurde in Nürnberg eine in der Zeit des Nationalsozialismus nach ihm benannte Straße in Steuerwald-Landmann-Straße umbenannt. Im November 2011 beschloss der Gemeinderat Heidelberg nach langjährigem Streit eine Umbenennung der dortigen Treitschkestraße.[20] Die Umbenennung in Goldschmidtstraße erfolgte dann am 29. März 2012.[21]
In anderen Städten wie Berlin, München (seit 1960) oder Karlsruhe gibt es nach wie vor Treitschkestraßen.[22] Die Umbenennung der Treitschkestraße in Berlin in Kurt Scharf Straße wurde 2003 von der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf nach ausgiebiger Diskussion abgelehnt.[23] In Berlin-Steglitz und Karlsruhe erklären Informationstafeln die Bedeutung Treitschkes.[24] In Berlin-Steglitz wurde zusätzlich eine angrenzende Grünfläche in Harry-Bresslau-Park umbenannt.[25]
Privates
Treitschke war seit 1867 mit Emma von Bodmann verheiratet und hatte drei Kinder. Der Tod seines Sohnes im Januar 1881 an Diphterie traf ihn und vor allem seine Frau schwer, was Treitschke zusätzlich belastete. Er war fast taub und verständigte sich mit seiner Frau mit Zeichensprache, mit Anderen über Zettel. Er reiste viel in Deutschland und in Europa, am meisten in die Schweiz und Tirol, aber auch nach Italien, Frankreich, Schweden, Spanien und England.
Er war eng seit der gemeinsamen Studienzeit mit Franz Overbeck befreundet und stand mit Gustav Freytag im Briefwechsel. Weitere Freunde waren Emil Herrmann und Hermann von Helmholtz.
Treitschke liegt auf dem evangelischen Alten St. Matthäusfriedhof in Berlin-Schöneberg begraben. 1952 erhielt es den Status eines Ehrengrabs des Landes Berlin, der Status wurde 2003 aberkannt.
Werke (Auswahl)
Vaterländische Gedichte. Berlin 1856
Studien, Hirzel, Leipzig 1857
Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch. Leipzig 1859
Das deutsche Ordensland Preußen, Preußische Jahrbücher, Band 10, 1862, S. 95-151 (auch in Historische und Politische Aufsätze, Band 2, 1871 in überarbeiteter Form)
Historische und Politische Aufsätze vornehmlich zur neuesten Deutschen Geschichte. 1865
Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage. Eine Erwiderung. Leipzig 1865
Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten. Berlin 1866
Der Krieg und die Bundesreform. 1866
Was fordern wir von Frankreich ?, Berlin 1870
Cavour, in Historische und Politische Aufsätze, Band 1, 1870
Zehn Jahre deutscher Kämpfe 1865–1874. Schriften zur Tagespolitik., 2 Bände, Berlin 1874
Der Socialismus und seine Gönner. Nebst einem Sendschreiben an Gustav Schmoller., Preußische Jahrbücher, Band 34, 1875, S. 67-110 und 248-301
Der Socialismus und der Meuchelmord. 1878
Unsere Aussichten, Preußische Jahrbücher, Band 44, 1879, S. 559-576, Online (PDF; 1,2 MB) (Antisemitismusstreit)
Herr Graetz und sein Judenthum, Preußische Jahrbücher. Bd. 44, 1879, S. 660–670, Online (PDF; 666 kB)
Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. 1879–1894
Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Hirzel, Leipzig 1879. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Hirzel, Leipzig 1882. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Hirzel, Leipzig 1885. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Hirzel, Leipzig 1889. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Hirzel, Leipzig 1894. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
Noch einige Bemerkungen zur Judenfrage, Preußische Jahrbücher, Bd. 45, 1880, S. 85–95, Online (PDF; 740 kB)
Ein Wort über unser Judenthum, 1880 (vier Auflagen), Sonderabdruck aus: Preußische Jahrbücher. Bd. 44 und 45, 1879 und 1880
Luther und die deutsche Nation. Vortrag. 1884
Rede, gehalten zur Feier der fünfundzwanzigjährigen Regierung Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm I. im großen Hörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität am 4. Januar 1886. 1886
Die Zukunft des deutschen Gymnasiums. 1890
Der Entwurf des Preußischen Volksschulgesetzes. 1892
Gustav Adolf und Deutschlands Freiheit. Vortrag gehalten am 8. Dezember 1894 in der Sing-Akademie zu Berlin, Leipzig, Hirzel 1895
Reden von Heinrich v. Treitschke im Deutschen Reichstage 1871–1884. Leipzig 1896
Deutsche Kämpfe. Neue Folge, Schriften zur Tagespolitik, Leipzig 1896
Politik. Vorlesungen. 1897–1898, 2 Bände, Leipzig 1911, 1913
Bilder aus der deutschen Geschichte, 2 Bände, Hirzel, 3. Auflage 1909
Ausgewählte Schriften, 2 Bände, Leipzig: Hirzel, 4. Auflage, 1908
Historische und Politische Aufsätze, 4 Bände, Leipzig, Hirzel, 8. Auflage 1918
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