Franz Radziwill
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Franz Radziwill
Johann Franz Wilhelm Eduard Radziwill (* 6. Februar 1895 in Strohausen, heute Rodenkirchen in der Wesermarsch; † 12. August 1983 in Wilhelmshaven) war ein deutscher Künstler des Magischen Realismus. Sein Œuvre umfasst verschiedene Schaffensperioden: ein expressionistisches Frühwerk, ein magisch-realistisches Hauptwerk und ein symbolistisches Spätwerk. Bekannt sind rund 850 Ölbilder, 2000 Aquarelle, Zeichnungen und bemalte Postkarten sowie 35 druckgrafische Arbeiten.
Geburtshaus von Franz Radziwill, Strohausen, Rodenkirchen (Stadland). Heutige Adresse: Zu den Deichen 15
Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in dem Nordseebad Dangast bei Varel am Jadebusen, das ihn künstlerisch inspirierte. Während der NS-Zeit gehörte er der NSDAP an und war von 1933 bis 1935 als Lehrender für Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf tätig. Nachdem einige seiner Frühwerke als „entartet“ galten, erhielt er mehrfach vorübergehend Ausstellungsverbot. Andererseits fand er jedoch immer wieder Anerkennung. Stilistisch ist er nicht der sogenannten Deutschen Kunst zuzuordnen.
Über Vita und Werk wird bis in die Gegenwart kontrovers debattiert. Unbestritten ist seine künstlerische Ausdruckskraft. Seine Arbeiten werden national, wie auch in geringerem Umfang international, in renommierten Museen gezeigt.
Biografie
Kindheit und Jugend/Erster Weltkrieg
Franz Radziwill wurde als ältestes von sieben Kindern des Töpfermeisters Eduard Radziwill (1859–1922) und seiner Ehefrau Karoline, geborene Suhrendorf (1871–1948) in Strohausen/Wesermarsch geboren. Nach dem Umzug der Familie 1896 wuchs er zunächst im Arbeiterviertel in Bremen-Walle auf, dann in Bremen-Findorff. Die Eltern schickten ihn auf die Freischule an der Großenstraße im Stephaniviertel. Ab 1909 folgte eine Maurerlehre. Dank hervorragender Ergebnisse der Gesellenprüfung wurde Radziwill 1913 an der Technischen Staatslehranstalt Bremen zum Architekturstudium und zum Studiengang für Industrielle Formgebung zugelassen. In Abendkursen an der Bremer Kunstgewerbeschule widmete er sich dem figürlichen Zeichnen. Durch seinen Mentor, den Architekten Karl Schwally, fand Radziwill Zugang zum Künstlerkreis in Worpswede, darunter Bernhard Hoetger, Otto Modersohn, Heinrich Vogeler, Jan Bontjes van Beek, Olga Bontjes van Beek und Clara Rilke-Westhoff.[1] Der Erste Weltkrieg unterbrach die künstlerische Entwicklung. 1915 wurde Radziwill eingezogen und bis 1918 als Sanitätssoldat in Russland, Flandern und Nordfrankreich eingesetzt.
Künstlerischer Aufbruch
Noch während des Krieges entschied sich Radziwill für die Malerei. Nach Entlassung aus englischer Gefangenschaft fand er in dem Bremer Friseur Gustav Brocks einen Förderer, der ihm in der Innenstadt seine Perückenmacherstube unterm Dach als Atelier und Wohnung zur Verfügung stellte. Die Obernstraße 3 blieb bis zur Übersiedlung nach Dangast im Jahr 1923 Radziwills postalische Adresse. Das Gemälde Häuser in Bremen (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg) aus der Zeit um 1919 ist mit der Widmung „An Gustav Brocks“ ein Zeugnis dieser Freundschaft. Im selben Jahr gründete Radziwill mit Heinz Baden u. a. den Malerbund Der grüne Regenbogen. Die Gruppe stellte ihre Arbeiten im April 1919 in der Kunsthalle Bremen und anschließend im Kunstsalon Maria Kunde in Hamburg aus.[2]
In Hamburg lernte Radziwill die Kunsthistoriker und Sammler Wilhelm Niemeyer und Rosa Schapire kennen, die passive Mitglieder der expressionistischen Künstlergruppe Brücke waren und mit deren Vertretern, insbesondere Karl Schmidt-Rottluff, eng befreundet waren. Radziwills Arbeiten ernteten begeisterte Kritiken, z. B. in den Zeitschriften Kunstblatt und Cicerone. Bis 1954 blieb die intensive Freundschaft mit Niemeyer bestehen, wie der dokumentierte Briefwechsel bezeugt.[3] Niemeyer vermittelte auch den Kontakt zu Karl Schmidt-Rottluff, der dem jüngeren Kollegen den Rat gab, zum Malen in das Fischer- und Bauerndorf Dangast zu reisen, nachdem er dort selbst mit Erich Heckel und Max Pechstein von 1907 bis 1912 die Sommermonate verbracht hatte. 1920 wurde Radziwill als jüngstes Mitglied in die Freie Secession in Berlin aufgenommen. Er lernte Künstler und Schriftsteller wie George Grosz, Rudolf Schlichter oder Bertolt Brecht kennen. Das Berlin der 1920er Jahre war für Radziwill nach eigener Aussage ein einzigartiger Ort kultureller Produktivität und Begegnung.[4]
Übersiedlung nach Dangast
Als Radziwill 1921 erstmals den Ort Dangast besuchte, wohnte er zunächst im Dorfkrug und dann zur Untermiete bei einer Fischerfamilie, bis er sich 1923 zur Übersiedlung entschloss. Im selben Jahr nahm er an Gemeinschaftsausstellungen in Berlin, Hamburg und New York teil. Durch Verkäufe seiner Werke konnte er ein Fischerhaus in der heutigen Sielstraße 3 erwerben, das er später ausbaute und in dem er bis zu seinem Tod wohnte und arbeitete. Im selben Jahr (1923) heiratete er Johanna Inge Haase (1895–1942) aus Tweelbäke bei Oldenburg.[5]
Mit der Übersiedlung nach Dangast geriet Radziwill in eine Umbruchphase und wandte sich vom Expressionismus ab. In der Folgezeit änderte er seine künstlerische Handschrift grundlegend. In Gedichten und lyrischer Prosa setzte er einen Neuanfang. Das dörfliche Leben in unmittelbarer Nähe zur Natur der Wattenmeerregion lieferte ihm die Impulse für einen stilistischen Richtungswechsel, der mit dem intensiven Selbststudium Alter Meister einherging. Mit den neuen nachexpressionistischen Werken trat Radziwill bereits 1924 in Berlin an die Öffentlichkeit: In der Juryfreien Kunstschau war er neben Giorgio de Chirico, Otto Dix, Paul Klee und Oskar Schlemmer mit 17 Gemälden vertreten. 1925 fand Radziwills erste große Einzelausstellung im Oldenburger Augusteum statt.[6] Es begann die lebenslange Freundschaft mit dem Oldenburger Nervenarzt Georg Düser, der sein größter Sammler werden sollte.[7]
Studienreisen nach Holland und Dresden
1925 reiste Radziwill erstmals in die Niederlande. In Museen studierte er die Malerei des Goldenen Zeitalters. Im holländischen Küstenort Schoorl schloss er Bekanntschaft mit dem Künstler Mathias (Thee) Lau, den er in den folgenden Jahren zum gemeinsamen Malen regelmäßig besuchte. In Amsterdam lernte Radziwill den Kunsthändler Aaron Vecht kennen, in dessen Kunstzaalen A. Vecht er vielfach ausstellte.[8]
Im Winter 1927/1928 ermöglichte ihm ein Stipendium Hamburger Sammler einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in Dresden, um sich mit den Originalen von Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus zu befassen. Die Begegnung mit den Hauptwerken der deutschen Romantik lieferte Radziwill entscheidende Anregungen für seine Landschaftsgemälde. Otto Dix, der ab Sommer 1927 Professor an der Kunstakademie in Dresden war, stellte Radziwill ein Atelier zur Verfügung. Inspiriert von der Begegnung mit Dix, schuf Radziwill in der Dresdner Zeit zahlreiche Menschendarstellungen. Dix seinerseits porträtierte Radziwill, ein wenig schmeichelhaftes Konterfei, das 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ eine besondere Rolle spielen sollte.
1927 wurden erste Ölgemälde von öffentlichen Sammlungen angekauft. Walter Müller-Wulckow vom Oldenburger Landesmuseum erwarb das Ölgemälde Bankhausgarten (1937 beschlagnahmt/verschollen)[9] und Gustav Hartlaub für die Kunsthalle Mannheim das Ölbild Morgen an der Friedhofsmauer, 1924 (Kunsthalle Mannheim). 1928 war Radziwill an der Ausstellung „Deutsche Kunst Düsseldorf“ beteiligt und erhielt für das Ölbild Die Straße, 1928 (Museum Ludwig, Köln) die Goldene Medaille der Stadt Düsseldorf. Ab 1929 folgten zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen, u. a. in Düsseldorf und Amsterdam. Radziwill wurde von etablierten Galerien wie Neumann & Nierendorf in Berlin und Andreas Becker in Köln vertreten.[10] Dort hatte er Kontakt zur sozialistisch orientierten Künstlergruppe Die Kölner Progressive (auch Gruppe progressiver Künstler), zu denen Maler wie Heinrich Hoerle, Franz Seiwert und Jankel Adler gehörten. 1931 schloss Radziwill sich in Berlin der revolutionären Novembergruppe an.[11]
1931 erwarb das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte das Ölgemälde Das Fenster meines Nachbarn, 1931, das ein Fenster in der ihm umgebenden gemauerten Fassade auf präzise Weise wiedergibt. Darstellungen von Mauerwerk und Klinkersteinen wurden zum Markenzeichen des gelernten Maurers und nunmehr erfolgreichen Malers. Mit der Rückbesinnung auf die deutsche Romantik stand Radziwill einer Bewegung nahe, die in den beginnenden 1930er Jahren als Neu- oder Neoromantik populär wurde. Der Bezug auf eine traditionelle deutsche Kunst kam den Forderungen nationaler Propaganda entgegen. Um dagegen eine eigenständige künstlerische Position zu behaupten, fand unter dem Titel Die Sieben von März bis August 1932 eine umfangreiche Wanderausstellung statt, an der neben Radziwill die Maler Theo Champion, Adolf Dietrich, Hasso von Hugo, Alexander Kanoldt, Franz Lenk und Georg Schrimpf teilnahmen. Die sieben Künstler taten sich auf Einladung des Kurators Richard Reiche, tätig im Wuppertaler Kunstverein, zusammen.[12] Am 7. September 1932 kaufte Ludwig Justi als Direktor der Nationalgalerie in Berlin Radziwills Gemälde Der Hafen II, 1930, an. Dargestellt ist der legendäre Passagierdampfer Europa, zusammen mit der Bremen, die 1929 und 1930 das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantiküberquerung gewannen. Das Dampferbild zeigt Radziwills ambivalente Faszination an technischen Entwicklungen und seine Zugehörigkeit zur künstlerischen Bewegung der Neue Sachlichkeit. Insofern ist seine Hinwendung zur Romantik nicht einfach nur rückwärtsgewandt, sondern zeigt eine Auseinandersetzung mit den technischen Entwicklungen der Gegenwart.[13]
Zeit des Nationalsozialismus/Zweiter Weltkrieg
Radziwill, der sich selbst als „Proletarier der Kunst“ oder „Arbeiter der Malerei“ bezeichnete,[14] fühlte sich von den Vorstellungen eines nationalen Sozialismus angezogen und sympathisierte mit dem linken Flügel der NSDAP. Bereits am 1. Juli 1932 schrieb er an seinen Freund Niemeyer: „Die Revolution von 1918 hat die Bewohner der Paläste nicht zum Verlassen zwingen können, aber die kommende wird die Paläste verschwinden lassen … gebt Hitler Eure Stimme…“.[15] Am 1. Mai 1933, zwei Monate nach der Machtergreifung, trat Radziwill in die Partei ein.[16]
Ab 1931 pflegte Radziwill Kontakt mit dem Bildhauer Günther Martin aus Oldenburg, der 1933 in Berlin die „Ateliergemeinschaft Klosterstraße“ gründete,[17] welcher etwa 40 Bildhauer, Maler und Grafiker unterschiedlicher Stilrichtung und politischer Ausrichtung, von KPD- bis NSDAP-Mitgliedern, angehörten, darunter Käthe Kollwitz, Herbert Tucholski und Jan Bontjes van Beek, den Radziwill aus Fischerhude kannte. Als Mitglied der NSDAP trug Martin seine Vorstellung deutscher Kunst, die sich gegen den völkischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ richtete, dem preußischen Kultusminister Bernhard Rust vor. Mit Martin teilte Radziwill die Ablehnung der aufkommenden völkischen Kunstauffassung, die von Hitlers Kunstideologen Alfred Rosenberg, Vertreter des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, propagiert wurde. In Opposition zu Rosenberg sahen sich Radziwill und Martin als Vorkämpfer für einen nationalen Aufbruch in die Moderne. Unter dem Titel Die Gemeinschaft realisierten sie ab 1933 Ausstellungen.[18]
Im Juli 1933 wurde Radziwill als Professor auf den Lehrstuhl Freie Malerei an die Kunstakademie Düsseldorf berufen, nachdem dort Professoren wie Heinrich Campendonk, Karl Hofer und Paul Klee von den Nationalsozialisten aus ihrem Amt entlassen worden waren.[19] 1934 war Radziwill auf der XIX. Biennale in Venedig mit den Gemälden Die Straße, 1928 (Slg. Museum Ludwig Köln) und Der Sender Norddeich (1932, Slg. Deutsches Postmuseum Frankfurt) vertreten.
Um 1934 begann Radziwill das umstrittene, später weitergemalte Bild mit dem ursprünglichen Titel Revolution, später Dämonen, auf dem ein erschlagener SA-Mann auf der Straße liegt. Im ursprünglichen Zustand fehlten die Erhängten, die Gespenster, zwei Spruchbänder und die Aufschrift auf der Fassade „Im Lichte der Staatsideen oder der eine bringt den anderen um“. In der NS-Zeit wurde das Bild nicht ausgestellt und spielte bei Radziwills Entlassung aus dem Lehramt eine Rolle, vermutlich, weil der sog. Röhmputsch 1934 den linken Flügel der SA diskreditierte. Außerdem wirkt der erschlagene SA-Mann wenig heroisch und eher bemitleidenswert.[20]
Nachdem Franz Radziwill, der zu keinen künstlerischen Zugeständnissen bereit war, im Mai 1934 seine Stellung in der Reichskammer der bildenden Künste verloren hatte, handelte er sich seitens des Düsseldorfer Akademie-Direktors eine Rüge wegen häufiger Abwesenheit ein. Möglichst oft zog Radziwill mit seinen Studenten zum Malen an den Niederrhein, z. B. nach Kalkar.[21]
Im Herbst 1934 entdeckten Studenten, die dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ nahestanden, auf dem Dachboden der Hamburger Kunstakademie frühe expressionistische Arbeiten Radziwills, die sein Freund Niemeyer dort deponiert hatte. Daraufhin wurde der Maler öffentlich als „Kulturbolschewist“ und Vertreter der sog. „Verfallskunst“ angeprangert.[22] Im April 1935 wurde im Jenaer Kunstverein erstmals eine seiner Ausstellungen vorzeitig geschlossen. Im September 1935 erfolgte die Entlassung aus dem Lehramt in Düsseldorf mit der offiziellen Begründung „pädagogische Unfähigkeit“.
Radziwill kehrte nach Dangast zurück und widmete sich dem Ausbau seines Hauses mit einem großen Atelier im 1. Stock, von dem aus er den Jadebusen sehen konnte. Unbeirrt setzte er seine künstlerische Arbeit fort. Gleichzeitig übernahm er auch die Funktion eines NSDAP-Kreiskulturstellenleiters im Kreis Friesland und den eigens für ihn geschaffenen Posten eines Ortsgruppenpropagandaleiters in Dangast, wie der Oldenburger Gauleiter Carl Röver, der ihn als Maler schätzte, ihm geraten hatte.[23] In dieser Funktion gab Radziwill seinerseits eine ihm gemachte Beschwerde weiter: Beim Aufmarsch zum Tag der Arbeit am 1. Mai 1937 von Dangast aus nach Varel hatten sich zwei Dangaster NSDAP-Mitglieder vorzeitig entfernt und eine Kneipe aufgesucht. Darüber beschwerte sich ein Funktionär der Deutschen Arbeitsfront bei Radziwill, der seinerseits die entsprechende Meldung an seine Dienststelle machte. Die Angelegenheit hatte für keinen der Beteiligten Folgen.
Hinsichtlich des expressionistischen Frühwerks, das den Anstoß zum Verlust der Professur gab, folgte mit Unterstützung von Gauleiter und Reichsstatthalter Carl Röver und Reichsminister Joseph Goebbels 1936 die Rehabilitierung. (Die kunstpolitische Orientierung der Nationalsozialisten blieb bis 1937 widersprüchlich. Während Goebbels und Göring mit dem Expressionismus als genuin deutscher Kunst sympathisierten, lehnte Rosenberg als führender Ideologe und Sprachrohr der Auffassungen Hitlers die Moderne Kunst grundsätzlich ab. 1937 sollte die antimoderne NS-Kunstdoktrin mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München endgültig besiegelt werden.)
Seit der Entlassung aus der Düsseldorfer Akademie 1935 fanden noch bis Mai 1938 Einzelausstellungen von Werken Radziwills statt, darunter 1936 in Wilhelmshaven, 1937 im Städtischen Museum in Wuppertal, im Kunstverein Köln und im Hamburger Kunstkabinett Hildebrand Gurlitt.[24] Letztere endete vorzeitig mit einem Eklat, der für den Galeristen gefährlich wurde. Auch noch im Vorfeld der Aktion Entartete Kunst stellte der Kunsthistoriker Gurlitt in seiner Hamburger Galerie Moderne Kunst aus. Die Radziwill-Ausstellung 1937 wurde in der Presse überwiegend positiv aufgenommen. Anlässlich des Eröffnungsvortrags von Wilhelm Niemeyer in Anwesenheit des Künstlers erhoben Vertreter des NS-Studentenbundes heftige Vorwürfe gegen den Vortragenden. Anschließend boykottierten sie seine Vorlesungen an der Hochschule, und Niemeyers Name erschien am Pranger der Münchener Ausstellung Entartete Kunst als „Kritiker der Systemzeit“. Nach Maike Bruhns wurde der Streit durch Radziwills Kriegsbilder ausgelöst, der Angriff richtete sich aber auch gegen Gurlitt, dessen Großmutter jüdischer Abstammung war.[25] Am 31. März 1937 schrieb Niemeyer an Radziwill, der Hamburger Kunsthallen-Direktor Doktor Kloos habe verlauten lassen, „dass G.s Bude geschlossen werden würde, wenn er Deine Kriegsbilder ausstellen sollte.“[26]
Im Februar 1938 stellte Radziwill noch in der Kunsthalle Bremerhaven aus. Gleichzeitig wurde er bereits als „entarteter“ Künstler angeprangert. Die Münchner Propagandaausstellung Entartete Kunst zeigte das von Otto Dix im Winter 1927/1928 in Dresden gemalte Porträt Radziwills in der begleitenden Ausstellungsbroschüre. In der gleichnamigen Folgeausstellung ab Februar 1938 in Berlin wurden drei frühe Werke von Radziwill gezeigt. Das Gemälde Nackte Frau mit bekleidetem Mann in einem Raum (ca. 1920, verschollen) ist in der Ausstellungsbroschüre abgebildet.[27]
Hitler formulierte seine Ablehnung moderner Kunst in der Eröffnungsrede zur großen Deutschen Kunstausstellung im Münchener Haus der Kunst am 18. Juli 1937, indem er äußerte, er habe „unter den eingeschickten Bildern manche Arbeiten beobachtet, bei denen tatsächlich angenommen werden muss, dass gewissen Menschen das Auge die Dinge anders zeigt als sie sind, d. h. dass es wirklich Männer gibt, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als verkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün, Wolken schwefelgelb usw. empfinden oder, wie sie vielleicht sagen, erleben. Ich will mich nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden das nun wirklich so sehen und empfinden oder nicht, sondern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, dass so bedauerliche Unglückliche, die ersichtlich am Sehvermögen leiden, die Ergebnisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitwelt mit Gewalt als Wirklichkeit aufzuschwätzen versuchen, oder ihr gar als »Kunst« vorsetzen wollen“.[28] 1938 malte Radziwill das Bild Grodenstraße nach Vareler Hafen mit entsprechender provozierender Farbgebung mit gelb-grün-blauem Himmel. Schon das Bild von 1937 Muschelkalkmühle im Vareler Hafen zeigt ähnliche Farben.[29]
Das Gemälde Die Straße, das Radziwill 1928 die „Goldene Medaille der Stadt Düsseldorf“ eingebracht hatte und 1934 auf der Biennale in Venedig die Kunst des neuen deutschen Reiches repräsentierte, ließ Adolf Ziegler am 9. November in Königsberg beschlagnahmen. Die dort geplante Ausstellung musste abgesagt werden. Insgesamt wurden über 50 Werke von Radziwill konfisziert – darunter Gemälde, Aquarelle und druckgrafische Arbeiten. Die meisten davon sind verschollen. Zählt man die Blätter der druckgrafischen Mappenwerke einzeln, ergibt sich eine Zahl von 275 beschlagnahmten Werken, von denen 244 Arbeiten als inzwischen zerstört gelten. In einem Schreiben der Reichskammer für Bildende Künste vom 20. Mai 1938 an Radziwill verhängte Ziegler als Präsident ein Ausstellungsverbot für Einzelausstellungen.[30]
Radziwill erlebte ein Wechselbad von Anerkennung und Diffamierung. Obwohl er sich bereits 1923 mit der Übersiedlung nach Dangast von seinem expressionistischen Frühwerk distanziert hatte und seit 1933 Parteimitglied war, konnte er weder die Entlassung als Professor noch die Beschlagnahmung seiner Werke verhindern. In München und Berlin verfemt, hatte er im Nordwesten immer noch Erfolge. Durch Kontakt zu hochrangigen Marineangehörigen im nahe gelegenen Wilhelmshaven nahm er von 1935 bis 1939 an Schiffsreisen nach Brasilien, zu den Karibischen Inseln, nach Nordafrika, Spanien, Großbritannien und Skandinavien teil. Der Maler pflegte Freundschaften mit den Admiralen Otto Ciliax und Hermann von Fischel und dem malenden Marineoffizier Fritz Witschetzky. Auch mit Admiral Wilhelm Canaris war er bekannt. Als Auftragsarbeiten entstanden 1936 Auslaufendes U-Boot für die Jugendherberge in Rüstringen und 1939 Die Tankschlacht von Cambrai 1917 für die Lübecker Cambrai-Kaserne. Radziwills Marinebilder waren jedoch propagandistisch nicht zu nutzen, da sie apokalyptisch wirkten und die bedrohliche Wucht der Kriegsmaschinerie schonungslos darstellten. Manche Kritiker lobten die Bilder, in anderen Zeitungsberichten wurde dem Maler fehlender Heroismus und mangelnder Kampfeswille bescheinigt.[31] Das Gemälde Der U-Boot-Krieg/Der totale Krieg/Verlorene Erde von 1939 wurde 1941 auf der großen Gau-Ausstellung Weser-Ems in Oldenburg zunächst gezeigt, dann abgehängt.[32] Auf dieses Endzeitszenario, heute in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München, folgten weitere Bilder von zerstörten Landschaften und Ruinen. Das Thema der Zerstörung der Lebenswelt des Menschen und der Natur durch Krieg, technische Hybris und wirtschaftliche Entwicklungen beschäftigte den Maler bis zu seinem Tod.
Im Gegensatz zu seinem frühen Engagement für den Nationalsozialismus, das von der Hoffnung auf soziale und nationale Gerechtigkeit bestimmt war, stand Radziwill dem NS-Regime ab Mitte der 1930er Jahre zunehmend distanziert gegenüber. Er pflegte Freundschaften mit Pfarrern der Bekennenden Kirche wie Otto Wellmann und Fritz Schipper. 1937 fand unter dem Vorwand eines Atelierbesuches eine verbotene Versammlung der Bekennenden Kirche in Radziwills Haus statt. Anschließend wurde der Maler von der Gestapo verhört.[33] Die Abwendung vom Nationalsozialismus wird 1938 im Stillleben mit Fuchsie (Sammlung Claus Hüppe, courtesy Kunsthalle Emden) erkennbar. Das Gemälde zeigt ein Buch auf einem Tisch, auf dessen Rücken der Titel „Macht geht vor Recht“ zu lesen ist. Dennoch resümierte Radziwill 1939 in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Niemeyer, dass das Jahr 1938, in dem er Ausstellungsverbot erhielt, nicht nur eine Zeit der Demütigung gewesen sei, sondern auch „das schaffensreichste und erfolgreichste“ seines Lebens.[34]
1939 bis 1941 wurde Radziwill als Soldat an die Westfront geschickt, 1941 aus Altersgründen vom Militärdienst befreit, 1942 aber wieder zum Dienst bei der Luftschutzpolizei in Wilhelmshaven und bei der Feuerwehr in Dangast verpflichtet. Im selben Jahr starb seine Frau. Zutiefst erschüttert, reiste er zu Freunden an die Mosel und in die Steiermark. 1944 wurde er als Luftschutzpolizist in Wilhelmshaven eingesetzt, anschließend als technischer Zeichner in der Maschinenfabrik Heinen in Varel, im April 1945 beim Volkssturm eingezogen und bis Kriegsende nach Schleswig-Holstein geschickt. Dort geriet er in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er fliehen konnte, so dass er im Winter 1945 nach Dangast zurückkam.
Weiteres zu seiner Geschichte im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Radziwill
Geburtshaus von Franz Radziwill, Strohausen, Rodenkirchen (Stadland). Heutige Adresse: Zu den Deichen 15
Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in dem Nordseebad Dangast bei Varel am Jadebusen, das ihn künstlerisch inspirierte. Während der NS-Zeit gehörte er der NSDAP an und war von 1933 bis 1935 als Lehrender für Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf tätig. Nachdem einige seiner Frühwerke als „entartet“ galten, erhielt er mehrfach vorübergehend Ausstellungsverbot. Andererseits fand er jedoch immer wieder Anerkennung. Stilistisch ist er nicht der sogenannten Deutschen Kunst zuzuordnen.
Über Vita und Werk wird bis in die Gegenwart kontrovers debattiert. Unbestritten ist seine künstlerische Ausdruckskraft. Seine Arbeiten werden national, wie auch in geringerem Umfang international, in renommierten Museen gezeigt.
Biografie
Kindheit und Jugend/Erster Weltkrieg
Franz Radziwill wurde als ältestes von sieben Kindern des Töpfermeisters Eduard Radziwill (1859–1922) und seiner Ehefrau Karoline, geborene Suhrendorf (1871–1948) in Strohausen/Wesermarsch geboren. Nach dem Umzug der Familie 1896 wuchs er zunächst im Arbeiterviertel in Bremen-Walle auf, dann in Bremen-Findorff. Die Eltern schickten ihn auf die Freischule an der Großenstraße im Stephaniviertel. Ab 1909 folgte eine Maurerlehre. Dank hervorragender Ergebnisse der Gesellenprüfung wurde Radziwill 1913 an der Technischen Staatslehranstalt Bremen zum Architekturstudium und zum Studiengang für Industrielle Formgebung zugelassen. In Abendkursen an der Bremer Kunstgewerbeschule widmete er sich dem figürlichen Zeichnen. Durch seinen Mentor, den Architekten Karl Schwally, fand Radziwill Zugang zum Künstlerkreis in Worpswede, darunter Bernhard Hoetger, Otto Modersohn, Heinrich Vogeler, Jan Bontjes van Beek, Olga Bontjes van Beek und Clara Rilke-Westhoff.[1] Der Erste Weltkrieg unterbrach die künstlerische Entwicklung. 1915 wurde Radziwill eingezogen und bis 1918 als Sanitätssoldat in Russland, Flandern und Nordfrankreich eingesetzt.
Künstlerischer Aufbruch
Noch während des Krieges entschied sich Radziwill für die Malerei. Nach Entlassung aus englischer Gefangenschaft fand er in dem Bremer Friseur Gustav Brocks einen Förderer, der ihm in der Innenstadt seine Perückenmacherstube unterm Dach als Atelier und Wohnung zur Verfügung stellte. Die Obernstraße 3 blieb bis zur Übersiedlung nach Dangast im Jahr 1923 Radziwills postalische Adresse. Das Gemälde Häuser in Bremen (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg) aus der Zeit um 1919 ist mit der Widmung „An Gustav Brocks“ ein Zeugnis dieser Freundschaft. Im selben Jahr gründete Radziwill mit Heinz Baden u. a. den Malerbund Der grüne Regenbogen. Die Gruppe stellte ihre Arbeiten im April 1919 in der Kunsthalle Bremen und anschließend im Kunstsalon Maria Kunde in Hamburg aus.[2]
In Hamburg lernte Radziwill die Kunsthistoriker und Sammler Wilhelm Niemeyer und Rosa Schapire kennen, die passive Mitglieder der expressionistischen Künstlergruppe Brücke waren und mit deren Vertretern, insbesondere Karl Schmidt-Rottluff, eng befreundet waren. Radziwills Arbeiten ernteten begeisterte Kritiken, z. B. in den Zeitschriften Kunstblatt und Cicerone. Bis 1954 blieb die intensive Freundschaft mit Niemeyer bestehen, wie der dokumentierte Briefwechsel bezeugt.[3] Niemeyer vermittelte auch den Kontakt zu Karl Schmidt-Rottluff, der dem jüngeren Kollegen den Rat gab, zum Malen in das Fischer- und Bauerndorf Dangast zu reisen, nachdem er dort selbst mit Erich Heckel und Max Pechstein von 1907 bis 1912 die Sommermonate verbracht hatte. 1920 wurde Radziwill als jüngstes Mitglied in die Freie Secession in Berlin aufgenommen. Er lernte Künstler und Schriftsteller wie George Grosz, Rudolf Schlichter oder Bertolt Brecht kennen. Das Berlin der 1920er Jahre war für Radziwill nach eigener Aussage ein einzigartiger Ort kultureller Produktivität und Begegnung.[4]
Übersiedlung nach Dangast
Als Radziwill 1921 erstmals den Ort Dangast besuchte, wohnte er zunächst im Dorfkrug und dann zur Untermiete bei einer Fischerfamilie, bis er sich 1923 zur Übersiedlung entschloss. Im selben Jahr nahm er an Gemeinschaftsausstellungen in Berlin, Hamburg und New York teil. Durch Verkäufe seiner Werke konnte er ein Fischerhaus in der heutigen Sielstraße 3 erwerben, das er später ausbaute und in dem er bis zu seinem Tod wohnte und arbeitete. Im selben Jahr (1923) heiratete er Johanna Inge Haase (1895–1942) aus Tweelbäke bei Oldenburg.[5]
Mit der Übersiedlung nach Dangast geriet Radziwill in eine Umbruchphase und wandte sich vom Expressionismus ab. In der Folgezeit änderte er seine künstlerische Handschrift grundlegend. In Gedichten und lyrischer Prosa setzte er einen Neuanfang. Das dörfliche Leben in unmittelbarer Nähe zur Natur der Wattenmeerregion lieferte ihm die Impulse für einen stilistischen Richtungswechsel, der mit dem intensiven Selbststudium Alter Meister einherging. Mit den neuen nachexpressionistischen Werken trat Radziwill bereits 1924 in Berlin an die Öffentlichkeit: In der Juryfreien Kunstschau war er neben Giorgio de Chirico, Otto Dix, Paul Klee und Oskar Schlemmer mit 17 Gemälden vertreten. 1925 fand Radziwills erste große Einzelausstellung im Oldenburger Augusteum statt.[6] Es begann die lebenslange Freundschaft mit dem Oldenburger Nervenarzt Georg Düser, der sein größter Sammler werden sollte.[7]
Studienreisen nach Holland und Dresden
1925 reiste Radziwill erstmals in die Niederlande. In Museen studierte er die Malerei des Goldenen Zeitalters. Im holländischen Küstenort Schoorl schloss er Bekanntschaft mit dem Künstler Mathias (Thee) Lau, den er in den folgenden Jahren zum gemeinsamen Malen regelmäßig besuchte. In Amsterdam lernte Radziwill den Kunsthändler Aaron Vecht kennen, in dessen Kunstzaalen A. Vecht er vielfach ausstellte.[8]
Im Winter 1927/1928 ermöglichte ihm ein Stipendium Hamburger Sammler einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in Dresden, um sich mit den Originalen von Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus zu befassen. Die Begegnung mit den Hauptwerken der deutschen Romantik lieferte Radziwill entscheidende Anregungen für seine Landschaftsgemälde. Otto Dix, der ab Sommer 1927 Professor an der Kunstakademie in Dresden war, stellte Radziwill ein Atelier zur Verfügung. Inspiriert von der Begegnung mit Dix, schuf Radziwill in der Dresdner Zeit zahlreiche Menschendarstellungen. Dix seinerseits porträtierte Radziwill, ein wenig schmeichelhaftes Konterfei, das 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ eine besondere Rolle spielen sollte.
1927 wurden erste Ölgemälde von öffentlichen Sammlungen angekauft. Walter Müller-Wulckow vom Oldenburger Landesmuseum erwarb das Ölgemälde Bankhausgarten (1937 beschlagnahmt/verschollen)[9] und Gustav Hartlaub für die Kunsthalle Mannheim das Ölbild Morgen an der Friedhofsmauer, 1924 (Kunsthalle Mannheim). 1928 war Radziwill an der Ausstellung „Deutsche Kunst Düsseldorf“ beteiligt und erhielt für das Ölbild Die Straße, 1928 (Museum Ludwig, Köln) die Goldene Medaille der Stadt Düsseldorf. Ab 1929 folgten zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen, u. a. in Düsseldorf und Amsterdam. Radziwill wurde von etablierten Galerien wie Neumann & Nierendorf in Berlin und Andreas Becker in Köln vertreten.[10] Dort hatte er Kontakt zur sozialistisch orientierten Künstlergruppe Die Kölner Progressive (auch Gruppe progressiver Künstler), zu denen Maler wie Heinrich Hoerle, Franz Seiwert und Jankel Adler gehörten. 1931 schloss Radziwill sich in Berlin der revolutionären Novembergruppe an.[11]
1931 erwarb das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte das Ölgemälde Das Fenster meines Nachbarn, 1931, das ein Fenster in der ihm umgebenden gemauerten Fassade auf präzise Weise wiedergibt. Darstellungen von Mauerwerk und Klinkersteinen wurden zum Markenzeichen des gelernten Maurers und nunmehr erfolgreichen Malers. Mit der Rückbesinnung auf die deutsche Romantik stand Radziwill einer Bewegung nahe, die in den beginnenden 1930er Jahren als Neu- oder Neoromantik populär wurde. Der Bezug auf eine traditionelle deutsche Kunst kam den Forderungen nationaler Propaganda entgegen. Um dagegen eine eigenständige künstlerische Position zu behaupten, fand unter dem Titel Die Sieben von März bis August 1932 eine umfangreiche Wanderausstellung statt, an der neben Radziwill die Maler Theo Champion, Adolf Dietrich, Hasso von Hugo, Alexander Kanoldt, Franz Lenk und Georg Schrimpf teilnahmen. Die sieben Künstler taten sich auf Einladung des Kurators Richard Reiche, tätig im Wuppertaler Kunstverein, zusammen.[12] Am 7. September 1932 kaufte Ludwig Justi als Direktor der Nationalgalerie in Berlin Radziwills Gemälde Der Hafen II, 1930, an. Dargestellt ist der legendäre Passagierdampfer Europa, zusammen mit der Bremen, die 1929 und 1930 das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantiküberquerung gewannen. Das Dampferbild zeigt Radziwills ambivalente Faszination an technischen Entwicklungen und seine Zugehörigkeit zur künstlerischen Bewegung der Neue Sachlichkeit. Insofern ist seine Hinwendung zur Romantik nicht einfach nur rückwärtsgewandt, sondern zeigt eine Auseinandersetzung mit den technischen Entwicklungen der Gegenwart.[13]
Zeit des Nationalsozialismus/Zweiter Weltkrieg
Radziwill, der sich selbst als „Proletarier der Kunst“ oder „Arbeiter der Malerei“ bezeichnete,[14] fühlte sich von den Vorstellungen eines nationalen Sozialismus angezogen und sympathisierte mit dem linken Flügel der NSDAP. Bereits am 1. Juli 1932 schrieb er an seinen Freund Niemeyer: „Die Revolution von 1918 hat die Bewohner der Paläste nicht zum Verlassen zwingen können, aber die kommende wird die Paläste verschwinden lassen … gebt Hitler Eure Stimme…“.[15] Am 1. Mai 1933, zwei Monate nach der Machtergreifung, trat Radziwill in die Partei ein.[16]
Ab 1931 pflegte Radziwill Kontakt mit dem Bildhauer Günther Martin aus Oldenburg, der 1933 in Berlin die „Ateliergemeinschaft Klosterstraße“ gründete,[17] welcher etwa 40 Bildhauer, Maler und Grafiker unterschiedlicher Stilrichtung und politischer Ausrichtung, von KPD- bis NSDAP-Mitgliedern, angehörten, darunter Käthe Kollwitz, Herbert Tucholski und Jan Bontjes van Beek, den Radziwill aus Fischerhude kannte. Als Mitglied der NSDAP trug Martin seine Vorstellung deutscher Kunst, die sich gegen den völkischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ richtete, dem preußischen Kultusminister Bernhard Rust vor. Mit Martin teilte Radziwill die Ablehnung der aufkommenden völkischen Kunstauffassung, die von Hitlers Kunstideologen Alfred Rosenberg, Vertreter des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, propagiert wurde. In Opposition zu Rosenberg sahen sich Radziwill und Martin als Vorkämpfer für einen nationalen Aufbruch in die Moderne. Unter dem Titel Die Gemeinschaft realisierten sie ab 1933 Ausstellungen.[18]
Im Juli 1933 wurde Radziwill als Professor auf den Lehrstuhl Freie Malerei an die Kunstakademie Düsseldorf berufen, nachdem dort Professoren wie Heinrich Campendonk, Karl Hofer und Paul Klee von den Nationalsozialisten aus ihrem Amt entlassen worden waren.[19] 1934 war Radziwill auf der XIX. Biennale in Venedig mit den Gemälden Die Straße, 1928 (Slg. Museum Ludwig Köln) und Der Sender Norddeich (1932, Slg. Deutsches Postmuseum Frankfurt) vertreten.
Um 1934 begann Radziwill das umstrittene, später weitergemalte Bild mit dem ursprünglichen Titel Revolution, später Dämonen, auf dem ein erschlagener SA-Mann auf der Straße liegt. Im ursprünglichen Zustand fehlten die Erhängten, die Gespenster, zwei Spruchbänder und die Aufschrift auf der Fassade „Im Lichte der Staatsideen oder der eine bringt den anderen um“. In der NS-Zeit wurde das Bild nicht ausgestellt und spielte bei Radziwills Entlassung aus dem Lehramt eine Rolle, vermutlich, weil der sog. Röhmputsch 1934 den linken Flügel der SA diskreditierte. Außerdem wirkt der erschlagene SA-Mann wenig heroisch und eher bemitleidenswert.[20]
Nachdem Franz Radziwill, der zu keinen künstlerischen Zugeständnissen bereit war, im Mai 1934 seine Stellung in der Reichskammer der bildenden Künste verloren hatte, handelte er sich seitens des Düsseldorfer Akademie-Direktors eine Rüge wegen häufiger Abwesenheit ein. Möglichst oft zog Radziwill mit seinen Studenten zum Malen an den Niederrhein, z. B. nach Kalkar.[21]
Im Herbst 1934 entdeckten Studenten, die dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ nahestanden, auf dem Dachboden der Hamburger Kunstakademie frühe expressionistische Arbeiten Radziwills, die sein Freund Niemeyer dort deponiert hatte. Daraufhin wurde der Maler öffentlich als „Kulturbolschewist“ und Vertreter der sog. „Verfallskunst“ angeprangert.[22] Im April 1935 wurde im Jenaer Kunstverein erstmals eine seiner Ausstellungen vorzeitig geschlossen. Im September 1935 erfolgte die Entlassung aus dem Lehramt in Düsseldorf mit der offiziellen Begründung „pädagogische Unfähigkeit“.
Radziwill kehrte nach Dangast zurück und widmete sich dem Ausbau seines Hauses mit einem großen Atelier im 1. Stock, von dem aus er den Jadebusen sehen konnte. Unbeirrt setzte er seine künstlerische Arbeit fort. Gleichzeitig übernahm er auch die Funktion eines NSDAP-Kreiskulturstellenleiters im Kreis Friesland und den eigens für ihn geschaffenen Posten eines Ortsgruppenpropagandaleiters in Dangast, wie der Oldenburger Gauleiter Carl Röver, der ihn als Maler schätzte, ihm geraten hatte.[23] In dieser Funktion gab Radziwill seinerseits eine ihm gemachte Beschwerde weiter: Beim Aufmarsch zum Tag der Arbeit am 1. Mai 1937 von Dangast aus nach Varel hatten sich zwei Dangaster NSDAP-Mitglieder vorzeitig entfernt und eine Kneipe aufgesucht. Darüber beschwerte sich ein Funktionär der Deutschen Arbeitsfront bei Radziwill, der seinerseits die entsprechende Meldung an seine Dienststelle machte. Die Angelegenheit hatte für keinen der Beteiligten Folgen.
Hinsichtlich des expressionistischen Frühwerks, das den Anstoß zum Verlust der Professur gab, folgte mit Unterstützung von Gauleiter und Reichsstatthalter Carl Röver und Reichsminister Joseph Goebbels 1936 die Rehabilitierung. (Die kunstpolitische Orientierung der Nationalsozialisten blieb bis 1937 widersprüchlich. Während Goebbels und Göring mit dem Expressionismus als genuin deutscher Kunst sympathisierten, lehnte Rosenberg als führender Ideologe und Sprachrohr der Auffassungen Hitlers die Moderne Kunst grundsätzlich ab. 1937 sollte die antimoderne NS-Kunstdoktrin mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München endgültig besiegelt werden.)
Seit der Entlassung aus der Düsseldorfer Akademie 1935 fanden noch bis Mai 1938 Einzelausstellungen von Werken Radziwills statt, darunter 1936 in Wilhelmshaven, 1937 im Städtischen Museum in Wuppertal, im Kunstverein Köln und im Hamburger Kunstkabinett Hildebrand Gurlitt.[24] Letztere endete vorzeitig mit einem Eklat, der für den Galeristen gefährlich wurde. Auch noch im Vorfeld der Aktion Entartete Kunst stellte der Kunsthistoriker Gurlitt in seiner Hamburger Galerie Moderne Kunst aus. Die Radziwill-Ausstellung 1937 wurde in der Presse überwiegend positiv aufgenommen. Anlässlich des Eröffnungsvortrags von Wilhelm Niemeyer in Anwesenheit des Künstlers erhoben Vertreter des NS-Studentenbundes heftige Vorwürfe gegen den Vortragenden. Anschließend boykottierten sie seine Vorlesungen an der Hochschule, und Niemeyers Name erschien am Pranger der Münchener Ausstellung Entartete Kunst als „Kritiker der Systemzeit“. Nach Maike Bruhns wurde der Streit durch Radziwills Kriegsbilder ausgelöst, der Angriff richtete sich aber auch gegen Gurlitt, dessen Großmutter jüdischer Abstammung war.[25] Am 31. März 1937 schrieb Niemeyer an Radziwill, der Hamburger Kunsthallen-Direktor Doktor Kloos habe verlauten lassen, „dass G.s Bude geschlossen werden würde, wenn er Deine Kriegsbilder ausstellen sollte.“[26]
Im Februar 1938 stellte Radziwill noch in der Kunsthalle Bremerhaven aus. Gleichzeitig wurde er bereits als „entarteter“ Künstler angeprangert. Die Münchner Propagandaausstellung Entartete Kunst zeigte das von Otto Dix im Winter 1927/1928 in Dresden gemalte Porträt Radziwills in der begleitenden Ausstellungsbroschüre. In der gleichnamigen Folgeausstellung ab Februar 1938 in Berlin wurden drei frühe Werke von Radziwill gezeigt. Das Gemälde Nackte Frau mit bekleidetem Mann in einem Raum (ca. 1920, verschollen) ist in der Ausstellungsbroschüre abgebildet.[27]
Hitler formulierte seine Ablehnung moderner Kunst in der Eröffnungsrede zur großen Deutschen Kunstausstellung im Münchener Haus der Kunst am 18. Juli 1937, indem er äußerte, er habe „unter den eingeschickten Bildern manche Arbeiten beobachtet, bei denen tatsächlich angenommen werden muss, dass gewissen Menschen das Auge die Dinge anders zeigt als sie sind, d. h. dass es wirklich Männer gibt, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als verkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün, Wolken schwefelgelb usw. empfinden oder, wie sie vielleicht sagen, erleben. Ich will mich nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden das nun wirklich so sehen und empfinden oder nicht, sondern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, dass so bedauerliche Unglückliche, die ersichtlich am Sehvermögen leiden, die Ergebnisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitwelt mit Gewalt als Wirklichkeit aufzuschwätzen versuchen, oder ihr gar als »Kunst« vorsetzen wollen“.[28] 1938 malte Radziwill das Bild Grodenstraße nach Vareler Hafen mit entsprechender provozierender Farbgebung mit gelb-grün-blauem Himmel. Schon das Bild von 1937 Muschelkalkmühle im Vareler Hafen zeigt ähnliche Farben.[29]
Das Gemälde Die Straße, das Radziwill 1928 die „Goldene Medaille der Stadt Düsseldorf“ eingebracht hatte und 1934 auf der Biennale in Venedig die Kunst des neuen deutschen Reiches repräsentierte, ließ Adolf Ziegler am 9. November in Königsberg beschlagnahmen. Die dort geplante Ausstellung musste abgesagt werden. Insgesamt wurden über 50 Werke von Radziwill konfisziert – darunter Gemälde, Aquarelle und druckgrafische Arbeiten. Die meisten davon sind verschollen. Zählt man die Blätter der druckgrafischen Mappenwerke einzeln, ergibt sich eine Zahl von 275 beschlagnahmten Werken, von denen 244 Arbeiten als inzwischen zerstört gelten. In einem Schreiben der Reichskammer für Bildende Künste vom 20. Mai 1938 an Radziwill verhängte Ziegler als Präsident ein Ausstellungsverbot für Einzelausstellungen.[30]
Radziwill erlebte ein Wechselbad von Anerkennung und Diffamierung. Obwohl er sich bereits 1923 mit der Übersiedlung nach Dangast von seinem expressionistischen Frühwerk distanziert hatte und seit 1933 Parteimitglied war, konnte er weder die Entlassung als Professor noch die Beschlagnahmung seiner Werke verhindern. In München und Berlin verfemt, hatte er im Nordwesten immer noch Erfolge. Durch Kontakt zu hochrangigen Marineangehörigen im nahe gelegenen Wilhelmshaven nahm er von 1935 bis 1939 an Schiffsreisen nach Brasilien, zu den Karibischen Inseln, nach Nordafrika, Spanien, Großbritannien und Skandinavien teil. Der Maler pflegte Freundschaften mit den Admiralen Otto Ciliax und Hermann von Fischel und dem malenden Marineoffizier Fritz Witschetzky. Auch mit Admiral Wilhelm Canaris war er bekannt. Als Auftragsarbeiten entstanden 1936 Auslaufendes U-Boot für die Jugendherberge in Rüstringen und 1939 Die Tankschlacht von Cambrai 1917 für die Lübecker Cambrai-Kaserne. Radziwills Marinebilder waren jedoch propagandistisch nicht zu nutzen, da sie apokalyptisch wirkten und die bedrohliche Wucht der Kriegsmaschinerie schonungslos darstellten. Manche Kritiker lobten die Bilder, in anderen Zeitungsberichten wurde dem Maler fehlender Heroismus und mangelnder Kampfeswille bescheinigt.[31] Das Gemälde Der U-Boot-Krieg/Der totale Krieg/Verlorene Erde von 1939 wurde 1941 auf der großen Gau-Ausstellung Weser-Ems in Oldenburg zunächst gezeigt, dann abgehängt.[32] Auf dieses Endzeitszenario, heute in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München, folgten weitere Bilder von zerstörten Landschaften und Ruinen. Das Thema der Zerstörung der Lebenswelt des Menschen und der Natur durch Krieg, technische Hybris und wirtschaftliche Entwicklungen beschäftigte den Maler bis zu seinem Tod.
Im Gegensatz zu seinem frühen Engagement für den Nationalsozialismus, das von der Hoffnung auf soziale und nationale Gerechtigkeit bestimmt war, stand Radziwill dem NS-Regime ab Mitte der 1930er Jahre zunehmend distanziert gegenüber. Er pflegte Freundschaften mit Pfarrern der Bekennenden Kirche wie Otto Wellmann und Fritz Schipper. 1937 fand unter dem Vorwand eines Atelierbesuches eine verbotene Versammlung der Bekennenden Kirche in Radziwills Haus statt. Anschließend wurde der Maler von der Gestapo verhört.[33] Die Abwendung vom Nationalsozialismus wird 1938 im Stillleben mit Fuchsie (Sammlung Claus Hüppe, courtesy Kunsthalle Emden) erkennbar. Das Gemälde zeigt ein Buch auf einem Tisch, auf dessen Rücken der Titel „Macht geht vor Recht“ zu lesen ist. Dennoch resümierte Radziwill 1939 in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Niemeyer, dass das Jahr 1938, in dem er Ausstellungsverbot erhielt, nicht nur eine Zeit der Demütigung gewesen sei, sondern auch „das schaffensreichste und erfolgreichste“ seines Lebens.[34]
1939 bis 1941 wurde Radziwill als Soldat an die Westfront geschickt, 1941 aus Altersgründen vom Militärdienst befreit, 1942 aber wieder zum Dienst bei der Luftschutzpolizei in Wilhelmshaven und bei der Feuerwehr in Dangast verpflichtet. Im selben Jahr starb seine Frau. Zutiefst erschüttert, reiste er zu Freunden an die Mosel und in die Steiermark. 1944 wurde er als Luftschutzpolizist in Wilhelmshaven eingesetzt, anschließend als technischer Zeichner in der Maschinenfabrik Heinen in Varel, im April 1945 beim Volkssturm eingezogen und bis Kriegsende nach Schleswig-Holstein geschickt. Dort geriet er in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er fliehen konnte, so dass er im Winter 1945 nach Dangast zurückkam.
Weiteres zu seiner Geschichte im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Radziwill
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