Deutsche Wiedergutmachungspolitik
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Deutsche Wiedergutmachungspolitik
Mit dem Begriff deutsche Wiedergutmachungspolitik werden die Maßnahmen Deutschlands zusammengefasst, durch die Verfolgte des Nationalsozialismus materiell entschädigt wurden. Sie ist ein Teilaspekt der deutschen Vergangenheitsbewältigung.
Der Begriff „Wiedergutmachung“ bedeutet nicht, dass erlittenes Leid und jahrelange Entrechtung, Freiheitsentzug und Gesundheitsschäden durch die gewährten Leistungen abgegolten und „wieder gut gemacht“ werden können.[1] Der Begriff hat sich jedoch in der Fachwelt durchgesetzt.
Die Wiedergutmachung wurde in der Bundesrepublik auf die folgenden Arten geleistet:[2]
Rückerstattung von aufgrund der Unterdrückungsmaßnahmen verloren gegangenen Grundstücken und anderen Vermögenswerten direkt an ihre ehemaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger (bei erbenlosem Vermögen an jüdische Organisationen)
Individuell und unmittelbar geleistete Geldzahlungen zum Ausgleich der Schäden durch Eingriffe in die Lebenschancen wie den Verlust an Freiheit, Gesundheit und beruflichem Fortkommen
Sonderregelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten, insbesondere in der Sozialversicherung
Juristische Rehabilitierung vor allem in der Strafjustiz, aber auch bei Unrechtsakten wie der Ausbürgerung oder der Aberkennung akademischer Grade
Globalabkommen über diverse Entschädigungsleistungen mit Staaten, Stiftungen oder Organisationen von Anspruchsberechtigten.
In der DDR wurden unter Wiedergutmachung fast ausschließlich Reparationsleistungen an die Sowjetunion angesehen. Daher betrachtete die DDR ihre internationalen Pflichten nach dem Ende der Reparationen im Herbst 1953 als abgegolten und verweigerte Verhandlungen über Entschädigungen, sowohl mit den Staaten des Warschauer Pakts als auch insbesondere mit Israel. Nur in der DDR wohnende NS-Verfolgte erhielten Leistungen.[3]
Maßnahmen vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland
Rückerstattungsanordnung Berlin 1949 (REAO)
Hilfsmaßnahmen für überlebende Juden und die aus politischen und religiösen Gründen Verfolgten setzten bald ein, doch waren diese Leistungen in den ersten Jahren regional begrenzt und unkoordiniert. Immerhin wurde dieser Personenkreis bei der Beschaffung von Hausrat, Wohnung und Arbeit sowie bei der Zuteilung rationierter Lebensmittel bevorzugt.
Diese frühen Entschädigungsleistungen zeigten auch Nachteile: Bei der ratenweisen Rückzahlung der Sondervermögensabgabe, die den Juden im Dritten Reich abverlangt worden war, minderte die Währungsreform den Wert. Manche staatenlose Juden (Displaced Persons), die in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern wollten, traten ihre Ansprüche gegen einen Vorschuss an deutsche Banken ab.
Außerdem erließen die Besatzungsmächte zwischen 1947 und 1949 mehrere Gesetze und Verordnungen zur Rückerstattung des Vermögens, das unter NS-Herrschaft geraubt oder durch „Zwangsverkäufe“ verloren worden war (z. B. in der amerikanischen Zone das Militärregierungsgesetz Nr. 59).
Gesetzgebung der Bundesrepublik zur Erstattung individueller Ansprüche
Weitergelten der Gesetze und Verordnungen der Alliierten
Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Überleitungsvertrages vom 26. Mai 1952 galten alle Gesetze und Verordnungen der Besatzungsmächte unverändert weiter, insbesondere auch die Vorschriften, die Entschädigungsleistungen u.Ä. betrafen. Die Vorgaben der Alliierten waren auch grundlegend für die gesamte weitere Gesetzgebung in der Bundesrepublik für die Entschädigungen derjeniger Personen, die aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen verfolgt worden waren.
Viele Deutsche hielten Entschädigungsleistungen für Kriegerwitwen, Heimatvertriebene und Bombengeschädigte für vordringlich. Zu bewältigen war zudem die Integration der NS-Belasteten. Die ablehnende Haltung der Öffentlichkeit wurde dadurch bestärkt, dass Fälle von angeblichem oder tatsächlichem Missbrauch von Entschädigungsleistungen bekannt wurden (zum Beispiel Unterschlagungen durch Philipp Auerbach oder die umstrittenen Zahlungen an Eugen Gerstenmaier). Aus taktischen Gründen wurden daher die wenig populären Entschädigungsmaßnahmen für NS-Verfolgte stets zeitgleich mit Gesetzen zugunsten einer der anderen Gruppen beschlossen.
Londoner Schuldenabkommen
Auch das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sah andere Prioritäten vor. Darin verzichteten die Alliierten auf Teile ihrer Vorkriegsschulden sowie der Rückzahlung ihrer Wirtschaftshilfe; die verbleibende Schuldensumme sollte jedoch vorrangig getilgt werden, alle anderen Zahlungsverpflichtungen Deutschlands wie Reparationen wurden bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufgeschoben.
Bundesentschädigungsgesetz vom 1. Oktober 1953
Ein erster Versuch, die Prinzipien des Überleitungsvertrags in Bundesrecht umzusetzen, war das Bundesergänzungsgesetz (BErG) vom 1. Oktober 1953. Es traf eine bundeseinheitliche Regelung für die Entschädigung der an Leben, Körper und Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen erlittenen Einbußen. Allerdings waren nur deutsche Staatsangehörige antragsberechtigt; zudem mussten sie ihren Wohnsitz in Westdeutschland haben. In dem Gesetz wurde die Entschädigungssumme auf fünf Mark pro Tag „Freiheitsentzug“, der in einem KZ, Ghetto oder Zuchthaus verbracht wurde, festgelegt.[4]
Bundesentschädigungsgesetz vom 29. Juni 1956
Ein großzügiger ausgelegtes Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29. Juni 1956 erweiterte den Kreis der Personen und umfasste weitere Tatbestände, schloss allerdings Ansprüche von Personen mit Wohnsitz im Ausland weiterhin aus. Sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, prominente Kommunisten, Roma, Sinti, Jenische, Euthanasieopfer, Zwangssterilisierte, als „asozial“ Verfolgte[5] sowie Homosexuelle blieben unberücksichtigt.
Schlussstrich: Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1965
Die Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1965 sollte ausdrücklich die „nationale Ehre“ wiederherstellen und einen „würdigen Schlussstrich“ setzen. Es enthielt zahlreiche Verbesserungen, Verlängerungen von Fristen und Ausnahmen für Härtefälle. Im Vorfeld kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Regierung (Kabinett Erhardt I) und Opposition, da Verfolgte außerhalb der Grenzen von 1937 immer noch ausgeschlossen blieben. Die Jewish Claims Conference erreichte, dass jedenfalls die seit 1953 nach Israel ausgewanderten osteuropäischen Juden einbezogen wurden, was knapp 1000 Personen betraf.[6]
Nach 1965 wurde die Entschädigungsfrage von den folgenden Bundesregierungen (z. B. der ersten großen Koalition, dem Kabinett Kiesinger) als erledigt angesehen. Zahlungen an Jugoslawien und Polen bezogen sich nicht auf individuelle Entschädigungen; einige Härtefallregelungen wurden neu aufgelegt.
Bis 1965 gab es 28 Bundestagsausschüsse, darunter die vier Folgenden: Wiedergutmachung, Lastenausgleich, Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen sowie Heimatvertriebene. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier regte im November 1965 an, die Zahl der Ausschüsse deutlich zu verringern.
Entwicklungen seit 1980
Erst in den 1980er Jahren kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Wiedergutmachung, einem Begriff, der nunmehr als verharmlosend angefochten wurde. Die benachteiligten Minderheiten der Sinti und Roma und der Homosexuellen, die Opfer der Zwangssterilisation, Wehrmachtsdeserteure und Zwangsarbeiter wurden nun als NS-Opfer wahrgenommen. Das Parlament stellte zwar Mittel zur Verfügung, um einen weiteren Härtefonds auszustatten, die Entschädigung der Zwangsarbeiter blieb jedoch außen vor. Auch für Homosexuelle fand keine kollektive Wiedergutmachung statt.[3]
Seit 1998 wurden in den USA zahlreiche Sammelklagen auf Entschädigung von Zwangsarbeitern eingereicht. Der ungewisse Ausgang solcher Klagen, aber auch die dadurch ausgelöste politische Diskussion führten im Jahre 2000 zur Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Diese soll das Kapital von 10 Milliarden DM, das zu gleichen Teilen von Industrie und Bund aufgebracht wurde, an ehemalige Zwangsarbeiter in fünf osteuropäischen Staaten, Israel und den USA auszahlen. Vorbedingung für diese Zusage war die vollständige Rücknahme der Klagen.
Rückerstattung von Immobilien und Vermögen
Zur Rückerstattung des Vermögens, das unter NS-Herrschaft aufgrund der Verfolgung verloren worden war, erließen die Besatzungsmächte zwischen 1947 und 1949 unterschiedliche Gesetze. Differenzen gab es insbesondere bei der Behandlung der erbenlosen Vermögenswerte. Die Sowjetunion wollte diese als Entschädigung für NS-Verfolgte und für Reparationsleistungen einbehalten, die USA beabsichtigten, diese den jüdischen Organisationen im Ausland auszuhändigen. Die Briten fürchteten hingegen, dass diese Gelder dann in das unter britischem Mandat stehende Palästina fließen würden, und dadurch die Unabhängigkeit und Gründung des Staates Israel beschleunigt werden würde, die insbesondere durch Überlebende des Holocaust angestrebt wurde. Schließlich setzte sich in den drei Westzonen die Linie der USA durch, die bereits 1947 im Militärregierungsgesetz Nr. 59 festgeschrieben war.
Die Rückerstattung war konfliktträchtig. Wenn der Sachverhalt des „Zwangsverkaufs“ vorlag, musste von Juden erworbenes Vermögen – insbesondere Grundstücke und Betriebe – auch bei anderenfalls „gutgläubigem Erwerb“ rückerstattet werden. Zudem führte die Rückabwicklung der Kaufverträge wegen der seit dem Krieg eingetretenen Geldentwertung (Währungsreform 1948) praktisch zu einer fast entschädigungslosen Enteignung der Käufer. Die Rückübertragung von Immobilien war im Wesentlichen bis 1957 abgeschlossen. 44 % der Antragsteller lebten in den USA; Geschädigte aus dem Ostblock kamen in Zeiten des Kalten Krieges nicht zum Zuge, insbesondere auch, weil sich die Rückerstattung auf Vermögen beschränkte, das sich in der Bundesrepublik und Westberlin befand.
Im 1957 verabschiedeten Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) verpflichtete sich die Bundesrepublik, Schadenersatz für entzogene und nicht mehr auffindbare Vermögenswerte zu leisten. Voraussetzung war jedoch, dass diese Gegenstände auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelangt waren. So musste etwa ein Antragsteller nicht nur den Wert des geraubten Schmucks glaubhaft machen, sondern auch nachweisen, dass dieser in das westdeutsche Gebiet verbracht worden war. Es gab zahlreiche Prozesse, und die Summe der ausgezahlten Entschädigungsleistungen blieb vergleichsweise gering.
Globale Entschädigungsleistungen der Bundesrepublik
Nach zähen Verhandlungen, gegen große Widerstände auch im eigenen politischen Lager und unter erheblichem außenpolitischen Druck unterzeichnete Konrad Adenauer am 10. September 1952 das Luxemburger Abkommen, in dem Warenlieferungen im Wert von 3,0 Milliarden DM an Israel und die Zahlung von 450 Millionen DM an die Jewish Claims Conference vereinbart wurde. Die Conference on Jewish Material Claims against Germany wurde 1951 als Gesamtvertretung von 52 jüdischen Organisationen in westlichen Ländern gegründet. Die Zahlungen, die in Israel zu starken Kontroversen und öffentlichen Protesten führten, wurden von Ministerpräsident David Ben Gurion als überlebenswichtig angesehen. Sie wurden unter anderem auch für die Eingliederung der Neueinwanderer aus Europa benötigt.
Die Jewish Claims Conference trat daneben immer wieder offensiv für die Interessen der Geschädigten ein. In den Jahren 1957 bis 1962 sahen sich die I.G. Farben, Krupp, AEG, Siemens und Rheinmetall durch den Druck der öffentlichen Meinung in den USA veranlasst, ihre jüdischen Zwangsarbeiter zu entschädigen.
Bilaterale globale Verträge mit anderen Staaten
Abkommen mit Dänemark zur Wiedergutmachung – Austausch der Ratifikationsurkunden 1960
Zwischen 1959 und 1964 schloss die Bundesrepublik mit zwölf westeuropäischen Regierungen sogenannte „Globalabkommen“ ab:[7]
Globalabkommen der Bundesrepublik Staat Vertragsabschluss Betrag in Mio. DM
Luxemburg 11. Juli 1959 18
Norwegen 7. August 1959 60
Dänemark 24. August 1959 16
Griechenland 18. März 1960 115
Niederlande 8. April 1960 125
Frankreich 15. Juli 1960 400
Belgien 28. September 1960 80
Italien 2. Juni 1961 40
Schweiz 29. Juni 1961 10
Österreich 27. November 1961 95
Großbritannien 9. Juni 1964 11
Schweden 3. August 1964 1
Gesamt: 971
Die Verteilung der Gelder überließ Deutschland den Empfängerstaaten. Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer gingen leer aus. Bei der Aufschlüsselung der Zahlungen an einzelne Länder, die unter Wahrung der Rechtsposition ausdrücklich als freiwillig bezeichnet wurde, berücksichtigte die deutsche Regierung den unterschiedlich starken Druck der öffentlichen Meinung in diesen Ländern und die erhoffte außenpolitische Wirkung.
Zu diesen Globalabkommen wird auch der deutsch-griechische Vertrag vom 18. März 1960 gezählt, aufgrund dessen Deutschland 115 Millionen D-Mark (heutige Kaufkraft: 458,5 Millionen Euro) zur Verteilung an „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsangehörigen, die durch diese Verfolgungsmaßnahmen Freiheitsschäden oder Gesundheitsschädigungen erlitten haben, sowie besonders auch zugunsten der Hinterbliebenen der infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen Umgekommenen“, zahlte. In einem Briefwechsel der Vertragsunterzeichner vom selben Tag wurde festgehalten, es seien „alle den Gegenstand dieses Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu (dem anderen Staat) abschließend geregelt“,[8] d. h. im Gegenzug verzichtete Griechenland auf weitere Forderungen zur Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
Das Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung verpflichtete die deutsche Sozialversicherung zur Zahlung von 1,3 Milliarden DM an Polen. Damit sollten gegenseitige Forderungen pauschal saldiert werden.[9] Jedenfalls ein Zweck dieser Zahlungen war die Abgeltung von Rentenansprüchen polnischer Zwangsarbeiter, denen man während des Krieges Versicherungsbeiträge abgezogen hatte.[10] Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurden globale Abkommen mit Polen (1991) und 1993 mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Russische Föderation, Ukraine und Belarus) abgeschlossen, außerdem Vereinbarungen mit den drei baltischen Staaten (1995) und 1998 der deutsch-tschechische Zukunftsfonds.[3]
Deutsche Demokratische Republik
Ablehnung von Wiedergutmachungsforderungen
Nach DDR-Geschichtsdeutung war die Machtübernahme der Nationalsozialisten durch die „Machenschaften der Monopolkapitalisten“ verursacht und die „Arbeiterklasse des deutschen Volkes missbraucht worden“. Das hatte für die DDR-Bevölkerung schuldentlastende Wirkung.[11] Die DDR verweigerte Verhandlungen über Entschädigungen, sowohl mit den Staaten des Warschauer Pakts als auch insbesondere gegenüber Israel und der Claims Conference.[3]
Im Gegensatz zur westlichen Entschädigung gab es – von Ausnahmen abgesehen – keine Rückerstattung von Vermögen oder Immobilien. Der SED-Politiker Paul Merker wurde im März 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er sich für Entschädigungszahlungen an Überlebende des Holocaust und für die Rückerstattung „arisierten“ Eigentums ausgesprochen hatte.
Die Wiedergutmachungsforderungen des als „faschistischer Aggressor“ bezeichneten Staates Israel wurden abgelehnt. Auch zeigte sich die DDR nicht bereit, erbenlose jüdische Immobilien und Vermögen zurückzuerstatten. Mit Hinweis auf die umfangreichen Reparationsleistungen an die UdSSR, im Sprachgebrauch mit dem Begriff Wiedergutmachung belegt, wurden alle weiteren Forderungen zurückgewiesen. Diese wurden nach der Wiedervereinigung erneut vorgebracht und von der Bundesrepublik Deutschland teilweise erfüllt.[12]
Renten für NS-Verfolgte
Nur NS-Verfolgte, die in der DDR wohnten, wurden bei Leistungen berücksichtigt.[3] NS-Verfolgte und ihre Hinterbliebenen erhielten Starthilfen und zusätzliche Sozialfürsorgeleistungen, ab 1973 auch eine bevorzugte medizinische Betreuung. Sie konnten fünf Jahre früher die Altersrente beanspruchen; ihre Kinder wurden bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt. Es wurde zwischen den „Verfolgten des Naziregimes“ und den finanziell besser gestellten verfolgten Kommunisten, den „Kämpfern gegen den Faschismus“ unterschieden.[3] 1966 betrug bei einer durchschnittlichen allgemeinen Altersrente von 164 Mark die „Ehrenpension“ 600 Mark bzw. 800 Mark.
Nach dem Ende der SED-Diktatur
Nach der Konstitution der letzten und einzigen demokratisch gewählten Volkskammer der DDR distanzierte sich diese am 12. April 1990 von der Zionismus-Resolution[13] der UNO vom 10. November 1975, der die DDR seinerzeit zugestimmt hatte. Mit einer Mehrheit der arabischen und der sozialistischen Länder war der Zionismus als „eine Form des Rassismus“ verurteilt worden. Weiterhin bekannte sich die Volkskammer in einer Erklärung zur Mitverantwortung für den Holocaust, bat um Verzeihung für die Feindseligkeit der DDR-Politik gegenüber Israel und bedauerte den Antisemitismus in der DDR:
„Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“[14]
Beide deutsche Staaten schlossen wenige Wochen vor der Wiedervereinigung die „Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages“.[15] Artikel 2 lautet:
„Die vertragschließenden Seiten geben ihrer Absicht Ausdruck, gemäß Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 14. April 1990 für eine gerechte Entschädigung materieller Verluste der Opfer des NS-Regimes einzutreten. In der Kontinuität der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist die Bundesregierung bereit, mit der Claims Conference Vereinbarungen über eine zusätzliche Fondslösung zu treffen, um Härteleistungen an die Verfolgten vorzusehen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben.“
Wiedergutmachung im Beitrittsgebiet nach der Wiedervereinigung
Deutschland übernahm in der Regierungszeit Kohl mit dem Artikel-2-Abkommen die von der DDR abgewiesene historische Erblast gegenüber der Claims Conference und startete die Rückgabe jüdischen Eigentums in den neuen Ländern.[16][3] Rechtsgrundlagen für Restitutionen von Vermögenswerten bzw. Entschädigungen an NS-Verfolgte im Beitrittsgebiet sind § 1 Absatz 6 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) sowie das NS-VEntschG NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG). Die finanziellen Lasten wurden nicht mehr von der DDR, sondern aus den öffentlichen Haushalten des wiedervereinigten Deutschlands getragen. Über die Höhe der Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte bis zum 30. Juni 2013 unterrichtete die Bundesregierung den Deutschen Bundestag am 4. November 2013.[17] Danach erhielt die Jewish Claims Conference an Einmalbeihilfen rd. 727 Millionen Euro (sowie rd. 251 Millionen Euro auf einer anderen Rechtsgrundlage), knapp 3 Milliarden Euro an laufenden Beihilfen, Überbrückungszahlungen in Höhe von rd. 110 Millionen Euro, eine institutionelle Förderung in dreistelliger Millionen-Euro-Höhe sowie einen Verwaltungskostenersatz.
Summe
Die Gesamtsumme aller Entschädigungsleistungen der öffentlichen Hand belief sich bis Ende 2015 auf 73,422 Milliarden Euro, sie umfasst Zahlungen nach dem BEG, dem BRüG, dem ERG, dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz, dem Israelvertrag, Globalverträgen, Leistungen im Öffentlichen Dienst, für das Hilfswerk Wapniarka, Fonds für Menschenversuchsopfer, Leistungen der Bundesländer außerhalb des BEG, diverse Härteregelungen und Leistungen an die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.[18] Die Zahl ergibt sich als Summe aus Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten; die jeweils sehr unterschiedliche Kaufkraft ist dabei nicht berücksichtigt.
Sonstiges
Einige Opfergruppen erhielten keine Entschädigungs- oder Wiedergutmachungszahlungen. Der Psychiater Werner Villinger (1887–1961), 1961 Gutachter im Wiedergutmachungsausschuss des Deutschen Bundestages, prägte den Begriff der „Entschädigungsneurose“. Daher fielen die während der NS-Diktatur Zwangssterilisierten – etwa 400.000 Menschen[19] – aus dem Bundesentschädigungsgesetz heraus. Erst in den 1980er Jahren änderte sich die Situation: Seit 1980 können die Zwangssterilisierten eine Einmalzahlung von 5000 DM und seit 1988 monatliche Renten (heute 291 Euro) als Härteleistung beantragen.[20]
Siehe auch
Restitution in Österreich
Restitution von Raubkunst
Raubkunst
Massaker von Distomo
Verwaltungsamt für innere Restitutionen
Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen
Allgemeines Kriegsfolgengesetz
Jewish Claims Conference
Quelle
Der Begriff „Wiedergutmachung“ bedeutet nicht, dass erlittenes Leid und jahrelange Entrechtung, Freiheitsentzug und Gesundheitsschäden durch die gewährten Leistungen abgegolten und „wieder gut gemacht“ werden können.[1] Der Begriff hat sich jedoch in der Fachwelt durchgesetzt.
Die Wiedergutmachung wurde in der Bundesrepublik auf die folgenden Arten geleistet:[2]
Rückerstattung von aufgrund der Unterdrückungsmaßnahmen verloren gegangenen Grundstücken und anderen Vermögenswerten direkt an ihre ehemaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger (bei erbenlosem Vermögen an jüdische Organisationen)
Individuell und unmittelbar geleistete Geldzahlungen zum Ausgleich der Schäden durch Eingriffe in die Lebenschancen wie den Verlust an Freiheit, Gesundheit und beruflichem Fortkommen
Sonderregelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten, insbesondere in der Sozialversicherung
Juristische Rehabilitierung vor allem in der Strafjustiz, aber auch bei Unrechtsakten wie der Ausbürgerung oder der Aberkennung akademischer Grade
Globalabkommen über diverse Entschädigungsleistungen mit Staaten, Stiftungen oder Organisationen von Anspruchsberechtigten.
In der DDR wurden unter Wiedergutmachung fast ausschließlich Reparationsleistungen an die Sowjetunion angesehen. Daher betrachtete die DDR ihre internationalen Pflichten nach dem Ende der Reparationen im Herbst 1953 als abgegolten und verweigerte Verhandlungen über Entschädigungen, sowohl mit den Staaten des Warschauer Pakts als auch insbesondere mit Israel. Nur in der DDR wohnende NS-Verfolgte erhielten Leistungen.[3]
Maßnahmen vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland
Rückerstattungsanordnung Berlin 1949 (REAO)
Hilfsmaßnahmen für überlebende Juden und die aus politischen und religiösen Gründen Verfolgten setzten bald ein, doch waren diese Leistungen in den ersten Jahren regional begrenzt und unkoordiniert. Immerhin wurde dieser Personenkreis bei der Beschaffung von Hausrat, Wohnung und Arbeit sowie bei der Zuteilung rationierter Lebensmittel bevorzugt.
Diese frühen Entschädigungsleistungen zeigten auch Nachteile: Bei der ratenweisen Rückzahlung der Sondervermögensabgabe, die den Juden im Dritten Reich abverlangt worden war, minderte die Währungsreform den Wert. Manche staatenlose Juden (Displaced Persons), die in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern wollten, traten ihre Ansprüche gegen einen Vorschuss an deutsche Banken ab.
Außerdem erließen die Besatzungsmächte zwischen 1947 und 1949 mehrere Gesetze und Verordnungen zur Rückerstattung des Vermögens, das unter NS-Herrschaft geraubt oder durch „Zwangsverkäufe“ verloren worden war (z. B. in der amerikanischen Zone das Militärregierungsgesetz Nr. 59).
Gesetzgebung der Bundesrepublik zur Erstattung individueller Ansprüche
Weitergelten der Gesetze und Verordnungen der Alliierten
Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Überleitungsvertrages vom 26. Mai 1952 galten alle Gesetze und Verordnungen der Besatzungsmächte unverändert weiter, insbesondere auch die Vorschriften, die Entschädigungsleistungen u.Ä. betrafen. Die Vorgaben der Alliierten waren auch grundlegend für die gesamte weitere Gesetzgebung in der Bundesrepublik für die Entschädigungen derjeniger Personen, die aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen verfolgt worden waren.
Viele Deutsche hielten Entschädigungsleistungen für Kriegerwitwen, Heimatvertriebene und Bombengeschädigte für vordringlich. Zu bewältigen war zudem die Integration der NS-Belasteten. Die ablehnende Haltung der Öffentlichkeit wurde dadurch bestärkt, dass Fälle von angeblichem oder tatsächlichem Missbrauch von Entschädigungsleistungen bekannt wurden (zum Beispiel Unterschlagungen durch Philipp Auerbach oder die umstrittenen Zahlungen an Eugen Gerstenmaier). Aus taktischen Gründen wurden daher die wenig populären Entschädigungsmaßnahmen für NS-Verfolgte stets zeitgleich mit Gesetzen zugunsten einer der anderen Gruppen beschlossen.
Londoner Schuldenabkommen
Auch das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sah andere Prioritäten vor. Darin verzichteten die Alliierten auf Teile ihrer Vorkriegsschulden sowie der Rückzahlung ihrer Wirtschaftshilfe; die verbleibende Schuldensumme sollte jedoch vorrangig getilgt werden, alle anderen Zahlungsverpflichtungen Deutschlands wie Reparationen wurden bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufgeschoben.
Bundesentschädigungsgesetz vom 1. Oktober 1953
Ein erster Versuch, die Prinzipien des Überleitungsvertrags in Bundesrecht umzusetzen, war das Bundesergänzungsgesetz (BErG) vom 1. Oktober 1953. Es traf eine bundeseinheitliche Regelung für die Entschädigung der an Leben, Körper und Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen erlittenen Einbußen. Allerdings waren nur deutsche Staatsangehörige antragsberechtigt; zudem mussten sie ihren Wohnsitz in Westdeutschland haben. In dem Gesetz wurde die Entschädigungssumme auf fünf Mark pro Tag „Freiheitsentzug“, der in einem KZ, Ghetto oder Zuchthaus verbracht wurde, festgelegt.[4]
Bundesentschädigungsgesetz vom 29. Juni 1956
Ein großzügiger ausgelegtes Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29. Juni 1956 erweiterte den Kreis der Personen und umfasste weitere Tatbestände, schloss allerdings Ansprüche von Personen mit Wohnsitz im Ausland weiterhin aus. Sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, prominente Kommunisten, Roma, Sinti, Jenische, Euthanasieopfer, Zwangssterilisierte, als „asozial“ Verfolgte[5] sowie Homosexuelle blieben unberücksichtigt.
Schlussstrich: Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1965
Die Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1965 sollte ausdrücklich die „nationale Ehre“ wiederherstellen und einen „würdigen Schlussstrich“ setzen. Es enthielt zahlreiche Verbesserungen, Verlängerungen von Fristen und Ausnahmen für Härtefälle. Im Vorfeld kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Regierung (Kabinett Erhardt I) und Opposition, da Verfolgte außerhalb der Grenzen von 1937 immer noch ausgeschlossen blieben. Die Jewish Claims Conference erreichte, dass jedenfalls die seit 1953 nach Israel ausgewanderten osteuropäischen Juden einbezogen wurden, was knapp 1000 Personen betraf.[6]
Nach 1965 wurde die Entschädigungsfrage von den folgenden Bundesregierungen (z. B. der ersten großen Koalition, dem Kabinett Kiesinger) als erledigt angesehen. Zahlungen an Jugoslawien und Polen bezogen sich nicht auf individuelle Entschädigungen; einige Härtefallregelungen wurden neu aufgelegt.
Bis 1965 gab es 28 Bundestagsausschüsse, darunter die vier Folgenden: Wiedergutmachung, Lastenausgleich, Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen sowie Heimatvertriebene. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier regte im November 1965 an, die Zahl der Ausschüsse deutlich zu verringern.
Entwicklungen seit 1980
Erst in den 1980er Jahren kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Wiedergutmachung, einem Begriff, der nunmehr als verharmlosend angefochten wurde. Die benachteiligten Minderheiten der Sinti und Roma und der Homosexuellen, die Opfer der Zwangssterilisation, Wehrmachtsdeserteure und Zwangsarbeiter wurden nun als NS-Opfer wahrgenommen. Das Parlament stellte zwar Mittel zur Verfügung, um einen weiteren Härtefonds auszustatten, die Entschädigung der Zwangsarbeiter blieb jedoch außen vor. Auch für Homosexuelle fand keine kollektive Wiedergutmachung statt.[3]
Seit 1998 wurden in den USA zahlreiche Sammelklagen auf Entschädigung von Zwangsarbeitern eingereicht. Der ungewisse Ausgang solcher Klagen, aber auch die dadurch ausgelöste politische Diskussion führten im Jahre 2000 zur Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Diese soll das Kapital von 10 Milliarden DM, das zu gleichen Teilen von Industrie und Bund aufgebracht wurde, an ehemalige Zwangsarbeiter in fünf osteuropäischen Staaten, Israel und den USA auszahlen. Vorbedingung für diese Zusage war die vollständige Rücknahme der Klagen.
Rückerstattung von Immobilien und Vermögen
Zur Rückerstattung des Vermögens, das unter NS-Herrschaft aufgrund der Verfolgung verloren worden war, erließen die Besatzungsmächte zwischen 1947 und 1949 unterschiedliche Gesetze. Differenzen gab es insbesondere bei der Behandlung der erbenlosen Vermögenswerte. Die Sowjetunion wollte diese als Entschädigung für NS-Verfolgte und für Reparationsleistungen einbehalten, die USA beabsichtigten, diese den jüdischen Organisationen im Ausland auszuhändigen. Die Briten fürchteten hingegen, dass diese Gelder dann in das unter britischem Mandat stehende Palästina fließen würden, und dadurch die Unabhängigkeit und Gründung des Staates Israel beschleunigt werden würde, die insbesondere durch Überlebende des Holocaust angestrebt wurde. Schließlich setzte sich in den drei Westzonen die Linie der USA durch, die bereits 1947 im Militärregierungsgesetz Nr. 59 festgeschrieben war.
Die Rückerstattung war konfliktträchtig. Wenn der Sachverhalt des „Zwangsverkaufs“ vorlag, musste von Juden erworbenes Vermögen – insbesondere Grundstücke und Betriebe – auch bei anderenfalls „gutgläubigem Erwerb“ rückerstattet werden. Zudem führte die Rückabwicklung der Kaufverträge wegen der seit dem Krieg eingetretenen Geldentwertung (Währungsreform 1948) praktisch zu einer fast entschädigungslosen Enteignung der Käufer. Die Rückübertragung von Immobilien war im Wesentlichen bis 1957 abgeschlossen. 44 % der Antragsteller lebten in den USA; Geschädigte aus dem Ostblock kamen in Zeiten des Kalten Krieges nicht zum Zuge, insbesondere auch, weil sich die Rückerstattung auf Vermögen beschränkte, das sich in der Bundesrepublik und Westberlin befand.
Im 1957 verabschiedeten Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) verpflichtete sich die Bundesrepublik, Schadenersatz für entzogene und nicht mehr auffindbare Vermögenswerte zu leisten. Voraussetzung war jedoch, dass diese Gegenstände auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelangt waren. So musste etwa ein Antragsteller nicht nur den Wert des geraubten Schmucks glaubhaft machen, sondern auch nachweisen, dass dieser in das westdeutsche Gebiet verbracht worden war. Es gab zahlreiche Prozesse, und die Summe der ausgezahlten Entschädigungsleistungen blieb vergleichsweise gering.
Globale Entschädigungsleistungen der Bundesrepublik
Nach zähen Verhandlungen, gegen große Widerstände auch im eigenen politischen Lager und unter erheblichem außenpolitischen Druck unterzeichnete Konrad Adenauer am 10. September 1952 das Luxemburger Abkommen, in dem Warenlieferungen im Wert von 3,0 Milliarden DM an Israel und die Zahlung von 450 Millionen DM an die Jewish Claims Conference vereinbart wurde. Die Conference on Jewish Material Claims against Germany wurde 1951 als Gesamtvertretung von 52 jüdischen Organisationen in westlichen Ländern gegründet. Die Zahlungen, die in Israel zu starken Kontroversen und öffentlichen Protesten führten, wurden von Ministerpräsident David Ben Gurion als überlebenswichtig angesehen. Sie wurden unter anderem auch für die Eingliederung der Neueinwanderer aus Europa benötigt.
Die Jewish Claims Conference trat daneben immer wieder offensiv für die Interessen der Geschädigten ein. In den Jahren 1957 bis 1962 sahen sich die I.G. Farben, Krupp, AEG, Siemens und Rheinmetall durch den Druck der öffentlichen Meinung in den USA veranlasst, ihre jüdischen Zwangsarbeiter zu entschädigen.
Bilaterale globale Verträge mit anderen Staaten
Abkommen mit Dänemark zur Wiedergutmachung – Austausch der Ratifikationsurkunden 1960
Zwischen 1959 und 1964 schloss die Bundesrepublik mit zwölf westeuropäischen Regierungen sogenannte „Globalabkommen“ ab:[7]
Globalabkommen der Bundesrepublik Staat Vertragsabschluss Betrag in Mio. DM
Luxemburg 11. Juli 1959 18
Norwegen 7. August 1959 60
Dänemark 24. August 1959 16
Griechenland 18. März 1960 115
Niederlande 8. April 1960 125
Frankreich 15. Juli 1960 400
Belgien 28. September 1960 80
Italien 2. Juni 1961 40
Schweiz 29. Juni 1961 10
Österreich 27. November 1961 95
Großbritannien 9. Juni 1964 11
Schweden 3. August 1964 1
Gesamt: 971
Die Verteilung der Gelder überließ Deutschland den Empfängerstaaten. Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer gingen leer aus. Bei der Aufschlüsselung der Zahlungen an einzelne Länder, die unter Wahrung der Rechtsposition ausdrücklich als freiwillig bezeichnet wurde, berücksichtigte die deutsche Regierung den unterschiedlich starken Druck der öffentlichen Meinung in diesen Ländern und die erhoffte außenpolitische Wirkung.
Zu diesen Globalabkommen wird auch der deutsch-griechische Vertrag vom 18. März 1960 gezählt, aufgrund dessen Deutschland 115 Millionen D-Mark (heutige Kaufkraft: 458,5 Millionen Euro) zur Verteilung an „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsangehörigen, die durch diese Verfolgungsmaßnahmen Freiheitsschäden oder Gesundheitsschädigungen erlitten haben, sowie besonders auch zugunsten der Hinterbliebenen der infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen Umgekommenen“, zahlte. In einem Briefwechsel der Vertragsunterzeichner vom selben Tag wurde festgehalten, es seien „alle den Gegenstand dieses Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu (dem anderen Staat) abschließend geregelt“,[8] d. h. im Gegenzug verzichtete Griechenland auf weitere Forderungen zur Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
Das Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung verpflichtete die deutsche Sozialversicherung zur Zahlung von 1,3 Milliarden DM an Polen. Damit sollten gegenseitige Forderungen pauschal saldiert werden.[9] Jedenfalls ein Zweck dieser Zahlungen war die Abgeltung von Rentenansprüchen polnischer Zwangsarbeiter, denen man während des Krieges Versicherungsbeiträge abgezogen hatte.[10] Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurden globale Abkommen mit Polen (1991) und 1993 mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Russische Föderation, Ukraine und Belarus) abgeschlossen, außerdem Vereinbarungen mit den drei baltischen Staaten (1995) und 1998 der deutsch-tschechische Zukunftsfonds.[3]
Deutsche Demokratische Republik
Ablehnung von Wiedergutmachungsforderungen
Nach DDR-Geschichtsdeutung war die Machtübernahme der Nationalsozialisten durch die „Machenschaften der Monopolkapitalisten“ verursacht und die „Arbeiterklasse des deutschen Volkes missbraucht worden“. Das hatte für die DDR-Bevölkerung schuldentlastende Wirkung.[11] Die DDR verweigerte Verhandlungen über Entschädigungen, sowohl mit den Staaten des Warschauer Pakts als auch insbesondere gegenüber Israel und der Claims Conference.[3]
Im Gegensatz zur westlichen Entschädigung gab es – von Ausnahmen abgesehen – keine Rückerstattung von Vermögen oder Immobilien. Der SED-Politiker Paul Merker wurde im März 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er sich für Entschädigungszahlungen an Überlebende des Holocaust und für die Rückerstattung „arisierten“ Eigentums ausgesprochen hatte.
Die Wiedergutmachungsforderungen des als „faschistischer Aggressor“ bezeichneten Staates Israel wurden abgelehnt. Auch zeigte sich die DDR nicht bereit, erbenlose jüdische Immobilien und Vermögen zurückzuerstatten. Mit Hinweis auf die umfangreichen Reparationsleistungen an die UdSSR, im Sprachgebrauch mit dem Begriff Wiedergutmachung belegt, wurden alle weiteren Forderungen zurückgewiesen. Diese wurden nach der Wiedervereinigung erneut vorgebracht und von der Bundesrepublik Deutschland teilweise erfüllt.[12]
Renten für NS-Verfolgte
Nur NS-Verfolgte, die in der DDR wohnten, wurden bei Leistungen berücksichtigt.[3] NS-Verfolgte und ihre Hinterbliebenen erhielten Starthilfen und zusätzliche Sozialfürsorgeleistungen, ab 1973 auch eine bevorzugte medizinische Betreuung. Sie konnten fünf Jahre früher die Altersrente beanspruchen; ihre Kinder wurden bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt. Es wurde zwischen den „Verfolgten des Naziregimes“ und den finanziell besser gestellten verfolgten Kommunisten, den „Kämpfern gegen den Faschismus“ unterschieden.[3] 1966 betrug bei einer durchschnittlichen allgemeinen Altersrente von 164 Mark die „Ehrenpension“ 600 Mark bzw. 800 Mark.
Nach dem Ende der SED-Diktatur
Nach der Konstitution der letzten und einzigen demokratisch gewählten Volkskammer der DDR distanzierte sich diese am 12. April 1990 von der Zionismus-Resolution[13] der UNO vom 10. November 1975, der die DDR seinerzeit zugestimmt hatte. Mit einer Mehrheit der arabischen und der sozialistischen Länder war der Zionismus als „eine Form des Rassismus“ verurteilt worden. Weiterhin bekannte sich die Volkskammer in einer Erklärung zur Mitverantwortung für den Holocaust, bat um Verzeihung für die Feindseligkeit der DDR-Politik gegenüber Israel und bedauerte den Antisemitismus in der DDR:
„Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“[14]
Beide deutsche Staaten schlossen wenige Wochen vor der Wiedervereinigung die „Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages“.[15] Artikel 2 lautet:
„Die vertragschließenden Seiten geben ihrer Absicht Ausdruck, gemäß Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 14. April 1990 für eine gerechte Entschädigung materieller Verluste der Opfer des NS-Regimes einzutreten. In der Kontinuität der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist die Bundesregierung bereit, mit der Claims Conference Vereinbarungen über eine zusätzliche Fondslösung zu treffen, um Härteleistungen an die Verfolgten vorzusehen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben.“
Wiedergutmachung im Beitrittsgebiet nach der Wiedervereinigung
Deutschland übernahm in der Regierungszeit Kohl mit dem Artikel-2-Abkommen die von der DDR abgewiesene historische Erblast gegenüber der Claims Conference und startete die Rückgabe jüdischen Eigentums in den neuen Ländern.[16][3] Rechtsgrundlagen für Restitutionen von Vermögenswerten bzw. Entschädigungen an NS-Verfolgte im Beitrittsgebiet sind § 1 Absatz 6 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) sowie das NS-VEntschG NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG). Die finanziellen Lasten wurden nicht mehr von der DDR, sondern aus den öffentlichen Haushalten des wiedervereinigten Deutschlands getragen. Über die Höhe der Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte bis zum 30. Juni 2013 unterrichtete die Bundesregierung den Deutschen Bundestag am 4. November 2013.[17] Danach erhielt die Jewish Claims Conference an Einmalbeihilfen rd. 727 Millionen Euro (sowie rd. 251 Millionen Euro auf einer anderen Rechtsgrundlage), knapp 3 Milliarden Euro an laufenden Beihilfen, Überbrückungszahlungen in Höhe von rd. 110 Millionen Euro, eine institutionelle Förderung in dreistelliger Millionen-Euro-Höhe sowie einen Verwaltungskostenersatz.
Summe
Die Gesamtsumme aller Entschädigungsleistungen der öffentlichen Hand belief sich bis Ende 2015 auf 73,422 Milliarden Euro, sie umfasst Zahlungen nach dem BEG, dem BRüG, dem ERG, dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz, dem Israelvertrag, Globalverträgen, Leistungen im Öffentlichen Dienst, für das Hilfswerk Wapniarka, Fonds für Menschenversuchsopfer, Leistungen der Bundesländer außerhalb des BEG, diverse Härteregelungen und Leistungen an die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.[18] Die Zahl ergibt sich als Summe aus Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten; die jeweils sehr unterschiedliche Kaufkraft ist dabei nicht berücksichtigt.
Sonstiges
Einige Opfergruppen erhielten keine Entschädigungs- oder Wiedergutmachungszahlungen. Der Psychiater Werner Villinger (1887–1961), 1961 Gutachter im Wiedergutmachungsausschuss des Deutschen Bundestages, prägte den Begriff der „Entschädigungsneurose“. Daher fielen die während der NS-Diktatur Zwangssterilisierten – etwa 400.000 Menschen[19] – aus dem Bundesentschädigungsgesetz heraus. Erst in den 1980er Jahren änderte sich die Situation: Seit 1980 können die Zwangssterilisierten eine Einmalzahlung von 5000 DM und seit 1988 monatliche Renten (heute 291 Euro) als Härteleistung beantragen.[20]
Siehe auch
Restitution in Österreich
Restitution von Raubkunst
Raubkunst
Massaker von Distomo
Verwaltungsamt für innere Restitutionen
Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen
Allgemeines Kriegsfolgengesetz
Jewish Claims Conference
Quelle
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