Börries Freiherr von Münchhausen
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Börries Freiherr von Münchhausen
Börries Albrecht Conon August Heinrich Freiherr von Münchhausen (* 20. März 1874 in Hildesheim; † 16. März 1945 in Windischleuba) war ein deutscher Schriftsteller und Lyriker.
Biografie
Seine Eltern waren Börries Freiherr von Münchhausen-Moringen (1845–1931) aus dem niedersächsischen Adelsgeschlecht der Münchhausen aus Apelern und dessen Frau Clementine (1846–1913), geb. von der Gabelentz.
Nach dem Besuch der Klosterschule Ilfeld besuchte Börries das Lyzeum II in Hannover. Dort war er mit dem Sohn des hannoverschen Landesrabbiners Selig Gronemann, Sammy Gronemann, gut bekannt. Sammy Gronemann berichtete, dass Börries, der die Klasse über ihm besuchte, ihn vor antisemitischen Mitschülern in Schutz nahm: „Börries, der schon als Schüler eine ganz besondere Vorliebe für jüdische Dinge hatte, u.a. häufig den Freitagabend-Gottesdienst in der Synagoge besuchte, pflegte gegenüber antisemitischen Pöbeleien sehr energisch aufzutreten.“[1] Danach nahm Münchhausen in Göttingen, Berlin und München das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften auf. Sein erstes juristisches Staatsexamen endete mit der mündlichen Prüfung in Celle, die er wiederum gemeinsam mit Gronemann absolvierte. Da die Prüfung an einem Samstag stattfand und Gronemann als orthodoxer Jude am Schabbat nicht schreiben wollte, fälschte Münchhausen als frischgebackener Assessor für seinen Freund die Unterschrift unter der Prüfungsurkunde.[2] Später belegte Münchhausen auch Fächer wie Philosophie und Literaturwissenschaft und gab 1898 den Musenalmanach Göttinger Studenten[3] heraus. 1899 promovierte er in Leipzig zum Dr. iur. und ging anschließend wieder nach Göttingen zurück.
Im Ersten Weltkrieg war Münchhausen zunächst Oberleutnant im Königlich-Sächsischen Garde-Reiter-Regiment. Seit 1916 arbeitete er für die Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung. Im Ehrenamt war er von 1914 bis 1920 Vorsitzender des Heimatbunds Niedersachsen.[4] Nach Ende des Krieges bewirtschaftete er sein Gut in Windischleuba, publizierte aber auch in verschiedenen Zeitschriften. Ab 1925 war Münchhausen bei der Zeitschrift Volk und Rasse Schriftleiter der Beilage Volk im Wort.[5]
Verhältnis zum Judentum
Sein Verhältnis zum Judentum blieb ambivalent: Völkisch eingestellt, betrachtete er die Juden als „Fremdvolk“, dessen Beteiligung am deutschen Kulturleben er nicht billigte. Dies schloss freundliche Beziehungen zu jüdischen „nationalbewussten“ (zionistisch eingestellten) Autoren zunächst nicht aus: Münchhausen hielt die „jüdische Rasse“ nicht für minderwertig, sondern wollte lediglich eine „Vermischung“ mit den nichtjüdischen Deutschen unterbinden. Gronemann berichtet, wie Münchhausen 1901 seine Balladen auf einer von ihm organisierten Veranstaltung der Zionistischen Vereinigung Hannover las.[6] In diesem Zusammenhang berichtet Gronemann auch von Münchhausens Einstellung zu den Juden überhaupt: „Münchhausens Werdegang vom Sänger jüdischer Kraft und jüdischer Helden zum deutschvölkischen Barden ist begreiflicherweise oft recht abfällig beurteilt. Immerhin, wenn man seine Einstellung zu den Juden auch in jener Zeit kennt, kann man eher jene Entwicklung begreiflich finden. Er schätzte das alte Judentum und die in der Tradition verwurzelten Abkommen der alten Makkabäer. Er verabscheute das Assimilantentum und begriff nicht, wie ein Jude etwa sich anders denn als Aristokrat fühlen konnte.“[7] Mit einer Glorifizierung des antiken Judentums im Gegensatz zu einem zunehmend negativ wahrgenommenen zeitgenössischen Judentum bewegte sich Münchhausen durchaus im Mainstream christlicher Vorstellungen seiner Zeit. Die zionistische Zeitung Die Welt berichtete in Ihrer Ausgabe vom 20. Februar 1903 von einer positiven Äußerung Münchhausens über den Zionismus: „Gradeaus und klar gibt der immer sympathische Freiherr Boerries von Münchhausen seine Meinung ab. Er nennt den Zionismus das Erwachen eines stolzen Adelsbewusstseins eines Edelvolkes. Er glaubt nicht an seine Realisierbarkeit, weil die Plebejer nicht mittun werden, die vielen Plebejer.“[8] Gronemann berichtet weiter, Münchhausen habe in der Welt die Ghettolieder Morris Rosenfelds (negativ) rezensiert und dabei seine eigene Vorstellung von Judentum erläutert: „Nach seiner Auffassung stellten die Juden den ältesten Adel der Welt dar. Er kannte dreierlei Adel, den Schwertadel, zu dem er sich rechnete; den Kaufmannsadel (Fugger) und die Juden. Adel besteht nach seiner Auffassung dann, wenn Generationen hindurch derselbe Lebensrhythmus befolgt wird und man sich mit denselben Dingen beschäfftigt, also derselbe Lebensinhalt und dieselbe Lebensform bleibt.“ Das träfe auf alle drei genannten Gruppen, besonders aber auf die Juden zu, „bei denen überhaupt nur eine Auslese der stärksten und widerstandsfähigsten geblieben ist, da die schwachen Elemente im Laufe der jahrhundertelangen Verfolgungen aus der jüdischen Gemeinschaft ausgemerzt sind.“[9]
Später wandelte sich Münchhausens Einstellung zum Judentum; negative Aussagen wurden häufiger. In einem Brief vom 2. Dezember 1922 äußerte er sich gegenüber seinem (nichtjüdischen) Freund Levin Ludwig Schücking in einer Diskussion über den Prager Schriftsteller Leo Perutz über deutsch-jüdische Autoren: „Vielleicht liegen mir aber diese Wiener Juden alle nicht, auch Hoffmansthal ist mir ein Greul. Ich fühle überall ein gewisses Minus und weiß nicht recht, ob es die sittliche Notwendigkeit der Werke oder der Charakter der Dichter ist. Jedenfalls wehrt sich mein Instinkt gegen sie, obwohl ich, wie Du weißt, gar kein praktischer Antisemit bin.“[10] Gronemann berichtet außerdem, dass sich Münchhausen sehr echauffiert habe, als der jüdische Schriftsteller A. Halbert es gewagt habe, seinen deutschen Stil zu verbessern. Weiter zitiert Gronemann aus einem Brief Münchhausens an ihn, „als schon der Schatten Hitlers sich abzeichnete“, dort schrieb Börries: „Sie sind Davidsternler, ich bin gewiß kein Hakenkreuzler, aber doch werden Sie begreifen, daß es mir als deutschem Schriftsteller peinlich ist, wenn in der deutschen Literatur Juden eine führende Stellung innehaben, aber das könnte noch angehen. Was für mich schlichthin unerträglich ist, ist daß sie diese Stellung zu Recht innehaben.“[11]
Antisemitische Ressentiments kamen auch in einem Beitrag im Deutschen Adelsblatt zum Ausdruck, wo er 1924 schrieb: „Eine Ehe zwischen Arier und Juden ergibt immer einen Bastard“.[5] in einem Aufsatz Vom Sterbebett der deutschen Seele, der 1926 in der Zeitschrift Deutschlands Erneuerung erschien, bezeichnete er die Juden als „Mörder an der Seele des Deutschen.“
Dabei verstand sich Münchhausen selbst nie als Antisemit, sondern lediglich als Verteidiger des Deutschtums gegen eine „Rassenmischung“. 1929 schrieb er an Ina Seidel: „Wie Sie wissen, bin ich nicht Antisemit, glaube aber allerdings das Deutschtum in seinem verzweifelten Abwehrkampfe gegen eine Überwucherung des jüdischen Geistes schützen zu müssen.“
Karriere im Nationalsozialismus
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er im Mai 1933 in die „gesäuberte“ Deutsche Akademie der Dichtung berufen,[5] nachdem viele bisherige Mitglieder ihre Mitgliedschaft aufgaben oder aufzugeben gezwungen waren. Ein Jahr später erfolgte seine Ernennung zum Senator der Akademie. Im Oktober 1933 gehörte Münchhausen zu den 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterschrieben.[5] Nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg unterzeichnete er im August 1934 den Aufruf der Kulturschaffenden zur „Volksbefragung“ zugunsten einer Zusammenlegung des Reichspräsidenten- und Reichskanzleramts.[5]
In dieser Zeit bekannte sich Münchhausen auch in einigen Texten zur antisemitischen Gesinnung und erklärte unter anderem, dass der Anteil der Juden an den „Deserteuren, Verbrechern, Zuchthäuslern etwa hundert- bis zweihundertmal so stark wie der Anteil an der Bevölkerungszahl“ sei. Er machte energisch Front gegen moderne zeitgenössische Autoren und polemisierte gegen die in Deutschland verbliebenen, wie z. B. Gottfried Benn. Diesem, der anfangs selbst mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte, bevor seine expressionistische Dichtung als „entartet“ eingestuft wurde, unterstellte Münchhausen öffentlich eine jüdische Abstammung und berief sich dabei (abwegigerweise) auf Benns Nachnamen.
Auf seinem Schloss Windischleuba beging Börries von Münchhausen vor Kriegsende 1945 Selbstmord
Im Laufe der 1930er Jahre zog sich Münchhausen aus der Tagespolitik zurück, blieb jedoch einer der von der NS-Literaturpolitik am meisten geförderten Autoren. Seine Haltung zum NS-Staat war ambivalent. Zwar strich er in von ihm herausgegebenen Anthologien die Texte jüdischer und politisch unerwünschter Autoren, andererseits wurde er auch von Hardlinern kritisiert, als er sich 1937 für einige verfemte (jüdische und nicht-jüdische) Autoren einsetzte. 1933 erteilte er dem später als „entartet“ diffamierten Maler Conrad Felixmüller einen Porträtauftrag, Felixmüller weilte während der Arbeit bei Münchhausen auf Schloß Windischleuba und berichtete darüber anschließend in den Monatsheften von Velhagen & Klasing.
In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde er im August 1944 von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Schriftsteller eingetragen.[5] Am 16. März 1945 beendete Münchhausen sein Leben durch Suizid. Motiv hierfür war neben der absehbaren Kriegsniederlage Deutschlands auch der Tod seiner Frau am 16. Januar 1945. Er ist auf dem Friedhof von Windischleuba begraben.
Sein Schloss Windischleuba wurde im Zuge der Bodenreform von 1945 enteignet und nach 1990 zu Gunsten des Staates verwertet. Es wird seit 1977 (unter Verwendung von Teilen des originalen Mobiliars) als Jugendherberge genutzt.
Literarischer Erfolg
Münchhausen hatte bereits während seiner Studienzeit erste Balladen und Gedichte geschrieben. 1897 erschien sein erster Band Gedichte, der einigen Erfolg hatte. Im Jahre 1900 erschien seine Balladensammlung Juda[12] mit Illustrationen des bekannten Jugendstilillustrators Ephraim Moses Lilien. Dieser üppig ausgestattete Band diente jahrzehntelang in jüdischen Bürgerfamilien als repräsentatives Geschenk zur gesellschaftlich der christlichen Konfirmation entsprechenden Bar Mizwa. Dort behandelte er Themen der Tora in derselben Weise, wie andernorts Themen der griechischen, germanischen oder indischen Mythologie. Einzelne Gedichte verraten eine gute Kenntnis nicht nur des alten Testamentes, sondern auch der zeitgenössischen jüdischen Gebräuche (etwa das Gedicht "Passah" hinsichtlich des Sedermals am ersten Abend des Pessachfestes). Im Jahre 1904 erschien als Reaktion auf die Pogrome in damals russischen Kischinev seine Ballade "Die Hesped-Klage",[13] die unter dem Titel der traditionellen jüdischen Totenrede (Hesped) für die Opfer Partei ergriff. Von 1898 bis 1922 gab er den Göttinger Musenalmanach heraus, der sich vor allem für die Veröffentlichung von Balladen einsetzte und in dem u.a. erste Texte von Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney erschienen. Münchhausens Balladen, die fast ausschließlich historische Stoffe behandeln und traditionelle Formen aufnehmen, waren im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sehr populär. Vielfach wurden sie vertont und gehörten zum Kanon der Jugendbewegung der Zeit.
Nach 1933 veröffentlichte Münchhausen fast nur noch Neuauflagen seiner früheren Bücher sowie Anthologien. Gemeinsam mit seinem Cousin, dem Kunsthistoriker Hans von der Gabelentz (seit 1930 „Burghauptmann der Wartburg“), gründete er in den 1930er Jahren die Deutsche Dichterakademie in Eisenach, die ihren Sitz auf der Wartburg hatte. Diese stand in Konkurrenz zur Berliner Preußischen Akademie.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden verschiedene Gedichte Münchhausens Aufnahme in Schullesebücher der Bundesrepublik Deutschland, wie in Deutsche Dichtung der Neuzeit. Für die Oberstufe höherer Schulen ausgewählt von Ernst Bender.[14] Die Balladen Münchhausens fanden seit den 1960er-Jahren weniger Beachtung, aber Marcel Reich-Ranicki nahm 2005 trotzdem zwei Gedichte Münchhausens in seine Anthologie Der Kanon, Band 5 auf.
Auszeichnungen und Ehrungen
Mejstrik-Preis der Deutschen Schillerstiftung (1923)
Silberne Wartburg-Dichterrose
Dr. phil. h.c.
Freiherr von Münchhausen war Domherr des Doms zu Wurzen. Für die umfangreiche Umgestaltung des Dom-Innenraumes 1931/1932 wurde der Bildhauer Georg Wrba gewonnen. Dieser schuf einen Zyklus spätexpressionistischer Bildwerke aus Bronzeguss, die bis heute die Ausstattung des Doms dominieren, darunter auch die bronzene Kanzel: Die Apostelköpfe an der Basis des Kanzelkorbes tragen die Gesichtszüge der damaligen Domherren[15] – so auch die Münchhausens.
Ehrenbürger von Göttingen (1937)
Ehrenbürger von Altenburg (1944)
Werke
Gedichte. 1897
Juda. 1900
Balladen. 1906
Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen. Gustav Stölting-Einbeckhausen und Börries Frhr. v. Münchhausen. 1912 – Nachdruck durch H. Th. Wenner
Fröhliche Woche mit Freunden. Stuttgart, Berlin, 1922, 1925
Ausgewählte Aufsätze. 1933
Geschichten aus der Geschichte einer alten Geschlechtshistorie nacherzählt. 1934
Münchhausen Beeren-Auslese: Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk des Freiherrn Börries von Münchhausen. 1937, Deutsche Verlagsanstalt[16]
Das dichterische Werk in zwei Bänden. 1950–1953
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Biografie
Seine Eltern waren Börries Freiherr von Münchhausen-Moringen (1845–1931) aus dem niedersächsischen Adelsgeschlecht der Münchhausen aus Apelern und dessen Frau Clementine (1846–1913), geb. von der Gabelentz.
Nach dem Besuch der Klosterschule Ilfeld besuchte Börries das Lyzeum II in Hannover. Dort war er mit dem Sohn des hannoverschen Landesrabbiners Selig Gronemann, Sammy Gronemann, gut bekannt. Sammy Gronemann berichtete, dass Börries, der die Klasse über ihm besuchte, ihn vor antisemitischen Mitschülern in Schutz nahm: „Börries, der schon als Schüler eine ganz besondere Vorliebe für jüdische Dinge hatte, u.a. häufig den Freitagabend-Gottesdienst in der Synagoge besuchte, pflegte gegenüber antisemitischen Pöbeleien sehr energisch aufzutreten.“[1] Danach nahm Münchhausen in Göttingen, Berlin und München das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften auf. Sein erstes juristisches Staatsexamen endete mit der mündlichen Prüfung in Celle, die er wiederum gemeinsam mit Gronemann absolvierte. Da die Prüfung an einem Samstag stattfand und Gronemann als orthodoxer Jude am Schabbat nicht schreiben wollte, fälschte Münchhausen als frischgebackener Assessor für seinen Freund die Unterschrift unter der Prüfungsurkunde.[2] Später belegte Münchhausen auch Fächer wie Philosophie und Literaturwissenschaft und gab 1898 den Musenalmanach Göttinger Studenten[3] heraus. 1899 promovierte er in Leipzig zum Dr. iur. und ging anschließend wieder nach Göttingen zurück.
Im Ersten Weltkrieg war Münchhausen zunächst Oberleutnant im Königlich-Sächsischen Garde-Reiter-Regiment. Seit 1916 arbeitete er für die Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung. Im Ehrenamt war er von 1914 bis 1920 Vorsitzender des Heimatbunds Niedersachsen.[4] Nach Ende des Krieges bewirtschaftete er sein Gut in Windischleuba, publizierte aber auch in verschiedenen Zeitschriften. Ab 1925 war Münchhausen bei der Zeitschrift Volk und Rasse Schriftleiter der Beilage Volk im Wort.[5]
Verhältnis zum Judentum
Sein Verhältnis zum Judentum blieb ambivalent: Völkisch eingestellt, betrachtete er die Juden als „Fremdvolk“, dessen Beteiligung am deutschen Kulturleben er nicht billigte. Dies schloss freundliche Beziehungen zu jüdischen „nationalbewussten“ (zionistisch eingestellten) Autoren zunächst nicht aus: Münchhausen hielt die „jüdische Rasse“ nicht für minderwertig, sondern wollte lediglich eine „Vermischung“ mit den nichtjüdischen Deutschen unterbinden. Gronemann berichtet, wie Münchhausen 1901 seine Balladen auf einer von ihm organisierten Veranstaltung der Zionistischen Vereinigung Hannover las.[6] In diesem Zusammenhang berichtet Gronemann auch von Münchhausens Einstellung zu den Juden überhaupt: „Münchhausens Werdegang vom Sänger jüdischer Kraft und jüdischer Helden zum deutschvölkischen Barden ist begreiflicherweise oft recht abfällig beurteilt. Immerhin, wenn man seine Einstellung zu den Juden auch in jener Zeit kennt, kann man eher jene Entwicklung begreiflich finden. Er schätzte das alte Judentum und die in der Tradition verwurzelten Abkommen der alten Makkabäer. Er verabscheute das Assimilantentum und begriff nicht, wie ein Jude etwa sich anders denn als Aristokrat fühlen konnte.“[7] Mit einer Glorifizierung des antiken Judentums im Gegensatz zu einem zunehmend negativ wahrgenommenen zeitgenössischen Judentum bewegte sich Münchhausen durchaus im Mainstream christlicher Vorstellungen seiner Zeit. Die zionistische Zeitung Die Welt berichtete in Ihrer Ausgabe vom 20. Februar 1903 von einer positiven Äußerung Münchhausens über den Zionismus: „Gradeaus und klar gibt der immer sympathische Freiherr Boerries von Münchhausen seine Meinung ab. Er nennt den Zionismus das Erwachen eines stolzen Adelsbewusstseins eines Edelvolkes. Er glaubt nicht an seine Realisierbarkeit, weil die Plebejer nicht mittun werden, die vielen Plebejer.“[8] Gronemann berichtet weiter, Münchhausen habe in der Welt die Ghettolieder Morris Rosenfelds (negativ) rezensiert und dabei seine eigene Vorstellung von Judentum erläutert: „Nach seiner Auffassung stellten die Juden den ältesten Adel der Welt dar. Er kannte dreierlei Adel, den Schwertadel, zu dem er sich rechnete; den Kaufmannsadel (Fugger) und die Juden. Adel besteht nach seiner Auffassung dann, wenn Generationen hindurch derselbe Lebensrhythmus befolgt wird und man sich mit denselben Dingen beschäfftigt, also derselbe Lebensinhalt und dieselbe Lebensform bleibt.“ Das träfe auf alle drei genannten Gruppen, besonders aber auf die Juden zu, „bei denen überhaupt nur eine Auslese der stärksten und widerstandsfähigsten geblieben ist, da die schwachen Elemente im Laufe der jahrhundertelangen Verfolgungen aus der jüdischen Gemeinschaft ausgemerzt sind.“[9]
Später wandelte sich Münchhausens Einstellung zum Judentum; negative Aussagen wurden häufiger. In einem Brief vom 2. Dezember 1922 äußerte er sich gegenüber seinem (nichtjüdischen) Freund Levin Ludwig Schücking in einer Diskussion über den Prager Schriftsteller Leo Perutz über deutsch-jüdische Autoren: „Vielleicht liegen mir aber diese Wiener Juden alle nicht, auch Hoffmansthal ist mir ein Greul. Ich fühle überall ein gewisses Minus und weiß nicht recht, ob es die sittliche Notwendigkeit der Werke oder der Charakter der Dichter ist. Jedenfalls wehrt sich mein Instinkt gegen sie, obwohl ich, wie Du weißt, gar kein praktischer Antisemit bin.“[10] Gronemann berichtet außerdem, dass sich Münchhausen sehr echauffiert habe, als der jüdische Schriftsteller A. Halbert es gewagt habe, seinen deutschen Stil zu verbessern. Weiter zitiert Gronemann aus einem Brief Münchhausens an ihn, „als schon der Schatten Hitlers sich abzeichnete“, dort schrieb Börries: „Sie sind Davidsternler, ich bin gewiß kein Hakenkreuzler, aber doch werden Sie begreifen, daß es mir als deutschem Schriftsteller peinlich ist, wenn in der deutschen Literatur Juden eine führende Stellung innehaben, aber das könnte noch angehen. Was für mich schlichthin unerträglich ist, ist daß sie diese Stellung zu Recht innehaben.“[11]
Antisemitische Ressentiments kamen auch in einem Beitrag im Deutschen Adelsblatt zum Ausdruck, wo er 1924 schrieb: „Eine Ehe zwischen Arier und Juden ergibt immer einen Bastard“.[5] in einem Aufsatz Vom Sterbebett der deutschen Seele, der 1926 in der Zeitschrift Deutschlands Erneuerung erschien, bezeichnete er die Juden als „Mörder an der Seele des Deutschen.“
Dabei verstand sich Münchhausen selbst nie als Antisemit, sondern lediglich als Verteidiger des Deutschtums gegen eine „Rassenmischung“. 1929 schrieb er an Ina Seidel: „Wie Sie wissen, bin ich nicht Antisemit, glaube aber allerdings das Deutschtum in seinem verzweifelten Abwehrkampfe gegen eine Überwucherung des jüdischen Geistes schützen zu müssen.“
Karriere im Nationalsozialismus
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er im Mai 1933 in die „gesäuberte“ Deutsche Akademie der Dichtung berufen,[5] nachdem viele bisherige Mitglieder ihre Mitgliedschaft aufgaben oder aufzugeben gezwungen waren. Ein Jahr später erfolgte seine Ernennung zum Senator der Akademie. Im Oktober 1933 gehörte Münchhausen zu den 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterschrieben.[5] Nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg unterzeichnete er im August 1934 den Aufruf der Kulturschaffenden zur „Volksbefragung“ zugunsten einer Zusammenlegung des Reichspräsidenten- und Reichskanzleramts.[5]
In dieser Zeit bekannte sich Münchhausen auch in einigen Texten zur antisemitischen Gesinnung und erklärte unter anderem, dass der Anteil der Juden an den „Deserteuren, Verbrechern, Zuchthäuslern etwa hundert- bis zweihundertmal so stark wie der Anteil an der Bevölkerungszahl“ sei. Er machte energisch Front gegen moderne zeitgenössische Autoren und polemisierte gegen die in Deutschland verbliebenen, wie z. B. Gottfried Benn. Diesem, der anfangs selbst mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte, bevor seine expressionistische Dichtung als „entartet“ eingestuft wurde, unterstellte Münchhausen öffentlich eine jüdische Abstammung und berief sich dabei (abwegigerweise) auf Benns Nachnamen.
Auf seinem Schloss Windischleuba beging Börries von Münchhausen vor Kriegsende 1945 Selbstmord
Im Laufe der 1930er Jahre zog sich Münchhausen aus der Tagespolitik zurück, blieb jedoch einer der von der NS-Literaturpolitik am meisten geförderten Autoren. Seine Haltung zum NS-Staat war ambivalent. Zwar strich er in von ihm herausgegebenen Anthologien die Texte jüdischer und politisch unerwünschter Autoren, andererseits wurde er auch von Hardlinern kritisiert, als er sich 1937 für einige verfemte (jüdische und nicht-jüdische) Autoren einsetzte. 1933 erteilte er dem später als „entartet“ diffamierten Maler Conrad Felixmüller einen Porträtauftrag, Felixmüller weilte während der Arbeit bei Münchhausen auf Schloß Windischleuba und berichtete darüber anschließend in den Monatsheften von Velhagen & Klasing.
In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde er im August 1944 von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Schriftsteller eingetragen.[5] Am 16. März 1945 beendete Münchhausen sein Leben durch Suizid. Motiv hierfür war neben der absehbaren Kriegsniederlage Deutschlands auch der Tod seiner Frau am 16. Januar 1945. Er ist auf dem Friedhof von Windischleuba begraben.
Sein Schloss Windischleuba wurde im Zuge der Bodenreform von 1945 enteignet und nach 1990 zu Gunsten des Staates verwertet. Es wird seit 1977 (unter Verwendung von Teilen des originalen Mobiliars) als Jugendherberge genutzt.
Literarischer Erfolg
Münchhausen hatte bereits während seiner Studienzeit erste Balladen und Gedichte geschrieben. 1897 erschien sein erster Band Gedichte, der einigen Erfolg hatte. Im Jahre 1900 erschien seine Balladensammlung Juda[12] mit Illustrationen des bekannten Jugendstilillustrators Ephraim Moses Lilien. Dieser üppig ausgestattete Band diente jahrzehntelang in jüdischen Bürgerfamilien als repräsentatives Geschenk zur gesellschaftlich der christlichen Konfirmation entsprechenden Bar Mizwa. Dort behandelte er Themen der Tora in derselben Weise, wie andernorts Themen der griechischen, germanischen oder indischen Mythologie. Einzelne Gedichte verraten eine gute Kenntnis nicht nur des alten Testamentes, sondern auch der zeitgenössischen jüdischen Gebräuche (etwa das Gedicht "Passah" hinsichtlich des Sedermals am ersten Abend des Pessachfestes). Im Jahre 1904 erschien als Reaktion auf die Pogrome in damals russischen Kischinev seine Ballade "Die Hesped-Klage",[13] die unter dem Titel der traditionellen jüdischen Totenrede (Hesped) für die Opfer Partei ergriff. Von 1898 bis 1922 gab er den Göttinger Musenalmanach heraus, der sich vor allem für die Veröffentlichung von Balladen einsetzte und in dem u.a. erste Texte von Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney erschienen. Münchhausens Balladen, die fast ausschließlich historische Stoffe behandeln und traditionelle Formen aufnehmen, waren im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sehr populär. Vielfach wurden sie vertont und gehörten zum Kanon der Jugendbewegung der Zeit.
Nach 1933 veröffentlichte Münchhausen fast nur noch Neuauflagen seiner früheren Bücher sowie Anthologien. Gemeinsam mit seinem Cousin, dem Kunsthistoriker Hans von der Gabelentz (seit 1930 „Burghauptmann der Wartburg“), gründete er in den 1930er Jahren die Deutsche Dichterakademie in Eisenach, die ihren Sitz auf der Wartburg hatte. Diese stand in Konkurrenz zur Berliner Preußischen Akademie.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden verschiedene Gedichte Münchhausens Aufnahme in Schullesebücher der Bundesrepublik Deutschland, wie in Deutsche Dichtung der Neuzeit. Für die Oberstufe höherer Schulen ausgewählt von Ernst Bender.[14] Die Balladen Münchhausens fanden seit den 1960er-Jahren weniger Beachtung, aber Marcel Reich-Ranicki nahm 2005 trotzdem zwei Gedichte Münchhausens in seine Anthologie Der Kanon, Band 5 auf.
Auszeichnungen und Ehrungen
Mejstrik-Preis der Deutschen Schillerstiftung (1923)
Silberne Wartburg-Dichterrose
Dr. phil. h.c.
Freiherr von Münchhausen war Domherr des Doms zu Wurzen. Für die umfangreiche Umgestaltung des Dom-Innenraumes 1931/1932 wurde der Bildhauer Georg Wrba gewonnen. Dieser schuf einen Zyklus spätexpressionistischer Bildwerke aus Bronzeguss, die bis heute die Ausstattung des Doms dominieren, darunter auch die bronzene Kanzel: Die Apostelköpfe an der Basis des Kanzelkorbes tragen die Gesichtszüge der damaligen Domherren[15] – so auch die Münchhausens.
Ehrenbürger von Göttingen (1937)
Ehrenbürger von Altenburg (1944)
Werke
Gedichte. 1897
Juda. 1900
Balladen. 1906
Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen. Gustav Stölting-Einbeckhausen und Börries Frhr. v. Münchhausen. 1912 – Nachdruck durch H. Th. Wenner
Fröhliche Woche mit Freunden. Stuttgart, Berlin, 1922, 1925
Ausgewählte Aufsätze. 1933
Geschichten aus der Geschichte einer alten Geschlechtshistorie nacherzählt. 1934
Münchhausen Beeren-Auslese: Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk des Freiherrn Börries von Münchhausen. 1937, Deutsche Verlagsanstalt[16]
Das dichterische Werk in zwei Bänden. 1950–1953
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