Die erste Lautverschiebung
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Die erste Lautverschiebung
Die erste Lautverschiebung, auch germanische Lautverschiebung genannt, kennzeichnet den Übergang vom (ur)indogermanischen zum (ur)germanischen Konsonantensystem. Diese Lautverschiebung bewirkte eine deutliche Differenzierung zwischen dem (Prä-)Germanischen und den übrigen sich differenzierenden indogermanischen Sprachen. Sie fand wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. statt.
Innerhalb des frühen Germanischen markiert die erste Lautverschiebung den Übergang vom Prä- zum Urgermanischen. Die zweite Lautverschiebung führte später zur Herausbildung des Hochdeutschen.
Das Lautgesetz der ersten Lautverschiebung wurde 1806 von Friedrich Schlegel sowie 1818 von Rasmus Christian Rask entdeckt und 1822 von Jacob Grimm ausformuliert (daher Grimmsches Gesetz). Allerdings hatte Iohann Arnold Kanne das Phänomen vom Prinzip her schon früher beschrieben.[1]
Datierung
Eine genaue Datierung der ersten Lautverschiebung ist nicht möglich, jedoch wird sie übereinstimmend in die Zeit nach 500 v. Chr. angesiedelt, da mehrere Lehnwörter, die nicht vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. aus dem Südosten ins Germanische übernommen wurden, die erste Lautverschiebung noch mitvollzogen haben. Die beiden wichtigsten Beispiele dafür sind die wahrscheinlich skythischen Wörter *kanbā[2] ‚Hanf‘ (vgl. osset. gæn(æ), hotansak. kaṃhā;[3] aus dieser Quelle stammt auch griech. kánnabis (κάνναβις)), das im Urgermanischen nach der Lautverschiebung *χanapiz lautete, und *baitā ‚Hirtenrock‘, das im Urgermanischen zu *paiđō (vgl. ahd. pfeit ‚Unterkleid‘, woraus bairisch Pfoad ‚Hemd‘) wurde.
Einige wenige germanische Namen legen den Schluss nahe, dass die erste Lautverschiebung zumindest im Westen des germanischen Sprachgebietes möglicherweise erst im 1. Jahrhundert v. Chr. zum Abschluss gekommen ist.[4] Die wichtigsten Beispiele sind:
Die Stammesnamen Kimbern und Teutonen (lat. cimbri teutonique; nicht etwa chimbri theudonique, wie nach der Lautverschiebung zu erwarten). Diese beiden Namen enthalten insgesamt drei Beispiele der Lautverschiebung.
Der bei Caesar überlieferte Flussname Vacalus (= die Waal, einer der beiden großen Mündungsarme des Rheins); etwa 150 Jahre später schreibt Tacitus Vahalis.
Der Stammesname tencteri = die Tenkterer, nicht etwa *then(c)hteri. Dieser Name ist allerdings nur dann ein Beispiel für die noch nicht vollzogene erste Lautverschiebung, wenn die für diesen Namen meist angenommene germanische Etymologie *þenχteraz (vgl. Zimmer 2006: 572f.) zutrifft.
Uneindeutig ist der Befund bei vier Stammesnamen, die Caesar in Bell. Gall. 2,4,10 im Gebiet der Maas aufzählt: „Condruses, Eburones, Caerosos, Paemanos, qui uno nomine Germani appellantur“ (Condruser, Eburonen, Caeroser und Paemanen, die mit einem Namen Germanen genannt werden.) Obwohl Caesar diese Stämme explizit als germanisch bezeichnet, hat die Forschung dennoch meistens angenommen, dass nur der Name „Eburones“ germanisch ist (mit vollzogener Lautverschiebung), während die drei anderen Namen meist als keltisch angesehen werden. Wären sie germanisch, so würden sie einen Lautstand vor der ersten Lautverschiebung aufweisen (vgl. Euler 2009: 69).
Da kein lateinisches Lehnwort in einer der germanischen Sprachen die Lautverschiebung mitvollzogen hat, musste diese jedenfalls vor der Ausbreitung des Lateinischen in Mitteleuropa ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. abgeschlossen gewesen sein. Auch der Umstand, dass sich die urgermanische Spracheinheit spätestens ab dieser Zeit allmählich auflöste, aber alle germanischen Sprachen die Lautverschiebung komplett durchgeführt haben, setzt voraus, dass dieser Lautwandel um Christi Geburt in allen Teilen des germanischen Sprachgebietes abgeschlossen war.
Sofern die Inschrift auf dem Negauer Helm B, wie allgemein angenommen, den germanischen Namen Harigastiz bezeugt, und möglicherweise darüber hinaus mit teiva- (vgl. anord. Týr ‚Kriegsgott‘, tívar ‚Götter‘) auch noch eine Entsprechung von altlateinisch deiuos (woraus lat. deus, Plur. divī), bestätigt dieses Zeugnis, dass die erste Lautverschiebung bereits um spätestens 50 v. Chr. (zumindest in diesem Dialekt, der nicht nur eindeutig germanisch wirkt, sondern dem Urgermanischen auch noch sehr nahezustehen scheint) abgeschlossen gewesen sein muss.
Dass die erste Lautverschiebung in der Entwicklung des frühen Germanischen erst relativ spät geschehen sein kann, bestätigt der Umstand, dass innerhalb der drei indogermanischen „Verschlusslautreihen“ (Tenues, Mediae und Mediae aspiratae), die von dieser Lautveränderung betroffen waren, in den germanischen Einzelsprachen keinerlei Vermischung eingetreten ist. Eine frühe Verschiebung dieser 3 x 4 Konsonanten hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Beginn der Überlieferung der germanischen Einzelsprachen zu Vermischungen geführt, etwa durch Assimilation oder Dissimilation. Jedenfalls setzt die fortgesetzte exakte Trennung der drei Verschlusslautreihen im Urgermanischen notwendig voraus, dass die Mediae b, d, g und gʷ erst zu den Tenues p, t, k und kʷ verhärteten, als die aus dem Indogermanischen ererbten Tenues sich (zumindest) durch Aspiration klar von den neuen Tenues unterschieden.[5]
Veränderung der Verschlusslaute
Dieses Lautgesetz beschreibt die Wandlung der urindogermanischen Verschlusslaute im ersten Jahrtausend v. Chr. zu den urgermanischen Entsprechungen. Es bezeugt einige regelmäßige Übereinstimmungen zwischen frühen germanischen Verschlusslauten und Reibelauten (Frikativen) mit stimmhaften Verschlusslauten anderer indogermanischer Sprachen, wobei sich Grimm hauptsächlich auf Latein und Griechisch bezog. In der traditionellen Fassung [6] lief sie in folgenden drei Phasen ab:
Urindogermanische stimmlose Verschlusslaute verändern sich zu stimmlosen Frikativen (Tenuis-Spirans-Wandel).
Urindogermanische stimmhafte Verschlusslaute werden zu stimmlosen Verschlusslauten (Media-Tenuis-Wandel).
Urindogermanische stimmhafte aspirierte Verschlusslaute werden zu stimmhaften Frikativen (Media aspirata - Media-Wandel); letztlich wurden diese stimmhaften Frikative in den meisten germanischen Sprachen zu stimmhaften Verschlusslauten.
Die stimmhaften aspirierten Verschlusslaute könnten ursprünglich stimmhafte Frikative gewesen sein, bevor sie sich unter gewissen Bedingungen zu den stimmhaften unaspirierten Verschlusslauten b, d und g verhärteten, was jedoch von einigen Linguisten bestritten wird (vgl. urgermanische Phonologie).
Diese Lautverschiebung war der erste signifikante systematische Lautwechsel, der in der Linguistik entdeckt wurde. Ihre Formulierung war ein Wendepunkt in der Entwicklung der Linguistik, ermöglichte sie doch die Einführung einer strengen Methodik in der historisch-linguistischen Forschung. Das Lautgesetz wurde erstmals 1806 von Friedrich von Schlegel bzw. 1818 von Rasmus Christian Rask entdeckt und 1822 von Jacob Grimm unter Bezug auf das Standarddeutsche in seinem Werk Deutsche Grammatik ausgearbeitet.
Sprachbeispiele
Die Ergebnisse der ersten Lautverschiebung werden manchmal durch die Auswirkung späterer Lautwandel in den germanischen Einzelsprachen verdeckt. Bekanntestes Beispiel ist die schon oben erwähnte hochdeutsche Lautverschiebung. Im Folgenden die anschaulichsten Beispiele für die in allen germanischen Sprachen durchgeführte erste Lautverschiebung:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische, verschobene Bsp.
*p→f 1) agriech. pū́s (πούς), lat. pēs (Gen. pedis), aind. pā́t (Akk. pā́dam), russ. pod (под), lit. pėda ; 2) lat. piscis, ir. iasc 1) dt. Fuß, engl. foot, got. fōtus, isländ. fótur, dän. fod, norw. schwed. fot ; 2) dt. Fisch, engl. fish, schwed. fisk, got. fisks
*t→þ [θ] griech. trítos (τρίτος), alb. tretë, lat. tertius, gäl. treas, aind. tritá, russ. trétij (третий), lit. trẽčias, toch. A trit, B trite ahd. thritto (dt. dritte), engl. third, got. þridja, isländ. þriðji
*k→χ→h 1) griech. kíon (κύων), lat. canis, ir. cú ; 2) lat. capiō, bret. kavout, alb. kap ; 3) lat. cor (Gen. cordis) ‚Herz‘, air. cride, griech. kardiá (καρδιά), het. kardi (Dat.) 1) dt. Hund, nl. hond, engl. hound, got. hunds, isländ. hundur, dän. norw. schwed. hund ; 2) dt. haben, engl. have, anord. hafa, got. haban ; 3) dt. Herz, nl. hart, engl. heart, schwed. hjärta, got. haírtō
*kʷ→hʷ lat. quod, awal. pa, avest. ka, aind. kád, lyd. -kod ahd. hwaz (dt. was), aengl. hwæt (engl. what), got. ƕa, isländ. hvað, dän. hvad, norw. hva
*b→p 1) lat. verbera (Plur.) ‚Ruten zur Züchtigung, Peitsche‘, lit. vir̃bas ‚Reis, Reisig, Gerte‘, russ. vérba (верба) ‚Weide‘ ; 2) lit. dubùs ‚tief‘, wal. dwfn, russ. (älter) debr’ (дебрь) ‚Wald, Tal, Schlucht‘ 1) nl. werpen, engl. warp, schwed. värpa, got. wairpan ‚wenden‘ ; 2) nl. diep, nd. engl. deep, schwed. djup, got. diups ‚tief‘
*d→t lat. decem ‚zehn‘, ir. deich, griech. déka (δέκα), aind. dáśa, russ. désjat’ (десять), lit. dešimt nd. teihn ‚zehn‘, nl. tien, engl. ten, got. taíhun, isländ. tíu, dän. norw. ti, schwed. tio
*g→k 1) lat. gelū, agriech. gelandrós ‚kalt‘, lit. gelumà ‚große Kälte‘ ; 2) lat. augeō ‚ich vermehre‘, agriech. aúxein, lit. áugti, toch. A ok-, B auk- 1) dt. kalt, nl. koud, engl. cold, norw. kald, got. kalds ; 2) ahd. ouhhōn, engl. eke, anord. auka, got. aukan ‚wachsen‘
*gʷ→kʷ lit. gývas ‚lebend‘, russ. živój (живой) ‚lebendig‘, aind. jīvāḥ ahd. quek (dt. keck), nl. kwiek, nd. engl. quick, got. qius, schwed. kvick ‚lebendig‘
*bʰ→b lat. frāter, ir. bráthair, russ. brat (брат), aind. bhrātā dt. Bruder, nl. broeder, engl. brother, got. broþar, isländ.bróðir, dän. schwed. broder
*dʰ→d wal. dôr ‚Tür‘, lit. dùrys, russ. dver’ (дверь), alb. derë, aind. dvā́r- nd. Döör ‚Tür‘, nl. deur, engl. door, got. daúr, isländ. dyr, dän. norw. dør
*gʰ→g 1) russ. gost’ (гость) ‚Gast‘, lat. hostis ; 2) air. géiss ‚Schwan‘, pol. gęś 1) dt. Gast, nl. gast, aengl. giest, schwed. gäst, got. gasts ; 2) dt. Gans, nl. gans, engl. goose, isländ. gæs, dän. norw. schwed. gås
*gʷʰ→gʷ→w toch. A kip, B kwípe ‚Scham, Schande‘[7] dt. Weib*, nl. wijf, engl. wife ‚Ehefrau‘, isländ. víf, dän. schwed. norw. viv
* Einige Linguisten bestreiten die Herkunft des Wortes Weib. Calvert Watkins nimmt als Ansatz das indogermanische *gʷʰíbʰ-.[8]
Dies ist auffallend regelmäßig. Jede Phase enthält nur einen einzigen Wechsel, der ebenso die labialen (p, b, bʰ, f) und die diesen entsprechenden dentalen Laute (t, d, dʰ, þ), die velaren Laute (k, g, gʰ, h) und gerundeten velaren Laute betrifft (kʷ, gʷ, gʷʰ, hw). Die erste Phase nahm dem Phonemrepertoire die stimmlosen Verschlusslaute, die zweite Phase füllte diese Lücke aus, schuf jedoch eine neue Lücke im Phonemrepertoire. Dieser Prozess setzte sich fort bis die Kettenverschiebung beendet war.
Ausnahmen
Die stimmlosen Verschlusslaute wurden nicht zu Frikativen, wenn ihnen *s (Frikativ) vorausging:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische Bsp.
*sp lat. spuere, lit. spjáuti dt. speien, nl. spuien, engl. spew, got. speiwan, dän. norw. schwed. spy, isländ. spýja
*st lat. stāre, lit. stóti ‚sich (hin)stellen, treten‘, russ. stoját’ (стоять), aind. sthā- dt. stehen, nd. stahn, nl. staan, westfries. stean, dän. norw. schwed. stå
*sk 1) lit. skurdùs ; 2) lat. miscēre, ir. measc 1) ahd. scurz, engl. short, anord. skort ; 2) ahd. misken (dt. mischen), aengl. miscian
*skʷ ir. scéal, wal. chwedl ‚Sage‘ isländ. skáld ‚Dichter‘
Der stimmlose Verschlusslaut *t wurde ebenfalls nicht zum Frikativ, wenn ihm *p, *k, oder *kʷ (stimmlose Verschlusslaute) vorausging:
kein Wechsel von *t 1) lat. octō, ir. ocht ; 2) lit. neptė̃ ‚Nichte‘, lat. neptis, aind. naptī́ 1) dt. nl. acht, engl. eight, got. ahtau ; 2) frünhd. Nift ‚Nichte‘, aengl. nift, nl. nicht, anord. nipt
Zu der Zeit, als die stimmlosen Verschlusslaute im Urgermanischen frikatisiert wurden, betraf diese Frikatisierung lediglich stimmlose Verschlusslaute, wenn sie mit dem stimmlosen Verschlusslaut *t verbunden waren. Dieser Sachverhalt wird auch mit den Begriffen Primärberührungseffekt, Dentalberührung oder „Germanische Spirantenregel vor t“ beschrieben:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische, verschobene Bsp.
*pt→ft agriech. kléptein (κλέπτειν) ‚stehlen‘, apreuß. au-klipts ‚verborgen‘ got. hliftus ‚Dieb‘
*kt→ht lat. octō, ir. ocht, heth. hakt dt. nl. acht, engl. eight, got. ahtáu, isländ. átta
*kʷt→h(w)t agriech. nýx, Gen. nyktós (νύξ, νυκτός), lat. nox (Gen. noctis), lit. naktìs, aind. naktam dt. Nacht, nl. nacht, engl. night, got. nahts, isländ. nótt
Die „widerspenstigste“ Gruppe offensichtlicher Ausnahmen von der ersten Lautverschiebung, die für einige Jahrzehnte eine Herausforderung für die historischen Sprachwissenschaften darstellte, wurde schließlich im Jahre 1875 durch den dänischen Linguisten Karl Verner erklärt (siehe Vernersches Gesetz).
Übereinstimmungen mit dem Urindogermanischen
Betrachtet man die erste (germanische) Lautverschiebung im Zusammenhang mit den Veränderungen, wie sie für andere indogermanische Sprachen belegt sind, so lässt sich eine Übereinstimmung innerhalb der unterschiedlichen Zweige der Sprachfamilie feststellen. So stimmt zum Beispiel der germanische Wortanfang *b- in der Regel mit dem lateinischen *f-, dem griechischen pʰ-, dem bʰ- des Sanskrit, und dem slawischen, baltischen oder keltischen b- überein, wohingegen sich für das germanische *f- Übereinstimmungen mit dem lateinischen, griechischen, altindischen, slawischen und baltischen p- ergeben. Die erstgenannte Gruppe geht zurück auf das indogermanische *bʰ-, das sich konstant im Sanskrit und in modifizierter Form auch in zahlreichen anderen Sprachen widerspiegelt. Die letztgenannte Gruppe geht auf das urindogermanische *p- zurück (im Germanischen verschoben, im Keltischen verloren gegangen, jedoch in anderen hier erwähnten Gruppen erhalten geblieben).
Siehe auch
Lautverschiebung
Zweite Lautverschiebung
Vernersches Gesetz
Graßmannsches Gesetz
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Innerhalb des frühen Germanischen markiert die erste Lautverschiebung den Übergang vom Prä- zum Urgermanischen. Die zweite Lautverschiebung führte später zur Herausbildung des Hochdeutschen.
Das Lautgesetz der ersten Lautverschiebung wurde 1806 von Friedrich Schlegel sowie 1818 von Rasmus Christian Rask entdeckt und 1822 von Jacob Grimm ausformuliert (daher Grimmsches Gesetz). Allerdings hatte Iohann Arnold Kanne das Phänomen vom Prinzip her schon früher beschrieben.[1]
Datierung
Eine genaue Datierung der ersten Lautverschiebung ist nicht möglich, jedoch wird sie übereinstimmend in die Zeit nach 500 v. Chr. angesiedelt, da mehrere Lehnwörter, die nicht vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. aus dem Südosten ins Germanische übernommen wurden, die erste Lautverschiebung noch mitvollzogen haben. Die beiden wichtigsten Beispiele dafür sind die wahrscheinlich skythischen Wörter *kanbā[2] ‚Hanf‘ (vgl. osset. gæn(æ), hotansak. kaṃhā;[3] aus dieser Quelle stammt auch griech. kánnabis (κάνναβις)), das im Urgermanischen nach der Lautverschiebung *χanapiz lautete, und *baitā ‚Hirtenrock‘, das im Urgermanischen zu *paiđō (vgl. ahd. pfeit ‚Unterkleid‘, woraus bairisch Pfoad ‚Hemd‘) wurde.
Einige wenige germanische Namen legen den Schluss nahe, dass die erste Lautverschiebung zumindest im Westen des germanischen Sprachgebietes möglicherweise erst im 1. Jahrhundert v. Chr. zum Abschluss gekommen ist.[4] Die wichtigsten Beispiele sind:
Die Stammesnamen Kimbern und Teutonen (lat. cimbri teutonique; nicht etwa chimbri theudonique, wie nach der Lautverschiebung zu erwarten). Diese beiden Namen enthalten insgesamt drei Beispiele der Lautverschiebung.
Der bei Caesar überlieferte Flussname Vacalus (= die Waal, einer der beiden großen Mündungsarme des Rheins); etwa 150 Jahre später schreibt Tacitus Vahalis.
Der Stammesname tencteri = die Tenkterer, nicht etwa *then(c)hteri. Dieser Name ist allerdings nur dann ein Beispiel für die noch nicht vollzogene erste Lautverschiebung, wenn die für diesen Namen meist angenommene germanische Etymologie *þenχteraz (vgl. Zimmer 2006: 572f.) zutrifft.
Uneindeutig ist der Befund bei vier Stammesnamen, die Caesar in Bell. Gall. 2,4,10 im Gebiet der Maas aufzählt: „Condruses, Eburones, Caerosos, Paemanos, qui uno nomine Germani appellantur“ (Condruser, Eburonen, Caeroser und Paemanen, die mit einem Namen Germanen genannt werden.) Obwohl Caesar diese Stämme explizit als germanisch bezeichnet, hat die Forschung dennoch meistens angenommen, dass nur der Name „Eburones“ germanisch ist (mit vollzogener Lautverschiebung), während die drei anderen Namen meist als keltisch angesehen werden. Wären sie germanisch, so würden sie einen Lautstand vor der ersten Lautverschiebung aufweisen (vgl. Euler 2009: 69).
Da kein lateinisches Lehnwort in einer der germanischen Sprachen die Lautverschiebung mitvollzogen hat, musste diese jedenfalls vor der Ausbreitung des Lateinischen in Mitteleuropa ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. abgeschlossen gewesen sein. Auch der Umstand, dass sich die urgermanische Spracheinheit spätestens ab dieser Zeit allmählich auflöste, aber alle germanischen Sprachen die Lautverschiebung komplett durchgeführt haben, setzt voraus, dass dieser Lautwandel um Christi Geburt in allen Teilen des germanischen Sprachgebietes abgeschlossen war.
Sofern die Inschrift auf dem Negauer Helm B, wie allgemein angenommen, den germanischen Namen Harigastiz bezeugt, und möglicherweise darüber hinaus mit teiva- (vgl. anord. Týr ‚Kriegsgott‘, tívar ‚Götter‘) auch noch eine Entsprechung von altlateinisch deiuos (woraus lat. deus, Plur. divī), bestätigt dieses Zeugnis, dass die erste Lautverschiebung bereits um spätestens 50 v. Chr. (zumindest in diesem Dialekt, der nicht nur eindeutig germanisch wirkt, sondern dem Urgermanischen auch noch sehr nahezustehen scheint) abgeschlossen gewesen sein muss.
Dass die erste Lautverschiebung in der Entwicklung des frühen Germanischen erst relativ spät geschehen sein kann, bestätigt der Umstand, dass innerhalb der drei indogermanischen „Verschlusslautreihen“ (Tenues, Mediae und Mediae aspiratae), die von dieser Lautveränderung betroffen waren, in den germanischen Einzelsprachen keinerlei Vermischung eingetreten ist. Eine frühe Verschiebung dieser 3 x 4 Konsonanten hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Beginn der Überlieferung der germanischen Einzelsprachen zu Vermischungen geführt, etwa durch Assimilation oder Dissimilation. Jedenfalls setzt die fortgesetzte exakte Trennung der drei Verschlusslautreihen im Urgermanischen notwendig voraus, dass die Mediae b, d, g und gʷ erst zu den Tenues p, t, k und kʷ verhärteten, als die aus dem Indogermanischen ererbten Tenues sich (zumindest) durch Aspiration klar von den neuen Tenues unterschieden.[5]
Veränderung der Verschlusslaute
Dieses Lautgesetz beschreibt die Wandlung der urindogermanischen Verschlusslaute im ersten Jahrtausend v. Chr. zu den urgermanischen Entsprechungen. Es bezeugt einige regelmäßige Übereinstimmungen zwischen frühen germanischen Verschlusslauten und Reibelauten (Frikativen) mit stimmhaften Verschlusslauten anderer indogermanischer Sprachen, wobei sich Grimm hauptsächlich auf Latein und Griechisch bezog. In der traditionellen Fassung [6] lief sie in folgenden drei Phasen ab:
Urindogermanische stimmlose Verschlusslaute verändern sich zu stimmlosen Frikativen (Tenuis-Spirans-Wandel).
Urindogermanische stimmhafte Verschlusslaute werden zu stimmlosen Verschlusslauten (Media-Tenuis-Wandel).
Urindogermanische stimmhafte aspirierte Verschlusslaute werden zu stimmhaften Frikativen (Media aspirata - Media-Wandel); letztlich wurden diese stimmhaften Frikative in den meisten germanischen Sprachen zu stimmhaften Verschlusslauten.
Die stimmhaften aspirierten Verschlusslaute könnten ursprünglich stimmhafte Frikative gewesen sein, bevor sie sich unter gewissen Bedingungen zu den stimmhaften unaspirierten Verschlusslauten b, d und g verhärteten, was jedoch von einigen Linguisten bestritten wird (vgl. urgermanische Phonologie).
Diese Lautverschiebung war der erste signifikante systematische Lautwechsel, der in der Linguistik entdeckt wurde. Ihre Formulierung war ein Wendepunkt in der Entwicklung der Linguistik, ermöglichte sie doch die Einführung einer strengen Methodik in der historisch-linguistischen Forschung. Das Lautgesetz wurde erstmals 1806 von Friedrich von Schlegel bzw. 1818 von Rasmus Christian Rask entdeckt und 1822 von Jacob Grimm unter Bezug auf das Standarddeutsche in seinem Werk Deutsche Grammatik ausgearbeitet.
Sprachbeispiele
Die Ergebnisse der ersten Lautverschiebung werden manchmal durch die Auswirkung späterer Lautwandel in den germanischen Einzelsprachen verdeckt. Bekanntestes Beispiel ist die schon oben erwähnte hochdeutsche Lautverschiebung. Im Folgenden die anschaulichsten Beispiele für die in allen germanischen Sprachen durchgeführte erste Lautverschiebung:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische, verschobene Bsp.
*p→f 1) agriech. pū́s (πούς), lat. pēs (Gen. pedis), aind. pā́t (Akk. pā́dam), russ. pod (под), lit. pėda ; 2) lat. piscis, ir. iasc 1) dt. Fuß, engl. foot, got. fōtus, isländ. fótur, dän. fod, norw. schwed. fot ; 2) dt. Fisch, engl. fish, schwed. fisk, got. fisks
*t→þ [θ] griech. trítos (τρίτος), alb. tretë, lat. tertius, gäl. treas, aind. tritá, russ. trétij (третий), lit. trẽčias, toch. A trit, B trite ahd. thritto (dt. dritte), engl. third, got. þridja, isländ. þriðji
*k→χ→h 1) griech. kíon (κύων), lat. canis, ir. cú ; 2) lat. capiō, bret. kavout, alb. kap ; 3) lat. cor (Gen. cordis) ‚Herz‘, air. cride, griech. kardiá (καρδιά), het. kardi (Dat.) 1) dt. Hund, nl. hond, engl. hound, got. hunds, isländ. hundur, dän. norw. schwed. hund ; 2) dt. haben, engl. have, anord. hafa, got. haban ; 3) dt. Herz, nl. hart, engl. heart, schwed. hjärta, got. haírtō
*kʷ→hʷ lat. quod, awal. pa, avest. ka, aind. kád, lyd. -kod ahd. hwaz (dt. was), aengl. hwæt (engl. what), got. ƕa, isländ. hvað, dän. hvad, norw. hva
*b→p 1) lat. verbera (Plur.) ‚Ruten zur Züchtigung, Peitsche‘, lit. vir̃bas ‚Reis, Reisig, Gerte‘, russ. vérba (верба) ‚Weide‘ ; 2) lit. dubùs ‚tief‘, wal. dwfn, russ. (älter) debr’ (дебрь) ‚Wald, Tal, Schlucht‘ 1) nl. werpen, engl. warp, schwed. värpa, got. wairpan ‚wenden‘ ; 2) nl. diep, nd. engl. deep, schwed. djup, got. diups ‚tief‘
*d→t lat. decem ‚zehn‘, ir. deich, griech. déka (δέκα), aind. dáśa, russ. désjat’ (десять), lit. dešimt nd. teihn ‚zehn‘, nl. tien, engl. ten, got. taíhun, isländ. tíu, dän. norw. ti, schwed. tio
*g→k 1) lat. gelū, agriech. gelandrós ‚kalt‘, lit. gelumà ‚große Kälte‘ ; 2) lat. augeō ‚ich vermehre‘, agriech. aúxein, lit. áugti, toch. A ok-, B auk- 1) dt. kalt, nl. koud, engl. cold, norw. kald, got. kalds ; 2) ahd. ouhhōn, engl. eke, anord. auka, got. aukan ‚wachsen‘
*gʷ→kʷ lit. gývas ‚lebend‘, russ. živój (живой) ‚lebendig‘, aind. jīvāḥ ahd. quek (dt. keck), nl. kwiek, nd. engl. quick, got. qius, schwed. kvick ‚lebendig‘
*bʰ→b lat. frāter, ir. bráthair, russ. brat (брат), aind. bhrātā dt. Bruder, nl. broeder, engl. brother, got. broþar, isländ.bróðir, dän. schwed. broder
*dʰ→d wal. dôr ‚Tür‘, lit. dùrys, russ. dver’ (дверь), alb. derë, aind. dvā́r- nd. Döör ‚Tür‘, nl. deur, engl. door, got. daúr, isländ. dyr, dän. norw. dør
*gʰ→g 1) russ. gost’ (гость) ‚Gast‘, lat. hostis ; 2) air. géiss ‚Schwan‘, pol. gęś 1) dt. Gast, nl. gast, aengl. giest, schwed. gäst, got. gasts ; 2) dt. Gans, nl. gans, engl. goose, isländ. gæs, dän. norw. schwed. gås
*gʷʰ→gʷ→w toch. A kip, B kwípe ‚Scham, Schande‘[7] dt. Weib*, nl. wijf, engl. wife ‚Ehefrau‘, isländ. víf, dän. schwed. norw. viv
* Einige Linguisten bestreiten die Herkunft des Wortes Weib. Calvert Watkins nimmt als Ansatz das indogermanische *gʷʰíbʰ-.[8]
Dies ist auffallend regelmäßig. Jede Phase enthält nur einen einzigen Wechsel, der ebenso die labialen (p, b, bʰ, f) und die diesen entsprechenden dentalen Laute (t, d, dʰ, þ), die velaren Laute (k, g, gʰ, h) und gerundeten velaren Laute betrifft (kʷ, gʷ, gʷʰ, hw). Die erste Phase nahm dem Phonemrepertoire die stimmlosen Verschlusslaute, die zweite Phase füllte diese Lücke aus, schuf jedoch eine neue Lücke im Phonemrepertoire. Dieser Prozess setzte sich fort bis die Kettenverschiebung beendet war.
Ausnahmen
Die stimmlosen Verschlusslaute wurden nicht zu Frikativen, wenn ihnen *s (Frikativ) vorausging:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische Bsp.
*sp lat. spuere, lit. spjáuti dt. speien, nl. spuien, engl. spew, got. speiwan, dän. norw. schwed. spy, isländ. spýja
*st lat. stāre, lit. stóti ‚sich (hin)stellen, treten‘, russ. stoját’ (стоять), aind. sthā- dt. stehen, nd. stahn, nl. staan, westfries. stean, dän. norw. schwed. stå
*sk 1) lit. skurdùs ; 2) lat. miscēre, ir. measc 1) ahd. scurz, engl. short, anord. skort ; 2) ahd. misken (dt. mischen), aengl. miscian
*skʷ ir. scéal, wal. chwedl ‚Sage‘ isländ. skáld ‚Dichter‘
Der stimmlose Verschlusslaut *t wurde ebenfalls nicht zum Frikativ, wenn ihm *p, *k, oder *kʷ (stimmlose Verschlusslaute) vorausging:
kein Wechsel von *t 1) lat. octō, ir. ocht ; 2) lit. neptė̃ ‚Nichte‘, lat. neptis, aind. naptī́ 1) dt. nl. acht, engl. eight, got. ahtau ; 2) frünhd. Nift ‚Nichte‘, aengl. nift, nl. nicht, anord. nipt
Zu der Zeit, als die stimmlosen Verschlusslaute im Urgermanischen frikatisiert wurden, betraf diese Frikatisierung lediglich stimmlose Verschlusslaute, wenn sie mit dem stimmlosen Verschlusslaut *t verbunden waren. Dieser Sachverhalt wird auch mit den Begriffen Primärberührungseffekt, Dentalberührung oder „Germanische Spirantenregel vor t“ beschrieben:
Wechsel außergermanische, unverschobene Bsp. germanische, verschobene Bsp.
*pt→ft agriech. kléptein (κλέπτειν) ‚stehlen‘, apreuß. au-klipts ‚verborgen‘ got. hliftus ‚Dieb‘
*kt→ht lat. octō, ir. ocht, heth. hakt dt. nl. acht, engl. eight, got. ahtáu, isländ. átta
*kʷt→h(w)t agriech. nýx, Gen. nyktós (νύξ, νυκτός), lat. nox (Gen. noctis), lit. naktìs, aind. naktam dt. Nacht, nl. nacht, engl. night, got. nahts, isländ. nótt
Die „widerspenstigste“ Gruppe offensichtlicher Ausnahmen von der ersten Lautverschiebung, die für einige Jahrzehnte eine Herausforderung für die historischen Sprachwissenschaften darstellte, wurde schließlich im Jahre 1875 durch den dänischen Linguisten Karl Verner erklärt (siehe Vernersches Gesetz).
Übereinstimmungen mit dem Urindogermanischen
Betrachtet man die erste (germanische) Lautverschiebung im Zusammenhang mit den Veränderungen, wie sie für andere indogermanische Sprachen belegt sind, so lässt sich eine Übereinstimmung innerhalb der unterschiedlichen Zweige der Sprachfamilie feststellen. So stimmt zum Beispiel der germanische Wortanfang *b- in der Regel mit dem lateinischen *f-, dem griechischen pʰ-, dem bʰ- des Sanskrit, und dem slawischen, baltischen oder keltischen b- überein, wohingegen sich für das germanische *f- Übereinstimmungen mit dem lateinischen, griechischen, altindischen, slawischen und baltischen p- ergeben. Die erstgenannte Gruppe geht zurück auf das indogermanische *bʰ-, das sich konstant im Sanskrit und in modifizierter Form auch in zahlreichen anderen Sprachen widerspiegelt. Die letztgenannte Gruppe geht auf das urindogermanische *p- zurück (im Germanischen verschoben, im Keltischen verloren gegangen, jedoch in anderen hier erwähnten Gruppen erhalten geblieben).
Siehe auch
Lautverschiebung
Zweite Lautverschiebung
Vernersches Gesetz
Graßmannsches Gesetz
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
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