Karl Lachmann
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Karl Lachmann
Karl Konrad Friedrich Wilhelm Lachmann (* 4. März 1793 in Braunschweig; † 13. März 1851 in Berlin) war ein deutscher germanistischer Mediävist und Altphilologe, der als Dozent und Professor an der Berliner Universität wirkte. Seine Methode der historisch-kritischen Edition antiker Texte wurde zum Vorbild für die moderne Textkritik.
Karl Lachmann
Leben
Karl Lachmann wurde am 4. März 1793 in Braunschweig als Sohn des Predigers Carl Ludolf Friedrich Lachmann geboren und erhielt seine erste Ausbildung auf dem dortigen Catharineum. Er widmete sich seit 1809 in Leipzig klassischen, dann in Göttingen unter Georg Friedrich Benecke auch germanistischen Studien, habilitierte sich 1815 in Göttingen, trat aber bald darauf als freiwilliger Fussjäger in Duderstadt in den Militärdienst ein. Lachmann nahm an keinen kämpferischen Aktionen im Rahmen der Herrschaft der hundert Tage teil und quittierte nach einem kurzen Aufenthalt in Paris Ende 1815 den Dienst.[1]
1816 wurde er Collaborator am Friedrichswerderschen Gymnasium zu Berlin und Privatdozent an der dortigen Universität, übernahm noch im Sommer desselben Jahrs die Stelle eines Oberlehrers am Friedrichs-Kollegium zu Königsberg und 1818 eine außerordentliche Professur an der dortigen Universität. Er wurde 1825 außerordentlicher, 1827 ordentlicher Professor für lateinische und deutsche Philologie in Berlin und 1830 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Philologie wurde Moriz Haupt.
Eng befreundet war Lachmann mit Jacob und Wilhelm Grimm. Er war Mitglied der Braunschweiger Freimaurerloge Carl zur gekrönten Säule.
Grab von Lachmann auf dem Dreifaltigkeitskirchhof II in Berlin-Kreuzberg
Lachmann starb am 13. März 1851 in Berlin. Er wurde auf dem Berliner Dreifaltigkeitskirchhof II beigesetzt, wo er bis heute ein Ehrengrab hat.
Schaffen
Lachmann ist neben Benecke der Begründer der historisch-kritischen Editionspraxis; das Erstellen von Texten führte er von subjektivem Belieben auf feste Normen zurück, und zwar nicht bloß auf dem Gebiet der klassischen – wie es sonst üblich war –, sondern auch der altdeutschen Literatur. Lachmanns Ausgaben der mittelhochdeutschen Dichter Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide gelten als Klassiker der germanistischen Editionsgeschichte. Lachmanns Methode war es dabei, die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Überlieferungsträgern in eine Art Stammbaum einzuordnen, und auf dieser Basis den vermeintlichen Urtext eines jeden Werkes zu erstellen (vgl. textkritische Methode). Aus Sicht der Forschung des 21. Jahrhunderts sind Lachmanns Arbeiten der Rekonstruktionsphilologie zuzuordnen.[2]
Auf dem Gebiet der klassischen Literatur sind vor allem seine „Betrachtungen über Homers Ilias; (1837) hervorzuheben, in denen die Ilias in einzelne Lieder zerlegt wird, und seine bahnbrechende Ausgabe des Lucretius (1850), sodann die Ausgaben des Properz (1816), Tibull (1829), Catull (1829), des Neuen Testaments (1831), der Genesis (1834), Terentianus Maurus (1836), Gajus (1841), Babrios (1845), Avianus (1845), der römischen Feldmesser (mit Blume, Th. Mommsen, Rudorff, 1848–52), des Lucilius (aus seinem Nachlass hrsg. v. Vahlen, 1876) und die Abhandlungen „Observationes criticae“ (1815), „De choricis systematis tragicorum graecorum“ (1819), „De mensura tragoediarum“ (1822) u. a.; auch gab er die „Philologischen Abhandlungen“ seines Freundes Klenze heraus (1839).
Bis heute so bekannt wie umstritten ist in der lateinischen Linguistik das nach ihm benannte Lachmannsche Gesetz, das in seiner traditionellen Formulierung besagt, dass lateinische Verben, die auf stimmhaften Verschlusslaut enden, gedehnten Wurzelvokal vor dem (gegebenenfalls nachträglich lautlich veränderten) -to-Suffix des Partizip Perfekt Passiv haben, also âctus zu agere, têctus zu tegere und câsus zu cadere (aber factus zu facere und messus zu metere).
Von seinen germanistischen Schriften nennen wir an erster Stelle seine Arbeiten über das Nibelungenlied, die freilich zum Teil sehr bestritten wurden und heute als veraltet gelten müssen: die Abhandlung „Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts der Nibelunge Noth“ (1816) sowie die Ausgabe von „Der Nibelunge Noth und die Klage“ (1826; Anmerkungen und Lesarten dazu, 1837). Daneben ist auch die zum Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst zusammengestellte Prachtausgabe „Zwanzig alte Lieder von den Nibelungen“ (1840) zu erwähnen; diese Ausgabe enthält nur die von Lachmann für echt erklärten Lieder. Außerdem gab er heraus: „Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrhunderts“ (1820), „Specimina linguae francicae“ (1825), Walther von der Vogelweide (1827), Hartmanns „Iwein“ (mit Benecke, 1827), Wolfram von Eschenbach (1833), Hartmanns „Gregor“ (1838), Ulrich von Lichtenstein (mit Th. v. Karajan, 1841) und veröffentlichte Abhandlungen: „Über die Leiche der deutschen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts“ (1829), „Über althochdeutsche Betonung und Verskunst“ (1831), wodurch er der eigentliche Begründer der deutschen Metrik ward; „Über das Hildebrandslied“ (1833), „Über Singen und Sagen“ (1833), „Über den Eingang des Parzival“ (1835) u. a.
Auch verdanken wir ihm eine Übersetzung von Shakespeares Sonetten (1820) und Macbeth (1829) sowie eine kritische Ausgabe von Gotthold Ephraim Lessings sämtlichen Werken (1838–40, 13 Bände). Aus seinem Nachlass veröffentlichte M. Haupt einige von Lachmann hergestellte ältere Minnesänger („Des Minnesangs Frühling“, 1857).
Normalmittelhochdeutsch
Lachmann gilt auch als Erfinder des sogenannten normalisierten Mittelhochdeutsch bzw. Normalmittelhochdeutsch. Dies ist eine künstliche, von der Germanistik des 19. Jahrhunderts entwickelte Sprachform, welche die Unterschiede der regional und diachron sehr variantenreichen Schreibformen der mittelalterlichen ober- und mitteldeutschen Literatur zu vereinheitlichen versucht. Das Normalmittelhochdeutsch basiert hauptsächlich auf der höfischen Schreibsprache der Stauferzeit, welche selbst wiederum stark vom schwäbisch/alemannischen und fränkischen Mittelhochdeutsch geprägt war. Das Normalmittelhochdeutsch erleichtert Laien und Germanistikstudenten das Verständnis dieser alten Texte.
Für die linguistische Forschung hat sich diese nachträgliche Vereinheitlichung jedoch als nachteilig erweisen. Da fast alle Neueditionen mittelalterlicher Literatur in dieser "normalisierten" Form erschienen sind, basiert auch ein großer Teil der älteren Sekundärliteratur auf den redigierten Texten. Dadurch wurden regionale und diachrone Unterschiede oft ignoriert oder zu wenig beachtet. Besonders Sprachforscher mit einer teleologischen Sichtweise der Geschichte der deutschen Sprache waren dadurch verleitet, schon im Mittelalter eine einheitliche deutsche Standardsprache erkennen zu können. Die moderne Germanistik ist deshalb gezwungen, die mittelalterliche Literatur in ihrem linguistischen Aspekt komplett neu zu evaluieren bzw. mühsam herauszuarbeiten, ob bestimmte Werke früherer Sekundärliteratur auf der Originalschreibweise oder auf dem Normalmittelhochdeutsch basieren.
Nachlass
Reste des großenteils im Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Nachlasses liegen in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK).
Lachmann besaß mittelalterliche Handschriften, von denen die Staatsbibliothek zu Berlin heute zumindest Fragmente des Willehalm von Ulrich von dem Türlin und des Nibelungenliedes besitzt.
Werke
Seine „Kleinen Schriften“ wurden von Karl Viktor Müllenhoff und Johannes Vahlen (Berlin 1876, 2 Bände) herausgegeben.
Abhandlungen
Betrachtungen über Homers Ilias. Abhandlungen der Berliner Akademie 1837, 1841 u. 1843; gesammelt mit Zusätzen von Haupt, Berlin 1847; 3. Auflage 1874.
Observationes criticae. Götting. 1815.
De choricis systematis tragicorum graecorum. Berlin 1819.
De mensura tragoediarum. das. 1822 u. a.
Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts der Nibelunge Noth. Dümmler, Berlin 1816 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Über die Leiche der deutschen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts. 1829.
Über althochdeutsche Betonung und Verskunst. 1831.
Über das Hildebrandslied. 1833.
Über Singen und Sagen. 1833.
Über den Eingang des Parzival. 1835.
Editionen
Lucretius Berlin 1850; 1. Bd.: Text, 4. Auflage 1871; 2. Bd.: Kommentar, 4. Auflage 1882.
Properz Leipzig 1816; neue Ausg., Berlin 1829.
Tibull Berlin 1829.
Catull Berlin 1829, 3. Auflage 1874.
Neues Testaments kleinere Ausg., Berlin 1831, 3. Auflage 1846; größere mit Philipp Buttmann, Berlin 1842–1850, 2 Bände.
Genesios Bonn 1834.
Terentianus Maurus Berlin 1836.
Gajus Bonn 1841 u. Berlin 1842.
Babrios Berlin 1845.
Avianus Berlin 1845.
Römische Feldmesser mit Friedrich Bluhme, Theodor Mommsen, Adolf August Friedrich Rudorff, Berlin 1848–52, 2 Bände.
Lucilius aus seinem Nachlass hrsg. v. Vahlen, Berlin 1876.
Der Nibelunge Noth und die Klage. Berlin 1826, 5. Ausg. 1878; 10. Abdruck des Textes, 1881; Anmerkungen und Lesarten dazu, 1837.
Zwanzig alte Lieder von den Nibelungen. Berlin 1840.
Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrhunderts. Berlin 1820.
Specimina linguae francicae. Berlin 1825.
Walther von der Vogelweide. Berlin 1827; 5. Auflage von Müllenhoff, 1875.
Hartmann von Aue, Iwein. mit Benecke, Berlin 1827; 4. Auflage 1877.
Wolfram von Eschenbach, Berlin 1833, 4. Auflage 1879, 5. Auflage nach Moriz Haupt und Karl Müllenhoff besorgt von Karl Weinhold, Berlin 1891.
Hartmann von Aue, Gregorius Berlin 1838.
Ulrich von Lichtenstein. Mit Th. v. Karajan, Berlin 1841.
Aus seinem Nachlaß veröffentlichte M. Haupt einige von Lachmann hergestellte ältere Minnesänger: Des Minnesangs Frühling. Leipzig 1857, Digitalisat der 2. Aufl. 1875..
Kritische Ausgabe von Lessings sämtlichen Werken. Leipzig 1838–40, 13 Bände; neue Auflage von Maltzahn, 1853–57, 12 Bände, später von Franz Muncker bearbeitet
Auch gab er die Philologischen Abhandlungen. seines Freundes Klenze heraus. Berlin 1839.
Übersetzungen
Shakespeare: Sonette (Berlin 1820).
Shakespeare: Macbeth (Berlin 1829).
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Karl Lachmann
Leben
Karl Lachmann wurde am 4. März 1793 in Braunschweig als Sohn des Predigers Carl Ludolf Friedrich Lachmann geboren und erhielt seine erste Ausbildung auf dem dortigen Catharineum. Er widmete sich seit 1809 in Leipzig klassischen, dann in Göttingen unter Georg Friedrich Benecke auch germanistischen Studien, habilitierte sich 1815 in Göttingen, trat aber bald darauf als freiwilliger Fussjäger in Duderstadt in den Militärdienst ein. Lachmann nahm an keinen kämpferischen Aktionen im Rahmen der Herrschaft der hundert Tage teil und quittierte nach einem kurzen Aufenthalt in Paris Ende 1815 den Dienst.[1]
1816 wurde er Collaborator am Friedrichswerderschen Gymnasium zu Berlin und Privatdozent an der dortigen Universität, übernahm noch im Sommer desselben Jahrs die Stelle eines Oberlehrers am Friedrichs-Kollegium zu Königsberg und 1818 eine außerordentliche Professur an der dortigen Universität. Er wurde 1825 außerordentlicher, 1827 ordentlicher Professor für lateinische und deutsche Philologie in Berlin und 1830 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Philologie wurde Moriz Haupt.
Eng befreundet war Lachmann mit Jacob und Wilhelm Grimm. Er war Mitglied der Braunschweiger Freimaurerloge Carl zur gekrönten Säule.
Grab von Lachmann auf dem Dreifaltigkeitskirchhof II in Berlin-Kreuzberg
Lachmann starb am 13. März 1851 in Berlin. Er wurde auf dem Berliner Dreifaltigkeitskirchhof II beigesetzt, wo er bis heute ein Ehrengrab hat.
Schaffen
Lachmann ist neben Benecke der Begründer der historisch-kritischen Editionspraxis; das Erstellen von Texten führte er von subjektivem Belieben auf feste Normen zurück, und zwar nicht bloß auf dem Gebiet der klassischen – wie es sonst üblich war –, sondern auch der altdeutschen Literatur. Lachmanns Ausgaben der mittelhochdeutschen Dichter Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide gelten als Klassiker der germanistischen Editionsgeschichte. Lachmanns Methode war es dabei, die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Überlieferungsträgern in eine Art Stammbaum einzuordnen, und auf dieser Basis den vermeintlichen Urtext eines jeden Werkes zu erstellen (vgl. textkritische Methode). Aus Sicht der Forschung des 21. Jahrhunderts sind Lachmanns Arbeiten der Rekonstruktionsphilologie zuzuordnen.[2]
Auf dem Gebiet der klassischen Literatur sind vor allem seine „Betrachtungen über Homers Ilias; (1837) hervorzuheben, in denen die Ilias in einzelne Lieder zerlegt wird, und seine bahnbrechende Ausgabe des Lucretius (1850), sodann die Ausgaben des Properz (1816), Tibull (1829), Catull (1829), des Neuen Testaments (1831), der Genesis (1834), Terentianus Maurus (1836), Gajus (1841), Babrios (1845), Avianus (1845), der römischen Feldmesser (mit Blume, Th. Mommsen, Rudorff, 1848–52), des Lucilius (aus seinem Nachlass hrsg. v. Vahlen, 1876) und die Abhandlungen „Observationes criticae“ (1815), „De choricis systematis tragicorum graecorum“ (1819), „De mensura tragoediarum“ (1822) u. a.; auch gab er die „Philologischen Abhandlungen“ seines Freundes Klenze heraus (1839).
Bis heute so bekannt wie umstritten ist in der lateinischen Linguistik das nach ihm benannte Lachmannsche Gesetz, das in seiner traditionellen Formulierung besagt, dass lateinische Verben, die auf stimmhaften Verschlusslaut enden, gedehnten Wurzelvokal vor dem (gegebenenfalls nachträglich lautlich veränderten) -to-Suffix des Partizip Perfekt Passiv haben, also âctus zu agere, têctus zu tegere und câsus zu cadere (aber factus zu facere und messus zu metere).
Von seinen germanistischen Schriften nennen wir an erster Stelle seine Arbeiten über das Nibelungenlied, die freilich zum Teil sehr bestritten wurden und heute als veraltet gelten müssen: die Abhandlung „Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts der Nibelunge Noth“ (1816) sowie die Ausgabe von „Der Nibelunge Noth und die Klage“ (1826; Anmerkungen und Lesarten dazu, 1837). Daneben ist auch die zum Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst zusammengestellte Prachtausgabe „Zwanzig alte Lieder von den Nibelungen“ (1840) zu erwähnen; diese Ausgabe enthält nur die von Lachmann für echt erklärten Lieder. Außerdem gab er heraus: „Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrhunderts“ (1820), „Specimina linguae francicae“ (1825), Walther von der Vogelweide (1827), Hartmanns „Iwein“ (mit Benecke, 1827), Wolfram von Eschenbach (1833), Hartmanns „Gregor“ (1838), Ulrich von Lichtenstein (mit Th. v. Karajan, 1841) und veröffentlichte Abhandlungen: „Über die Leiche der deutschen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts“ (1829), „Über althochdeutsche Betonung und Verskunst“ (1831), wodurch er der eigentliche Begründer der deutschen Metrik ward; „Über das Hildebrandslied“ (1833), „Über Singen und Sagen“ (1833), „Über den Eingang des Parzival“ (1835) u. a.
Auch verdanken wir ihm eine Übersetzung von Shakespeares Sonetten (1820) und Macbeth (1829) sowie eine kritische Ausgabe von Gotthold Ephraim Lessings sämtlichen Werken (1838–40, 13 Bände). Aus seinem Nachlass veröffentlichte M. Haupt einige von Lachmann hergestellte ältere Minnesänger („Des Minnesangs Frühling“, 1857).
Normalmittelhochdeutsch
Lachmann gilt auch als Erfinder des sogenannten normalisierten Mittelhochdeutsch bzw. Normalmittelhochdeutsch. Dies ist eine künstliche, von der Germanistik des 19. Jahrhunderts entwickelte Sprachform, welche die Unterschiede der regional und diachron sehr variantenreichen Schreibformen der mittelalterlichen ober- und mitteldeutschen Literatur zu vereinheitlichen versucht. Das Normalmittelhochdeutsch basiert hauptsächlich auf der höfischen Schreibsprache der Stauferzeit, welche selbst wiederum stark vom schwäbisch/alemannischen und fränkischen Mittelhochdeutsch geprägt war. Das Normalmittelhochdeutsch erleichtert Laien und Germanistikstudenten das Verständnis dieser alten Texte.
Für die linguistische Forschung hat sich diese nachträgliche Vereinheitlichung jedoch als nachteilig erweisen. Da fast alle Neueditionen mittelalterlicher Literatur in dieser "normalisierten" Form erschienen sind, basiert auch ein großer Teil der älteren Sekundärliteratur auf den redigierten Texten. Dadurch wurden regionale und diachrone Unterschiede oft ignoriert oder zu wenig beachtet. Besonders Sprachforscher mit einer teleologischen Sichtweise der Geschichte der deutschen Sprache waren dadurch verleitet, schon im Mittelalter eine einheitliche deutsche Standardsprache erkennen zu können. Die moderne Germanistik ist deshalb gezwungen, die mittelalterliche Literatur in ihrem linguistischen Aspekt komplett neu zu evaluieren bzw. mühsam herauszuarbeiten, ob bestimmte Werke früherer Sekundärliteratur auf der Originalschreibweise oder auf dem Normalmittelhochdeutsch basieren.
Nachlass
Reste des großenteils im Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Nachlasses liegen in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK).
Lachmann besaß mittelalterliche Handschriften, von denen die Staatsbibliothek zu Berlin heute zumindest Fragmente des Willehalm von Ulrich von dem Türlin und des Nibelungenliedes besitzt.
Werke
Seine „Kleinen Schriften“ wurden von Karl Viktor Müllenhoff und Johannes Vahlen (Berlin 1876, 2 Bände) herausgegeben.
Abhandlungen
Betrachtungen über Homers Ilias. Abhandlungen der Berliner Akademie 1837, 1841 u. 1843; gesammelt mit Zusätzen von Haupt, Berlin 1847; 3. Auflage 1874.
Observationes criticae. Götting. 1815.
De choricis systematis tragicorum graecorum. Berlin 1819.
De mensura tragoediarum. das. 1822 u. a.
Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts der Nibelunge Noth. Dümmler, Berlin 1816 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Über die Leiche der deutschen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts. 1829.
Über althochdeutsche Betonung und Verskunst. 1831.
Über das Hildebrandslied. 1833.
Über Singen und Sagen. 1833.
Über den Eingang des Parzival. 1835.
Editionen
Lucretius Berlin 1850; 1. Bd.: Text, 4. Auflage 1871; 2. Bd.: Kommentar, 4. Auflage 1882.
Properz Leipzig 1816; neue Ausg., Berlin 1829.
Tibull Berlin 1829.
Catull Berlin 1829, 3. Auflage 1874.
Neues Testaments kleinere Ausg., Berlin 1831, 3. Auflage 1846; größere mit Philipp Buttmann, Berlin 1842–1850, 2 Bände.
Genesios Bonn 1834.
Terentianus Maurus Berlin 1836.
Gajus Bonn 1841 u. Berlin 1842.
Babrios Berlin 1845.
Avianus Berlin 1845.
Römische Feldmesser mit Friedrich Bluhme, Theodor Mommsen, Adolf August Friedrich Rudorff, Berlin 1848–52, 2 Bände.
Lucilius aus seinem Nachlass hrsg. v. Vahlen, Berlin 1876.
Der Nibelunge Noth und die Klage. Berlin 1826, 5. Ausg. 1878; 10. Abdruck des Textes, 1881; Anmerkungen und Lesarten dazu, 1837.
Zwanzig alte Lieder von den Nibelungen. Berlin 1840.
Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrhunderts. Berlin 1820.
Specimina linguae francicae. Berlin 1825.
Walther von der Vogelweide. Berlin 1827; 5. Auflage von Müllenhoff, 1875.
Hartmann von Aue, Iwein. mit Benecke, Berlin 1827; 4. Auflage 1877.
Wolfram von Eschenbach, Berlin 1833, 4. Auflage 1879, 5. Auflage nach Moriz Haupt und Karl Müllenhoff besorgt von Karl Weinhold, Berlin 1891.
Hartmann von Aue, Gregorius Berlin 1838.
Ulrich von Lichtenstein. Mit Th. v. Karajan, Berlin 1841.
Aus seinem Nachlaß veröffentlichte M. Haupt einige von Lachmann hergestellte ältere Minnesänger: Des Minnesangs Frühling. Leipzig 1857, Digitalisat der 2. Aufl. 1875..
Kritische Ausgabe von Lessings sämtlichen Werken. Leipzig 1838–40, 13 Bände; neue Auflage von Maltzahn, 1853–57, 12 Bände, später von Franz Muncker bearbeitet
Auch gab er die Philologischen Abhandlungen. seines Freundes Klenze heraus. Berlin 1839.
Übersetzungen
Shakespeare: Sonette (Berlin 1820).
Shakespeare: Macbeth (Berlin 1829).
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
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